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Semantische Datenmodellierung mit CIDOC CRM – Drei Fallbeispiele

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(LNI), Gesellschaft für Informatik, Bonn 2017 15

Semantische Datenmodellierung mit CIDOC CRM – Drei Fallbeispiele

Laura Albers1, Peggy Große2 und Sarah Wagner3

Abstract: Die semantische Anreicherung von Forschungsdaten mit Hilfe von Ontologien ist eine Möglichkeit, Daten zu strukturieren und langfristig interpretierbar zu machen. Für die Modellierung der Datenstruktur ist es wichtig, sowohl die technische Ebene zu verstehen, als auch mit geisteswissenschaftlichem Blick die Anforderungen des zu behandelnden Gegenstandes zu erfassen. Im Folgenden werden drei Forschungsprojekte aus dem Kulturbereich vorgestellt, die ausgehend von den jeweiligen Anforderungen Modellierungen für komplexe Sachverhalte vorschlagen.

Keywords: Semantische Wissensmodellierung, WissKI, CIDOC CRM, Forschungsprojekte, Romanische Wandmalerei, Friedensrepräsentationen, Kunst- und Wunderkammern

1 Einleitung

An Forschungseinrichtungen werden zunehmend inter- und transdisziplinäre Projekte initiiert, in denen große Datenmengen gesammelt, generiert und auf spezifische Fragestellungen hin ausgewertet werden müssen. Zudem sollten Forschungsdaten langfristig interpretierbar bleiben. Demzufolge muss das Datenmodell sowohl die inhaltliche Ausrichtung des jeweiligen Projektes berücksichtigen, als auch die digitalen Ressourcen nachhaltig erschließen.

Im Folgenden sollen mögliche Lösungen in der Modellierung anhand drei in ihrem Schwerpunkt unterschiedlich ausgerichteter Forschungsprojekte dargestellt werden. Die Projekte sind am Germanischen Nationalmuseum Nürnberg (GNM) und der Friedrich- Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) angesiedelt, deren Modellierung auf Basis des CIDOC Conceptual Reference Model4 (CRM) umgesetzt ist. Das CIDOC CRM stellt die einzige Ontologie dar, die sich über die letzten Jahre als Erfassungsschema für den Bereich des kulturellen Erbes durchgesetzt hat [HF15 S. 120]. Um der Spezifizierung

1 Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Lehrstuhl für Kunstgeschichte, Schlossgarten 1 – Orangerie, 91054 Erlangen, laura.albers@fau.de.

2 Germanisches Nationalmuseum, Kornmarkt 1, 90402 Nürnberg, p.grosse@gnm.de.

3 Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Lehrstuhl für Kunstgeschichte, Schlossgarten 1 – Orangerie, 91054 Erlangen, s.wagner@gnm.de.

4 CIDOC CRM wurde vom International Committee for Documentation als Teil des International Council of Museums (ICOM) als formale Referenzontologie erarbeitet und ist seit 2006 als ISO Norm (ISO 21127) anerkannt. In der „Erlangen CRM“ (URL: http://erlangen-crm.org/ [08.05.2017]) auf Basis von OWL liegt eine maschinenlesbare Version vor.

Lecture Notes in Informatics (LNI), Gesellschaft für Informatik, Bonn 2017 1209

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Semantische Datenmodellierung mit CIDOC CRM 16 des zu beschreibenden Themengebiets innerhalb des kulturellen Gegenstands gerecht zu werden, kann die Ontologie angepasst bzw. erweitert werden. Diese ausgearbeitete Version stellt eine auf ein spezielles Thema zugeschnittene Anwendungs- oder Domänenontologie dar.

Die virtuelle Forschungsumgebung WissKI5 benutzt zur semantischen Tiefenerschließung das Erlangen CRM und ermöglicht neben dem Sammeln und Verwalten von komplexen Datenmengen auch das Generieren von neuem Wissen. Durch die Einbindung von Drupal bringt WissKI die nötigen Voraussetzungen für web-basiertes, kollaboratives und ortsunabhängiges Arbeiten mit. Dem Kriterium der Nachnutzung und Verfügbarkeit von Forschungsdaten kommt die Tatsache nach, dass sowohl das Erlangen CRM, das Content Management System Drupal, als auch die Software WissKI als Open Source Instrumente zur Verfügung stehen.

Die Erfassung in WissKI erfolgt in Formular- und Freitextfeldern. Erstere eignen sich für die Erfassung von Daten und Fakten, letztere bieten die Möglichkeit diskursive Informationen aufzunehmen, die annotiert werden können. Die Daten werden vom System im Hintergrund durch das CRM semantisch erschlossen, wodurch die Lesbarkeit und Übertragbarkeit der Daten in andere Kontexte gesichert ist. Die Nutzung bestehender Normdaten (authority files) trägt zur Anreicherung und Kontextualisierung der Forschungsdaten bei. Zudem ermöglicht WissKI die Erstellung lokaler Vokabulare, die eine einheitliche Erfassung der Daten gewährleisten. Der sogenannte Pathbuilder unterstützt die Modellierung der Pfade, indem er nur jene Klassen oder Eigenschaften zur Auswahl vorschlägt, die der vorangegangenen Klasse oder Eigenschaft entsprechen.

2 Fallbeispiel: Repräsentationen des Friedens

2.1 Anforderungen und Ziele

Das von der Leibniz-Gemeinschaft seit Juli 2015 geförderte internationale Kooperationsprojekt „Repräsentationen des Friedens im vormodernen Europa“ erforscht Friedensbilder im Zeitraum vom 16. bis 18. Jahrhundert. Friedensvereinbarungen mussten über den reinen Vertragstext hinaus erklärt, begründet und vermittelt werden. Das übernahmen Friedensrepräsentationen, die ein multimediales Phänomen der Frühen Neuzeit waren. Folglich nimmt das Forschungsprojekt visuelle Darstellungen, sprachliche Bilder sowie musikalische Ausprägungsformen in den Blick.6

5 URL: http://wiss-ki.eu/ [08.05.2017], WissKI ist das Akronym für Wissenschaftliche KommunikationsInfrastruktur.

6 Das Leibniz-Institut für Europäische Geschichte, Mainz, untersucht Friedenspredigten, die Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel, Dichtungen und Festschriften, das GNM Objekte aus den graphischen und numismatischen Sammlungen, das Deutsche Historische Institut, Rom, Kantaten, Oratorien und Festmusiken vor allem in Bezug auf Italien, und das Tadeusz Manteuffel Institut für Geschichte der Polnischen Akademie 1210 Laura Albers, Peggy Große, Sarah Wagner

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Semantische Datenmodellierung mit CIDOC CRM 17 Um abstrakte Konzepte wie Frieden, Gerechtigkeit oder Wohlstand darzustellen, verwendeten Künstler, Dichter oder Komponisten einen Kanon von Motiven, die europaweit genutzt und verstanden wurden. Dieses „Vokabular“ des Friedens soll beispielhaft erschlossen und über die Gattungs- und Genregrenzen hinweg analysiert werden. Zudem wurden gemeinsame Fragestellungen zu transmedialen Rezeptionsvorgängen, Veränderungen der Motivik im Zusammenhang mit unterschiedlichen Friedensschlüssen, zu Funktion und Wahrnehmung von visuellen, sprachlichen und musikalischen Konzepten entwickelt. Am Anfang steht daher die transdisziplinäre Erfassung der entsprechenden Quellenbestände, die sich vor allem aus Massenmedien wie Büchern, Flugblättern, Medaillen und Predigtdrucken zusammensetzen. Die erfassten Informationen beziehen sich sowohl auf Daten zu einem bestimmten physischen Objekt, als auch auf deren Inhalte und Form, wie Ikonografie bzw.

Motivik, Textgattung oder Instrumentierung. Außerdem muss der Fragestellung zufolge der inhaltliche Zusammenhang zwischen Objekten, Quelleninhalten und Friedensereignissen dokumentiert werden.

2.2 Datenschema und Datenmodellierung

Bei den zu erfassenden Medien handelt es sich überwiegend um „Massenmedien“, wie Drucke, Bücher, Medaillen und Flugblätter, deren Inhalte in Bezug auf die oben formulierten Forschungsfragen so weit wie möglich standardisiert erfasst werden sollen.

Bei der Konzeptionierung mussten folgende in den Quellenbeständen begründete Gegebenheiten einbezogen werden:

Inhalte werden über lange Zeiträume hinweg auf bzw. in Druckerzeugnissen immer wieder rezipiert, häufig auch über Gattungsgrenzen hinweg.

Die Quellengattung Flugblatt besteht aus Text- und Bildkomponenten, die aus unterschiedlichen Kontexten stammen können und auf einem Flugblatt

wiederverwendet wurden. Der Ursprung von Text und Bild kann unterschiedlichen Zeiten angehören, ebenso kann deren Rezeption getrennt voneinander in anderen Gattungen erfolgen.

Die Medaille bildet als physisches Objekt eine Einheit. Doch befinden sich Darstellungen auf beiden Seiten, die unterschiedlich rezipiert worden sein können.

Diese Sachverhalte mussten in der Modellierung besonders berücksichtigt werden, zumal die Fragestellungen des Projektes vor allem auf die Inhalte abzielen. Das führte zu der Entscheidung, zwischen der physischen Ausformung und den auf oder in den Objekten dargestellten Inhalten zu unterscheiden. Die physische Ausformung wurde als Instanz der Klasse E84 Information Carrier (Informationsträger) modelliert und der Inhalt als Instanz der Klasse E73 Information Object (Informationsgegenstand).

der Wissenschaften, Warschau, die Friedensrepräsentationen in den östlichen Gebieten Europas.

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Instanzen der Klasse Informationsträger müssen laut der Beschreibung des CIDOC für einen bestimmten Zweck entworfen worden sein, was bei allen behandelten Quellen gegeben ist. E84 erlaubt zudem eine Beziehung zwischen dem materiellen Gegenstand und seinem immateriellen Informationsgehalt herzustellen [LKD10, S. 110].

Abb. 1: Auszug aus der Datenbank: Objektdokument mit den verknüpften Inhalten (Bespiel Medaille: Vorder- und Rückseite)

Die Modellierung der Inhalte muss dem geisteswissenschaftlichen Beschreibungs- und Analyseinventar gerecht werden. Die Historizität der Quellen bedingt eine Unschärfe in der Information, die nicht objektiv gegeben ist, sondern einem erkennenden Subjekt oder einer Gruppe zuzuschreiben sind [Ja16, S. 107]. Bei der Bestimmung und Interpretation von Themen und Inhalten visueller, sprachlicher oder musikalischer Quellen wird versucht, die Haltung des Künstlers, des Auftraggebers oder des zeitgenössischen Betrachters im Hinblick auf die Funktion und Bedeutung der Bilder, Wörter oder Noten zu erkennen [Bü14, S. 13]. Diesen Interpretationsvorgang durch die WissenschaftlerInnen gilt es im Datenmodell abzubilden.

Motive wurden als Instanzen der Klasse E55 Type (Interpretation Type) aufgefasst, die Konzepte umfasst, die mit Begriffen aus Thesauren und kontrollierten Vokabularen bezeichnet werden können [LKD10, S. 89]. Zur Erschließung von Bildinhalten existiert mit Iconclass ein weit verbreitetes Klassifizierungskonzept als Linked Open Data, das hinterlegt wurde.7

7 URL: http://www.iconclass.nl/home [12.05.2017].

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Die Interpretation der Motive ist ein Akt der Zuweisung durch den Betrachter und Forscher und wird im Datenmodell durch die Klasse E17 Type Assignment (representation type assignment) ausgedrückt [LKD10, S. 60]. Dadurch wird die oben angesprochene Unschärfe der Information auch in der semantischen Struktur der Daten abgebildet. Zudem könnten gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt nähere Angaben zur Klassifizierungshandlung aufgenommen werden.

Abb. 2: Auszug aus Pathbuilder der Datenbank

3 Fallbeispiel: Kunst- und Wunderkammern im aktuellen Museumskontext

3.1 Anforderungen und Ziele

Das Dissertationsprojekt an der FAU widmet sich der Erfassung, Analyse und Kategorisierung von "Kunst- und Wunderkammern" in zeitgenössischen musealen Dauerausstellungen. Im Museumsbereich erlebt der historische Sammlungstyp der Kunst- und Wunderkammer insbesondere seit Ende des 20. Jahrhunderts eine regelrechte Renaissance.8 Vielerorts werden einst bürgerliche, höfische oder kirchliche Sammlungen erforscht, neu aufbereitet und in Rückberufung auf ihre historischen Wurzeln als „Kunst- und Wunderkammer“ oder „Kunstkammer“ der Öffentlichkeit präsentiert.9 Rezeptionen und Adaptionen dieses frühneuzeitlichen Sammlungsmodells treten in der gegenwärtigen Ausstellungspraxis in sehr unterschiedlichen Formen auf und reichen von historisch nahen Rekonstruktionen bis hin zu fiktiven, idealen Neukreationen.

Ziel der Dissertationsarbeit ist es, eine repräsentative Auswahl von Dauerausstellungen des deutschsprachigen Raums insbesondere im Hinblick auf Konzeption, Sammlungsgeschichte und Entstehungskontext zu untersuchen und anhand dessen Merkmale für eine Klassifizierung und strukturierte Erfassung herauszuarbeiten. Durch das entstehende Datenmodell soll eine Vergleichbarkeit der verschiedenen Ausstellungen ermöglicht werden, um nicht nur die Bandbreite dieser Ausstellungen, die sich alle unter

8 Seit den 1990ern hat die Forschung wesentliche Beiträge zum frühneuzeitlichen Sammlungswesen und auch speziell zum Phänomen der Kunst- und Wunderkammer geleistet, was sich im zunehmenden Aufkommen von Ausstellungen zu dem Thema niederschlägt.

9 Beispielsweise sind die Kunstkammer im Kunsthistorischen Museum Wien, die Kunstkammer auf Schloss Friedenstein in Gotha oder die Kunst- und Wunderkammer auf Burg Trausnitz in Landshut drei von zahlreichen Ausstellungen, die nach dem Jahr 2000 (wieder-)eröffnet wurden.

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Semantische Datenmodellierung mit CIDOC CRM 20 demselben „Label“ präsentieren, besser differenzieren zu können, sondern auch Rückschlüsse auf kuratorische Präferenzen, oder zeitliches und örtliches Vorkommen treffen zu können. Darüber hinaus sollen die aktuelle und, falls überliefert, die historische Kunstkammer hinsichtlich ihrer Anordnung und Präsentation, zugrundeliegender Ordnungsschemata, inhaltlicher Schwerpunkte oder auch der räumlichen Unterbringung verglichen werden. Eine Gegenüberstellung der historischen und aktuellen Situation soll somit, zumindest in Bezug auf grundlegende Eigenschaften, ermöglicht werden.

3.2 Datenschema und Datenmodellierung

Für die Erfassung und Dokumentation der Ausstellungen sowie für die speziellen Fragestellungen und Zuordnungsvorhaben wurde ein Schema entwickelt, das eine Einordnung der jeweiligen Ausstellung durch Kombination verschiedener Kriterien und Klassifikationstypen gewährleistet, die dem Kontext des Projekts entsprechend als E55 Type [LKD10, S. 89] zugeordnet sind. Da zahlreiche Typen zur Klassifizierung und Einordnung der Ausstellungseigenschaften zu erfassen sind, die es semantisch zu unterscheiden gilt, wurden in der Anwendungsontologie spezielle Unterklassen angelegt, die alle durch das Ereignis der Typuszuweisung bzw. E17 Type Assignment [LKD10, S.

60] direkt mit der Kunstkammer verbunden sind.

Abb. 3: Ausschnitt der Modellierung der Klassifikationsmerkmale (Ansicht im Pathbuilder) Zur Klasse E55 Type zählen beispielsweise die als „Exhibition_Type“ angelegte Untergruppe, die sich auf die Art der Einbindung in den Gesamtausstellungs- oder Museumskontext bezieht, also z.B. eine eigenständige Dauerausstellung, ein Teilbereich einer Dauerausstellung, usw. Des Weiteren spielen auch Sammlungsschwerpunkte eine Rolle, die ebenfalls über eine Typuszuweisung mit der Kunst- und Wunderkammer verbunden sind und als Gruppenbezeichnungen erfasst werden, beispielsweise Goldschmiedearbeiten, Tierpräparate oder Mineralien. Die Typuszuweisung wurde auch, soweit sinnvoll, analog zur entsprechenden Gruppe für die historische Kunst- und Wunderkammer modelliert. Dadurch soll verdeutlicht werden, dass bestimmte historische und moderne Sammlungs- bzw. Ausstellungsmerkmale auf derselben Ebene betrachtet werden und somit ein direkter Vergleich möglich ist. Generell wurde zu diesem Zweck das Erfassungsschema der historischen und aktuellen Manifestation hinsichtlich der zu vergleichenden Aspekte analog modelliert.

Eine weitere Untergruppe von E55 stellt die als “Category” bezeichnete Klasse dar. Auf Basis des Vergleichs zwischen historischer und aktueller Präsentation werden drei Hauptzuordnungen bzw. Ausstellungstypen unterschieden, die sich aus der Vorab- 1214 Laura Albers, Peggy Große, Sarah Wagner

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Semantische Datenmodellierung mit CIDOC CRM 21 Analyse von über 30 Ausstellungen als sinnvoll erwiesen haben und als Vorschlag verstanden werden sollen: Die der historischen Kunstkammer am nächsten kommende Rekonstruktion, bei der nicht nur eine große Zahl an historischen Objekten, sondern auch Mobiliar und der einstige Ausstellungsraum vorhanden sind, darüber hinaus auch die Anordnung und Präsentation der Objekte soweit möglich nach der historischen Situation erfolgte. Das Gegenteil bildet der als “Konstruktion” bezeichnete Ausstellungstyp, bei dem häufig ideale historische Konzepte10 als Vorbild dienten, obwohl historische Sammlungen vermutlich nie danach angelegt und derartig streng nach Klassen getrennt präsentiert wurden. Am häufigsten ist der Typ der “Neuaufstellung” zu verzeichnen, bei dem historische Bestände mit (zumeist einer gemeinsamen) Kunstkammerprovenienz wieder in einer Ausstellung zusammengeführt werden und bei der inszenatorische Aspekte wie bei der Konstruktion eine eher untergeordnete Rolle spielen. Tatsächlich aber bewegen sich die Ausstellungen häufig zwischen diesen übergeordneten Kategorien. Die Klasse “Category” bildet mitunter ein Kernstück der Arbeit und stellt eine schlussfolgernde Zuordnung verschiedener Sammlungs- und Ausstellungsmerkmale dar.

Abschließend seien die Überlegungen zur Modellierung und Einordnung der historischen und aktuellen Kunst- und Wunderkammer selbst in das CIDOC CRM erläutert.

Ausgehend von der heutigen Situation begreift die Arbeit eine Kunst- und Wunderkammer-Ausstellung nicht als eine reine “Kuratorische Tätigkeit” (E87) [LKD10, S. 113], da noch weitere Komponenten eine Rolle spielen: der konkrete Ausstellungsraum mit all seinen Beschaffenheiten, die Ausstattung, darin befindliche Objekte (die jedoch im einzelnen eine eher untergeordnete Rolle spielen), Objektgruppen und deren Arrangements und nicht zuletzt das Konzept sowie die ggf. zugrundeliegende Ordnung, die alle Komponenten ideell und räumlich miteinander vereinen. Aus diesem Grund wurde die Kunst- und Wunderkammer als E84 Information Carrier angelegt, da sie ein von Menschenhand geschaffener, physischer Träger eines Informationsgegenstandes (E73), darunter fällt z.B. das Ausstellungskonzept, ist [LKD10, S. 110].

10 Bspw. strikte Einteilung und Präsentation der Objekte nach Artificialia - von Menschenhand geschaffenes, Naturalia - Hervorbringungen der Natur, Exotica - den Dingen aus fernen Ländern, usw. Als erstes

museologisches Traktat und Anleitung zur Einteilung einer idealen Sammlung gilt die 1565 verfasste Schrift

“Inscriptiones vel tituli theatri amplissimi [...]” von Samuel Quiccheberg, die eine solche Einteilung nach Klassen vorschlägt.

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Abb. 4: Aktuelle Kunst- und Wunderkammer Franckesche Stiftungen Halle. Unter “Linked WissKI-Individuals” sind Informationen zur historischen Kunst- und Wunderkammer abgebildet.

Obwohl historische Kunst- und Wunderkammern heute nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form existieren, wurde diese Gruppe ebenso als E84 Informationsträger modelliert.

Grund dafür ist die Gewährleistung der direkten Vergleichbarkeit der historischen und aktuellen Sammlung bzw. Ausstellung, wobei nicht nur konzeptuelle Aspekte eine Rolle spielen, sondern auch der Raum, das Gebäude oder der geographische Ort, an dem sie sich befinden bzw. befanden. Wie die heutige Ausstellung waren sie ein physischer Träger von Informationen, da sie u.a. die Verkörperung eines bestimmten Weltbildes bzw. dessen enzyklopädischer Abbildung darstellten.

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4 Fallbeispiel: Die digitale Erfassung von romanischen Wandmalereien

4.1 Anforderungen und Ziele

Das im Rahmen einer Masterarbeit begonnene und innerhalb des DFG-Projekt ‘Sakralität und Sakralisierung’ angesiedelte Projekt zur digitalen Erfassung von romanischen Wandmalereien widmet sich dem Sammeln und Verfügbarmachen des vorhandenen Wissens und bietet durch die WissKI-Datenbank eine Plattform für interdisziplinäre Forschung und Austausch. Eine Vielzahl der Werke aus dem späten 11. bis frühen 13.

Jahrhundert ist in sakralen Architekturen zu finden, wie beispielsweise in Klosteranlagen oder Pfarrkirchen. Leider ist der erhaltene Bestand äußerst gering und oftmals in bedauerlichem Zustand. Umso wichtiger ist die Erhaltung der Werke auch im Sinne der Erhaltung des (immateriellen) Wissens.

Die Besonderheit der ursprünglich den gesamten Kircheninnenraum überziehenden Wandmalereien liegt in ihrem wechselhaften Verhältnis zur Architektur. Letztere ist konstitutiv für die Malerei. Die durch das Architekturelement formal und auch hierarchisch charakterisierte Wandfläche wurde in der Ausmalung als solche berücksichtigt. Das jeweilige Architekturglied gibt den Rahmen und das Format des Bildes vor, und beeinflusst zusätzlich die Wahl des Bildinhalts, ist also sinngebend für die Malerei. Eine weitere Eigentümlichkeit stellt die Deutungsvielfalt mittelalterlicher Bildprogramme dar, welche mehrere, selbst gegensätzliche Lesarten ermöglicht. [St09, S.

268]

Die ehemalige Klosterbasilika St. Georg wurde ab 1109 im benediktinischen Kloster in Prüfening (Regensburg) errichtet und besitzt einen exemplarischen Wandmalereibestand im Ostteil und in der Vierung, welcher von unterschiedlichen Stellen auf die Zeit zwischen 1120 und 1160 datiert wird. In den beiden Nebenchören und an den Vierungspfeilern wurden die Malereien 1897 bzw. zwischen 1907 und 1916 freigelegt und zählen zum romanischen Originalbestand (siehe Abb. 5, Bereiche 1.2, 1.3 und 2.1).

Die Malereien im Hochchor sind nach ihrer Freilegung (ebenfalls 1897) komplett neuromanisch übermalt worden, wenngleich sie auf dem Schema der romanischen Ausmalung basieren (siehe Abb. 5, Bereich 1.1).

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Semantische Datenmodellierung mit CIDOC CRM 24 4.2 Datenschema und Datenmodellierung

Die Erfassung der Architektur sowie die genaue Verortung der Malerei in dieser Architektur stellen die zentralen Anforderungen an die Erfassungsstruktur dar.

Entsprechend wird die Unterteilung der Architektur in folgende Einheiten (Gebäudeteile) vorgeschlagen: Architektur ≥ Raumkompartiment ≥ Subkompartiment ≥ Wandteil. Der Grundriss stellt die Basis für eine eindeutige Benennung und Verortung von Architekturteilen eines spezifischen Bauwerks dar. Mit der Durchnummerierung der einzelnen Gebäudeteile auf dem Grundriss können diese konkret referenziert werden. Die Prüfeninger Basilika wurde prototypisch in ihre einzelnen Raum- und Subkompartimente zerlegt und durchnummeriert.

Abb. 5: Nummerierung der Raum- und Subkompartimente im Grundriss von St. Georg Die Architektur wird als E84 Information Carrier, als Träger der Wandmalerei, aufgefasst, wobei eine Wandmalerei realitätsgetreu einer Wand und nicht einem ganzen Gebäude zugeordnet werden muss. Dementsprechend wurden die Unterklassen E84 Architecture und E84 Part of Architecture gebildet. Während in der ersten Klasse die Architektur mit Adresse und baugeschichtlichen Daten aufgenommen wird, umfasst die Subklasse E84 Part of Architecture die Gebäudeteile (Raumkompartiment, Subkompartiment und Wandteil, siehe Abb. 6).

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Abb. 6: Architektur, Gebäudeteile und Wandmalerei in der Domänenontologie

Die zu erfassende Wandmalerei selbst ist ebenfalls als E84 Information Carrier aufgefasst und als E84 Wall Painting modelliert. Da es sich bei Wandmalerei nicht um Massenware handelt, sondern jedes Werk einzigartig ist, und aufs Engste mit ihrem Träger verbunden ist, wurde zunächst die Entscheidung getroffen, auch inhaltliche Informationen wie z.B.

die Motivik an das E84 Wall Painting zu hängen. Die Formularfelder nehmen schlagwortartig Bildthemen, Figuren und Ornamente auf. Im Freitextfeld wird die diskursive Beschreibung und hermeneutische Auseinandersetzung mit der Malerei erfasst.

Weitere Masken nehmen Informationen zur Bauform (Instanzen der Klasse E55 Type), zu involvierten Personen (Instanzen der Klasse E21 Person) und zur Literatur (Instanzen der Klasse E31 Document). Masken für die mobile Ausstattung innerhalb der Architektur und Gebäudeteilen, sowie für zeitgenössische Referenzdokumente und -objekte sind in der Entwicklung. Eine wichtige, bisher offene Problematik betrifft die richtige Dokumentation veränderter Zustände der Wandmalereien. Um kunsthistorische Fragestellungen zu beantworten, ist es elementar, den romanischen Bestand, sowie auch andere Malschichten darüber oder darunter identifizieren zu können. Ereignisse wie beispielsweise Verputzen, Übermalen, Freilegen, Restaurieren oder Zerstören müssen in Bezug auf den architektonischen Kontext als Ereignisse mitgedacht und dokumentiert werden. Dabei gilt es abzuwägen, ob diese Eingriffe als Ereignisse (Unterklassen von E7 Activity bzw. E12 Production) modelliert werden oder ob die unterschiedlichen Zustände der Wand als zwei Wandmalerei-Einträge aufgenommen werden. Überdies wird derzeit die Differenzierung von Wand als physischem Träger (E84 Information Carrier) und Malerei als konzeptuellem Objekt (E37 Image, Unterklasse von E73 Information Object) diskutiert, wie es in der Datenmodellierung des ebenfalls mit WissKI arbeitenden DFG- Projekts ‘Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutschland’ vorgeschlagen wurde.

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5 Abschließende Bemerkung

Die Domänenontologien der drei Projekte sind auf die Charakteristika des jeweiligen Forschungsbereiches und deren Forschungsfragen ausgerichtet worden. Sie sind in ihrer Thematik und demzufolge in den zu bearbeitenden Beständen so unterschiedlich, dass sich inhaltlich und somit auch in den erhobenen Daten nur peripher Überschneidungen ergeben. Eine Zusammenführung der Domänenontologien wäre möglich, würde jedoch über die Abstraktion auf die Referenzontologie CIDOC CRM naturgemäß mit einem nicht unerheblichen Verlust der domänenspezifischen Semantik einhergehen. Damit würde der große Vorteil der Datenmodellierung auf Grundlage des CIDOC CRM negiert werden:

die Modellierung auf die projektbezogenen Gegebenheiten hin semantisch so genau wie möglich auszuführen und damit die Langzeitinterpretierbarkeit zu sichern.

Literaturverzeichnis

[Bü14] Büttner, Nils: Einführung in die frühneuzeitliche Ikonographie. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2014.

[HF15] Hohmann, G.; Fichtner, M.: Chancen und Herausforderungen in der praktischen Anwendung von Ontologien für das Kulturerbe. In (Robertson-von Trotta, C.;

Schneider, R. Hrsg.): Digitales Kulturerbe. Bewahrung und Zugänglichkeit in der wissenschaftlichen Praxis. KIT Scientific Publishing, Karlsruhe, S. 115-128, 2015.

[Ja16] Jannidis, F.: Grundlagen der Datenmodellierung. In (Jannidis, F.; Kohle, H.; Rehbein, M. Hrsg.): Digital Humanities. Eine Einführung. J.B. Metzler, Stuttgart, S. 99-108, 2017.

[LKD10] Doerr, M.; Lampe, K.; Krause, S.: Definition des CIDOC Conceptual Reference Model Version 5.0.1.; autor. durch die CIDOC CRM Special Interest Group (SIG) (Beiträge zur Museologie 1). ICOM Deutschland, Berlin, 2010.

[St09] Stein-Kecks, H.: Bilder im Heiligen Raum. “An der Zierde deines Hauses habe ich mich erfreut, Herr”. In (Wittekind, S. Hrsg.): Romanik. Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. Prestel, München, S. 265-287, 2009.

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Referenzen

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