DÄ:Wie beurteilen Sie die mit dem Altersvermögensge- setz umgesetzte Reform der gesetzlichen Rentenversiche- rung (GRV). Wird damit ein Beitrag geleistet, die langfristi- gen Probleme der Rentenver- sicherung zu lösen?
Dr. jur. Ulrich Kirchhoff:
Ich denke schon. Die drei Gesetze, in die die jüng- ste Rentenreform aufgeteilt wurde, stellen einen Schritt in die richtige Richtung dar.
Das gilt besonders für das Al- tersvermögensgesetz
(AVmG), die „Riester-Ren- te“, mit der die umlagefinan- zierte gesetzliche Rentenver- sicherung durch eine kapital- gedeckte Zusatzkomponente ergänzt wird. Zu wünschen ist, dass diese eine breite Ak- zeptanz in der Bevölkerung findet. Auch die Neurege- lung der früheren Renten we- gen Berufsunfähigkeit bezie- hungsweise wegen Erwerb- sunfähigkeit (neu: Rente we- gen verminderter Erwerb- stätigkeit) weist in die richti- ge Richtung, weil damit die Rentenversicherung wenig- stens teilweise von den Risi- ken des Arbeitsmarktes ent- lastet wird, die eigentlich in den Aufgabenbereich der Arbeitslosenversicherung und nicht in den der gesetzli- chen Rentenversicherung ge- hören. Für die Versorgungs- werke ist bedeutsam, dass die jüngste Rentenreform die 1996 gezogene „Friedens- grenze“ bestätigt hat.
DÄ: Wie sind die berufs- ständischen Versorgungswer- ke von der Rentenreform be- troffen und welche konkreten Forderungen erheben sie?
Dr. Kirchhoff:Die Versor- gungswerke sind von den Re- gelungen der Rentenreform allenfalls mittelbar betroffen.
Es gibt allerdings einige Be- reiche, in denen wir Hand- lungsbedarf sehen. Primär ist der Sachverhalt, dass die bisherige ordnungspolitische Fehlfinanzierung der so ge- nannten Kindererziehungs- zeiten in der Rentenversiche- rung beseitigt wurde, der Bund zahlt für Kindererzie- hende Beiträge an die Ren- tenversicherung. Das ist zu begrüßen. Nur ist der Bund auf halbem Wege stehen ge- blieben. Er hätte die Zahlung von Beiträgen für Kinderer- ziehende für alle öffentlich- rechtlichen beitragsfinanzier- ten Alterssicherungssysteme
vorsehen müssen, also auch für die Kinder erziehenden Mitglieder in den Versor- gungswerken. Wir sehen hier politischen Handlungsbedarf und eine gleichheitswidrige Benachteiligung der Kinder erziehenden Mitglieder der Versorgungswerke. Mittel- bis langfristig meinen wir dar- über hinaus, dass auch die Mitglieder der Versorgungs- werke in die Förderung im Rahmen der „Riester-Rente“
einbezogen werden müssen – dies deshalb, weil auch die Versorgungswerke die demo- graphisch bedingten Bela-
stungen, wie die längere Le- benserwartung, der sich die Mitglieder der Versorgungs- werke wie die übrige Bevöl- kerung erfreuen dürfen, zu fi- nanzieren haben. Wir tun dies – ähnlich wie die gesetzliche Rentenversicherung – durch Rücknahme der Dynamisie- rungsprozente für Anwart- schaften und laufende Ren- ten, was im Ergebnis auch bei uns zu einem niedrigeren Rentenniveau führt.
DÄ:Wie sehen Sie die Dis- kussion unter der Devise
„Ausdehnung des versicher- ten Personenkreises der Ren-
tenversicherung“? Werden die Versorgungswerke dadurch in ihrem Bestand gefährdet?
Dr. Kirchhoff: Ich bin mir sicher, dass die Versorgungs- werke dadurch in ihrem Be- stand nicht gefährdet werden, aber wir beobachten diese Diskussion genau. Ich sehe keinen Sinn darin, das funk- tionierende System, welches ohne jeden Zuschuss des Staa- tes auskommt, zu zerstören, nur um der Rentenversiche- rung neue Beitragszahler und damit allenfalls eine kurzfristi- ge Entlastung zu verschaffen.
Nur kurzfristig deshalb, weil
schon bald die Ausgaben der Rentenversicherung – stärker als bisher angenommen – stei- gen müssen, weil dann die Rentenzahlungen an die neu- en Mitglieder zu erfolgen hät- ten. Aber ich gehe davon aus, dass auch bei dieser Diskussi- on die Vernunft und die Ver- fassung beachtet werden. Uns versichern namhafte Rechts- wissenschaftler, dass eine Ein- beziehung der bereits öffent- lich-rechtlich gesicherten Mit- glieder in den versicherten Personenkreis der Rentenver- sicherung verfassungsrecht- lich unzulässig wäre. Wir wer- den dazu in nächster Zeit ein Gutachten eines namhaften Rechtslehrers vorlegen.
DÄ: Es steht eine grund- sätzliche Neuordnung der Be- steuerung der Altersvorsorge an. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist am 6. März zu dieser Frage ge- troffen worden. Was erwarten Sie an grundsätzlichen Wei- chenstellungen?
Dr. Kirchhoff:Ich gehe da- von aus, dass das Bundesver- fassungsgericht eine Umori- entierung der Besteuerung der Renten in das „nachgela- gerte Verfahren“ fördern will. Das bedeutet: Die Bei- träge zur Rentenversiche- rung, und damit auch zu den Versorgungswerken, können künftig von der Steuer abge- setzt werden, die späteren Renten aber voll besteuert werden. Das Problem ist der Übergang von dem jetzigen System der Ertragsanteilbe- steuerung in das nachgela- gerte Verfahren. Hier wird ganz wesentlich sein sicher- zustellen, dass nicht doppelt besteuert wird. Das gilt be- sonders für die selbstständig tätigen Mitglieder der berufs- ständischen Altersversor- gungswerke, die ihre Beiträ- ge in aller Regel aus voll ver- steuertem Einkommen auf- gebracht haben. Einen steu- erfreien Arbeitgeberanteil, der in der Besteuerungsdis- kussion eine erhebliche Rolle spielt, haben sie, der Natur der Sache nach, nicht für sich beanspruchen können.
Die Fragen stellte Dr. rer. pol. Harald Clade.
V A R I A
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A798 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 12½½½½22. März 2002
Altersversorgungswerke/Freie Berufe
Schritte in die richtige Richtung
Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft berufs- ständischer Versorgungseinrichtungen e.V. (ABV), Dr. jur. Ulrich Kirchhoff, Hannover/Köln
Dr. jur. Ulrich Kirchhoff:
„Versorgungswerke sind in ihrem Bestand nicht gefährdet.“
Foto: Hoffmann Fotoexpress
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