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Dieser Bedeutungswandel des Begriffs fiqh ergab sich mit der mächtigen Entwicklung der islamischen Rechts¬ wissenschaft

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ORIENTALISTIK UND RECHTSWISSENSCHAFT -

ZUM VERHÄLTNIS DER ISLAMKUNDE ZU ANDEREN

FACHGEBIETEN

Von Konrad Dilger, Hamburg

I. STELLUNG DES RECHTS IM ISLAM

Innerhalb des Islams nimmt das Recht einen hervorragenden Platz ein. In sei¬

nem weiteren, die Regelung des Kultes mit umfassenden Sinn ist das islamische

Recht nach der klassisch gewordenen Formulierung Bergsträssers der „Inbegriff des

echt islamischen Geistes, die entsdieidendste Ausprägung islamischen Denkens, der

Wesenskern des Islam überhaupt".

Schon der Ausdruck „fiqh" zur Bezeichnung all dessen, wozu ein Muslim ver¬

pflichtet, was ihm verboten und erlaubt ist, also der Pflichtenlehre und damit der

Wissensdiaft vom heiligen Recht (sarT'a) zeigt, daß bereits frühzeitig das Wissen

um das Recht als Wissenschaft schlechthin galt; denn zunächst hatte das Wort fiqh

eine allgemeine Bedeutung und beinhaltete alles, was sich aus den Quellen über die

Glaubenslehre und das Leben im Jenseits ableiten ließ. Dieser Bedeutungswandel des Begriffs fiqh ergab sich mit der mächtigen Entwicklung der islamischen Rechts¬

wissenschaft. Die Theologie hat im Islam nie eine der Rechtswissensdiaft vergleich¬

bar wichtige Rolle gespielt, allenfalls die Mystik. In Anbetracht der dominierenden Stellung des Rechts im Islam bildet somit das islamische Redit den Ausgangspunnkt für das rechte Verständnis des Islams.

Aber auch in unserer Zeit kommt dem islamisdien Redit innerhalb der islami¬

schen Welt eine entscheidende Bedeutung zu: bildet es doch unter dem Ansturm

westlicher Ideen ein wichtiges, wenn nicht das wichtigste Element in der geistigen

Auseinandersetzung zwischen Tradition und Moderne.

Selbst in laizistischen Ländern der islamischen Welt wie etwa der Türkei ist auch

heute nodi das gesamte Leben der Muslime von den Gedanken des islamischen

Rechts durchsetzt.

II. DIE ERFORSCHUNG DES KLASSISCHEN ISLAMISCHEN RECHTS

L DarsteUungen des islamischen Rechts aus kolonialpolitischen Bedürfnissen:

Allerdings erfolgte die erste Beschäftigung mit dem islamischen Recht in Europa

unabhängig von seiner Bedeutung innerhalb des Islams aus rein praktischen Ge-

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XXIV Konrad Dilger

Sichtspunkten. Während die orientalistischen Studien nodi ganz im herkömmlichen Rahmen der „philologia sacra" verhaftet waren, wurden die Studien zum islami¬

schen Recht - und zwar auch soweit sie rein theoretischen Charakter hatten - vor

allem durch kolonialpolitische Interessen angeregt und waren daher sdion in der

aus der Aufklärung geborenen romantischen Phase der Orientalistik relativ stark

ausgeprägt. In dieser Frühzeit entstanden zunächst Darstellungen des islamischen

Rechts aufgrund einzelner arabisdier Reditswerke. So beschrieb Mouradgea

d'Ohsson in seinem in den Jahren 1787-1820 erschienenen „Tableau general de

l'empire Ottoman" die Reditsverhältnisse nach hanafitischer Richtung aufgrund der

Multaqa-l-abhur des Burhänaddin Ibrähim ibn M. al-Halabi (gest. 956 = 1549).

Im Jahre 1791 erschien eine Bearbeitung der Hidäya von Hamilton. Ein Jahr

später, also 1792, folgte eine erste Darstellung des hanafitischen Erbrechts aufgrund

der Sirägiya des Sagäwandi von William Jones. Ganz im Geist der Aufklärung

hatte sich Jones (1746-1794) zunächst jahrelang an der orientalischen Dichtung

berauscht, um dann nadi Aufgabe seiner Stelle als Hauslehrer 1783 die juristische

Laufbahn einzuschlagen. Als Riciiter am Obersten Gerichtshof in Fort William in

Calcutta plante er sogar bereits einen Digest of Hindu ard Mohammedan Law, der

aber wegen seines frühen Todes nicht mehr zur Ausführung gelangte.

Weitere Arbeiten dieser Art entstanden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

(so etwa von Macnaghten (1825), Helmsdörfer (1832) und Herklots (1832), Pha¬

raon und Dulau (1839), Vincent (1842), Worms (1842), Mirza Kazem Bey (1845),

Perron (1848), Du Caurroy (1848/49) und andere). Dagegen blieb Silvestre de Sacy

(1758-1838) trotz seiner juristischen Studien ganz der orientalischen Philologie ver¬

bunden.

2. Kritisch-historische Durchdringung des islamischen Rechts: Mitte des vorigen

Jahrhunderts, als die Orientalistik ihr Augenmerk über die rein philologisdie Be¬

trachtung hinaus auf den Islam als eigenständiges Forschungsobjekt zu richten be¬

gann, das Interesse an den Realien wuchs und sich damit die Islamkunde als wissen¬

schaftliche Disziplin herausbildete, nahm auch die Beschäftigung mit dem islami¬

schen Recht einen neuen Aufschwung. Gleichwohl stand die Edition arabischer

Handschriften und ihre historische Auswertung als Folge des mit Niebuhr, Ranke

und Eduard Meyer neu erwachten Historismus absolut im Vordergrund. Eine

erste systematische Darstellung des gesamten islamisciien Rechts erschien im Jahre 1850, auf deutsch 1855 von Nicolaus von Tornauw, dem russischen Vizegouverneur

der kaspischen Provinz, unter dem Titel: „Das Moslemische Redit aus den Quellen

dargestellt." Im gleichen Jahr war ebenf alls ein erster Überblick über die Entwicklung

des islamischen Recäits von dem aus Rescht stammenden Mirza Kazem Bey (1803

bis 1870) im Journal asiatique herausgekommen. Aber auch Gustav Weil (1808

bis 1889) hatte in seinem bekannten Werk „Mohammed der Prophet, sein Leben

und seine Lehre" scJion 1843 eine Darstellung der wichtigsten Rechtsvorschriften des Islams gegeben.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mehrten sich die Arbeiten über das isla-

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Orientalistik und Rechtswissenschaft XXV

mische Recht. Zu nennen wären neben vielen anderen etwa A. v. Kremers Einfüh¬

rung in das islamische Recht in seiner „Culturgeschichte des Orients unter den Cha¬

lifen" oder Alois Sprengers „Skizze der Entwicklungsgeschichte des islamischen Ge¬

setzes". Da die islamrechtlichen Studien nach wie vor überwiegend durch kolonial¬

politische Bedürfnisse angeregt wurden, war die niederländische Orientalistik wegen

des holländischen Besitzes in Ostindien auffallend stark an der Erforschung des

islamischen Rechts beteiligt. Als erster Holländer hat sich Keyzer vor allem durch

sein „Handboek voor het Mohammedaansche Regt" (1853) um das Scheriatrecht

verdient gemacht.

Vier Gelehrte, die sich damals mit dem islamischen Recht beschäftigten, ragen be¬

sonders heraus. Es sind dies: Sachau, Snouck Hurgronje, Juynboll und Goldziher.

Eduard Sachau (1845-1930), der erste Direktor des 1887 gegründeten Seminars

für Orientalische Sprachen (SOS) in Berlin, hat sich als erster Deutscher - aus mehr

oder weniger praktischen Gesichtspunkten - eingehend mit dem orientalischen Recht

befaßt. Nachdem er zunächst 1870 in einem Aufsatz „Zur ältesten Geschichte

des Muhammedanischen Rechts" die vier Rechtsquellen (Koran, hadit, 'i|mä' und

qiyäs) untersucht hatte, veröffentlichte er in Vorbereitung seines juristischen Haupt¬

werkes eine Studie über das islamische Erbrecht Ostafrikas. Seine Beschäftigung mit

dem islamischen Recht gipfelte in der bekannten Darstellung des muhammedani-

sdien Rechts nach schafiitischer Lehre, die vor allem für den Gebrauch deutscher

Kolonialbeamter in Deutsch-Ostafrika dienen sollte. Mit Rücksicht auf den prak¬

tischen Zweck des Werkes sind die zum fiqh gehörigen rituellen und kultischen Vor¬

schriften, die sogenannten 'ibädät, weggelassen und unter Annäherung an die euro¬

päische Systematik allein die eigentlich juristischen Bereiche behandelt. Trotz man¬

cherlei Irrtümer ist das HandbucJi auch heute noch ein nützliches Hilfsmittel,

Snouck Hurgronje (1857-1936) war zusammen mit seinem etwas älteren Freund

Ignaz Goldziher der Begründer der modernen Islamforschung. ZugleicJi waren diese

beiden Männer auch die ersten Gelehrten, die in der Erforschung des islamischen

Rechts Bahnbrechendes leisteten und aufgrund ihrer kritischen, bis heute vorbild¬

lichen Auseinandersetzung mit den arabischen Reditsquellen den Grundstein für

eine wahrhaft geschichtliche Betrachtung des islamischen Rechtswesens legten. Der

Holländer Snouck Hurgronje vereinigte in sich eine ungewöhnlich praktische Ver¬

anlagung mit wissenschaftlicher Aktivität und Gründlichkeit. Von 1887-1889 Lek¬

tor für islamisches Recht an der Reichsuniversität in Leiden, ging er anschließend für

17 Jahre in den Kolonialdienst nach Niederländiscii-Ostindien (Java, Sumatra).

Dort erfuhr er die tiefe Diskrepanz zwischen Theorie und Wirklichkeit im islami¬

schen Redit als lebendigen Vorgang. Von Goldziher ermutigt, sidi der Erforschung

des islamischen Rechts zu widmen, stellte er in seinen Arbeiten immer wieder den

theoretlsdien Charakter des fiqh heraus, an dem sidi das Rechtsleben als idealer

Pflichtenlehre orientierte, ohne zu irgendeinem Zeitpunkt mit ihm identisch zu sein.

Damit eröffnete er das religions-, rechts- und kulturgesdiichtliche Verständnis der

arabisciien Rechtsbücher und zerstörte den bis dahin allgemein verbreiteten Glau-

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XXVI Konrad Dilger

ben, daß die Muslime tatsächlich über Jahrhunderte nach den dort aufgezeichneten Redltsregeln gelebt hätten. Gestützt auf seine reichen praktischen Erfahrungen kon¬

zipierte er die im Jahre 1895 erschienene Ehe-Rechtsordnung für Niederländisdi- Ostindien.

Aufgrund der grundlegenden Studien von Snouck Hurgronje und unter dessen

beratender Mitwirkung ist 1910 das „Handbuch des islamischen Gesetzes nach der

Lehre der sdiafiitisdien Schule" von Theodorus Willem Juynboll entstanden, das sich von ähnlichen Handbüchern der früheren Zeit durch seine historisdi-philolo- gisdie Methode auszeichnet. In seiner differenzierten Darstellung ist es geradezu

unentbehrlich für jeden, der in das Wesen des islamisdien Rechts eingeführt und

über dessen Entwicklung unterrichtet sein will. Vorbildlidi sind auch die Literatur¬

hinweise vor jedem einzelnen Kapitel sowie die zusammenfassende Bibliographie

der widitigsten europäischen und arabischen Werke über das islamische Recht am

Schluß des Buches.

Bemerkenswert ist, daß sogar dieses gediegene Werk immer noch aus praktischen

Bedürfnissen erwachsen ist: Im Hinblick auf den in Niederländisch-Ostindien ver¬

tretenen Islam hat Juynboll das islamische RecJit der schafiitischen Richtung in den Mittelpunkt seiner Darstellung gestellt.

Theodorus Willem Juynboll (1866-1948) hatte zuerst Rechtswissenschaft stu¬

diert, um sich später - philologisch von de Goje geschult - ganz dem islamischen

Recht zu widmen. Abgesehen von William Jones und Silvestre de Sacy ist damit

Juynboll der erste Orientalist gewesen, der außer arabisdier Philologie und Islam¬

kunde audi Rechtswissenschaft studiert hat und nidit nur in beiden Disziplinen den

Doktorhut erworben hat, sondern beide Fächer in seiner wissenschaftlichen Arbeit

zu einer Synthese führte.

Von ganz anderer Herkunft und Wesensart als die bisher genannten Orientali¬

sten, die sich orienterfahren und durch praktische Bedürfnisse motiviert mit dem is¬

lamischen Redit beschäftigten, war Ignaz Goldziher (1850-1921), Sekretär der jü-

disciien Gemeinde und später Ordinarius in Budapest. Als ausgesprochener Theore¬

tiker war es sein Verdienst, unter Anknüpfung an Alfred von Kremer die Methode

des kritischen Historismus als erster auf alle Ersdieinungen des Islams anzuwenden und ihn als kulturgeschichtliches Phänomen zu begreifen.

Genaue Textexegese und intuitives Verständnis für die religiösen Triebkräfte im

Islam befähigten ihn, 1884 ein Werk wie „Die Zähiriten, ihr Lehrsystem und ihre

Geschichte" herauszubringen, das seinen Ruhm als Islamforscher begründete. Darin bot er eine historisch orientierte Einführung in die Methodologie der islamischen Reditswissensciiaft, bei der er vor allem den Prinzipienstreit der orthodoxen Redits- schulen sorgfältig herausarbeitete.

In seinen berühmten „Muhammedanischen Studien" von 1889/90 setzte er sich

besonders ausführlich mit der für die islamische Rechtswissenschaft so überaus wich¬

tigen Entstehung und Entwicklung der Traditionswissenschaft (hadit) auseinander.

Seine tiefschürfenden Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte der islami-

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Orientalistik und Rechtswissensdiaft XXVII

sdien Religion gipfelten 1910 in seinen klassischen „Vorlesungen über den Islam",

in denen er die wichtigsten Problemkreise der Religionsgeschichte, darunter vor

allem „Die Entwicklung des Gesetzes" behandelte.

Sdion frühzeitig wies er auf den Unterschied zwisdien Rechtstheorie und Rechts- wirklidikeit im Bereich des islamischen Rechts hin und gab damit Snouck Hurgronje

entscheidende Anregungen mit auf den Weg nach Ostindien. Goldziher hat sich aber

auch mit anderen Aspekten der islamischen Rechtswissenschaft besdiäftigt, so ins¬

besondere etwa mit der malikitisdien und hanbalitischen Richtung sowie der

Sdii'a.

Nachdem Goldziher und Snouck Hurgronje das islamische Redit sozusagen zu

einem besonderen Forschungsgegenstand der Islamkunde erhoben hatten, entstand

auf diesem Gebiet eine rege publizistische Tätigkeit in der weiteren Fachwelt, auf

die hier nur andeutungsweise eingegangen werden kann: Zusammenfassende Be-

ridite über die Quellen des islamischen Rechts, die islamischen Rechtsschulen

(madähib) und über die islamische Pflichtenlehre (fiqh) im einzelnen stammen von

Martin Theodor Houtsma (1851-1943), Prof. in Utrecht, Martin Hartmann (1851

bis 1918), Dozent am 1887 gegründeten Berliner Seminar für Orientalische Spra¬

chen, der temperamentvoll besonders am modernen Islam interessiert war, und dem

späteren preußischen Kultusminister Carl Heinrich Becker (1876-1933), seit 1908

erster Inhaber des Hamburger Lehrstuhls für Geschichte und Kultur des Orients am

neugegründeten Kolonialinstitut, dem Vorläufer der heutigen Universität.

Außerhalb Hollands und Deutschlands sind für diese Zeit vor allem Macdonald,

Guidi und Santillana zu nennen. So verfaßte der Schotte Duncan Black Macdonald

(1863-1943) vom Theologischen Seminar in Hartford (Connecticut), der erste be¬

deutende Islamwissenschaftler in den Vereinigten Staaten, 1903 nach gründlichem

Quellenstudium ein allgemein verständliches Werk über die „Development of Mus¬

lim Theology, Jurisprudence and Constitutional Theory". Darin weist er auf zahl¬

reiche Parallelen zwisciien dem römisdien und islamischen Recht hin.

Da die französische Übersetzung des malikitisdien Rechtskompendiums von Halil

ibn Ishäq durcii Perron aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts vergriffen war, ha¬

ben Ignazio Guidi (1844-1935), der Nöldeke Italiens, und David Santillana (1855

bis 1921) 1919 in amtlichem Auftrag eine monumentale Übersetzung und Kommen¬

tierung des gleichen Werkes angefertigt. Auch dieses Werk steht immer noch unter

dem Zeiciien der kolonialen Interessen, die in Italien besonders zur Pflege der

äthiopischen Studien geführt hatten.

Während sich Guidi nur gelegentlich mit dem islamischen Reciit befaßte, blieb der

Name Santillanas mit dem islamischen Recht untrennbar verhaftet durch sein wert¬

volles Handbuch des malikitisdien Rechts mit reichen Quellennachweisen aus der

arabischen Literatur; eine systematische Darstellung des gesamten Reditsstoffes, die erst 1926, also 5 Jahre nach seinem Tode ersdiien.

Durdi die Orientinteressen Großbritanniens und Frankreichs im Nahen und

Mittleren Osten blühte die Beschäftigung mit dem islamischen Reciit dort besonders

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XXVIII Konrad Dilger

auf, während die niederländische Schule mehr und mehr zurückging.

Trotz des Verlustes aller Kolonien nach dem 1. Weltkrieg blieb audi die deutsdie

Orientalistik in den islamischen Rechtsstudien namhaft vertreten. Zu erwähnen ist

hier vor allem Gotthelf Bergsträsser (1886-1933), der mit einigen wenigen Arbei¬

ten zum islamisdien Redit wesentliche Akzente setzte. In nur zwei, aber um so ge-

widitigeren Zeitschriftenaufsätzen nahm er in grundsätzlidier Weise zu den Pro¬

blemen des islamischen Rechts und seiner Erforschung Stellung. Berühmt wurde er

jedoch - abgesehen von seinen philologisdien Arbeiten - durdi eine im Winter¬

semester 1928/29 gehaltene Vorlesung über die „Grundzüge des islamischen Rechts",

deren Manuskript Joseph Sdiacht 1935 aus dem Nachlaß des früh verstorbenen

Gelehrten herausgegeben hat.

Ähnlich weite Verbreitung, wenn auch nidit von gleicher Originalität, hat 1944

die Einführung Richard Hartmanns (1881-1965) in „Die Religion des Islam" ge¬

funden, deren Darstellung des islamischen Rechts weitgehend auf Juynbolls meister¬

haftem Handbuch beruht.

Noch waren Bergsträsser wie audi Richard Hartmann ganz im klassischen isla¬

mischen Redit befangen. Für sie bedeutete Beschäftigung mit dem islamisdien Recht

Beschäftigung mit dem fiqh. Doch gab immerhin Bergsträsser den Anstoß zur Aus¬

einandersetzung mit dem modernen islamischen Redit durch die Anregungen, die er

seinem Schüler Joseph Schacht mit auf den Weg gab.

Auch Joseph Schacht (1902-1969), in der jüngeren Vergangenheit der bedeutend¬

ste Fachmann auf dem Gebiet des islamischen Rechts, eröffnete seine vielseitigen Studien über das islamisdie Redit mit Arbeiten zum klassischen islamisdien Recht, die aber von vornherein sein Interesse an der Rechtswirklichkeit im Unterschied zur Reditstheorie verraten. Angeregt von Goldziher, hat er sich mit den Rechtskniffen

(hiyal) beschäftigt und unter den methodischen Forderungen von Bergsträsser zu¬

nächst einmal zwei Texte ediert, um seine Befähigung unter Beweis zu stellen. Seine

daraus gewonnenen Kenntnisse ließ er in einen allgemeinen Überblick über die Li¬

teratur der Rechtskniffe einfließen.

Obgleich kein Jude, emigrierte Schacht in der nationalsozialistischen Zeit früh¬

zeitig nach England, wo er 1950 sein aufsehenerregendes Werk über die Anfänge

der muhammedanischen Reditswissensdiaft veröffentlichte. 1964 folgte seine „In-

troduction to Islamic Law".

In der deutsdien Orientalistik wurden die Studien zum islamischen Redit vor

allem von Otto Spies (geb. 1901) in Zusammenarbeit mit Erich Pritsch (1877-1961)

weitergepflegt. Besondere Verdienste hat sich Spies zusammen mit Pritsch durch

seinen Beitrag im Handbuch der Orientalistik um die bibliographische Erfassung

der islamischen Rechtsliteratur gemacht.

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Orientalistik und Rechtswissenschaft XXIX

III. DAS MODERNE RECHT DER ISLAMISCHEN LÄNDER IN DER

DEUTSCHEN FORSCHUNG

Obwohl Martin Hartmann und C. H. Becker als die Begründer der gegenwarts¬

bezogenen Orientforschung in Deutschland gelten, können sie diesen Ehrentitel

trotz einiger Arbeiten zum Scheriatrecht im Bereich des islamisdien Redits nicht

beanspruchen.

Spätestens seit den Reformen der Tanzimat-Zeit (1839-1880), deren Markstein

im Rechtswesen die Kodifizierung des Obligationen- und Sachenredits der hanafiti¬

schen Rechtssdiule in der berühmten Megelle in den Jahren 1869-1876 war, be¬

stand ein Anreiz, sich mit der Situation des islamischen Rechts im osmanischen Reich

auseinanderzusetzen. Neue Impulse in dieser Richtung gingen von dem 1917 ent¬

standenen osmanischen Familienrechtsgesetz aus.

Aufgrund des traditionell freundschaftlichen Verhältnisses zwischen Deutschland und der Türkei, dem sich die deutsche Orientalistik nodi heute in besonderer Weise

verbunden fühlt, entstanden etwa seit der Jahrhundertwende besonders in Deutsch¬

land zahlreiche Arbeiten zur Rechtsordnung in der modernen Türkei. Doch be¬

schränkten sich diese Arbeiten mehr oder weniger auf eine Berichterstattung über

die damaligen Rechtszustände im osmanischen Reidi.

Gleichartige Entwicklungen in anderen arabischen Staaten wie etwa in Ägypten

und Algerien, die sich im 19. Jahrhundert in zunehmendem Maße mit französisdiem

Recht konfrontiert sahen, blieben zunächst - jedenfalls in der deutschen Wissen¬

schaft - nahezu gänzlich unbeachtet.

Wesentliches leistete hier innerhalb der deutschen Orientalistik Joseph Schacht.

Mit einem einzigen Aufsatz über „Sari'a und Qänün im modernen Ägypten"

lenkte er 1932 nicht nur das Augenmerk auf Ägypten, sondern eröffnete vor allem

aucii in wissenschaftlich vorbildlicher Weise die Diskussion über die nodi heute bren¬

nend wiciitige Frage nach der Stellung des islamischen Rechts in der heutigen isla¬

mischen Welt. Durch ihn erfolgte die zweckfreie Hinwendung der deutschen Orien¬

talistik zum modernen Recht der islamisdien Länder - und das zu einem Zeitpunkt,

in dem mit dem Tod von Martin Hartmann 1918 und dem „Verstummen Beckers

als Orientalist" 1916, also etwa seit dem Ende des Ersten Weltkrieges, die erste

kurze Blüte der modernen Islamstudien in Deutschland längst zu Ende gegangen

war und sich die deutsche Orientalistik höchstens gelegentlich mit Fragen des zeit¬

genössischen Islams beschäftigte.

Obgleicii von Haus aus Islamkundler, der sich selbst audi stets als solcher emp¬

fand und keineswegs als Jurist oder Rechtsvergleicher, wagte sich Schaciit auch spä¬

terhin wiederholt an Fragen des modernen islamischen Rechts.

Zahlreiche Arbelten über moderne Rechtsfragen des islamischen Orients, darun¬

ter in zunehmendem Maße von mehr oder weniger orientalistisch geschulten Juri¬

sten, folgten im Laufe der Jahrzehnte.

Beispielhaft mödite ich nur etwa Erich Pritschs (1877-1961) gedenken, der sich

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xxx Konrad Dilger

nodi lange nadi seiner Pensionierung als Senatspräsident immer wieder audi moder¬

nen Reditsfragen widmete.

Trotzdem stand sowohl bei Sdiadit wie auch bei Pritsdi die Besdiäftigung mit

dem Scheriatrecht in seiner historisdien Gestalt eindeutig im Vordergrund. Der deut¬

sdien Wissenschaft fehlte damals und fehlt zum Teil heute wieder die lebendige

Herausforderung, die diallenge im Sinne Toynbees, sidi mit dem modernen Orient

in rechtlicher Hinsicht zu befassen.

Ein solcher Anreiz ergab sich, als vor inzwischen fast 50 Jahren die 1923 neuge¬

gründete türkische Republik 1926 in einer rigorosen Rechtsreform die Megelle durch das sdiweizerisdie Obligationenrecht aus dem Jahre 1911 sowie das traditionelle

islamisdie Familien- und Erbrecht durch modernes europäisches Recht ersetzte und

deutsche Rechtslehrer, darunter vor allem den bekannten Handelsreditler Ernst

Hirsch und A. B. Schwarz, zur Interpretation dieses neuen Rechts in die Türkei

holte.

Diese tiefgreifende Redltsreform lenkte die wissenschaftliche Diskussion auf die

Probleme der Rezeption und Assimilation europäischen Rechts in der islamischen

Welt. Obwohl damit audi heute noch hochaktuelle Probleme rechtlicher, soziologi¬

scher und religiöser Art aufgeworfen wurden, überließ die deutsdie Orientalistik

den Juristen das Feld. So haben sidi mit den Rezeptionsprobiemen in der Türkei in

erster Linie Ernst Hirsch, A. B. Schwarz, Erich Pritsdi und K. H. Neumayer befaßt.

Ebensowenig reagierte die deutsdie Orientalistik auf ähnlich einschneidende Ent¬

wicklungen im Anschluß an den 1. Weltkrieg und insbesondere nach dem 2. Welt¬

krieg.

Selbst die Juristen fühlten und fühlen sich hier allein schon aus sprachlichen Gründen überfordert. Dadurch haben die bedeutenden Kodifikationsbewegungen und die mit ihnen verbundenen geistigen Auseinandersetzungen in der islamischen Welt jedenfalls in Deutschland bislang verhältnismäßig wenig Beachtung gefunden.

Saudi-Arabien etwa gilt - übrigens zu Unrecht - als ein zumindest im rechtlichen Bereich unterentwickeltes Land, in dem angeblich noch nahezu völlig das klassische islamische Recht gelten soll, sofern nicht von vornherein offenbare Willkür des kö¬

niglichen Hauses unterstellt wird. Wer weiß aber schon, daß Saudi-Arabien seit

1931 ein ausgezeichnetes Handelsgesetzbuch besitzt, das sich mit jeder gleichartigen

europäisdien Kodifikation messen läßt, eine vorbildliche gesetzliche Regelung des

GesellsdiaftsrecJits vom Jahre 1965 und vieles andere mehr.

Kompetente Universitätslehrer wie Otto Spies, nidu nur Altmeister der Orienta¬

listik, sondern auch von Haus aus Jurist, gaben zwar den Anstoß zu zahlreichen

Dissertationen über das islamische Recht; aber eingedenk der „kategorischen Forde¬

rung" Bergsträssers, „daß jeder Neuling sidi zunächst durch eine einfache Überset¬

zung und das nächste Verständnis sichernde Bearbeitung eines fiqh-Textes als befä¬

higt ausweise und zu höheren Aufgaben nicht fortschreite, ehe er auf dieser ersten Stufe Einwandfreies leistet", regte er, soviel ich sehe, stets nur Arbeiten auf dem Gebiete des klassischen islamischen Rechts an. Diese Tatsache ist um so verwunder-

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Orientalistik und Reditswissensdiaft XXXI

lidier, als Otto Spies jahrelang als akademisdier Lehrer in Indien tätig war und ge¬

rade der indische Islam ein völlig unbearbeitetes Gebiet der Islamkunde ist.

Um so reger nahm sich das Ausland der modernen Rechtsentwicklung an, und

zwar aufgrund ihrer traditionellen Bindungen zum Orient, insbesondere England

und Frankreidi.

In London ist vor allem das „Institute for Advanced Legal Studies" in Zusam¬

menarbeit mit der „Schoo! of Oriental and African Studies (SOAS)" zu einer

Pflegestätte nicht nur des zeitgenössischen Rechts in den islamisdien Staaten, son¬

dern des gesamten modernen Rechts des Orients geworden.

Besonders aus der Feder des unermüdlich tätigen Direktors dieses Instituts, J. N.

D. Anderson, der audi mit dem Arabischen vertraut ist, stammt eine große Zahl

von Arbeiten zu allen Fragen der modernen Reditsentwicklung in der islamisdien

Welt einschließlich Afrikas.

In fruchtbarem Wettstreit mit ihm steht Noel J. Coulson, Lecturer für islami¬

sches Recht an der School of Oriental and African Studies der Universität London.

Beiden Autoren kommt zustatten, daß sie das Reditsleben im Orient aus eigener

Anschauung kennen. Andersons Werk über „Islamic Law in Africa" entstand z. B.

aufgrund von Feldstudien, Coulson war u. a. eine Zeitlang Dean der Law Faculty

der Ahmadu Bello University in Nigeria (1965-1966).

IV. AUFGABEN DER ISLAMISCHEN RECHTSFORSCHUNG

1. Im Bereich des klassischen islamischen Rechts: Da es unmöglidi ist, den Islam ohne das Islamische Recht zu verstehen, muß dem „islamisdien Gesetz", wie Berg¬

strässer es formuliert, schon vom Standpunkt der Islamwissenschaft aus ein „ein¬

dringendes Studium" gewidmet werden.

Dieser Forderung kann uneingeschränkt zugestimmt werden, wenn das Wort

„Studium" nicht im engen Sinne der islamkundlichen Ausbildung verstanden wird,

sondern im Sinne der wissensdiaftlidien Beschäftigung sdiledithin. In der islami¬

schen Rechtsforsdiung steht die Wissenschaft praktisch auch heute noch am Anfang.

Die seinerzeit von Bergsträsser aufgezeigten Desiderata sind bislang nur zu einem

gewissen Teil erfüllt.

Da die großen fiqh-Werke noch längst nicht ausgeschöpft sind, empfiehlt er vor

allem die sorgfältige Analyse von fiqh-Texten, um die juristisch-religiösen Tenden¬

zen herauszuarbeiten, unter denen der Autor und der durdi ihn repräsentierte

madhab zu seiner Zeit den in Rede stehenden Rechtsstoff beurteilte.

Gleidizeitig eröffnet die Erfassung der rechtlichen Tatbestände die Hoffnung, die geistige Welt, aus der das islamische Recht erwachsen ist, zu erkennen. Das Ergebnis solcher historisdi abgesicherter Einzeluntersudiungen wären deutlichere Vorstellun¬

gen über Charakter, Methode, Darstellungsart der einzelnen muslimischen Juristen

und ihren madhab.

Ein derartiges Vorgehen in der islamischen Reditsforsdiung würde die ungeheu-

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XXXII Konrad Dilger

ren Stoffmassen der zahllosen, oft vielbändigen fiqh-Werke zu übersdiaubaren Ein¬

heiten reduzieren und es allmählidi ermöglichen, einzelne Rechtsgebiete durch die

Jahrhunderte und die versciiiedenen Rechtsschulen hindurch in Längsschnitten zu

verfolgen sowie das gegenseitige Verhältnis der madähib zu klären.

Dabei wäre dem schwierigen Gebiet der islamischen Tradition (hadit) besondere

Aufmerksamkeit zu widmen, worauf Schacht in Fortführung der methodischen

Überlegungen seines Lehrers als eine der wichtigsten „Aufgaben der islamischen

Rechtsforschung" hingewiesen hat; denn aus dem Traditionsstoff lassen sich nicht nur Rückschlüsse auf das vorislamische Recht ziehen, sondern auch die dem fiqh voraus¬

gehenden juristischen Anschauungen aufspüren und zu den späteren Ansichten in

historische Beziehung setzen, wobei sich manchmal überraschende Entwicklungsten¬

denzen ergeben.

Leider haben sich die Hoffnungen Schachts, daß diese Studien im Anschluß an das

Wensinck'sche Handbook einen großen Aufschwung nehmen würden, nur zum Teil

- nicht zuletzt durch ihn selbst - erfüllt.

Die systematische Erschließung des islamischen Rechtsstoffs durch Einzelanalysen

bietet den unschätzbaren Vorteil, nicht mehr oder weniger willkürlich aus der un¬

geheuren Stoffmasse irgendeine Rechtsquelle zur Bearbeitung auswählen zu müssen.

Dadurch kann die islamische Rechtsforschung bis zu einem gewissen Grad rationali¬

siert werden.

Trotzdem verbleibt dem am islamiscJien Recht interessierten Rechtshistoriker noch ein weites Betätigungsfeld: Zwar hat die Problematik des Auseinanderklaff ens

von Theorie und Praxis insbesondere in Schacht einen hervorragenden Bearbeiter

gefunden. Audi hat der Koran als Rechtsquelle neuerlich in der Forschung Interesse geweckt.

Aber die ihtiläf-Forsdiung, die das gegenseitige Verhältnis der verschiedenen Rechtssdiulen zueinander betrifft, sowie die UntersucJiung der usül al-fiqh, also der Wissenschaft von den islamischen Rechtsquellen, ist stark vernachlässigt worden, ganz zu schweigen von der Entwicklung der sari'a im Osmanischen Reidi.

Wie sidi aus diesen Andeutungen ergibt, sind wir von einer lückenlosen wissen- scJiaftlidien Erkenntnis der islamischen Rechtsgesdiidite noch weit entfernt. Eine heute nur als Idealziel denkbare „Synthese" des islamischen Rechts liegt noch in weiter Ferne.

Aber nicht nur auf den islamkundlidien Rechtshistoriker im engeren Sinne des

Wortes warten zahlreiche Aufgaben, sei es die kritische Bearbeitung von Reditsbü- diern oder die systematische Darstellung einer rechtlichen Institution aus den Quel¬

len, sondern auch für die vergleichende Rechtsgesdiidite bietet sidi ein weites Feld, auf dem bisher nur wenig brauchbare Arbeiten vorliegen.

Insbesondere die Einflüsse des jüdischen und römiscJien Reciits bei der Heraus¬

bildung des islamischen Rechts bedürfen noch der genauen Erforschung. Die Struk¬

tur des jüdischen Rechts ist jedoch kaum weniger eigenartig als die des islamischen

und erschwert seine Verwertbarkeit als Vergleichsmaterial. Daher ist hier ebenso

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Orientalistik und Rechtswissenschaft XXXIII

wie aber aucji, soweit Einflüsse aus dem römischen Recht in Frage stehen, bei der

Annahme gegenseitiger Beeinflussung aufgrund gleichartiger rechtlicher Erschei¬

nungsformen besondere Vorsicht geboten. Ähnlichkeiten zwischen zwei Institutio¬

nen sind nicht genug. Eine nach Ort und Zeit vernünftige Gelegenheit der Rezep¬

tion muß hinzukommen.

2. Im Bereich des modernen Rechts der islamischen Welt: Im modernen Recht

der islamischen Staaten ist es in erster Linie die geistige Auseinandersetzung zwi¬

schen dem traditionellen religiösen Recht und den vorwiegend aus Europa stam¬

menden weltlichen Rechtsvorstellungen, die das wissenschaftliche Interesse bean¬

sprucht.

Die Angelegenheiten des Personalstatuts (ahwäl as-sahslya), zu denen vor allem

das gesamte Familienrecht und das Erbredit gehören, sind noch im wesentlichen

islamreditlich bestimmt, während das Vermögensredit, insbesondere also das Obli¬

gationen- und Sachenrecht, grundsätzlich auf fremdem, übernommenem Redit be¬

ruhen.

In beiden Bereichen gibt es aber natürlich zahlreiche Durchbrechungen. So stellt

sidi die Frage nach Art und Umfang der Rezeption fremden Rechts sowie seiner

Assimilation an die andersartigen Lebensverhältnisse in der Islamischen Umwelt

durch Gesetzgebung und Reditspreciiung.

Umgekehrt bleibt die Rolle des Islamischen Rechts Im Vermögensrecht der isla¬

mischen Staaten zu untersuchen. Aber auch die Wechselwirkungen zwisdien Islami¬

schem und westlichem Redit stellen eine wichtige Problematik Im juristischen Be¬

reich dar: Nicht nur 1st islamisches Recht durch Übernahme westlichen Rechts ver¬

drängt worden, sondern gerade aucJi die im Zuge der nationalen Selbstbesinnung in

letzter Zelt wieder stärker spürbare „Islamisierung" des Rechts in allen Lebens¬

bereichen hat neuerlich zu einer Verdrängung längst eingebürgerten fremden Rechts

geführt. Ich denke hierbei etwa an Algerlen, wo zum 1. Juli 1975 das gesamte Recäit

aus der französischen Zelt bis zur Unabhängigkeitserlangung im Jahre 1962 zugun¬

sten nationaler, d. h. arablsci-lslamlsdier Regelungen pauschal außer Kraft gesetzt

worden 1st, ganz zu schweigen von Libyen oder der Einführung des ägyptischen

Zivilgesetzbuches Im Sudan im Jahre 1971 und In Somalia 1973.

All dies sind Fragen, von deren Klärung die rechte Einschätzung des modernen

Orients abhängt; denn die rechtlichen Verhältnisse gewähren - besonders Im Fa¬

milien- und ErbrecJit - tiefe Einblicke in die Lebensverhältnisse eines Volkes und

beschränken sich keineswegs auf rein juristischen Formelkram.

Neben dieser mehr theoretischen Seite hat die gegenwartsbezogene islamische

Rechtsforschung aber auch eine eminent praktische Bedeutung: Nacii dem Verblas¬

sen kolonialpolitischer Motivationen zwingen heute andere LebenssacJiverhalte zu

einer Beschäftigung mit dem modernen Recht der Islamischen Staaten.

Aufgrund des In Deutschland geltenden Staatsangehörigkeitsprinzips hat In Fäl¬

len mit Auslandsberührung das Heimatrecht der maßgeblichen Person Anwendung

zu finden. Wer unter den Beteiligten die maßgebliche Person ist, darüber entschei-

(12)

XXXIV Konrad Dilger

det das sog. Internationale Privatrecht. In Erbangelegenheiten ist es der Erblasser, in familienrechtlichen Angelegenheiten ist es in Deutschland auch unter der Geltung

des Gleichheitsgrundsatzes meist der Mann. Das führt in nahezu allen erb- und

familienrechtlichen Fragestellungen zwingend zur Anwendung ausländischen

Rechts - im Unterschied etwa zu Großbritannien und Frankreich, wo das sog.

Domizilprinzip gilt und damit kaum ausländisdies Recht Anwendung zu finden

braucht, sondern es bei der lex fori verbleibt.

Da es im islamischen Orient in den Angelegenheiten des Personalstatuts traditions¬

gemäß kein einheitliches Recht gibt, sondern es nach Religionen gespalten ist, muß unter Einschaltung des sog. interreligiösen Rechts die maßgebende religiöse Rechts¬

ordnung bestimmt werden. Meist ist es das Recht der Religion, der die nadi dem

Staatsangehörigkeitsprinzip maßgebende Person angehört.

So ist etwa der in Deutschland befindliche Nachlaß eines persischen Teppichhänd¬

lers jüdischen Glaubens durch das zuständige deutsche Nachlaßgericht nach iranisch¬

jüdischem Recht zu verteilen, nicht etwa einfadi nach dem im iranischen Zivilgesetz¬

buch allein kodifizierten islamischen Redit der sdiiitisdien Richtung.

Die Gültigkeit einer in Jordanien ausgesprociienen Verstoßung beurteilt sich auch

nadi deutscher Sicht nur dann nach jordanisch-islamischem Recht, wenn der Ehe¬

mann Muslim ist.

Islamisches Recht gilt aber z. B. auch für den Fall, daß sich in Ägypten zwei Chri¬

sten, die versdiiedenen Konfessionen oder auch nur verschiedenen Riten angehören, scheiden lassen wollen, da im Fall unterschiedlicher Religion der Beteiligten nach dem ägyptischen interreligiösen Recht das ägyptisch-islamische Recht als das allge¬

meine Recht Ägyptens zum Zuge kommt, sofern nach den Grundsätzen des Inter¬

nationalen Privatredits überhaupt ägyptisches Recht zur Anwendung berufen ist.

Da Hunderttausende von Ausländern in der Bundesrepublik leben, tauchen der¬

artige Probleme, denen ein üblicher Jurist hilflos gegenübersteht, immer häufiger auf.

Aber auch über das Familien- und Erbrecht hinaus gewinnt das moderne Recht

der islamischen Staaten mit der zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung infolge des ölreichtums der arabischen Länder und des Iran eine immer größere Bedeutung, sei es im Vertrags-, Arbeits- oder Gesellschaftsrecht.

Selbst auf strafreditlidiem Gebiet spielt das Recht der islamischen Staaten eine

gewisse Rolle. Zwar hat ein deutsches Gericht grundsätzlich aussdiließlich nadi

deutschem Strafrecht zu urteilen. Aber im Rahmen des Strafmaßes und vor allem

bei einem sog. Verbotsirrtum, wenn sich nämlich der Angeschuldigte darauf beruft, eine ihm zur Last gelegte Tat nicht für strafbar angesehen zu haben, hat das Gericht das heimatliche Strafrecht des Betroffenen mit zu berüdcsichtigen.

Solches Forschen in den Rechtsordnungen des islamischen Orients, mag es rein

theoretisch oder zweckgebunden erfolgen, führt nicht nur zu einem tieferen Ver¬

ständnis der gesamten islamischen Welt, sondern schärft auch den kritischen Sinn

des Juristen für die heimischen Lösungen der eigenen Rechtsordnung.

(13)

Orientalistik und Rechtswissensdiaft XXXV

Daß es darüber hinaus sinnvoll wäre, das islamische Recht samt seinen modernen

Ausprägungen in die Rechtsvergleichung mit einzubeziehen, wird gemeinhin be¬

stritten. Dies ist gewiß richtig, soweit die Rechtsvergleichung nur dazu benutzt wird,

den eigenen Vorrat an Problemlösungen zu bereichern, um die am Ende überlegene

oder denkmöglich beste Lösung für die Auslegung von Reciitsnormen, für die na¬

tionale Gesetzgebung oder für die übernationale Rechtsvereinheitlichung nutzbar

zu machen.

Dann empfiehlt sich allerdings, sich bei der Auswahl der zu untersuchenden

Rechtsordnungen grundsätzlich auf die Mutterordnungen wie z. B. das angelsäch¬

sische und französische Recht zu beschränken. Die weniger ausgereiften Tochter¬

rechte können ebenso getrost beiseite gelassen werden wie allzu fremdartige Redits-

systeme. Gewiß können wir vom religiösen islamischen Recht nur in Ausnahmefäl¬

len einen verwertbaren Gedanken für unsere eigenen Probleme gewinnen.

Doch ist dieser Standpunkt nur insoweit gerechtfertigt, als es der Rechtsverglei¬

chung um nationale Ziele geht; im übrigen ist er zu eng.

In die Rechtsvergleichung sind alle diejenigen Rechtsordnungen einzubeziehen,

aus denen für das zu untersuchende Problem besondere Anregungen zu erwarten

sind.

Die im Rahmen der islamischen Rechtsforschung erwähnten Fragestellungen sind

aber gerade in hervorragender Weise mittels der Reditsvergleidiung unter Einbezie¬

hung des islamischen Rechts aufzuhellen; sei es, daß die verschiedenen modernen

islamischen Rechtsordnungen, einzelne Rechtsinstitute oder Problemlösungen unter¬

einander in Beziehung gesetzt werden, um das moderne Recht in den islamischen

Ländern besser zu verstehen, dabei die verbliebenen Reste der verschiedenen

madähib zu erkennen oder Interpretationshilfen für Einzelfragen an die Hand zu

bekommen, u. a. etwa zur Ausfüllung von Generalklauseln wie z. B. die öfter zur

Lückenfüllung berufenen „Grundsätze des islamischen Rechts" oder des „Natur¬

rechts"; sei es, daß die Rechtsordnungen des islamischen Orients zu ihren Mutter¬

rechtsordnungen, also zum klassiscJien islamischen Recht und den fremden Rechts¬

ordnungen, aus denen eine Rechtsübernahme stattgefunden hat, in Beziehung ge¬

setzt werden, z. B. zum französischen Zivilrecht im Rahmen des modernen ägypti¬

schen und des von Ägypten übernommenen arabischen Vermögensrechts in Libyen,

Syrien, im Irak und in Kuwait.

Über das genauere Verständnis der orientalischen Rechtsordnung hinaus ermög¬

licht eine solche Art der Rechtsvergleichung eine bessere Abgrenzung zwischen isla¬

mischem und rezipiertem fremden Recht sowie eine ausgewogenere Auslegung der

modernen islamischen Rechtsordnung, ihrer versdiiedenen Institute und Einzelfra¬

gen.

Dagegen würde es im Normalfall vergebliche Mühe bedeuten, Reditsvergleidiung

anhand der modernen Rechtsordnungen des islamischen Orients zürn Zweck der

Gesetzgebung oder Rechtsvereinheitlichung zu betreiben, sofern nicht ein Ruf nach

juristiscJier Entwicklungshilfe dazu anregt.

(14)

XXXVI Konrad Dilger

Aber es darf nidit übersehen werden, daß die islamisdien Staaten gerade audi zu

diesen Zwecken sich selbstverständlich der Reditsvergleidiung in reichem Maße be¬

dienen, und zwar sowohl innerhalb der arabischen Rechtsordnungen wie auch unter

Einbeziehung fremden, insbesondere europäischen Rechts.

V. GEGENWÄRTIGE SITUATION DER ISLAMISCHEN

RECHTSFORSCHUNG IN DEUTSCHLAND

Nach der verdienstvollen Studie von Rainer Büren zur gegenwartsbezogenen

Orientwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigen sidi nach ihrer

Selbstdarstellung allein über 20 Einrichtungen In Deutschland mehr oder weniger

mit dem Recht des islamischen Orients, darunter neun juristische Universitätsinsti¬

tute, meist solche für Rechtsvergleichung, drei orientalistische Universitätsinstitute und sechs außeruniversitäre Forschungsinstitute, darunter drei Max-Planck-Insti-

tute. Dem Eingeweihten ist jedoch bekannt, daß hinter diesen Institutionen höch¬

stens zehn, also halb so viel Fachkräfte stehen, manche von ihnen für mehrere der

genannten Einrichtungen tätig sind und überhaupt nur etwa gerade ein halbes Dut¬

zend durch wissenschaftliche Veröffentlichungen zum islamischen Recht hervortritt.

Im Gegensatz zu Großbritannien, wo an der Universität London seit 1953 ein

Lehrstuhl für orientalisches Recht mit J. N. D. Anderson an der Spitze besteht, gibt es in Deutschland auch noch keinen juristischen Lehrstuhl für islamisches Recht. Ein gewisser Ersatz bildete das Orientalische Seminar der Universität Köln, dessen in¬

zwischen plötzlich verstorbener Direktor, E. Gräf, sich in seiner Forschungsarbeit, soweit ich sehe, ausschließlich mit dem islamischen Recht befaßte. Durch seine fun¬

dierten Arbeiten zum klassischen islamischen Recht setzte er die Tradition von

Snouck Hurgronje, Goldziher, Juynboll und Schacht fort.

Im juristischen Fachbereich ist dagegen E. Klingmüller vom Institut für Versiche¬

rungsrecht der Universität Köln gegenwärtig der einzige Ordinarius in Deutschland, der sich mit Sachverstand auch Fragen des islamischen Rechts widmet und - früher

in Zusammenwirken mit Gräf - regelmäßig ein Seminar über islamisches Recht

veranstaltet. Modernes Redit des islamischen Orients wird, soweit ich informiert

bin, fortlaufend nur am Seminar für Geschichte und Kultur des Vorderen Orients

in Hamburg unterrichtet.

Diese traurige Bilanz der islamrechtlichen Studien in Deutschland ist weniger

eine Folge fehlender Stellen als vielmehr eines Mangels an geeigneten doppelspurig

ausgebildeten Fachkräften. Schon 1964 hat Paret das Fehlen eines Spezialisten für

das moderne Recht des islamischen Orients beklagt. Deshalb bleiben gelegentlich in diesem Bereich zur Verfügung stehende wissenschaftliche Planstellen zeitweilig ver¬

waist oder werden mit philologisch und islamkundlich unzulänglich ausgebildeten

Juristen besetzt. Aus dem gleidien Grund hat es auch - abgesehen von der Finan¬

zierung - wenig Sinn, den Ruf nach einem Lehrstuhl mit besonderer Ausrichtung

(15)

Orientalistik und Rechtswissensdiaft XXXVII

auf das Recht des Vorderen Orients oder gar nach einem zentralen Institut für

gegenwartsbezogene Orientwissenschaft zu erheben.

Die wenigen Orientalisten mit voller juristischer Ausbildung wandern in lukra¬

tivere Stellungen ab, gehen ins Auswärtige Amt, als Repräsentanten großer Banken

ins Ausland, als Syndici bedeutender Unternehmen ins blühende Orientgesdiäft

oder ziehen es sogar vor, trotz ihres Doppelstudiums in gesicherter Stelle schlicht Staatsanwalt zu werden.

Obgleich die Zahl derjenigen, die sich heute in Deutschland mit islamischem Recht im weitesten Sinne befassen, so gering ist, fehlt es darüber hinaus noch nahezu völ¬

lig an einer interdisziplinären Kooperation zwischen Orientalisten und islamrecht¬

lich interessierten Juristen, ja sogar schon an hinreichender Kommunikation unter¬

einander.

So dürfte wahrscheinlich vielen Orientalisten die früher von Spies herausgegebene Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft mehr oder weniger unbekannt sein,

obwohl sie insbesondere der orientalistischen Rechtsforsdiung gewidmet ist, und

zwar überwiegend nach ihrer historischen Seite unter Verzidit auf die mehr prak¬

tischen Gesetzgebungsberichte und Entscheidungen.

Zahlreiche andere Veröffentlichungen zum Recht des islamischen Raumes erschei¬

nen so verstreut in juristischen Fachzeitschriften, daß sie selbst im Index Islamicus

regelmäßig nicht erfaßt werden. Wenigstens auf drei größere wissenschaftliche

Werke, die für die gegenwärtigen Bemühungen um das Recht des islamischen

Orients unter den Juristen Zeugnis ablegen, möchte ich noch kurz aufmerksam ma¬

chen: Zum einen werden die vom Max-Planck-Institut für ausländisches und inter¬

nationales Privatrecht in Hamburg in Zusammenarbeit mit einigen anderen redits-

vergleidienden Instituten angefertigten Rechtsgutachten zu ausländischen Rechts¬

fragen seit zehn Jahren jährlich in Auswahl veröffentlidit. Daneben existiert auch nocii eine zweibändige Sammlung von Wengler.

Zum anderen entsteht unter Federführung des Hamburger Max-Planck-Instituts

in weltweiter Zusammenarbeit eine 16bändige „Encyclopedia of Comparative

Law" in Lexikonformat, von der bisher schon zahlreiche Länderberichte über nah¬

östliche Staaten erschienen sind.

Sciiließlidi ist inzwischen der 2. Band einer vom Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht herausgegebenen strafrechtlichen

Bibliographie erschienen, der die Quellen und das Schrifttum von 20 arabischen

Ländern, des Iran und Afghanistans sowie der Türkei umfaßt.

VI. PERSÖNLICHE VORAUSSETZUNGEN

Sdion auf dem 6. Deutschen Orientalistentag 1930 in Wien hat Bergsträsser die

Frage aufgeworfen, wer für die islamische Rechtsforschung zuständig sei und sich

ganz entschieden dafür ausgesprochen, daß die Beschäftigung mit dem islamischen

(16)

XXXVIII Konrad Dilger

Recht allein den Orientalisten vorbehalten bleiben müsse, da das islamische Redit kein eigentliches juristisches Forsdiungsgebiet sei, sondern Islam in seiner Auswir¬

kung auf das Reditsleben bedeute.

Dies ist wegen der üblichen philologisch-historischen Schulung der Orientalisten gewiß riditig, soweit es sich um das traditionelle Scheriatredit handelt.

Je weiter sich die Fragestellung jedoch vom rein Historischen entfernt, desto

weniger wird der allgemein ausgebildete Islamkundler in der Lage sein, eine befrie¬

digende Antwort zu finden. Handelt es sich um die Bewältigung eines Rechtspro¬

blems, das unter Anwendung modernen Rechts des islamisdien Orients zu lösen ist,

fehlt dem Orientalisten nicht nur die Sachkunde, das zur Anwendung berufene

Recht ausfindig zu machen, sondern es fehlt ihm vor allem auch die spezifisch analy¬

tische Fähigkeit, einen soldien „Fall" juristisch zu lösen; denn Orientalistik bedeutet die wissensdiaftlidie Besdiäftigung mit dem Orient im weitesten Sinn ohne metho-

disdie Differenzierung und beinhaltet damit lediglich eine gewisse räumliche Ab¬

grenzung dieses Wissenschaftszweiges. Auch die Islamkunde ist als die Wissenschaft einer bestimmten Kultur letzten Endes geographisch definiert. Höchstens aufgrund der historischen Entwicklung vermittelt das Studium der Orientalistik bzw. Islam¬

kunde die philologische und historische Methode, die aber beide keineswegs zur Lö¬

sung eines Reditsproblems taugen.

Daher muß jemand, der sich mit dem modernen Recht der islamischen Staaten

beschäftigen will, in erster Linie Jurist sein, und zwar voll und ganz bis hin zum

zweiten Staatsexamen. Darum führt kein Weg herum.

Aber das genügt selbstverständlich nicht. Eine erfolgreiche wissensdiaftlidie Be¬

schäftigung mit orientalischem Recht setzt gediegene Sprachkenntnisse voraus; denn man darf sich nicJit auf die manchmal in mehr oder weniger guten Übersetzungen zugänglichen Gesetze beschränken, sondern muß nidit nur mit den Originaltexten arbeiten können, sondern auch die Rechtsprechung und juristische Literatur des be¬

treffenden Landes mit einbeziehen.

Zu der Schwierigkeit, die einschlägigen Sprachen zu lernen, also vor allem Ara¬

bisch, kommt eine weitere hinzu: Man muß in den Geist des fremden Rechts ein¬

dringen und sich daher bei einer Beschäftigung mit islamischem Recht auch mit dem

Islam gründlicJi vertraut machen. Schließlich ist das Recht dessen wichtigste Ausprä¬

gung.

Die Beschäftigung mit dem islamischen Recht setzt auch insoweit, als es um seine

moderne Abwandlung geht, das vollwertige Eindringen in beide Fachgebiete vor¬

aus. Daran ist kein Zweifel.

Die Frage ist nur, wie das zu bewerkstelligen ist, ob durch ein Doppelstudium, ein Ergänzungsstudium oder etwa durch Wahl eines orientalistischen Nebenfaches.

Auf jeden Fall bedeutet das Zusammentreffen mindestens einer schwierigen Spra¬

che mit einem höchst eigenartigen Denken noch dazu über einen spröden Stoff zu¬

sätzlich zu dem eigentlichen Hauptstudienfach eine ganz erhebliche Belastung.

Auf orientalistischer Seite sollte deshalb ernsthaft überlegt werden, wie solche

(17)

Orientalistik und Rechtswissenschaft XXXIX

Zusatzstudien auch von anderen Hauptfachinteressenten sinnvoll durchgeführt wer¬

den können.

Ob eine Öffnung der Orientalistik zur Rechtswissensdiaft und anderen Fächern

gelingt, ob über das bloße Ändern von Prüfungsordnungen und das halb unfrei¬

willige Beteuern guten Willens hinaus ein wirklich ernstzunehmendes Studien¬

angebot für interessierte Nebenfächler geschaffen werden kann, davon hängt ganz

wesentlich das Überleben dieses sog. kleinen Fadies an den einzelnen Universitäten ab.

In gleichem Maße müßten auf orientalistischer Seite die leider immer noch be¬

stehenden Vorbehalte gegenüber solchen Nebenfach- oder gar Doppelfachstudenten schwinden. Sie dürften nicht deshalb der Geringschätzung unterliegen, weil sie kein volles oder alleiniges Orientalistikstudium absolvieren.

Ohnehin werden es solche Individualisten nidit gerade einfadi haben; denn es

gibt zwar zuweilen recht gute Möglidikeiten für einen am islamischen Recht interes¬

sierten Juristen, aber selbstverständlich keinerlei feste Berufslaufbahn und nahezu keine Chance an einer Universität.

Trotz der Vielfalt und Komplexität der Materie, trotz ihrer Stellung an der

Grenzlinie zwischen Islamkunde und Rechtswissenschaft und trotz der Sdiwierig-

keiten, in die arabische Sprache einzudringen (und daneben vielleicht auch noch

einen Beruf zu finden), möge es keinem Bemühten so ergehen wie dem holländischen

Orientalisten Erpenius, der in kleinmütigem Zweifel an den eigenen Fähigkeiten

seine orientalistisehen Studien ganz aufgeben wollte.

(18)
(19)

DAS ORNAMENT IN DER ISLAMISCHEN KUNST

Von Oleg Grabar, Cambridge, Massachusetts

Verehrte Kollegen, meine Damen und Herren!

Zunächst möchte ich mich bei Ihnen und besonders bei Professor Roemer für die

Einladung bedanken, anläßlich dieses Deutschen Orientalistentages zu Ihnen spre¬

chen zu dürfen. Ich fühle mich persönlich sehr geehrt durcJi diese Einladung, habe

sie aber auch aufgefaßt als die Erkenntnis oder zumindest doch die Erwägung, daß

die Erforschung und der Umgang mit sichtbaren Spuren der Vergangenheit nicht

der esoterischen Sekte der Kunsthistoriker mit ihrem obskuren Vokabular der For¬

menanalyse vorbehalten bleiben sollte, noch der militanten Sekte der Archäologen

mit ihren wissenschaftlichen Diskussionen über Schichten und keramische Formen.

Es scheint mir angebracht, eine solche Überlegung gerade bei einem Treffen deut¬

scher Orientalisten anzustellen, denn es war die großartige Epoche deutscher und

namentlich Wiener Gelehrsamkeit zu Beginn dieses Jahrhunderts, als Riegl und

Strzygowski, von völlig verschiedenen ideologischen Voraussetzungen ausgehend,

in der islamischen Kunst des Nahen Ostens historische und ästhetische Werte erblick¬

ten, die ihrer Ansicht nach unser Verständnis des Mittelalters ebenso hätten beein¬

flussen müssen wie unsere Wahrnehmung aller Künste überhaupt. Ihre Ansichten

waren durchaus umstritten, und Sie kennen vermutlich die oft recht verbitterten

Wortgefechte zwischen Strzygowski und Herzfeld in den frühen Jahrgängen der

Zeitschrift „Der Islam". Auffallend aber ist, daß all diese Belange und Interessen und selbst die Polemiken nicht weiter verfolgt worden sind. Islamologen und Orien¬

talisten verfielen bald zurück in die alte Gewohnheit, Bildmaterial lediglich als hüb¬

sche Illustration ihrer sakrosankten Texte zu betrachten, und die Kunsthistoriker

ignorierten einfach den Großteil der islamischen Kunst, es sei denn, wenn sie sie

gelegentlich als Quelle für einen exotischen „Einfluß", ein Begriff von recht ver-

scJiwommener Bedeutung, verwenden konnten.

Es wäre anmaßend, wollte ich auf irgendeine Weise zu verstehen geben, ich könne es 70 Jahre später mit dem Genie eines Riegl oder auch nur mit der unsystematisdien Vielseitigkeit eines Strzygowski aufnehmen. Sollten sie in ihren Ansätzen im großen

und ganzen recht gehabt haben und nur in Einzelpunkten zu kritisieren sein, dann

wird man einräumen müssen, daß die neue Fragestellung im Bereich der islamischen

Kunst und Archäologie für den Orientalisten in der Tat von sekundären Belang

sind. Sollten Zeugnisse der bildenden Kunst andererseits aber doch von Bedeutung

sein für das Verständnis der islamischen Kultur, so bedarf es nach 70 Jahren des

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