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Anfangen. Zur Konstitutionsphase der Forschungsgruppe "Poetik und Hermeneutik"

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JULIA WAGNER

Anfangen. Zur Konstitutionsphase der Forschungsgruppe

»Poetik und Hermeneutik«

The research group "Poetik und Hermeneutik« is frequently considered to have an ex- emplary status for other research groups and colloquiums. However, up to now there has been no detailed history of the beginnings of "Poetik und Hermeneutik« itself, which in turn casts its eye on role models, predecessors and founder constellations. The present article dares to make a first attempt at describing the manifold interweaving of instituti- onaI, personal and thematic connections that played il role in the group's founding, in order to not only present "Poetik und Hermeneutik« as a prospective model, but also classify its founding according to pre-existing structures.

Aller Anfang, so formuliert es bündig und bedeutungsreich das Sprichwort, ist schwer. Und die zu Gemeingut gewordene, wenn auch germanistikferne Gedicht- zeile vermag einiges Pathos beizusteuern: »Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne«.

In den Kulturwissenschaften hat es sich neuerdings eingebürgert, den gemachten Charakter von Anfängen zu betonen und zu umkreisen. Erst rückblickend und im Nachhinein werden im Prinzip zufällige Umstände gebündelt, als Beginn von etwas interpretiert und als Basis für weitere Ereignisse ausgemacht. Anfänge setzt man und erzählt sie. Im Fall der Forschungsgruppe "Poetik und Hermeneutik«

führt eine solche Erzählung nach Gießen, wo Hans Robert Jauß 1961 auf einen Lehrstuhl für Romanistik berufen wird. Und sie führt hoch hinaus, bezeichnen- derweise auf einen Turm, ein Bild, das sowohl Anklänge an den viel gescholtenen akademischen Elfenbeinturm als auch an die arkane Gesellschaft aus Goethes Lehrjahren evoziert. Auf einem hessischen Kirchturm sitzen nun ein Philosoph, ein Germanist und ein Romanist und dürfen erst dann wieder in niedere Gefilde hinabsteigen, wenn der gemeinsamen Bund besiegelt ist,' der auf den Namen

»Poetik und Hermeneutik« hören sollte. Diese kongeniale Begriffszusammenfüh- rung wurde zum wirkmächtigen Label und zur Kurzformel eines Erfolgskon- zepts.

In anreichernder, zuweilen aber auch relativierender und korrigierender Kom- plementarität zu Hans Roberts Jauß' nachträglicher Schilderung dieses epiphani- sehen Augenblicks als Ausgangspunkt eines wohlorganisierten Unternehmens na- , Vgl. dazu: Hans Robert Jauß: "Für mich beginnt die Geschichte mit dem Augenblick,

als ich bei einem Fakultätsausflug die bei den Mitinitiatoren, Hans Blumenberg und Clemens Heselhaus, auf der Plattform eines oberhessischcn Kirchturms stellte und ihnen erklärte, sic würden diesen Ort nicht eher verlassen, als bis das Thema für ein erstes Kolloquium gefunden, das Unternehmen getauft und der Antrag an die Mäzene beschlossen sei.« A: Jauß, Wissenschaftsgeschiclnliche Memorabilien, K24/M06, DLA Marbach.

der deutschen Literatur (IASL) 35 (2010), 1, S. 53-76 DOI: 10.1515/iasl.2010.005

Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS) URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-140149

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mens "Poetik und Hermeneutik« sollen im Folgenden gerade auch die Unsicher- heiten und Unschärfen in der Entstehungsgeschichte eingefangen und als konsti- tutive Elemente der Gruppengründung beschrieben werden. In seinem 1996 ver- fassten Epilog auf eine Forschungsgruppe schildert Jauß selbst, wie instabil und fragmentarisch er den Anfang der Forschungsgruppe empfand. Unter Zuhilfe- nahme der Metapher des Orchesters (mit ihm als Dirigenten) gelingt es ihm den- noch, die Gruppengeschichte - wenn auch kontingenzbewusst, wie es sich für den Publikationsort seines Artikels gehört - als 'Glücksgeschichte< zu erzählen, ohne genauer auf die Anfangsgeschichte und Vorläuferorganisationen einzugehen.2 Der Epilog entwirft "Poetik und Hermeneutik« vielmehr selbst als exemplarisch für weitere Forschungsvorhaben. Wie sich die Gründung von "Poetik und Herme- neutik« in ein Netz vielfältiger Anschluss- und Ausschlussverfahren einordnen lässt und welche Aushandlungsprozesse hinter dem nur leicht und knapp berich- teten Anfang stehen, soll im weiteren entfaltet und somit als prototypisch für einen learning-by-doing-Ablauf filigraner Bastelei beschrieben werden, statt aber- mals die Geschichte einer souverän getroffenen Entscheidung, auf die alle weiteren Abläufe kausal bezogen werden können, zu rekapitulieren.} Entsprechend werden Orte und Deutungen der Inkubationsphase von "Poetik und Hermeneutik« ab- geschritten und ineinander verwoben, unter ganz bewusstem Verzicht auf kon- turscharf sortierende Gliederung, ohne Anspruch auf letztgültige Hierarchisierung und mit einigen überraschenden Wendungen, die bis in die UNESCO und in den Weltraum führen werden. Ästhetische Techniken der Selbsthervorbringung wer- den also, ob nun intentional angestrebt oder nur dem analytischen Blick ins Auge springend, eine wichtige Rolle zu spielen haben.

Bereits die Auswahl der Gruppenmitglieder vollzog sich im Stile einer Montage und also in einem vielschichtigen System von Verweisen. Zum Kreis derjenigen, die gemeinsa,m in Heidelberg studiert und sich zum Teil in der Studentenverbin- dung >Semper apertus!< engagiert hatten, gehörten neben Hans Robert Jauß, Wolf- Dieter Stempel und Wolfgang Iser auch Reinhart Koselleck und Dieter Henrich.

Auf die Begriffsgeschichtliche Senatskommission der DFG wird detaillierter ein- zugehen sein.4 Aus anderen (Tagungs)-Zusammenhängen kannten sich Jacob Tau- bes, Max Imdahl und Peter Szondi. In den Selbstbeschreibungen tauchen zudem einzelne Kongresse oder Konferenzen auf, die schon Leitfragen der gemeinsamen Arbeit thematisieren und personelle Verbindungen oder sogar Freundschaften stif- teten. Hierbei erwiesen sich inhaltlich die beiden Felder Ästhetik und Geschichte

2 Hans Robert Jauß: Epilog auf die Forschungsgruppe ,Poetik und Hermeneutik<. In:

Gerhart von Graevenitz/Odo Marquard in Zusammenarbeit mit Matthias Christen.

(Hg.): Kontingenz (Poetik und Hermeneutik XVII). München: Fink 1998, S.525-533.

3 Vgl. zum Begriff der Bastclei, wie er hier in loser Anknüpfung an Claude LCvi-Strauss verwendet wird: c.L.-S.: Das wilde Denken. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1973.

4 Die Begriffsgeschichtliche Kommission wurde 1958 als höchstes Arbeitsgremium des Senats unter Vorsitz von Hans Georg Gadamer eingerichtet. Sie war zu diesem Zeit- punkt die einzige geisteswissenschaftliche Senatskommission der DFG.

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in ihrer konstitutiven Kopplung als besonders ergiebig. Wenn im Fortgang die dynamische und mehrfache Überblendung lokaler Kontexte, Institutionen, Per- sonen und Randfiguren als Ausgangsszenario der Forschungsgruppe »Poetik und Hermeneutik« dargestellt wird, spielen - wenigstens im Hintergrund - auch sol- che, meist zwischenfachlich zu erkundenden Felder eine entscheidende Rolle.

»Poetik und Hermeneutik« führt ihr Nachleben als eine der berühmtesten For- schungsgruppen der Bundesrepublik und gilt für die sogenannten Geisteswissen- schaften als der exklusive Club par excellence, nicht zuletzt weil viele Gruppen- mitglieder zu den prominentesten Vertretern der Literatur-, Geschichts- und Kunstwissenschaften in der Bundesrepublik Deutschland zählen.5 Zwischen 1963 und 1998 publizierte die Gruppe 17 eigenständige Sammelbände, die in vielen Fällen Forschungsakzente setzten und in einem hohen Maße den Forschungsdis- kurs einzelner Disziplinen programmierten. Bereits kurz nach der Einrichtung der Forschungsgruppe bezieht sich Helmut Schelsky in einem Antrag aus dem Jahr 1968, interdisziplinäre Studiengruppen auf Zeit als Forschungsprojekte anzuer- kennen, direkt auf »Poetik und Hermeneutik« und wirbt dafür, die neue Form des Austauschs zu kodifizieren:

Die Forschungsgemeinschaft hatte dankenswerter Weise einer Studiengruppe für Rechtssoziologie eine 8 Tage dauernde Arbeitstagung finanziell ermöglicht und diese Förderung ausdrücklich als »Experiment« bezeichnet. Wir, die wir zu dieser Studien- gruppe gehören, wissen die Großzügigkeit dieses Entschlusses des Hauptausschusses zu würdigen, da er an sich nicht imstande ist, solche langen »Rundgespräche« den vorliegenden Satzungen nach zu fördern. Dieses Experiment hat aber wie andere ge- zeigt, dass hier keine »Rundgespräche« vorliegen, sondern eine neue Forschungsform.

Unter diesen Gesichtspunkten möchte ich Sie bitten, die Konsequenzen aus den Er- fahrungen dieses Experiments zu ziehen und es als Forschungsform anzuerkennen. [ ... ] Die Studiengruppe für Rechtssoziologie ist aber keineswegs das erste gelungene Ex- periment dieser Al1: Seit Jahren arbeitet die Forschungsgruppe »Poetik und Herme- neutik« unter der Leitung der Professoren Blumenberg, Heselhaus, Iser und Jauss in ähnlicher Weise und hat bisher zwei umfangreiche Veröffentlichungen (Nachahmung und Illusion; Immanente Ästhetik, München 1964 und 1966) vorgelegt, die zweifellos zu den interessantesten und originellsten wissenschaftlichen Veröffentlichungen der deutschen Literaturwissenschaftler usw. der letzten Jahre gehören. Eine dritte For- schungsphase dieser Arbeitsgruppe ist in diesem Jahre durch eine achttägige Arbeits- gruppentagung abgeschlossen und führt ebenfalls wieder zu einer Veröffentlichung.6 Trotz der oft erwähnten doppelten Beispielhaftigkeit inhaltlicher Impulse und pa- radigmatischer Organisationsstruktur haben sich erst wenige wissenschaftliche Beiträge konkret mit der Rolle, die »Poetik und Hermeneutik« in der bundesre- publikanischen Wissenschaftslandschaft gespielt hat, auseinandergesetzt oder gar

5 Eine vollzählige Auflistung der Mitglieder kann hier nicht geleistet werden, zu den frühen Mitgliedern gehörten u. a.: Hans Robert Jauß, Wolfgang Iser, Hans Blumen- berg, Herbert Dieckman, Peter Szondi, Werner Krauss, Jacob Taubes, Dieter Henrich und Siegfried Kracauer.

6 Helmut Schelsky an Julius Speer, A: Blumenberg, DLA Marbach.

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den Versuch einer konsistenten Darstellung der Gruppenaktivitäten jenseits von Selbststilisierung und feuilletonistischer Intervention unternommen.?

Dafür gibt es mindestens zwei Gründe: Die Gruppe führte zum einen in den ersten Jahren ihres Bestehens eine merkwürdige Doppel-Existenz zwischen Öf- fentlichkeit und eines in sich geschlossenen, eher bündisch organisierten und zu- nächst rein männlich besetzten Zirkels, wodurch sie nie zu so großer gesellschaft- licher Publizität gelangte, wie beispielsweise die prominenteste Intellektuellen- Gruppe der jungen Bundesrepublik, die Frankfurter Schule, die ganz bewusst auch durch mediale Vermittlung die Öffentlichkeit als Diskussionsraum erschloss.8 Im Fall von "Poetik und Hermeneutik« scheuten nicht nur die Mitglieder ein zu engagiertes und offenes Auftreten, auch die behandelten Inhalte stehen einer brei- ten Aufnahme entgegen; Methodendiskussionen und ästhetische Begriffsbildun- gen konnten nur hintergründig als Verbindung von Ästhetik und Politik dechif- friert werden, vordergründig bleiben sie geisteswissenschaftlicher Fachdiskurs und damit außerhalb der jeweiligen Disziplinen (hier vor allem Philosophie, Literatur- und Kunstwissenschaft) kaum resonanzfähig.9

7 Aus der Fülle der Rezensionen seien an dieser Stelle beispielhaft drei Artikel ange- führt: Hans Ulrich Gumbrecht: Moderne Sinnfülle. Vierundzwanzig Jahre "Poetik und Hermeneutik«. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.09.1987; Jürgen Kaube:

Zentrum der intellektuellen Nachkriegsgeschichte. Die Konferenzserien "Poetik und Hermeneutik« hat seit 1963 richtig gemacht, was heute alles falsch gemacht wird. In:

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.06.2003; zuletzt Karlheinz Stierle: Die Gruppe

"Poetik und Hermeneutik«. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.07.2009. Vgl.

dazu auch den Artikel von Carlos Spoerhase in diesem Heft.

S Die breite Öffentlichkeitswirksamkeit der Kritischen Theorie kann man zum Teil als Figur eines kreativen mis-readings vcrstehen, in dessen Folge Aussagen von beispiels- weise Habermas und Adorno unterkomplex aufgenommen wurden. Paradoxcrweise wird die Kulturindustrie gerade unter Nutzung der Medien kritisiert: "Die neue Me- dientheorie ab 1950 startet als phobische bis paranoische Abwehr aller Medientcch- nologie nach Gutenberg. Viel gelescnc und in Radio wie Fernsehen bemerkenswert präsente Theoricköpfe wie die von Theodor Adorno [ ... ] befinden, daß Massenmedien wie dcr Film, das Radio und das Fernsehen verblöden [ ... ] und verdinglichen.« 00- chen Hörisch: Medientheorie(n). In: J.H.: Theorie-Apotheke. Eine Handreichung zu den humanwisscnschaftlichen Theorien der letzten fünfzig Jahrc, einschließlich ihrer Risiken und Nebenwirkungen. Frankfurt/M.: Eichborn 2005, S. 180. Im Kontext von

"Poetik und Hermeneutik« ist dabei auch die Rezeption von Reinhart Kosellecks Kritik und Krise (1959) und Jürgen Habermas' Strukturwandel der Öffentlichkeit (1961) bemerkenswert: Inhaltlich zahlreiche Überlappungen aufweisend, wurde Ha- bermas' Buch zu einem auch außer-universitär diskutierten BestsclIer, während Kritik und Krise fast ausschließlich vom Fachpublikum wahrgenommen wurde.

9 Dass die Diskussionen inncrhalb von "Poetik und Hermeneutik« auch von Teilnch- mern als zu abgeschottet gegenüber gesellschaftlichen Phänomenen betrachtet wurden, machen Siegfried Kracauers Notizen an lässlich des zweiten Kolloquiums in Auel deutlich: "The social climate is practically nonexistent in the colloquy. Hence the impression that the theoretical changes occur according to a sort of immanent logic.

But this is only part of the truth. It is dangerous indeed to ignore the other part - the always possible relationships betwecn simultaneous events in differcnt areas. [ ... ]

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Zum anderen wird

qer

Versuch, die Gruppe zu erforschen, vor allem durch die Überlieferungs- und Archivsituation verkompliziert. "Poetik und Hermeneutik« war von Beginn an ein im höchsten Maße selbstreflexives Unternehmen. Dies zeigt sich besonders an der gewählten Form des Austauschs, der sich hauptsäch- lich durch Briefe und Aktenverschickung organisierte und eine fortlaufende Selbstarchivierung garantierte. Die Deutungshoheit über die Gruppenaktivitäten lag immer bei ihren Mitgliedern, sie rezensierten gegenseitig ihre Publikationen, lancierten Artikel in Zeitschriften und ordneten sich selbst in die Wissenschafts- geschichte ein. Auch über den Tod hinaus wurde die Gruppenzugehörigkeit in Nachrufen von "Poetik und Hermeneutib-Mitgliedern über "Poetik und Her- meneutib-Mitglieder in "Poetik und Hermeneutib-Sammelbänden dokumen- tiert.lo Auch Deutung, Interpretation und Einordnung der Gesamtgeschichte wer- den von Hans Robert Jauß im letzten Sammelband der Forschungsgruppe selbst vorgenommen. Dass Gruppengrenzen gepflegt und gruppenexterne Stimmen überschrieben wurden, lässt sich auf verschiedenen Ebenen nachzeichnen und aus der Vielzahl und Autorität der Texte erklären. Gerade darin liegt eine der Schwie- rigkeiten, sich der Gruppe extern zu nähern, denn zu verlockend ist es, den nach- träglichen autobiographischen Erzählungen zu folgen und die Deutungshoheit der Eingeweihten nicht in Frage zu stellen. Zudem ist es erst seit kurzem möglich, einen wirklichen Einblick in die Aktivitäten der Gruppe zu gewinnen. Einen ei- genständigen Nachlass unter dem Bestandsnamen "Poetik und Hermeneutik« fin-

There is something stuffy about the behaviour of the group toward outdoor motifs and facts. It makes me suHer from claustrophobia. I cannot help feeling that this type of hermeneutics testifies to something like escapism - adesire to shut the eyes to -

what?« (A: Kracauer/Zum Kolloquium Nachahmung und Illusion, Zugangsnummer 72.3718/71, DLA Marbach). Nach Siegfried Kracauer~ Tod schildert Hans Robert Jauß in einem Brief an Theodor Adorno genau diese OHnung des Forschungsfeldes von "Poetik und Hermeneutik« als die zentrale Leistung Kracauers für die Gruppe:

"Sie wissen selbst, daß er ein hochgeschätzter Teilnehmer unserer letzten Arbeitsta- gungen war und dort seine Ideen zur Ästhetik, zur Soziologie der Kunst und zur Geschichtsphilosophie in die Diskussion einbrachte. Der Arbeitskreis verdankt ihm nicht allein manche unverlierbare Anregung, sondern auch eine allmähliche, auf der letzten Tagung evident gewordene Öffnung seiner zunächst immanent-ästhetischen Kunstbetrachtung auf die Realität und Theorie des Geschichtlichen.« (A: Kracauer, Brief von Hans Robert Jauß an Theodor W. Adorno vom 4. Januar 1967, Zugangs- nummer 72.3444, DLA Marbach) Vgl. zu diesem Komplex ferner den Beitrag von Walter Erhart in diesem Heft.

10 Eine bemerkenswerte Ausnahme zu dieser Praxis ist der Nachruf von Theodor Ad- orno auf Siegfried Kracaller in Poetik und Hermeneutik III, der zuerst in der Frank- furter Allgemeinen Zeitung vom 30. November 1966 veröffentlicht wurde. Jauß bittet Adorno, diesen Nachruf im dritten Band, der dem Andenken Kracauers gewidmet wird, abdrucken zu dürfen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Gruppe sich in ihrer ei- genen Überlieferungskllitur noch nicht konsolidiert. Auch die These der von Beginn an gepflegten Konkurrenz zu Mitgliedern der Frankfurter Schule kann durch diesen Akt des Einschreibens eines der berühmtesten Vertreter der Kritischen Theorie in einen "Poetik und Hermeneutik«-Band abgeschwächt werden.

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det sich jedoch in keinem Archiv, und so muss dieses Korpus aus den unter- schiedlichen Nachlässen der Gruppenmitglieder, aber auch aus Verlags-, Univer- sitäts-, Zeitschriften-und Stiftungsakten minutiös rekonstruiert werden."

::-::-;:-

Eine wissenschaftshistorische Aufarbeitung der Gruppengeschichte beginnt also mit dem Gang ins Archiv. Schon eine erste Durchsicht des sehr umfangreichen Materials legt einige Beobachtungen nahe: Sowohl retrospektive Selbstaussagen von Gruppenmitgliedern als auch zeitgenössische Dokumente zeigen, wie pro- und retrospektive Erzählungen verfahren. Der größte Teil der Nachlässe befindet sich im Deutschen Literaturarchiv in Marbach, bestehend aus ganz vielfältigen Schriftgattungen: Manuskripte, Exzerpte, Tagebücher, Karteikarten, Kostenauf- stellungen, Abrechnungen und Forschungsanträge. Allein aus den Fundorten in den verschiedenen Nachlässen kann die Dynamik des Materialumlaufs innerhalb der Gruppe abgelesen werden - zirkulierende Briefe, rhythmische Tagungsinter- valle, wechselseitige Diskussionen über eine Vorlage, wechselnde Herausgeber- schaft, wiederkehrende Thematiken: Die Organisationsform von "Poetik und Hermeneutik« lässt sich am Besten als Kreisen oder Kreislauf beschreiben. Inner- halb der Sammelbände wird die Zirkulation der vorab verschickten Vorlagen, der bezugnehmenden Diskussion und der nachträglich redigierten Beiträge auch im Medium Buch vorgeführt.'2 Fast könnte man meinen, die Gründer von "Poetik und Hermeneutik« hätten sich bewusst vorgenommen, die kulturgeschichtlich wirkmächtige Metapher der Zirkulation nicht nur zum impliziten Modus ihrer Zeichenproduktion zu küren, sondern sie ganz gezielt auf ihre epistemischen Po- tenziale hin praktisch zu erproben. So ist das Organisationsgerüst von "Poetik und Hermeneutik« auf verschiedenen Ebenen einem solchen Modell der Zirku- lation ebenso verpflichtet, wie sich auch die Verbindung von Ordnung bzw.

11 Neben dem Deutschen Literaturarchiv befinden sich zudem weitere Materialien im Archive for Critical Theory, University of California at Irvine, dem Universitätsarchiv Konstanz und bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Bonn.

12 Dass es sich hierbei um eine nachträgliche und sehr zeitintensivc Arbeit an der Aus- stellung von Unmittelbarkcit und der Abschwächung zu heftigcr Kontroversen han- delt, beschreibt Hans Blumcnberg in seincm Brief an Siegfried Kracaucr vom 31. März 1965 anlässlich der Redaktionsarbeit zum zwcitcn Kolloquium: "Inzwischen beginnen die Protokolle der Weisen von Auel definitivc Gestalt anzunehmen. Was bei unserer Zusammenkunft mitgeschricbcn wordcn ist, ist leidcr von unglcichmäßiger Qualität und Substanz, und wir sind dabci, dem Ganzen noch einige rote Blutkörperchen zuzuführcn. Dieses Verfahren hat sich ja auch bei unscrcm ersten Band Nachahmung und Illusion bewährt, da wir in den Protokollen weniger dic historischen Faktizität des Tagungsverlaufcs als den sachlich möglichen Ertrag dcr Vorlagen zu dcmonstrieren bcstrebt sind. [ ... ] Sic werden es mcincm Beitrag anmcrkcn, dass ich mich dabei be- müht habc, dic Antithcsc Dicckmann - Jauß aus eincm cxtcrn gcwähltcn Aspekt cin wenig zu entschärfen, und das schien mir auch im 'gruppcnpolitischcn< Interesse zu liegen.« A: Kracaucr, Zugangsnummer 72.3718/27, DLA Marbach.

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Struktur und Wissen nach diesem Modell beschreiben lässt. Die selbstverordnete zirkuläre Struktur lässt sich am Archivmaterial umfassend belegen.

Dabei sind es die Korrespondenzen, die den Kreislauf des Materials und auch den Ideen- und Meinungstausch vollziehen und in denen sich die verschiedenen Gattungen nochmals überlagern. Unterschieden werden können Rundschreiben,

beigelegte Bri~fe und Briefwechsel zwischen zwei Personen. Die Briefe ermögli-

chen es, eine Chronologie zu erstellen und undatierte Quellen einzuordnen. Ab wann sich Mitglieder von "Poetik und Hermeneutik« ThemensteIlungen näherten und Problemfelder vorformulierten, die zeitlich erst viel später durch Publikati- onen in vorzeigbare Formen gegossen wurden, kann hier nachgezeichnet werden.

Nicht außer Acht gelassen werden darf dabei, dass die Gattung Brief zwar den Anschein authentischer, persönlichster Einblicke suggeriert, selbst aber hocharti- fiziell verfährt. In keinem anderen Medium ist seiner Anlage nach soviel Raum für sowohl Selbst- als auch Fremdstilisierungen gegeben. Sich diese Briefe ferner nicht nur auf der Inhaltsebene, sondern auch in ihrer Materialität zu vergegenwärtigen, lässt Schlüsse über die materiale Anordnung von Wissen zu: Eine Botschaft ver- ändert sich durch Hand- oder Maschinenschrift, Zugänglichkeiten werden be- schränkt und Zirkulationen im Medium Brief organisiert und formularische Ma- trizen (Anträge, Kostenaufstellungen) legen Problemstellungen allein durch for- male Anforderungen fest. Dass überhaupt so konsequent an der Kommunikationsform Brief festgehalten wird, obgleich für die meisten Mitglieder

von "Poetik und Hermeneutik« durchaus die Möglichkeit zum mündlichen Ge-

spräch gegeben war, kann als gruppenkonstituierender Prozess interpretiert wer- den.

Dieses Gespräch unter Entrückten öffnet durch die Schriftlichkeit der Kom- munikation einerseits >Echoräume<, andererseits thematisiert sich die Gruppe aber auch fortlaufend selbst. Allein durch das Partizipieren im Brief tausch wird noch vor jeder inhaltlichen Diskussion Verbindlichkeit und Zugehörigkeit bezeugt. Da- bei ermöglicht es die Form Brief auch, innerhalb der Gruppe gerade Zweierbe- ziehungen zu stärken. Durch die sich einstellende Kommunikationsstruktur ge- lingt es auch über große räumliche Distanzen Verbundenheit zu erzeugen. Im Brief wird somit immanent ein verbindlicher Modus vorgegeben, der die Mitglie- der automatisch in eine gemeinsame Praktik eingliedert. Das Postnetz wird zum Personennetz "Poetik und Hermeneutik«. Dabei verdoppelt sich die Perspektive:

Der Brief als Objekt schafft die Gruppenstruktur, in der die Gruppenmitglieder Briefe und andere Texte produzieren. Der Philosoph Hans Blumenberg hätte 1974 die Arbeit der Forschungsgruppe gerne ganz auf das Kommunikationssystel)'l Brief umgestellt.13 Welche ironischen Beiklänge diese Aussage auch mitführen

1) Hans Blumenberg war von 1963-1974 Mitglied von »Poetik und Hermeneutik«. Früh zeigt er sich desillusioniert von den Möglichkeiten des zwischenfachlichen Austauschs.

Trotz seines Ausscheidens wird er als der »dominierende Philosoph« der Gruppe angesehen. (Vgl.: Odo Marquard: Entlastung vom Absoluten. In Memoriam Hans

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mag, der Vorschlag verdeutlicht den hohen Stellenwert, der gerade auch dem Ge- spräch unter Abwesenden beigemessen wurde und verwundert durch die impli- zite, aber drastische Abwertung der eigentlichen Treffen.

Um diese Zuspitzung zu veranschaulichen, lohnt sich ein Seitenblick auf die längere Tradition der deutschen Universitätsgeschichte, respektive des Humboldt- sehen Phantasmas einer Ideal-Universität. Die vermeintlich von Humboldt pro- klamierte humanistische Universität sah sich zwei Hauptaufgaben verpflichtet:

Forschung und Bildung, synthetisiert im Körper des Professors, der forschender Lehrer und lehrender Forscher in Personalunion zu sein hatte und der als Refu- gium der Freiheit von Forschung und Bildung außerhalb tagespolitischer Verein- nahmungen einen besonderen Raum eingerichtet bekam - die Universität. Schon Max ScheleI' zeigte den Widerspruch auf, den diese Konstruktion in sich trägt: in das personengebundene holistische Bild universitärer Bildung und Ausbildung ist seine eigene Unmöglichkeit eingeschrieben.'4 Die Vorstellung eines exklusiven Freiheitsraumes Universität verbrauchte sich durch die starke ideologische Im- prägnierung während der NS-Zeit, die vor allem zeigte, wie schnell der Begriff von Forschungsfreiheit unter politischer Kontrolle zur Hohlformel werden konnte. Doch auch die sogenannte Demokratisierung des Universitätszugangs im Verlaufe der Nachkriegszeit, die einen nicht selten verächtlich als Massenuniver- sität titulierten neuen Typus akademischer Ausbildung hervorbrachte, konnte und wollte eines gerade nicht mehr vorhalten: einen exklusiven Ort für einen be- schränkten Personenkreis.

Nach einer kurzen Anfangszeit, in der die Forschungsgruppe "Poetik und Her- meneutik« eng an die Gießener Universität angebunden war, wird die Herauslö- sung aus der Universität versucht und so die Vorstellung des Freiheitsraums Uni- versität wiederbelebt - allerdings unter grundsätzlich veränderten Vorzeichen.

Dieser Raum ist nicht mehr an den Universitäten selbst zu lokalisieren, sondern muss aus ihnen herausgeschnitten, oder vielleicht besser noch: -gehoben werden.

Denn Universitäten sind zu reguliert, so dass als Lösung nur der Rückzug in eine aufwändig inszenierte Semi-Privatheit bleibt, zu der neben der Kommunikations- form eben auch die ausgesuchten Tagungsorte gehören.15 Die Mitglieder von "Po- Blumenberg. Vortrag gehalten am 28.08. 1996 in Lübeck. In: Gerhart von Graeve- nitz/Odo Marquard in Zusammenarbeit mit Matthias Christen (Hg.): Kontingenz (Anm. 2), S. XVII).

14 Vgl. Max Scheler: Die Wissensformen und die Gesellschaft. Bern: Francke 1960, S. 383- 423.

15 In seiner (nicht gehaltenen) Eröffnungsrede für das Zentrum für interdisziplinäre For- schung in Bielefeld äußert sich Harald Weinrich auch zur Rolle des Ortes für die interdisziplinäre Arbeit: "Ich will damit sagen, dass Arbeitsgemeinschaften des be- sprochenen Typus die Eigenschaft in sich tragen, relativ indifferent gegenüber dem Tagungsort zu sein. Die Diskussionsatmosphäre einer solchen Arbeitsgemeinschaft ist in der Regel so konzentriert, dass die Gruppe der Wissenschaftler aus verständlichen Gründen dazu neigt, sich von der Außenwelt, einschließlich der zugehörigen Stadt und Universität, abzukapseln. [ ... ] Aus diesem Grund hat beispielsweise eine in der

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etik und Hermeneutik« hatten zwar noch an den >alten< Universitäten personen- gebunden studiert, sie selbst jedoch begründen die Abwendung von der starken Lehrerpersönlichkeit hin zu einer scheinbar personenneutralen Verwissenschaft- lichung und Standardisierung ihrer Fächer.

Inwiefern damit personengebundenes Charisma und der Humboldtsche Pro- fessoren-Nimbus tatsächlich verabschiedet werden, wird zwiespältig zu bewerten sein: Denn einerseits wird unter dem Gruppensiegel die Entpersonalisierung von Wissens beständen vorangetrieben, was andererseits immer auch von kritischen Stimmen aus der Gruppe begleitet wird. Beispielsweise interveniert Hans Blu- menberg, als von Wolfgang Iser vorgeschlagen wird, auf die namentliche Nennung der Beiträger auf den Sammelbandumschlägen ganz zu verzichten. Als kollektiv im auflösenden Sinn begreift sich die Forschungsgruppe nämlich gerade nicht, dafür stellen sich die verschiedenen Forscherpersönlichkeiten als zu unangepasst dar und sind zu bemüht, ihr Renegatentum aus der beschränkten Perspektive der jeweiligen Fächer zu legitimieren. In den Selbstbeschreibungen ist von »zornigen jungen Männern« die Rede, die gegen ihre Lehrergeneration aufbegehren; eine milde Revolution, die weit eher auf die geteilte Abgrenzung nach Außen denn auf immanente Gemeinsamkeiten hindeutet.

Hans Robert Jauß, Reinhart Koselleck, Wolfgang Iser und Hans Blumenberg (um nur einige Namen zu nennen und mit dem Anfangen zu beginnen) absolvier- ten ihr Studium nach dem Krieg. 16 Ihre Lehrergeneration (u. a. Gerhard Hess>

Hans Georg Gadamer, Werner Conze, Paul Böckmann) begann ihre Karriere in den zwanziger und dreißiger Jahren und setzten diese nach 1945 erfolgreich fort.

Jauß fragt 1974 zur Lage der Universitäten: »Wie anders hätte ihre Entwicklung wohl verlaufen können, wenn diese Lehrer-Schüler-Generation den persönlich wie institutionell gewiß einmaligen Spielraum der >Stunde Null< genutzt hätte, um die alte Ordinarien-Universität demokratisch zu reformieren?«17 Die Metapher Bundesrepublik seit gut einem Jahrzehnt mit Erfolg arbeitende Forschungsgruppe die Konsequenz gezogen, ihre Kolloquien niemals an einem Universitätsort stattfinden zu lassen.« Harald Weinrich: Eröffnungsrede ZiF, 1968, S.5, abzurufen unter:

http://www.uni-bielefeld.de/(de)/ZIF / Allgemeines /Weinrich.pdf (zuletzt eingesehen am 22.02.2010).

16 Die Erfahrungen des Nationalsozialismus sind für die frühen Gruppenmitglieder so- wohl generationeIl, als auch politisch bedingt gänzlich unterschiedlich: Verfolgte des NS-Regimes (darunter Hans Blumenberg, geb. 1920 Studium und Arbeitsdienst; Wer- ner Krauss, geb. 1900, Verhaftung 1942), Exilanten (darunter Siegfried Kracauer, geb.

1889, Exil in den USA; Herbert Dieckmann, geb. 1906, 1934-1938 Exil in der Türkei und in den USA) und Frontsoldaten (Hans Robert Jauß, geb. 1921 Mitglied der SS und Waffen-SS; Reinhart Koselleck, geb. 1923, 1941 freiwillige Meldung zur Wehr- macht, ab 1945 Kriegsgefangenenschaft in Karaganda, Wolfgang Preisendanz, geb.

1920, von 1939-1945 Soldat der deutschen Wehrmacht). Ob angesichts dieser Dispa- ratheit von einem verbindenden Erfahrungsraum gesprochen werden kann, ist mehr als fraglich und allenfalls Resultat einer allzu distanzierten Einstellung des analytischen Blicks.

17 A: Jauß, Wissenschaftsgeschichtliche Memorabilien, K24/M06, DLA Marbach DLA Marbach.

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der Stunde Null erlaubt es Jauß, seine eigene Bildungsgeschichte an einem von ihm gesetzten Nullpunkt, nämlich nach 1945, beginnen zu lassen. Il faut com- mencer par le commencement! Wieder ist es eine Anfangserzählung, die durch den gewählten Beginn die Perspektive auf die weitere Geschichte (hier die ge- glückte universitäre Laufbahn) bestimmt. Wenn Jauß von einem gemeinsamen Erfahrungshorizont seiner Generation spricht, so ist damit zunächst der Stil der Lehre an den kleineren Universitäten gemeint, der von verschiedenen Seiten und noch vor der eigentlichen Wortschöpfung als interdisziplinär empfunden wurde.

Ans Ende seiner Rekapitulation über Die Kriegsgeneration und ihre Lehrer setzt Jauß die Erkenntnis, dass an den Universitäten das zwischenfachliche Gespräch

"blühte, lange bevor interdisziplinäre Veranstaltungen im Universitätsbereich auf- kamen.«18

Hans Blumenberg versucht in seiner historischen Aufarbeitung des häufig stra- pazierten Begriffs 'Interdisziplinarität< die Entstehung in der unmittelbaren Nach- kriegszeit zu terminieren:

Nicht nur, daß ungefähr jeder jeden kannte, man wusste auch und vor allem, wen man wonach fragen konnte, wenn Grenzen der eigenen Übersicht erreicht waren. Man ,ging nach nebenan<, um sich ins Bild zu setzen, Instrumente und Quellen zu nutzen, die man selbst noch nicht hatte, Präparate und Versuche zu sehen, die Signifikanz von Daten abzusichern, Aufgaben abzugeben, für die man größere Kompetenz vermutete.19 Dass diese Aussage gerade von Hans Blumenberg stammt, darf und muss auch überraschen, denn er sollte später wie wenige andere den Typus des (selbst-)iso-

lierten Gelehrten verkörpern, der hier jedoch Vertrauen und Freundschaft zwi-

schen einer kleinen Gruppe von Experten beschreibt. Die Ambition, diesen zwi- schenfachlichen Austausch auch im Zeitalter der Massenuniversitäten wiederzu- beleben, fundiert das Paradox, dieses gerade durch gesteuerte Institutionalisierung leisten zu können.

So überrascht es wenig, dass sich auch Ansätze zur Erhebung allgemeiner Stan- dards noch vor die Zeiten von Hochschulreform und der Gründung neuer Uni- versitäten, nämlich bis in die fünfziger Jahre zurückverfolgen lassen. Während seiner ersten Professur in Münster gliedert Jauß die universitäre Ausbildung im Fach Romanistik in ein dreistufiges Modell. Dass er damit nicht die Freiheit des akademischen Studiums beschneiden will, artikuliert er in einem Merkblatt über das Studium der Romanischen Philologie an der Universität Münster:

Das Studium der Romanischen Philologie wird Ihnen - wie alle Wissenschaften - gerade durch die Freiheit sich mit Dingen zu befassen, die für das Leben nicht umnit- tclbar nützlich sind, in echtem Sinn humanistischer Tradition zur ,Bildung< gereichen.

Darum wünschen wir Ihnen für Ihren Weg alle Freuden, die Ihnen aus der Begegnung mit dem Geiste der Romania erwachsen können, und begrüssen Sie mit einer alten Devise, die heute in der Umkehrung erst ihren vollen Sinn gewinnt: Non vitae sed scholae.20

18 Ebd.

19 A: Blumenberg, UNF: ,Zwischenfachlich< - ein Provisorium, DLA Marbach.

20 A: Jauß, Wissenschaftsgeschichtliche Memorabilien, K24/M06, DLA Marbach.

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Noch einmal Humboldt, noch einmal die Emphase auf >Bildung< - kurze Zeit später wird diese Definition des Studiums vom funktionalen Diskurs über ziel- gerichtete Ausbildung abgelöst. Die Lehre wird als Mittel der Berufsvorbereitung umdeklariert, während in der Forschung die Naturwissenschaften und ihre For- schungsorganisation Vorbildcharakter gewinnen. Anstelle humanistischer Bildung wird ökonomische Effektivität zum neuen Paradigma der Universitäten.

Als zentrales Datum in diesem Prozess markiert Hans Blumenberg in einem Fragment aus dem Nachlass die Jahre 1957/1958, also genau den Zeitraum, in dem auch Jauß sein Merkblatt verfasste. Kennzeichen dieser Jahre ist für Blumenberg jedoch ein ganz anderes Ereignis. Die Reaktionen auf den am 4. Oktober 1957 in die Umlaufbahn geschossenen Erdsatelliten Sputnik 1 machen für ihn die Verän- derungen in der Wissenschaftslandschaft sichtbar. In den USA führt das Bewusst- sein der nationalen technischen Unterlegenheit gegenüber der Sowjetunion zur massiven Subventionierung der Bildungseinrichtungen. Als unmittelbarer Reflex wurde in den Vereinigten Staaten eine intensive Debatte um nationale Bildung geführt und der Etat der National Science F<;>undation im Jahr 1958 von 35 Mil- lionen Dollar auf 134 Millionen Dollar angehoben, das Universitäts system teil- reformiert und eine zivile Raumfahrtbehörde eingerichtet.

In diesen Kontext bettet Blumenberg auch die Konjunktur der interdiszipli- nären Arbeit und die starke finanzielle Forschungsförderung in der Bundesrepu- blik ein:

Als der Sputnik-Schock 1957/1958 mit Verzögerung auch hierzulande ein >Forschungs- rückstandsbewusstsein< aufkommen lässt und der Mangel an großen und teuren In- strumenten akut wird, entsteht die gemeinsame Planung und Nutzung von Gerät und Personal als Frühform von Verbundforschung: Die T~chnik, zwischen den Disziplinen angesiedelt, lernt aus deren Anforderungen, bis der Uberanstieg der Mittel jedem sein Supergerät ermöglicht und die Zwischenlösungen verkümmern. Mit dem nächsten Kostensprung oder Haushaltsloch greift man auf die Verbunderfahrung zurück.21 Die Kennzeichnung von Interdisziplinarität als Resultat des Mangels deutet zu- rück auf die Erzählungen der Studiensituation nach 1945, wird von Blumenberg nun aber durch eine globalgeschichtliche Kausalitätenfolge einer technischen In- novation und das Streben nach Effektivität gerahmt.

Ob man die Geschichte der interdisziplinären Praxis als Bewältigungsgeschichte einer als desaströs erfahrenen Vergangenheit (ohne diese explizit zu thematisieren) fasst QaußlIser), oder sie wie Blumenberg als Begleiterscheinung einer wissen- schaftlichen Konjunktur beschreibt, verschiebt zwar die gesamte Perspektive auf die Herkunft von Interdisziplinarität in Deutschland, strukturell funktionieren beide Geschichten - Bewältigungsgeschichte oder Konjunkturerzählung - jedoch gleich: Ein Anfang muss gefunden werden, der die Installierung der Forschungs- gruppe in prominente zeithistorische Ereignisse einfasst. Inhaltlich lässt sich Blu- menbergs Sputnik-Episode als Gegennarrativ interpretieren: Es korrigiert eme

21 A: Blumenberg, UNF: >Zwischenfachlich< - ein Provisorium, DLA Marbach.

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Reformerzählung, die sich von einem Nullpunkt der Geschichte herschreibt, in- dem sie diesen Nullpunkt als flexibel entlarvt.22 Anders als die geläuterten, auf- bruchswilligen und zupackenden Akteure nach 1945 zu beschreiben, verlegt Blu- menberg das Geschehen nachträglich ins Weltall und entzieht es somit von Anfang an den Dimensionen menschlicher Kontrollier- und Planbarkeit.

Schon in der Bewertung des Initials der zwischenfachlichen Arbeit stehen so verschiedene Geschichten gegeneinander, eine einheitliche spätere Einordnung von »Poetik und Hermeneutik« durch »Poetik und Hermeneutik«-Mitglieder in die Wissenschaftsgeschichte gibt es bei genauerer Lektüre nicht, und welche Aus- wahl und welche Setzungen erfolgen, lässt primär Rückschluss auf die Autoren, kaum jedoch auf eine tatsächliche Ereignisgeschichte zu.23 Auch in den Anfangs- erzählungen dominieren Momente des Fragmentarischen, die zusammen gelesen eben kein einheitliches Bild, sondern allenfalls einen Flickenteppich ergeben.

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Dass der gemeinsam erfahrenen universitären Atmosphäre auch zurückschauend ein listenfähiger Kanon an-bzw. bezeichnenderweise abwesender Inhalte zur Seite gestellt werden kann, legt zumindest der Vergleich der autobiographischen Be- merkungen von Wolfgang Iser und Hans Robert Jauß nahe. Zu der von Jauß verzeichneten Lektüre seiner Studienjahre gehörten Buhmann, Alfred Weber, Rilke, Sartre und Proust, jedoch weder Marx, noch Freud, Saussure, Brecht, Be- ckett oder Wittgenstein. Auch Iser beschreibt die bemerkenswerte Asymmetrie, dass nach dem Krieg an die Wissenschaftstradition der zwanziger Jahre ange- knüpft wurde, statt zeitgenössische Werke in die Lehre aufzunehmen:

22 Dass interdisziplinäre Forschungsvorhaben nach dem Zweiten Weltkrieg kein bun- desrepublikanischer Sonderfall, sondern ein zumindest europäisches Phänomen sind;

dokumentieren Siegfried Kracauers Conversations in Europe. Im Auftrag der ameri- kanischen Bollingen-Foundation besuchte er unterschiedliche interdisziplinäre For- schungseinrichtungen, um von den dort ansässigen Wissenschaftlern ihre Meinung zur Gründung einer neuen geisteswissenschaftlichen Akademie in Washington, Arbeitsti- tel: »The Residence«, zu erfahren. Retrospektiv lesen sich Kracauers Aufzeichnungen wie die Feldbeobachtungen eines Ethnographen. Anders als »Poetik und Hermeneu- tik« ist »The Residence« ein in hohem Maße durchgeplantes Projekt, zu dessen Um- setzung es jedoch nicht kommt. Die Bollingen Foundation wird 1963 aufgeläst.Kra- cauer interviewt auf seiner Reise u. a. Gertrude Bing, Ernst H. Gombrich (Warburg Institut), Raymond Firth (Sozialanthropologe an der London School of Econornics), Andre Malraux, Claude Levi-Strauss, Gaston Berger und Leon Motchane (Institut des Hautcs Etudes Scientifiques). Aus vielen der Gespräche wird klar, dass die Europäer Washington als Ort ablehnen und sie zudem die Notwendigkeit einer weiteren Ein- richtung nicht erkennen. Vgl. dazu: Ingrid Belke: Kracauers letzte Lebensjahre (1959-1966) und sein Buch >Geschichte< (Nachbemerkung und editorische Notiz). In:

Sicgfried Kracauer: Geschichte - von den letzten Dingen, Werke IV. Hg. von Ingrid Belke. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2009, S.443-486.

23 Der Gruppenkonsens ist zum Zeitpunkt der Textfassung von >Zwischen/achlich< - ein Provisorium schon aufgekündigt, Hans Blumenberg hatte die Gruppe bereits verlas- sen, er blieb aber mit Hans Robert Jauß in engem Bricfkontakt.

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Daraus entstand jene singuläre Situation, in der sich Freiheit mit Restauration deckte.

Abgelebte Wissenschaftstraditionen wurden folglich so betrieben, als ob es sich um offene Fragen handelte, und wahrscheinlich dürfte kaum eine Wissenschaftsvergangen- heit jemals mit solch innerer Anteilnahme repetiert worden sein, wie in den damals etablierten Philologien.24

Auch in Isers Curriculum fehlen die Protagonisten der Theoriediskussion der sechziger Jahre: "Vom Strukturalismus und von der Psychoanalyse beispielsweise habe ich in meinem Studium so gut wie nichts gehört«.25

Iser und Jauß begreifen sich beide als Erben einer Tradition, die sich gerade durch ihre Abwesenheit auszeichnete. Man fängt an, zu basteln. Aus den philo- logischen Theoriedebatten der zwanziger bis fünfziger Jahre wird ein Feindbild amalgamiert, das die scharfe Abgrenzung gegen diesen Theoriebestand erst legi- timiert. In Hinblick auf die Forschungsgruppe "Poetik und Hermeneutik« lässt sich schon aus den skizzierten Erfahrungen nach 1945 eine doppelte Motivation festhalten: Formal lind institutionell wird Wert darauf gelegt, an die kommuni- kativen Möglichkeiten der Nachkriegszeit (die in der neuen Wissenschaftssprache mit dem Begriff der Interdisziplinarität belegt werden) anzuknüpfen, inhaltlich jedoch versucht die Gruppe, als unergiebig eingeschätzte Themen ad acta zu le- gen, was vor allem die nachträgliche Moderne- und die daraus abgeleitete Avant- garden-Rezeption zur Folge hat.26

Doch noch einmal zurück nach Gießen, nicht abermals in die luftigen Höhen des einleitend bestiegenen Turms, sondern gleichsam in die Ebenen einer vielfäl- tigen Montage persönlicher Verbindungen und institutioneller Verschränkungen, die der Anfangsphase von "Poetik lind Hermeneutik« ihre Signatur verliehen. Die spätere Forschungsgruppe gründet sich avant fa feUre als Lessing-Institut für Hermeneutik und Literaturkritik an der Universität Gießen, dient also zur Neu- profilierung und Reorganisation der dortigen Geisteswissenschaften. Die U niver- sität Gießen war eine der am stärksten nationalsozialistisch geprägten deutschen Universitäten und musste nach dem Krieg vollkommen neu ausgerichtet werden.

Hans Blumenberg (Studium 1939-1941 und 1945-1947, Habilitation 1950) wurde

24 A: Iser: Lebenslauf, Archive for Critical Theory, University of California, Irvine.

25 Ebd.

26 Dass beispielsweise das Interesse an moderner Lyrik (Vgl. P&H II & III) nicht allein unter der Prämisse einer nachgeholten Avantgarde-Rezeption in der Bundesrepublik kontextualisiert werden kann, machen verschiedene Aussagen anderer europäischer Gelehrter deutlich, die sich für ähnliche Themensetzungen interessieren. lohn Mars- hall, Gründungsdirektor des "Study and Conference-Center« der Rockcfeller Foun- dation in der Villa Serbelloni in Bellagio schildert Siegfried Kracauer die Tätigkeit seiner Organisation. Kracauer notiert: "He has arranged, and will continue to do so, conferences of small groups of selected scholars dealing with cultural problems on an international scale. [ ... ] In the planning stage: a discussion centering on a comparison between the Anglo-Saxon and French Approach to poetry, based on areport by Ives Bonncfoy. Furthermore, Marshall invited T.S. Eliot to stay at Serbelloni for a month or so and invite en'eryone he might want to converse with.« A: Kracauer, Conver- sations in Europe. ]uly-October 1960. Zugangsnummer 72.3709a/4, DLA Marbach.

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1960 von Hamburg nach Gießen berufen, Hans Robert Jauß (Studium 1944-1945 und 1948-1952, Habilitation 1957), der in Münster seine erste Professur innehatte, 1961 mit dem Aufbau des 1945 geschlossenen Romanistischen Seminars betraut.27 Nur Clemens Heselhaus war bereits während der NS-Zeit als Wissenschaftler tätig. Sein akademischer Lehrer Günther Müller entwickelte für die Literaturwis- senschaft die Lehre von der Gestaltwandlung, die den Biologismus der NS-Ideo- logie unter Verweis auf Goethes Morphologie auf literarische Gattungsgenese an- wendet.28 Die morphologische Poetik liegt auch der Dissertation von Heselhaus zu Grunde. Zu Heselhaus Arbeitsschwerpunkt gehörten die Regionalliteratur so- wie die »Erforschung des westfälischen Wesens« im Blut- und Boden-Schema, ferner eine Aufwertung der ,>Verkünderin der westfälischen Landschaft und des westfälischen Volkstums« Annette von Droste-Hülshoffs gegenüber dem »wur- zellosen jüdischen Dichter« Heinrich Heine.29 Nach dem Krieg gelingt es Hesel- haus, sich als Opfer des Nationalsozialismus zu stilisieren. Seine Forschungen zu Droste-Hülshoff nimmt er wieder auf, bereinigt jedoch das Vokabular. In einem Brief an Richard Alewyn schreibt er 1959:

Vielleicht bin ich ungerecht; aber meine Erfahrungen sind nicht die besten. 1940 wurde mir hier die Dozentur aus politischen Gründen verweigert, und ich mußte nach Halle gehen. 1945/46 kam ich nach Münster zurück. Vielleicht war's ein Fehler. Aber ich meinte, beim Aufbau meine Kraft zur Verfügung stellen zu sollen. Im Vorjahr kam ich nicht auf die Liste des neuen Extraordinariats, weil man keinen Aufstieg am Orte wünsche. Das gleiche Argument wie 1940! Warum? Vermutlich, weil ich den Mut habe, wenn Herr Trier sagt, Kafka habe einen schluderigen Stil, ihm auch öffentlich zu wi- dersprechen. [ ... ] Sie sehen, ich habe auch da nicht ganz kapituliert u. hoffe, daß es mir doch noch einmal gelingt, die Triers und Brinkmänner zu überzeugen, daß auch ein grader Rücken zum Ziele kommt. Freilich geht's langsamer.3o

27 So brachte Jauß alle Assistenten aus Münster mit, eine Form der Personalpolitik, die sich noch umfangreicher in Konstanz wiederholte, als es nicht allein um den Aufbau eines einzelnen Instituts, sondern eines ganzen Fachbereichs ging.

28 Müller wurde im Wintersemester 1942/43 aufgrund einer Auseinandersetzung mit Heinz Kindermann zwangspensioniert.

29 Clemens Hesclhaus (geboren 1912) studierte zunächst Theologie, dann Germanistik, Geschichte, Kunstgeschichte und Philosophie an den Universitäten Münster (1932-1937), München (1937), unterbrochen 1935 durch die Arbeitsdienstpflicht. 1938

'studierte er an der Sarbonne, 1937 promovierte er zum Dr. phil. in Münster (1939):

"Anton Ulrichs Aramena. Studien zur dichterischen Struktur des deutschbarocken 'Geschichtsgedichts«<, bei G. Müller. 1940 habilitierte er sich an der Universität Müns- ter. 1941/42 arbeitete er als Lektor für deutsche Sprache an der Universität Pisa und 1942/43 an der Universität Mailand. 1944 bei einer Wehrmachtsbehörde in Naumburg tätig, hielt er im März 1944 die Lehrprobe an der Universität Halle und wurde im August 1944 zum Dozenten für Neuere Deutsche Sprache und Literatur an der Uni- versität Halle ernannt. Im Oktober 1944 in München kriegsdienstverpflichtet. 1946 wurde er Dozent an der Universität Münster, 1952 erhielt er hier die Ernennung zum außerplanmäßigen Professor. 1961 wurde er auf ein Ordinariat für Deutsche Sprache und Literatur an die Universität Gießen berufen, wo er 1966/67 das Rektorenamt bekleidete.

30 Clemens Heselhaus an Richard Alewyn, 19. August 1959, A: Alewyn, DLA Marbach.

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Die selbst zugeschriebene Opferrolle ermöglicht Heselhaus die weitere Zusam- menarbeit mit Blumenberg und Jauß. Hans Robert Jauß war von 1939 Mitglied der Waffen-SS in verschiedenen Freiwilligen-Divisionen und leistet nach 1945 eine komplizierte Re-Lektüre der eigenen Biographie, um sich ebenfalls wie Heselhaus eine unverdächtige Vergangenheit beizulegen. Allein Blumenberg wurde aufgrund der rassistischen Einstufung als >Halbjude< während des Nationalsozialismus ver- folgt und zum Arbeitsdienst zwangsverpflichtet, er erwähnt seine Erfahrungen als Verfolgter jedoch nie direkt.

Das Gründungstrio von "Poetik und Hermeneutik« sah sich also, gerecht-oder ungerechtfertigt, in keiner Tradition zur Wissenschaft im Nationalsozialismus.

Diese wurde nicht thematisiert, ihre Abwehrhaltung drückte sich vielmehr im Modernisier- und Reformpathos aus. Anse1m Haverkamp stellt deshalb ganz zu Recht fest, wenn er Jauß' Neuorientierung der Literaturgeschichte charakterisiert:

"So programmatisch die neu begründete Literaturwissenschaft die diskreditierte Literaturgeschichte im Sumpf ideologischer Belastungen hinter sich zu lassen ver- sprach, so gründlich verschloß sie sich im selben Zug der eigenen abgeschlossenen Vergangenheit.«31

Jauß kannte Blumenberg bereits flüchtig aus dem Arbeitszusammenhang der Begriffsgeschichtlichen Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Blumenberg seit ihrer Gründung angehörte und an deren Arbeit auch weitere Personen aus dem späteren Kreis von "Poetik und' Hermeneutik« Kreis teilhat- ten.32 Bereits am 27. Mai 1961, also noch vor dem Antritt seiner Professur in Gießen schreibt Jauß an Blumenberg, den er als Zaungast auf einem der Arbeits- treffen der Kommission gesehen hatte, und wirbt um eine "fruchtbare und anre- gende« Zusammenarbeit.33

31 Anse1m Haverkamp: Latenzzeit: Wissen im Nachkrieg. Berlin: Kadmos 2004, S.34.

32 Teilnehmer der Tagungen der Senats kommission, die auch Mitglieder von Poetik und Hermeneutik waren: 1. Tagung ohne Titel (30. Mai - 2. Juni 1958), Hans Blumenberg.

2. Memoria (12. - 23. Oktober 1959), Hans Blumenberg, Günther Gawliek, Hans Robert Jauß, Dmitrij Tschizewskij, Harald Weinrich. 3. Die Begriffswelt der Vorso- kratiker (27. Februar - 1. März 1961) Hans Blumenberg, Günther Gawlick. 4. Worte des Wissens (5. - 7. März 1962), Hans Blumenberg, Odo Marquard, Dmitrij Tschi- zewskij, Harald Wcinrich. Zu der Senatskommission für Begriffsgeschichte gehörten nach 1962 zudem Dieter Hcnrich, Reinhart Koselleck und Jacob Taubes.

33 Vgl. J auß an Blumenberg vom 27. März 1961: »Nach der Rückkehr von einer kleinen Reise fand ich ihren Brief vom 24. März vor, für den ich Ihnen sehr zu danken habe.

Gehören Sie doch mit Herrn Heselhaus zu den mir schon bekannten Kollegen der Philosophischen Fakultät Gießen, auf deren Gegenwart ich mich im Gedanken an eine fruchtbare und anregende Zusammenarbeit besonders freuen würde. Ihr Vortrag auf dem Memoria-Kongress war mir in bester Erinnerung geblieben; ich habe seither immer wieder bedauert, dass ich damals die Möglichkeit eines Gesprächs versäumte, und ergreife darum jetzt umso lieber die neue Gelegenheit zu einer persönlichen Füh- lungnahme.« A: Jauß, K45/M02, DLA Marbach.

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Hierbei erwähnt er auch Clemens Heselhaus und die Möglichkeit, in einer Dreier-Konstellation an der philologischen Fakultät zu wirken. Schon zwei Wo- chen später liegt dem Hessischen Minister für Erziehung und Volksbildung ein Antrag von Heselhaus vor, der die Errichtung eines »zwischenfachlichen For- schungsinstituts für Poetik, Hermeneutik und Literaturkritik« an der Justus Lie- big Universität vorschlägt. Anfang der sechziger Jahre wurde die Universität Gie- ßen so mit den nötigen finanziellen Mitteln ausgestattet, um die Geisteswissen- schaften zu fördern. Am Anfang der Institutsgründung steht also ein Antrag, um das Institut überhaupt tragen zu können.

Die Institutsgründung geht so weniger auf einen gleichsam spontanen Zeu- gungsakt dreier Geistesheroen zurück, sondern fußt nicht zuletzt auf einem bü- rokratischen Verfahren, in dem eindeutige Genrevorgaben (Antrag, Dokumenta- tion) umgesetzt werden müssen und das projektierte Unternehmen auf vielfache Weise zum Objekt einer auch wissenschaftspolitischen Rationalität gemacht wird.

In dem Brief wird das neu zu gründende Institut von Heselhaus in die Traditi- onslinie des Warburg-Instituts in London gestellt und auch das Lessing-Institut soll sein Gravitationszentrum in einer hochkarätig ausgestatteten Bibliothek fin- den, die als Basislager der interdisziplinären Forschung dient:

Das genannte Institut soll für die Fach-Seminare eine Art Grundlagenforschung über- nehmen und den Doktoranden geeignete Fortbildungsmöglichkeiten bieten (die schon öfter diskutierte Doktoranden-Akademie). Ich [Clemens Hesclhaus] denke dabei etwa an das Vorbild des Warburg Instituts in London, das der Forschung entschiedene Im- pulse aus der Verbindung von Kunst-, Literatur- und Geschichtswissenschaft geboten hat.34

Der Hinweis auf das Warburg-Institut erstaunt in diesem Zusammenhang: Es wird eine vorgängige Organisationsstruktur mit Modellcharakter aufgerufen, der im Antrag vor allem überzeugungsstrategische Bedeutung zukommt. Das Vor- haben, ein Forschungsinstitut zu gründen, wird ins rechte Bild gerückt, indem auf eine der berühmtesten kulturwissenschaftlichen Einrichtungen verwiesen wird.

Dass die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg 1933 von Edgar Wind, Ger- trude Bing und ihren Mitarbeitern in Kisten gepackt und Menschen und Bücher gemeinsam von Hamburg nach England fliehen mussten, wird mit keinem Wort erwähnt. Fast mutet es zynisch an, dass das Warburg-Institut nun in einen Antrag hinein montiert wird, deren Verfasser klare Frontstellung gegen Ernst Robert Cur- tius und Aby Warburgs Konzeption historischer Zeiten beziehen. Die Anregung zu diesem Verweis dürfte wohl über Jauß von dem Romanisten Herbert Dieck- mann ausgegangen sein, der das Frühjahr 1961 am Warburg-Institute in London verbrachte.

Auch die projektierten Aufgaben eines solchen Instiults werden im Gründungs- antrag aufgeführt:

34 Clemens Hesclhaus an den Hessischen Minister für Erziehung und Volksbildung vom 15. April 1961. A: Jauß, K48/MOl, DLA Marbach.

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1. die vergleichende Literaturwissenschaft, die in ihrer Methode z. T. veraltet ist, als eine vergleichende Poetik-Forschung zu erneuern; 2. der Interpretationspraxis, die heute sehr unterschiedlich betrieben wird, methodologische Prinzipien zu erarbeiten (Hermeneutik); 3. neue Grundlagen für die Literaturkritik, die durch die sogenannte 'Kunstbetrachtung< im III. Reich außer Übung gekommen ist, zu schaffen (Literatur- kritik der Zeitschriften und Zeitungen); 4. die Gattungsgeschichte, zu der verstreute Ansätze vorhanden sind, für die moderne Literatur fortzuführen; 5. die von dem ver- storbenen Kollegen Greiner schon ins Leben gerufene Forschungsstelle für das Schrift- tum in der DDR fortzusetzen und auszubauen.35

Das neu zu gründende Institut wird zwischenfachlich (Philosophie, im Antrag als Ästhetik spezifiziert, sowie Germanistik, Romanistik und Anglistik) angelegt, bleibt aber universitär beheimatet. Nach der Bewilligung des Antrags durch das Ministerium stellte die Universität Räume zur Verfügung, in denen die For- schungsbibliothek aufgestellt und verschiedene Seminare gehalten wurden, die den zwischenfachlichen Austausch beflügeln, zugleich aber das zunächst gewahrte, konstitutive Ineinander von Forschung und Lehre dokumentieren sollten: Hans Robert Jauß und Hans Blumenberg boten im Wintersemester 1961/62 gemeinsam einen Kurs zu Paul Valery, Jauß und Heselhaus ein Seminar zu Klassik im deutsch-französischen Vergleich und alle drei gemeinsam ein Seminar zu Jean Paul an. Zunächst als Scharnier zwischen Forschung und Lehre konzipiert, wird der Akzent der Institutsarbeit jedoch frühzeitig auf die Forschung verlagert.36 An Herbert Dieckmann schreibt Jauß am 24. März 1962:

Wie ich Ihnen gegenüber vielleicht schon einmal erwähnte, ist es nicht der geringste Vorzug Gießens, dass sich hier eine Gruppe undogmatischer junger Kollegen befindet, mit denen sich gerade in einer Aufbausituation auch mancher neue Weg einschlagen lässt. So plane ich mit dem literarisch und begriffsgeschichtlich sehr interessierten Phi- losophen Hans Blumenberg und mit dem Germanisten Clemens Heselhaus (den Sie, glaube ich, in Münster kennnengelernt haben) das Programm eines interfachlichen Schwerpunkts zur Pflege der Gebiete >Poetik und literarische Hermen~utih Diese Gebiete werden von uns regelmässig in Vorlesungen und gemeinsamen Ubungen be- handelt. Im Zusammenhang damit errichten wir eine Spezial bibliothek, zu der alle Nebenfächer der Universität beitragen. Und schliesslich haben wir die Mittel erhalten, jährlich mindestens ein Kolloquium mit auswärtigen Gästen durchzuführen, im Stil der Kolloquien des franz. 3. cyde: nur wenige, kompetente Fachleute mit ein bis zwei- stündigen Vorträgen, dazu sehr ausführliche Diskussionen, nach Möglichkeit zuvor eingesandter Exposcs der Vorträge mit redigierter DiskussionY

35 Ebd.

36 Vgl. auch den Brief von Hans Robert Jauß an Paul Delbouille vom 15. Oktober 1961:

»Ich werde in einem Jahr mit dem germanistischen und dem philosophischen Kollegen eine Forschungsstelle für Poetik, Hermeneutik und Literaturkritik einrichten und hätte die Möglichkeit, Sie zu Kolloquien und Vorträgen einzuladen.« A: Jauß, K 43, DLA Marbach.

37 Hans Robert Jauß an Herbert Dieckmann vom 24. März 1962. A: Jauß, K 43, DLA Marbach.

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Dies ist der erste aktenkundige Beleg, in dem von Kolloquien gesprochen wird.

Ähnlich wie beim Bibliotheksantrag, der den Verweis auf die KBW enthielt, wird auch diese Ankündigung verbunden mit dem Hinweis auf eine Modell gebende Organisation, ohne diese näher zu bestimmen. Die Fragmente beginnen sich zu einem Ganzen zu fügen, weiterhin scheinbar en passant, auf jeden Fall aber im Stile einer andauernden Bastelei.

Der gemeinsame Bezug zur bereits erwähnten, im Antrag selbst nicht aufgeführ- ten Begriffsgeschichtlichen Kommission der DFG, die unter dem Vorsitz von Hans Georg Gadamer 1958 ihre Arbeit aufnahm, ist für die späteren Mitglieder von "Poetik und Hermeneutik« freilich von ganz besonderem Gewicht, nicht zuletzt weil ein begriffsgeschichtlicher Zugriff ein Fundament der gemeinsamen, disziplinenübergreifenden Arbeit bildete.J8 Dabei ist Begriffsgeschichte selbst keine konturscharf explizierte Methode, sie motivierte sich vor allem aus einer Neufassung des humanistischen Bildungsgedankens.

1946 setzt die UNESCO angesichts der katastrophalen Erfahrung von Völker- mord und Vernichtungskrieg eine international besetzte Forschergruppe ein, die Zentralbegriffe der westlichen Demokratien übernational klären sollte. Begriffs- geschichte wurde hier als politische Hilfs-Wissenschaft definiert, die eine bessere und friedlichere Verständigung der Völker garantieren sollte.J9 Auch die Einrich- tung der Senatskommission für Begriffsgeschichte bei der (1951 neu konstituier-

38 Vgl. dazu auch die Zusammenfassung von Margarita Kranz< Beitrag zur begriffsge- schichtlichen Kommission in: Tagungsbericht von Christopher Möllmann und Alex- ander Schmitz: Die Forschungsgruppe »Poetik und Hermeneutik«. Erschließen - Historisieren - Aufgreifen. Ein Arbeitsgespräch. 29.11. 2008 - 30. 11. 2008, Kon- stanz I Kreuzlingen CH, in: H-Soz-u-Kult, 16.04.2009, http://hsozkult.geschichte.hu- berlin.de/tagungsberichte/id=2576 (zuletzt eingesehen am 22.02.2010).

39 In einem 1950 verfassten Memorandum beschreibt Raymond Klibansky die Motiva- tion der Forschungsgruppe: »Anyone who has had occasion to observe the course of international diplomatic conferences of recent years will be struck by the recurrence of certain characteristic misunderstandings. An analysis of these misunderstandings shows that, apart from the para mount and obvious factor of conflicting political phi- losophies, they are to some at least - due to the fact that, in various languages, terms which seem similar - differ strongly in their significance.« Raymond Klibansky: Le philosophe et la memoire du siede. Tolerance, liberte et philosophie. Entretiens avec Georges Leroux. Paris: Beiles Lettres 1998, S. xvii, hier zitiert nach: Irmline Veit- Brause: Die Interdisziplinarität der Begriffsgeschichte als Brücke zwischen den Dis- ziplinen. In: Gunter Scholz (Hg.): Die Interdisziplinarität der Begriffsgeschichte (Ar- chiv für Begriffsgeschichte; Jg. 2000/Sonderheft). Hamburg: Meiner 2000, S.18. Die beiden Philosophen Klibansky und McKeon beantragten für das 1937 in Paris ge- gründete, 1952 wiedereröffnete Institut International de Philosophie Gelder bei der UNESCO, um unter anderem ein begriffsgeschichtliches Wörterbuch, sowie mehr- sprachige Ausgaben philosophischer Texte zu veröffentlichen. Vgl dazu: A: Klibansky, Mappe UNESCO, DLA Marbach.

(19)

ten) DFG nimmt emphatisch auf die UNESCO-Tagung Bezug und stellt sich in ihre politische Tradition.

Dieser Anfangsimpuls besitzt jedoch keine Themen generierende Kraft, schnell treten juristische und sozialtheoretische Fachtermini zugunsten anderer Begriffe in den Hintergrund. Zudem geht es nicht mehr um die Frage, wie Begriffe in ver- schiedenen Gesellschaften synchron erklärt werden, die Perspektive wird auf zeit- liche Dauer gestellt und in diachronen Analysen über größere Zeiträume hinweg das semantische Potential von Begriffen erschlossen. So wird Begriffsgeschichte im Sinne einer philosophischen Systematik zum probaten Mittel, einen Blick auf die Geschichte der Moderne zu werfen. Das philosophische System soll inventarisiert werden. Anders als in der UNESCO-Kommission steht so nicht die interkultu- relle Kommunikation als Mittel zur Friedenssicherung im Vordergrund der Be- mühungen, sondern allenfalls der Versuch, überhaupt zu Begriffen zu kommen.

Dies geschieht nicht zuletzt im Bewusstsein der Wissenschaftspraxis des Natio- nalsozialismus, die deutlich gezeigt hat, wie leicht Sprache korrumpierbar werden kann - so zumindest muss eine Lesart der Ereignisse lauten, in deren Gefolge es im Nachkriegesdeutschland zur Institutionalisierung des zwischenfachlichen Aus- tauschs kommen sollte.

Auch dieses sich zeitgenössisch ausprägende Deutungsmuster verfährt rück- wärts, auch hier wird ein Narrativ der Bewältigung des Vergangenen eingesetzt.

Die vom Kommissionsmitglied Blumenberg eingebrachten Vorschläge zu einer Metaphorologie, die gerade an nicht begriffsförmig organisierten sprachlichen Be- ständen interessiert sind und eine systematische Aufarbeitung des Unsagbaren anvisieren, nehmen dagegen eine RandsteIlung ein gegenüber einer von Gadamer favorisierten hermeneutischen Ausrichtung der begriffs geschichtlichen For- schung.40

Unter Gadamers Vorsitz wird philologische und philosophische Begriffsarbeit institutionell anderen Grundlagenforschungen im Rahmen der DFG gleichgestellt.

Es ist begreiflich, dass sich die Senatskommission für Begriffsgeschichte von den Senatskommissionen für Berufskrebs, Ernährungsforschung, der Kommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe und der Kommission zur Untersu- chung des Bleichens von Lebensmitteln unterschied, zeitgenössisch wurden die Kommissionen jedoch gleich behandelt und evaluiert. Dass die Arbeitsweise der Senatskommission für Begriffsgeschichte jedoch massiv von der der anderen Kommissionen abwich, war auch den Mitgliedern bewusst:

Herr Schiel trägt vor, die Kommission für begriffsgeschichtliche Forschung sei in ihrer Arbeitsweise völlig verschieden etwa von den Gremien, die sich mit der Frage nach der Duldbarkeit von Lebensmittelzusätzen befaßten. Während bei den letztgenannten Kommissionen klare Ja-Nein-Entscheidungen zu einzelnen, für Staat und Wirtschaft entscheidenden Fragen zu treffen seien, liege die Aufgabe der Kommission für begriffs-

40 Vgl. dazu auch: Hans Ulrich Gumbrecht: Dimensionen und Grenzen der Begriffsge- schichte. München: Fink 2006, S.17.

(20)

geschichtliche Forschung in der Vermittlung von Begegnungen der Forscher der ver- schiedensten Disziplinen, die sich mit begriffsgeschichtlichen Problemen beschäftigen.41 Da es keine vorgängige Organisationsstruktur geisteswissenschaftlicher Arbeit in Form einer Senatskommission gab, die man auf die begriffsgeschichtliche Arbeits- gruppe anwenden konnte und sich zudem das Forschungsprofil erst allmählich herausbildete, ist die Geschichte der Senatskommission eine Geschichte der An- passungen und Missverständnisse. Vor allem, was die Außenwirkung der Arbeit angeht, gibt es beträchtliche Differenzen. Blumenberg, der anlässlich der ersten Sitzung im südlich von Darmstadt gelegenen Jugenheim sein Referat "Paradigmen zu einer Metaphorologie« hält, schreibt am 25. Mai 1959 an Wolfgang Treue:

Sehr geehrter Herr Doktor Treue, wollte ich mich bei Ihnen über die mir nun vergeb- lich aufgelastete Arbeit an der Protokollniederschrift beklagen, so würden Sie mir ver- mutlich zu antworten im Stillen geneigt sein, wer so dumm gewesen sei, an das Ein- langen auch der anderen Beiträge zu glauben, sei an seiner vertanen Arbeit selber schuld. Sie hätten recht. Tun sie also das Vorliegende getrost in den Papierkorb. Wie Sie sich erinnern werden, hatte ich von Anfang an Bedenken dagegen, die Referate zu fixieren, und würde auch für künftige Konferenzen davon abraten; dieser Zwang, ,druckreif< zu denken, führt zu thesenarmen, vorsichtigen und wenig diskussionsergie- bigen Mitteilungen.42

Treue reagiert verständnisvoll, beklagt aber, die nun von der Kommission instal- lierte Praxis, "daß nun die Protokolle der Diskussionen ohne die eigentlichen Grundlagen, auf die sich die Diskussionen bezogen, vervielfältigt werden sollen.

Bei diesem Verfahren hat doch nur derjenige einen Nutzen, der an der Sitzung teilgenommen hat.«4)

Genau diese Forderung, "druckreif zu denken«, wird "Poetik und Hermeneu- tik« später zu ihrem Markenzeichen machen. Man verschickte die Aufsätze Wo- chen vor dem eigentlichen Kolloquium, verzeichnete redaktionelle Nachbearbei- tung durch Asterisken und druckte die Diskussionen ab. Diese zirkulatorische Praxis kann als Reaktion auf die Arbeit der Begriffsgeschichtlichen Kommission verstanden werden: Hier war es allein Gadamer, der kurze Tagungszusammen- fassungen schrieb. Die unzureichende Dokumentationspraxis wird so zur Moti- vation innerhalb von "Poetik und Hermeneutik«, sorgfältig alle Beiträge und Be- sprechungen gleichberechtigt in den Sammelbänden abzubilden.

Als recht vages Unternehmen gestartet, kann man mit Beginn der sechziger Jahre eine Inflation begriffsgeschichtlicher Projekte verzeichnen, zu denen enge Querverbindungen aufgebaut werden sollen. Die Senatskommission inszeniert sich selbst als Ursprung und Anstoß jeglicher philosophisch-philologischer Ar- beitstagungen, so dass sie, in dieser Weise sich selbst autorisierend, ihren Mitglie- dern koordinierende Autorität über die verschiedenen Arbeitskreise glaubt ver-

41 Auszug aus der Niederschrift über die 42. Sitzung des Senats der Deutschen For- schungsgemeinschaft am 28. Juni 1962 in Hannover, DFG, Bonn.

42 Hans Blumenberg an Wolfgang Treue, 25. Mai 1959, DFG, Bonn.

<1J Wolfgang Treue an Hans Blumenberg, 2. Juni 1959, DFG, Bonn.

Referenzen

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