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Archiv "In allen Bereichen begehrte er gegen die Autoritäten auf" (12.03.1993)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

HEMEN DER ZEIT

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aracelsus ist auch heute noch präsent, u. a. als Patron von Apotheken und Drogerien, als Namensge- ber von Intercity-Zügen und als Schutzherr der Paracelsus-Kli- nikkette. Es gibt die Paracel- sus-Nervenstärkung und die Paracelsus-Windtropfen (auf homöopathischer Basis gegen

„Gasbauch"). Nicht wenige

„ganzheitlich" orientierte zeit- genössische Ärzte reklamieren Paracelsus für sich. Nicht zu- letzt sei daran erinnert, daß die deutsche Ärzteschaft alljähr- lich die Paracelsus-Medaille an verdiente Ärzte verleiht.

Im Vergleich mit diesen ak- tuellen Paracelsus-Bildern er- scheint die historische Realität dagegen komplex. Das Leben Hohenheims ist zwar in Umris- sen bekannt, jedoch gibt es vie- le Leerstellen, die von Biogra- phen allzu gerne unkritisch ausgefüllt werden. Das Werk Hohenheims ist ungeheuer um- fangreich, seine Interpretation außerordentlich schwierig. Von daher kann nur gewarnt wer- den vor einer allzusehr auf Ge- neralisierung bzw. Aktualisie- rung bedachten Rezeption, wie sie gerade anläßlich des anste- henden 500. Geburtstages zu erwarten sein wird. Die folgen- den kurzen Bemerkungen zum Leben, zum Werk und zu.

Aspekten der Wirkung Hohen- heims sollen demgegenüber das historische Faktengerüst dokumentieren. Vielleicht kön- nen sie gegen die zu erwarten- de Jubelschriftenflut eine apo- tropäische Wirkung entfalten und ein wahrhaftes Eingeden- ken an diesen merk-würdigen Mann befördern.

Zum Leben

Ein nicht unbedeutendes Problem des anstehenden Pa- racelsusjubiläums ist vorab festzuhalten: der Termin. Zwar hat man sich stillschweigend in der Paracelsus-Gemeinde dar- auf geeinigt, den 500. Geburts- tag im Jahre 1993 zu begehen, doch ist dieses Jahr keineswegs gesichert. Es kann erschlossen werden, daß Hohenheim zwi- schen Oktober 1493 und Au- gust 1494 in Einsiedeln (Schweiz) geboren wurde, doch eine alle Zweifel ausräumende endgültige Festlegung ist auf- grund der fehlenden offiziellen Quellen nicht möglich. Auch

der Name birgt Probleme. Ho- henheim schreibt sich auf den zu Lebzeiten publizierten Wer- ken meist Theophrastus (einge- deutscht: Theophrast) von Ho- henheim. Der Vorname Phi- lipp ist schlecht bezeugt, Aure- olus wird nur gelegentlich ge- nannt. Belegt ist der Ge- schlechtsname Bombast. Theo- phrast Bombast von Hohen- heim war der Sohn des Arztes Wilhelm Bombast von Hohen- heim. Dieser stammte, aller- dings unehelich geboren, aus dem alten schwäbischen Adels- geschlecht der Bombaste von Hohenheim. Die Mutter Theo- phrasts war eine Hörige des Benediktinerstifts zu Einsie- deln, ihr Name, meist als Ochs- ner angegeben, ist nicht . gesi- chert. Die Bedeutung des spä- ter angenommenen Beinamens Paracelsus ist unklar. Vielleicht stellt er nur eine Latinisierung des Vaternamens (Celsus = hoch, Para = neben, bei, hier im Sinne von „Heim") dar. Daß er, wie oft zu lesen, „über Cel- sus hinaus" (Celsus = römi- scher Schriftsteller, der auch über Medizin publizierte) be- deuten soll, ist unwahrschein- lich. Paracelsus erwähnt Celsus in seinen Schriften nicht. Dage- gen spricht auch, daß der Bei- name zuerst in den astrolo- gisch-mantischen Schriften Ho- henheims erschien, die mit Cel- sus nicht in Verbindung zu bringen sind.

Um das Jahr 1502 zog Theo- phrast mit seinem Vater nach Villach (Kärnten) um. Über seine Schul- und Studienzeit ist wenig bekannt. Er selbst be- richtet, er habe mehrere „hohe Schulen erfahren". Einem von Paracelsus in Basel geschwore- nen Eid ist zu entnehmen, daß er (etwa um 1515, das genaue Datum ist nicht bekannt) in Ferrara den Doktortitel er- warb. Die anschließende soge- nannte „Große Wanderung"

1.■

Udo Benzenhöfer

(ca. 1516 bis ca. 1524) durch Europa ist ebenfalls weitge- hend in historisches Dunkel ge- hüllt.. Wahrscheinlich wirkte Hohenheim in diesen Jahren auch als Feldarzt. Er erwähnt eine Beteiligung an „Venedi-

Paracelsus im Alter von 47 Jah- ren, ein von Hirschvogel radier- tes Portrait (1538)

schen, Denemerkischen und Niderlendischen Kriegen". Im Jahre 1524 findet man ihn in Salzburg. Man kann erschlie- ßen, daß er hier mit den evan- gelisch gewordenen Bauern und Bürgern sympathisierte, die sich 1525 gegen den Erzbi- schof Matthäus Lang erhoben.

Doch schon Mitte 1525 verließ Hohenheim die Stadt, wobei die genauen Umstände noch der Klärung harren.

Nach einem kurzen Aufent- halt in Straßburg wurde Ho- henheim 1527, wohl auf Betrei- ben reformatorisch gesinnter Kreise, als Stadtarzt und — da- mit verbunden — als Hochschul- lehrer nach Basel berufen. Hier hielt er, revolutionär für die Zeit, neben lateinischen Vorle- sungen auch Vorlesungen in deutscher Sprache. Nach Aus- einandersetzungen mit Ärzte- kollegen, Apothekern und dem

Rat der Stadt mußte er jedoch

— Anfang 1528 — fluchtartig Ba- sel verlassen. Weitere Wander- jahre durch den Süden

Deutschlands, die Schweiz und Österreich folgten. 1541 kam Hohenheim wieder nach Salz- burg. Hier verstarb er am 14.

September 1541 fast mittellos und wurde auf dem St. Sebasti- ansfriedhof begraben. Seine Gebeine wurden 1752 umge- bahrt. Sie werden heute noch in der Vorhalle der Sebastians- kirche in einem Grabmal auf- bewahrt.

Medizinische und naturkundliche Schriften

Zu den frühesten Schriften Hohenheims aus der Zeit um das Jahr 1520 zählt das frag- mentarische „Volumen Para- mirum". Es enthält eine eigen- willige Darstellung der Krank- heitsätiologie. Für die Krank- heitsentstehung seien fünf sog.

„Entien" verantwortlich: Ens astrale (Kosmos), Ens venenale (Umwelt), Ens naturaie (Ver- anlagung), Ens spirituale („gei- stige" Störung) und Ens deale (Gottes Strafwille). Diese um- fassende „Entienlehre" wird heute häufig angeführt, wenn man von dem „modernen" und

„ganzheitlichen" Paracelsus spricht. Sie wurde jedoch in.

späteren Schriften von Hohen- heim selbst nicht wieder aufge- griffen.

Nach neuerer Ansicht wur- de zwischen 1520 und 1522 auch die Schrift über die

„Bergsucht" verfaßt, eine der frühesten berufsmedizinischen Monographien. In ihr be- schrieb Hohenheim eindring- lich die Berufskrankheiten der Bergleute. Die Schrift wurde allerdings erst 1567 gedruckt.

In den Jahren 1525/26 entstand Hohenheims, zu Leb- zeiten ebenfalls ungedruckte, pharmazeutisch-chemische Hauptschrift mit dem Titel

„Archidoxen" (Erz- und Grundlehren). Hier wurde eine Alchemia medica entworfen, die sich vor allem der Destilla- tionsmethoden bediente. Ihr Ziel war die Trennung des rei- nen, wirksamen Arzneistoffes vom unreinen, unwirksamen Anteil (separatio puri ab impu- ro). Vorgestellt wurden u. a.

die später oft mit Hohenheims Namen assoziierten „chemi-

In allen Bereichen begehrte er gegen die Autoritäten auf

Zum „500." Geburtstag des Theophrast von Hohenheim, genannt Paracelsus

A1 -704 (32) Dt. Ärztebl. 90, Heft 10, 12. März 1993

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schen" Arzneimittel aus Metal- len und Mineralien (z. B.

Quintessenzen, Arkana, Magi- steria, Elixiere). Bezeichnend für die Archidoxen ist, daß zahlreiche Rezepte für den Le- ser praktisch nicht nachvoll- ziehbar waren, weil die Be- schreibung undeutlich blieb.

Das erste zu Lebzeiten ge- druckte medizinische Werk Hohenheims trug den Titel

„Vom Holtz Guaiaco gründli- cher heylung" (1529). Hohen- heim wandte sich darin ebenso wie in den 1530 gedruckten

„Von der Frantzösischen kranckheit Drey Bücher. Para."

gegen den unkritischen Ge- brauch des „Wunderholzes"

Guajak, das erst um 1514 aus Mittelamerika nach Europa ge- bracht worden war und das sich rasch als Syphilistherapeuti- kum etabliert hatte.

Im Buch „Paragranum" (ge- schrieben ca. 1529/30) entwarf Paracelsus das Programm einer

„neuen", auf vier Säulen ge- gründeten Medizin. Diese vier Säulen sind Philosophia (Na- turkunde, Naturphilosophie), Astronomia (Mikrokosmos- Makrokosmos-Lehre, Einfluß des Himmels auf den Men- schen), Alchemia (Lehre von den chemischen Arzneien) und Proprietas (oder Virtus) des Arztes (Deontologie und Stan- desethik in christlichem Hori- zont).

Das „Opus paramirum" (ge- schrieben um das Jahr 1531) ent- hält grundlegende Aussagen zur Krankheitsentstehung, gleich- zeitig jedoch Aussagen über den elementarischen Aufbau der Welt. Hohenheim unterschied drei „erste Substanzen" („Tria prima"), die den „Körper" eines Dings bildeten: Sulphur (feuri- ges Prinzip), Mercurius (flüchti- ges Prinzip) und Sal (festes Prin- zip). Er erläuterte die Prinzipien mit einem Beispiel: „nun die ding zuerfaren, so nempt ein an- fang vom holz, dasselbig ist ein leib; nun laß brinnen, so ist das da brint der sulphur, das da raucht der mercurius, das zu es- chen wird sal". Im Krankheits- fall sei das Gleichgewicht dieser Prinzipien im Menschen gestört.

Diese „drei Ersten" wurden zu Kennmarken des Paracelsis- mus. Schon allein an ihrer Ver- wendung konnte man später den Anhänger Hohenheims erken- nen.

Titelblatt der

„Practica Teutsch" (1535)

Außer einer Schrift „Vorm dem Bad Pfeffers", die vermut- lich 1535 gedruckt wurde, ge- langten zu Lebzeiten Hohen- heims nur noch die zwei Bü- cher der „Grossen Wund- artzney" in Druck (1536). Ne- ben eher konventionellen Kapi- teln zur Prognostik, Semiotik und Wundbehandlung (chirur- gische „hantgriffe" fehlen aller- dings) enthält das erste Buch Darlegungen, die Paracelsus als eigenwilligen Fachschrift- steller ausweisen. Er empfahl aseptische und konservative Methoden in der Wundbe- handlung, denen zufolge Wun- den so wenig wie möglich mani- puliert werden sollen. Ein „an- geborener balsam" sei für die Wundheilung verantwortlich.

In diesem ersten Buch finden sich auch „magische" Kapitel etwa über die Heilung durch Besprechungen oder durch Ga- mahei-Steine, die verstehen lassen, warum Paracelsus spä- ter oft als „Zauberer" und

„schwarzer Magier" verschrien wurde, auch wenn festzuhalten ist, daß solche Passagen in sei- nem Werk nur geringen Raum einnehmen.

Im zweiten Buch der „Wund- artzney" wurden vor allem die

„offenen Schäden" bespro- chen, aus dem Körper kom- mende, nicht durch Fremdwir- kung entstandene Wunden. Es war also eher „internistisch"

denn chirurgisch ausgerichtet.

Gestreift wurde auch die später oft mit dem Namen Paracelsus verbundene Signaturenlehre,

wonach das Äußere einer Pflanze Auskunft über ihre Heilwirkung gebe (Beispiel: die augenförmige Pflanze Augen- trost heile Augenkrankheiten).

Monumentales Fragment blieb Hohenheims „Astrono- mia Magna oder Philosophia sagax der großen und kleinen Welt" (ca. 1537/38), in dem er die gesamte medizinische Kos- mologie und Anthropologie ab- handeln wollte. Darauf kann allerdings nicht eingegangen werden, ebenso wenig wie auf seine eigenwilligen Beiträge zur Gynäkologie, Psychiatrie oder Geriatrie.

Astronomisch- mantische Schriften Theophrast von Hohenheim wurde seinen Zeitgenossen eher als Astrologe denn als Arzt oder Theologe bekannt, urteilt man nach den zu seinen Lebzeiten erschienenen zwölf (z. T. mehrfach aufgelegten) astrologisch-mantischen Schrif- ten. Diese erweisen sich bei ge- nauerer Analyse als ein hetero- genes Korpus: So legte er in der auf vier Jahre angelegten

„Practica" aus dem Jahre 1529 großen Wert auf die Fernwir- kung der Planetenkonstellatio- nen. Dadurch unterschied er sich, wenn auch nicht von allen, doch zumindest vom Großteil seiner prognostizierenden Kol- legen, die ihren Prognosen die Jahreseingangskonstellation zugrunde legten. Wie er dabei im einzelnen zu seinen Progno-

sen kam, bleibt unklar. In meh- reren Schriften über Naturer- scheinungen und Naturereig- nisse mit prognostischem Cha- rakter aus den Jahren 1531- 1534 wie etwa der „Ußlegung des Cometen" aus dem Jahre 1531 (dieser periodisch wieder- kehrende Komet wurde später nach Halley benannt) interpre- tierte er diese als übernatürli- che Mahnzeichen, die von Gott dem Menschen zur Warnung gesandt worden seien. Der Mensch müsse also nur genau die Bibel lesen, um diese Zei- chen zu verstehen. Nähere Ein- zelheiten dieser biblizistischen Auslegung verschwieg Paracel- sus jedoch, da seiner Ansicht nach jeder Christ zum Laien- astronomen berufen sei und sich die Deutungen leicht selbst erarbeiten könne.

In seinen letzten prognosti- schen Schriften, sogenannten Jahrespraktiken, griff Hohen- heim das gängige Schema der zeitgenössischen „Practica teutsch" auf. Wie viele seiner Kollegen ging er nicht von ei- ner ausschließlichen Bestim- mung des Menschen durch die Gestirne aus. Spezifisch für Pa- racelsus war wohl jedoch seine Legitimation der Astrologie durch die Unterscheidung ei- nes natürlichen und eines über- natürlichen Himmels, die das Firmament bilden. Der natürli- che Himmel, dem die Planeten angehörten, wirke auf den na- türlichen Leib des Menschen, der übernatürliche Himmel ste- he dagegen mit dem übernatür- lichen Leib in Verbindung, der, einzig Gott unterworfen, von den natürlichen Gestirnen nicht beeinflußt werde. Diese Differenzierung in natürlichen und übernatürlichen Himmel eröffnete Hohenheim die Mög- lichkeit, trotz seiner expliziten Ablehnung der Astrologie doch (bezogen auf den natürlichen Leib) bedingt astrologisch zu prognostizieren. Wie er dabei im einzelnen zu seinen Vorher- sagen kam, bleibt wieder Ho- henheims Geheimnis.

Neben den vorwiegend me- dizinischen und astrologisch- mantischen Schriften verfaßte Hohenheim auch zahlreiche theologische Texte, die samt und sonders zu Lebzeiten un- gedruckt blieben. Darunter fin- den sich Schriften zum „seligen Leben", Schriften zum Pro-

Dt. Ärztebl. 90, Heft 10, 12. März 1993 (33) A1,-705

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Szenenbild aus dem Paracelsus-Film von 1943 blem der Sakramente, Mari-

enschriften sowie zahlreiche Bibelauslegungen.

Theologische und sozialpolitische Schriften

Vor Abschluß der Edition der theologischen Schriften Hohenheims — bislang sind sie- ben von ca. vierzehn Bänden erschienen — ist kein endgülti- ges Urteil über seine theologi- sche Position möglich. Soviel ist jedoch deutlich, daß, obwohl gewisse geistige Verbindungen zur Reformation bestanden, er sich doch auch wieder deutlich von Luther wie von Zwingli di- stanzierte und seine eigene Stellung in der damaligen christlichen Welt behauptete.

Zu diesem theologischen Schriftenkreis zählen auch Tex- te, die sozialethische Züge tra- gen. Paracelsus kritisierte Kir- che, Staat und Gesellschafts- ordnung, zum Teil mit unge- heurer Radikalität. So plädier- te er für die Abschaffung der Todesstrafe, des Krieges und des Eides und kritisierte den Übermut der Standesherren.

Auch Ideen von der Teilung des Arbeitsertrages oder von Arbeitsverpflichtung bei Not- ständen scheinen auf.

Aspekte der Wirkung Die Masse der posthum ge- druckten Schriften von Para- celsus ist ein direktes Zeugnis seiner immensen Wirkung. So wurden zwischen 1549 und 1658 allein 175 Ausgaben ge- zählt. Doch ist die Wirkung ei- nes Autors mit der Darlegung der Druckgeschichte seiner Werke natürlich nur unvoll- ständig erfaßt. Hohenheims Werke wirkten häufig anre- gend, wurden assimiliert und produktiv rezipiert. So wurde im 17. Jahrhundert die auf Pa- racelsus fußende Iatrochemie, die alle Körpervorgänge „che- misch" deutete, zu einem wich- tigen Paradigma, das mit zur Ablösung des alten humoralpa- thologischen Konzepts beitrug.

Als Vertreter dieser Richtung sei hier nur Johann Baptist van Helmont (1579-1644) genannt.

Auf die immer noch beträchtli- che Wirkung Hohenheims auf Autoren des 18. und 19. Jahr-

hunderts kann hier nicht einge- gangen werden. Es seien nur noch einige Aspekte der Para- celsusrezeption des 20. Jahr- hunderts angedeutet.

Mit den Forschungen Karl Sudhoffs, die schließlich in ei- ner Ausgabe der medizini- schen, naturwissenschaftlichen und philosophischen Schriften Hohenheims (vierzehn Bände, 1922-1933) mündeten, war ei- ne solide Grundlage geschaf- fen, um Hohenheim historisch würdigen zu können. Geradezu konterkariert wurden Sudhoffs Klärungsversuche allerdings durch die von 1917-1925 er- schienene Paracelsus-Roman- triologie des Dichterphiloso- phen Erwin Guido Kolben- heyer. Die Lücken in Hohen- heims Biographie wurden darin mit dichterischer Imaginations- kraft ausgefüllt.

Insgesamt mystifizierte Kol- benheyer in seinem weit ver- breiteten Werk Hohenheim zum genialischen „faustischen"

Sucher nach Wahrheit und Wissenschaft.

Zwischen 1933 und 1945 er- schien dann eine gewaltige Li- teraturflut zum Thema Para- celsus. Es wurden in dieser Zeit allein 673 Schriften gedruckt, die sich mit Paracelsus beschäf- tigten. Zum Vergleich: zwi- schen 1890 und 1932 hatte Sud- hoff nur wenig mehr als 300 Pa- racelsica (darunter auch belle- tristische Werke) gezählt. Bei den Publikationen aus dem Ge-

biet des Deutschen beziehungs- weise „Großdeutschen" Reichs waren neben einigen seriösen Veröffentlichungen und man- chen harmlosen Nacherzählun- gen von Leben und Werk Ho- henheims in der Mehrzahl der Fälle tendenziöse Darstellun- gen vertreten. Bei den tenden- ziösen Darstellungen überwog die „deutsch-nationale" Inter- pretation, wonach Paracelsus zum heroischen „Arzt der Deutschen" stilisiert wurde. Es gab darüber hinaus jedoch auch Extremformen der Para- celsusinterpretation, die es er- lauben, von einem idealtypi- schen „nationalsozialistischen"

Paracelsusbild zu sprechen. Pa- racelsus wurde dabei ge- schichtsklitternd als Vorläufer der nationalsozialistischen Rassenhygiene, Eugenik, Lei- stungsmedizin sowie Mutter- schafts- und Fruchtbarkeits- ideologie gezeichnet. Für die Nationalsozialisten war er Sozi- aldarwinist, mystischer „Na- tur"-Arzt, Kämpfer- und Füh- rerarzt und nicht zuletzt rassi- stischer Antisemit.

Auch in dem zum 450. Ge- burtstag Hohenheims im Jahre 1943 fertiggestellten Paracel- sus-Film (Drehbuch: Kurt Heuser; Regie: Geog W. Pabst) war dieses nationalsozialisti- sche Paracelsusbild präsent.

Einige Szenen lassen jedoch darauf schließen, daß der in den dreißiger Jahren mit anti- militaristischen, der Völkerver-

ständigung zwischen Deutsch- land und Frankreich dienenden Filmen hervorgetretene Pabst auch regimekritische Spitzen in den Paracelsus-Film einbaute.

Würdigung Hohenheims Hohenheim kann, bei allem Respekt vor seinen Bemühun- gen, nicht, wie oft geschehen, als Begründer der neuzeitli- chen experimentellen Medizin dargestellt werden. Sein viel zi- tierter Leitspruch „experimen- ta ac ratio" entspricht nicht dem modernen Experiment- und Erfahrungsbegriff. Umge- kehrt kann Hohenheim jedoch auch nicht als Gewährsmann einer „alternativen" Ganzheits- medizin aufgefaßt werden. Sei- ne medizinische Anthropologie fußt auf einer Mikrokosmos- Makrokosmos-Lehre, deren kosmologische Voraussetzun- gen heute nicht mehr mitgetra- gen werden können. Hohen- heims Lebenswerk ist nur zu begreifen, wenn man seinen antiautoritativen Gestus er- kannt hat. In allen Bereichen, in denen er publizierte, begehr- te er gegen die Autoritäten auf.

Seine Hauptwirkung lag zwei- fellos auf dem Gebiet der phar- mazeutischen Chemie — ein Aspekt, der ebenfalls davor warnen sollte, ihn als Vorläufer einer „naturgemäßen" Heil- kunde zu apostrophieren. Hier brach er mit der hippokratisch- galenistischen Arzneikunde, in der vor allem pflanzliche Heil- mittel verwendet wurden. Auf seinen Überlegungen baute die Chemiatrie des 16. und 17.

Jahrhunderts auf, die schließ- lich in die moderne Arzneimit- tellehre mündete. So erweist die historische Analyse, daß mit ihm sicher einer herausra- genden Ärztepersönlichkeit der frühen Neuzeit zu geden- ken ist, deren komplexes Le- benswerk allerdings sorgfälti- ger Betrachtung bedarf.

Literatur beim Verfasser Anschrift des Verfassers:

PD Dr. Dr. Udo Benzenhöfer Abt. Geschichte der Medizin Medizinische

Hochschule Hannover Postfach 61 01 80 3000 Hannover 61

A1-706 (34) Dt. Ärztebl. 90, Heft 10, 12. März 1993

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