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Sprache als Kultur- und RechtsgutVorsitzender (Huber):

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3. Aussprache und Schlussworte

Sprache als Kultur- und Rechtsgut

Vorsitzender (Huber): Meine Damen und Herren, wir kommen zur Diskussion.

Als Erster HerrTomuschat, bitte.

Tomuschat: Herr Vorsitzender, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Vor- träge haben uns gezeigt, dass Selbstverständlichkeiten in einer Ver- fassung gar nicht niedergelegt zu werden brauchen. Dass die deutsche Sprache die Staatssprache der Bundesrepublik ist, war 1949 so selbst- verständlich, dass man es für keiner ausdrücklichen Regel für würdig er- achtet hat. Damit bestätigt sich die alte Regel, dass man in einer Verfas- sung immer das niederlegt, was irgendwann einmal streitig war, und dass Verfassungen häufig rückwärtsgewandt irgendwelche Kontrover- sen aufnehmen, die nun beigelegt sind. Die deutsche Sprache war bei der Gründung der Bundesrepublik als Staatssprache nicht streitig. Zur Zeit der Paulskirche andererseits gab es viele Polen, das heißt deutsche Staatsangehörige mit polnischer Abstammung, die eben auch in ihrer polnischen Sprache kommunizieren wollten. Die Lage war also damals völlig anders.

Lassen Sie mich nun zunächst etwas zur Sprache als Ausdruck der grundrechtlichen Freiheit (Artikel 2 Absatz 1, Artikel 5 Absatz 1) sa- gen. Dass man sich in seiner eigenen Sprache artikulieren können muss, dass der Staat das nicht behindern darf, ist ebenfalls eine Selbstverständ- lichkeit, und beide Referenten haben das zutreffend unterstrichen. Die Frage aber lautet, wie weit man ein Leistungsrecht aus den Grundrech- ten ableiten kann, und insoweit ist es keineswegs so evident, dass die staatlichen Behörden mit einem Ausländer in seiner Sprache verkehren.

Dass man auch vor Gericht seine eigene Sprache benutzen darf, ergibt sich keineswegs unmittelbar aus dem Grundrecht der Sprachfreiheit.

Man kann hier allerdings nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit ge- wisse abgestufte Regeln finden. Im System der EMRK zum Beispiel wird noch nicht einmal demjenigen, der eine Beschwerde erhoben hat, garantiert, dass er ein Urteil in seiner eigenen Sprache erhält. Die Urteile werden nach wie vor nur auf Englisch und Französisch publiziert – eigentlich ein unhaltbarer Zustand. Im Strafprozess hingegen muss auch

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der Ausländer, der eine exotische Sprache spricht, die Möglichkeit ha- ben, sich zu verteidigen, damit seine Argumente nicht untergehen. Hier muss also ein Leistungsrecht angenommen werden. In der Tat würde die Verurteilung eines Angeklagten, der nicht in der Lage ist, die Beweis- situation zu würdigen, einem Eingriff gleichkommen. Man sieht, wie sich hier Leistungsrecht und Abwehrrecht miteinander verbinden. Vom Staat wird eine Leistung erwartet. Auf der anderen Seite wäre die Nicht- leistung, also die Nichtgewährung des Ausdrucks in der eigenen Spra- che, ein schwerwiegender Eingriff.

Lassen Sie mich noch etwas zum Begriff der Leitkultur sagen, insbe- sondere zur deutschen Sprache als Leitkultur. Kann man bei der Ein- bürgerung einer Person die Kenntnis der deutschen Sprache verlangen?

Wir halten das für selbstverständlich. Wir sehen es auch nicht als eine Diskriminierung an, wenn jemand wegen seiner Sprache, genauer: we- gen fehlender Sprachkenntnisse, nicht eingebürgert wird. Sie wissen, dass es hier vor allem in den baltischen Staaten große Probleme gegeben hat, weil man von den dort verbliebenen Russen verlangt hat, dass sie in Litauisch, Lettisch oder Estnisch solide Kenntnisse besitzen. Die sich daran anknüpfenden Kontroversen sind bis zum heutigen Tage nicht de- finitiv ausgetragen. In Deutschland gibt es das Sonderproblem derjeni- gen nicht, die aus früherer Zeit und früheren Herrschaftsverhältnissen dageblieben sind. Nochmals also: ich sehe es nicht als eine Diskriminie- rung an, wenn man von einem Ausländer als Voraussetzung für die Ein- bürgerung einigermaßen standfeste deutsche Sprachkenntnisse verlangt.

Danke.

Kloepfer: Vier Bemerkungen. Erste Bemerkung: Ist Sprache vielleicht das demokratischste Rechtsgut, das wir überhaupt kennen? An der Sprache beteiligt sich jeder, unabhängig von sozialem Stand, Ausbil- dung, Volljährigkeit, unabhängig aber auch von der Staatsangehörigkeit, und deshalb die Frage: Liegt die Verfügungsbefugnis der Sprache nicht bei jedermann, liegt sie nicht beim Volk? Das bedeutet eine gewisse Of- fenheit, auch für Sprachentwicklungen, etwa, wenn sich das, was Sie als Anglizismen bezeichnet haben, in der täglichen Sprache oder Jugend- sprache eine Bestätigung findet – was auch immer.

Zweite Bemerkung: Obwohl an der Sprache sozusagen jedermann mitgestaltet, ist Sprache Gemeingut. Sie ist nicht der Verfügungsbefug- nis des Einzelnen überlassen, sondern das ist etwas Gemeinschaftliches.

Und da ist eine innere Spannung zwischen der Beteiligung an der Sprach- fortentwicklung wie an der Bewahrung der Sprache als ein öffentliches Gut. Denn es entzieht sich schon deswegen der Alleinverfügungsbefug- nis eines Einzelnen, weil Sprache ein interpersonaler Vorgang ist. Wenn

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ich aufgrund eigener, nur mir bekannter Sprachschöpfungen nicht ver- standen werden kann, dann kann ich sozusagen auch nicht allein über Sprache verfügen.

Dritte Bemerkung zur Herrschaft über Sprache: Für uns Juristen wird dieses Problem derzeit am deutlichsten bei der verbindlichen Festlegung der richtigen Schreibweise der deutschen Sprache. Dort werden dann die juristischen Fragen relativ präzise und es gibt ja immer wieder Ver- suche, – die Referenten haben das auch teilweise schon erwähnt – Herr- schaft über Sprache zu organisieren. Die Rechtschreibreform ist in den Schulen dabei eine, wie ich finde, relativ unproblematische Steuerungs- form, weil sie durch Artikel 7 Absatz 1GG grundsätzlich zu rechtferti- gen ist; jedenfalls für die schulische Form des Einwirkens auf Sprache.

Aber staatliche Herrschaft über Sprache sollte stets nur mit äußerster Behutsamkeit deswegen angewandt werden, weil – damit komme ich auf meine erste Bemerkung zurück – Sprachgestaltung letztendlich die Teil- habe von jedermann voraussetzt. Und Sprache als Herrschaftsmittel ist etwas, was äußerst schwierige verfassungsrechtliche Probleme in sich birgt. Ganz zurückhaltend sollte man sein gegenüber Formen der recht- lichen Verbindlichkeit politischer Korrektheitsansprüche an die Spra- che. Ich erinnere an die Zeit vor der Wiedervereinigung, mit staatlichen Vorgaben z. B. in der Bundesrepublik, wie man „DDR“ (stattDDR), wie man „Bundesrepublik Deutschland“ (stattBRD) zu schreiben hatte.

Viertens: Sprachfortbildung. Was bedeutet dies eigentlich für die Sprachfortentwicklung? Eine lebendige Sprache ist eine Sprache, die sich ständig fortentwickelt. Eine tote Sprache, die wird konserviert. Der Zauber, der gelingen muss, ist einerseits, Sprache zu bewahren, anderer- seits, die Sprache für Fortentwicklungen offen zu halten. Juristisch be- deutet dies meines Erachtens, dass das gestern beschworene Leitbild der Selbstregulierung hier besonders wichtig ist und zwar im Sinne einer nicht regulierten Selbstregulierung, so wie dies die Dudenredaktion im Grunde macht, ein sich Verständigen von Sachverständigen auf fachliche Regeln. Die Aufgabe der Juristen ist dabei die Verflanschung dieser selbst erarbeiteten fachlichen Regeln mit rechtlichen Entscheidungen.

Und insoweit kann man auch für die Sprache sicherlich manche Ideen z. B. aus der Rezeption technischer Norm übernehmen. Also: Eine wich- tige Frage ist dabei, wie schafft man es, Rezeptionsentscheidungen so zu gestalten, dass sie auch rechtsstaatlichen Standards entsprechen.

Engel: In unserer Vereinigung gibt es eine ungeschriebene Regel, die man auf die Formel bringen könnte: De praesidentibus nil nise bene. Ich würde mir also lieber auf die Zunge beißen, als jetzt den Vorstand für die vielleicht etwas enge Formulierung des Themas zu kritisieren, und

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flüchte mich in den Irrealis. Was wäre geschehen, wenn im Thema auch gestanden hätte: nicht nur Sprache als Kulturgut und als Rechtsgut, son- dern auch als Wirtschaftsgut? Sie werden jetzt vielleicht denken: So ein Unsinn, das ist doch gar keine Frage. Ich will Sie ein bisschen irritieren durch die Parallele zu einem Gegenstand, den wir hier in unserer Verei- nigung schon intensiv diskutiert haben, nämlich technische Standards, also etwa das Betriebssystem Ihres Computers oder das Verhältnis von Stecker und Steckdose. Konzeptionell lässt sich das in vollständig iden- tischen Kategorien verhandeln. Sie haben in beiden Fällen ein reines öffentliches Gut vor sich. Das Ausschlussprinzip ist nicht gewährleistet, also wir können niemanden daran hindern, dass er Sprache nutzt. Au- ßerdem fehlt die Konsumrivalität. Die Tatsache, dass da einer die Spra- che nutzt, verbraucht sie in keiner Weise. Die zweite, noch unruhiger machende Parallele: wir haben starke Netzexternalitäten. Das Gut wird um so wertvoller, je mehr es nutzen.

Wir müssten also eigentlich erwarten, dass Sprache von niemandem bereit gestellt wird, und wir müssten gleichzeitig ein extremes Zutritts- hindernis für neue Anbieter von Sprache erwarten, weil die Netzexter- nalitäten so schwer zu überwinden sind. Tatsächlich haben wir das Pro- blem ja aber gar nicht. Wir reden alle miteinander. Wenn wir uns fragen, woran das liegt, dann ist es einerseits gerade der Umstand, dass die Sprache da und extrem verbreitet ist. Die Opportunitätskosten, wie die Ökonomen sagen würden, des Nichtlernens der Sprache sind so hoch, dass Sie halt als Individuum die Investition leisten. Zweitens haben wir die Besonderheit eines extrem langlebigen Guts. Wir können also ein bisschen auf die Jahrhunderte vor uns zurückgreifen.

Bisher haben wir also nichts als eine andere Sprache für etwas, das wir auch in einfacheren Begriffen hätten sagen können. Scheinbar sind meine Beobachtungen für die Juristerei deshalb uninteressant. Interes- sant wird es aber, wenn wir uns die beiden Zankäpfel angucken, mit de- nen unsere Referenten heute gespielt haben. Nämlich in dem einen Fall die Frage: wie sollen wir mit Minderheitssprachen umgehen? Im an- deren Fall die Frage: wie sollen wir mit dem Wettbewerb zwischen dem Deutschen und dem Englischen umgehen? Da passen die Kategorien nun sehr gut, die ich Ihnen vorgestellt habe. Weil das öffentliche Güter sind; weil wir diese hohen Netzexternalitäten haben, ist in der Tat sehr wenig wahrscheinlich, dass Investitionen in Minderheitssprachen getä- tigt werden. Andererseits ist es sehr wahrscheinlich, dass sich das Eng- lische mittelfristig gegen das Deutsche auf voller Front durchsetzen wird. Wir haben also zwar nicht im Sinne eines Wirtschaftsrechts, dem es um Geld geht, sehr wohl aber eines Wirtschaftsrechts, das sich des methodologischen Individualismus als Erklärungsprinzip bedient, ein

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ausgesprochen kraftvolles konzeptionelles Werkzeug, um unsere Pro- bleme zu verstehen. Dafür wollte ich ein bisschen werben.

Walter: Ich wollte eine Bemerkung zur Bedeutung der Sprache für Deutschland als rechtswissenschaftlichen Standort machen und mich damit ein Stück weit gegen die Grundmelodie der These 19 von Herrn Kahl wenden. Mir scheint in der These eine etwas übertriebene Front- stellung zwischen einerseits der Gefahr der Internationalisierung und andererseits dem Schutz von Deutsch als rechtswissenschaftlicher Spra- che zum Ausdruck zu kommen. Ich glaube nicht, dass wir ernsthaft Sorge haben müssen, dass im Rahmen der deutschen juristischen Aus- bildung Baurecht, Sachenrecht usw., also die gängigen Themen, tatsäch- lich auf Englisch unterrichtet würden. Das ist nicht das Thema, sondern die Frage ist, ob in bestimmten Bereichen darüber hinaus, daneben, er- gänzend auch auf Englisch unterrichtet wird. Insoweit haben Sie zwar einen kleinen Vorbehalt zugunsten des Völker- und Europarechts ge- macht. Das habe ich wohl gesehen. Sie haben aber auch in Ihrem Vor- trag gesagt, Dissertationen müssten weiter auf Deutsch geschrieben werden. Wenn das so ist, verschaffen wir uns nicht zumindest für die völkerrechtlichen und europarechtlichen Dissertationen einen Standort- nachteil? Vor allem aber möchte ich werbend für das Benutzen von Eng- lisch auch sonst im Bereich des öffentlichen Rechts, und zwar des na- tionalen öffentlichen Rechts, eintreten wollen. Es gibt von außen am deutschen öffentlichen Recht ein enormes Interesse, und zwar auch von Leuten, die der deutschen Sprache nicht so mächtig sind, dass sie es hier in unserer Sprache zur Kenntnis nehmen könnten. Es gibt nun seit eini- gen Jahren ein erstes online-journal, das deutsche Rechtsentwicklungen auf Englisch analysiert und so exportiert. Aber ich glaube, wir müssten uns alle sehr viel mehr darum bemühen, die Inhalte und die Konzeptio- nen, die bei uns vorhanden sind, auch in anderen Sprachen zu vermit- teln und nach außen zu tragen. Dazu gehört auch, dass wir im Rahmen der Ausbildung, etwa von Graduiertenprogrammen, uns selbst trainie- ren, das zu tun. Wenn man es nie tut, dann kann man auch nicht erwar- ten, dass man, – wenn man alle fünf Jahre einmal auf eine internationale Konferenz fährt, – in der Lage ist, das dann auch aus dem Stand zu ma- chen. Also: Ich glaube, dass es sozusagen Teil der eigenen Aus- und Weiterbildung ist, in der Sprache zu arbeiten. Sie haben auch gesagt, Sprachfragen seien Machtfragen. Ich will einmal dahinstehen lassen, ob das auch wirklich in der Zuspitzung stimmt. Aber wenn es so ist, dann ist doch unsere Machtfrage nicht, dass wir dieSprache durchsetzen wol- len, sondern wir wollenInhalte durchsetzen. Um die Inhalte durchzu- setzen, und zwar auch gegenüber denjenigen, die des Deutschen nicht

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ausreichend mächtig sind, bleibt uns nichts anderes als uns darum zu bemühen, das auch in fremden Sprachen zu tun. Darum müssen wir uns, so glaube ich, sehr viel mehr bemühen, als wir das bisher getan haben.

Meyer: Ich habe große Probleme mit dem Begriff der Identität. Identität ist ein außerordentlich rabiater, ausschließender Begriff und wenn ich in der These 2 von HerrnKahl etwas von kultureller Identität lese, dann muss ich sagen, Deutschland wäre kulturell als arm zu bezeichnen, wenn es eine kulturelle Identität hätte. Es hat viele kulturelle Gemein- samkeiten, aber eine Identität sollte es nicht haben. Das würde bedeu- ten, wir würden in unserem eigenen Saft schmoren. Das haben wir nie gemacht. Unsere kulturellen Erfahrungen sind durchaus immer auf Eu- ropa ausgerichtet gewesen. Beethoven und Verdi, Picasso und Dürer ge- hören selbstverständlich zu unseren kulturellen Erfahrungen und haben mit dem Nationalstaat oder mit dem Staat überhaupt nichts zu tun. In der These 12, 13 haben Sie, HerrKahl, die Identität noch einmal auf den Staat angewandt. Sprache ist Teil der nationalen Identität eines Staa- tes, nicht etwa Deutschlands, sondern überhaupt eines Staates. Danach gäbe es nur Nationalstaaten, das stimmt doch offensichtlich nicht. Die Schweiz ist kein Nationalstaat, England ist auch kein Nationalstaat, gleichwohl sind es Staaten. Wir sollten vielleicht vorsichtig sein mit sol- chen Behauptungen, die nur von unserer Situation ausgehen. Natürlich ist es richtig, wenn Sie sagen, dass die Sprache ein einheitsbildendes Moment hat. Aber ich habe schon Bedenken und halte es auch für falsch, was Sie in der These 13 sagen. Dass die Sprache mittelbare Re- levanz für die Bestimmung, jetzt nicht für die Staatsbürgerschaft – da mag ich Ihnen ja Recht geben – sondern auch für die deutsche Volkszu- gehörigkeit von Statusdeutschen hat, stimmt schlicht nicht. Artikel 116 GG verlangt Volkszugehörigkeit. Das wurde immer so praktiziert, dass die Leute, die aus Russland kamen, mindestens ein Weihnachtslied kön- nen mussten. Dann wurden sie als Deutsche anerkannt. Aber in Art. 116 GG steht auch, dass die Ehegatten automatisch Deutsche sind und zwar völlig unabhängig davon, ob sie die deutsche Sprache beherrschen. Das waren zum größten Teil Russinnen, die gar kein Deutsch konnten; auch der Volkszugehörige hat in Russland kein Deutsch mehr gesprochen.

Der Parlamentarische Rat war also in der Sprachenfrage sehr viel offe- ner, als man jetzt ist, wo wir so doktrinär werden. Ich halte das nicht für richtig.

Scherzberg: Die beiden Referate haben einen mehr oder weniger über- einstimmenden Ausgangspunkt gehabt, nämlich den, dass Sprache iden-

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titätsbildend ist, jedenfalls, dies zu HerrnMeyer, auf der Ebene des In- dividuums, ferner, dass Sprache nicht zur Diskriminierung verwendet werden darf und dass Sprachregeln potentiell Instrumente zur Macht- ausübung sind. Die Frage, die sich an das Recht stellt, ist, welche Kon- sequenzen aus diesem übereinstimmenden Befund zu ziehen sind. Und dabei hat gerade die Gegensätzlichkeit der beiden Referate aus meiner Sicht das Dilemma aufgezeigt, dass die Sprache für das Recht bildet.

Dieses Dilemma spitzt sich zu, wenn man einige dogmatische Institute betrachtet, die auf unausgesprochenen Prämissen im Hinblick auf die Sprache basieren. Nehmen wir als erstes Beispiel das Demokratieprin- zip. Das Demokratieprinzip setzt voraus und die Kommunikations- grundrechte setzen das fort, dass wir uns überhaupt verstehen, dass es sinnvoll ist, dass wir miteinander kommunizieren und dass es in diesem Kommunikationsprozess auch zu einer Meinungsbildung und einer Ent- wicklung von politischen Auffassungen kommt. Zweites Beispiel: Das Rechtsstaatsprinzip. Das Rechtsstaatsprinzip basiert bei uns auf der Vorstellung der hinreichenden Bestimmtheit von Normen, diese müssen wenigstens auslegungsfähig sein. Aus der rechtsstaatlichen Perspektive ist es eigentlich nicht denkbar, dass dieselbe Norm gleichzeitig in unter- schiedlichen Fassungen gilt, was nämlich heißt, dass eine Norm letztend- lich nicht mehr auslegungsfähig ist, wenn die eine Fassung diesen Inhalt und die andere Fassung wegen einer anderen Übersetzung einen ande- ren Inhalt hat. Die Frage und das Dilemma ist jetzt eigentlich: Ändern wir die Rechtsinstitute, weil sich die sprachliche Realität geändert hat oder verpflichten uns die Rechtsinstitute dazu, Einfluss auf die sprach- liche Wirklichkeit zu nehmen. An dieser Stelle scheinen mir die beiden Referate unterschiedliche Wege gegangen zu sein. Ich kann den Streit jetzt natürlich nicht entscheiden. Ich möchte nur HerrnKahl im Ansatz zustimmen, dass es wohl eine Abwägung braucht zwischen dem Schutz der eigenen Sprache auf der einen Seite und den schon bezeichneten, überwiegend kollektiven Gütern, auf der anderen Seite. Ich glaube aller- dings nicht, dass der Staat die Aufgabe hat, die Entwicklung der Sprache in der Gesellschaft oder sogar Loyalitätspflichten für eine Sprache zu begründen.

Oeter: Den klar nuancierten Ausführungen von Herrn Schweizer kann ich praktisch vollständig beipflichten. Um so weniger verwunderlich ist es, dass ich einigen Widerspruch zu den Thesen von HerrnKahl äußern möchte. Das fängt im Grunde schon mit der verfassungsrechtlichen Überhöhung einer kulturellen und sprachlichen Identität zusammen und der Formulierung eines Postulates der Bewahrung und Erhaltung dieser kulturellen und sprachlichen Identität, aus der ja dann auch so et-

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was wie ein verfassungsrechtliches Gebot der Einsprachigkeit abgeleitet wird. Man könnte über diese Ableitung schon vieles sagen. Das möchte ich jetzt an der Stelle nicht tun. Die gezogenen Folgerungen überzeugen mich letztlich nicht. Ich möchte das Ganze aber vielmehr auf eine etwas pragmatischere Ebene heben. Die Bundesrepublik selbst hat sich in ih- rem völkerrechtlichen Vertragsrecht zum Ideal der Erhaltung der Mehr- sprachigkeit als Ideal bekannt. Das wird ganz deutlich, wenn Sie sich die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitssprachen ansehen – einer der beiden Europaratsverträge, auf die Herr Schweizer hingewie- sen hat. In diesem Vertrag wird das Bekenntnis zur Mehrsprachigkeit sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, die letztlich das zentrale Schutz- gut des Vertrages darstellt. Man könnte diesen Verweis jetzt natürlich beiseite schieben mit dem Hinweis auf die Verfassung – so wie es der französische Conseil Constitutionnel anlässlich der anstehenden Ratifi- kation dieses Vertrages getan hat – und sagen: Die Ratifikation eines sol- chen Vertrages ist verfassungswidrig, weil er sich eben über die kultu- relle und sprachliche Identität hinwegsetzt. Das hat glücklicherweise bisher für Deutschland noch niemand getan, auch explorativ nicht. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass dieser Vertrag auf die sogenann- ten autochthonen Minderheiten beschränkt ist und damit ein für die Bundesrepublik relativ randständiges Problem betrifft, das wenig politi- sche und rechtliche Sprengkraft für unsere Rechtsordnung hat. Was nicht heißen soll, dass unsere Art des Umgangs mit diesem Problem richtig wäre, aber jedenfalls ist der Vertrag insofern für die Bundesrepu- blik wenig dramatisch. Ich glaube aber gleichwohl, dass wir die Er- fahrungen, die dahinter stecken, zu wenig zur Kenntnis nehmen. Die Instrumente des Minderheitenschutzes, des Schutzes der autochthonen Minderheiten, sind ein hochinteressantes Laboratorium des Umgangs mit sprachlicher Vielfalt, zum Teil mit sehr langer Tradition in anderen europäischen Staaten. HerrKahl hat selbst demonstriert, die eigentliche Brisanz der Frage für uns liegt im Umgang mit „neuen“ Minderhei- ten. Man kann das eine nicht auf das andere übertragen, aber zumindest bestimmte Erfahrungen lassen sich daraus verallgemeinern. Der eine Punkt, auf den ich zentral hinweisen möchte, das ist der Zielkonflikt, der sich da eröffnet. Wir können an der Einsprachlichkeit als normativen Postulat festhalten. Wir geben damit aber implizit andere verfassungs- rechtliche Leitbilder auf, da möchte ich Herrn Kahl ausdrücklich wi- dersprechen, nämlich verfassungsrechtliche Leitbilder wie soziale In- klusion, sprachliche und kulturelle Kohäsion einer Gesellschaft. Das können Sie ganz unmittelbar in der Auseinandersetzung über den rich- tigen Umgang mit Migranten und deren Integration erleben – und da halte ich auch schlicht und einfach die Interpretation der soziologischen

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Befunde von HerrnKahl für falsch. Wenn Sie sich etwa diePISA-Ergeb- nisse ansehen mit ihrem hohen Befund der sozialen Selektivität des deutschen Bildungssystems, das hängt gerade auch mit der traditionell sehr unreflektierten Politik der Einsprachigkeit der Beschulung zusam- men. Wenn Sie sich im Umgang mit diesem Problem die internationa- len Erfahrungen ansehen, dann zeigt es sich, dass Sie mit Kindern, die die (in der Schule gelehrte) Standardsprache nicht als Muttersprache sprechen, ein enormes soziales Problempotential an den Hals hängen, wenn Sie die einfach simpel einsprachlich beschulen im Sinne der Mehrheitssprache, ohne ergänzende Hilfestellungen zur Kompensation der sprachlichen Defizite. Sie werden des Problems nur Herr mit maß- geschneiderten bilingualen Schulmodellen, in denen Sie in der Mutter- sprache alphabetisieren, aber an die Mehrheitssprache heranführen. Das Ganze – damit bin ich auch am Ende – war eigentlich als Warnhinweis gemeint – als Warnhinweis über die Risiken und Nebenwirkungen der Verfassungspolitik, die aus meiner Sicht HerrKahl hier formuliert hatte.

Risiken und Nebenwirkungen, die letztlich zu dem Befund führen: Das absehbare Scheitern einer so konzipierten schulischen Integration der Bevölkerung wird auf mittlere Sicht die Frage der Emigrantensprache als Amtssprache nur so sicherer auftreten lassen, als Folgewirkung des Unterlassens einer sachangemessenen Reaktion im Schulbereich.

Marko: Ich möchte zu Herrn Schweizer nur eine Bemerkung machen und danach zu HerrnKahl. Bei der These 14 von Herrn Schweizer ist doch ein Fragezeichen anzubringen. Sie haben – zu Recht natürlich – die Konventionen des Europarates angesprochen, aber dann festgestellt, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Men- schenrechte der entscheidende Schritt wäre. Das würde ich aber genau umgekehrt sehen. Mangels einer ausdrücklichen Minderheitenschutzbe- stimmung oder auch eigener sprachenrechtlicher Bestimmungen in der EMRK ist diese Rechtsprechung insgesamt sehr restriktiv geblieben.

Zwar wurden in den Urteilen United Communist Party v. Turkey (1998), Sidiropoulos v. Greece (1998), Stankov and Ilinden v. Bulgaria (2001) zu Artikel 11 EMRK und in den Roma betreffenden Fällen zu Artikel 8 EMRK (Buckley, Chapman und Connors) herausgearbeitet, dass die Beschränkung der Vereins- und Versammlungsfreiheit zur Be- wahrung und Förderung einer ethnischen Identität von den nationalen Behörden in „unverhältnismäßiger Weise“ eingeschränkt wurde, weil selbst der Aufruf zur Sezession bei einer Demonstration „in einer de- mokratischen Gesellschaft“ nicht automatisch eine Bedrohung der na- tionalen Sicherheit darstellt (Stankov). Demokratie – so der Gerichts- hof – bedeutet Dialog und Pluralismus. In diesem Sinne führt der

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Gerichtshof in Chapman aus, gehört zum Schutzbereich des Artikel 8, des Rechts auf Achtung des Privatlebens, auch die ethnische Identität und Lebensform, aber nicht nur um „die Interessen der Minderheiten selbst, sondern um auch die kulturelle Vielfalt als Wert für die gesamte Gemeinschaft zu schützen.“ Daher folge aus Artikel 8 sogar die Pflicht des Staates, die Lebensform der Roma zu fördern. Im Fall Gorzelik v.

Poland ist derEGMR dann jedoch wieder zwei Schritte zurück gegan- gen, indem er es den Staaten überlässt, „eine bestimmte Konzeption von Minderheit oder ein Verfahren zur offiziellen Anerkennung“ in der Ge- setzgebung zu verankern, was jedoch dem Artikel 3 der Rahmenkon- vention zum Schutz der nationalen Minderheiten nicht entspricht. Im Ergebnis ist mit der Rechtsprechung desEGMR zwar verfassungsrecht- lichen Traditionen wie in Frankreich, Griechenland und der Türkei, die die Existenz von Minderheiten überhaupt ablehnen, eine Absage erteilt, insofern sich auch in diesen Ländern die angesprochenen individuellen Grundrechte des Schutzes des Privatlebens, der Meinungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit unter bestimmten faktischen Voraussetzungen (d. h.

es darf kein Aufruf zur Gewalt damit verbunden sein) für den Schutz von ethnischen Minderheiten fruchtbar machen lassen, aber eben nur indirekt. Mit dem Regelungssystem derEMRK ist ein effektiver Schutz vor Assimilation jedoch nicht möglich.

Demgegenüber glaube ich aber, dass gerade die Rahmenkonvention zum Schutz der nationalen Minderheiten und die Tätigkeit des Advisory Committee einen entscheidenen Fortschritt bringen. Mit den Opinions des Advisory Committee, die zu den Staatenberichten mittlerweile von mehr als 40 Mitgliedsstaaten des Europarates veröffentlicht worden sind, entwickelt sich so etwas wie ein europäischer Standard im Minder- heitenschutz, der weit über die Rechtsprechung desEGMR hinausgeht und den man durchaus als völkerrechtliches „soft law“ bezeichnen kann. Gerade unser KollegeHoffmann, der bis vor kurzem Präsident des Advisory Committee gewesen ist, hat ja einen entscheidenden Anteil da- ran genommen, dass hier eine Entwicklung stattfindet, die man sehr viel stärker hervorheben müsste. So ist es durch die Tätigkeit des Advisory Committee gelungen, viele der vagen Bestimmungen der Rahmenkon- vention zu präzisieren und durch die Bewertungen der Staatenpraxis auch „Standards“ zu entwickeln. Andererseits wurde der Begriff der

„nationalen Minderheit“, für den es ja auch in der Konvention selbst keine Definition gibt, sehr flexibel gehandhabt und auch für „neue Min- derheiten“, die aus der Migration entstehen, zum Teil fruchtbar ge- macht. Gerade im Gegensatz zum Urteil desEGMR im Fall Gorzelik hat das Advisory Committee – in Interpretation des Artikel 3 – aber den Staaten auch die völlige Diskretion entzogen, festzulegen, welche

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Gruppe sich als „nationale Minderheit“ bezeichnen darf. Die Imple- mentierung der Rahmenkonvention lässt zwar auch nach Meinung des Advisory Committee den Staaten einen Beurteilungsspielraum um die besonderen Umstände des Landes zu berücksichtigen, doch dürfen keine willkürlichen Unterscheidungen zwischen Gruppen getroffen wer- den. Dies wird – vom Advisory Committee überprüft – als Verletzung des Artikel 3 gerügt.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch einmal eine Warn- tafel aufstellen, weil Sie hier auf die Begriffe individuelle und kollektive Rechte eingehen. Ich glaube, dass das eine „falsche“, weil nur ideo- logisch begründete – Dichotomie ist. Ein Vergleich verschiedener Min- derheitenbestimmungen auf internationaler und nationaler Ebene zeigt vielmehr, dass es – wie ich es nenne – zumindestdrei Stufen des Grup- penbezugs gibt. Selbst individualrechtlich formulierte Bestimmungen wie Artikel 27 des Internationalen Paktes über die bürgerlichen und po- litischen Rechte weisen einen Gruppenbezug auf, wenn sie davon aus- gehen, dass die Ausübung dieser Rechte nur einen Sinn macht, wenn dies zusammen mit anderen erfolgen kann. Insofern ist die rechtsstruk- turelle Voraussetzung der faktischen Existenz einer Gruppe die erste Stufe eines Gruppenbezugs. Die zweite Stufe ist gegeben, wenn die Gruppe selbst Schutzobjekt der Norm wird, wie dies beispielsweise in Österreich in Artikel 8 Absatz 2 B-VG in Form einer Staatszielbestim- mung verankert ist. Damit ist natürlich auch schon das Problem ange- sprochen: Wer kann sich darauf berufen, wie kann das gerichtlich durchgesetzt werden? Erst wenn dies durch „kollektive“ oder „Grup- pengrundrechte“ im engeren Sinn gegeben ist, wo also die Gruppe selbst zum subjektiven Rechtsträger und damit auch klagelegitimiert wird, ist die dritte Stufe des Gruppenbezugs erreicht, wie sie dies bei- spielhaft in der slowenischen Verfassung in Artikel 64 finden.

Zu HerrnKahl möchte ich nur ein Wort sagen: „Vorbild“ Österreich mit Artikel 8 Abs. 1 der Bundesverfassung – also Deutsch als Staats- sprache – da hätte ich so mein historisches Bauchweh und darauf ist auch schon von meinem VorrednerStefan Oeter hingewiesen worden, welche problematische Konzeption hier mit dem Begriff der Kulturna- tion dahintersteht. Ich möchte Sie daher wirklich fragen, sehen Sie das nicht zu sehr aus der deutschen Perspektive? Müssten wir in Europa nicht vielmehr die „kulturelle Vielfalt“ als europäischen Wert viel erns- ter nehmen und darauf auch eine „europäische Identität“ aufbauen, die sich nicht auf die Ausschließlichkeit eines Kulturnationskonzepts stütz- ten kann, wie Sie es vertreten? Im Gegensatz zur ethnischen Exklusivi- tät aller Kulturnationskonzepte, der Formel „eine Sprache – ein Volk – ein Staat“, der wohl auch das Bundesverfassungsgericht in seinem

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Maastricht-Urteil anhängt und mit der es sogar die Möglichkeit der politischen Finalität Europas zu verneinen können glaubt, müssten viel- mehr Inklusion und die Möglichkeit multipler Identitäten rechtlich in- stitutionalisiert werden, zu denen auch eine funktionale Mehrsprachig- keit gehört. Warum ist es, wenn sie die Praxis von Ländern wie die Niederlande, Belgien oder Luxemburg in Betracht ziehen „undenkbar“, dass wir in Europa im Zeitalter der Globalisierung und der europäi- schen Integration nicht von einer funktionalen Dreisprachigkeit ausge- hen müssen, dass wir eben die Muttersprache, eine universale Verkehrs- sprache und auf der regionalen Ebene die Sprache eines Nachbarlandes lernen sollten – angesichts der Osterweiterung der Europäischen Union vielleicht sogar eine slawische? Hier in der Paulskirche ist es daher wohl angebracht, in diesem Sinne abschließend an eine Passage des Briefes zu erinnern, den Franz Palacky 1848 dem Fünfziger Ausschuss zuge- sandt hat. Unter Berufung auf die Multiethnizität Mittel- und Südost- europas richtete er den Delegierten in Frankfurt aus, warum eine „Groß- deutsche Lösung“ für ihn nicht in Frage kommt: „Wahrlich, existirte der österreichische Kaiserstaat nicht schon längst, man müsste im In- teresse Europas, im Interesse der Humanität selbst sich beeilen, ihn zu schaffen.“

Vorsitzender: Vielen Dank. Herr Murswiek, Sie haben sich zwar dazwi- schengedrängt, aber Sie passen jetzt nur an dieser Stelle.

Murswiek: Vielen Dank, Herr Vorsitzender. Das passt jetzt gut rein, weil ich sowohl zu HerrnMeyer als auch zu HerrnOeter etwas sagen möchte.

Begriff der Identität, HerrMeyer. Klar, alle Menschen sind verschieden, also können sie nicht identisch sein. Aber der Begriff wird natürlich als Kürzel verwendet, und zwar nicht nur von irgendwelchen abgehobenen Wissenschaftlern, sondern zum Beispiel auch vom EU-Vertrag, wo ja nicht nur von der Identität Europas und der Europäischen Union, son- dern auch von der nationalen Identität der Mitgliedstaaten die Rede ist, die gewahrt werden soll im Prozess der Integration. Und was ist damit gemeint? Es ist doch das, was die Menschen der jeweiligen Gruppe ver- bindet, bewusstseinsmäßig verbindet, was sie in ihrem Bewusstsein zu einer Gruppe macht. Und dass im Nationalstaat die Sprache das Zen- trum der Identitätsbildung ist, lässt sich, glaube ich, kaum hinwegreden.

Wo wir keinen Nationalstaat haben, in Staaten wie der Schweiz, die mehrsprachig sind, auch da spielt Sprache als Medium der Identitätsbil- dung eine große Rolle, nur, dass es dann eben die Identität der Gruppen ist innerhalb dieses Staates, während im Staat selbst das gesamtstaat- liche Bewusstsein identitätsbildend wirkt. Dazu gehört eben auch das

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Bewusstsein der Mehrsprachlichkeit; das impliziert die gleichberechtigte Anerkennung der verschiedenen Sprachen, also den Verzicht, eine Sprachgruppendominanz über die anderen zu gewinnen. Und von daher komme ich zu dem, was HerrOeter gesagt hat. Ich glaube, es ist ganz falsch, einen Gegensatz aufzubauen zwischen den Positionen, die von HerrnSchweizer und von HerrnKahl vertreten worden sind. Die beiden Referate haben sich meines Erachtens in hervorragender Weise ergänzt.

Sie sind nicht konträr, sondern komplementär. HerrSchweizer hat den Akzent gelegt auf die Situation von Staaten mit mehrsprachiger Bevöl- kerung mit der Schweiz als Modellfall. Bei HerrnKahl hat eher unsere Situation in Deutschland im Vordergrund gestanden. Deutschland ist eben als Nationalstaat der durch die deutsche Sprache geprägten Nation entstanden und auch vom Grundgesetz so verfasst worden. Die deut- sche Sprache ist für den deutschen Staat Verfassungsvoraussetzung; sie ist vom Grundgesetz implizit geregelt als Staatssprache. Für das, was man als politische Einheitsbildung versteht oder wasSmend oderHesse Integration genannt haben, folgt daraus: Integration findet vor allem durch Sprache statt, durch gemeinsame Sprache. Deshalb ist mit Herrn Kahl zu fordern, dass die Kenntnis der deutschen Sprache Vorausset- zung für die Einbürgerung neuer Staatsbürger ist. Denn die Kommuni- kation in dieser Sprache ist in Deutschland auch Demokratievorausset- zung.

Mantl: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren. Ein Thema ist nicht angeschnitten worden, das doch zur Sprache als Kultur- und Rechtsgut gehört: die Frage der Mündlichkeit im Verhältnis zur Schrift- lichkeit. Die elektronische Revolution der letzten 15 Jahre hat den neu- zeitlichen Siegeszug der Schriftlichkeit verstärkt. Dennoch glaube ich, dass gerade die Zunahme der Virtualität vieler Kontakte die unmittel- bare Mündlichkeit als Komplementärerscheinung wichtiger erscheinen lässt, als meist angenommen wird. Ich meine damit das Face-to-Face- Gegenübertreten von Menschen als sympathetische Affektbrücke, wie die Psychologen sagen. Unmittelbare Mündlichkeit erhöht die Plausibi- lität und Akzeptanz der Rechtsordnung. Dies ist für mich auch ein Ar- gument für eine weiterhin flächendeckende Behördenorganisation, die sich nicht in völliger Virtualität auflösen kann, wobei selbstverständlich Änderungen der örtlichen und sachlichen Zuständigkeitsbereiche nicht ausgeschlossen sind. Die Mündlichkeit in ihrer Spontaneität ist auch ein wichtiger Demokratiefaktor. Es gibt ein kleines Zeugnis hierfür, das ist der parlamentarische Zwischenruf, der Inbegriff spontaner Mündlich- keit, der nicht pönalisiert ist, sondern sogar protokolliert wird und damit rechtlich anerkannt ist.

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Ein weiteres Thema sind sprachnationale Probleme. Dabei will ich nicht die komplexe Diskussion um den Identitätsbegriff durchforsten, son- dern nur illustrative Beispiele aus Irland und Österreich bringen: Ich bin auf den EuGH-Fall Anita Groener aus dem Jahre 1989 gestoßen, als eine niederländische Designlehrerin an der Dublin School of Design eine Dauerplanstelle erhalten wollte, aber die erforderliche Gälischprü- fung nach mehrmaligem Antritt und trotz großzügiger Hilfe nicht be- stand. Frau Groener hat sich dann nach Luxemburg gewandt. Man nahm aufgrund der gemeinschaftsrechtlichen Gesamtintention an, dass sie Recht bekommen werde. Aber Irlands Verweigerung der Planstelle wurde vomEuGH als rechtens bestätigt. In den Ausführungen des Ge- richtshofs findet sich geradezu ein Hohelied auf die sprachnationale Identität im Allgemeinen und Irlands im Besonderen.

Und jetzt ganz kurz zu Österreich: Es gibt ein apokryphes Wort von Karl Kraus, das in seinen Schriften nicht belegt wird, aber immer wieder als sein Aphorismus zitiert wird und wahrscheinlich im Zeitgeist der zwanziger/dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts entstanden ist, viel- leicht auf Oscar Wilde zurückgehend (Verhältnis des britischen zum amerikanischen Englisch): „Der Österreicher unterscheidet sich vom Deutschen durch die gemeinsame Sprache“. Es gab sogar ein Preisaus- schreiben unserer Germanisten, ob jemand die Stelle entdecken könne.

Es wurde nichts gefunden. Österreich versucht immer wieder, auch seine Spracheigentümlichkeiten als „differentia specifica“ ins Treffen zu führen, die aber – anders als im irischen Beispiel – keine wirklich tra- gende Identitätssäule bilden. Berühmt ist das Zusatzprotokoll anlässlich ÖsterreichsEU-Beitritts 1994, in dem die Marille tapfer gegen die Apri- kose in Position gebracht wurde, um Austriazismen zu retten, die übri- gens überwiegend im Gastronomischen enthalten sind. Das ist ja auch ein Kulturbereich – für mich zumindest. Dennoch muss trotz dieser An- klänge an sprachnationale Identitätsstiftung gesagt werden, dass Öster- reich – wie übrigens auch die Schweiz – Willensnation ist, die sich jeweils partizipatorisch in Wahlen und Abstimmungen erneuert. Öster- reich und die Schweiz sind ein Beispiel dafür, dass es sehr belebende Sprachvarietäten gibt, die jedoch der Einheitsbildung im politischen Prozess der Demokratie und der daraus hervorgehenden Rechtsord- nung bedürfen. Gleichsam „naturwüchsige“ Homogenitätsfiktionen ver- bieten sich.

Gröschner: Die Laienspielschar der Kultusministerkonferenz ist zurück- gekehrt auf die Probebühne des politischen Provinztheaters. Sie probt dort ein Stück mit dem Titel „Rechtschreibreform – der Tragikkomödie zweiter Teil“. Wirklich komisch daran ist, dass das Stück ausschließlich

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für Schüler und Lehrer geschrieben wurde, sich nun aber auch soge- nannte Hochschüler und Hochschullehrer davon angesprochen fühlen, ja sogar selbst mitspielen wollen. Nicht mehr komisch finde ich es, wenn darunter gestandene Staatsrechtslehrer sind, die den Unterschied zwi- schen Schule und Hochschule – präziser: Universität – offenbar nicht mehr wahrhaben wollen und an jener Nivellierung nach unten mitwir- ken, die wir allenthalben beobachten. Wir beobachten sie auch bei Ver- lagen, die in sogenannter neuer Rechtschreibung publizieren, teilweise gegen den Willen des Autors. Welch eine Terminologie: „Neue“ Recht- schreibung! „Orthographie“ sagt’s im Griechischen doch genauso deut- lich wie „Rechtschreibung“ im Deutschen: Es geht um „richtig“ oder

„falsch“, nicht um „alt“ oder „neu“. Es gab auch in der alten Recht- schreibung grammatisch falsche Schreibungen, es gibt in der neuen aber deutlich mehr davon. Als Wissenschaftler sollten wir, und das ist der Be- zug zum gestrigen Thema, autonom – mehr oder weniger systemtheo- retisch fundiert in unserem eigengesetzlichen Wissenschaftssystem – entscheiden, was wir für richtig oder falsch halten. Das liegt für unsere Rechtswissenschaft selbstverständlich im Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3, nicht in demjenigen des Art. 7 Abs. 1GG. Für den Bereich der Schule ist das bekanntlich entschieden. Ich halte die Entscheidung BVerfGE 98, 218 für die klassischste – bewusst im Superlativ ge- braucht – petitio principii, die sich das Gericht je geleistet hat; gleich- wohl ist die Entscheidung in Bindungswirkung erwachsen. § 31 BVerfGG bindet jedoch nur bezogen auf die tragenden Gründe, selbst- verständlich nicht bezogen auf eine Prognose, wie sich die Schulortho- graphie in der Gesellschaft entwickeln wird. Schon prinzipiell bindet diese Prognose nicht, abgesehen davon ist sie evidentermaßen nicht wahr geworden. Der erhoffte Vorbildeffekt der Orthographiereform hat sich in der Schreibgemeinschaft einfach nicht eingestellt. Wir kompeten- ten Schreiberinnen und Schreiber haben immer noch die Kraft der Un- terscheidung zwischen richtig und falsch. Wie schön! Bezug zum heu- tigen Thema, zum Bericht von Herrn Kahl, dem ich emphatisch zustimmen möchte zu seiner Schreibweise des „Deutschen“ in Leit- satz 15. Denn imGVG und im VwVfG hat der Gesetzgeber „deutsch“

kleingeschrieben. Es heißt dort, die Gerichtssprache beziehungsweise die Amtssprache „ist deutsch“, so als sei dies die Satzaussage wie in den Sätzen „sie ist hölzern“ oder „sie ist schwer verständlich“. Das lässt sich von der Amtssprache vielleicht sagen. In § 23 Abs. 1 VwVfG ist Deutsch dagegen Satzgegenstand, muss also zwingend großgeschrieben werden. Ich hoffe, Herr Kahl sagt mir nicht, er habe es nach neuer Rechtschreibung, die im Zweifel groß schreibt, so formuliert. Was die Bindungswirkung betrifft, so gibt es eine zweite Runde der Auseinan-

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dersetzung. Der Beschluss desOVG Lüneburg wird auch zu einer Ent- scheidung in der Hauptsache führen, jedenfalls bemühe ich mich gegen- wärtig darum, damit das Laienspiel der KMK nicht doch noch zur Tragödie wird. Letzter Satz:Bernd Rüthers hat uns Juristen aufgefordert, die Entwicklung nicht – Zitat – „ein zweites Mal zu verschlafen“. Herr Rüthers hat recht und da ich „Recht“ hier nicht substantivisch, sondern adverbial gebraucht habe, hätte ich es in der Druckfassung gern klein- geschrieben und die Regieanweisung „kleingeschrieben“ gern zusam- mengeschrieben. Danke.

Vorsitzender: Dankeschön, dafür können Sie ja bei der Korrektur der Druckfahnen selbst Sorge tragen, falls HerrHufen, der ein Anhänger der neuen Rechtschreibung ist, Sie nicht korrigiert. Ich habe jetzt – Scherz beiseite – Herrnvon Coelln und dann HerrnMeßerschmidt.

Von Coelln: Ich kann anknüpfen an Herrn Gröschner und habe zwei kurze Fragen zu dem Beitrag von HerrnKahl. Die kritischen Situatio- nen, in denen die neue Rechtschreibung relevant wird, sind ja in erster Linie die Schule und die Universität. Daher meine erste Frage, die sich auf den Maßstab bezieht, an dem der mögliche Grundrechtsschutz eines Betroffenen sich dann zu orientieren hat. Inwiefern ist denn hier nicht der Artikel 12GG auch so relevant, dass man ihn jedenfalls nicht voll- kommen ausblenden kann? Möglicherweise für den Schüler, dem der Abschluss versagt wird wegen vermeintlich falscher Rechtschreibung, jedenfalls aber für den Germanistikstudenten, der sein Studium nicht beenden kann wegen einer vermeintlich zu großen Zahl von Recht- schreibfehlern. Das eine zum Prüfungsmaßstab, das zweite betrifft eben- falls die Frage der Regelungsbedürftigkeit. Sie haben gesagt, das ist nicht mit einem speziellen Gesetz regelbedürftig, sondern es reichen die Schulgesetze der Länder, dass es hier nur um die inhaltliche Ausfüllung des Lehrplans geht. Ist es denn aber nicht etwas anderes, ob ich bei- spielsweise festlege, dass der Biologieunterricht nun von der achten in die neunte Klasse verlegt wird oder ob ich etwas, was sich zum damali- gen Zeitpunkt und offenbar – jedenfalls aus der Sicht des OVG Lüne- burg – auch heute noch als Kunstgebilde, als fiktiver Gegenstand her- ausstellt, ob ich den zum verbindlichen Lehrinhalt an Schulen mache?

Ich nenne nur die Getrennt- und Zusammenschreibung, da sind sprach- liche Differenzierungsmöglichkeiten verloren gegangen, wir alle kennen die Beispiele mit dem „viel versprechenden“ oder mit dem „vielverspre- chenden“ Bewerber etc. etc. Ist das nicht eine noch qualitativ andere Situation als das, was man normalerweise unter Ausfüllung des Lehr- plans versteht? Sie haben selber gesagt, diese Gegenstände unterliegen

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dem begrenzten Zugriff des Staates. Wo endet dieser begrenzte Zugriff?

Wäre, was sprachwissenschaftlich ja auch schon diskutiert worden ist, auch die komplette Abschaffung der Großschreibung da noch mit in begriffen und stellt sich – damit komme ich zum Schluss – vor diesem Hintergrund nicht die Frage, ob es nicht doch einer formell-gesetzlichen Regelung, jedenfalls aber unter dem Gesichtspunkt des Parlamentsvor- behalts einer parlamentarischen Befassung mit diesen Themen bedarf?

Meßerschmidt: Erlauben Sie mir einen persönlichen Einstieg. Wenn man in Frankfurt lebt und zwei Jahre in Lettland zugebracht hat, dann emp- findet man das „Kulturgut Sprache“, den Beratungsgegenstand des heu- tigen Nachmittags, als besonders wichtig. Lettland weist eine Titularna- tion auf, die knapp über 50 Prozent der Gesamtbevölkerung darstellt. In Frankfurt – ich übertreibe nur wenig – bewegen wir uns auf dem Weg dorthin, wer etwa im Ramada-Hotel übernachtet hat, weiß, dass in gan- zen Stadtgebieten eher schon die 10-Prozent-Klausel für den deutschen Bevölkerungsanteil gilt. Nun ergibt sich aus diesen beiden Situationen in beiden Ländern eine nicht von der Hand zu weisende Sorge um die kul- turelle und sprachliche Identität. Lettland beschreitet hierbei, dies haben dankenswerterweise HerrSchweizer und HerrTomuschat in der Diskus- sion bereits angedeutet, einen problematischen Weg. In Stichworten:

Ein restriktives Staatsbürgerschaftsrecht, die Zurückdrängung der russi- schen Minderheitssprache aus dem öffentlichen Raum, aus den elektro- nischen Medien und aus der Schule. Dies hat auch schon die europäi- schen Institutionen befasst, dies ist bereits erwähnt worden. Ich möchte dazu noch ein persönliches Erleben wiedergeben. Eine meiner besten Studentinnen fragte mich, als ich sie als Hilfskraft einstellen wollte, wel- chen Namen sie denn im Vertrag angeben sollte. Da ich sie nicht für überspannt hielt, dachte ich, sie hat doch keinen Künstlernamen und als ich sie darauf ansprach, erklärte sie mir etwas, was ich vielleicht hätte wissen sollen, wenn ich mich besser auf meinen Aufenthalt dort vorbe- reitet hätte, dass in Lettland der Eigenname in der Staatssprache ge- braucht werden muss. Frau Mentzen bzw. Mencene, deren Fall später die Straßburger Richter beschäftigt hat, habe ich erst später kennen ge- lernt. Persönlich war ich dann auch noch vom Sprachenstreit betroffen, weil ein kleines Lehrbuch, das ich verfasst habe, plangemäß ins Letti- sche übersetzt wurde, aber die versprochene Übersetzung ins Russische auf der Strecke geblieben ist – angeblich liegt es zu 90 Prozent vor, und das schon seit über einem Jahr. Soviel zur Lage in Lettland, die Lage in Deutschland brauche ich Ihnen nicht zu schildern. Und nun komme ich aus diesem subjektiven Ansatz vielleicht, so hoffe ich, zu einer etwas analytischeren Bewertung, weshalb ich dann hier von autochthonen und

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emigrierten Minderheiten spreche. Ich glaube, es zeigt sich im Umgang mit diesen Minderheitsproblemen eine gewisse Doppelmoral. Anhänger der multikulturellen Gesellschaft in Deutschland haben sehr oft die Äu- ßerung getan, es sei doch wirklich ein Problem, dass es in Lettland so viele Russen gäbe. Man verstehe ja die Letten, dass sie das irgendwie in den Griff bekommen müssten. Ein nichtdeutscher, nichtlettischer Direktor der Institution, an der ich gearbeitet habe, vertrat sogar die Auffassung, man müsse die Zahl der Russen reduzieren, dann könnte man ihnen demokratische Rechte gewähren. Äußerungen, die wir in Deutschland nicht wagen und die ich auch wirklich zurückweise. Herr Murswiek hat gemeint, eigentlich passen die Positionen von Herrn Schweizer und HerrnKahl zusammen. Ich selbst bin für mehr Minder- heitenschutz in Lettland, und ich bin für mehr Integration auch mit ver- pflichtenden Mitteln in Deutschland. Lassen Sie mich das noch ganz kurz erklären, denn damit komme ich zur autochthonen und zur emi- grierten Minderheit. In Lettland haben wir eine emigrierte Minderheit, aber auch eine alte Minderheit seit 200 Jahren. Dies ist eine klassische Minderheit, weil sie von der typischen Situation des Entstehens von Minderheitsproblemen erfasst war, nämlich dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Die hatten nie das Bewusstsein auszuwandern in ein ande- res Land. In Deutschland haben wir typische neue Minderheiten, und ich will anregen, dass man hier stärker den Gedanken des Vertrauens- schutzes berücksichtigt. Denn wer nach Deutschland kommt, weiß, er geht ins Ausland und er muss sich auf die neue Sprache einstellen und das sollte man jetzt nicht mit den Situationen der alten Minderheiten verwechseln. Allerdings auch nicht mit der Zwischensituation in Lett- land.

Kotzur: Auch wenn es angesichts der vielleicht „komplementären Kon- trapunkte“ der beiden Referate sehr reizvoll wäre, die bisherige Dis- kussion fortzuführen, erlauben Sie mir, auf ein Thema zu kommen, das bisher in den Referaten nicht angeklungen ist: die sprachliche Verant- wortung und die sprachliche Gestaltungsmacht der Dritten Gewalt. In St. Gallen ist eine diesbezügliche Tagung für Ende Oktober seit langem geplant, aber vielleicht kann ich HerrnSchweizer trotzdem heute schon einen Vorabkommentar dazu entlocken, HerrnKahl ebenfalls. Im Wort Rechtsprechung finden Sprache und Recht schon begrifflich zusammen.

Die Spruchspraxis der Gerichte ist gewiss auch deren Sprachpraxis. Der Anspruch auf rechtliches Gehör liefe vollkommen ins Leere, würde ihm nicht ein „Anspruch auf rechtliche Antwort“ wenigstens in gewisser Weise korrespondieren – eine Antwort, die der Bürger, die der Rechts- schutzsuchende verstehen kann, die ihm transparent und einsehbar ist,

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die ihm wenigstens durch seinen Anwalt übersetzbar ist. Insofern ist den Gerichten unglaubliche „Sprachgewalt“ gegeben. Herr Kahl hat das Thema angesichts der Sprachproblematik bei EuGH-Entscheidungen angesprochen, aber es gibt hier auch andere, sehr subtile Probleme, wie nämlich durch die sprachliche Gestaltung von Urteilen Rationales und Emotionales vermengt werden kann, wie stark Richter in sprachliche Verantwortung zu nehmen sind. Gerade in der amerikanischen Theorie und Literatur finden sich sehr interessante Ansätze zu den narrativen Momenten in Gerichtsentscheidungen, vor allem in den Sachverhalts- darstellungen. Ein Beispiel sind Urteile zur „affirmative action“: Wird der Rechtsschutzsuchende als ein sympathischer, liebenswürdiger, ge- sellschaftlich Unterdrückter dargestellt oder aber als ein gefährlicher potentieller Verbrecher, gar „Kinderschänder“ etc., vor dem die Gesell- schaft bewahrt werden muss. Je nach Darstellung könnte ein und die- selbe Frage – beispielsweise nach der zulässigen „affirmative action“ – psychologisch gesehen ganz unterschiedlich beantwortet werden. Auch deutsche und europäische Gerichte sind von solchen emotionalen Mo- menten nicht ganz frei. Ich denke da an eine ganz aktuelle Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Gewissensfreiheit eines Soldaten, der sich darauf berufen hat, ein Computerprogramm nicht weiter entwi- ckeln zu wollen, weil der Irak-Krieg dadurch eventuell hätte unterstützt werden können. Auf 126 sehr ausführlichen Seiten nimmt das Bun- desverwaltungsgericht zu dem Problem mit durchaus überraschenden Ergebnissen Stellung. Die Analyse des Urteils wäre vielleicht in sprach- wissenschaftlicher noch interessanter als in rechtswissenschaftlicher Hin- sicht. Sprachliche Aspekte der Urteilsgestaltung gilt es sowohl für den nationalen Rechtsstaat als auch für die europäische Rechtsgemeinschaft zu untersuchen. Ein Sprachversagen der Rechtsprechungsorgane hätte gravierende Folgen. Und der Rest wäre Schweigen.

Kugelmann: HerrSchweizer, meine erste Frage richtet sich an Sie hin- sichtlich des Verhältnisses zwischen Sprache und Minderheitenschutz.

Sie haben völlig zu Recht erläutert, dass der Minderheitenschutz immer stärker an die Sprache anknüpft, weniger an die ethnische Zugehörig- keit, also Sprache als konstituierendes Merkmal der Minderheit hervor- hebt. Umgekehrt haben Sie den Minderheiten unabhängig von ihren Merkmalen pauschal Rechte eingeräumt. Meines Erachtens schießen Sie aber etwas über das Ziel hinaus, wenn Sie sagen, man muss Sprach- gruppen ähnliche Rechte einräumen wie Minderheiten. Ich stimme Ih- nen noch zu, dass man sagen kann, neue Minderheiten, also die Türken in Deutschland oder die Russen in Estland, haben ähnliche gruppen- bezogene Rechte wie klassische nationale Minderheiten. Aber darüber

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hinaus jenseits eines individualrechtlichen Zugangs kollektive Rechte zu gewähren, also Gruppenrechte, zum Beispiel bei der Finanzierung einer Schule, möglicherweise auch den Spaniern in Deutschland oder den Polen in Österreich, das geht mir zu weit. Da glaube ich, gibt man den Betroffenen Steine statt Brot, weil die Regierungen dann eher noch zu- rückhaltender als bisher sein würden bei der Gewährung von Minder- heitenrechten. Sie sehen es ja an dem Ratifikationsstand der Europäi- schen Charta für Regional- und Minderheitensprachen von 1992, die von deutlich weniger Staaten ratifiziert ist als das Rahmenübereinkom- men des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten, weshalb wir uns hinsichtlich der Sprache immer noch vorwiegend auf die Vorschrif- ten des Rahmenübereinkommens stützen. Aber auch da ist es so, dass jeder Staat nur die Minderheiten fördern muss, die er selbst anerkennt.

Wir sind ja schon froh, wenn das der Fall ist. Deshalb meine ich, dass Sie über das Ziel hinausschießen. Meine zweite Frage an HerrnKahl be- trifft einen ganz kleinen Punkt. Ich gebe Ihnen vollkommen Recht, es ist wünschenswert, wenn Ausländer, die in der Bundesrepublik Deutsch- land einen ausländerrechtlichen Status begehren, die deutsche Sprache beherrschen, wenn sie Integrationskurse machen und auch machen müssen. Aber es wird dann problematisch, wenn das Bestehen des In- tegrationskurses oder die Teilnahme Voraussetzung für die Erteilung ei- ner Erlaubnis ist, wenn also die Versagung einer Genehmigung daran anknüpft, dass ein Ausländer nicht genug Deutsch kann. Könnte das möglicherweise, so meine Frage, im Hinblick auf die Sprachenfreiheit, die Sie mit Nachdruck und zu Recht mit dem Persönlichkeitsrecht ver- knüpft haben, Schwierigkeiten bereiten? Denn wir brauchen doch einen Rechtfertigungsgrund dafür, dass wir dem Ausländer sagen, Du kannst nicht genug Deutsch, also sprich Deine Sprache, aber bitte zu Hause.

Wenn also die Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis ver- sagt wird, brauchen wir dann nicht einen Rechtfertigungsgrund, der im Einzelfall möglicherweise nicht vorhanden sein könnte, so dass die Sprachenfreiheit einer derartigen Entscheidung deutscher Staatsgewalt entgegenstehen kann?

Germann: Beide Referenten haben zu Recht den gemeinsamen Aus- gangspunkt gesucht in dem Zusammenhang zwischen Sprache und Per- sönlichkeitsrecht. Eine wichtige Folge davon hat Herr Kahl in seiner 7. These benannt: Der Zugriff des Staates auf die Sprache ist grund- rechtsrelevant und rechtfertigungsbedürftig. Ein Brennpunkt dafür ist die öffentliche Schule. Dabei sollten wir eins noch in den Blick nehmen:

Es ist ja nicht in erster Linie so etwas wie die Rechtschreibreform (ich zögere jetzt bei dem Wort Reform – heute morgen ist ja Sorgfalt mit

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dem Begriff Reform angemahnt worden – also sage ich lieber: Recht- schreibdekrete) – es ist also nicht zuerst so eine Maßnahme wie die, dass neue Regeln aufgestellt werden, als Grundrechtseingriff zu beschreiben.

Sondern dem Zugriff des Staates auf die Sprache liegt ja ein anderer Zu- griff hier zugrunde, nämlich der Erziehungsanspruch des Staates. Das ist doch der erste Schritt. Aus guten Gründen nimmt der Staat die Er- ziehung in Anspruch: Es geht um Integration in die Gesellschaft. Es geht hier um Integration in die Sprachgemeinschaft. Aber der Zugriff des Staates darauf ist nicht naturgegeben, sondern als eine Intervention des Staates in die Eigengesetzlichkeit der Sprachgemeinschaft zu erkennen.

Und daraus folgt, dass der staatliche Zugriff auf die Sprache, hier im Wege der Erziehung, erkannt werden muss als etwas, was das in der Ge- sellschaft persönlichkeitsbildend Wirkende verdrängt oder dominiert.

Deshalb ist dieser Zugriff rechtfertigungsbedürftig. Damit ergibt sich ein Zusammenhang zu gestern. Diese Rechtfertigungslast nämlich ist von HerrnHuster verkannt worden, indem er die Erziehung ganz der Politik überantwortet hat, also die Entscheidung darüber, wozu der Staat er- zieht. Dort ging es um religiöse Erziehung, hier geht es um Spracherzie- hung. Beide sind Aspekte der kulturellen Identität. Beide betreffen deshalb das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Die Rechtfertigung dieses Zugriffs ist an Bedingungen gebunden. Der Zugriff muss seinem Zweck, also den guten Gründen für staatliche Erziehung entsprechen. Er muss also gerichtet sein auf die Erziehung zur Kommunikationsfähigkeit in der Gesellschaft. Er muss darauf Rücksicht nehmen und muss An- schluss finden an das, was in der Gesellschaft, in der Sprachgemein- schaft wirksam ist. Daraus ergeben sich Grenzen des Erziehungsan- spruchs und auch Anforderungen an seine inhaltliche Gestaltung. Ein Beispiel dafür ist die Rechtschreibung, ich nenne sie noch einmal. Ja, es gehört zum Erziehungsanspruch des Staates, Normen der Sprachge- meinschaft zu transportieren. Aber es gehört nicht zu seinem Erzie- hungsauftrag, gegen die Sprachgemeinschaft Normen zu dekretieren.

Sie finden das unerheblich, ich bin da anderer Meinung – eher der Meinung vonVicco von Bülow: „Die Rechtschreibreform ist überhaupt kein Problem für Leute, die nicht lesen und nicht schreiben können.“

Für Schüler aber doch. Ein anderes Beispiel: Fremdsprachen. Dass es Fremdsprachenerziehung in der Schule gibt – auch das ist ein Aspekt der Kommunikationsfähigkeit, und hier ist Vielfalt geboten. Ich denke daran, dass es Leute gibt, die etwa grundständiges Latein für wichtig und wertvoll halten. Da mögen die Meinungen geteilt sein. Es gibt eben Viel- falt in der Gesellschaft, und der Erziehungsanspruch des Staates muss diese Vielfalt aufgreifen. In der Landesverfassung von Sachsen-Anhalt ist das auch so festgeschrieben. Die Realität sieht etwas anders aus: Mo-

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nokultur des Englischen; da wird schon in der dritten Klasse mit einem angelsächsischen Idiom angefangen, Angelsächsisch mit der Betonung auf dem zweiten Teil dieses Wortes.

Biaggini: Erlauben Sie mir eine kurze Bemerkung und zwei Fragen aus Schweizer Sicht. Die Bemerkung bezieht sich auf beide Referate. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass der Ausgangspunkt beider Refe- renten die menschenrechtliche Dimension und speziell das Grundrecht der Sprachenfreiheit war. Die erste Frage bezieht sich auf Herrn Kahl und seine These 15. Ihr Vorschlag lautet, Deutsch als „Staatssprache“

im Grundgesetz zu verankern. Dass man in Österreich mit einer ver- gleichbaren Bestimmung nicht sehr glücklich ist, haben wir gehört.

Auch die anderen Verfassungen, die im Vortrag nicht einzeln genannt wurden, müsste man sehr exakt daraufhin untersuchen, ob sie als Vor- bild taugen. Ich glaube, die Verfassungsvergleichung könnte generell im Bereich des Sprachenverfassungsrechts einigen Aufschluss geben und ein Warnschild sein vor allzu großen Illusionen. Meine Frage: Ich habe nichts dagegen einzuwenden, wenn in der Verfassung etwas über Spra- che steht, aber muss es gerade der besitzergreifende Begriff „Staatsspra- che“ sein? Warum nicht sagen, wie es in These 16 anklingt: Deutsch ist Amts-, Schul- und Gerichtssprache? Oder meinetwegen an die These 14 (Stichwort Kulturnation) anknüpfend: Deutsch ist die Nationalsprache.

Warum muss es gerade die „Staatssprache“ sein? Die zweite Frage be- zieht sich auf die These 35 und das Thema „Sprachloyalität“. Wenn ich richtig verstanden habe, fordern Sie – im Referat deutlicher als in der These – Sprachloyalität nicht nur von den Staatsbediensteten, sondern auch von den Bürgerinnen und Bürgern. (Kleine Randbemerkung: Hat das vielleicht zu tun mit der von Ihnen postulierten Aufwertung von Deutsch zur „Staatssprache“ im Grundgesetz?) Meine Frage: Steht diese Forderung nach Sprachloyalität nicht in einem diametralen Ge- gensatz zu Ihrem Ausgangspunkt – den Sie, – zu Recht, wie ich meine – bei der menschenrechtlichen Dimension, beim Grundrecht der Spra- chenfreiheit genommen haben? Wie lässt sich das miteinander in Ein- klang bringen?

Oppermann: Herr Vorsitzender, mir haben eigentlich beide Referate gut gefallen. Herr Schweizer, der ja seinen Namen mit Recht trägt, hat mit der warmen Toleranz eines Staates mit mehrsprachigem Regime gespro- chen, und bei HerrnKahl hat mir eben besonders seine wirklich exakte und eigentlich alle Probleme ansprechende Darstellung des EU-Spra- chenregimes gefallen und dass sich dabei ein paar Worte mit einer ge- wissen Sympathie für unsere Muttersprache gefunden haben, also das

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hat mich auch nicht gestört. Ich will einmal sagen, wenn wir das nicht tun, wer soll das letztlich eigentlich noch tun. Meinerseits nur noch eine zusätzliche Bemerkung. Die Vielsprachigkeit in der Europäischen Union ist, glaube ich, einer der wesentlichen Gründe – nicht der einzige – wes- wegen die Europäische Union niemals ein Bundesstaat werden wird.

Man kann zwar einen Bundesstaat machen wie in Kanada mit zwei Sprachen wie auch in der Schweiz mit vier Sprachen, mit einer immer- hin etwas auch hervorstechenden Sprache dabei, aber ich halte es für unmöglich, einen Bundesstaat seinerzeit schon mit elf Amtssprachen zu machen, jetzt sind wir bei zwanzig und wenn wir demnächst also in den zweiten Europarat mit dreißig Mitgliedsstaaten übergehen, wird das noch schwieriger werden, um nicht zu sagen unmöglich. Aber auf der anderen Seite, die Europäische Union ist eben nicht eine beliebige völ- kerrechtliche Organisation bekanntermaßen, sondern sie ist, nennen wir es Staatenverbund oder nennen wir es Union, wie auch immer, sie hat etwas Staatsähnliches und das bringt auch das Sprachenregime sehr gut zum Ausdruck, nämlich insbesondere die absolut notwendige Regelung, dass die allgemeinen Amtssprachen, wo die Union mit dem Bürger ver- kehrt, alle Sprachen sein müssen. Ich lasse jetzt einmal die Minderhei- tensprachen beiseite, das ist ein besonderes Problem, aber es müssten, auch wenn wir dreißig Mitgliedsstaaten würden und 28 Nationalspra- chen hätten, alle Amtssprachen sein, denn der Grieche in Penelopes, der muss sich also auch in seiner Sprache über die Agrarpolitik unterrichten können und so fort. Das ist eben der Unterschied zwischen der Euro- päischen Union und einer beliebigen völkerrechtlichen Organisation.

Der Europarat, obwohl es da auch schon etwas anders aussieht, kommt im Prinzip noch mit zwei Sprachen, Englisch/Französisch aus, die Ver- einten Nationen, ich glaube es sind vier, aber hier, weil wir uns in der Nähe des Staates befinden, muss also auch wirklich jede Nationalspra- che zu ihrem Recht kommen. Vielen Dank.

Streinz: Ich möchte eine Bemerkung zu Deutsch als Wissenschafts- und Amtssprache machen, wobei das Deutsche nur ein Beispiel ist. Denn dies gilt natürlich auch für andere Sprachen, das Italienische, das Fran- zösische, ja vielleicht alle anderen, außer dem Englischen und vielleicht auch für das Englische, wie es in England gesprochen wird, im Vergleich zu dem Englischen, wie es international gesprochen wird. Dass eine sol- che Behauptung der eigenen Sprache wichtig ist, zeigt sich doch, wie her- ausgearbeitet wurde, darin, dass Sprachen ein Machtfaktor, aber auch ein Kulturfaktor sind. Dass Sprachen ein Machtfaktor sind, zeigt sich in der Auseinandersetzung, welche Sprache in völkerrechtlichen Verträgen verbindlich sein soll und die Folgen daraus. Dies gilt auch für privat-

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rechtliche Verträge. Man kann viel Geld verlieren, wenn man einen Ver- trag auf Englisch oder Spanisch abgeschlossen hat und dabei nicht so genau wusste, was ein bestimmter Begriff eigentlich bedeutet, und die vereinbarte dann die verbindliche Sprache ist. Zweitens: Sprache ist ein Kulturfaktor, die sprachliche Vielfalt ist ein Kulturfaktor. HerrKahl hat dies bezogen auf Deutsch als Rechtswissenschaftssprache. Dies kann natürlich allein von der Profession her gerechtfertigt sein, und vielleicht ist es auch so, dass in anderen Wissenschaften das Feld schon geräumt ist und es allein nur noch um das Deutsche als Rechtswissenschaftsspra- che geht. Die Behauptung des Deutschen heißt nicht, dass wir nicht ver- suchen sollen, deutsches Recht in anderen Sprachen zu vermitteln. Das ist kein Gegensatz dazu, das ist ganz wichtig, und dass ich hier keinen Gegensatz sehe zeigt sich darin, dass ich mich gerne an solchen Pro- grammen beteilige. Das Problem der Mehrsprachigkeit und der Reduk- tion der Mehrsprachigkeit in der Europäischen Union ist angesprochen worden. Es gibt gute Gründe dafür. Die Thematik ist noch in einer Dis- sertation an meinem Lehrstuhl in Bayreuth bearbeitet worden: Englisch, Französisch, Deutsch scheinen hier im Vordergrund zu stehen, angeb- lich gibt es dafür auch eine Anweisung, deren Originalfassung ich frei- lich nicht ermitteln konnte. Aber das wird wohl kaum so funktionie- ren. Man muss z. B. an Italienisch und Spanisch und man muss auch an die neuen Mitgliedsstaaten denken, hier insbesondere an Polnisch. Das heißt, man wird mit dieser Mehrsprachigkeit leben müssen, auch mit den entsprechenden Kosten. Ich denke aber, es gibt bedenklichere Zwe- cke, für die in derEU Geld ausgegeben wurde, als Übersetzer zu finan- zieren. Für sehr richtig und wichtig halte ich auch, was HerrOppermann gesagt hat. Wir müssen darauf bestehen, dass die europäischen Institu- tionen sich an ihr eigenes Sprachenregime beim Kontakt mit dem Bür- ger halten. Hierin liegt die Lösung. Zwei Ansätze noch zur Behauptung als Wissenschaftssprache und im politischen Bereich, und zwar Ansätze, die man verfolgen kann, ohne dass man rechtlich dazu verpflichtet ist.

HerrKahl hat sich auch dagegen ausgesprochen, wie in Frankreich und in Polen dies vorzuschreiben und dann auch noch strafrechtlich zu be- wehren oder dergleichen. Manche Konferenzen in Deutschland zwi- schen Deutschen finden auf Englisch statt. Anderswo ist dies eigentlich kaum denkbar. In Frankreich nicht, in Polen nicht, in Katalonien nicht, da darf sicherlich Catalan nicht fehlen, vielleicht auch deshalb, weil die Katalanen nach der auch für sie geltenden spanischen Verfassung verpflichtet sind, Kastilisch zu beherrschen. Also: Konferenzen auf Eng- lisch zwischen Deutschen in Deutschland, nein, das wird zu einer Ver- armung führen. Es gibt, glaube ich, eine realistische Lösung für inter- national besetzte Konferenzen. Übersetzungen sind oft zu teuer. Aber

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ich habe die Erfahrung gemacht, dass in gewissem Umfang und in ge- wisser Breite folgendes funktioniert: Jeder darf in seiner Sprache oder muss in seiner Sprache sprechen, und es wird erwartet, dass er die Spra- che des jeweils anderen versteht. Ich glaube, das wäre eine praktikable Lösung. Zweitens: In internationalen oder supranationalen Organisatio- nen sollen die jeweiligen Vertreter in ihrer Muttersprache sprechen, und sie müssen in ihrer Muttersprache sprechen. Anders machen das aus meiner Erfahrung heraus gelegentlich nur Deutsche und Österreicher.

So gibt es einen Fall, dass ein deutscher Abgeordneter im Europäischen Parlament Französisch gesprochen hat. Das bringt ja keine Ersparnis, weil auch dies ins Deutsche übersetzt werden muss. Daraufhin reagierte ein sprachbewusster Däne empört, indem er sich entschloss, am Ende seiner Rede auf südjütländisch zu sprechen, wozu im Protokoll nur ver- merkt war, dass sich das Folgende nicht übersetzen ließ.

Vorsitzender: Vielen Dank, HerrStreinz. Jetzt haben wir als letztes Frau Schmahl, die bezweifelt, dass beim indirekten Vollzug des Unionsrechts Deutsch als Sprache verwendet werden muss, wenn ich das richtig ver- standen habe.

Schmahl: Ich habe eine Frage zur These Nr. 17 von HerrnKahl. Dort, Herr Kahl, legen Sie dar, dass aus der nationalen Identität das Gebot zur Anwendung der nationalen Sprache als Amtssprache folge. Daher könne, so stellen Sie fest, auch vom ausländischen Bürger prinzipiell verlangt werden, dass er in deutscher Sprache mit deutschen Behörden und Gerichten kommuniziere. Nun meine Frage: Gilt dieser Grundsatz auch, wenn die deutschen BehördenEG-Recht durchführen oder sich sonst im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts befinden? Liegt dann nicht eine Verletzung des gemeinschaftsrechtlichen Diskriminie- rungsverbotes vor, wenn einEU-Ausländer nur in Deutsch beschieden wird? Ich denke insoweit an den vomEuGH entschiedenen FallBickel, wobei sich diese Rechtssache freilich spezifisch auf Südtirol bezog, also auf eine Region, die ohnehin zweisprachig ist. Aber kann – und das ist wohl die relevante Frage – etwa ein Franzose, der in Deutschland von einerEG-Verordnung betroffen ist, sich in französischer Sprache gegen den auf dieser Verordnung ergangenen Verwaltungsakt wehren? Und kann er darüber hinaus erwarten, dass er von deutschen Behörden in Französisch beschieden wird? Das ist sicherlich eine Frage, die viele praktische Probleme aufwerfen wird, führt man sich vor Augen, dass die Europäische Union zwanzig verschiedene Vertrags- und Amtssprachen kennt. Zur rechtlichen Lösung könnte man vielleicht auf folgende Argu- mentation zurückgreifen: Sprache ist nicht ausschließlich als individual-

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rechtliches Gemeinschaftsgrundrecht zu verstehen, sondern im Schwer- punkt als gemeinschaftsbezogenes Rechts- und Kulturgut.

Vorsitzender: Vielen Dank. Bevor ich jetzt den Referenten das Wort zum Abschlussstatement übergebe, hat sich HerrHuster herausgefordert ge- fühlt durch HerrnGermann und wollte sich auf zwei Sätze beschränken.

Huster: Nur damit nicht der falsche Eindruck entsteht, ich wollte der Po- litik völlig freie Hand lassen, was in der Schule unterrichtet wird und was nicht. Mein Punkt ist folgender: Dass in der öffentlichen Schule in Deutschland Deutsch unterrichtet und gelernt wird, ist völlig unabhängig davon, ob die Eltern das wollen oder nicht. Dass die Evolutionstheorie unterrichtet wird, ist völlig unabhängig davon, ob 50 Prozent der Eltern, wie in den Vereinigten Staaten irgendwelche kreationistischen Überzeu- gungen haben. Wenn wir das Ernst nehmen, dass wir das Elternrecht, das die subjektiven Erziehungsvorstellungen der Eltern zusammenfasst, als wirklich gleichgeordnetes Gegengewicht zum staatlichen Erziehungsauf- trag in Stellung bringen, dann müssten wir auch in eine Abwägung ein- treten. Dann müssten wir überlegen, ob nicht das Deutsch an der Stelle, wo 90 Prozent Türken in der Klasse sitzen und die türkischen Eltern gar nicht wollen, dass ihre Kinder Deutsch lernen, zurücktreten muss. Oder wenn die Eltern gar nicht wollen, dass die Evolutionstheorie vermittelt wird, müssen wir dann den Kreationismus im Sinne der praktischen Konkordanz in die Schule bringen? Um solchen Unsinn auszuschließen, bin ich der Meinung: Wir können das elterliche Erziehungsrecht nicht als Summe der subjektiven Erziehungsvorstellungen der Eltern ins Spiel bringen, sondern wir können über das elterliche Erziehungsrecht nur die objektiven Grenzen des staatlichen Erziehungsauftrags mobilisieren.

Diese Grenzen ergeben sich nicht aus den subjektiven Erziehungsvor- stellungen der Eltern, sondern aus objektiven Rechtsgrundsätzen, die die Eltern über dieses Recht geltend machen können.

Vorsitzender: Das waren zwei umfangreiche Sätze, aber die Botschaft ist angekommen. HerrKahl.

Kahl: Ich möchte mich zunächst bei allen Teilnehmern an der Ausspra- che sehr herzlich bedanken für die vielfältigen Fragen, Anregungen und Hinweise, auf die ich aus Zeitgründen leider nicht vollständig eingehen kann. Dafür bitte ich um Ihr Verständnis. Ich habe drei thematische Komplexe herausgeschält, auf die ich näher eingehen möchte.

Erstens: Grundrechtsprobleme. HerrTomuschat hat darauf hingewie- sen, dass 1948/1949 Deutsch als Staatssprache nicht streitig war. Das ist

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