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Archiv "Theorie und Praxis der axiomatischen Kunst" (14.11.1991)

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Geometrische Verwandlung des Gegenstandes von der euklidischen über die hyperbolische und sphä- rische bis hin zur meta-euklidischen Form (künstlerische Gestaltung: Manfred Dinnes, Werner Bauer)

Theorie und Praxis

der axiomatischen Kunst

Dr. Nadim Sradj Manfred G. Dinnes Werner H. Bauer Dr. Marion Sradj

„Der Punkt, an dem sich Philosophie und Naturwissen- schaften am nächsten berüh- ren, ist die Lehre von den sinn- lichen Wahrnehmungen des Menschen", so schreibt Helm- holtz. Der Physiologe, Physi- ker, Philosoph und Entdecker des Augenspiegels, Hermann von Helmholtz — ein wahrhaft interdisziplinärer Geist —, war einer der ersten, der sich mit der Vorstellbarkeit nicht-eukli- discher Formen befaßt hat. Die sogenannten Wahrnehmungs- anomalien bewegen sich eben- falls im Bereich des Nicht-Eu- klidischen. Nicht-euklidisch heißt im allgemeinen: nicht meßbar.

In der Ophthalmologie sind uns im Laufe der Zeit Fälle von Wahrnehmungsanomalien be- gegnet, die — im Gegensatz zu den in der Kunstpsychopatho- logie bekannten Wahrneh- mungsarten Schizophrener, Al- koholiker oder Drogenabhän- giger — eine Besonderheit auf- wiesen: das Bewußtsein dieser Patienten ist ungetrübt, ihre Aussagen sind klar und deut- lich; die Kommunikation mit ihnen ist unproblematisch. Die Gespräche mit diesen Patien- ten gaben den Anstoß für die Entwicklung der Theorie der axiomatischen Kunst; Sinnes- physiologie, Philosophie und Geometrie lieferten das Instru- mentarium hierfür.

Die axiomatische Theorie geht — wie der Name sagt — von Axiomen aus, das heißt von Sätzen, die infolge ihrer Selbst- evidenz eigentlich keines Be- weises bedürfen, von uns aber kritisch auf ihre Möglichkeiten und Grenzen hin überprüft werden. Unsere Studie beginnt mit der Frage nach der Nor- malität beziehungsweise Nicht- normalität der Wahrnehmung.

Im Laufe von mehr als zweitau- send Jahren hat sich die eukli- dische Axiomatik infolge ihrer Plausibilität als Konvention durchgesetzt. Ihre Stärke ist die Unmittelbarkeit, Selbstver-

ständlichkeit, Reinheit und Einfachstheit der Formen. Der Mensch wird vom Gegenstand ergriffen. Die Grundkategorien des euklidischen, dreidimensio- nalen Raumes sind: das Drei- eck, das Viereck, der rechte Winkel, der Kreis.

Wie wir gesehen haben, gibt es Menschen, die — auf Grund ihrer senso-motorischen Stö- rungen — in der Lage sind, die Enge des euklidischen Raumes unmittelbar zu überwinden.

Diese Art der Wahrnehmung ebenfalls zu erreichen und dar- zustellen, war unsere Intention.

Die Frage, die sich hieraus er- gibt, ist die nach der Struktur des Raumes — euklidisch oder nicht-euklidisch —, nach der Struktur des Gegenstandes, seiner Konstitutiva und Regu- lativa und seiner Abwandlun- gen und Metamorphosen.

Am Beispiel eines einfa- chen Bildes, der Westfassade des Regensburger Domes, ha- ben wir die Elemente Raum, Gegenstand und Bewußtsein differenziert und in ihrer Wechselwirkung zueinander

analysiert und demonstriert (Abbildungsreihe). Dieser Pro- zeß vollzieht sich als eine syste- matische Ableitung von der euklidischen über die hyperbo- lische und sphärische Ebene bis hin zur meta-euklidischen Raumvorstellung. Beim Wech- sel dieser Kategorien verwan- delt sich der Raum vom passi- ven Nichts im Euklidischen zum aktiven Medium im meta- euklidischen Bereich, in dem die Gegenstände transfiguriert werden. Während hyperboli- sche und sphärische Deforma- tionen stets reversibel sind, ge- langt man beim Eintreten in die meta-euklidische Ebene zu irreversiblen Veränderungen, zu Metamorphosen, deren Weiterentwicklung der Phanta- sie überlassen ist.

Die axiomatische Kunst be- schreibt also nicht spontan-si- tuative Erlebnisse, sondern ge- staltet die real-ideale Welt er- kennend mit. Sie löst sich von der konventionellen Betrach- tung des Gegenstandes, wobei die Empirie lediglich als erster Ansatzpunkt, nicht als Ur- sprung der künstlerischen Er- kenntnis dient. Ihre Methode ist die Deduktion. Axiomatisch verfahren, heißt klären der Prämissen und mit Bewußtsein

arbeiten im Sinne einer Dirnen- sionserweiterung von der An- schauung über den Begriff bis zur Idee.

Die axiomatische Kunst be- dient sich des gesamten Reper- toires aller Geometrieebenen, wobei die Axiome Ausgangs- punkt und Wegweiser sind, die die Orientierung angeben. Ihre Intention ist, nicht von der Er- scheinung zum Wesen zu ge- langen, sondern von der relativ engen Wirklichkeit zur um- fangreicheren Möglichkeit. Auf diesem Wege überwindet sie die inneren und äußeren Not- wendigkeiten und distanziert sich vom materiellen Zufall ih- res Schaffens.

Die Anwendung der axio- matischen Wahrnehmungs- theorie in Malerei und Foto- grafie hat gezeigt, daß es sich um eine in hohem Maße opera- tionale Theorie handelt, durch die das Fachwissen einzelner Disziplinen in Orientierungs- wissen übergeht.

Literaturhinweise bei den Ver- fassern

Anschrift für die Verfasser:

Dr. med. Nadim Sradj, M. A.

Obermünsterstraße 9a W-8400 Regensburg

A-4042

(88) Dt. Ärztebl. 88, Heft 46, 14. November 1991

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