A890 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 1725. April 2008
M E D I E N
C
omputer- und Internetspiele sind in der Gesellschaft ange- kommen. Längst sind es nicht mehr irgendwelche Außenseiter, die ex- zessiv spielen, viele Menschen nut- zen diese Art der Spiele als Frei- zeitgestaltung. Inzwischen können schon Grundschüler genau sagen, welches ihre Lieblingsspiele sind:„morhüna“, „heripota“ und „niet vo spiet“ gehören unbedingt dazu. Dr.
Maria von Salesch, Professorin für Entwicklungspsychologie an der Leuphana-Universität Lüneburg, löst das Geheimnis um die merkwürdig klingenden Spielenamen schnell auf:
„Wir haben die Kinder in unserer Studie nach ihren Lieblingsspielen gefragt: Moorhühner, Harry Potter und Need for Speed wurden mehr- fach genannt. Die Grundschüler ken- nen sich bereits perfekt mit den Spie- len aus – nur schreiben können sie sie noch nicht.“ Die Professorin präsen- tierte die Ergebnisse ihrer sogenann- ten KUHL-Studie Anfang März auf der internationalen Computerspiele-
Konferenz „Clash of Realities“ in Köln. Bereits zum zweiten Mal ka- men zahlreiche renommierte Wis- senschaftler zusammen, um ihre For- schungsergebnisse vorzustellen.
Immer wieder wird diskutiert, ob es sinnvoll ist, dass Kinder schon so früh am Computer sitzen. Gerade Jungen haben eine starke Tendenz, zu sogenannten Gewaltspielen zu greifen. Es wird befürchtet, dass die Kinder dadurch aggressiv werden.
In ihrer Studie hat von Salisch unter- sucht, ob die Kinder durchs Spielen aggressiv werden oder ob aggressive Kinder eher dazu neigen, gewalthal- tige Spiele auszusuchen. Über meh- rere Jahre wurden dieselben Grund- schüler zu diesem Thema befragt.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass nicht die Vorliebe der Kinder für Spiele mit gewalttätigen Inhal- ten zu aggressivem Verhalten führt.
Vielmehr nannten bereits als offen aggressiv bekannte Kinder über die Zeit vermehrt gewalthaltige Bild- schirmspiele als ihre Favoriten.
Eine wichtige Frage der Diskus- sion war darüber hinaus, ob patholo- gische Spieler wirklich psychisch krank sind oder ob es sich hierbei um ein soziales Phänomen handelt.
Zunächst wurde in der Wissenschaft die pathologische Internetnutzung als eine durch das Medium selbst verursachte Abhängigkeit bei zu- nächst „gesunden“ Menschen gese- hen. Dr. med. Bert te Wildt, Fach- arzt für Psychiatrie und Psychothe- rapie und Leiter der Poliklinik I der Medizinischen Hochschule Hanno- ver, und Dr. Silvia Kratzer, wissen- schaftliche Mitarbeiterin am Lehr- stuhl für Psychologie der Univer- sität Augsburg, fanden in voneinan- der unabhängigen Studien heraus, dass es sich um keine eigenständige Krankheit handelt. Sie untersuchten außerdem, welche Krankheiten hin- ter den Symptomen stecken. In vie- len Fällen stecke eine Impulskon- trollstörung dahinter. Die Patienten seien häufig depressiv: Viele hätten Angst vor der Zukunft. Im Internet aber könnten sie ihre eigene Macht und Größe präsentieren.
Die exzessive Internetnutzung sei demnach eher ein Versuch, den eige- nen Problemen aus dem Weg zu ge- hen, erklärte te Wildt. Eine ständige gedankliche Beschäftigung mache Versuche der Patienten aber erfolg- los, den Internetgebrauch zu kontrol- lieren. „Die Menschen haben nicht selten Probleme in der Gesellschaft, treten aggressiv und depressiv auf“, erklärte te Wildt. „Es wäre aber zu einfach, den Computer einfach abzu- schaffen. Das scheint nicht die Lö- sung für den Patienten zu sein. Das Internet ist nicht nur ein Symptom, sondern häufig auch ein Lösungs- versuch“, erklärte Dr. Bert te Wildt.
Bei einer Behandlung sei es daher unbedingt notwendig, dass der Psy- chiater sich mit der Mediennutzung seiner Patienten auseinandersetze.
Grundsätzlich könne aber jeder Psy- chiater die Störungen der Patienten behandeln. Allerdings ist es auch ei- ne Herausforderung: Die bisherigen Formen der Therapie können teilwei- se nicht greifen. Gruppentherapien scheitern zum Beispiel schon einmal am Termin, da den Patienten häufig das Gespür für Zeit fehlt. I Sunna Gieseke
COMPUTERSPIELE
In einer anderen Realität
Jeder dritte Deutsche spielt zumindest hin und wieder am Computer oder an der Spielekonsole. Über Aggressions- und Suchtpotenziale wird in der Wissenschaft immer noch diskutiert.
Foto:ddp