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Caspar David Friedrichs ästhetischer Protestantismus

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Werner

Busch Caspar David Friedrichs ästhetischer Protestantismus

Ästhetische Erfahrungen machen Künstler wieRezipienten, siesind notwendig nicht identisch,sondern bedingt von jeweilsMitgebrach­

tem. So ist alles Urteil relativ.Was der Künstler aufnimmt, wie er es wiedergibt, was seineZeitgenossen dazusagen, wie spätere Genera­ tionen darauf reagieren - überallschieben sich Filter dazwischen, die das eine nichtmit dem anderen identischsein lassen. Diese Einsicht ist heute ein Gemeinplatz, und es wird methodisch auf unterschied­

liche Weise darauf geantwortet.DasWerk ist nichts objektiv Gege­

benes, sondern etwas subjektiv Gestaltetesundsubjektiv in Anspruch Genommenes. Die fehlende Objektivität scheint nicht nur alle Interpretationsbemühung in Frage zu stellen, sondern auch den Statusdes Werkes selbst. Gibt es überhaupt soetwas wie den Kern einesWerkes, und ist erästhetischer Inanspruchnahme zugänglich?

Fürdie Kunstgeschichte ist dies lange kein Problem gewesen. Einer­

seits hielt sie Bedeutung für historisch rekonstruierbarundverifi­

zierbar- das war die Überzeugung der Ikonologie Panofskyscher Provenienz -, andererseits strichsie die Eigenleistung der bildenden Kunst heraus, die ihr allein vorbehaltene Vermittlung durch An­ schauung alseiner eigenen Erkenntnisform, die sich nicht in der Übersetzung in Sprache erschöpft- dies wurde in der Tradition Conrad Fiedlers gedacht. Historische stand gegen ästhetische In­

anspruchnahme, vermittelt wurde zwischen den beiden Positionen nicht, schiendoch das Auseinanderfallen der Kunstbetrachtung in Kunsttheorieund Ästhetik, in KunstgeschichteundKunstkritik seit dem 18. und frühen 19.Jahrhundertdefinitivzusein. Glaubte die eine Position an die Möglichkeit einerpräzisen historischenSituierung, so die andere an eine überhistorische Verlebendigung. Die eine lief Gefahr, den Gegenstand eindimensionalwerden zu lassen, diean­ dere, ihn allein mit dem Besteck ästhetischer Überzeugung der Moderne zubehandeln.

DieForschung zu Caspar David Friedrich scheint geradezuideal­

typisch geeignet, sich das Problemzu verdeutlichen. Auf der »histo­ rischen« Seite konkurrierten bislangdrei Modelle,die alle mit Allein-

113 Originalveröffentlichung in: Küpper, Joachim ; Menke, Christoph (Hrsgg.):

Dimensionen ästhetischer Erfahrung, Frankfurt am Main 2003, S. 113-137

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Vertretungsanspruch auftraten.Der Einfachheit halber seien sie die religiöse, die politische und die naturmystisch-frühromantische Deutungsvariante genannt. Die religiöse geht davon aus, daß alle Gegenstände in Friedrichs Bildern Zeichencharakter im Sinne der verfaßten Religion haben. Aus der Addition der eindeutigreligiös verstandenenBildzeichen ergibt sich derGesamtsinn. Abgeglichen wird vor allem mit der lutherischen Gnadenlehre, der Friedrich nachweislich anhing. Gnadengewißheitauf Erden gibt es nicht, allein Hoffnung auf Erlösung nach dem Tode. Da Friedrichs Gegenstands­ repertoire begrenzt ist, die Gegenstände in ihrer Kombination sich wiederholen, sah mansich berechtigt, eine ArtBedeutungsregister zu entwerfen. DerMond bedeutetdies, der Felsjenes.1

Gegen die ausschließlichreligiöse Interpretation protestierte mit Vehemenzdie68er Generation - undersetzte die eine Einseitigkeit durch eine andere. Alldas an Gegenständlichem, dasbisher religiöse Konnotationenbekommen hatte, erfuhrnun politische. Der Mond bedeutet dies, der Fels jenes ... Nun istnicht zu leugnen, daßsich auch fürdiepolitische Ausdeutung guteGründe beibringen ließen.

Wenn man auch sagen muß,daß die Vertreterder politischen Aus­

deutung sich allzu direkt aneinemkleinen Buch von Hans-WolfJäger zur Politischen Metaphorik im Jakobinismusund imVormärz orientiert haben, zumal sie den metaphorischen Hinweischarakter mitsym­

bolischer Eindeutigkeit versahen. Dennoch: Friedrich hat in den FreiheitskriegeneindeutigPosition bezogen und ist seinen Grund­

überzeugungen auchim Vormärz treu geblieben. Die Verweigerung einer vollen Professur an der Dresdner Kunstakademie ist eine offensichtlich politische Maßnahme in Metternichschen Zeiten, und auch seine fortbestehende Freundschaft mitErnst MoritzArndt, Dietrich Reimer und Friedrich Schleiermacher, samt undsonders

»Demagogen« unter Beobachtung, spricht eine deutlicheSprache.

Die weitere Verwendung der Demagogentracht im Bilde,nachdem sie längstverboten war,weist in dieselbe Richtung.2

1 Vor allem: H. Börsch-Supan, K. W. Jähnig, Caspar David Friedrich. Gemälde, Druckgraphik und bildmäßige Zeichnungen, München 1973.

2 Vor allem: B. Hinz, H.-J. Kunst, P Märker, P Rautmann, N. Schneider, Bürgerliche Revolution und Romantik. Natur und Gesellschaft bei Caspar David Friedrich, Gießen 1976: folgend: H.-W. Jäger, Politische Metaphorik im Jakobinismus und Vormärz, Stuttgart 1971.

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So stehen sich zwei Lektüreweisengegenüber, die beide, wiegesagt, mit Alleinvertretungsanspruch auftreten, ohne zu fragen, ob nicht der jeeindeutigen Zuweisungbestimmter Bedeutungzu einzelnen Ge­ genständen ein schlichter Denkfehler zugrunde liegt, der der be­ sonderen Sprachlichkeit derFriedrichschen Bilder womöglich nicht gerecht wird. Die drittePositionscheint in einer souveränen Uber- bietungsgeste die konstatierte Einseitigkeit zu vermeiden. Sie inter­ pretiert religiösewie politische Deutungin abgeschwächterForm, indemsie sie dialektischin einemÜberbau ausliteraturtheoretischen und philosophischen Versatzstücken desfrühromantischen Denkens aufhebt. Im Sinne Friedrich Schlegels und Clemens Brentanos be­ greiftsie dieFriedrichscheNaturwiedergabe als fragmentarisch, mißt den Gegenständen den Charakter von Denksteinen zu, läßt den Betrachter den in dieser oder jener Richtung angedeuteten Sinn fortschreiben-wasSchlegel Kritiknennt - und vermeintso, injedem Bilde Friedrichs eine Ahnung des universalen Zusammenhanges ausgesprochen zu sehen. Diese wieder auf Friedrich Schlegel zurück­

führendenaturmystische Vorstellung einer angestrebten Vereinigung mit dem Universum angesichts einer alsfragmentarisch erfahrenen Wirklichkeitmitsamtseiner utopischen,projektiven, bald aber auch konservativ rückwärts gewendeten Dimension soll den Schlüssel für das Verständnis der Friedrichschen Bilder liefern. Scheinbargeriert sich diese Position sehr viel flexibler, sie läßt Deutungsspielraum, beteiligt den Betrachter, konstatiert die tendenzielle Sinnoffenheit des Werkes und hat von daher mit einiger Notwendigkeit den Zeitgeist bis zum heutigen Tag aufihrerSeite.3

Und doch:letztlich istauch diesePosition nicht weniger einseitig als die beiden zuvor charakterisierten es sind. Denn mit welcher Berechtigung werden die Friedrichschen Bilder vor der Folie der frühromantischenTexte gelesen, wodurch soll es gerechtfertigt sein, beinahe wahllos mit Bruchstücken aus den Konfessionenvon No­

valis, Tieck,Schlegel oder Schelling - um nurdie erste Garniturzu nennen- die Friedrichschen Bilder zu erhellen? Abgesehen davon, daß die eigentliche frühromantische Literatur spätestens 1803/04an ihr Ende kommtund dann in katholisches Fahrwasser gerätund der Erzprotestant Friedrich erst um 1806 mit der Malerei beginnt,

3 Vor allem: Ausstellungskat. Caspar David Friedrich 1774-1840. hg. v. W. Hofmann, Hamburger Kunsthalle, München 1974.

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verlieren die frühromantischen Versatzstücke in ihrer beliebigen Verwendungnicht nur ihren historischen, sondernauch ihrensyste­ matischenOrt im Denken ihres jeweiligen Vertreters.

DasUnheil, das die kunsthistorischeLiteraturmit dem berühmten von Brentano und von Arnim ursprünglich formulierten und von Kleist grundsätzlichüberarbeitetenText zu Friedrichs »Mönch am Meer«angerichtet hat, sprichtindieser Hinsicht Bände. Da sie die Anteile der Autorennicht zuscheiden wußte, konnte sie die grund­ sätzliche Differenz in den Interpretationen vorallemvon Brentano und Kleist nichterkennen -der eine sieht erst aufgerufenessehn­ süchtiges Verlangenschließlich verweigert, der andereeinen erhabe­

nen Gegenstand vor sich.4 Obdas eine wiedas andere dem Fried- richschen Bild gerecht wird, kannsieso garnichterst fragen. Letztlich erweist sich auch die dritte Position als eine unreflektierte Zumutung an das Werk des Künstlers, bei allem Erkenntnisgewinn, den die FriedrichscheKunst ausdiesem Blickwinkel auch erfahren kann - aber den erfuhr sie genauso vorder religiösen wie der politischen Folie. Methodisch bleibt auch die dritte Herangehensweise unbe­

friedigend. Daß sie auch heute noch unhinterfragt Gültigkeit hat, liegt an ihrer Kompatibilität mit einer Semiotik in Ecoscher Tradi­

tion,mitdem Poststrukturalismusundder Diskurstheorie. Dennhat sie nicht das Werk alsoffenes begriffen, hat sie nicht den Anteil des Betrachters zugelassen, etwaige Sinnhierarchien aufgehoben, Ein­

deutigkeitenund Einseitigkeitenvermieden, hat sie nicht heterogene Sinnzuweisungen für denkbar erklärt, die Tür für vernachlässigte Diskurse geöffnet? Ist nicht zumindest die naturmystisch-frühro­ mantische Position ohnegroße Probleme mit derartigen,die Gegen­ wart umtreibenden Fragen zuverknüpfen? Es scheint so. Doch wird zu zeigen sein, daß, selbst wenn manall dies noch im heutigen Sinne kulturgeschichtlich überbietet, die Eigenheit des Friedrichschen Werkes so eher zugedeckt wird.

Doch auch die »überhistorisch ästhetische« Position, so erhellend auch sie imeinzelnen sein mag,hilft nichtwirklich weiter, da sie nicht

4 Eine Fülle von germanistischen Aufsätzen hat diese Zusammenhänge inzwischen geklärt, am wichtigsten: C. Begcmann, »Brentano und Kleist vor Friedrichs >Mönch am Meer-. Aspekte eines Umbruchs in der Geschichte der Wahrnehmung«, in:

Deutsche Vierteljahrsschriftftir Literaturwissenschaft und Cieistesgeschichte, 64 (1990), S. 54-95-

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inder Lage ist, ihre ästhetischen Kriterien zu historisieren. Im Falle Friedrichshatein sehr subtiler, äußerst sensibel von der Anschauung ausgehender Aufsatz Michael Brötjes, derin bewußter Konkurrenz zum religiösen wiezum politischenDeutungsmodell verfaßt wurde, dies dennoch offensichtlich gemacht. Alle Kunst Friedrichs wird interpretiert als vorsätzliche Transzendenzeröffnung, die selbstnicht spezifiziert wird. Das Numinose alsverhüllter Wesenskern des wahren Kunstwerkes wird über die ästhetische Erfahrung der Bildgestalt evoziert - underweist sich inseiner scheinbaren Übergeschichtlichkeit als einesehr direkte Übertragung einesInterpretationsmodells, das an der Beschäftigung der Forschung mit dem Werk von Rothko und Newmangewonnen wurdeundinsofern, ohne daß es zu Bewußt­

sein gekommen wäre,ausgesprochen zeitgebundenist.5 Wir scheinen um die Historisierung derästhetischen Erfahrung nicht herumzu­ kommen, wohl wissend,daß auch dies nichtbruchlos aufgehenkann, zu belastend dürfte dasGepäcksein,das die Gegenwart auch uns mitgibt. Unddennoch: Die Reflexion über dieses Problem ist ge­ fordert.

Noch ein weiteres Problem tutsichauf: Friedrichs Werk entstehtzu einem Zeitpunkt, als die AutonomiederKunst, ihre Selbstreferen- tialität, von Moritz, Kantund Schiller bereitstheoretisch begründet worden ist. Moritz bedenkt die Produktions-unddie Rezeptionsseite gleichermaßen: »Das Schönewill ebensowohl bloß umsein selbst willen betrachtet und empfunden, als hervorgebracht seyn.«6 Die Existenz des Autonomiekonzeptes ist auch Resultat einesVerlustes des gesellschaftlichen Ortes für den Künstler. Seine jahrhunderte­

langen AuftraggeberKirche und Staat entfielen weitgehend, erhatte sich voreiner sehr viel breiteren Öffentlichkeit zu legitimieren,die darauf mit den Mitteln neu entstehender Kritik reagierte. Der Künstler antwortete aufdiese Öffentlichkeit, indemer siezueinem überhistorischen Abstrakt stilisierte. Asmus Jakob Carstens schrieb 1796 an den Staatsminister von Heinitz nach Berlin, der ihm ein Akademiestipendium für einen Romaufenthaltverschafft hatte und

5 M. Brötjc, »Die Gestaltung der Landschaft im Werk Caspar David Friedrichs und in der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts«, in: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen, 19 (1974), S. 43-88.

6 K P Moritz, Schriften zur Ästhetik und Poetik, hg. v. J. Schrimpf, Tübingen 1962, S. 85 (Über die bildende Nachahmung des Schönen. 1788).

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nun Resultate dieser Staatsinvestition in Berlinsehen wollte: »Übri­

gens muß ich Euer Exzellenz sagen, daßich nicht derBerlinerAka­

demie,sondernder Menschheit angehöre; undnieist es mir in den Sinn gekommen, auch habe ich nie versprochen, mich für eine Pension,die man mirfür einige Jahre zur Ausbildung meines Talents schenkte, auf Zeitlebens zum Leibeigenen einerAkademie zu ver­

dingen.Ich kann mich nur hier, unter den besten Kunstwerken, die in der Welt sind, ausbilden, und werde nach meinen Kräftenfortfahren, mich mit meinen Arbeiten vor der Welt zu rechtfertigen.«7

Carstensrekurriert direkt aufKant, mit dessen Kritik der Urteils­ kraft von 1790 ihn seinengerFreund CarlLudwigFernow vertraut gemacht hatte, weicherfür die deutschen Künstler in Rom Vorle­

sungen über die Kantische Philosophie hielt. In seiner Carstens- Monographievon 1806, einem der ersten eigentlichen kunsthistori­ schen Bücher, schreibt Fernow: »Die freigewordene Kunst,der Stütze aberauch zugleich des Zwanges der Religion enthoben, mushinfort auf sich selbstruhen[..,]«8 Diese Passageist nicht nur wegen ihres Autonomiegedankens wichtig, sondern auchweil sieinder Bemer­

kung zum Zwang derReligion indirektaufeinen radikalen Bruchmit der tradierten, über Jahrhunderte verbindlichen,normativ geregelten Kunst undihrer Sprache hinweist.Fernow hatte vorher geschrieben:

»[...] dass die abgeschmakten, bis zum Ekel wiederholten Darstel­ lungen aus der katolischen Mitologie und Matirologie endlich einmal aufgehört haben,die bildenden Künste zu beschäftigen.«9

Biszu einemgewissen Grad konnte Caspar DavidFriedrich diese Radikalposition unterschreiben, auch er sah einen grundsätzlichen Bruch mit der Vergangenheit, das erklärt seine an Schärfe nicht zu überbietendenAngriffe aufdie Kunst der Nazarener, deren Ziel,

7 C. L. Fernow, Carstens. Leben und Werk, hg. und ergänzt v. H. Riegel, Hannover 1867, S. 141. Ausführlich hierzu: W. Busch, »Akademie und Autonomie. Asmus Jakob Carstens’ Auseinandersetzung mit der Berliner Akademie«, in: Ausstellungs­

kat. Berlin zwischen 1789 und 1848. Facetten einer Epoche, Akademie der Künste Berlin, Berlin 1981, S. 81-92.

8 C. L. Fernow, Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens, Ein Beitrag zur Kunst­

geschichte des achtzehnten Jahrhunderts, Leipzig 1806, S. 251. Hierzu: W. Busch,

»Umrißzeichnung und Arabeske als Kunstprinzipien des 19. Jahrhunderts«, in:

Buchillustration im 19. Jahrhundert, hg. v. R. Timm, Wiesbaden 1988, S. 117-148, bes. S. 127-131.

9 Ibid., S. 250.

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imStil der alten Meister, in vermeintlich naiver Form, die religiö­

sen Themen wiederzubeleben,um den Glauben zu befestigen, ihm hochgradigunangenehmwar. Friedrich schreibt in seinen kunsttheo­ retischen Äußerungen, die um 1830entstanden sind:»Ist es aber nicht, wenn wir aufrichtig sein wollen etwas widriges ja oft ekelhaftes:

vertrocknede Marien mit einem verhungerten Jesuskinde im Arm zu sehenund mit papirnen Gewändernbekleidet.Oft auch mitAb­

sichtverzeichnetund gefließendlich Verstößegegen Linienund lüft Perspectiv gemacht? Alle Fehler jener Zeit äfftman teuschend nach, aber das Gute jener Bildwerke: das tiefe, fromme,kindlicheGemüth was diese Bilder [deralten Kunst] so eigendlich beseelt läßt sich freilich nicht mitden Fingern nachahmen und eswirdden Heuchlern nie gelingen,selbst dann noch nicht wenn man auch mitderVer­

stellung so weit gegangen und katholisch geworden. Was unsere Vorfahrenin kindlicher Einfalt thaten, daß dürfen wirbei besserer Erkenntniß nicht mehr thun.«10IndieselbeKerbe haut diefolgende Bemerkung: »Einmal italienisch einmal Niderländisch auch altteuts sich aussprechen, ehren undloben unsere Kunstrichter, aber nach eigenemGefühl nach eigenerArt seineEmpfindungenaussprechen wissen sie nichtzu erkennen.«11 Friedricherkenntalso diehistori­

stische Dimension eines Gutteils der zeitgenössischen Kunst und lehntsie grundsätzlich ab. Eine Erneuerung der religiösenKunst mit denMitteln der altenKunst erscheint ihm unmöglich. Dasheißt aber auch, daß Friedrich an der Tragfähigkeit des tradierten Themen­ repertoires für die Gegenwart zweifelt. DaGott, wie Friedrichals überzeugterLutheraner imZusammenhang mitseinem »Tetschener Altar« schreibt, nichtmehr unmittelbar auf Erden wandelt,mit Jesu Lehreeine alte Welt starb,12 ist es am Gläubigen,dieseGottesferne zu reflektieren, und amKünstler, dieserReflexionAusdruck zu geben.

Reflexionsgegenstand ist für Friedrich alleindie Natur. Und genau an dieser Stelle hakendie Vertreter der naturmystisch-frühromantischen Deutungsvariante ein und häufen Bruchstücke frühromantischen

10 C. D. Friedrich, Äußerungen bei Betrachtung einer Sammlung von Gemählden von größtenteils noch lebenden und unlängst verstorbenen Künstlern, Kritische Edition der Schriften des Künstlers und seiner Zeitzeugen I, bearb. v. G. Eimer, Frankfurt am Main 1999, S. 82, Z. 1860-1878.

11 Ibid., S. 22, Z. 102-107.

12 Caspar David Friedrich in Briefen und Bekenntnissen, hg. v. S. Hinz, Berlin 1984, S.137-

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pantheistischen Denkens aufFriedrichs Werke, könnensich in ihrem Tun sogargerechtfertigt sehen durch daseine oderandere panthei­

stische Einsprengsel in Friedrichs schriftlichen Äußerungen. Man sollte allerdings nachdrücklich betonen, daß Friedrich derartige Bemerkungen immer gleich wieder zurücknimmt. Das Aufgehen deseinzelnen imAll,die Verschmelzung mit Naturund Gott ist für Friedrich undenkbar. Sehnsuchtdanachmag ihn treiben,dochhat er sich in Demut zu üben im Wissen darum, daß der göttliche Gnadenerweis ihnallenfalls nachdem Tode erwartet. Doch wichtiger istetwas anderes.Wenn der Reflexionsgegenstand des Religiösen für Friedrich die Natur ist, dann sollte zur Erklärung dieses Faktums nicht,um es verkürzt auszudrücken, auf die frühromantische Literar- theorie ausgewichen werden, sondern ganz praktisch gefragt werden:

i. wie Friedrichs Auseinandersetzung mitder Natur in seinem Werk selbst sich vollzieht, und 2. mitwelchen Mitteln erden Reflexions­

vorgangveranschaulicht. Beides soll im folgenden in einiger Aus­

führlichkeituntersucht werden.

ZurBeantwortungder erstenFrage ist ein eindringlicherBlick auf dietechnischen Verfahren von Friedrichzu werfen; seine Zeichen­

praxis istzuanalysieren.ObersterLeitfaden ist fürihn die Verpflich­ tung auf unmittelbare Naturtreue,jedes noch sogeringeDetail ist es wert, festgehalten zuwerden, da essichGottesSchöpfung verdankt.

Beider Übernahmedes zeichnerisch Studiertenim Bilde tauchtes unter all den Erscheinungsbedingungen seiner Aufnahme wieder auf.

Um dies gewährleisten zukönnen, entwickelt Friedrich verschiedene Verfahren.InderFrühphase,besonders bei denZeichnungen zu den beiden Rügenwanderungenvon 1801, die für lange ZeitReferenz­ material für großebildmäßige und offenbar gut nachgefragte Sepien abgaben,ging es primärum die Aufnahmeeinesweiten Landschafts­ raumes.

Eine dieser Zeichnungen, datiert auf den 17. Juni 1801 (Abb. 1),ist, wie alle Rügenzeichnungen, genau zu lokalisieren, selbst wenn die Forschung dies bisherunzureichendgetan hat. Durch die aufden Tag genau datierten Zeichnungen läßtsich die Reiseroute Friedrichs für beideReisen genau rekonstruieren.13Am 17. Junijedenfalls hatte er

13 Dies hat getan, wenn auch mit einigen falschen Identifizierungen, die hier zu korrigieren sind: H. Zschoche, Caspar David Friedrich auf Rügen, Amsterdam, Dresden 1998, S. 17-27.

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Abb. l: Caspar David Friedrich: Rügen, 17. 6.1801, Feder in Braun, 219 x 394 mm, Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen

Dresden, Inv. Nr. C1926-42

auf einer leichten Anhöhe bei dem Ort Groß Stresow in unmittel­

barer Nähe derStresower Bucht gestanden und den Blicküberdie schmale,lange,kaum 300 m breiteHalbinsel, dasReddevitzer Höft, auf die sehr viel größere bergige Halbinsel Mönchgut gerichtet.

Rechts und links am Horizont ist das Festland zu erkennen. Wir möchten nicht ausschließen, daßFriedrich mit dem kurzen doppel­ tenFederstrich ganz rechtsam Rand auf derHorizontlinie den Turm unddas hohe SchiffdesGreifswalderSt.-Nicolai-Domsgemeint hat.

Auf Rügener Zeichnungen hat Friedrich gelegentlich die Türme von Greifswald amHorizont winzig klein vermerkt,einmalhat er gar den Städtenamendarübergeschrieben, so daß kein Zweifel an der Iden­ tifizierung bestehen kann.14 Ganz links aufder Zeichnung vom 17.Juni dagegen ist offensichtlicham Horizont derinderTat von Rügen bei klarem Wetter aus sichtbare leichte Höhenzug in der Region hinter Usedomund Wollin zu sehen. Damit hat Friedrich einenbreitenBlickwinkel von über 100° eingenommen, die Land­ schaft breitet sich panoramatisch aus.

Friedrichs Zeichnungen derfrühen Rügenreisen sindmit dünnem Bleistift vorgezeichnet, die Horizontlinie ist gelegentlich mit dem

14 Abb. ibid., S. 47, Abb. 40 (Hinz 407) und S. 129, Abb. 100 (BS 325).

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Linealvorgezogen, mitderFeder wird danndasnurschwach An­ gedeutete präzisiert. Es ist nicht unwahrscheinlich, daßFriedrich die erste zeichnerischeAufnahme mit Hilfe der Cameraobscura aufge­

nommen hat oder nach eineminKopenhagen gelernten Verfahren, der sogenannten Militärperspektive, wie siePanoramazeichner nut­ zen,um den Landschaftsblick in die Fläche zubreiten. Die nahsich­

tige Stresower Bucht jedenfalls ist mit einem Blick nicht aufzuneh­ men, der Zeichner hatden Blick zu wenden,was ihm das Problemder uneinheitlichen Perspektive bringt. Friedrichwar sich dieser Proble­

matik durchaus bewußt. In seiner um 1830 zu datierenden Aus­

stellungsbesprechung merkt er an: »Denn was die neueren Land­

schaftsmahler in derNaturin einen Kreißvon 180 Graden gesehen pressensieunbarmherzig in den Sehwinkel von 45 Gradezusammen.

Undwas alsoin derNaturdurch große Zwischenräume getränntlag berührt sich hier imgedrängten Raume, überfülltund übersättigt das Auge,und machtauf den Beschauereinen widrigen beängstigenden Eindruck.«15 Die Zeichnung vom 17. Juni1801 ist der Inbegrifffür die Wiedergabeder Erfahrung des freien schweifenden Blicks, der den Zwischenräumen, d. h. aber auch derLeereihrRecht im Bild gibt. Insofernist es nurkonsequent - wie zu zeigen seinwird daß die panoramatischen Zeichnungen von1801 direkt zum»Mönch am Meer« von 1810 führen, derdie gänzlich unklassische Entgrenzungs­ erfahrungzum Thema macht.

EineZeichnung der zweiten Rügenwanderungistauf den 17.Au­ gust 1801(Abb.2)datiertund war bishernichtzulokalisieren, obwohl sie oben eine Nummerträgt, N.4, und Friedrich in seinem Reise­

tagebuch einen kurzen Text zu dieser Zeichnung überliefert. Friedrich war am 16.August von Putbus aus, vorbei an Vilmirz wieder zur Stresower Buchtgewandert,dann offenbar in der Nähe vonGobbin am sogenannten Gobbiner Haken,einer kleinen Halbinsel,ehereiner Landzunge,dieeinen kleinen, noch heute existierendenHafenbirgt, mit dem Schiff zum Reddevitzer Höftundvon dort wohl wiedermit dem Boot über dieHagensche Wiek, eine größere Bucht, nach Gager auf Mönchgut gefahren. Die Fähren existieren noch heute, die Reiseführer ausder Zeit um 1800 überliefern die Route genau. Dies geschah am 17. August.

15 Friedrich, a. a. O. (Anm. 10), S. 70, Z. 1446-1455, mit der objektiv falschen Lektüre von »100 Graden« statt »180 Graden«.

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Abb. 2: Caspar David Friedrich: Küstenlandschaft mit Segelbooten auf Rügen, 17. 8.1801, Feder, Pinsel, Sepia, 2)6 x }66 mm, Kupferstich-Kabinett der

Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Inv. Nr. C1974-508

Doch wo hat Friedrichdann gezeichnet? Man hat gesuchtund ist irritierenderweise nicht fündig geworden. Resignierend hat man davon gesprochen, das Küstenprofil habe sich im Laufe der Zeit so stark verändert, daßder Ort nicht mehr auszumachen sei. Bei Friedrichs zeitlebensverspürter Verpflichtung dem Naturdetail ge­ genüber erscheint diesunwahrscheinlich. Und in der Tat läßt sich genaunachweisen, wo Friedrichgestandenhat,vorallem aber, was er dortbei der Naturaufnahmegetan hat. Er istvon Gager überdie HalbinselMönchguthinübergegangen-gute drei Kilometer -zum LobberStrand und hatdort zwei Zeichnungen aufgenommen. Die vorliegende Zeichnung ist am Lobber Ort gefertigt worden. Hier endet derGroße Strand. Ein Vorsprung mit seiner eherniedrigen Steilküste ragt ein Stück ins Meer, und dahinter bildet sich eine erneute Bucht bis zum Nordperdunderreicht den östlichenZipfel von Rügen beimSeebadGöhren mit seiner dramatischen Steilküste.

Auf dieses Nordperd istder Blick aufder Zeichnung gerichtet. Links alsohaben wirdieEcke von Lobber Ort, Schiffe, Steine und Netz­

reusen davor, dahinter erstreckt sich die Bucht bis zum Nordperd rechts im Bilde. Steht man jedoch am Lobber Ort und vollzieht

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Friedrichs Blick nach, so erscheint das Nordperd winzig und weit entfernt und man zweifelt an der Richtigkeit der Identifizierung, selbst wenn die Hügellinien übereinstimmen.

Was ist passiert? So sonderbar es klingt, Friedrich hatdurch ein Fernrohr geschaut und dasEntfernteherangeholt.Fotografiert man diesen Blick mit und ohne Zoom, so kann man diesen Effekt nachvollziehen. Friedrich hat die Dresdner Zeichnung quadriert, sie istalsofürdie Übertragung in ein ausgeführtes Bild gedacht, wir nehmen an, eine dergroßenSepien, diebis zu einem Meterin der Breitemessen konnten. Das heißt, die Steigerung derGrößenver­

hältnisse derentfernten Bucht undihres Küstenstreifens dientden Bilderfordernissen.Doch gilt es zu betonen, daß die Naturerschei­ nungimeinzelnen nicht verändert wurde.

Wir können dieses FriedrichscheVerfahrender Größensteigerung vonTeilbereichen, das sich mehrfach in seinem Werk findet,direkt belegen: durch eine Zeichnung mit dem Titel »Zwei Männer am Meeresstrand« (Abb.3). Sie wird gemeinhin um 1815 datiert, geht aber,wie erst spät erkannt wurde,16auf eine Zeichnung von 1801 zurück, und zwar die zweite Zeichnung, die am 17.August 1801 (Abb.4) aufgenommenwurde und unsden Blickvom Großen Strand in einiger Entfernungvon Lobber Ort mitdem entsprechenden Blick auf das Nordperdzeigt.Der Blickwinkel der beidenZeichnungenist fast identisch. Diese Zeichnung wiederumist die genaue Vorlage für die bildmäßigeZeichnungvon 1815gewesen. Undwennder Blick auf dasNordperd in der Zeichnung von 1801 denrealen Seherfahrungen vor Ort entspricht, das Nordperdalso weit entfernt ist, so ist die Steilküste auf der Zeichnung von 1815 nahe herangeholt worden. Der Vordergrundstreifen,auf dem die Rügenwanderer in Pellerine stehen, ein Strandstreifen mitschwachem Bewuchs, ist in der Form wort­ wörtlich bis in diekleinste Sandwehe aus der Zeichnung von 1801 übernommenworden, der Hintergrund, obwohl ebenfallsimDetail genau der Zeichnung von 1801 folgend, ist nahsichtig dahinter montiert worden, und wie dies geschehen ist,daszeigen die beiden Rügenwanderer im Bilde: derhinterehat demvorderen,derihnwohl auf das großeSegelschiffam Horizontverweist, einFernrohr aufdie

16 M. Ohara, Demut, Innerlichkeit, Gefühl. Betrachtungen über C. D. Friedrichs kunsttheoretische Schrifien und ihre Entstehungsumstände, Diss. Berlin 1983, S. 226-228.

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Abb. j: Caspar David Friedrich: Zwei Männer am Meeresstrand, um 1819, Feder, 172 x 186 mm, Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen

Dresden, Inv. Nr. C1919-20

Schulter gelegt, um es ruhig halten zu können. Wirjedoch, dieBe­

trachter, werden durch den Fingerzeig desvorderenWanderers auf die Küstenlinie zum Nordperd verwiesen, als wollte uns der Künstler sagen: Seht, sohabe ich es gemacht.

Nun hat Friedrich den Vordergrundstreifender Zeichnungvon 1801 nicht nur fürdie Zeichnung von 1815 genutzt, sondernauch für das Strandstück des»Möncham Meer« (Abb. 5), bei dem allerdings der Küstenstreifen im Hintergrund vollständig fehlt.17 Friedrich kann also über studierte Naturteile relativ frei verfügen, wenn es der jeweiligen Bildaussagedient. Neueste Röntgenfotos vom »Mönch am Meer«zeigen zudem,daßdie an Stangenim flachenWasser auf- 17 S. ibid.

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Abb. 4: Caspar David Friedrich: »Zickersches Höft« (recte: Lobber Großer Strand), 17. 8.1801, Feder mit Bleistift quadriert, 231 x 366 mm,

Hamburger Kunsthalle, Inv. Nr. 41094

Abb. 3: Caspar David Friedrich: Der Mönch am Meer, 1808-10, öl a. L., 110 x 171,3 cm, Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin -

Preußischer Kulturbesitz

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gehängten Reusen,dielinksund rechtssich sowohl aufder Zeich­ nung von1801wie auf der von 1815 finden, ursprünglich auch für den

»Möncham Meer« vorgesehen waren. Im Zuge derimmer weiter getriebenen Reduzierung des Bildrepertoires beim »Mönch am Meer« hat Friedrich auch dierahmendenReusen gelöscht und die gänzliche Offenheit zu den Rändern hin, die jeglicher klassischen abrundenden Geschlossenheit widerspricht, als Ergebnis eines län­ geren Reduktionsprozessesvorgeführt.

Wenn sich dasKonstruktionsprinzip der Zeichnung von1801 erst aus dem Vergleich mitden realen Gegebenheiten erschließen läßt, so neigt Friedrich seit dem Osloer Skizzenbuchvon1806dazu,verstärkt seitdem Skizzenbuch von 1807,ebenfalls in Oslo, die Zeichnungen mit schriftlichenoder ZeichenhaftenVerweisenzu versehen.Das häufigste Wort, das sich auf Friedrichs Zeichnungen findet, ist das Wort

»Horizont«. Überraschenderweise istdas nicht etwa nurbeiweiten BlickenindieLandschaft der Fall, sondern auch beieinzelnen Baum­ und Felsstudien. Zuerst findet sich diese Benennung im Osloer Skizzenbuch von 1807, das fastausschließlich dem Studium einzelner Kiefern, Tannen, Buchen, Eichen oder Sträuchergewidmetist.

Auf Blatt 8 des Osloer Skizzenbuches, einer Zeichnung vom 28. April1807 (Abb. 6), findet sich das Wort »Horizont« mit einer den wirklichenVerlauf des Horizontesdarunter andeutendenLinie rechts nebendem unteren TeileinergroßenTanne, der Horizont liegt alsoausgesprochentief. Warum diese genaue Angabe bei einerbloßen Baumstudie? Sinn macht die Angabe nur, wenn die angegebene Bedingung bei einer Übernahme derStudie ins Bild absolut ver­

pflichtendist, wenn also der Bildhorizont exaktder Horizontangabe inder zeichnerischenStudieentspricht- und das ist verblüffender­

weise immer undüberallbei Friedrich der Fall.Manchmal eröffnet sichsogar erst, wenn man den Zusammenhang erkennt,der tiefere eigentliche Sinn des Bildes. Die Tannenzeichnung von 1807 über­ nimmt Friedrich wortwörtlich in seine »Winterlandschaft mit Ka­ thedrale«von1811, die in verschiedenen Fassungenexistiert.Dieerst 1987 fürdieLondoner National Galleryerworbene Fassung(Abb. 7) stellt offensichtlich das Original dar.18 Die Tanne erscheintgroß im

18 Ausführlich zu den verschiedenen Fassungen: Ausstellungskat. Caspar David Friedrich. Winterlandschafien, hg. v. K. Wettengel, Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Stadt Dortmund 1990.

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Abb. 6: Caspar David Friedrich: Tannen- und Wolkenstudie, 28. 4.1807, Bleistift, }66 x 240 mm, Blatt 8 des Skizzenbuches von 1807, Oslo,

Nationalgalerie, Inv. Nr. B 16070

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Abb. 7: Caspar David Friedrich: Winterlandschaft, 1811, öla. L., $25x470 mm, The National Gallery London, Inv. Nr. NG 6517

Bild,vor ihrein Kruzifix, davorein im Schnee sitzender, an einen Felsblockgelehnter Invalide,derangesichtsdesKreuzes seine Krük- ken von sichgeworfen hat und nundasKreuzanbetet. Die in der Zeichnung angegebeneHorizontlinie bildet in der Schneelandschaft die einzigewaagerechte Linie, sie ist fürdie Bildordnung zentral.

Doch nicht nur das, wichtiger ist,daß sie zugleichin genauer Au­

genhöhe desInvaliden verläuft und so die Blickbahn in die Unend­ lichkeitaus dem Bild heraus markiert. ErstdieseUnendlichkeitslinie ermöglicht demInvaliden, ausgelöst vomKruzifix und seinem Gebet, die Visionder Kathedrale,als einZeichen von Erlösungshoffnung, zu erleben.

Auf einer Dresdner Zeichnung vom 17.Juni 1813 ist ebenfalls eine Tanne seitlich im unteren linken Teil von der Horizontangabe begleitet.Unterhalb des Baumesfindet sich eine Skizze mit weiteren angedeuteten Tannen, die offenbar an einem Abhang wuchsen, darunterfindensich dieWorte»indie Tiefe«. Friedrich macht also dieörtlichenGegebenheiten gesondert deutlich.EineFülle derartiger Angaben läßt sich auf Friedrichs Zeichnungen nachweisen. Obdas

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Licht von vorn odervon der Seite eingefallenist, ob ganze Teile im Schattenliegen,ob dieDinge von untengesehen wurden, wo der Vordergrund ansetzt, ob die Dinge eherim Mittel- oderimHinter­ grund gesehen werden: alles wird vermerkt, gelegentlich auch der Augenpunktoder dieFarbigkeitdes Himmels.

Von besonderer Bedeutung ist ein anderes Friedrichsches Markie­

rungsverfahren. Auf einer ganzenReihevon Zeichnungen finden sich Zahlenangaben, zumeist voni bisetwaio, gelegentlich aber auchvon i bis 50.Man hat dies in der Forschung als Farbangaben gelesen,doch findet sichnirgends eine Legende,die diese Angaben auflöste, auch würde dies bei einer Skalavon 1 bis50 keinen Sinn machen. Da die Zahl 1 sichgrundsätzlich in weitesterFerne, die höchste Zahldagegen ingrößter Nähe befindet, handelt es sich um Entfernungsangaben.

Allerdings drückt sich Entfernung in Friedrichs Bildern nach den Gesetzen der Luftperspektive in Tonabstufungen aus - insofern habendie Angaben wieder etwas mit Farben zu tun, mitFarbstärken.

DasVerfahrenstammtoffensichtlich aus der Sepiakunsttradition, in derdie Abstufungendes einenbraunen Grundtones in ihrer Hinter- einanderstaffelung Entfernungsverhältnisse markieren. Nicht immer folgtFriedrich der ZahlenabfolgeSchritt für Schrittvon 1 bis10.

Gelegentlich gibt es Sprünge - dies belegt um so mehr, daß Sprünge im Farbtonwert gemeint sind.

Zu erklären istdie Konsequenz, mitder Friedrich derNaturvorgabe folgt,nur, wenn manbegreift,daß Friedrich mit gänzlicher Über­

zeugung einem pietistischgeprägtem Protestantismus anhing. Nicht nurbetont der Künstler, daß jeder Gegenstand, und sei er noch so nichtig und deswegen noch nie dargestellt, dennochbildwürdig ist, sondern mehr noch ist es ihm darum zu tun, mit Nachdruck zu betonen: »DasGöttlicheistüberall, auch imSandkorn [.. .].«19 Mit diesem Bibelhinweis betont Friedrich seine Grundüberzeugung,daß alles von GottGeschaffene vom Menschen mit Ehrfurcht betrachtet undmit Demut angeeignet werden muß, und das heißt,mit Hingabe andie Naturphänomene inall ihren Erscheinungsbedingungen. Da­ mitjedoch diese Verpflichtung aufdie Naturrichtigkeit kein bloßer Selbstzweck im Sinne einer bloßen »imitatio naturae« wird und weil

19 Die Äußerung überliefert: L. Förster, Biographische und literarische Skizzen aus dem Lehen und der Zeit Karl Försters, Dresden 1846, S. 157 (für das Jahr 1820).

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Abb. 8: Caspar David Friedrich: Frau am Strand von Rügen, um 1818, Öl a. L., 2is x }oo mm, Stiftung Oskar Reinhart, Winterthur

andererseitsderMensch nicht in der Lage ist, denSinn desvon Gott Geschaffenen vollständigzu erkennen, ist esam Künstler, mittelseiner abstrakten Bildordnung, die ästhetisch stark wirksamwird, wenigstens einen Verweis aufGottes absoluteOrdnungder Dinge zu versuchen.

Darum kombiniert, ja montiert Friedrichdie Wirklichkeitspartikel zu einem neuartigenästhetischen Kosmos, als einer Metapher fürden göttlichen Kosmos, der den Menschen unbegreiflich bleibt, so wenig wieer aufErden je mit der Gnade Gottes rechnenkann.

Doch wie ist dieserästhetische Kosmos, dieseabstrakte Bildord­

nung zu denken? An einem einzigen Beispiel, das noch dazu eher unscheinbar ist und auf den ersten Blick alles andere als religiös konnotiert erscheint, sei dasFriedrichsche Verfahren demonstriert, nicht allerdings ohne zuvor nachdrücklich betont zu haben, daß entsprechendeVerfahren zur Stiftung einerabstrakten,vom Bild her gedachten, und dasheißt auch vorgängigenBildordnung so gut wie allen Friedrichschen Bildern zugrunde liegen. Dasgewählte Bild ist klein, kaum mehr als 20x 30 cm groß,es zeigt eine Frau aufeinem großen Felsstein aneinem Strand von Rügen gelagert (Abb. 8). Am Horizont zeichnet sich die Felszunge von Kap Arkona ab, Schiffe

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ziehen, wiean einer Perlschnur gereiht, an der Frau vorbeivon links nachrechts. Das Bild dürfte, wie eine Reihe zugehöriger Bilder,vor allem aber der berühmte »Kreidefelsen auf Rügen«, um 1818 zu datieren sein. Die Frau trägt einlangesrotes Kleid mitPuffärmeln;

ein entsprechendes Kleidträgt die Frau auf dem »Kreidefelsen«-Bild, man hat in ihr mit Fug undRecht Friedrichs Frau Caroline vermutet.

1818 hatte Friedrichmit seiner Frau seine Hochzeitsreise nachRügen gemacht. Die Bilder dieserZeit sind in Farbe und Ausdruck nicht selteneherfreundlich gestimmt,besonders gilt diesfür das Bild »Auf dem Segler«, wo dasPaar die Hände ineinandergelegt hatund voller Vertrauen aufeine ferne Stadtvision schaut.

Auf unseremBild blickenwir nach Norden auf Kap Arkona, der Windkommt von Westen, die Segelschiffe sind entsprechendgleich­

mäßig nach rechts geneigt. Die Tageszeit istnicht ganz sicher aus­ zumachen. Zwar istder Himmel nur schwach bewölkt, doch über demHorizont hatsich eine breiteDunstschicht gebildet.DasLicht ist indirekt, so daß sichkeine Schatten zeigen, wirdürfen eine nach­ mittägliche Szene annehmen. Die Position der Frau istein wenig irritierend, sie istseitlich gelagert, sie scheint seitlichin Richtung der Schiffe aus dem Bild zu schauen. Diese Richtungwird durchdie hinter ihr, ebenfalls bildparallel angeordneten Fischreusen unter­ strichen. So haben wir einen gewissen Sog rechts aus dem Bilde heraus,zumal die Bootevon links nach rechts kontinuierlichin der Größe zunehmen, damit auch schrittweise ufernäher erscheinen.

Doch die Frau, um es noch einmal zu betonen, blickt nicht auf sie, sondern nurindie Richtung, in diesie segeln, ihr Blickziel und das Ziel der Boote ist nicht auszumachen, es liegt außerhalb des Bildes. Wir betonen dies so nachdrücklich, weiles gänzlich unklas­

sisch ist. Ein klassisches Bild hat ein Zentrum, in dem komposi­

tionelle Ordnung und inhaltlicher Schwerpunkt zusammenfallen.

Dieses Zentrum ist zumindestin inhaltlicher Sicht hier nicht aus­

zumachen.

Doch wie verhält essich mit der kompositorischen Ordnung? Sie ist durchausvorhanden und von einiger Komplexität, so harmlosdas Bilderscheint. Leichtwirdman ausmachen,daß der Felsabbruchvon Kap Arkona, das den nördlichsten Punkt Deutschlands markiert, exakt auf der Bildmittelsenkrechten liegt. Diese Art der Mittelachs­ betonung findet sich häufig bei Friedrich - was insofern nicht selbstverständlich ist, weil die Markierung der Mittelachse erneut

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ein unklassisches Mittel darstellt. Mittelachsbetonung fixiert den Betrachtervor demBild, verhindertEntfaltung, diedochgeradeder Zug der Boote zu betonen scheint. Einmal auf dieses Phänomen aufmerksam geworden, wird man die gänzliche Bildparallelität der Frau in Lagerung und Blick für ebenso ungewöhnlich halten müssen.

Gänzliche Bildparallelität schließt den Betrachteraus,dieFigur ist ihm vollständig entzogen, da sie keine räumlicheEntwicklung stiftet, derer sich beigesellen könnte. Irritierend ist zudemder Zugder Boote selbst. Messen wir ihn in seiner besonderen Markierung der Bild­ fläche, so machenwir eine überraschende Beobachtung. Verbinden wir dieMast- bzw. Segelspitzen, so bildensie den Halbbogen eines Hyperbelastes. In abgeschwächter und umgekehrter Formwiederholt sichdas beiden Bootsleibern, und mittenhindurch geht die Hori­

zontlinie, die also ihre jeweilige Asymptote bildet. Es sei daran erinnert, daß zur Definition der Hyperbel gehört, daß sich die Zweige ihren Asymptoten unendlich annähern, ohne sie je zu errei­ chen. Undin der Tatist dasEnde der Schiffsreihe wedervorn noch hinten im Bilde vermerkt, dieReihegehtaußerhalbdes Bildes weiter bis insUnendliche.

Die Bemerkungen mögen hypertroph klingen, doch ist dieHy­ perbel eine der häufigsten vonFriedrich verwendeten Formen über­ haupt, vorallem in Gestalt vollständigerZweige, wie beider»Abtei im Eichwald«,dem Pendant zum»Mönch amMeer«,oderden beiden

»Mondaufgang am Meer« betiteltenBildern von 1821 respektive1822, aberauch beizahlreichen anderen Bildern findet sich ein vollstän­ diger Hyperbelbogen. Allerdings erscheinendie Hyperbelnnicht an beliebigem Ort im Bilde. Bei der»Abteiim Eichwald«(Abb.9) etwa ist die sanft sich senkende Hyperbelform in ihrem tiefsten Punkt nicht nur wieder auf der senkrechten Mittelachse angeordnet, son­

dern ihre Arme treffen links und rechts auf den Bildrand exakt an den Punkten, die durch die obere Waagerechtedes Goldenen Schnitts markiertist. Auchdiesklingt einwenig kompliziert. Doch der Goldene Schnitt, dieses als ästhetischangenehm empfundene, von Künstlern immer wieder verwendeteTeilungsverfahren, bei dem die Gesamtlinie zum größeren Abschnitt der Teilungsich verhält wie dieser zumkleineren,istdasvon Friedrichbei weitem am häufigsten verwendete Ordnungsschema. So kommen etwa beim berühmten

»Tetschener Altar« gleich alle vier Linien des GoldenenSchnittes, die beiden senkrechten unddie beiden waagerechten, gleicherma-

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Abb. 9: Caspar David Friedrich: Abtei im Eichwald, 1S09I10, öl a. L., 110,4 x I7I cm’ Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin -

Preußischer Kulturbesitz

ßen nichtnurzur Wirkung, sondernzu bedeutungsstiftender Funk­ tion.20

Bei unserem Bild markiert die Horizontlinie die Asymptote der beiden halben Hyperbelzweige, zugleich dieuntere Waagerechte des Goldenen Schnittes, die linke Senkrechte geht mitten durch den Körperder lagernden Frau. Wo genau, das ist durch das winzige Schiff am Horizont vor demhellen Steiluferstreifen von Kap Arkona oberhalb derLagerndenangedeutet. DerLeser mag diese Beobach­ tungen immer noch für Kunsthistorikerlatein halten, denn welchen tieferen Sinn sollte diese besondere Bildkonstruktionhaben? Nach­ denklich sollten ihnallerdingsschon Novalis’Bemerkungen zuRolle und Bedeutung von Mathematikund insonderheit Geometrie ma­ chen: »Reine Mathematik ist Religion.«21 Oder: »Geometrie ist transzendentale Zeichenkunst«,22 oder: »Zur Mathematik gelangt

20 Dazu: W. Busch, »Caspar David Friedrichs >Tetschener Altan«, in: Natur, Kunst, Freiheit. Deutsche Klassik und Romantik aus gegenwärtiger Sicht, hg. v. M. J. Simek, Amsterdam, Atlanta/GA 1998, S. 263-280.

21 Novalis, Schriften, hg. v. R Kluckhohn, Leipzig 1929, Bd. 3, S. 296.

22 Ibid., S. 160.

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man nur über eine Theophanie«,23 schließlich: »DasHöchsteund Reinsteist das Gemeinste,Verständlichste. Daher istdie Elementar­

geometrie höherals die höchsteGeometrie.«24

Die geometrischen Grundformen, vor allem die Kegelschnitte, Parabel, Ellipse und Hyperbel verwendet Friedrich immer wieder, sollteer ihnen nicht auch höhere Bedeutung beimessen? Doch um nicht auch den VorwurfbeliebigerÜberblendung derFriedrichschen Werke mit Versatzstücken aus dem Repertoire frühromantischer Theorie zu provozieren, ist es nötig, Friedrichs Kenntnisnahme dieser Auffassung vonMathematik, diesich im übrigen auchinVarianten bei anderen Romantikern, wie Oken oder Schubert, findet, wenig­

stens wahrscheinlich zu machen.Die Grundgedanken stammen aus der mathematischen Traditionvon Leibniz oderEuler, die durchdie IntegrationdesBewegungsmotives in Arithmetik undGeometriedie transzendentaleMathematik begründet haben.Novalis’ mathemati­

scheFragmente sind 1803 von FriedrichSchlegelin Auswahl publi­

ziert worden. Ob Friedrichsie gelesen hat, wissenwir nicht. Doch neuerliche Forschunghat sehr wahrscheinlich gemacht, daßSchlegel ihre Herausgabemit HilfeSchleiermachers unternommen hatte, der übereine ausgeprägte mathematische Kompetenz verfügte. Und mit Schleiermacher hatte Friedrich relativengen direkten und indirekten Kontakt.

In Schleiermachers eigenen Überlegungen zur Mathematik er­

scheintdie Hyperbel,noch überder Parabel und derEllipse, als die sinnträchtigste geometrischeFormüberhaupt.25 Zum einen verkör­

pert für Schleiermacher der Brennpunkt der Hyperbel die transzen­ dentale Idee Gottes, er bezeichnet dasunsichtbare Gravitationsfeld, innerhalb dessen sich die Kurvatur der Hyperbel entfaltet. Zum anderenbegreiftSchleiermacherdie sichdemUnendlichennähern­

den Äste der Hyperbel als negativ bzw. positivdeterminiert. Der

23 Novalis, Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, hg. v. P Kluckhohn und R. Samuel, Stuttgart 1960-1988, Bd. 3, S. 479.

24 Novalis, Schriften, a. a. O. (Anm. 21), Bd. 3, S. 20.

25 Zu Schleiermacher und Mathematik: I. Mädler, Kirche und bildende Kunst der Moderne, Tübingen 1997, S. 256-259; dies., »Ausdrucksstil und Symbolkultur als Bedingungen religiöser Kommunikation«, in: 200 Jahre »Reden über die Religion«, Akten des Ersten Internationalen Kongresses der Schleiermacher-Gesellschaft, Halle 14.-17. März 1999, hg. v. U. Barth und C.-D. Osthöfener, Berlin, New York 2000, S. 900-904.

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Mensch, so stellt er sich das vor, ist in seinem Strebenjeweils aneinem bestimmten Punkt der Kurveangelangt, mal weiter imnegativen, mal weiterim positiven Bereich.Erkann nur hoffen, daß sein Streben ihn auf dem positivenAstvoranbringt, er sich dem Unendlichen an­

nähert, im Wissen, daßdie Vermählungmit dem Unendlichen aus eigener Kraft nicht möglich ist. Dies gilt für alle Bereiche der Erkenntnis,vor allem aber die religiösen.

Es scheint durchaus erlaubt, diese Vorstellung, wenigstens der Tendenz nach, auf Friedrichundseine Kunst zuübertragen. Auch bei ihm sind die geometrischen Formennicht statisch, sondern dyna­ misch zu denken, der Impuls der Form gehtjeweils über das Bild hinaus.Zudem sind die Formen zugleich flächen- wieraumbezogen.

Die Hyperbel istper se eine Flächenform, dochihre Verwendungim Bilde läßt sie zugleich räumlich erscheinen; die Schiffe, deren Mastspitzen die Hyperbel tragen, entfalten sich von hinten nach vorn. Damit ist die Hyperbelform abstraktund konkret zugleich.

Abstrakt, imSinne Kants, da siebegrifflich zudefinierenist, konkret, da sie im Raum erscheint. Diese Doppelbestimmung vermagnur die Ästhetik zu stiften.

Warum aber haben wir von ästhetischemProtestantismus gespro­

chen? Ohne dies hier ausführen zu können: Wir sind überzeugt davon,daß Friedrich seine religiösen Prinzipien, über dasErbteil von Pietismus und lutherischer Grundüberzeugung hinaus, anSchleier­ machers Frühschrift Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern von 1799 gebildethat. FürSchleiermacher gründet Religion nicht auf derverfaßten Kirche,sondern auf Anschauung und Gefühl des einzelnen. Konsequenterweiseist unter dieser Prä­

misse tendenziell ein jeder ein potentieller Priester, jeder aufseinem Feld. Für besonders geeignet, die Funktion einesreligiösen Mittlers zu übernehmen, hälterallerdings den Künstler. In der besonderen Darstellung des Wirklichen gelingt es ihm über dieGemütsanspra­

che, einen Vorschein des Göttlichen, eineVorstellung des Unend­ lichen, über das Endliche Hinausgehenden zu erzeugen.26 Diese

26 F. Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Veräch­

tern, mit einem Nachwort v. C. H. Ratschow, Stuttgart 1969, Anschauung und Gefühl: S. 15,35-43, 46 f., 50 f., 84,92 f., 166 f.; Priester: S. 10,123,153,155; Mittler:

S. 10,67, 200 f.; Kunst und Künstler: S. 10,113,120 f.; Endliches und Unendliches:

S. 19- 35-39, 44 f- 189, >93, >95-

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Verschränkung von Endlichem und Unendlichem hat Friedrich versucht zu veranschaulichen,indem erdas Wirkliche in Form des Naturdetails einem Überwirklichen in Gestalt einer abstrakten,aber ästhetischwirksamen Strukturvorgabe inseriert hat. Diese Gestal­ tungsweise, dieästhetisch Abstraktes und Konkretes bindet,Theorie undPraxis, Idee und Wirklichkeit, konnte dasprotestantische Pa­ radox zur Anschauungbringen, im Endlichen etwasvon der gött­ lichen Natur zum Vorschein zu bringen, im Wissendarum, daßdies die Endlichkeit nicht aufhebt. Schleiermacher kann dies auf die riskante Formel bringen:»Praxis istKunst, Spekulation ist Wissen­

schaft, Religion ist Sinn und Geschmackfürs Unendliche.«27 Dies allerdings ist nicht eineprotestantische Ästhetik, sondern ästhetischer Protestantismus,undFriedrich scheint ihm angehangenzu haben.

27 Ibid., S. 36.

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