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Archiv "Infektionskrankheiten: Die Tuberkulose wird unterschätzt" (02.04.2004)

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ach Einschätzung der Weltge- sundheitsorganisation ist die Tu- berkulose (TB) wahrscheinlich

„the greatest infectious killer of all time“. Ein Drittel der Weltbevölkerung ist bereits infiziert, davon werden etwa zehn Prozent im Laufe ihres Lebens ei- ne aktive Erkrankung entwickeln.

Infektion: Die Erkrankung wird durch Erreger des Mycobacterium tuberculo- sis, africanum, bovis, microti, canetti verursacht, von denen Mycobacterium tuberculosis das wichtigste Pathogen darstellt. Die Infektion erfolgt durch Mensch-zu-Mensch-Übertragung infek- tiöser Aerosole, selten durch kontami- nierte Endoskope. Unbehandelt infiziert jeder Erkrankte jährlich durchschnitt- lich weitere zehn bis 15 Personen (1).

Nach der Primärinfektion persistie- ren die Mykobakterien intrazellulär – auch wenn der Patient suffizi- ent antituberkulös therapiert wurde. Daher kann es nach jah- relanger Latenz zu einer (er- neuten) Erkrankung kommen (postprimäre Lungentuberku- lose, TB-Reaktivierung). Da auch die überstandene Krank- heit keine lebenslange Immu- nität verleiht, ist eine Infektion mit einem neuen Stamm als exogene Reinfektion möglich.

Erkrankungsformen: Die häu- figste Manifestation ist die – ge- schlossene oder offene – Lun- gentuberkulose.Alle offenen Tu- berkulosen sind infektiös und so- mit epidemiologisch relevant.

Geschlossene Tuberkulosen, die entweder pulmonal ohne An- schluss an das Bronchialsystem oder extrapulmonal lokalisiert sind (Lymphknoten, Urogenital- trakt, Knochen, Gelenke, Menin-

gen) haben kein oder nur ein geringes Infektionspotenzial.

Impfung: Die Impfung mit dem at- tenuierten Lebendimpfstoff BCG (Ba- cille Calmette-Guérin) wird seit 1998 nicht mehr empfohlen (3). Eine suffizi- ente Impfung ist derzeit weder verfüg- bar noch in Kürze zu erwarten. Zu be- achten ist, dass Patienten, die in der Ver- gangenheit mit BCG geimpft wurden, nicht vor einer TB geschützt sind.

Klinik und klinische Diagnostik: Eine TB entwickelt sich in der Regel langsam und verläuft initial symptomarm. Die klassische Trias besteht aus Husten,Aus- wurf und Nachtschweiß; weitere mögli- che Symptome sind Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Gewichts- verlust, subfebrile Temperaturen und Hämoptoe. Die klinische Diagnostik be- inhaltet sowohl bildgebende Verfahren

als auch den Tuberkulin-Hauttest (Men- del-Mantoux-Test): streng intrakutane Applikation von genau definierten Ein- heiten aufgereinigten Tuberkulins („pu- rified protein derivate“) an der Innen- seite des Unterarms. Es werden in der Regel zehn Tuberkulineinheiten (TE) appliziert. Nach 72 Stunden wird die Induration – nicht die Größe des Ery- thems – markiert, gemessen, dokumen- tiert und ausgewertet.

Die Beurteilung beruht auf Empfeh- lungen des „Deutschen Zentralkomi- tees zur Bekämpfung der Tuberkulose“

für Niedriginzidenzländer, die sich le- diglich als Richtwerte verstehen (4). Ei- ne Induration von < 5 mm ist meistens bedeutungslos; 10 mm geben einen Hin- weis auf eine mögliche TB-Infektion in Risikogruppen und bei Kontakt zu Pati- enten mit offener TB, während eine In- duration von 15 mm oder eine ulzerie- rende Hautreaktion eine TB-Infektion sehr wahrscheinlich machen.

Die Anwendung des Mendel-Man- toux-Testes verbietet sich bei Patienten mit bereits bekannter TB aufgrund der Gefahr von Ulzerationen; er erübrigt sich bei Patienten mit Immundefi- zienz (T-Helferzellen < 60/µl) wegen falsch-negativer Ergebnisse. Falschposi- tive Testergebnisse können bei BCG- geimpften Patienten auftreten. Auf die Anwendung des Tine-Stempeltests soll- te aufgrund der schlechteren Sensitivität möglichst verzich- tet werden.

Mikrobiologische Diagno- stik: Ergänzend zur Mikrosko- pie sollte immer der bakterio- logische Nachweis der TB mit nachfolgender Resistenztestung angestrebt werden, um den Pa- tienten adäquat therapieren zu können.

Material: Fast alle nativen Materialien sind zur mikrobiolo- gischen Diagnostik geeignet, wo- bei im Einzelfall bestimmte Kri- terien beachtet werden müssen (Tabelle) (5). Der Versand der Materialien sollte den geltenden Richtlinien entsprechen (6).

Materialgewinnung: Die Kaskade zur Gewinnung respi- ratorischen Materials bei Ver- dacht auf Lungentuberkulose ist der Grafik zu entnehmen.

M E D I Z I N R E P O R T

A

A906 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 142. April 2004

Infektionskrankheiten

Die Tuberkulose wird unterschätzt

Ein klinischer Leitfaden zeigt auf, mit welchen diagnostischen Methoden der Verdacht erhärtet werden kann.

Grafik

Materialgewinnung bei Verdacht auf Lungentuberkulose

Erwachsener Patient mit V. a. Lungentuberkulose

Respiratorisches Material kann nicht gewonnen werden

Sputum

Reizsputumnach Bronchoskopie

Magensaft Sputumabgabe nicht möglich

Reizsputumnach Provokation durch Inhalation mit 0,9 bis 3 % NaCl-Lösung

Bronchoskopie:

BronchialsekretoderBAL,ggfs. Biopsien Inhalation nicht möglich und/oder zusätzliche Diagnostik notwendig

(2)

Die Entnahme von Magensaft ist nur bei Patienten sinnvoll, bei denen respi- ratorisches Material nicht gewonnen werden kann. Hierzu zählen Kinder, äl- tere Menschen sowie Patienten mit Kontraindikationen für eine Broncho- skopie. Sputum und Magensaft sollten an drei aufeinander folgenden Tagen morgens nüchtern vor dem Zähneput- zen oder Gurgeln gewonnen werden, um eine Kontamination mit nichttuber- kulösen Mykobakterien aus dem Lei- tungswasser zu vermeiden. Spucke ist für die Diagnostik ungeeignet, und Ma- gensaft muss immer in Phosphatpuffer gegeben werden (Tabelle).

Bei Verdacht auf extrapulmonale TB sollten Biopsate oder Operations- präparate nie in Formalin, sondern nur in Kochsalzlösung aufbewahrt werden, da die Mykobakterien sonst nicht mehr anzüchtbar sind. Blut und Knochen- mark dürfen nur mit Heparin oder Citrat versetzt werden. Die Einsendung ist nur bei HIV-Patienten sinnvoll.

1. Mikroskopischer Nachweis: Mit der Ziehl-Neelsen-Färbung oder mit- tels Fluoreszenzmikroskopie werden die „säurefesten Stäbchen“ nachgewie- sen. Es müssen hohe Keimzahlen von 104–105/ml Untersuchungsgut vorhan- den sein, um ein positives Ergebnis zu erzielen.

2. Kultureller Nachweis: Die Anzucht sollte parallel auf festen Nährböden und im Flüssigmedium erfolgen. Für eine positive Kultur werden Keimzahlen von 102–103/ml Untersuchungsgut für feste und 101–102/ml Untersuchungsgut für flüssige Medien benötigt. Ein positives Ergebnis ist nach ein bis zwei Wochen im Flüssigmedium und nach drei bis vier Wochen auf Festmedium zu erwarten.

Wird nach sechs (Flüssigmedium) bezie- hungsweise acht Wochen (Festmedium) kein Wachstum verzeichnet, so gelten die Kulturen als negativ.

3. Nukleinsäureamplifikationstechni- ken (NAT): Hierzu zählt zum Beispiel die Polymerase-Kettenreaktion (PCR).

Mithilfe von NAT ist der Direktnach- weis für DNA/RNA von Tuberkulose- bakterien innerhalb von ein bis zwei Ta- gen möglich. Diese Testverfahren sollten immer nur in Ergänzung zu Mikroskopie und Kultur angewendet werden.

4. Empfindlichkeitsprüfung: Eine Re- sistenztestung muss für jeden TB-

Stamm für die Erstrangmedikamente Isoniazid (INH), Rifampizin (RMP), Pyrazinamid (PZA) und Ethambutol (EMB) durchgeführt werden. Die Te- stung erfolgt routinemäßig in flüssigen oder auf festen Nährmedien. In Abhän- gigkeit von dem erhaltenen Resistenz- profil erfolgt eine Testung der Zweit- rang- oder Reservemedikamente.

Meldepflicht: Erkrankung und Tod an einer behandlungsbedürftigen TB sind nach § 6 des Infektionsschutzge- setzes (IfSGs) seitens des behandeln- den Arztes namentlich meldepflichtig.

Ebenso besteht für das diagnostizieren- de Labor nach § 7 des IfSGs Melde- pflicht (7).

Therapie: Die in Deutschland stan- dardmäßig empfohlene initiale Vier- fachtherapie gliedert sich in eine zwei- monatige Initialphase mit Isoniazid, Rifampizin, Pyrazinamid und Etham- butol, gefolgt von der viermonatigen Erhaltungsphase mit Isoniazid und Rifampizin. Aufgrund der Resistenzsi- tuation in Deutschland mit einer Isonia- zid-Resistenzrate von mehr als vier Pro- zent ist die initiale Dreifachtherapie in der Regel nicht mehr empfehlenswert

(8).Alle Medikamente sollten aufgrund ihrer synergistischen Wirkung zusam- men eingenommen werden.

Resistente Tuberkulosen stellen eine therapeutische Herausforderung dar.

Abweichungen von dem Standardre- gime sind notwendig, um eine adäquate Therapie mit mindestens vier Antituber- kulotika in Abhängigkeit von dem Resi- stenzprofil zu gewährleisten. Im Einzel- fall muss die Therapie auch an die klini- sche Präsentation, Verträglichkeit oder Kontraindikationen angepasst werden.

Allerdings verlängert sich die Therapie- dauer von sechs auf neun oder mehr Mo- nate, wenn Isoniazid und Rifampizin nicht über den gesamten Zeitraum gege- ben werden können.

Dr. med. Tanja Kubica Dr. med. Sabine Rüsch-Gerdes

Nationales Referenzzentrum für Mykobakterien Forschungszentrum Borstel

Parkallee 18, 23845 Borstel

E-Mail: tkubica@fz-borstel.de; srueschg@fz-borstel.de M E D I Z I N R E P O R T

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 142. April 2004 AA907

´ Tabelle C´

Zur Tuberkulosediagnostik geeignetes Material

Material Menge Aufbewahrung Bemerkung

Sputum 2–5 ml nativ 3×, morgens nüchtern,

darf bis zu 4 Stunden gesammelt werden

Reizsputum 2–5 ml nativ nach Inhalation mit

NaCl-Lösung, nach Bronchoskopie Bronchialsekret/BAL 2–5 ml nativ

Magensaft mind. 2 ml in 1–2 ml Phosphatpuffer 3×, bei Kindern (Trinatriumphosphat)

Biopsien/Operationspräparate in NaCl, kein Formalin Punktate/Sekrete 20 ml nativ oder in NaCl

Liquor 2–3 ml nativ

Urin 30 ml nativ 3×, erster Morgenurin,

am Vorabend Flüssigkeitsrestriktion

Stuhl nativ

Blut 5–10 ml in Heparin oder Citrat, nur bei HIV-Patienten nicht in EDTA

Knochenmark in Heparin oder Citrat, nur bei HIV-Patienten,

nicht in EDTA Stanze und Aspirat geeignet

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit1404 abrufbar ist.

Referenzen

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