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Das dritte Geschlecht

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120 DIE PTA IN DER APOTHEKE | Dezember 2018 | www.diepta.de

PRAXIS

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ereits in der Vergangenheit war Zwischengeschlecht- lichkeit etwa durch die Gestalt Hermaphrodi- tos aus der griechischen Mythologie bekannt. Hermaphroditos war eine besonders in Zypern als Gottheit verehrte männliche Form der Aphro- dite, die männliche und weibliche Geschlechtsmerkmale vereinte. Da zwischengeschlechtliche Menschen den gesellschaftlichen und medizi- nischen Normen nicht entsprechen, wird das Phänomen der Intersexua- lität noch immer tabuisiert.

Männlich, weiblich, divers 2003 wagte sich Jeffrey Eugenides mit sei- nem Roman „Middlesex“ an das brisante Thema: Er erzählt die Le- bens-und Familiengeschichte einer hermaphroditen Person und erhielt für sein Buch den Pulitzer-Preis. Das belgische Topmodel Hanne Gaby Odiele bekannte sich im Januar 2017 in einem Interview zur Intersexuali- tät, mit dem Ziel, ein Tabu zu bre- chen. Der Deutsche Ethikrat plä- dierte bereits im Jahre 2012 dafür, Menschen ohne ein eindeutiges Ge- schlecht die Eintragung „anders“ zu- zuordnen. Im November 2017 ent- schied das Bundesverfassungsgericht über das revolutionäre Urteil, dass im Geburtenregister neben den Be- zeichnungen „männlich“ und „weib- lich“ ein dritter Geschlechtereintrag

„divers“ für intersexuelle Personen möglich sei. Bis Ende 2018 muss die Gesetzesänderung umgesetzt sein.

Diagnose DSD Personen des „drit- ten Geschlechts“ werden auch als Hermaphroditen oder Zwitter be- zeichnet, da ihr Körper männliche und weibliche Merkmale vereint. Ihr geschlechtliches Erscheinungsbild hinsichtlich anatomischer, hormo-

INTERSEXUALITÄT

Das dritte Geschlecht

© merly69 / stock.adobe.com

Immer wieder werden Kinder geboren, deren Geschlecht weder

eindeutig männlich noch weiblich ist. Selbsthilfeverbände schätzen,

dass in Deutschland etwa 160 000 intersexuelle Menschen leben.

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DIE PTA IN DER APOTHEKE | Dezember 2018 | www.diepta.de

neller oder chromosomaler Merk- male ist somit weder eindeutig männlich noch weiblich, sondern eine Mischung aus beiden Anteilen.

Der Chromosomensatz passt zum Beispiel nicht zum Genital, die Go- naden sind fehlangelegt oder es lie- gen sowohl Hoden- als auch Eier- stockgewebe vor. Seit 2005 spricht man in der Medizin von DSD (Di- sorders of sexual development), also von einer Störung, mit Diagnosen wie XY-DSD oder XX-DSD. Aller- dings beinhaltet die Bezeichnung eine Pathologisierung, sodass die Auslegung von DSD als „Differences of sexual development“, womit eine eigenständige Variante der Ge- schlechtsentwicklung gemeint wäre, besser passt.

Chromosomale Varianten Das Geschlecht eines Menschen wird durch seine Chromosomen be- stimmt: Als männlich gilt, wer ein X- und ein Y-Chromosom besitzt, weibliche Individuen verfügen hin- gegen über zwei X-Chromosomen.

Allerdings kann es verschiedene Ab- weichungen geben:

Beim Turner-Syndrom fehlt den In- dividuen eines der beiden Ge- schlechtschromosomen des weibli- chen Chromosomensatzes, sie haben lediglich ein X-Chromosom und ihr Erscheinungsbild ist weiblich. Beim Klinefelter-Syndrom findet sich in einigen oder allen Körperzellen der Person zusätzlich zum X- und Y- Chromosom ein weiteres X-Chro- mosom. Biologisch sind Betroffene männlich, ihr Hoden ist allerdings vergleichsweise klein und sie bleiben in der Regel zeugungsunfähig. Paul Martin Holterhus, Professor für Pä- diatrische Endokrinologie an der Universität Kiel, zählt diese beiden Varianten ausdrücklich nicht zu den Intersexformen. Eine weitere Abwei- chung ist der Chimärismus, bei dem ein Organismus aus genetisch unter- schiedlichen Zellen aufgebaut ist.

Vom Mosaik spricht man hingegen, wenn das chromosomale Geschlecht nicht in allen Körperzellen identisch ist. Holterhus sieht die 45, X/46,

XY-gemischte Gonadendysgenesie, eine Genitalfehlbildung der Keim- drüsen aufgrund einer numerischen Anomalie der Geschlechterchromo- somen mit einem Y-chromosomalen Mosaik, als mögliche Ursache der In- tersexualität.

Fragwürdige Operationen Bei normal entwickelten Kindern ist das Geschlecht bei der Geburt leicht zu bestimmen, anders bei Intersexuel- len. Da diese Personengruppe weder dem weiblichen noch dem männli- chen Geschlecht zuzuordnen ist, wer- den die meisten Babys Zwangssterili- sationen unterzogen. Die Chirurgen kor rigieren die Geschlechtsanlagen Betroffener, indem sie beispielsweise Hodengewebe entfernen und eine Neo-Vagina anlegen. Die Ärzte pas- sen also nach der Geburt das mit nicht eindeutigen Geschlechtsmerk- malen zur Welt gekommene Neu- geborene an ein männliches oder weibliches Geschlecht an – eine irre- versible Entscheidung im Leben Be- troffener.

Die Genitalkorrektur wird demnach ohne Mitentscheidung der Patienten durchgeführt, auch weitere Eingriffe in der Kindheit und der frühen Ju- gendzeit erfolgen zu einem Zeit- punkt, zu dem die Menschen nur be- dingt einwilligungsfähig sind. Häufig ziehen die Operationen leidvolle Konsequenzen nach sich wie zum Beispiel eine lebenslange Abhängig- keit von einer künstlichen Hor- montherapie, Sensibilitätsverlust, Zeugungsunfähigkeit sowie psychi- sche Erkrankungen in Form von Traumata oder Depressionen. Daher bewertet ein großer Teil der Interse- xuellen die Anpassung als negativ und hätte sich ein Hinausschieben des Eingriffs in ein entscheidungsfä- higes Alter gewünscht.

Enorme psychische Belastung Intergeschlechtliche Menschen erle- ben in vielen Bereichen ihres Lebens, zum Beispiel in der Schule, am Ar- beitsplatz, beim Kleidungskauf, beim Kauf von personalisierten Tickets oder bei der Nutzung von Umkleide-

kabinen oder öffentlichen Toiletten Diskriminierung. Problematisch ist auch die Entwicklung eines Selbst- verständnisses für ihre Geschlechter- rolle (männlich, weiblich oder in- tersexuell), für welche es in der Gesellschaft keine oder wenig Vor- bilder gibt. Das Umfeld kann einen Beitrag dazu leisten, dass Betroffene eine größere Lebenszufriedenheit er- reichen: Ein offenerer Umgang mit dem Thema ist hilfreich, Berüh- rungsängste abzubauen und den psy- chischen Druck von intersexuellen Menschen zu reduzieren.

Unterstützung suchen! Für Eltern kommt die Information über die In- tersexualität ihres Kindes oft uner- wartet, sodass sie auf Aufklärung und Unterstützung angewiesen sind.

Am besten wählen sie zur Betreuung ein interdisziplinäres Behandlungs- team und beraten sich mit Vertretern aus verschiedenen Fachrichtungen (wie etwa Endokrinologen, Psycho- logen, Sexualwissenschaftlern, Chir- urgen, aber auch Juristen, Sozialwis- senschaftler und Pädagogen). Auch bei der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. gibt es Informationen sowie Ad- ressen von Beratungsstellen.

Abgrenzung zur Transsexualität Transsexuelle sind im Gegensatz zu Intersexuellen mit einem eindeuti- gen biologischen Geschlecht ausge- stattet, empfinden sich jedoch dem anderen Geschlecht zugehörig. Sie sind genetisch, anatomisch und hor- monell „normal“ entwickelt, den- noch fühlen sie sich häufig schon seit der frühen Kindheit in ihrem Kör- per und mit ihrem Geschlecht un- wohl. In einigen Fällen lassen Trans- sexuelle geschlechtsangleichende Operationen (Mann-zu-Frau oder Frau-zu-Mann) durchführen, um ihren psychischen Leidensdruck zu reduzieren.  n

Martina Görz, PTA, Psychologin und Fachjournalistin

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