FEUILLETON
Mensch einzubringen, nicht als Bi- belwort-Automat.
„ ... sehen sie, in diesen meinen Händen hielt ich sie, hundert oder auch tausend Stück; manche waren weich, manche waren hart, alle sehr zerfließlich; Männer, Weiber, mürbe und voll Blut. Nun halte ich immer mein eigenes in meinen Händen und muß immer darnach forschen, was mit mir möglich sei."
(Die Zitate sind der Erzählung „Gehirne" von Gottfried Benn, Gesammelte Werke, Limes- Verlag, entnommen).
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Hartmut Kraft Kapfenberger Straße 4 5020 Frechen
Arzt — und Poet dazu
Andreas Schuhmann
Am 14. Januar 1920 wurde Andreas Schuhmann in München geboren.
Nach seiner Ausbildungszeit, zuletzt in Würzburg, kehrte er nach Mün- chen zurück, wo er als Facharzt für Innere Medizin und Radiologie ar- beitet. Er hat drei Kinder: der Älteste ist Assistenzarzt, eine Tochter wird Diplomingenieurin, die Jüngste ist Gymnasiastin.
Schuhmanns Lieblingsdichter sind u. a. Garcia Lorca, Vicente Aleixan- dre, Günter Eich, Nelly Sachs, Chri- stine Lavant, Paul Celan. Im Herbst 1978 wurde von ihm in einem Münchner Verlag der Gedichtband
„Wasserwellenspiegel" veröffent- licht.
Andreas Schuhmann schreibt:
„. Jeder Lyriker ist letztlich ein- sam, weiß von keinem Publikum und dichtet zunächst für sich allein.
Dann kommt es aber doch darauf an, daß er irgendwann und irgendwo
— und sei es nach Jahren — für seine Aussendungen einen Empfänger auf gleicher Welle findet. Und wie oft ist das dem Zufall überlassen!"
Hierzu das Gedicht:
Irrationale Trilogie des Nichts
BENNWerde spracheinsam und stirb
zwischen Leere und gezeichnetem Ich ADORNO
Nach Auschwitz nichts nur Schweigen noch mehr als nichts Schweigen ohne Atem CELAN
Die Meridiane wandern Atemwende Sprache geheimnisgefügt kristallklar kalt Nichts bleibt als Nichts nicht einmal Gott
Dagegen steht, als Positivum, die Dichtung, in der gültige Werte dar- gestellt werden:
Der Konflikt
(Hugo von Hofmannsthal)
Chimäreewig sich ändernder Traum Es,
Es ist, Es ist nicht unbegrenzbar dies Sein, sich wandelnd von Tag zu Tag.
Gottesblick, ewig dauernde Tat.
Du, Du bist, Du bist bei mir.
Unverloren dies Tun, gültig
von gestern auf morgen.
„Unverloren dies Tun, gültig von ge- stern auf morgen." Wie stark, wie dabei ganz dichterisch ist dies aus- gedrückt, getragen von der Kraft ei- ner Persönlichkeit, die Werte und Ni- veauunterschiede zu erkennen ver- mag.
Zwischen diesen beiden Gedichten steht, als hierher gehörige Frage, dies:
Betroffensein
Was soll es:Nur der Verzweiflung Mut machen
Betroffen und Getroffen sein.
Wie steht es:
Ohnmacht des Herzens Hilflos und
Stumm sind Die Halbfertigen.
Was tut es:
Wächst so Die Verzweiflung Wächst uns auch Mut zum Nichts.
Und da dichten sie noch
Ist die letzte Zeile „und da dichten sie noch" Anerkennung, Mißbilli- gung, Frage?
Für Andreas Schuhmann ist das dichterische Wort „Balsam und Trost, stets ‚geprüft":
Poem
Geprüftes Wort
Nackt mehr noch hautlos Blutendes Fleisch Aus des Gedankens Schwärender Wunde Zauberwort
Wortzauber
Schmerzenden Gedanken Balsam und Trost.
Gedichte sind nur ein teilhafter Aus- druck einer Persönlichkeit. Aber auch darin: Im gewählten Vorbild und im Selbstgeschaffenen, können Sinn für gültige Werte und geistiges Niveau erkennbar werden. Bei Schuhmann sind sie unverkennbar.
Edith Engelke Die Anschrift von Dr. Andreas Schuhmann lautet: Grünwalder Straße 106, 8000 München 90.
1356 Heft 20 vom 15. Mai 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT