Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 236. Juni 2003 AA1565
S E I T E E I N S
A
ls Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt am Mittwoch ver- gangener Woche den Kabinettsaal im sechsten Stock des Kanzleramtes betrat, um dort ihre Reformpläne absegnen zu lassen, dürfte sie bereits von den neuesten Defiziten in der Gesetzlichen Krankenversicherung gehört haben. Denn unmittelbar zu- vor wurde bekannt, dass die Allge- meinen Ortskrankenkassen und die Ersatzkassen im ersten Quartal ei- nen Verlust von mehr als 400 Millio- nen Euro eingefahren haben.Kein Wunder also, dass die Koali- tionäre bei der Umsetzung ihrer Reformpläne weiter aufs Tempo drücken. Nachdem das Kabinett den „Formulierungshilfen“ aus dem Schmidt-Ministerium zugestimmt hat, sollen nun die Regierungsfrak- tionen den Gesetzentwurf in einem Hau-Ruck-Verfahren bis zur Som- merpause durch den Bundestag bringen. Nach Drängen des kleinen
Koalitionspartners wird allenfalls der Grünen-Sonderparteitag am 14.
Juni in Cottbus abgewartet, bevor das parlamentarische Verfahren am 18. Juni startet. Vom 23. bis 27. Juni sind Anhörungen in den Bundes- tagsausschüssen geplant, Anfang Juli Ausschussberatung, und am 4. oder 9. Juli soll das Gesetz im Bundestag in zweiter/dritter Lesung im Bun- destag verabschiedet werden.
Ebenfalls auf Betreiben der Grü- nen wurden dem Vernehmen nach in letzter Minute die im Gesetzent- wurf festgeschriebenen Neurege- lungen für Apotheken geändert.
Demnach wird es Apothekern künf- tig erlaubt sein, beliebig viele Filia- len zu führen. Nach den bisherigen Plänen sollte die Zahl auf fünf be- schränkt werden. Schmidt bestätig- te außerdem, dass Krankenkassen nicht wie ursprünglich geplant Son- derkredite aufnehmen dürfen, um ihre Beitragssätze zu drücken, falls
diese über 15 Prozent zu steigen drohen.
Dementiert wurden vom Ministeri- um dagegen Presseberichte, wonach Schmidt bereits über Korrekturen an dem Reformpaket nachdenke, um die Union bei den anstehenden Verhand- lungen mit ins Boot zu holen. Der Spiegel hatte berichtet, Schmidt erwä- ge, das Prinzip der Kostenerstattung auch in der Gesetzlichen Krankenver- sicherung zu verankern. Zudem sei sie bereit, auf die geplante Zulassung von Internet-Apotheken zu verzichten.
Bislang setzt die Union weiter auf Blockade. Dass sich daran bis zur ab- schließenden Lesung des Gesetzent- wurfs Anfang Juli im Bundestag et- was ändert, ist nicht zu erwarten. Zu rechnen ist stattdessen mit einem langwierigen Vermittlungsverfahren zwischen Parlament und Länder- kammer, welches allerdings auch Chancen für sinnvolle Nachbesse- rungen bietet. Samir Rabbata
F
ür Patienten, die an der Augenkli- nik ambulant kataraktoperiert werden, könne jetzt eine „Zuweiser- pauschale“ in Höhe von 52 Euro be- zahlt werden, schrieb die Univer- sitätsklinik Mainz am 28.August 2002 an die niedergelassenen Augenärzte der Region. Die Pauschale honoriere die prä- und postoperativen Untersu- chungen,die Aufklärung sowie die Mit- teilung der Visuswerte an die Klinik.Das Oberlandesgericht Koblenz hat die „Zuweiserpauschale“ als sit- tenwidrig verurteilt, weil sie gegen ärztliches Berufsrecht verstoße. Das Schreiben gebe dem Augenarzt An- lass zu der Annahme, er erhalte im Falle der Zuweisung eines Patienten ein Entgelt,wofür er keine zusätzliche
Leistung erbringen müsse. Gemäß
§ 31 der Berufsordnung sei es dem Arzt aber nicht gestattet, sich für die Zuweisung von Patienten bezahlen zu lassen. Der Arzt werde denjenigen Operateur empfehlen, bei dem er bei sonst vergleichbaren Bedingungen ei- nen wirtschaftlichen Vorteil erlange.
Die Universitätsklinik hatte be- tont, dass es sich bei der Zahlung um eine in § 115 b SGB V ausdrücklich vorgesehene zusätzliche Vergütung im Sinne der integrierten Versor- gung handele. Die Klinik erhalte ei- ne Fallpauschale, die auch die Vor- und Nachsorge umfasse. Falls diese nicht von der Klinik ausgeführt wer- de, sei es unredlich, den Betrag nicht weiterzuleiten.
Das Urteil ist nachvollziehbar, weil die Beteiligung als „Zuweiserpau- schale“ deklariert wurde. Das riecht nach versuchter Einflussnahme. An- dererseits werden infolge der Abrech- nung nach Fallpauschalen im sta- tionären Sektor künftig immer mehr Tätigkeiten in den ambulanten Be- reich verschoben, weil sich die Liege- zeiten in den Kliniken verringern.
Hier ist die Vergütungsfrage nicht ge- klärt. Eine Beteiligung der niederge- lassenen Ärzte an der Fallpauschale ist folgerichtig und den Krankenhäu- sern auch deshalb anzuraten, damit sie haftungsrechtlich auf der sicheren Seite sind. Eine frühzeitige Entlas- sung könnte sonst teure Schadenser- satzansprüche auslösen. Jens Flintrop