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Kunst und Technik in der elektronischen Interaktivit ät Visionen des neuen Menschen Kunst als Vernetzung Hubertus Kohle

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Hubertus Kohle

Kunst als Vernetzung Visionen des neuen Menschen in der elektronischen Interaktivität

Kunst und Technik

Über das Verhältnis v o n Kunst auf der einen, Technik und W i s ­ senschaft auf der anderen Seite ist viel nachgedacht w o r d e n . Es unterliegt historischen Wandlungsprozessen, die sich nicht leicht auf den Punkt bringen lassen, i m großen und ganzen aber eher v o n Entfremdungs- als v o n A n n ä h e r u n g s m o m e n t e n bestimmt waren. W e n n allerdings eine ganze Reihe v o n zeitgenössischen Künstlern Technik und Wissenschaft gegenüber große Offenheit demonstrieren, ja w e n n m a n zuletzt v o n einem richtiggehenden Inspirationsverhältnis sprechen k a n n , so drückt sich darin eine Fortsetzung des Projektes der M o d e r n e aus, m i t dem die jahrhun­

dertelange Akademisierung v o n K u n s t aufgebrochen werden sollte. H ä u f i g nämlich waren die avantgardistischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts v o n einem positiven, zuweilen geradezu eu­

phorischen Verhältnis zur Technik geprägt und distanzierten sich damit von traditionalistischen Abgrenzungsbemühungen, m i t de­

nen die Klassizisten das Schöne, W a h r e und Gute vor allem schnöde Diesseitigen, rein Quantitativen und an schlichten Machbarkeitskriterien Orientierten bewahren wollten.

D a s heißt nicht, daß die Avantgarde d e m Technischen in seinen rationalistisch-lebensgestalterischen Aspekten vertraute. Eher im Gegenteil: Technik interessierte dort, w o sie dem »Künstlerscha- m a n e n « (Ascott, 1997) erlaubte, die Grenzen des bürgerlichen Alltags zu sprengen, w o sie eine A h n u n g v o n dem gab, was nicht in Kategorien des G e w i n n s zu messen war, w o sie Eingang in die Kunst »in der Gestalt des Irrationalen, des Richtungs- oder Be­

stimmungslosen, des von geheimnisvoller H a n d Gelenkten« fand (Umlauf, 1995, 176).

Es kann daher k a u m verwundern, daß gegenwärtig technisch­

naturwissenschaftliche Reflexion in der Kunst vor allem dort be­

gierig aufgenommen w i r d , w o sich diese Reflexion selbsr der

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Grenzen eines naiven Empirismus bewußt wird. Hervorstechen- des Paradigma dürfte hier die Quantentheorie mit ihren faszinie- renden, für den Alltagsverstand kaum nachvollziehbaren Subjekt- Objekt-Verschränkungen sein. D a ß nämlich die Eigenschaften des beobachteten Gegenstandes von den Bedingungen der Beobach- tung selbst abhängen sollen, ist eine so paradoxe Vorstellung, daß sie gerade Künstler in ihren B a n n zu schlagen vermag.

Telekommunikationskunst und Avantgarde

Eine zuweilen geradezu verdächtig innige Verbindung gehen die beiden Sphären in der elektronisch gestützten M e d i e n k u n s t ein, insbesondere dort, w o der C o m p u t e r ins Spiel k o m m t . Einer spe- ziellen Variante dieser Kunst will ich m i c h hier w i d m e n , der soge- nannten Telekommunikationskunst. W e n n nicht alles täuscht, werden hier schon Facetten des k ü n s t l i c h e n Menschen< der Z u - k u n f t gestaltet.

Hervorstechendes M e r k m a l einer tclematisch gestützten K u n s t , w i e sie v o n dem Engländer R o y Ascott und weltweit eini- gen wenigen anderen gepflegt w i r d , ist die Tatsache, daß sie auf den gängigen Objektcharakter weitgehend verzichtet, also nur sehr bedingt Greifbares und Ausstellbares produziert; d a ß sie eher K o m m u n i k a t i o n s f o r m e n gestaltet als isolierte K o m m u n i k a - tionsinhalte schafft; daß sie dialogisch strukturiert ist und Kunst zu einem Ereignis im Netzwerk werden läßt. W a s heißt das? Teil- nehmer an verschiedenen Orten arbeiten über Distanzmedien w i e Telefon oder Internet zusammen, tauschen Daten aus - Klänge, Bilder, Sprache - , modulieren diese Daten untereinander oder be- teiligen auch >Zuschauer< am Projekt, die damit selbst zu K ü n s t - lern werden. D a ß das Prinzip der K o o p e r a t i o n vor allem in den technisch gestützten Künsten vorherrscht, hatten schon die Expe­

riments in Art and Technology der späten 6oer Jahre vorgemacht, an denen neben vielen anderen auch Robert Rauschenberg betei- ligt war. D i e künstlerische Arbeit erfüllt sich jeweils nicht in ei- n e m Gegenstand, auf den hingearbeitet w i r d und der als Ergebnis dieser Arbeit aufbewahrt und ausgestellt werden kann; vielmehr ist der Prozeß der künstlerischen Arbeit das Ergebnis, im Prozes- sualen selbst erfüllt sich die K u n s t , greifbar-materielle E n d p r o - dukte haben zuweilen nur n o c h den Status v o n mehr oder minder

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zufälligen Überbleibseln, werden auf jeden Fall häufig nicht mehr als Ziel verstanden. Eben damit setzt diese Praxis Tendenzen fort, die etwa in der K o n z e p t k u n s t mit ihrem Dematerialisierungsan- spruch vorgeprägt sind, in Phänomenen wie der M a i l A r t schon relativ früh kultiviert w u r d e n , aktuell aber v o r allem im Rahinen einer Arbeitsweise z u m Z u g e k o m m e n , die sich als » K o n t e x t - kunst <• versteht (Weibel, 1993). Spätestens mit Lyotards Pariser Ausstellung Les Immateriaux v o n 1985 ist diese D i m e n s i o n m o - derner Kunst in den H o r i z o n t der öffentlichen A u f m e r k s a m k e i t gedrungen.

Greift man weiter aus, so können wichtige grundsätzliche Ei- genheiten avantgardistischer Kunst benannt werden, auf die sich die T e l e k o m m u n i k a t i o n s k u n s t beruft. Fluxus und H a p p e n i n g lie- fern das Vorbild für den inszenatorisch.cn Charakter und die Z u - schauerbeteiligung, daneben aber auch den multimedialen A n - satz, der hier w i e dort als Wiederherstellung v o n humaner Ganzheitlichkeit begriffen wird. Historisch läßt sich im übrigen nachweisen, d a ß die meisten Telekommunikationskünstler die- sem U m f e l d entstammen. Große Inspirationsquelle i m Hinter- grund ist zweifellos der technikverliebte Futurismus m i t seiner re- volutionären Überwindungs- und Vereinigungsmetaphorik. »The voice o f a song sung in Chicago is n o w heard in Australia a n d in the Steppes o f Russia. T h e m o m e n t is not far distant when all in- habitants o f the earth will listen all at once to the declamations of the G R E A T . « W e n n der Russe D a v i d Burliuk (19x6) hier eine weltweit agierende R a d i o - K u n s t visioniert, kann er damit z u m unmittelbaren Vorbild für die Telekommunikationskünstler w e r - den. A u c h die futuristische Polemik gegen das traditionelle Tafel- bild u n d das Plädoyer für eine Auflösung des traditionellen W e r k - Betrachter-Verhältnisses dürften sie in der Idee bestärkt haben, den passiven Rezipicnten in einen aktiven Teilhaber u m z u d e n k e n . So w u r d e n seit den siebziger Jahren etwa >events< organisiert, bei denen M u s i k e r aus unterschiedlichen Ländern über Telefon zu- s a m m e n musizierten. N o c h früher, i m Jahre 196'z, konzipierte N a m June Paik ein Klavierkonzert, bei dem der rechte Part einer Bach-Fuge in Shanghai, der linke in San Francisco zu spielen war.

O b w o h l es aus naheliegenden G r ü n d e n zu keiner A u f f ü h r u n g k a m , war die A k t i o n des Koreaners auf der H ö h e der Zeit, f a n d d o c h k u r z darauf die erste interkontinentale Fernsehübertragung zwischen Europa und den U S A statt. Ascott selbst inszenierte A n -

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fang der Soer Jahre anläßlich der im Musee d ' A r t M o d e r n e de la Villc de Paris organisierten Ausstellung Electra » L a Plissure du Texte«, bei dem an weltweit sechzehn telefonisch miteinander verbundenen Stationen v o n einer nicht präzise bestimmten A n - zahl v o n Künstlern ein Märchen in verteilten Rollen verfaßt wurde. Das Ergebnis ist zwar heute noch zu überprüfen1, die ei- gentliche Erfahrung des künstlerischen Charakters k o n n t e aber w o h l nur v o n den Teilnehmern selber im M o m e n t des Entstehens gemacht werden. D a s K o n z e p t einer verteilten Autorenschaft fand in diesem insgesamt vielleicht a m bekanntesten gewordenen telekommunikationsgestützten Projekt einen ersten H ö h e p u n k t . Ascotts Kollege Robert Adrian X , ein anderer Pionier der Tele- k o m m u n i k a t i o n s k u n s t , widmete sich 1982 i m A u f t r a g der Linzer Ars electronica der »Welt in 24 Stunden«. Hieran waren 15 Sta- tionen über den Erdball verteilt beteiligt, die selbstgewählte und -hergestellte K l a n g - und Bildstrukturen in das N e t z eingaben, v o n anderen Teilnehmern solche übernahmen, weiterbearbeiteten und danach wiederum weiterschickten. Strukturiert wurde das Ereig- nis nur dadurch, daß jede Station ihre Beiträge jeweils u m 12 Uhr mittags eingab, so daß sich eine richtiggehende weltumspannende

>Kunstsphäre< ergab, die ihre Produktivität d e m L a u f der Sonne anpaßte. M a n wird ein solches H a p p e n i n g zumindestens auch als Konkretisierung eines »kosmischen Bewußtseins< verstehen dür- fen, das schon die russischen Supremaristen m i t Kasimir M a l e - witsch an der Spitze zu erlangen trachteten. D i e Zentrumslosig- keit einer solchen Struktur, die v o n allen als inspirierender Ausrausch zwischen ganz unterschiedlichen Kulturbereichen ge- rühmt wurde, kennzeichnet einen weiteren zentralen A s p e k t von Telekommunikationskunst. In A d r i a n s eigenen Reflexionen über sein künstlerisches Tun k o m m t aber auch am deutlichsten eine ge- wisse Enttäuschung über das Erreichte z u m A u s d r u c k (Adrian,

1989). D i e angestrebte globale Aktivität gilt i h m im nachhinein als eine sehr begrenzte, eigentlich nur auf die Industrieländer be- schränkte Globalität, in der ein großer Teil der Welt aus Tcchno- logiemangel völlig außen vor geblieben sei. A u c h drängt sich ihm der Eindruck auf, daß die künstlerischen L'nternchmungen allzu oft nichts anderes leisteten, als der industriellen A n w e n d u n g v o n elektronischen Strukturen den Weg ins öffentliche Bewußtsein zu

1 Internet: http://wvuw.bmts.com/-normill/Texl/plissure.txt

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ebnen. D a m i t sei genau das Gegenteil des ursprünglich A n g e - strebten herausgekommen: Hatte m a n im Uberschwang eines technophilen Idealismus zunächst die Kreativität des einzelnen fördern w o l l e n , so schien schlußendlich wieder einmal nur das Gewinnstreben der Industrie befriedigt, wenn nicht gar eine A s - thetisierung v o n Kriegstechnologie betrieben.

D e r soziale A n s p r u c h v o n Telekommunikationskunst k o m m t bei zwei amerikanischen Künstler(inne)n besonders deutlich z u m Vorschein. Kit G a l l o w a y und Sherrie R a b i n o w i t z inszenierten schon 1 9 8 0 ein telematisch gestütztes H a p p e n i n g zwischen L o s Angeles und N e w Y o r k (Whole in Space), in das zufällig vorbei- k o m m e n d e Passanten eingebunden wurden. I n jeweils einem Kaufhaus-Schaufenster der beiden Städte wurden elektronisch übertragene Bilder und T ö n e der anwesenden Passanten v o n der anderen Seite des Kontinents übertragen, die sich - w i e ein L o c h im R a u m - ganz unerwartet ins Gesichtsfeld der V o r b e i k o m m e n - den schoben. Sie führten zu einer intensiven und offenbar zuweilen höchst phantasievollen F e r n - K o m m u n i k a t i o n in der öffentlichen Sphäre. Einen solchen A n s p r u c h forcierten die beiden Künstler bei der O l y m p i a d e 1988 in L o s Angeles, als sie in ihren Electronic Cafes Menschen unterschiedlicher Nachbarschaften in sozialen Brennpunkten der kalifornischen Großstadt medial zusammen- schalteten. Sie machten die Erfahrung, daß anfängliches M i ß - trauen, welches das Verhältnis v o n sozial Deklassierten prägte, auf die Dauer in hoffnungsvoll stimmende fruchtbare Z u s a m m e n a r - beit mündete. Der Aspekt der Gemeinschaftsstiftung dürfte ein zentrales A r g u m e n t für die Praxis v o n Telekommunikationskunst sein, daneben speziell der alte, hier m a n c h m a l realisierte Anspruch der Avantgarde, jeden Menschen z u m Künstler z u machen. V o r al- lem das vergleichsweise bekannt gewordene Wbole in Space, bei dem nach einigen Tagen offenbar ganze Familienfeiern und große Partys gefeiert w u r d e n - mit Teilnehmern, zwischen denen eine Entfernung von über 5.000 Kilometern lag - , deutet ein wichtiger Interpret interaktiver Medienkunst als ein künstlerisches Ereignis, mit dem »alte Rituale und M y t h e n wiederzubeleben« waren, die im Prozeß der Industrialisierung und Individualisierung verloren- gegangen seien. Entstanden sein soll bei d e m Experiment eine

»kollektive Vertrautheit, w i e w i r sie von Stammeskulturen ken- nen« ( Y o u n g b l o o d , 1986, 2.95). D i e Wiederbelebung vorge- schichtlicher / vorschriftlicher / vorzivilisierter Traditionen ist ein

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143 Aspekt, der bei einer ganzen Reihe v o n Interpretationen der A k - kulturationsmacht elektronisch gestützter M e d i e n ins Z e n t r u m gestellt wird. M c L u h a n s Vermutung, i m globalen D o r f der m o d e r - nen Netzwerke finde so etwas w i e eine R ü c k k e h r in stammesge- sellschaftliche U m g a n g s f o r m e n statt, gehört z u m Standardreper- toire der Medientheorie. Interessanterweisc aber sah auch schon die frühe Avantgarde in der Technik ein Mittel, den M e n s c h e n in seine ursprüngliche Ganzheit zurückzuführen.

Roy Ascott, der Schamane der Telekommunikationskunst

Ascott selber hat eine solche künstlerische Arbeit, die sich übli- chen Ausscellungs- und Vermarktungsgepflogenheiten v o n Kunst radikal entzieht und d a m i t auch k a u m in die Darstellungen einer kanonisierten M o d e r n e eingedrungen ist, a m intensivsten theore- tisch reflektiert und begleitet. M i t d e m »konnektivistischen Para- digma« begründet er seine kollektiv schöpferische Kunstpraxis.

Gemeint ist damit die Uberzeugung, daß alles m i t allem zusam- menhänge, jedes Element eines Systems - und ein künstlerisches Projekt begreift er ganz emphatisch als systemischen Z u s a m m e n - hang v o n einzelnen Individuen und Produkten - seinen Status und seine Bedeutung aus der Einbettung in den G e s a m t k o n t e x t er- halte (Ascott, T h e m u s e u m o f the third kind, 1996). Darstellung v o n Objekten wird so obsolet, fängt m a n damit doch zwangsläu- fig nicht mehr als die Oberfläche ein und übersieht das eigentliche Beziehungsgeflecht, in das diese O b j e k t e eingebunden sind (As- cott, D a s digitale M u s e u m , 1996). I m System verliert das Subjekt seinen überkommenen Status, i m Super-System des Netzes spaltet sich das Ich in ein ganzes K a l e i d o s k o p v o n Identitäten auf, je nach aktueller Konstellation der Bezüge. Ascott spricht in Anlehnung an R o l a n d Barthes gerne v o m »Tod des A u t o r s « , der kreativ- k o m m u n i k a t i v e Prozeß ist geprägt v o n künstlerisch relevanten Unschärfen, Undeterminiertheiten und Unsicherheiten, die zu fortwährender phantasievoller Transformation des Materials führen (Ascott, 1989). D e r A u t o r wird radikal z u m nur mehr rea- gierenden Teil eines übergreifenden Z u s a m m e n h a n g e s , der aber als emergente Struktur eine Leistung erbringt, die m e h r bietet als eine Summierung der Einzelleistungen (Ascott, 1984, 31, 45, 58).

D a s Grundmuster dieser Überlegungen ähnelt dem der Künstli-

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chen-Intelligenz-Forschung, die sich zuletzt mehr a n das V o r b i l d der Gehirnstruktur anlehnt u n d Intelligenz als selbstorganisie- rende verteilte Prozesse begreift.

D i e Faszination bei der künstlerischen Arbeit in N e t z w e r k e n ist die Faszination der körperlosen, oder zurückhaltender gesagt:

k ö r p e r ü b e r w i n d e n d e n Seinsweise. D e n n v o n einer » A u s d e h n u n g des K ö r p e r s « i m N e t z ist die R e d e - » W e n n ich i m N e t z arbeite, ist jedes K a b e l , jeder K n o t e n , jeder Server ein Teil v o n m i r « (As- cott, 1996) - d a n n aber a u c h » v o n d e m G e f ü h l eines sich außer- h a l b des K ö r p e r s Befindens« ( A s c o t t , 1984). D a ß der Geist sich aus d e m im futuristischen E l e k t r o n i k - J a r g o n >wetware<, w e n n nicht schlicht >meat< genannten menschlichen K ö r p e r herauslöse u n d sich » m i t einer A r t v o n zeitlosem O z e a n « verbinde (Ascott,

1984), ist A s c o t t bei seinen zahlreichen t e l e k o m m u n i k a t i o n s g e - stützten A r b e i t e n , die ihn in einen » Z u s t a n d metaphysischer H a r - m o n i e « versetzt h a b e n , z u r G e w i ß h e i t g e w o r d e n (Ascott, 1984).

Einer seiner Kollegen hält gar den Z e i t p u n k t für g e k o m m e n , an d e m die M e n s c h h e i t »nicht nur engelsgleich, s o n d e r n gottesgleich zu werden verspricht« (Kriesche, 1996). N i c h t g a n z zufällig ist ih- nen u n d den radikalen Vertretern einer digitalen K u l t u r auch der R ü c k f a l l in ein materiefeindliches, neuplatonisch-gnostisches D e n k e n u n d in einen längst ü b e r w u n d e n geglaubten cartesiani- schen D u a l i s m u s vorgehalten w o r d e n , der die menschliche E x i - stenz sauber in K ö r p e r und Geist auftrennt u n d den Geist als grundsätzlich k ö r p e r l o s versteht (Dery, 1996). Dies aber k ö n n t e ein M i ß v e r s t ä n d n i s sein: N i c h t so sehr als Gegensatz n ä m l i c h scheint A s c o t t das Verhältnis v o n K ö r p e r und Geist zu d e n k e n . Geist gilt i h m vielmehr in seinem durchgängig ganzheitlichen G r u n d a n s a t z als k o m p l e x e A u s f a l t u n g des K ö r p e r l i c h e n u n d auch hier w i e d e r u m als E m e r g e n z - P h ä n o m e n , s o w i e es in d e n sy- stemtheoretischen Ansätzen bedacht wird.2 » D e r K ö r p e r d e n k t « , so bringen es diejenigen auf den P u n k t , die in der digitalen K u l t u r i m Sinne M c L u h a n s u n d Flussers eine U b e r w i n d u n g der visuell- abstrakten Schriftkultur u n d die D u r c h s e t z u n g einer umfassen- den Sinnlichkeit erblicken ( K e r c k h o v e , 1995, 345)- D e r K ö r p e r aber, u n d hier dürfte die unerwartete Pointe versteckt liegen, ist nicht m e h r u n b e d i n g t derjenige aus Fleisch und B l u t , auch die M a s c h i n e k a n n als k ö r p e r h a f t gedacht w e r d e n .

2 Vgl. Kelly, I999, 5.81 ff.

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145 Ascott reflektiert m i t seinen enthusiastischen Einlassungen eine ans Religiöse grenzende Erfahrung, die viele Künstler und W i s - senschaftler, welche das Internet nicht als schnödes Informations- instrument gebrauchen, v o r allem zu Beginn ihrer Beschäftigung m i t dem neuen M e d i u m gemacht haben. Robert A d r i a n X etwa beschreibt eindrücklich seine ersten Erfahrungen m i t dem Cyber- space:

»Wenn die Maschinen an sind, und deine Finger auf der Tasta- tur, dann bist du in Verbindung m i t einem R a u m hinter dem M o n i t o r . U n d dieser R a u m ist nur da, w e n n die M a s c h i n e n an

sind. M a n betritt einfach eine neue W e h . Für m i c h hatte das nie etwas m i t Reisen zu tun. Für mich hatte das eher etwas mit Prä- senz zu t u n , mit dem Eindringen in ein neues Territorium durch eine Art M e m b r a n . « (Adrian, J997}

D i e D i k t i o n erinnert an Beschreibungen spiritistischer Sitzungen, elektrische Spannung sichert hier die Anwesenheit im Jenseits, welche sich bei Abschalten der Apparate unrettbar verflüchtigt.

Sie steht in einer Tradition, die der unsichtbaren, aber ungeheuer machtvollen Elektrizität v o n Beginn an eine quasi magische Kraft zugemessen hat (Carey/Quirk, 1969/70).

Telematische Transzendenz

Der Begriff des >Religiösen< ist dabei nicht als hilflose Metapher zu verstehen, sondern kennzeichnet vielleicht den Kern der gan- zen Bewegung, so wie er auch tiefe Spuren im aktuellen medien- theoretischen Diskurs, angefangen beim Übervater M c L u h a n , hinterlassen hat. Im Hintergrund steht dabei zweifellos die N e w - Age-Bewegung, die Intuition systematisch über Rationalität stellt und der zergliedernden Kultur des Westens die ganzheitliche des Ostens entgegensetzt.3 Der Wille zur Transzendenz zeigt sich bei einer ganzen Reihe v o n Medienkünstlern, zunächst als W u n s c h nach Überschreiten gesetzter Bedeutungsgrenzen, dann aber auch als Sehnsucht nach Überwindung des Materiellen und nach dem Erlangen einer spirituellen Dimension. N e u ist gegenüber klassi- schen Erlösungsreligionen nur die Vorstellung, diese Rettung sei m i t den Mitteln avanciertester Technologie zu erlangen. Ascott

3 Vgl. Küenzlen, 1997, S.250ff.

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selbst setzt bei seinem Verlangen nach Ü b e r w i n d u n g v o n Zeit und R a u m auf »eine Art bio-technologiscber Theologie« ; prosai- schere Kritiker haben das sarkastische W o r t v o m Personalcompu- ter als L S D der 1990er Jahre geprägt oder i m Internet das W o o d s t o c k der Cyberwelt wiederentdeckt. W e n n Ascott seine Ungeduld im Angesicht einer Technologie formuliert, die sich zwar rasend schnell weiterentwickelt, aber doch nicht ausrei- chend schnell, u m dem Künstler die Bild-, K l a n g - und Textsyn- these zu einem universellen »Gesamtdatenwerk« zu erlauben (As- cott, 1 9 8 9 , 1 0 6 ) , so steckt darin der alte T o p o s v o m Leiden an der Parusieverzögerung: So wie trotz biblischer Zusicherung das Ende der Welt samt R ü c k k e h r in die Einheit des Ursprungs aus- blieb und die frühen Christen zuweilen zur Verzweiflung trieb, so schreitet für Ascott die heilbringende Virtualisierung allzu lang- sam voran. »Was theologisch war, wird technologisch«, heißt das ohne jeden A n f l u g v o n Ironie bei einem anderen aktuellen M e d i - entheoretiker (Levy, 1997, 100).

D i e Vorbilder für eine solche Theologie sind inzwischen mehr- fach gesichtet w o r d e n . A n erster Stelle ist w o h l Pierre Teilhard de Chardin zu nennen, der m i t seiner Idee v o n der N o o s p h ä r e selbst schon auf technische Realisierungsformen setzt. Gemeint ist eine

>denkende Sphäre<, die sich in historisch stark steigender Dichte in technisch vermittelten menschlichen K o m m u n i k a t i o n e n rund u m den G l o b u s bildet, damit eine Kollektivseele schafft und den alten T r a u m v o n der R ü c k k e h r in die Alleinheit schon innerwelt- lich zu erreichen scheint. Beispielgebend für die Techno-Künstler und ähnlich wie T h e o s o p h e n und Monisten, die vor allem die frühe Avantgardekunst inspiriert haben, denkt Teilhard de Char- din den Geist dabei nicht als Gegensatz zur Materie, sondern als

»über sich selbst hinaus vorangetriebenes Materielles, U b e r - M a - terielles« (Teilhard de Chardin, 1995, 37). A b e r auch an Peter Russell m a g m a n denken, einen Apostel der N e w - A g e - B e w e g u n g , der sich die Erde als lebendiges I n d i v i d u u m vorstellt, das sich in den elektronisch gebildeten Vernetzungen ein Nervensystem wachsen läßt. Dieses System, welches nach Russell schon bald nach dem Jahr 2.000 die K o m p l e x i t ä t des menschlichen Gehirns übertreffen soll, müßte zur Verschattung einzelner Bewußtseins- systeme in einem Superbewußtsein führen und deren Eigenstän-

4 Ascott, 1989, S. 103 u. 1990, S.246.

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147 digkeit zugunsten einer unendlich viel höheren und weiter wach- senden Geistigkeit aufheben (Russell, 1983).

D i e innerweltliche Erlösungsperspektive prägt dabei insbeson- dere eine G r u p p e v o n Radikalutopisten, deren Präsenz i m techno- modernistischen Diskurs in keinem Verhältnis zu ihrer zahlenmä- ßigen Beschränktheit steht. Gemeint sind die >Transhumanisten<

oder auch >Extropianer< (Gegenbegriff zu >Entropie<, mit der die T h e r m o d y n a m i k e r auf den unvermeidbaren Verfall allen Lebens verweisen), die nichts sehnlicher wünschen, als sich ihrer >wet- wäre< endgültig zu entledigen, u m auf funktionstüchtigere, ver- netzbare und v o r allem haltbarere >hardware<, sprich Maschinen umzusteigen (Freyermuth, 1998). Diese vor allem in Kalifornien lebenden Hyperoptimistcn lehnen sich an die extrem antihumani- stischen, dabei durchaus nicht faszinationslosen V i s i o n e n des R o - boterforschers H a n s M o r a v e c an, der die Leistungsfähigkeit neue- ster Computergenerationen schon in wenigen Jahrzehnten an einem Punkt angelangt sieht, an dem die Denkkapazität des M e n - schen simuliert und damit ü b e r n o m m e n werden k a n n (Moravec, 1990). >Downloading< heißt hier das Z a u b e r w o r t ; d a ß das Gehirn immerhin so kompliziert ist, daß wir es noch heute eigentlich k a u m in seinen G r u n d f u n k t i o n e n verstehen, interessiert weniger:

Uber eine Schnittstelle, die wie in W i l l i a m Gibsons K u l t r o m a n Neuromancer direkt ins Gehirn implantiert wird, sorgt ein einfa- cher Copy-Befehl dafür, daß die menschliche Information (ge- dacht ist w o h l an eine in den Genen angelegte und lernend erwor- bene) auf die M a s c h i n e übertragen wird und d a ß der Mensch d a n n eben in einem anderen, aber tüchtigeren Gehäuse weiterlebt.

D i e Sorge der Extropianer besteht nun i m wesentlichen darin, wie sie die Zeit überstehen, bis die M a s c h i n e n leistungsstark genug sind, u m die beschriebene Funktion zu übernehmen. A b e r auch dafür ist schon eine Lösung parat, die genauso schlicht wie medi- zinisch umstritten ist: einfrieren und dann erst zu einem Zeitpunkt wieder auftauen, w e n n die Techniker endlich soweit sind, d a ß pa- radiesische Zustände auch schon auf Erden herrschen.

Die Politik des Cyberspace

D i e Unbestimmtheit und Offenheit des künstlerischen N e t z - D i s - kurses hat aber durchaus Aspekte, die über das Spielerische, im

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besten Fall Gemeinschaftsstiftende hinausgehen. I m Vordergrund steht eine politische D i m e n s i o n , die v o n einem anarchistischen Grundiinpuls belebt wird, welcher so viele künstlerische Stimmen der M o d e r n e moduliert hat. D i e Unbestimmtheit nämlich ent- ziehe sich den Festlegungen der Machthaber, sie unterwerfe sich niemals der von den Herrschenden fixierten Bedeutung, der sich die Beherrschten zu unterwerfen hätten. W e n n Weibcl v o m digi- talen als dem »befreiten Bild« spricht, so klingt darin auch die politische D i m e n s i o n nach (Weibel, 1984). D i e rhizomatische Struktur des Netzes sorge für Unkontrollierbarkeit und die Möglichkeit, im »Polylog« (Lischka/Weibel, 1989) Sinn jeweils originär zu stiften - und sei der auch noch so unbequem und dem

>mainstream< entgegenlaufend, Alles, was mit geschlossenen Sy- stemen und institutionalisierten Verwaltungen zu t u n hat, gerät damit in Totalitarismusverdacht, der Kreative fühlt sich immer dort gefesselt, w o seine phantasievolle Schöpferkraft behindert und in die Bahnen des Althergebrachten gezwungen w i r d . V o r al- lem die Interaktivität, also die doppelseitige Austauschstruktur, in der der Sender immer auch Empfänger, der Empfänger immer auch Sender v o n Nachrichten ist, trage zur demokratischen Ver- faßtheit der aktuellen elektronischen M e d i e n bei, erfülle sich doch hier eine alte Forderung, die schon Bertolt Brecht in seiner berühmren Kritik a m Einbahnstraßen-Prinzip des gängigen R a - dios formuliert hatte. Hinter dieser Auffassung steht natürlich die verbreitete A n s c h a u u n g , das Netz, gemeint ist v o r allem das In- ternet als N e t z der Netze, sorge für eine endgültige und radikale Durchsetzung des demokratischen Prinzips. Schaut m a n genauer hin, ist damit aber nicht die uns geläufige Form der repräsentati- ven Demokratie, sondern - bei aller anarchistischen Rhetorik - eine extrem privatistisch gedachte direkte FJemokratie der Indivi- duen vorgestellt, w i e sie v o r allem den kalifornischen T r a u m der radikal-libertären Rechten prägt (Rötzer, 1996). Für die aktuelle Verwischung der Grenzen v o n rechts und links spricht dabei auch, daß m a n c h einer sich zu der Behauptung versteigt, das In- ternet diene der »Verwirklichung des marxistischen Ziels einer Aneignung der Produktionsmittel durch die Produzenten«, ohne sich ideologisch deutlich von den Liberalisten abzusetzen (Levy, 1996). U m die Möglichkeit einer freien Produktivität und M e i - nungsäußerung i m N e t z zu garantieren, Voraussetzung für eine derartige Form der D e m o k r a t i e , m u ß hier natürlich die weitestge-

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149 hende Zensurfreiheit gesichert sein. Amerikanische Bewegungen, die sich mit großer Publikumsresonanz hierfür aussprechen und auch bei Pornographie, A u f f o r d e r u n g zu G e w a l t und Rechtsradi- kalismus keine staatlich verfügten Einschränkungen dulden w o l - len, fühlen sich diesem politischen Spektrum zugehörig. D a s Z u - rückdrängen v o n staatlichen Institutionen korrespondiert mit einer beherzten Propagierung allen technologischen Fortschritts, die m a n z u m Teil wohl auch als K o m p e n s a t i o n für eine Enttäu- schung über die als bescheiden empfundenen Errungenschaften der Politik werten darf. Technischer Fortschritt selber fördere die Ausbreitung der D e m o k r a t i e ; die Frage, wie und v o n w e m Tech- nologie zur Durchsetzung v o n eventuell sehr partikularen Zielen gefördert w i r d , stellt sich bei aller radikalen Rhetorik zwangsläu- fig k a u m . W e n n Peter Wcibel, einer der einflußreichsten M e d i e n - Theoretiker und -Künstler und als neuer Direktor des Karlsruher Z e n t r u m s für Kunst und Aledien ( Z K M ) an einer zentralen Schaltstelle positioniert, die Demokratisierung in ein eindeuti- ges und w o h l auch ausschließlich gedachtes Kausalverhältnis zur Beschleunigung der Kommunikationsstrukturen seit dem 19. Jahrhundert bringt, so schließt er sich hier an: D e r Primat der Technik scheint den Primat der Ö k o n o m i e verdrängt zu haben.

Ideologiekritisch orientierte Aufklärer (Guggenberger, 1997) ha- ben dagegen einen schweren Stand: Ihre Ironie gegenüber dem techno-modernistischen Zeitgeist wirkt fast unrettbar antiquiert.

Eindrucksvoller scheint da schon das Eingeständnis des immerhin an zentraler Stelle selbst beteiligten Robert A d r i a n X , die H o f f - nung auf eine durch die neuen K o m m u n i k a t i o n s m i t t e l intensi- vierte Form von zwischenmenschlicher Interaktivität sei naiv ge- wesen, weil sie die Beharrungskraft einer über Jahrhunderte eingespielten Austauschstruktur von Produzent und K o n s u m e n t vernachlässigt habe (Adrian, 1989). Ascott scheint durch solche Zweifel k a u m berührt. In einer aggressiven, die Rhetorik der libe- ralen Rechten noch übertrumpfenden Polemik gegen die »alte, muffige, verzweifelte, negative, endlos kritische und hoffnungslos zynische Kultur Europas« stellt er dem alten K o n t i n e n t die M u - sealisierung für den Fall in Aussicht, daß er sich nicht m i t H a u t und Haaren selber der Vernetzung und technologischen M o d e r n i - sierung verschreibe (Ascott, T997). Sein anarchistischer Impetus wendet sich dabei zwar gegen den obsessiven Individualitätskult der alten Industriegeselischaft und zielt auf kollektive Vernct-

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zung, ist aber selber durch und durch individualistisch bestimme (Ascott, 1996. D a s digitale M u s e u m , 79).

Schlußfolgerungen

D i e Bewertung der hier kurz angesprochenen künstlerischen P r o - jekte und ihrer ideologischen Flankierung fällt nicht leicht. D i e zuweilen abstrusen Po in ti ertrugen w i r d m a n als gängige Polarisie- rungen einordnen und relativieren müssen, genauso wie die poli- tischen Ausgangs-Konstellationen m i t aller Entschiedenheit in Er- innerung zu rufen sind. Auch wird man sich des Eindrucks nicht erwehren k ö n n e n , daß die künstlerische Praxis weniger k o m p l e x ist als die begleitende Theorie, o b w o h l auch dieses Urteil mit V o r - sicht 7.u genießen ist, weil die Praxis eigentlich nur dem direkt Be- teiligten durchschaubar wird. Aber selbst wenn der ideologiekri- tische Vorbehalt, hier würde i m wesentlichen der Durchsetzung massiver Technologisierung allen gesellschaftlichen Lebens Vor- schub geleistet, nicht einfach v o n der H a n d zu weisen ist. sollte die prognostische Bedeutung des telematischen K u n s t p r o g r a m m s nicht unterschätzt werden. D e n n ganz außer Zweifel dürfte ste- hen, daß sich hintei der Verriet zungsidee Ascofts und seiner K o l - legen ein wesentlicher Aspekt des -künstlichen Menschen- der Z u - kunft verbirgt.

Referenzen

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