10.3 Differenzialrechnung 401
10.3 Differenzialrechnung
10.3Der wichtigste Begriff bei der Differenzialrechnung von Funktionen in mehreren Variablen ist die partielle Ableitung. Rechentechnisch ben¨otigt man die partielle Ableitung bei allen weiteren Begriffsbildungen wie z.B. der totalen Differenzierbarkeit, beim Gradient und der Richtungsableitung oder dem Taylorschen Satz.
Hinweis:Auf der Homepage befindet sich ein zus¨atzlicher Abschnitt ¨uberKettenregeln beim Differenzieren von Funktionen mit mehreren Variablen. VieleMaple-Prozeduren verdeutlichen die Begriffsbildungen in diesem Abschnitt.
10.3.1 Partielle Ableitung
Bei Funktionen einer Variablen spielt der Ableitungsbegriff eine zentrale Rolle:
Die Ableitung der Funktionf im Punktex0 ist definiert als der Grenzwert f0(x0) = lim
4x→0
f(x0+4x)−f(x0)
4x .
Aus geometrischer Sicht ist die Ableitung der Funktion f in x0 gleich der Steigung der Kurventangente.
Abb. 10.12.Ableitung = Steigung der Tangente inx0
Dieser Ableitungsbegriff wird auf Funktionen von zwei Variablen f(x, y) er- weitert. Wenn wir eine Variable festhalten (z.B.y=y0), dann ist
z=f(x, y=y0)
eine Funktion in der Variablenx. Ist diese Funktion im Punktex0differenzier- bar, so nennen wir ihre Ableitung diepartielle Ableitung nachx. Analog wird die partielle Ableitung vonf nachy definiert.
Definition: (Partielle Ableitung). Eine Funktion f heißt im Punkt (x0, y0)∈IDpartiell nachxdifferenzierbar,wenn der Grenzwert
∂f
∂x(x0, y0) := lim
4x→0
f(x0+4x, y0)−f(x0, y0) 4x
existiert. Man bezeichnet ihn als die partielle Ableitung von f nach xim Punkte (x0, y0).
402 10. Differenzialrechnung bei Funktionen mit mehreren Variablen
Entsprechend heißt
∂f
∂y (x0, y0) := lim
4y→0
f(x0, y0+4y)−f(x0, y0) 4y
diepartielle Ableitung vonf nachyim Punkte (x0, y0),wenn dieser Grenzwert existiert.
Etwas lax formuliert l¨asst sich die Definition so zusammenfassen:
Merkregel: Die partielle Ableitung bez¨uglich einer Variablen xi berechnet man, indem man alle anderen Variablen konstant h¨alt und bez¨uglich xi die gew¨ohnliche Ableitung bildet. Eine wichtige Konsequenz hiervon ist, dass sich alle Differenziationsregeln von Funktio- nen einer Variablen auf die partielle Differenziation ¨ubertragen.
Bemerkungen:
(1) Man beachte, dass die partiellen Ableitungen im Gegensatz zu den gew¨ohn- lichen Ableitungen nicht durch Striche (oder Punkte im Falle der zeitlichen Ableitung) gekennzeichnet werden, sondern durch Indizierung mit der Dif- ferenziationsvariablen. Allgemein ¨ubliche Bezeichnungen sind
fx(x, y), ∂f
∂x(x, y), ∂
∂xf(x, y), ∂xf(x, y), bzw. kurz
fx, ∂f
∂x, ∂
∂xf, ∂xf.
Um anzudeuten, dass keine gew¨ohnlichen Ableitungen vorliegen, wird also auch dxd durch ∂x∂ ersetzt. Analoge Bezeichnungen gelten f¨ur die partiellen Ableitungen nachy.
(2) In Anlehnung an die gew¨ohnliche Ableitungf0 bezeichnet manfx undfy als partielle Ableitungen1. Ordnung.
(3) Alternative Schreibweisen f¨ur die partiellen Differenzialquotienten sind
∂f
∂x(x0, y0) = lim
x→x0
f(x, y0)−f(x0, y0) x−x0
= lim
h→0
f(x0+h, y0)−f(x0, y0) h
und
∂f
∂y(x0, y0) = lim
y→y0
f(x0, y)−f(x0, y0) y−y0
= lim
h→0
f(x0, y0+h)−f(x0, y0)
h .
10.3 Differenzialrechnung 403
Im Folgenden geben wir einfache Beispiele zur Berechnung der partiellen Ab- leitung an. Man beachte, dass hierbei insbesondere die Kettenregel zur Anwen- dung kommt.
Beispiele 10.10 (Partielle Ableitung):
1 f(x, y) =x2·y3+x+y2:
∂f
∂x(x, y) = 2x·y3+ 1 ; ∂f
∂y(x, y) =x2·3y2+ 2y .
2 f(x, y) = sin x2−y :
∂f
∂x(x, y) = cos(x2−y)·2x; ∂f
∂y(x, y) = cos(x2−y) (−1) .
3 f(x, y) = ln
2x+ 41y :
∂f
∂x(x, y) = 1
2x+ 41y ·2 ; ∂f
∂y(x, y) = 1
2x+ 41y ·4 (−1) y−2 .
4 U =R·I:
∂U
∂R =I; ∂U
∂I =R. 5 W =1gv20 sin (2α):
∂W
∂v0 = 1g2v0 sin (2α) ; ∂W
∂α =1gv20 cos (2α)·2.
6 p=R· T V:
∂p
∂V =−R T
V2; ∂p
∂T = R V .
Bemerkung: Beispiel 10.10 6 zeigt die physikalisch-chemische Bedeutung der partiellen Ableitung: Der Druck p eines idealen Gases ist proportional zum Quotienten VT. Somit ist p eine Funktion der beiden Variablen T und V. ∂V∂p bedeutet dann die ¨Anderung des Druckes als Funktion des Volumens, wenn die Temperatur konstant gehalten wird. In der Chemie wird dies oftmals durch
∂p
∂V
T=const
symbolisiert. ∂T∂p bedeutet entsprechend die ¨Anderung des Druckes bei ¨Anderung der Temperatur aber konstantem Volumen.