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Ansätze  für  die  systemisch  orientierte  Beratung  in  immersiven  Web3D-­‐Anwendungen        Diplomarbeit

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Diplomarbeit  

Ansätze  für  die  systemisch  orientierte  Beratung  in   immersiven  Web3D-­‐Anwendungen  

   

21.04.2010  

Hochschule Neubrandenburg Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung Studiengang Soziale Arbeit (Diplom)  

Vorgelegt von Daniel Herz    

   

Erstreferent: Prof. Dr. Barbara Bräutigam Zweitreferent: Prof. Dr. Matthias Müller

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Abstract:

Im Forschungsfeld systemische Beratung haben die neuen Medien, insbesondere die Möglichkeiten, die sich aus der Entstehung internetbasierter virtueller Räume und Welten ergeben, bisher kaum Platz gefunden. Dabei erscheinen gerade die neueren Sichtweisen und Haltungen systemischer Ansätze, wie die systemisch- konstruktivistische Perspektive, als besonders geeignet, sich dieser Herausforderung zu stellen. Gerade auch deshalb, weil sie die Kommunikation und Interaktion handelnder Akteure in den Vordergrund stellt und den Fokus der Beratung auf die Nützlichkeit und nicht auf das Erkennen von Wahrheit lenkt sowie die Entstehung neuer, oder alternativer Wirklichkeits- und Realitätssichten auf die vom Ratsuchenden beschriebene Problematik im Sinne einer Ressourcen- und Lösungsorientierung anstrebt. Angesichts der Entstehung neuer öffentlicher und sozialer Räume in der Virtualität wird der Versuch unternommen, unter Bezugnahme aktueller Forschungskonzepte und bestehender Ansätze im Bereich der Onlineberatung, aus den daraus ableitbaren Konsequenzen und Potentialen, entsprechende Ansätze für die systemische Beratung aufzuzeigen. Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse des prototypischen Forschungsprojekts „virtuelle Beratungsambulanz“ der Hochschule Neubrandenburg auf, wie eine systemisch orientierte Beratung in immersiven Web3D-Anwendungen gestaltet werden kann.

   

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Hiermit versichere ich, dass ich die Diplomarbeit selbständig und lediglich unter Benutzung der angegebenen Quellen und Hilfsmittel verfasst habe.

Ich versichere außerdem, dass die vorliegende Arbeit noch nicht einem anderen Prüfungsverfahren zugrunde gelegen hat.

Ich bin damit einverstanden, dass ein Exemplar meiner Diplomarbeit in der Bibliothek ausgeliehen werden kann.

Neubrandenburg, den 21.04.2010 ____________________

(Unterschrift)

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I   Inhalt

Inhaltsverzeichnis………. I Abbildungs- und Tabellenverzeichnis ….………..……… III

1. Einleitung... 1

2. Grundkonstanten systemisch orientierter Beratung... 3

2.1. Entwicklungslinien systemischen Denkens... 10

2.2. Eckpfeiler systemisch orientierter Beratung... 13

2.3. Werkzeuge der beraterischen Praxis... 18

3. Das Social Web... 23

3.1. Die virtuellen 3D Welten... 24

3.2. Prognosen zur weiteren Entwicklung ... 27

4. Ansätze und Stand der Onlineberatung im deutschsprachigem Raum... 29

4.1. Klassische Beziehungsarbeit ... 30

4.2. Kommunikation und Oraliteralität... 32

4.3. Beratung „goes online“... 34

5. Identität und virtueller Raum... 38

5.1. Wahrnehmungspsychologische Ansätze ... 39

5.2. Sozialpsychologische Ansätze... 41

5.3. Selbstinszenierung ... 43

5.4. Lebensraum virtuelle Welt ... 46

6. Forschungskonzepte zur virtuellen Realität... 48

6.1. Immersion ... 48

6.2. Repräsentation ... 51

6.3. Soziale Präsenz ... 53

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II  

7. Qualitätsbetrachtungen für webbasierte Beratungskonzepte... 55

7.1. Allgemeine Qualitätskriterien... 55

7.2. Beachtung von Normen und Etikette im virtuellen Raum... 57

7.3. Qualitätsstandards in der Onlineberatung... 59

8. Forschungsprojekt: Virtuelle Psychologische Beratungsambulanz... 62

8.1. Grundthesen... 63

8.2. Methodische Auswahl und Durchführung... 64

8.3. Ergebnisse und Zukunft der Beratungsambulanz ... 71

9. Ableitungen für ein systemisch orientiertes Beratungskonzept im Web3D... 75

9.1. Die Frage nach dem Sinn... 75

9.2. Übertragbarkeit und Erweiterung systemischer Praxis im virtuellen Raum ... 76

9.3. Das Ende des Face-to-Face Settings? ... 81

10. Zusammenfassung und Ausblick... 83

Literaturverzeichnis ………87

Anlagen ………...94    

             

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III  

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildung 1: Klassifizierung virtueller Welten (KZero, 2009) S.25 Abbildung 2: Entwicklung der Anzahl virtueller Welten (KZero, 2010) S.28 Abbildung 3: virtuelle Beratungsstelle der Aidshilfe Bremen e.V. S.36 Abbildung 4: virtuelle Präsenz der netzcheckers in Second Life S.37 Abbildung 5: Werbebild der Psychologischen Beratungsambulanz in Second Life S.69

Tabelle 1: Unterscheidung von Fürsorge und Hilfe nach Ludewig, 1999 S.8    

 

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1  

1. Einleitung  

Will man sich mit dem Thema der systemisch orientierten Beratung mittels computervermittelter Kommunikation (CvK) beschäftigen fällt auf, dass es dazu bisher wenige Publikationen und Forschungsergebnisse im deutschsprachigem Raum gibt.

Versucht man darüber hinaus, Berichte und Erforschungen über Beratungsangebote in sogenannten dreidimensionalen immersiven Onlineangeboten zu finden, wie beispielsweise in Bezug zur Web3D1 - Plattform Second Life, erscheint der dargebotene Fundus als noch geringer. Es ist aber anzunehmen, dass dieser Bereich, grob skizziert durch seine vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten und der Entstehung virtueller sozialer Lebensräume, angesichts der technologischen Entwicklungen und zunehmender Benutzerfreundlichkeit internetbasierter Portale und Anwendungen, in geraumer Zeit einen größeren Stellenwert einnehmen wird. Denn das Internet eröffnet dem Menschen einen neu zu nutzenden (Lebens)Raum und die Möglichkeit der Erweiterung und das Ausleben der eigenen Identität. Die Beschränktheit auf physische Präsenz ist nicht mehr Ausschlusskriterium für die Teilnahme an öffentlichen Räumen.

Die sich daraus ergebene Erhöhung der Komplexität zu interpretierender Wahrnehmungen lässt eine Erhöhung des Beratungs- und Orientierungsbedarfs folglich ableiten. Die Frage nach dem, was und wer wir in der vernetzten Virtualität sind, welche Bedarfe und Möglichkeiten für Beratung, gerade auch in Bezug zu einer systemischen Orientierung sich daraus ergeben, wird das Thema dieser Arbeit sein.

Dabei wird versucht, ausgehend von allgemeinen konstruktivistischen und systemtheoretischen Ansätzen systemisch orientierter Beratung über historische und aktuelle Bezüge zur Entwicklung sozialer Netzwerke, den derzeitigen Stand der Onlineberatung im deutschsprachigen Raum abzubilden. Im Anschluss sollen verschiedene Ansätze zur Identität im Netz, aber auch zu wahrnehmungs- und sozialpsychologischen Aspekten exploriert werden. Unter Bezugnahme auf aktuelle Forschungskonzepte zum Bereich virtuelle Realität und Qualitätsbetrachtungen für den derzeit praktizierten Onlineberatungsbereich, sollen aus den hier aufgeführten Ansätzen                                                                                                                          

1 Web3D: umfasst sämtliche Technologien, die dreidimensionale Computergrafik bei WWW- Anwendungen einsetzen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Web3D)

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2   und Forschungsständen mögliche Konsequenzen für die Entwicklung eines systemisch orientierten Beratungsangebotes in dreidimensionalen virtuellen Welten eruiert werden.

Diese werden durch die Erfahrungen und Ergebnisse des Forschungsprojekts der Hochschule Neubrandenburg, zur Institutionalisierung eines psychologischen Beratungsangebots in Second Life, ergänzt. Dieses Projekt hat erstmals versucht, Ansätze systemisch orientierter Beratung in immersiven virtuellen Web3D- Anwendungen zu praktizieren und zu erforschen. Die Frage nach dem Sinn und der Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit diesen Themen stellt sich eigentlich nicht mehr, denn der Prozess zunehmender Vernetzung und kommunikativer Vielfalt ist nicht aufzuhalten. Längst treffen, beraten, informieren, kommunizieren, spielen und erleben Menschen sich und andere in virtuellen Räumen. Dennoch wird diese Frage in dieser Arbeit näher zu betrachten sein. Die bereits gebräuchlichsten sozialen virtuellen Räume, wie Chats2, Blogs3, Wikis4, Foren5 und auch das Genre der interaktiven Rollenspiele und Simulationen, werden ergänzt durch die Entstehung von immer mehr hochkomplexen, dreidimensionalen virtuellen Welten, auf die in dieser hier vorliegenden Arbeit näher Bezug genommen wird. Das Leben in ihnen findet einfach statt und zwar unabhängig davon, ob es eine wissenschaftliche Auseinandersetzung damit gibt, oder nicht. Auch die von Kritikern prophezeite Verarmung der Kommunikation, soziale Isolation und andere negative Folgen und defizitäre Sichtweisen auf die sich entwickelnden „neuen Medien“, sowie die von Befürwortern heroisierten Revolutionstendenzen, werden in der wissenschaftlichen Aufarbeitung nur gering auf das Einfluss nehmen können, was einfach geschieht: Nämlich die individuelle und kollektive Erweiterung sozialer öffentlicher Räume und Identitäten, die Anpassung bekannter und Schaffung neuer Kommunikationsformen und die Entstehung neuer Beratungsmärkte und Tätigkeitsfelder professioneller psychosozialer Beratung.

                                                                                                                         

2 Chat: elektronische Kommunikation über das Internet in Echtzeit auf zumeist eigens dafür bereitgestellten Plattformen (vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Chat)

3 Blog: eine in Form eines Tagebuchs öffentlich zugängliche Internetwebseite (vgl.:

http://de.wikipedia.org/wiki/Blog)

4 Wiki: ein Hypertext-System, dass den Nutzern das Lesen und direktes Bearbeiten des Textes ermöglicht (vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Wiki)

5 Forum: ein virtueller Platz zum Austausch von Gedanken, Meinungen und Erfahrungen (vgl.:

http://de.wikipedia.org/wiki/Internetforum)  

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3  

2. Grundkonstanten  systemisch  orientierter  Beratung  

In diesem Kapitel soll zunächst ein Überblick darüber gegeben werden, was Herwig- Lempp (2009, S.43-44) als Handwerkszeug systemischen Arbeitens beschreibt. Er unterteilt dabei drei Bereiche, die Theorie, die Haltungen und die Methoden. Daher sollen zunächst theoretische Grundlagen, hier beschrieben als Grundkonstanten systemisch orientierter Beratung, aufgezeigt werden. Anschließend soll über die Entwicklungslinien systemischen Denkens (Kap. 2.1.) gezeigt werden, welche Haltungen sich daraus ergeben, die hier als Eckpfeiler systemisch orientierter Beratung (Kap. 2.2.) benannt werden. Zum Schluss wird noch auf die methodischen Ansätze eingegangen, die hier als Werkzeuge systemischer Praxis (Kap. 2.3.), einen ausschnitthaften Einblick über die wesentliche Praktiken geben sollen.

Nach Simon (2007, S.9-12) ist das westliche Weltbild geprägt von Denkern, wie Descartes, die in der Tradition alteuropäischen Denkens stehen. Ihr Fundament bilden letztlich die philosophischen Ansätze Platons und die aristotelische Logik. Durch die Trennung von Subjekt und Objekt gelingt es, die Welt rational zu beschreiben.

Ausschließlich durch Argumentieren und Schließen sind somit erkenntnistheoretische Aussagen entweder wahr oder falsch und folgen einzig dieser Dichotomie. Descartes geht dabei von einer von Gott geschaffenen Welt aus, die so ist, wie sie ist und in der die einzelnen Elemente, die Objekte, durch statische und unveränderliche Mechanismen, wie eine durch mechanische Gesetze bestimmte Maschine, in Wechselbeziehung stehen. Jedoch existieren diese Objekte unabhängig voneinander und sind in ihren Eigenschaften nicht aufeinander zurückführbar. Kennzeichnend dafür ist eine geradlinige Kausalkette. Der auf Beobachtung angewiesene Geist der Subjekte hat keinen Einfluss auf die beobachteten materiellen Prozesse und ist den Regeln der mechanischen Welt folgend in der Lage, das Wahre zu erkennen. Diese Erkenntnis ist dann ein Abbild von Wirklichkeit, idealerweise in Form von objektiver Beschreibung.

Diese als urwerksähnlich funktionierend beschreibbare Welt ermöglicht Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit. Bei der Beschreibung von komplexen psychischen und sozialen Systemen stößt dieses Denkmodell jedoch an seine Grenzen,

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4   insbesondere bei dem Versuch, die Zusammenhänge zwischen Beobachter und beobachtetem System zu verstehen. Denn gerade in solchen Systemen ist das Denken in geradlinigen Kausalketten und das Verwerfen paradoxer Aussagen für die Erkenntnis und das Verstehen handelnder Akteure nicht gewinnbringend.

Stellt man sich nun die Frage, welche Denkarten, oder besser gesagt welche Perspektiven als theoretische Modelle zweckdienlich seien könnten, so erscheinen einerseits die systemtheoretische und andererseits, gerade auch im neueren Verständnis systemischer Beratung, die konstruktivistische Perspektive als geeignete Ansätze. Die Systemtheorie, weil sie den Fokus auf die Beziehungen zwischen den „Objekten“

richtet und sie nicht aus ihren realen Zusammenhängen isoliert und der Konstruktivismus als erkenntnistheoretische Größe, der den Blick auf die Wechselbeziehung von Erkenntnis und Erkanntem richtet und somit die Vorgänge des Erkennens, Urteilens und Denkens nicht unabhängig von, sondern als Teil der zu erkennenden Welt sieht (Simon 2007, S.12).

Haselmann (2008, S.201) unterstreicht durch ihren Bezug auf Simon, Luhmann und Pfeiffer-Schaub hierbei jedoch die Position, dass Theorie als Reduzierung der Komplexität von Erfahrung und Wahrnehmung anzusehen ist und als solche nur einen Orientierungsrahmen und Bezugspunkt für die Praxis darstellt. Sie ermöglicht dadurch im professionellen Kontext psychosozialer Arbeit Kriterien zu entwickeln, die sinnvolles oder auch weniger sinnvolles bis nutzloses Handeln verdeutlichen und unterscheiden können. Die Theorien werden somit selbst zu konstruierten Welt- und Wirklichkeitssichten, die sich nicht an ihrem Wahrheitsgehalt, sondern an ihrem Nutzen für die Veränderung und Gestaltung der Lebenspraxis bemessen lassen müssen.

Innerhalb der konstruktivistischen Sichtweise zeichnen sich für den psychosozialen Kontext, also auch für das Feld der Beratung, zwei hilfreiche theoretische Ansätze ab.

Einerseits die des radikalen Konstruktivismus (Glasersfeld 1996), der in seiner

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5   Kernaussage herausarbeitet, dass jegliche Welt- und Wirklichkeitssichten immer subjektive Konstruktionen sind und es somit keine objektive Erkenntnis geben kann.

Die Wahrheit, im Sinne der wahren Abbildung einer vom Betrachter unabhängigen Realität, kann es nicht geben, weil nur die Welt erkannt werden kann, die wir als lebende Individuen konstruieren. Insofern stellt Glasersfeld auch klar, dass die Konstruktion der Theorie des radikalen Konstruktivismus auch nur als Denkmodell zu verstehen ist, dessen Wert sich nur nach seinem Erfolg im Gebrauch bemessen lassen kann (ebd. S.55). Das was uns erkenntnistheoretisch also als wirklich und real erscheint lässt sich nach Ritscher (2007) als einen Prozess der Wahrnehmung, Beobachtung, Beschreibung, Erkenntnis und Erinnerung beschreiben, bei dem ein Bild über die äußere und innere Wirklichkeit im Kopf des Menschen entsteht (S.35). Daraus ableitend muss sich in der Arbeitspraxis der Fokus auf die Frage danach richten, inwieweit die individuellen Wirklichkeitssichten für die Lebensgestaltung der Beteiligten nützlich sind (Haselmann 2008, S.280). Der zweite erkenntnistheoretische Ansatz ist der, des sozialen Konstruktionismus (Gergen 2002). Dabei wird die individualistische Position des radikalen Konstruktivismus verlassen und der Fokus richtet sich auf den sozialen Verständigungsprozess, in dem durch gemeinsames Aushandeln eine gemeinschaftliche Realitätssicht geschaffen wird. Denn nach Gergen existiert das Selbst niemals unabhängig vom Sozialen, weil es sich durch das Eingebundensein in Beziehungen definiert (ebd. S.147-149). Im Sinne Gergens ist auch der beraterische Dialog als ein transformativer Prozess (ebd. S.186) anzusehen, da das Aushandeln nicht nur den Austausch verschiedener Sichtweisen beinhaltet, sondern das hilfreiche Gespräch vielmehr ein umwandelndes und veränderndes Medium darstellt. Dies beinhaltet auch in Bezug auf die Konstruktion des Selbst die Möglichkeit, sich, im Sinne der Vielstimmigkeit von Angeboten, für alternative Sichtweisen, als die bisher bestehenden zu entscheiden (ebd. S.210-213).

Systemtheoretische Grundüberlegungen stellen ein zweites wesentliches Konzept für den beraterischen Kontext in dem hier gebrauchten Sinne dar. Ganz allgemein lassen sich Systeme als eine aus verschiedenen Elementen geordnete, zusammengesetzte Ganzheit beschreiben. Dabei verhält sich diese Ganzheit qualitativ neu und anders, als

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6   die isoliert betrachteten Einzelelemente (Haselmann 2008, S.204). Bereits bei dieser abstrakten Beschreibung zeigt sich, dass systemtheoretische Ansätze den Fokus ihrer Betrachtung nicht auf das einzelne Element setzen, sondern vielmehr auf die Interaktionen und Beziehungen zwischen ihnen. In sozialen Systemen wird dies als ein Wegkommen von den Eigenschaften isoliert betrachteter Individuen beschrieben, hin zur Betrachtung zirkulärer Wechselbeziehungen miteinander kommunizierender und interagierender Personen. Demnach liegt der Fokus also auf Kommunikations- und Interaktions-, und gerade in neueren systemischen Ansätzen auch auf die Bedeutungssysteme (ebd. S.206).

Klein und Kannicht (2007) beziehen sich bei ihren systemtheoretischen Grundüberlegungen auf die Luhmannsche (1991, zitiert nach Klein und Kannicht 2007) Unterscheidung lebender Systeme in biologische, psychische und soziale Systeme. Das biologische System ist vor allem durch chemisch-physikalische Prozesse gekennzeichnet, das psychische System durch kognitiv-emotionale Prozesse und das soziale System durch kommunikative Prozesse, die auf Grund bestimmter wiederholender Kommunikationsabläufe Muster bilden (S.9-11). Unter Hinzuziehung der Ansätze von Maturana und Varela (1985; 1987, zitiert nach Klein und Kannicht 2007) vollzieht jedes dieser drei Systeme seine Operationen der jeweiligen inneren Struktur entsprechend und autonom, jedoch bedingen und beeinflussen sich diese drei Systeme hinsichtlich ihrer Existenz und stellen in der jeweiligen Abgrenzung voneinander wiederum Umwelten füreinander dar. Dieses als strukturelle Kopplung bezeichnetes Phänomen führt dazu, dass die parallel ablaufenden Operationen in den jeweiligen Systemen zwar zu einer gegenseitigen Beeinflussung beziehungsweise Irritation führen, eine einseitige Festlegung aus einem System heraus für eine Auswirkung in einem anderen System jedoch nicht möglich ist (S.10).

Nach Schweitzer und Weber (1997) lassen sich drei charakteristische Begriffe zur Beschreibung eines systemtheoretischen Verständnisses für soziale Systeme festmachen. Der erste Begriff ist der der Zirkularität. Dies meint, dass sich die

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7   beobachtbaren Phänomene wechselwirksam beeinflussen und somit ein Verhalten immer gleichsam Ursache und Wirkung darstellt (S.198). Demnach wird das Denken in geradlinigen Kausalketten aufgegeben und an deren Stelle rückt ein zirkuläres Wechselseitigkeitskonzept. Schlippe und Schweitzer (2002) bezeichnen Zirkularität als Kreisförmigkeit, mit dem Versuch, das Verhalten der Elemente innerhalb eines Systems derart zu beschreiben, dass die Eingebundenheit dieses Verhaltens in einen Kreislaufprozess sichtbar wird (S.118). Ein einfaches Beispiel zur Verdeutlichung von Zirkularität ist die schreiende Mutter, die deshalb schreit, weil ihr Kind nicht hört und dieses wiederum deshalb nicht hört, weil die Mutter es anschreit. Simon (2007) beschreibt derartige Phänomene damit, dass in einem auf Wechselbeziehung beruhendes System, in dem die Teile beziehungsweise die Elemente miteinander vernetzt sind, eine objektive Entscheidung über das, was Ursache und das, was Wirkung, nicht möglich ist (S.15). Der zweite wesentliche Begriff nach Schweitzer und Weber (1997) ist die Kommunikation. Im Fokus steht hier vor allem der zirkuläre Austausch von Kommunikation auf Inhalts- und Beziehungsebene. Darüber hinaus gilt die Suche nach sogenannten Redundanzen, sich wiederholende Kommunikationsabläufe, die sich als Muster oder Regeln identifizieren lassen. Der dritte wichtige Aspekt zur Beschreibung von Systemen ist die System-Umwelt-Grenze.

Hierbei wird das Merkmal von Systemen zur rigiden und undurchlässigen Abgrenzung zur Umwelt betrachtet (ebd. S.198). Das System selbst ist als eine durch einen Beobachter hervorgebrachte Einheit, gerade im neueren Verständnis jedoch nicht feststehend, sondern eher als etwas erst Auszuhandelndes anzusehen, da es je Einheit gesondert definiert wird. Mit anderen Worten, die Frage nach dem, wer dazu gehört und wer nicht, ist ein auszuhandelnder, durch die verschiedenen Wirklichkeits- und Realitätssichten geprägter Verständigungsprozess.

Nun stellt sich jedoch angesichts der hier aufgeführten Grundkonzepte und Vorüberlegungen die Frage, in welchem Verständnis Beratung im Weiteren und systemische Beratung im engeren Sinne zu begreifen ist. Das allgemeine Verständnis von Beratung soll hier erst einmal zurückgestellt werden und später (siehe Kap. 4.) näher untersucht werden. Aber insbesondere die Unterscheidung von Therapie und

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8   Beratung und eine nähere Betrachtung von Beratung als Hilfeform, soll im Zusammenhang mit der systemischen Sichtweise an dieser Stelle schon vorgenommen werden. Beratung erscheint nach Ludewig (1999) grundsätzlich erst einmal als eine Form von Hilfe, in dem es idealerweise zu einem Kontrakt oder auch einer Absprache zwischen einem, oder mehreren Hilfesuchenden und einem, oder mehreren Helfern kommt. Dies beinhaltet bereits, dass der oder die Hilfesuchenden auch Auftraggeber und Empfänger der Hilfeleistung sind. Insofern stellt Beratung als Hilfeform eine Reaktion auf eine Bitte dar. Davon abzugrenzen ist die Fürsorge, die in erster Linie mit bevormundenden Mitteln der Kontrolle und des Zwangs arbeitet. Nicht zuletzt deshalb, weil diese oft in der psychosozialen Praxis als Hilfe verpackte und angepriesene Form zumeist durch die Anordnung, bzw. auf Druck eines Dritten zustande kommt (S.9-11).

Zusammenfassend lässt sich das Verhältnis von Hilfe und Fürsorge nach dem Konzept von Ludewig (Tab.1) wie folgt darstellen:

Tabelle 1 (angelehnt an Ludewig, 1999, S.9)

Hilfe Fürsorge

1. Das Problem wird von den Betroffenen selbst festgestellt 2. Diese entwickeln ein Anliegen und suchen nach Hilfe

3. Die Form der Versorgung resultiert aus dem Anliegen 4. Die Hilfestellung richtet sich nach

dem mit den Betroffenen frei ausgehandelten “Auftrag”

1. Das Problem wird von Dritten, z.B. sozialen Instanzen ermittelt 2. Ihr Anliegen wird an Fachleute

delegiert

3. Die Form der Versorgung resultiert aus dem Anliegen 4. Die Fürsorge wird gewährt nach

Maßgabe der sozialen Instanzen, d.h. der “Auftraggeber”

Zur weiteren Bestimmung von Beratung ist die Unterscheidung von Beratung und Therapie im vorher beschriebenen Kontext hilfreich. Ludewig (1999) reduziert hierbei Therapie auf eine Verringerung, etwa eines Leidens, also dem Wunsch nach weniger

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9   von etwas und Beratung auf die Erweiterung, bzw. dem Wunsch nach mehr von etwas (S.8). Haselmann (2008) erweitert diese verkürzte Differenzierung um das Verständnis der psychoanalytisch geprägten Abgrenzung von Beratung und Therapie. Hierbei kennzeichnet sich Therapie im Bestreben nach der Verringerung des Leidens vor allem durch aufdeckende und deutende Verfahrensweisen mit dem Ziel die angestrebte Verringerung durch Umstrukturierung der Persönlichkeit zu erreichen. Beratung, im Sinne psychoanalytischer Denkweise, dient im Bestreben nach Erweiterung von Kompetenz eher der Erhaltung seelischer Gesundheit, vorwiegend durch stützende Methoden und durch Hilfe zur Mobilisierung vorhandener Kräfte zur Lösung aktueller Probleme (S.265-266).

Das systemische Therapieverständnis ist, im Gegensatz zur psychoanalytischen Sicht, in seiner Fokussierung auf Lösungsorientierung und der Suche nach Ressourcen im Klientensystem, die es zu erwecken, zu (re)aktivieren und zu nutzen gilt, eher mit der psychoanalytischen Sichtweise von Beratung in Übereinstimmung zu bringen. Anders ausgedrückt, im systemischen Kontext ist eine Trennung von Beratung und Therapie bezogen auf die Prinzipien, Haltungen und Methoden nicht wirklich trennscharf möglich, im Gegenteil, die Übergänge sind fließend. Die Schnittmenge von Beratung und Therapie ist größer, als das was sie unterscheidet. Insofern sind die entwickelten systemischen Therapiekonzepte auch auf den Beratungskontext übertragbar (Haselmann 2008, S. 266). Eine Unterscheidung ist insbesondere aber im Fall-Feld-Kontext dennoch sinnvoll, da bei Berücksichtigung der Kontextunterschiede, bezogen auf das Anliegen der Klienten, durchaus von unterschiedlichen Kompetenzen und Erfahrungen im Umgang mit der spezifischen Problemstellung der Klienten ausgegangen werden kann.

Dies beinhaltet auch die Fähigkeit des professionellen Helfers, das eigene Wissen, die eigenen Fähigkeiten und die entsprechend notwendige Handlungskompetenz in diesem Kontext einordnen zu können. Darüber hinaus sind auch formale Grenzen sichtbar, beispielsweise durch das Psychotherapeutengesetz (PsychThG), oder auch institutionelle Grenzen, beispielsweise durch Auszeichnung als niedergelassener Psychotherapeut oder klinische Bezüge. Beratung erscheint hier im Gegensatz zur Therapie eher als eine Hilfeform in der allgemeinen psychosozialen Versorgung.

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2.1. Entwicklungslinien  systemischen  Denkens  

Betrachtet man die vielfältigen zum Teil parallel verlaufenden Entwicklungen innerhalb des systemischen Denkansatzes, so erscheint es als äußerst müßig, einen umfassenden Blick zu erhalten. Erschwert wird dies dadurch, dass nach über vier Jahrzehnten in der Entwicklung systemtheoretischer Überlegungen zahlreiche Varianten entstanden sind, die sich unterschiedlichste Schwerpunkte setzen und dazu entsprechende Handlungskonsequenzen nahe legen (Schlippe & Schweitzer 2002, S. 50). Dennoch lassen sich für den therapeutischen und aus systemischer Sicht somit auch für den beraterischen Kontext zwei wesentliche Entwicklungen herausstellen, die Kybernetik erster und zweiter Ordnung.

Die Kybernetik erster Ordnung ist nach Haselmann (2008) durch verschiedene wesentliche Prämissen gekennzeichnet. In dieser frühen Phase, der Übertragung systemischen Denkens in die psychosoziale Arbeit, sieht sich der Beobachter außerhalb des beobachteten Systems. Insofern agiert der professionell helfend Tätige aus einer Beobachterposition heraus, ohne beteiligt zu sein. Es herrscht weiterhin die Vorstellung, dass Systeme sich, ähnlich der Funktionsweise einer Maschine, programmieren und kontrollieren lassen und somit auch eine gezielte Einflussnahme mittels geeigneter Instruktionen durch den Helfenden möglich wird. Darüber hinaus lassen sich Systeme in funktionale und dysfunktionale Systeme unterscheiden, wobei innerhalb der dysfunktionalen Systeme eindeutig pathologische Interaktionsmuster zu identifizieren sind, die ursächlich für das beobachtbare Problem, oder die auftretende Symptomatik sind (S.210). Ein typisches Handlungsprofil der Kybernetik erster Ordnung ist die strukturorientierte Familientherapie. Ausläufer dieses Konzeptes lassen sich unter anderem auch heute noch in populären Medienformaten, wie der „Supernanny“6 beobachten. Zugegebener Maßen hat diese Art systemischen Denkens auch heute noch für viele einen gewissen Reiz, meint Simon (2007, S.18). Insbesondere die Vorstellung der Kontrollierbarkeit, beispielsweise innerhalb eines Unternehmens oder auch einer                                                                                                                          

6 Spernanny: Ein als Coaching-Highlight verpacktes Reality-TV-Format des Senders RTL, in der die Supernanny, alias Katja Saalfrank, mit Problemfamilien arbeitet (vgl.

http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Super_Nanny).

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11   Familie, lässt einige dazu verleiten, Hoffnung auf die Nutzbarkeit und Fähigkeit zur Manipulation zu entwickeln, wenn man nur die entsprechenden Regeln, Strukturen und Prozesse innerhalb des Systems durchschauen würde. Letztlich ist festzuhalten, dass die Kybernetik erster Ordnung immerhin nah zum abendländischen Wissenschaftsverständnis stand und insbesondere das Ideal objektiver Erkenntnis nicht aufgegeben werden brauchte, da der Beobachter außerhalb des beobachteten Objekts verblieb. Einen Übergang zur Kybernetik zweiter Ordnung stellen die Arbeiten und Ansätze der klassisch systemischen Familientherapie dar, deren herausragender Vertreter nach Haselmann (2008) die Mailänder Schule um Mara Selvini Palazzoli war.

Hierbei wurde erstmals konsequent zirkulär-systemisch gedacht und der Fokus richtete sich weg von den Personen, hin zu den Informations- und Kommunikationssystemen.

Insbesondere die Herausarbeitung sinnvoller Ideen zu den interaktionellen Zusammenhängen des Problemverhaltens bildeten den Grundstein für die Weiterentwicklung systemischen Denkens, einschließlich der entstandenen Konzepte, Techniken und Methoden, wie beispielsweise das Hypothetisieren, Zirkularität, Fragen und Neutralität (S.214).

Die Kybernetik zweiter Ordnung ist nach Haselmann (2008) ein Ansatz, indem im stärkeren Maße ein Konzept der Kooperation und die Gestaltung konstruktiver Dialoge angestrebt wird, mit dem Ziel, gemeinsam mit dem System an einer Vielzahl von Möglichkeiten und Perspektiven zu arbeiten (von Schlippe und Schweitzer 1996, zitiert nach Haselmann 2008, S.219). Die sich so fortwährend entwickelnden Denk- und Sichtweisen systemischen Arbeitens spiegeln sich in dieser postmodernen Entwicklungsstufe der Kybernetik zweiter Ordnung wieder, in der konkreten Umsetzung beispielsweise im systemisch-konstruktivistischen Ansatz. Kennzeichen für den Entwicklungsstand der Kybernetik zweiter Ordnung sind Grundüberlegungen, die den Beobachter nicht mehr als außenstehend begreifen. Es gibt demnach keine außenstehende, vom Beobachter unabhängige Betrachtung eines Systems mehr. Der Beobachter, und sei es der professionelle Helfer, wird selbst immer Teil des Systems.

Dies wird schon allein dadurch deutlich, dass der professionell Tätige als Co- Konstrukteur im Hinblick auf die Konstruktion eines Problem- und Bedeutungssystems

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12   wird. Des Weiteren wird das systemtheoretische Modell der Autopoiesis erstmals auf den Hilfekontext lebender (sozialer) Systeme übertragen. Als Autopoiesis wird die Eigenschaft von Systemen beschrieben, sich immer wieder in einem aktiven Prozess selbst zu erzeugen und zu erhalten. Demnach unterliegen diese Systeme einem Autonomiemodell und lassen sich, im Gegensatz zur Funktionsweise eines maschinellen Systems, nicht kontrollieren oder programmieren. Lebende Systeme können nur angeregt, angestoßen oder auch verstört werden. Dies beinhaltet auch die Schlussfolgerung, dass im Vergleich zu früheren Denkansätzen eine gezielte Einflussnahme durch instruktive Interaktionsformen nicht möglich ist. Das, was aus dem Anregen, dem Anstoßen oder auch dem Verstören hervorgeht, ist nicht vorhersehbar. Dies unterstützt die These, der Unmöglichkeit externer objektiver Beeinflussbarkeit von Systemen und dem daraus resultierendem anderen Verständnis zur Rolle des Beraters. Die vermeintliche Expertenposition wird größtenteils aufgegeben und an deren Stelle rückt das Selbstverständnis als kooperativer Begleiter des Klienten beziehungsweise des Klientensystems, der das System bestenfalls anregen, oder irritieren kann und die Verantwortung für eine Veränderung beim Klienten(system) belässt. Damit verbunden ist auch die Aufgabe der vermeintlichen Fähigkeit eines professionellen Helfers, funktionale von dysfunktionalen Systemen unterscheiden und eindeutig pathologische Muster als Ursache der Problementstehung identifizieren zu können. Vielmehr rücken die entsprechenden Wirklichkeitssichten der jeweiligen Beteiligten in den Vordergrund, insbesondere die individuell zugeschriebenen Bedeutungen, die mit dem Problem in Verbindung gebracht werden (Haselmann 2008, S.218-219). Insofern verwundert es auch wenig, dass Haselmann unter Bezugnahme zu Lynn Hoffmann (1996, zitiert nach Haselmann 2008) zu dem Schluss kommt, dass nicht das System das Problem erschafft, sondern das zu Grunde liegende Problem ein System erschafft (S.210). Anders gesagt, die Definition eines Problems als solches, einschließlich der entsprechenden als problematisch empfundenen Verhaltensweisen, erschafft ein System von Bedeutungen und damit verbundener Kommunikation zwischen den Beteiligten Elementen beziehungsweise Personen. Im Sinne des radikalen Konstruktivismus dürfte demnach jedoch davon ausgegangen werden, dass die jeweiligen Realitäts- und Wirklichkeitssichten, bezogen auf ein problematisches Verhalten beziehungsweise auf die Definition eines Problems, individuell sehr

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13   unterschiedlich sein können und aus dieser Perspektive heraus weder als richtig noch falsch, wahr oder unwahr identifizierbar sind. Dies trifft folglich auch auf die Position und Sichtweise des Beraters als professioneller Helfer zu. Alle Annahmen müssen daher als individuelle Konstruktion angesehen werden und sich vordergründig nach ihrer Nützlichkeit für ein erfolgreiches Handeln und Überleben bewerten lassen, nicht nach dem Maß ihres scheinbar objektiven Wahrheitsgehaltes. Insofern lässt sich im Sinne des sozialen Konstruktionismus aus dem Angebot verschiedener Wirklichkeitskonstruktionen auch die Option eröffnen, aus den jeweiligen Problemkonstruktionen eine Vielfalt an aushändelbaren Lösungskonstruktionen zu gestalten. Aus systemisch-konstruktivistischer Sicht wäre auch eine gezielte Intervention durch Instruktion möglich und machbar, allerdings würde ein positive und als hilfreich empfundene Veränderung nur dadurch eintreten, dass der „talentierte“

professionelle Helfer zufallsbedingt etwas gefunden hat, dass von den Klienten angenommen und umgesetzt werden kann. Eine gleiche Intervention in ähnlichem Kontext, nur mit anderen Klienten, könnte jedoch genauso gut gegenteilig verlaufen.

Insofern erscheint die Vorstellung instruktiver Intervention als nicht erstrebenswert.

2.2. Eckpfeiler  systemisch  orientierter  Beratung  

In den folgenden Abschnitten soll versucht werden, praxisrelevante Grundkonstanten für die beraterische Tätigkeit im psychosozialen Arbeitsfeld herauszuarbeiten. Hierbei wird nicht der Versuch unternommen, einen möglichst umfassenden und vollständigen Einblick in alle Facetten des Handlungsfelds Beratung zu geben, sondern es wird versucht, wesentliche Prinzipien, Haltungen und Arbeitsweisen einer systemisch orientierten Beratungspraxis, im Kontext einer systemisch-konstruktivistischen Sichtweise hervorzuheben. Dabei liegt die Betonung ganz bewusst auf systemisch orientiert, weil im Handlungsfeld von Beratung sicherlich nicht immer und in jeder Situation eine systemische Sichtweise sinnvoll und zielführend für die Beteiligten sein dürfte. Innerhalb eines Beratungssettings ist es demnach Aufgabe des professionellen

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14   Helfers, entsprechende Situationen und Anliegen beziehungsweise die Aufträge des Klienten zu erkennen, zu deuten und darauf angemessene Reaktionen zu zeigen und sich adäquater Arbeitsweisen auf Grundlage theoretischer Modelle zu bedienen. Auch die Entstehung einer angemessenen Beratungsbeziehung zwischen Klienten und Berater ist ein wesentlicher Bestandteil beraterischen Alltags uns soll im Kapitel 4.1. unter Berücksichtigung klientenzentrierter und analytischer Sichtweisen näher betrachtet werden. Kurzum erscheint es als wenig sinnvoll, in der Beratungspraxis auf eine Anfrage innerhalb eines Beratungsgesprächs nach beispielsweise alternativen Finanzierungsmöglichkeiten zum BAföG (Bundesausbildungsfinanzierungsgesetz), oder in einer Situation, in der eine stark emotional aufgewühlte und weinende Klientin vor einem sitzt und eher emphatisches Verständnis gefragt ist, mit einer konsequent systemisch-konstruktivistischen geprägten Herangehensweise zu reagieren. Diese eignet sich eher in Kontexten, in denen Klienten sich mit einer Problembeschreibung an den Berater wenden, wo Themen der Kommunikation, Beziehungen und entsprechende Bedeutungen im Zusammenhang mit dem Problem hervorstechen, wo sich interaktionelle Zusammenhänge vermuten lassen und eine konstruktive Beratungsatmosphäre herrscht. Insofern stellt in diesem Sinne die systemische Beratung auch nur eine mögliche Form oder auch Methode dar, im beraterischen Kontext mit Klienten zu arbeiten.

Dabei stellt sich jedoch zunächst einmal die Frage, über wen wir eigentlich reden, wenn es um die Aufstellung von Eckpfeilern für die systemische Beratung, also für das Reagieren auf eine Bitte geht. Mit welchen Vorstellungen über den Anderen, oder anders gefragt, auf was für ein Menschenbild treffen denn die Ratsuchenden in der systemischen Praxis eigentlich? Schwing und Fryzser (2007, in Anlehnung an Herwig- Lempp 2005, mündl. Mitteilung) stellen diesbezüglich fünf Thesen auf.

„(1) Menschen sind eigensinnig, sie verleihen den Geschehnissen ihren eigenen Sinn, ziehen ihre Schlussfolgerungen daraus und richten ihr Handeln danach aus.

(2) Der Mensch wird erst im Du zum Ich. […], dass Menschsein sich erst in der Auseinandersetzung mit einem Gegenüber, einem sozialen Kontext realisiert, dass wir als Individuum immer auch Teil größerer Systeme sind. (3) Menschen

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15   verändern sich ständig, sie wechseln Standorte, zeigen je nach Kontext unterschiedliches Denken, Fühlen, Verhalten. (4) Menschen verfügen über unzählige Ressourcen und Potentiale für ihre Lebensgestaltung und die Lösung ihrer Probleme. (5) Menschen konstruieren ihre Wahrheiten und Wirklichkeit, niemand kann für sich den Besitz objektiver Wahrheit beanspruchen.“ (ebd.

S.325)

Als ein Eckpfeiler kristallisiert sich nach Haselmann (2008) die innere Haltung des Beraters heraus, eine angemessene Achtung vor der Selbstorganisation des Systems zu haben. Dies beinhaltet vor allem, auf eigene Wertungen zu verzichten und nicht die eigene Sichtweise in den Vordergrund zu stellen oder gar aufzudrücken. Hierbei wird die bereits in der Mailänder Schule entwickelte Position der Neutralität durch eine angemessene Neugier ergänzt. Neutralität als innere Haltung gegenüber den Personen, den eigenen und von den Personen entwickelten Ideen und gegenüber den beobachtbaren Symptomen. Neugier, gepaart mit der Haltung des Nicht-Wissens, als echtes und respektvolles Interesse an der zu Grunde liegenden Eigenlogik des Systems (S.248). Diese immanente Eigenlogik kennzeichnet sich nach Schlippe und Schweitzer (2002) vor allem dadurch aus, dass sie für das System schlichtweg wirksam ist, weil sie sich offensichtlich für das System evolutionär bewährt hat (S.212). Die Neugier auf diese Eigenlogik impliziert auch die Unwissenheit des Therapeuten, die aber auch als eine Ressource gesehen werden kann, weil sie eine vorschnelle Erkenntnis verhindert und das weitere Finden von Alternativen Sichtweisen fördert.

Das, was Schlippe und Schweitzer (2002) als Irreverenz benennen, kann als weiterer Eckpunkt angesehen werden. Hierbei geht es um ein Verlassen oder besser gesagt um ein bewusstes Misstrauen gegenüber den eigenen Überlegungen, seien sie auch noch so systemisch orientiert. Ein möglicher Effekt dieses bewusst in einer bestimmten Situation angewandten Verfahrens, kann die Freilegung eines innovativen Potentials in Therapie und Beratung sein. Dieses bewusste Infrage stellen kann auch als

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16   Respektlosigkeit gegenüber den Ideen bei gleichzeitigem Respekt gegenüber dem Menschen verstanden werden (S.122).

Ein weiterer Eckpfeiler ist nach Haselmann (2008) und auch nach Schlippe und Schweitzer (2002) die Ressourcenorientierung. Hierbei wird davon ausgegangen, dass das System und die Klienten über eigene Selbstheilungs- und Selbsthilfekräfte verfügen.

Die sich daraus ergebende Aufgabe des Beraters ist das Anregen zur gemeinsamen Suche nach den Ressourcen des Systems, die es zu erwecken und nutzen gilt. Dies beinhaltet auch die Suche nach verschütteten, abgelegten oder nicht mehr genutzten Ressourcen, die durch (Re)Aktivierung zur Problemlösung des Klientensystems beitragen können (Haselmann 2008, S.249; Schlippe & Schweitzer 2002, S.124).

Ritscher (2007) beschreibt diese Ressourcen als eine Gesamtheit von psychischen, materiellen und sozialkommunikativen Möglichkeiten, auf die bei einer erfolgreichen Bewältigung von Handlungsanforderungen zurückgegriffen werden kann (S.27).

Darüber hinaus und eng verbunden mit der Ressourcenorientierung ist nach Haselmann (2008) die Lösungsorientierung. Dies beinhaltet zwei Aspekte. Einerseits geht es darum, im Hier und Jetzt nach den Dingen und Verhaltensweisen zu suchen, die im Zusammenhang mit der Problembeschreibung jetzt schon gut gelingen und somit einer Abkehr vom defizitären Fokus. Ganz klassisch ist dies die Suche nach den

„Ausnahmen“ vom Problem. Andererseits beinhaltet die Lösungsorientierung aber auch den sogenannten Blick nach vorn, den Blick in die Zukunft. Neben der Gestaltung von Zukunftsentwürfen steht hierbei das Nachdenken über und Antizipieren einer Zukunft nach der Problemlösung mit dem Bestreben, dadurch mögliche Lösungsideen für die Handhabung des Problems im Hier und Jetzt zu entwickeln (S.249).

Der von Haselmann (2008) als Kundenorientierung und der damit verbundenen Auftragsorientierung bezeichnete weitere Eckpfeiler unterstreicht die innere Haltung des professionell Tätigen zur Achtung der Selbstorganisation des Systems. Hierbei geht

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17   es ganz klar auch darum, die Eigenverantwortlichkeit des oder der Klienten zu stärken, indem nur das angeboten wird, was der oder die Klienten haben wollen beziehungsweise was als Auftrag durch die Klienten definiert wird und nicht zu einem bevormundenden Umgang mit dem Klientensystem führt (S.249). Nach Schlippe und Schweitzer (2002) ist der aus dem Wirtschaftsbereich entstammte Begriff der Kundenorientierung gut mit dem Verständnis einer systemischen Dienstleistungsphilosophie überein zu bringen. Demnach haben die Leistungserbringer möglichst das anzubieten, was der Kunde, oder auch Klient subjektiv haben will und nicht, was er nach Meinung der vermeintlichen Fachleute braucht. Insofern muss sich jegliche Intervention nach dem individuellen Bedarf ausrichten und nicht nach vermeintlich objektiver Indikation oder festgestellter Bedürftigkeit. Dies beinhaltet in letzter Konsequenz auch die Idee, nichts anzubieten, was auf keine Nachfrage stößt (S.125-126). Insofern stellt sich für die psychosoziale Praxis die Herausforderung, kooperative Formen zwischen Anbietern und Kunden zu entwickeln, um die jeweiligen Kundenwünsche möglichst präzise erfüllen zu können, denn allzu oft stimmen in der Praxis das, was die Kunden wollen und das, was die Anbieter über das Wollen des Kunden denken, nicht überein.

Ein weiterer nicht zu unterschätzender Eckpfeiler ist die Sensibilisierung im Umgang mit Macht. Zwar lässt sich aus systemisch-konstruktivistischer Sicht festhalten, dass es eigentlich keine Macht gibt, zu mindestens was die gezielte Einflussmöglichkeit auf ein System betrifft. Dennoch gibt es immer mitzudenkende kontextuelle und gestaltbare Faktoren, die sehr wohl ein Ausüben von Macht, beispielsweise seitens des Beraters auf die Klienten, ermöglichen. Selbst wenn diese nicht absolut, oder real ist, so ist sie doch dadurch existent, dass sie durch die Personen selbst, oder auch durch die Situation des Beratungssettings, oder gar durch die Position als Berater und Ratsuchender zugeschrieben, beziehungsweise verliehen wird (Jones 1995, S.160-164).

Als zuletzt zu nennender Eckpfeiler soll die Vergrößerung des Möglichkeitsraumes für den Klienten und das Klientensystem aufgeführt werden. Dabei wird auch der tiefere

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18   Sinn beraterischer Praxis im systemisch-konstruktivistischer Handlungsfeld deutlich.

Denn letztlich ist das Ziel einer solchen Beratung, die Denk- und Verhaltensmöglichkeiten zu vergrößern. Dies geschieht auch durch das Aushandeln der verschiedenen Wirklichkeitssichten und der daraus resultierenden möglichen Erweiterung von Bedeutungsgebungen zur Problemstellung. Im Sinne der Lösungsfindung geht es um das Anregen zum Denken, des bisher Nichtgedachten und das Ausprobieren, des bisher Nichtausprobierten, gegebenenfalls auch durch Störung oder Provokation seitens des Beraters, indem neue oder auch ungewohnte Denkarten eingebracht werden (Haselmann 2008, S.249). Schlippe und Schweitzer (2002) benennen die Vergrößerung des Möglichkeitsraumes in Anlehnung an den Biokybernetiker von Foerster als zentrales Ziel systemischen Handeln und Denkens.

Dabei soll jegliches Handeln so ausgerichtet sein, dass sich die Anzahl der Möglichkeiten immer vergrößert. Demnach stehen alle Handlungs- und Denkweisen, beispielsweise Tabus, Denkverbote, Dogmen oder auch Bewertungen in richtig und falsch, dem systemischen Arbeiten entgegen und führt zum Konflikt mit rigiden wissenschaftlichen Vorstellungen, aber auch fundamentalistischen Religions- und Moralvorstellungen (S.116). Wie die hier aufgeführten Eckpfeiler einer systemisch orientierten Beratung in die beraterische Alltagspraxis umgesetzt werden können, soll im folgenden Abschnitt Thema sein.

2.3. Werkzeuge  der  beraterischen  Praxis  

Unter dem Begriff der Werkzeuge der beraterischen Praxis sollen in diesem Abschnitt wesentliche Vorgehensweisen und Techniken erläutert werden, die ein professionelles Handeln seitens des Beraters in Bezug zu einer systemisch-konstruktivistischen Sichtweise ermöglichen. Dies ist in diesem Rahmen zwar nur ausschnittsweise möglich, dennoch ermöglicht es einen Einblick in das praxisorientierte Handlungsfeld.

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19   Haselmann (2008, S.249-253) stellt dabei drei wesentliche Vorgehensweisen heraus.

Hierbei ist jedoch zu beachten, dass es weniger um den Anspruch einer Auflistung in chronologischer Reihenfolge geht, sondern der Beratungsprozess selbst, im Sinne von Zirkularität, einzuordnen ist und daraus resultierend jeder der aufgeführten Punkte immer wieder aktuell und zum zu bearbeitenden Thema werden kann. Zu allererst erfolgt demnach immer die Kontext- und Auftragsklärung, aber bereits in diesem Punkt wird deutlich, dass dies auch veränderliche Größen sind und im Laufe des Beratungsprozesses immer wieder zum Thema werden können, beispielsweise durch eine Veränderung des Auftrages aufgrund neu gewonnener Wirklichkeitssichten auf das Problem. Es gilt an diesem Punkt immer die entscheidenden Fragen zu klären, wer will eigentlich was von wem. Es geht um die Beschreibung und Definition des Problems und der beobachtbaren Symptome und um die Ziele und Erwartungen, die sich durch die Einbeziehung eines professionellen Helfers durch die Klienten ergeben. Die zweite wesentliche Vorgehensweise ist das Hypothetisieren und Einbeziehung der Zirkularität.

Schlippe und Schweitzer (2002) definieren eine Hypothese als eine vorläufige Annahme, über das was ist, die jedoch im Verlauf zu überprüfen ist (S.117-118).

Hierbei geht es nach Haselmann (2008) vor allem darum, Hypothesen zu entwerfen die zirkuläre Kreislaufprozesse beschreiben und den Fokus auf die Nützlichkeit und nicht auf die Wahrheit einer Aussage oder Sichtweise lenken. Sie sollen dabei helfen, die Wahrnehmung der Beteiligten auf die interaktionellen Zusammenhänge zu richten und die Wechselseitigkeit betonen. Dies wird dadurch unterstützt, dass mittels Hypothesen versucht wird, die beobachteten Symptome oder das definierten Problemverhalten in einen sinnstiftenden Kontext einzubetten und den jeweiligem Verhalten, oder den Symptomen eine vornehmlich positive Funktion zuzuschreiben (S.250-251). Die dritte zentrale Vorgehensweise ist nach Haselmann (2008) die Anwendung von Fragetechniken, vor dem Hintergrund, dass im systemisch-konstruktivistischen Kontext, die eigentliche Intervention durch Fragen geschieht. Dabei dient das Fragen nicht nur der Gewinnung von Informationen aus dem System, sondern auch der Generierung neuer Informationen im System. Dies geschieht in erster Linie durch den suggestiven Gehalt jedweder Frage, was auch die eigentliche Intervention darstellt (S.251-253).

Schlippe und Schweitzer (2002, S. 137-138) beziehen sich in diesem Punkt auf das kommunikationstheoretische Konstrukt Watzlawicks, dass nicht nicht kommuniziert

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20   werden könne und schließen daraus, dass es unmöglich sei, Fragen zu stellen, ohne dabei bei den befragten Personen eigene Ideen anzustoßen. Insofern werden durch das Fragen immer implizite Botschaften übermittelt. Vor diesem Hintergrund hat sich eine Vielzahl verschiedenster zirkulärer Fragen entwickelt (Schweitzer und Weber 1997, S.203-204; Pfeiffer-Schaupp 1995, S.177-185), beispielsweise triadische Fragen, die den Beziehungsaspekt hervorheben, oder auch Erklärungsfragen, Verschlimmerungsfragen, Vorher-Nachher-Fragen, Fragen, die eine Außenperspektive ermöglichen, oder auch Eigenschaften zu Verhalten verflüssigen, usw.. Eine vollständige Auflistung aller möglichen Frageformen kaum möglich und auch nicht notwendig, denn letzten Endes verfolgen alle Fragen das gleiche Ziel. Sie sollen dem Klientensystem, aber auch dem Berater als Teil des Systems dazu verhelfen, neue Wirklichkeitskonstruktionen und Möglichkeitssichten zu entwickeln sowie die Handhabbarkeit des Problems zu streuen. Dabei fokussieren und betonen die Fragen zuvorderst Tätigkeiten statt Zustände, Entscheidungen statt Schicksale und Vorübergehendes statt Unendliches (Haselmann 2008, S.251).

Darüber hinaus führen Haselmann (2008), aber auch Schlippe und Schweitzer (2002) zahlreiche Techniken auf, die je nach Situation und Kontext Anwendung im Beratungsalltag finden könnten. Neben den Techniken, wie den Verschreibungen und Aufgaben, dem Reflecting Team (vgl. Kap.8.2.) und metaphorischen Techniken, soll hier zunächst nur die Technik der Kommentierung näher betrachtet werden und hieraus wiederum lediglich zwei Facetten, das Refraiming, dass Schlippe und Schweitzer (2002, S.177) als vielleicht wichtigste systemische Interventionsform benennen und die wertschätzende Konnotation. Grundsätzlich lassen sich Kommentierungen seitens des Beraters als sprachliche Angebote beschreiben, die dazu einladen, die Wirklichkeit auf eine bestimmte Art und Weise wahr zu nehmen und gegebenenfalls das eigene Abbild neu zu konstruieren. Beim Refraiming wird dies versucht zu erreichen, indem das Geschehen durch einen neuen Bedeutungsrahmen einen anderen Sinn erhält. Dabei sind die systemischen Grundprämissen, dass jedes Verhalten einen Sinn macht, wenn man den Kontext kennt und dieses Verhalten eine sinnvolle Bedeutung für den Erhalt des Systems hat, ausschlaggebend. Die Idee dahinter ist, dass es keine vom Kontext

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21   losgelöste Eigenschaft einer Person gibt und jeder nur über Fähigkeiten verfügt, wobei diese Fähigkeiten zum Problem werden können, wenn sie nicht zum Kontext passen.

Hauptziel des Refraimings ist somit eine Verstörung der bisherigen Sicht der Dinge, was im Idealfall zu einer veränderten Sichtweise führen kann. Die zweite für den Beratungsalltag hervorzuhebende Technik der Kommentierung ist die wertschätzende Konnotation, die auch als positive Bewertung verstanden werden kann. Hierbei wird das durch die Klienten beschriebene problematische Verhalten positiv, oder wertschätzend kommentiert. Ausschlaggebend hierfür ist die systemische Position der Betrachtung zirkulärer Interaktionsabläufe, die das Verhalten als konstruktiven Beitrag für den Erhalt des Systems herausstellen (Haselmann 2008, S.253-257; Schlippe & Schweitzer 2002, S.165-204).

Neben diesen vorwiegend sprachlichen Werkzeugen haben sich auch aktionsorientierte Methoden entwickelt, die als Umsetzung von Sprache in eine Situation verstanden werden können. Ein großer Bereich dieser aktionsorientierten Verfahrensweisen die Aufstellungsarbeit, wie beispielsweise die Systemische Strukturaufstellung. Hierbei wird aus einer individuellen Sicht heraus, in modellierender Weise, ein System generiert. In diesem aufgestellten System wird dann mit drei veränderlichen Größen gearbeitet, mit dem Abstand, dem Standwinkel der Personen zueinander und mit den jeweiligen Blickrichtungen. Kern der Arbeit ist das Entwickeln von Ideen und Möglichkeiten zur Lösung eines Problems. Dies geschieht auf hypothetischer Ebene durch die Veränderung der drei Variablen, aber beispielsweise auch durch die Hinzunahme bisher nicht beachteter systemrelevanter Personen und der daraus entstehenden Veränderung hinsichtlich der gefühlsmäßigen Wahrnehmung der einzelnen Mitglieder des Systems (Kleve & Wirth 2009, S.212-220). Zwar weisen diese Ansätze eine gewisse Nähe zu psychodramatischen und soziometrischen Vorgehensweisen auf, heben sich aber durch ihren starken Beziehungsfokus und einer ausgeprägten systemisch lösungsorientierten Haltung ab. Insofern ließen sich Aufstellungen auch als zirkuläres Fragen in Aktion beschreiben (Lauterbach 2007, S.16-19). Darüber hinaus gibt es noch einen unendlich erscheinenden Topf an Methoden, wie die Genogrammarbeit, das Erstellen von Soziogrammen und Mappen,

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22   die Arbeit mit dem Zeitstrahl und weiteren Methoden, die alle auf unterstützende Art und Weise zum Aufbereiten, Analysieren und Visualisieren von Informationen beitragen können (Schwing & Fryzser 2007, S.60-102), vielleicht auch im Hinblick darauf, dass sich bestimmte Aussagen in ihrer Komplexität mit dem Mittel der Sprache nur schwer erfassen und darstellen lassen.

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23  

3. Das  Social  Web  

In diesem Kapitel soll in Form eines kurzen Abrissen ein Überblick über die Merkmale internetbasierter sozialer Netzwerke gegeben werden. Dabei liegt der Fokus bewusst auf dem, was als Social Web verstanden werden kann. Das Social Web ist eine Facette des sogenannten Web2.0. Unter dem Sammelbegriff Web2.0 lassen sich in nahezu alle Entwicklungen im Internet zusammenfassen, die je nach Blickwinkel technische, ökonomische, rechtliche und auch soziale Aspekte einbeziehen, wobei eine klare Definition oder Abgrenzung als nicht möglich erscheint. Dennoch sind bestimmte Merkmale erkennbar, beispielsweise das Produktlösungen des Web2.0 kooperative und kollaborative Arbeitsformen ermöglichen, indem diese Produkte als Service-Plattform funktionieren und somit die Verlagerung alltäglicher Aufgaben ins Internet ermöglichen. Die Nutzer sind gleichzeitig auch Mitgestalter solcher Plattformen, indem sie durch das Einstellen und den Austausch verschiedenster Arten von Daten miteinander interagieren. Gleichsam zeichnen sich derartige Plattformen durch eine leichte Bedienbarkeit, einer geräteunabhängigen Verwendung und einer neuen, als Look&Feel beschreibbaren, eigenen Ästhetik aus (Ebersbach, Glaser & Heigl 2008, S.23-28). Das, was als Social Web oder auch als Social Software beschrieben werden kann, ist in erster Linie dadurch gekennzeichnet, dass es sich dabei um Programme oder dynamische Webseiten handelt, die die Technik des Internets als Trägermedium nutzen und den Informationsaustausch, den Beziehungsaufbau und die Kommunikation innerhalb eines sozialen Kontextes unterstützen (ebd. S.29-30). Ursächlich für die Entstehung sozialer internetbasierter Produkte könnten die großen Integrationskräfte sein, die ein derartiges Medium freisetzt. Gerade die hochentwickelten Industriegesellschaften zeichnen sich durch Isolationstendenzen und der Auflösung traditioneller sozialer Beziehungen und Bindungen aus. Dennoch sind die sozialen Bedürfnisse des Menschen weiterhin vorhanden und genau diesen Punkt scheinen derartige Lösungen zu bedienen. Sie ermöglichen die Wiederherstellung und Aktualisierung von Beziehungen und Netzwerken und gleichsam eröffnen sie einen zusätzlichen öffentlichen Raum, der das Eingehen neuer Beziehungen und Treffen Gleichgesinnter über eine große physische Distanz ermöglicht (ebd. S.198-200).

(30)

24  

3.1. Die  virtuellen  3D  Welten  

„Wir erleben den Übergang zu einer neuen Epoche. Virtuelle Welten werden in den nächsten Jahren vielleicht nicht die Welt verändern, aber das Leben von Millionen Menschen. Es werden Ökonomien entstehen, die auch für die reale Welt von Gewicht sind. […] Bei aller Faszination und Begeisterung für diese neue Phänomen darf man sich aber nicht von dem aktuellen Hype blenden lassen und den enthusiastischen Medienberichten glauben.“ (Lober 2007, S.2)

Versucht man eine Ortsbestimmung für den Begriff virtuelle Welt vorzunehmen, so kann dieser ganz allgemein als jeder imaginäre Raum verstanden werden, der entweder durch ein Medium bedingt, oder einfach nur auf gedanklicher Basis in den Köpfen entsteht. Insofern können auch die computergenerierten dreidimensionalen Welten als virtuelle Orte verstanden werden (Armbrüster 2008, S.13). Anders als bei klassischen dreidimensionalen Onlinespielen und Simulationen, wo es beispielsweise um die Übernahme von Armeen, den geschickten Umgang mit Waffen, oder das Erreichen irgendwelcher Highscores (Punkte) und Level geht, versuchen die sogenannten sozialen Welten, den Nutzer vielmehr mit der Ausgestaltung und Pflege seiner „Spielfigur“ und den Interaktionsmöglichkeiten mit seiner Umwelt zu locken (Schmitz 2007, S.51).

Bei dem Versuch, ein Verständnis für das zu entwickeln, was derartige Welten eigentlich sind, stößt man auf einen schier unendlich erscheinenden Kosmos verschiedenster weltweit angebotener Produktlösungen. Diese sind derartig facettenreich, dass es kaum möglich ist, die gesamte Bandbreite zu erfassen, geschweige denn darzustellen. Da gibt es 3D-Spiegelwelten wie beispielsweise Twinity (http://www.twinity.com/de), die versuchen, ein möglichst genaues virtuelles Abbild realer Städte zu entwickeln. In diesen können die Nutzer dann miteinander kommunizieren und interagieren, sie können ihr eigenes Zuhause gestalten und historische Sehenswürdigkeiten besuchen. So existiert in Twinity beispielsweise die Möglichkeit, die ehemalige Berliner Mauer aufzusuchen und sich mittels eines Portals

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25   in die Zeit vor der Grenzöffnung zurückversetzen zu lassen und dadurch die damalige Grenzsituation „hautnah“ zu erleben. Ein anderes Konzept stellt beispielsweise Moove (http://www.moove.de/) dar, welches sich eher als Erweiterung in Richtung einer dreidimensionalen Chat-Welt beschreibt. Aber auch zielgruppenspezifische Angebote wie beispielsweise das Habbo-Hotel (http://www.habbo.de/), welches mit einer grafisch und in der Bedienung einfacheren Aufmachung vor allem im Segment der 12 bis 16- jährigen fischt und mit moderierten und überwachten Chaträumen wirbt, sind Ausdruck des Facettenreichtums derartiger Welten. Einen möglichen Überblick über diese Angebotsvielfalt liefert KZero (2009). Hierbei wurde versucht, die verschiedensten Anbieter virtueller Welten hinsichtlich ihres Genres und im Hinblick auf die Alterszielgruppe zu klassifizieren (vgl. Abb. 1).

Abbildung 1: Klassifizierung virtueller Welten (KZero, 2009)  

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26   Eine der am weitesten entwickelten virtuellen Welten ist Second Life (http://secondlife.com/?v=1.1). Diese, auch zum Segment der sogenannten Metaversen7 zugehörige dreidimensionale Welt, bezeichnet sich selbst als die weltweit größte, durch die Nutzer gestaltete, dreidimensionale Infrastruktur. Und tatsächlich ist Second Life aus technischer Sicht erst einmal nicht viel mehr, als eine Infrastruktur, die einen dreidimensionalen Raum in Form von virtuellen wasserumgebenden Inseln darstellt.

Wie dieser Raum (aus)gestaltet wird, obliegt in erster Linie der Gemeinschaft der Nutzer, die sich in dieser Welt mit einem virtuellen Repräsentanten, dem Avatar, bewegen und aufhalten. Dafür stellt der Anbieter und Betreiber der Second Life Plattform, Linden Lab (http://lindenlab.com/), unzählige Inworld-Tools, zum Beispiel Bauoptionen, verschiedenste Möglichkeiten der Kommunikation und Avatar- Gestaltung, das Einrichten von Gruppen, ein ausdifferenziertes Inventarangebot, die Möglichkeit Skripte8 zu schreiben und vieles andere mehr, zur Verfügung. Dies geht sogar soweit, dass durch eine eigene Währung, der Linden Dollar, Handel und Geschäfte betrieben werden können, die durch den Umtausch in reale Währung auch aus ökonomischer Sicht die Verbindung von realer und virtueller Welt aufzeigen. All diese Optionen zeigen aber auch, dass dieser dreidimensionale Raum in seiner Grundstruktur erst einmal völlig sinnfrei erscheint und erst durch das Wirken der Nutzer in und mit dieser Welt Inhalte und Beziehungen entstehen, die diese Welt mit „Leben“

füllen. Und in ähnlicher Art und Weise, wie der Mensch in der realen Welt verschiedenste Formen des Miteinanders entwickelt hat, geschieht dies auch in Second Life. Auch hier treffen, kommunizieren und beraten sich Menschen, gehen Einkaufen, gestalten und erkunden ihre Umgebung, entwickeln gemeinsam Projekte, oder haben einfach nur Spaß, indem sie spielen, tanzen, flirten, unbekannten Menschen begegnen und Freundschaften schließen (Linden Research 2010a; Schmitz 2007, S.52-56).

                                                                                                                         

7  Metaversum:  Eine  virtuelle  dreidimensionale  Parallelwelt  von  allgemeinem  Nutzen  (vgl.  

http://de.wikipedia.org/wiki/Second_Life)  

8  Skripte:  Eingabebefehle  in  Form  einer  Programmierung,  die  es  Objekten  ermöglicht,  bestimmte   Eigenschaften  zu  haben  oder  beispielsweise  Bewegungen  zu  simulieren  

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27  

3.2. Prognosen  zur  weiteren  Entwicklung  

Die Zukunft und die weitere Entwicklung des Internets vorherzusagen, erscheint nahezu unmöglich. Insbesondere aussagekräftige Prognosen zu den sozialen virtuellen Welten sind schwer zu treffen, da dabei viele Faktoren eine Rolle spielen, angefangen von der Entwicklung der Datenübertragungsgeschwindigkeiten beziehungsweise der Vergrößerung transportierbarer Datenmengen über die (Tele)Kommunikationsnetze bis hin zu unvorhersehbaren technologischen Neuerungen im webbasierten Anwendungsbereich. Aber auch die Nutzungsgewohnheiten der Menschen im Umgang mit solchen Anwendungslösungen und sozialen Netzen ist ungewiss, wenngleich aufgrund der heutigen Nutzungsstruktur davon ausgegangen werden kann, dass es aus quantitativer Hinsicht nur zu einer Steigerung hinsichtlich der Nutzerzahlen kommen kann. Denn gerade für die junge Generation, die auch als Generation der Digital Natives9 bezeichnet wird, sind derartige Netzwerke nicht mehr wegzudenken, nicht zuletzt auch durch die Sensibilisierung im Umgang mit den neuen Medien und steigender Medienkompetenz (nano: Bericht vom 03.02.2010).

Eines der weltweit führenden Forschungs- und Beratungsunternehmen im Bereich Informationstechnologie, die Gartner Company, prognostizierte im Jahr 2007 für den Bereich der virtuellen dreidimensionalen Welten, dass bis zum Jahr 2011 bereits 80 Prozent aller Internetnutzer ein sogenanntes „second life“ haben werden. Damit soll nicht gesagt werden, dass alle Nutzer auf der gleichnamigen Plattform angemeldet sind, sondern eher im Sinne der generellen Nutzung eines virtuellen Repräsentanten, unabhängig von der Plattform. Sie prognostizierten weiterhin, dass sich die explosionsartig entstehenden verschiedenen virtuellen Welten, hinsichtlich ihrer Anzahl, innerhalb der kommenden fünf Jahre wieder verringern werden, sei es durch Zusammenführung oder durch die Verwendung einer gemeinsamen Plattform auf Open-

                                                                                                                         

9  Digital  Natives:  Bezeichnung  für  die  Generation,  die  zu  einer  Zeit  aufgewachsen  ist,  in  der  bereits   digitale  Technologien  verfügbar  waren.  (vgl.  http://de.wikipedia.org/wiki/Digital_Native)  

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28   Source-Basis10, wobei der Avatar wie ein Wanderer zwischen den verschiedenen Welten wird (Gartner 2007).

Eine Bestätigung der generell zu erwartenden Entwicklung im Bereich der virtuellen Welten liefern die Marktanalysten der KZero Worldswide Company (http://www.kzero.co.uk/), die ebenfalls einen rasanten Anstieg in Bezug auf Nutzerzahlen und Anzahl virtueller Welten prognostizieren (vgl. Abb. 1; KZero, 2010).

Betrachtet man die Entwicklungszahlen hinsichtlich der Erstellung von Accounts als Indikator für das Interesse an virtuellen Welten, so zeigen die von KZero jüngst veröffentlichten Entwicklungen zwischen dem zweiten und dritten Quartal 2009, dass es in diesem Zeitraum zu einem weltweiten Anstieg um 16 % gekommen ist. Damit sind bereits 671 Millionen Avatare weltweit unterwegs. Den Größten Marktanteil machen dabei die 10-15jährigen aus, mit rund 360 Millionen angelegten Accounts weltweit (Corell, 2009).

                                                                                                                         

10  Open  Source:  Softwareprodukte  mit  öffentlich  zugänglichen  Quelltexten  und  freien  Lizenzen,  die   durch  den  freien  Zugang  die  gemeinschaftliche  Weiterentwicklung  der  Produkte  vorantreiben  (vgl.  

http://de.wikipedia.org/wiki/Open_source)  

Abbildung 2: Entwicklung der Anzahl virtueller Welten (KZero, 2010)

Referenzen

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