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Deutsch-französische Freundschaft

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# 2004/24 Dossier

https://jungle.world/artikel/2004/24/deutsch-franzoesische-freundschaft

Deutsch-französische Freundschaft

Von barbara jasemi

Das Massaker von Oradour-sur-Glane, die SS-Division »Das Reich«

und der Prozess von Bordeaux. Von Barbara Jasemi

Am 10. Juni 1944, einem Sonnabend, kreist um die Mittagszeit die Dritte Kompanie des Vierten SS Panzergrenadier-Regimentes »Der Führer« der Zweiten SS-Panzer-Grenadier- Division »Das Reich« das Dorf Oradour-sur-Glane ein, ermordet die Bewohner, Männer, Frauen und Kinder, auch die Kinder der Nachbargemeinden, die im Ort zur Schule gehen, Wochenendgäste und Besucher fast ausnahmslos, plündert, brennt die Häuser nieder, trinkt nach vollbrachter Tat Champagner und Wein aus den Kellern und macht sich davon.

Einige verlassen noch am Abend das zerstörte Dorf, andere feiern im Haus der Familie Dupic die ganze Nacht lang eine Orgie und verlassen Oradour erst am nächsten Morgen, nicht ohne das Haus noch anzustecken. Am Montag in aller Frühe kommen die Deutschen noch einmal zurück, um ihre Spuren zu verwischen. In zwei Gruben werden Leichen vergraben, die Kirche, in der sie Frauen und Kinder ermordeten, wird »gereinigt«.

Die genaue Anzahl der Toten konnte nie festgestellt werden. Fast zwei Jahre später stellte ein Zivilgericht in der Kreisstadt Rochechouart nach Anhörung aller Zeugen und Einsicht in alle Dokumente jedoch amtlich fest: Es waren 642 Tote, von denen nur 52 identifiziert werden konnten. 36 Menschen überlebten, sei es, weil sie außerhalb arbeiteten oder auf Reisen waren, sei es, weil sie fliehen konnten. Unter den Toten waren 40 Menschen aus Lothringen, sieben oder acht Elsässer, 19 Spanier, drei Polen und eine siebenköpfige italienische Familie. Das Feuer zerstörte 328 Bauten, darunter 123 Wohnhäuser, 22 Geschäfte, vier Schulen und den Bahnhof.

Das Massaker

Im ruhigen, schönen, im Limousin gelegenen Oradour-sur-Glane, 30 Kilometer

nordwestlich von Limoges, leben die Menschen bis zum 10. Juni 1944 trotz Krieg und Lebensmittelknappheit immer noch gut. An diesem Sonnabend sind viele Menschen im Dorf, die Tabakzuteilung findet statt, Verwandte und Gäste aus Limoges sind da, die im Hotel Milord beim Dessert über die Invasion der Alliierten in der Normandie sprechen. In aller Ruhe sehen sie die Deutschen vorbeifahren, bis SS-Männer in der Tür stehen und brüllen: »Schnell, schnell! Raus! Raus!« Niemand, der im Milord gegessen hat, überlebt

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den Tag.

Robert Hebras gehört zu den wenigen Überlebenden des Massakers, er war 1944 19 Jahre alt und Schlosser bei Renault in Limoges: »Ich habe die Deutschen zum ersten Mal um 14 Uhr gesehen. Um 14 Uhr 45 waren wir alle schon auf dem Platz. Dann hat man zwei Gruppen gebildet, die Frauen und Kinder mussten auf die eine Seite des Marktplatzes.

Dann wurden die Frauen und Kinder in südlicher Richtung fortgeführt. Als die Frauen weg waren, wurden wir Männer in Dreierreihen aufgestellt. Hinter uns wurden

Maschinengewehre in Stellung gebracht.«

Die Männer werden in Gruppen aufgeteilt und in sechs Scheunen und Garagen gebracht.

Hebras steht mit 60 Männern in der Scheune der Familie Laudy: »Zunächst wurde uns befohlen, einen Wagen hinauszuschieben. Dann haben die Deutschen die Stelle vor der Tür sauber gefegt und danach haben sie dort zwei Maschinengewehre aufgebaut.« Keiner der Männer hält es für möglich, dass ihnen etwas passiert. Bis die SS zu schießen beginnt.

Hebras wirft sich hin, die Erschossenen fallen auf ihn. Stroh wird auf sie gehäuft, das Vieh wird aus den Ställen getrieben, dann brennt das Stroh.

Fünf Männer – nicht oder nicht lebensgefährlich getroffen – retten sich aus der Scheune.

Sie laufen durch die Straßen, verstecken sich in einer anderen Scheune. Als auch diese brennt, flüchten sie in die nächste. Ihre letzte Zuflucht sind Kaninchenställe. »Ungefähr um sieben Uhr abends haben wir uns hinausgewagt und den Platz überquert, nachdem wir uns ausgerechnet hatten, wann die Posten wieder vorbeikommen werden. Ich bin dann weitergelaufen in Richtung Friedhof und von dort in die Felder. Sie haben mich nicht entdeckt. Von dort aus sah ich, dass alle Häuser in Flammen standen. Ganz Oradour brannte.«

In der Nähe versteckt liegt auch der siebenjährige Roger Godfrin aus Lothringen. Als die SS kommt, ist Roger mit seinen beiden Schwestern Marie-Jeanne und Pierrette in der Schule. Es gibt eine für Mädchen, eine für Jungen und die kleine »Ecole Lorraine« für die 22 Jungen und Mädchen, die mit ihren Eltern aus Lothringen geflohen sind. Als die SS in die Schule einbricht und »Raus, raus!« brüllt, beginnen die Kinder zu weinen. Marie- Jeanne und Pierrette rufen nach der Mutter, vergeblich versucht Roger, sie zu überreden, mit ihm wegzulaufen, wie die Mutter es ihnen eingeprägt hatte: »Wenn die Boches kommen, rettet euch und versteckt euch im Wald hinter dem Friedhof.«

Die Schwestern aber hören auf den Lehrer, lassen sich beruhigen und die 21 kleinen Lothringer ziehen mit ihrem Lehrer zum Marktplatz. Wie auch alle Lehrerinnen und Lehrer, Mädchen und Jungen aus den anderen Schulen. Die Ankunft der Kinder wirkt beruhigend auf die Menschenmenge. Die Kinder sind da, sie werden die Kinder doch nicht umbringen.

Roger springt aus dem Fenster, versteckt sich und schafft es bis vor den Friedhof.

»Der Stacheldraht hat mir die Haut zerrissen. Bei der Berührung mit den Brombeerranken tut mir alles weh. Mein Oberkörper ist mit Blut bedeckt. Ich bin müde. Ich weine, weil mir alles so weh tut, und auch, weil ich allein bin. Ich gehe los, steige die Böschung hinunter.

Ein Geräusch. Ein Raupenkettenfahrzeug. Hinten sitzen Soldaten drauf. Ich renne los.

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›Halt, halt!‹, schreien sie. Ein Feuerstoß. Wieder: ›Halt, Halt!‹ Ich renne in einen Busch hinein, durch die Hecke. Kugeln pfeifen, Bäume stehen vor mir. Das ist das Ufer der Glane. Ich falle ins Wasser. Zum Glück ist sie nicht tief hier und nicht breit. Auf der anderen Seite klettere ich mit einem Schwung hoch. Ich verstecke mich hinter einer großen Eiche.«

Die Glane hat ihn gerettet und Roger schläft erschöpft ein. Schlafend wird er gefunden und in ein benachbartes Dorf gebracht: »Vor dem ersten Hof, an dem wir vorbeikommen, stehen die Menschen. Die Frauen weinen. ›Ich bin die Mutter von Bernadette. Wo ist sie?

Warst du mit ihr zusammen?‹ Ihr Mann kommt vom Schloss herunter. Hört uns zu, dann steigt er auf sein Fahrrad. ›Jules‹, ruft die Frau, ›wohin willst du?‹ ›Ich will Bernadette suchen‹, antwortet er. Er ist nie zurückgekommen.«

Auch Bernadette und alle anderen Kinder nicht. Sie werden mit den Frauen in die Kirche geführt. Nach der Zeugenaussage von Marguerite Rouffanche, die als Einzige das

Massaker in der Kirche überlebt hat, bringt die SS nach eineinhalb Stunden des Wartens in dem Kirchenschiff voller Menschen eine Sprengstoffkiste, die kurz darauf explodiert, gefolgt von Maschinengewehrfeuer in die Menge von schutzsuchenden, erstickenden, weinenden und schreienden Kindern und Frauen. Zwischen Toten und Sterbenden errichten die Mörder zuletzt Holzstöße, streuen Stroh und Reisig auf Kirchenbänke und - stühle, entzünden es, schließen die Türen und verhindern jeglichen Fluchtversuch durch den um die Kirche gezogenen mit Maschinengewehren bewaffneten SS-Cordon.

Marguerite Rouffanche – hinter dem Altar Zuflucht suchend – greift einen Kirchenschemel, zieht sich zu dem Sims des linken Fensters hoch und springt hinaus. Angeschossen und schwer verletzt liegt sie im Erbsenbeet eines benachbarten Gartens versteckt, hört die ganze Nacht die Geräusche der Deutschen im Dorf und wird am Sonntagnachmittag gefunden: »Vier Männer erscheinen. Einer schiebt eine Schubkarre. Darauf liegt Madame Rouffanche. Ihre Kleider sind von Erde und Blut verschmutzt. Alles, was man von ihrer Haut erkennen kann, ist eine schwarze Kruste. Madame Rouffanche hebt unter großer Anstrengung ihren Kopf etwas hoch. Dann sagt sie: ›In der Kirche sind alle Frauen und Kinder verbrannt‹«, erzählt Roger Godfrin.

Die SS-Division »Das Reich«

Das Verbrechen am 10. Juni 1944 ist für die SS-Division »Das Reich« nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Vor der Verlegung nach Frankreich ist »Das Reich« nahe Minsk, Kiew und Moskau, Charkow und bei der Schlacht am Kursker Bogen zu finden. Mitte April 1944 werden die »kampfkräftigen« Teile nach Montauban nördlich von Toulouse in

Südwestfrankreich verlegt.

In Frankreich beginnt sofort eine Serie von »Operationen« gegen den Maquis, den bewaffneten Widerstand im Département Lot in Südwestfrankreich, gemeinsam mit der französischen Miliz und der Gestapo. Die Exekutionen werden dem Ersten Bataillon des Regiments »Der Führer« unter August Dieckmann übertragen, der im Juni das Massaker in Oradour kommandiert. SS-Generalmajor Heinz Lammerding, seit Januar 1944 Chef der Division, mordete sich in der Sowjetunion zum Experten im Kampf gegen Partisanen hoch,

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das ist bewiesen durch verschiedene von ihm unterzeichnete Befehle zur Zerstörung von Dörfern und Städten. Am 6. Juni 1944, dem Tag der Landung der Alliierten in der

Normandie, erfolgt der Befehl, ihren Vormarsch zu verhindern. Die Morddivision macht sich auf verschiedenen Routen auf den Weg: durch die Regionen Quercy, Dordogne zunächst ins Limousin, von ihr »Klein-Russland« genannt.

Der Maquis kämpft, die Bevölkerung erhebt sich. Kleine und größere Orte werden befreit, Barrikaden gebaut, Eisenbahnlinien blockiert, Züge entgleisen, Brücken und Tunnel werden gesprengt, Hochspannungs- und Telefonleitungen gekappt, Benzinlager

angesteckt. In wütender Rache schießt die SS auf alles, was sich bewegt. Die Serie der Massaker beginnt: 9. bis 10. Juni: le Fleix, Terrasson, Lesparat; 10. Juni: Oradour, 11. Juni:

Mussidan, bereits das zweite Mal, 52 Geiseln werden erschossen, die Stadt wird geplündert; 12. Juni: der Ort Piles wird niedergebrannt; 21. Juni: Mouleydier wird niedergebrannt.

Außerdem gibt es noch Tulle. In schweren Kämpfen mit der Wehrmacht hat der Maquis Tulle am 6. und 7. Juni befreit. Lammerding lässt nach Tulle abdrehen. Die SS macht Jagd auf die männlichen Einwohner der Stadt, vorwiegend auf solche im wehrfähigen Alter. 99 Männer werden am Nachmittag des 9. Juni in der Hauptstraße gehängt, an Laternen, Balkons, Telefonmasten. Die Opfer werden von Hauptsturmführer Aurel Kowatsch aus 3 000 gefangenen Männern selektiert. Er ist es auch, der während der drei Stunden, die das Erhängen dauert, auf einem herbeigeschleppten Grammophon dröhnende Tangomusik spielen lässt. Mehr als 100 weitere Einwohner von Tulle werden nach Dachau deportiert.

Nur wenige kehren zurück.

In der Normandie trifft die SS-Division mit für die Alliierten entscheidenden zwei Wochen Verzögerung ein und wird nahe St. Lo und südwestlich von Argentan eingesetzt. Sie ist im Dezember 1944 bei der Schlacht in den Ardennen zu finden und ab Januar 1945 bei den Kämpfen gegen die Rote Armee in Ungarn, der Tschechoslowakei, in und um Wien. Die Masse der Division kommt in amerikanische Gefangenschaft. Lammerding wird belohnt und ist ab Januar 1945 Stabschef von Heinrich Himmler.

Im Militärtribunal von Tulle, das am 5. Juli 1951 beginnt, wird Lammerding in Abwesenheit zum Tode verurteilt, nachdem sein Oberfeldarzt schriftlich bescheinigt hat, er habe ihn bei dem Massaker in Tulle gesehen. Lammerding selbst ist trotz aller Anstrengungen des im Herbst 1944 gegründeten SRCGE, des Suchdienstes für Kriegsverbrecher, nicht zu finden. Höfliche Briefe gehen hin und her zwischen deutschen, amerikanischen, englischen und französischen Stellen, ohne Erfolg. Ebenfalls in Abwesenheit verurteilt wird Aurel Kowatsch.

Der Prozess von Bordeaux

Die Suche, Verfolgung und Aburteilung der Kriegsverbrecher stellt das befreite Frankreich vor große Probleme. Gerichte und besonders die französische Polizei hatten derart mit den Deutschen kollaboriert, dass die SRCGE vor großen Problemen steht, kompetente und vor allem effektive Mitarbeiter zu finden.

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Die Zusammenarbeit mit den Engländern und Amerikanern ist schwierig. Anfragen nach Kriegsverbrechern in ihren Gefangenenlagern werden hinausgezögert, die Ermordung von Widerstandskämpfern durch Wehrmacht und SS wird als nicht zwingend zu verurteilen angesehen; und dass Opfer, Widerstandskämpfer und Mitglieder der KPF bei den

Prozessen anwesend waren und Druck ausübten, ebenfalls. Hinzu kommt, dass wegen der schwierigen Beweislage die Mörder über Monate und Jahre zusammen in den Lagern und Gefängnissen einsitzen und in aller Ruhe jegliche Strategie absprechen können. Viel zu oft gingen die Mörder aus der Gefangenschaft schlicht nach Hause und tauchten in der

deutschen Nachkriegsgesellschaft unter.

Für den Oradour-Prozess galt – noch mehr als bei den meisten anderen Prozessen –, dass es langer Recherchen bedurfte und vieler Zufälle, wie z.B. des Fundes von Feldpostbriefen in den Trümmern von Oradour. Zudem mussten die Wehrmachts- und Pétain-Lügen, dass Oradour ein Widerstandsnest gewesen sei, wo harmlose deutsche Verwundete ermordet wurden, zurückgedrängt und aufgeklärt werden.

Am 12. Januar 1953 wurde vor dem Militärgericht in Bordeaux das Verfahren eröffnet.

»Voller Verblüffung sahen wir extrem junge Männer eintreten, ungefähr 25 bis 28 Jahre alt, von einfachem Aussehen, korrekt im Verhalten, ich möchte fast sagen ganz

gewöhnliche Männer«, kommentierte ein Zuschauer. Angeklagt wurden 65 Männer, anwesend waren sieben Deutsche und 14 Elsässer, davon ein Freiwilliger, und nach eigenen Aussagen 13 Zwangsrekrutierte.

Dass von den 200 SS-Verbrechern, die am 10. Juni 1944 Oradour auslöschten, nur 65 angeklagt werden konnten, hatte zwei Gründe. Nicht alle konnten namentlich benannt werden, andere waren in den Kämpfen in der Normandie und den Ardennen gefallen, wie der Einsatzleiter, der SS-Obersturmbannführer August Dieckmann. Kompanieführer Hans- Otto Kahn und weitere 43 Deutsche konnten sich in der Bundesrepublik geborgen fühlen.

Kommandeur Lammerding wurde gar nicht erst angeklagt, weil man seine Beteiligung nicht beweisen konnte.

Kaum hatte der Prozess begonnen, erreichte die seit der Befreiung bereits im Elsass geführte Debatte um die »malgré-nous«, die nach der Einverleibung der Départements Haut-Rhin, Bas-Rhin und Moselle ins Deutsche Reich zu Wehrmacht und SS eingezogenen 200 000 Männer, von denen 40 000 desertierten, den ersten Höhepunkt. Die

französischen Verteidiger der elsässischen Angeklagten beantragten, das Verfahren gegen ihre Mandanten abzutrennen. Mit allen Mitteln wurde Einfluss genommen. Der Innenminister z.B. erhielt täglich Berichte über die schlechte Stimmung im Elsass und wachsende Autonomiebestrebungen.

Dass darüber Gericht gehalten wurde, ob es sich um Kriegsverbrecher handelte oder nicht, diese einfache Einsicht ließ sich nicht durchsetzen; das Pariser Parlament verabschiedete mit großer Mehrheit ein Gesetz, das eine gemeinsame Anklage von Franzosen und Deutschen für unzulässig erklärte. So wurde getrennt verhandelt, und die Urteile am 11. Februar 1953 wurden getrennt verkündet: zwei Todesurteile, 18

Gefängnisstrafen zwischen fünf und zwölf Jahren, ein Freispruch. Drei Offiziere wurden in

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Abwesenheit zum Tode verurteilt: so auch Erich Otto Kahn und Heinz Barth, der am 7. Juni 1983 in der DDR zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde.

Ganze sechs Tage hatte das Urteil Bestand. Das Elsass protestierte, streikte, gründete aus Protest gegen das angeblich zu harte Urteil eine neue Partei. Die

Widerstandsorganisationen riefen zu Protesten gegen das zu milde Urteil auf. Am 19.

Februar 1953 fiel in der Nationalversammlung die Entscheidung für ein Amnestiegesetz mit 319 gegen 211 Stimmen. Drei Tage später wurden die Elsässer freigelassen. Hinter den Kulissen verhandelte Adenauers Deutschland, das seinen Kriegsverbrechern nicht nur die (Nazi-) Anwälte stellte und bezahlte, über deren Entlassung. Erfolgreich. Die beiden Todesurteile wurden in Haftstrafen geändert und fünf Angeklagte kamen sofort frei.

Die Staatsräson

Das Limousin demonstrierte, protestierte, die Verwaltungen streikten, die den Opfern von Oradour verliehenen Orden wurden aus dem Rathaus entfernt und zurückgeschickt. Vor dem Friedhof wurden zwei Schandsäulen errichtet, die eine mit den Namen der

Deputierten, die für die Amnestie gestimmt hatten, die andere mit den Namen der 13 SS- Verbrecher aus dem Elsass. Dem französischen Staatspräsidenten wurde untersagt, in Oradour zu sprechen. Ein Riss ging durch die Grande Nation.

Zweimal wurde Oradour der Staatsräson geopfert. Unmittelbar nach der Befreiung wurde es zum Symbol eines in seinen Leiden unter dem Faschismus einigen Frankreich gemacht.

1953 – als der Prozess von Bordeaux zeigte, dass es weder während noch nach der

deutschen Besatzung ein einiges, antifaschistisches Frankreich gab – wurde Oradour nicht nur der Befriedung des Elsass geopfert, sondern auch dem Frankreich, das sich mit der Besatzung arrangiert hatte, von der Kollaboration ganz zu schweigen.

In der Behandlung der deutschen Kriegsverbrecher und dem Verhältnis zur BRD kennzeichnet der Prozess von Bordeaux eine Wende. Die harte Urteilspraxis in der Nachkriegszeit wurde nach und nach aufgegeben. Die Haupttäter, die in Frankreich erst Anfang der fünfziger Jahre vor Gericht standen, profitierten davon, sie wurden nach und nach (bis 1962) in die Bundesrepublik entlassen. Im Verhältnis zur Bundesrepublik, angesichts der angestrebten europäischen Einigung und des Projekts einer

Verteidigungsgemeinschaft, waren die Kriegsverbrecherprozesse ein Hindernis. Als Adenauer und de Gaulle 1963 den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag

unterzeichneten, wurde in Frankreich nicht mehr und in der Bundesrepublik immer noch nicht ernsthaft ermittelt.

Lammerding wurde in Düsseldorf 1971 nach einer erfolgreichen Bauunternehmerkarriere als ehrenwerter Mann von seinen SS-Kameraden zu Grabe getragen. Unter Bezug auf den Artikel 16 des Grundgesetzes, nach dem Deutsche nicht ausgeliefert werden dürfen, blieben alle Anstrengungen der französischen Justiz und besonders der Stadt Tulle vergeblich.

Quellen:

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Lea Rosh/Günther Schwarberg: Der letzte Tag von Oradour. Steidl, Göttingen 1988.

Albert Hivernaud: Petite Histoire d’Oradour-sur-Glane. Imp. A Bontemps, Limoges 1988.

Antoine Soulier: La drame de Tulle. Imprimerie Maugein à Tulle, Naves 2002.

Claudia Moisel: Frankreich und die deutschen Kriegsverbrecher. Wallstein-Verlag, Göttingen 2004.

George Beau/Léopold Gaubusseau: R5. Les SS en Limousin, Périgord et Quercy. Presses de la Cité, Paris 1984

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