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Nicht um jeden PreisBrüssel will Wettbewerb auf Europas Energiemarkt erzwingen und große Versorger zerschlagen. Solch brachialeMethoden kommen zu spät – besser wäre die Einrichtung einer EU-Regulierungsbehörde

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Mit einem unüberlegten Konzept will die Kommission alte Fehler beheben

Nicht um jeden Preis

Brüssel will Wettbewerb auf Europas Energiemarkt erzwingen und große Versorger zerschlagen. Solch brachiale Methoden kommen zu spät – besser wäre die Einrichtung einer EU-Regulierungsbehörde

VON CLAUDIA KEMFERT

D

ie EU-Kommission will vollständigen Wettbewerb auf dem europäischen Energiemarkt erreichen. EU-Di- rektiven, um Wettbewerb in den Mitgliedsländern zu forcieren, gibt es schon seit den 90ern. Nun gibt Brüssel gern Richtlinien aus, über- lässt die Umsetzung ohne konkrete Vorgaben aber den Staaten. Ergeb- nis: Einige Länder haben muster- schülerhaft Wettbewerb im Ener- giesektor eingeführt, beispiels- weise Großbritannien. Andere schotten ihre Märkte vollständig ab, so wie Frankreich. Zwar mahnt Brüssel immer wieder, dies zu än- dern. Bisher aber ohne Erfolg.

Nach zehn Jahren Passivität will die Kommission etwas ändern: Sie will Wettbewerb durch die eigen- tumsrechtliche Trennung von Energieproduktion und -netzen er- zwingen. Sie ignoriert dabei, dass die EU-Länder sich in Energiefra- gen inzwischen völlig unterschied- lich entwickelt haben. Und wenn der Kommission wirklich an einem einheitlichen EU-Energiemarkt ge- legen ist, muss sie sich fragen las- sen, warum ihre konkreten Vor- schläge zehn Jahre nach dem Start der Liberalisierung kommen.

Der Emissionsrechtehandel zeigt: Es ist nicht das erste Mal, dass Brüssel unüberlegt Alternativkon- zepte vorschlägt, die dann noch weniger umsetzbar sind als die Ur- sprungspläne. Es erstaunt doch, dass die Kommission mittels Bra- chialmethoden – der eigentums- rechtlichen Trennung von Netz und Betrieb – krampfhaft Wettbewerb auf dem Energiemarkt einfordert.

Richtig ist, dass auch Deutsch- land es versäumt hat, wirklichen

Wettbewerb umzusetzen. Es hat keine ordnungspolitischen Maß- nahmen ergriffen, den Markt sich selbst überlassen. Doch im Ener- giebereich schafft reiner Wettbe- werb Monopole. Mit der Konse- quenz, dass 90 Prozent des Strom- markts von den vier großen Versor- gern Eon, RWE, Vattenfall und EnBW dominiert werden. Seit 2006 kontrolliert endlich eine Regulie- rungsbehörde die Netzentgelte.

Das bewirkt schon einmal, dass auch externe Anbieter Strom diskri- minierungsfrei einspeisen können.

Sieht man von mög- lichen verfassungs- rechtlichen Proble- men infolge der von Brüssel gewünschten eigentumsrechtlichen Abtrennung der Netze ab: Welche konkreten Umsetzungsmöglich- keiten bestehen über-

haupt, wer würde die Netze kaufen und betreiben, wenn nicht die gro- ßen vier? Der Staat könnte kaum die finanziellen Mittel aufbringen.

Zudem ist der staatliche kontrol- lierte Netzbetrieb, ähnlich wie in Italien, zu Beginn der Liberalisie- rung sinnvoll, aber nicht, nach- dem privatisiert wurde. Eine realis- tischere Möglichkeit wäre, dass ein unabhängiger Systembetreiber die Kontrolle über die Netze über- nimmt, das Eigentum daran je- doch bei den Unternehmen bliebe.

Das will Brüssel aber nicht.

Wer soll die Netze dann betrei- ben? Es gibt nur wenige Ener- gieunternehmen, die die Finanz- kraft hätten, um das gesamte deut- sche Leitungsnetz aufzukaufen.

Und: Es würde kaum mehr Wettbe-

werb herrschen, wenn beispiels- weise der französische EDF-Kon- zern die Netze kontrollierte.

Wer käme noch infrage? Viele kleine Anteilseigner, wie im engli- schen Modell des „National Grid“?

Sicher wäre eine Beteiligung für Energieunternehmen oder auch für Fondsgesellschaften interes- sant. Wichtig wäre bei diesem Mo- dell, dass die Qualitätssicherung gewährleistet bleibt, denn wer al- lein auf Gewinnmaximierung aus ist, wird die hohen Investitionskos- ten des Netzbetriebs scheuen.

Bei allen möglichen Varianten muss be- dacht werden, dass die deutschen Ener- gieunternehmen im Vergleich zu ihren eu- ropäischen Wettbe- werbern geschwächt werden. Dies bekla- gen auch britische Energieanbieter, die künstlich kleingehalten werden und sich ge- gen die Eons dieser Welt schwer behaupten können. Solange also scharfe Wettbewerbsregeln nicht überall gelten, werden durch eine Zerschlagung deutscher Versorger in erster Linie die ausländischen Wettbewerber gestärkt. Dies gilt nicht nur für den Strommarkt, sondern auch für den Gasmarkt.

Sicher ist es wünschenswert, ei- nen wettbewerblichen Gasmarkt zu schaffen. Nur wird man den le- diglich auf der Nachfragerseite etablieren können, nicht auf der Angebotsseite: Neueste Entwick- lungen in Russland und Algerien zeigen, dass sich auf der Angebots- seite ein Gaskartell ähnlich dem Ölkartell Opec bildet.

Der Wettbewerb auf dem Gas- markt könnte so aussehen, dass sich der Preis an der Börse frei bil- det. Zudem müsste dritten, unab- hängigen Energieunternehmen er- laubt werden, direkt Verträge mit Anbietern abzuschließen. Die Ein- führung der Gasbörse würde einen Marktpreis etablieren, der vom Öl- preis entkoppelt ist. Die Verbrau- cher würden allerdings enttäuscht sein, dass dies nicht notwendig zu sinkenden Gaspreisen führt.

Das ist Zukunftsmusik. Für heute gilt: Solange in Europa ein so starkes Ungleichgewicht in der Entwicklung der nationalen Ener- giemärkte besteht, sind Vorschläge wie die der EU-Kommission un- durchdachte Schnellschusslösun- gen. Da Deutschland seit Beginn der EU-Liberalisierung im Jahr 1998 im Energiesektor so gut wie keine Wettbewerbspolitik betrie- ben hat, wäre eine Entflechtung der großen vier Energiekonzerne ein zu tiefer Eingriff und nicht kon- sistent mit der bisherigen Politik.

Stattdessen sollte eine EU-Regu- lierungsbehörde alle Länder glei- chermaßen unter Preisaufsicht stellen und die Qualität der Netze kontrollieren. Dies würde kurzfris- tig und ohne lange Verfassungskla- gen umsetzbar sein und könnte machtmissbräuchliche Preisge- staltung verhindern. In einer Zeit, in der andere Länder Energie als strategische Ressource begreifen und Energieunternehmen ver- staatlichen, ist Wettbewerb um je- den Preis schädlich für die heimi- sche Wirtschaft.

CLAUDIA KEMFERT ist Energieexpertin am DIW in Berlin.

ZITAT DES TAGES

„Wir haben sie selbst erschaffen, wir haben unsere Mitarbeiter un- ter ihr Joch gestellt – jetzt müssen wir sie wieder abschaffen“

Michael Dell, Chef des PC-Herstellers Dell, über die ihm zufolge überbordende Bürokratie in dem Konzern

Sebastian Derungs/Reuters

MONTAG, 5. FEBRUAR 2007 FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND

26 KOMMENTAR

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Die Konservativen müssen zeigen, dass Wachstum und Umweltschutz

vereinbar sind

Ende der Hegemonie

Die amerikanische Rechte hat ihre ideologische Vormachtstellung verloren. Die Klimadebatte und das Irakdebakel treiben die Konservativen in die Defensive – die geistige Opposition wird ihnen guttun

VON GIDEON RACHMAN

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onald Reagan ist tot, Margaret Thatcher senil. Die ideologische Welt, die sie ge- schaffen haben, stirbt jetzt mit ihnen.

Von 1979 bis 2004 hat die politische Rechte den Kampf der Ideen in der westlichen Welt für sich entschieden. Die Konservativen triumphierten, weil sie bei den beiden großen Themen dieser Ära richtig lagen: Sie waren für freie Märkte und gegen den Kommunismus. Doch jetzt herrscht Durcheinander in der Rechten, weil sie bei den beiden Themen, die heute die Politik des Wes- tens beherrschen, auf der falschen Seite steht:

Klimawandel und Irakkrieg.

Die meisten Menschen reagieren auf neue politische Themen wenig rational. Die Men- schen, die 2003 an Demonstrationen gegen den Irakkrieg teilnahmen oder vor der drohenden Klimakatastrophe warnten, waren für viele Po- litiker vom rechten Flügel genau diejenigen, die in den vergangenen 25 Jahren immer falsch ge- legen hatten: In den 70er-Jahren hatten diese Leute davor gewarnt, dass der Welt das Öl aus- gehen werde. In den 80ern hatten sie sich gegen die Privatisierung gewandt. Und 1991 waren sie gegen den Golfkrieg auf die Straße gegangen. Es waren ernste Männer in Strickjacken und grim- mige Frauen in Gesundheitsschuhen.

Der Gedanke, dass diese Menschen in ir- gendeinem Punkt recht haben könnten, war of- fen gesagt unerträglich. Doch sie hatten eben in zwei Punkten recht: beim Klimawandel und beim Thema Irak. Die globale Erwärmung stellt den Glauben der Rechten in die Märkte auf eine ernste Probe. Sie ist, wie der britische Finanz- minister Gordon Brown sagte, „das weltgrößte Marktversagen“.

Erschütterte Weltanschauung

Schlimmer noch ist, dass die meisten Vor- schläge zur Bekämpfung des Klimawandels Aspekte enthalten, die die Rechte traditionell ablehnt. Dazu gehört die weltweite Kontrolle in Form von Monsterabkommen wie dem Kioto- Protokoll. Da sind Beschränkungen der Freiheit des Einzelnen, weil gefordert wird, dass höhere Steuern die Menschen vom Autofahren und von Billigflügen abhalten sollen. Da ist die neue Betonung des Lokalen im Gegensatz zur Globa- lisierung. Und da ist Widerstand gegen die Theorie, dass mehr Wirtschaftswachstum im- mer erstrebenswert und haltbar ist.

Zudem schadet das Irakdebakel dem intel- lektuellen und moralischen Selbstvertrauen der Rechten. Die Weltanschauung von Reagan und Thatcher fußte auf dem festen Glauben an mili-

tärische Stärke und auf dem unerschütterlichen Vertrauen in die moralische Überlegenheit der westlichen Demokratien. Als 1989 der Kalte Krieg gewonnen wurde, gab sich die Rechte ei- nem überschwänglichen Universalismus hin.

Die jubelnden Menschenmassen in Prag und im Baltikum schienen der schlagende Beweis dafür, dass alle Menschen tatsächlich nach denselben Dingen streben und dass die westli- che Formel für Freiheit und Wohlstand unbe- grenzt exportiert werden kann.

Die Zuversicht, die aus dem Sieg im Kalten Kriegs entstanden ist, rief das Vertrauen hervor, in den Irak einzumarschieren. Das Versagen dort droht die moralische Sicherheit zu unter- graben, die Thatcher und Reagan der Rechten eingeimpft hatten, und den Glauben in die Wir- kung von militärischer Gewalt und die Export- fähigkeit der Demokratie zu schwächen.

Eine ideologische Revolution zeichnet sich dadurch aus, dass parteipolitische Kategorien

schnell nicht mehr relevant sind. Reagans und Thatchers wahrer Triumph kam, als ihre Ideen von ihren Nachfolgern aus dem Mitte-links-La- ger übernommen wurden. Bill Clintons bedeu- tendste innenpolitische Leistung war eine Sozi- alreform. Die basierte auf Ideen, die ursprüng- lich von konservativen Sozialkritikern geäußert worden waren. Der britische Premierminister Tony Blair weigerte sich, die Gewerkschaftsre- formen rückgängig zu machen, die Thatcher durchgeboxt hatte. Blairs Irakpolitik, in der er sich stets auf die „besondere Beziehung“ zu den USA beruft, ist Thatcher-Politik erster Güte.

Natürlich gibt es in der Rechten einige Unver- besserliche, die die globale Erwärmung nach wie vor als Hysterie abtun und sagen, die Irak- mission werde gut ausgehen. Wer weiß, viel- leicht werden sie eines Tages sogar bestätigt.

Doch die politische Debatte haben sie bereits

verloren. Sie haben sich so weit von den bishe- rigen Denkweisen entfernt, dass sogar die Kon- servativen in Großbritannien und die Republi- kaner in den USA eher linke Positionen beim Klimawandel und in der Irakfrage vertreten.

Neue Rolle der Rechten

Viele US-Republikaner ändern bereits jetzt ihre Ansichten. John McCain, ihr führender Präsi- dentschaftskandidat, und Arnold Schwarzen- egger, ihr wichtigster Gouverneur, fordern ein schärferes Vorgehen gegen den Klimawandel.

Überdies herrscht unter den Republikanern bei Weitem keine Einmütigkeit, was Bushs neue Truppenaufstockung im Irak anbelangt. Diese Tendenzen innerhalb der Partei dürften sich verstärken, wenn die Sorgen über die Erderwär- mung und den Irak weiter wachsen.

Das alles klingt, als ob die Konservativen den Schwanz einziehen und kapitulieren sollten.

Aber diese Sichtweise ist viel zu düster. In der neuen ideologischen Ära erfüllt die Rechte eine defensive und eine offensive Funktion.

Die defensive Rolle besteht darin, eine Über- reaktion auf den entstehenden Konsens in der Klima- und Irakfrage zu verhindern. Die Rechte lag nicht falsch damit, ihre alten antikapitalisti- schen, antiwestlichen Feinde in den Koalitio- nen ins Visier zu nehmen, die als Erste auf diese Themen ansprangen. Es gibt radikale Stimmen, die versuchen werden, eine Welt zu schaffen, in der niemand mehr einen Billigflug bucht – und in der die Globalisierung allmählich rückgängig gemacht wird. Es wird die Aufgabe der Konser- vativen sein zu zeigen, dass Wachstum und Umweltschutz vereinbar sein können. Außer- dem ist die Katastrophe im Irak eine gute Nach- richt für die Antiamerikaner in Europa und die Isolationisten in den USA. Gegen beide müssen die Konservativen die Stellung halten.

Doch die Rechte kann viel mehr leisten als nur Schadensbegrenzung. Ein Großteil des Ge- dankenguts der Reagan-Thatcher-Ära – Privati- sierung, Reform der Gewerkschaften, ein neues Denken beim Sozialstaat – wurde in Opposition zum Konsens der 60er- und 70er-Jahre entwi- ckelt. Nach einer langen Zeit der geistigen He- gemonie könnte eine Zeit in der ideologischen Opposition genau das sein, was die angloame- rikanische Rechte braucht.

E-M AIL leserbriefe@ftd.de

GIDEON RACHMAN ist Kolumnist der FT. Christian Schütte schreibt am 19. Februar wieder an dieser Stelle.

POSTEI NGANG

Zum Kommentar „Ringen im Freistil“

über Deals in Wirtschaftsstrafsachen, FTD vom 1. Februar

Erkämpftes Urteil

Das mittels „Deal“ zustande ge- kommene Urteil gegen Peter Hartz zeichnet sich weniger durch die Er- forschung der Wahrheit aus als durch Sondertarife zur Spezialbe- handlung von Angeklagten. Es sollte daher auch so benannt wer- den: als „das im Freistilringen zwi- schen Richtern, Staatsanwälten, Verteidigern und dem Angeklagten zu verkündende Urteil“. Die ge- bräuchliche Formulierung, dass das Urteil „im Namen des Volkes“

ergeht, ist in diesem Fall meilen- weit weg von der Realität und trägt daher lächerliche Züge.

Erich Wollanka, Heilbronn

Zum Leitartikel „Ende der Schonzeit“

zum Erbschaftsteuerurteil des Bundesver- fassungsgerichts, FTD vom 1. Februar

Verantwortung fördern

Fernab aller emotionalen Gedan- ken, die man mit Haus und Hof verknüpft, ist es doch logisch, dass 100 000€ nicht das Gleiche bedeu- ten wie ein Häuschen mit Garten.

Im Gegensatz zum letztgenannten ist Geld nämlich nicht ein Wert an sich – und sollte daher auch steuer- rechtlich anders eingestuft werden.

Nach dem Urteil wird das künftige Erbschaftsrecht das anders sehen:

Wo der Staat Privateigentum schüt- zen sollte, zerstört er mitunter Exis- tenzen, indem er höhere Erbschaft- steuern für Immobilien und Be- triebsvermögen erhebt. Eine Im- mobilie oder einen Betrieb zu er-

ben heißt auch, Verantwortung zu übernehmen. Wenn Verantwortung künftig nicht mehr gefördert wer- den soll, wo bleibt dann der Anreiz, echte Werte zu erhalten?

Regine Müller, Hornburg

Zur Kolumne „Was der Chef wert ist“

von Christian Schütte, FTD vom 22. Januar

Zu wenig Kapitalismus

Für jeden außer Kommunisten sollte klar sein, dass es zu viel Geld bei Managergehältern nicht gibt, sondern nur zu viel Geld in Bezug auf die erbrachte Leistung. Die Leistung aber wird in der freien Wirtschaft durch den Erfolg auf dem Markt definiert. Oder – eine wichtige Ergänzung – durch den Misserfolg. Daher ist nichts dage- gen einzuwenden, wenn ein sehr erfolgreicher Manager sehr viel ver- dient. Diese Logik bedeutet aber auch, dass ein erfolgloser Manager eine finanzielle Verantwortung für sein Scheitern übernehmen sollte – einschließlich der Verpflichtung, für den Schaden des Unternehmens teils mit eigenem Vermögen zu haf- ten. Das System der Vorstandsge- hälter leidet nicht an zu viel Kapita- lismus, sondern – genau umgekehrt – an zu wenig Kapitalismus.

Prof. Boris Kotchoubey, Hechingen

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