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The Death of the Wehrmacht: The Campaigns of 1942«

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Das ist Militärgeschichte! Probleme – Projekte – Perspektiven. Hrsg. mit Un- terstützung des MGFA von Christian Th. Müller und Matthias Rogg, Pader- born [u.a.]: Schöningh 2013, 517 S., EUR 68,00 [ISBN 978-3-506-77657-0]

Der Titel dieser Festschrift, die Bernhard R. Kroener zum 65. Geburtstag gewid- met ist, antwortet auf den programmatischen Band »Was ist Militärgeschichte?«

(Hrsg. von Thomas Kühne und Benjamin Ziemann, Paderborn [u.a.] 2000). Damals eine Frage, heute ein selbstbewusstes Ausrufezeichen. Präsentiert wird eine Leis- tungsbilanz, die ohne das Werk des Jubilars als Forscher und Anreger von For- schungen in vielfältigen Funktionen nicht hätte vorgelegt werden können. Die Ge- leitworte des Amtschefs des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes und des Dekans der Philosophischen Universität Potsdam sowie der Einführungsbeitrag der beiden Herausgeber würdigen Kroeners Bedeutung für die Militärgeschichte und ihre Institutionalisierung in der Bundesrepublik, die Verzeichnisse seiner Ver- öffentlichungen und der von ihm betreuten Dissertationen und Habilitationen do- kumentieren sie.

Die 25 Autoren erhielten keine thematischen Vorgaben, sodass als Ergebnis keine systematische Betrachtung des Themenfeldes Militärgeschichte erwartet wer- den darf. Der Untertitel deutet dies an, und die nicht immer zwingende Zuord- nung der 24 Beiträge zu sieben Gliederungspunkten – Politikgeschichte, Organi- sationsgeschichte, Operationsgeschichte, Kulturgeschichte der Gewalt, Kultur- und Kunstgeschichte, Bildungsgeschichte, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte – lässt es ebenfalls erkennen. Nur sechs Beiträge handeln im weiteren Sinn vom Krieg. Der Militärgeschichte, wie sie dieser Band präsentiert, liegt eine Konzeption zugrunde, die Kroener als »Militär in der Gesellschaft« umschrieben hat (in dem genannten Band mit Fragezeichen im Titel). Wer sich über die Konzeption dieser Form von Militärgeschichte und über die Fragen, die damit verbunden sind, genauer infor- mieren will, muss zu anderen Publikationen greifen. Hier steht die Vielfalt der The- menfelder im Vordergrund, die einen Einblick in die gegenwärtige militärge- schichtliche Forschungslandschaft in Deutschland und insbesondere in Potsdam bieten. Die deutsche Militärgeschichte steht im Zentrum.

Auf die frühe Neuzeit, ein gewichtiger Forschungsschwerpunkt des Jubilars, beziehen sich ganz oder teilweise zehn Beiträge. Drei davon handeln vom Krieg.

Johannes Kunisch steuert als Wiederabdruck seinen 1987 publizierten Aufsatz

»Friedrich der Große als Feldherr« (hier unter Operationsgeschichte verbucht) bei.

Die beiden anderen Kriegsstudien fragen, wie europäisches Militär auf fremde Kriegskulturen reagierte. Sven Externbrink analysiert aufschlussreich anhand des 2003 edierten Tagebuchs, das Louis-Antoine de Bougainville als Adjutant des Ober- befehlshabers der französischen Truppen in Kanada geführt hat, die amerikanische und die europäische Kriegskultur, die im French and Indian War aufeinandertrafen, und Martin Rink zeigt, welche Karrierechancen sich in der preußischen Armee

»Ausländern« im Kleinen Krieg boten. Dessen Nationalisierung um 1800, die er in die Prozesse von Verstaatlichung und Regulierung einordnet, macht er in biogra- fischen Skizzen anschaulich. Sie demonstrieren das große Potenzial, das in der Ver- bindung von biografischen und systematischen Zugängen liegt. Die anderen frühneuzeitlichen Beiträge umreißen die lange unterschätzte Bedeutung der Land- stände für das Militär im preußischen ›Absolutismus‹ (Wolfgang Neugebauer) und

Militärgeschichtliche Zeitschrift 72 (2013), S. 107–240 © ZMSBw, Potsdam, DOI 10.1515/mgzs-2013-0005

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die wechselseitige Wahrnehmung des Militärwesens in Kursachen und Preußen im 17. und 18. Jahrhundert (Frank Göse), erörtern die Frage, ob der preußische Ge- neral und Kriegsminister Friedrich Wilhelm von Rohdich der Aufklärung oder dem Kameralismus zuzurechen ist (Ralf Pröve) und werten Gerichtsakten (Janine Rischke) und Bildquellen (Angela Strauss) aus, um die Beziehungen zwischen Sol- daten und Bürgern in preußischen Garnisonstädten im 18. Jahrhundert zu erfor- schen.

Wie Bildquellen für die Militärgeschichte fruchtbar gemacht werden können, erläutert auch Matthias Rogg, indem er den eidgenössischen Reisläufer und den habsburgischen Landsknecht als Kriegertypen vergleicht. Wer an Entwicklungsli- nien in diesem Bereich interessiert ist, wird in zwei weiteren Studien fündig: Car- men Winkel fragt, ob man von einer Professionalisierung der Offizierausbildung in Preußen im 18. Jahrhundert sprechen kann – sie blieb informell –, und Gundula Gahlen analysiert (auf der Grundlage ihrer 2011 dazu erschienenen Dissertation) die vielfach prekären Lebensverhältnisse bayerischer Offiziere im 19. Jahrhun- dert.

Alle anderen Beiträge sind dem 20. Jahrhundert gewidmet – mit einer Aus- nahme: Christian Th. Müller beschließt den Band mit »Überlegungen zur Alltags- und Sozialgeschichte des deutschen Militärs« (S. 479–497). Sein Dezifitbericht, ver- bunden mit einem Forschungsprogramm, bezieht auch das 19. Jahrhundert ein, das ansonsten bis auf die Beiträge von Gahlen sowie teilweise von Rink und Stig Förster eine Leerstelle in diesem Band bildet. Förster fragt nach der Rolle der deut- schen militärischen Führung während der Julikrise 1914. Sie habe sich in einem

»polykratischen Chaos« (S. 64) verflüchtigt, in dem Fachleute in »dilettantischer Weise« (S. 82) ihre Entscheidungen getroffen haben.

Der Zeit der Weimarer Republik wenden sich zwei Beiträge zu. Rüdiger Bergien untersucht, die Ergebnisse seiner Dissertation (2012) vertiefend, die sich verän- dernden Motive der Freiwilligen im Grenz- und Landesschutz, während Jürgen Förster einen schon 2009 publizierten kurzen englischsprachigen Text über die Ein- schätzung der Reichswehr in der Weimarer Republik von 1919 bis in die Bundes- republik beisteuert.

Die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft betrachten fünf Beiträge. Paul Fröhlich und Alexander Kranz präsentieren erste Ergebnisse ihrer laufenden, von Kroener betreuten Dissertationsprojekte zu den Wirkungen der neuen Machtzen- tren in der Wehrmachtbürokratie. Während sie deren Funktionalität hervorheben, zeigt Werner Rahn anhand von ausführlich dokumentierten Zeitzeugenberichten die Friktionen zwischen Hitler und der Marineleitung, die zur Ablösung Raeders und zur Ernennung des Hitler ergebenen Dönitz führten. Den Gegenpol der Ver- änderungen, die das NS-Regime im Militär bewirkte, analysiert Winfried Heine- mann, indem er darlegt, wie stark der militärische Widerstand davon motiviert ge- wesen ist. Einen anderen methodisch Zugang zur Erforschung des militärischen und des zivilen Widerstandes erprobt Linda von Keyserlingk mittels einer Netzwerk- analyse, die in der Geschichtswissenschaft noch wenig rezipiert worden ist. Ihre Dissertation, ebenfalls von Kroener betreut, verspricht neue Einsichten. Die natio- nalsozialistische Herrschaft war auf den Krieg angelegt. Doch erst ab 1938 wurde die ›Volksgemeinschaft‹ als ›Wehrgemeinschaft‹ propagiert, wie Bernd Sösemann darlegt. Er zeigt auch, wie die von ihm zur Edition vorbereiteten ›Wochensprüche der NSDAP‹ daran mitgewirkt haben.

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Die Zeit nach 1945 wird wie das 19. Jahrhundert nur knapp thematisiert. Hei- ner Möllers analysiert quellenintensiv, was es für das Verhältnis von politischer und militärischer Führung bedeutete, als Johannes Steinhoff zum Inspekteur der Luft- waffe ernannt wurde, um die »Systemkrise der Luftwaffe« zu beheben, während Hans Ehlert die ›Abwicklung‹ der Nationalen Volksarmee der DDR im Vereini- gungsprozess skizziert. Er greift hier auf eine ausführlichere Studie zurück, die er 2004 publiziert hat.

Bleibt abschließend zu fragen: Ist das Militärgeschichte? Gewiss. Man sollte aber den relativierenden Untertitel dieses Werkes nicht überlesen, um ihm gerecht zu werden.

Dieter Langewiesche

Lohn der Gewalt. Beutepraktiken von der Antike bis zur Neuzeit. Hrsg. von Horst Carl und Hans-Jürgen Bömelburg, Paderborn [u.a.]: Schöningh 2011, 264 S. (= Krieg in der Geschichte, 72), EUR 39,90 [ISBN 978-3-506-77346-3]

Es ist vermutlich nicht der eleganteste Einstieg in ein Buch, wenn die Herausge- ber vorneweg ankündigen, was sie weglassen: Der Band präsentiere das Phäno- men Beute in Einzelstudien und besitze einen klaren Schwerpunkt in der Vormo- derne. Ausgespart blieben also das 20. Jahrhundert mit seinen Weltkriegen ebenso wie die Postmoderne mit ihren »neuen Kriegen«. Mit anderen Worten: der Band hätte einen präziseren Untertitel verdient.

Hat man als Historikerin des 19./20. Jahrhunderts die Enttäuschung verdaut, wird man dafür belohnt: mit einer überaus informierten und spannenden Einlei- tung der beiden Herausgeber sowie fundierten und scharfsinnigen Beiträgen der mitwirkenden Autoren und Autorinnen. Allerdings bleiben viele Texte doch auch Solitäre, und der Dialog über Fachgrenzen gelingt, wieder einmal, nur partiell. Den Hintergrund für den Band bildet die Forschergruppe »Gewaltgemeinschaften«, insbesondere deren Teilprojekt »Lohn der Gewalt«. Um die Diskussion methodisch und perspektivisch zu intensivieren, hatten der Frühneuzeit- und der Osteuropa- historiker der Universität Gießen 2010 zu einer Tagung geladen, deren Beiträge sie hier mit einer Ausnahme dokumentieren.

Beute war, so Horst Carl und Hans-Jürgen Bömelburg, in der Frühen Neuzeit aus- weislich der Oekonomischen Enzyklopädie von Krünitz »Kriegsbeute« – und nichts sonst. Sie wurde unterteilt in legitime und illegitime Beute und konnte Sachen wie Personen umfassen. Für die genauestens definierte Rechtmäßigkeit des Beutema- chens war entscheidend, ob dies »zu rechter Zeit und am rechten Ort« (S. 13) ge- schah. Beute machen hieß also innerhalb eines Krieges Güter ihren Eigentümern ohne Gegenleistung, Entschädigung oder vertraglichen Ausgleich abzunehmen und dabei bestimmte Regeln einzuhalten – man räumte keine Kirchen, Schulen aus oder plünderte, bevor der Sieg errungen war. Auch erbeuten hatte Grenzen und meinte nicht rauben. Diese Norm galt an Land, mehr noch aber auf See. Pira- terie war ein eigenes, bis heute hochaktuelles Phänomen.

Dass Beutepraktiken so eng an den Krieg gekoppelt wurden, so führen die bei- den Autoren weiter aus, hing mit ihrer ubiquitären Erscheinung angesichts der die theatres of war dominierenden Söldnerheere zusammen. Diese wurden wesentlich durch materielle Anreize ausgehoben und zusammengehalten. Hieraus erklären sich auch der immense Aufwand und die Hingabe, mit der Regeln für die Unter-

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scheidung von rechtmäßiger und krimineller Praxis aufgestellt wurden. Und schon damals stellte sich die Frage nach der Dysfunktionalität dieser Gewaltpraxis. Rui- niere Plündern nicht die Kampfmoral der Soldaten, gefährde es nicht die zu orga- nisierende Versorgung der Truppe? Gegen Ende des 18. Jahrhunderts nahmen die Versuche zu, Beutemachen zu regulieren und einzuschränken; Versuche, die aller- dings – die Herausgeber erinnern an dieser Stelle an die Napoleonischen Heere – in der Realität wenig von Erfolg gekrönt waren. Dennoch: Mit der sich wandeln- den Gestalt von Kriegen und damit auch ihrer sich ändernden Legitimation än- derten sich moralische Standards und die Soldaten wurden stärker an diesen ge- messen. Damit nahm die normative Diskreditierung von praeda militari zu.

Wie vielschichtig das von der Geschichtswissenschaft lange vernachlässigte Phänomen Beute ist, kann der Band überzeugend vermitteln. Neben die materi- elle und rechtliche Dimension rücken sozial- und kulturhistorische Fragestel- lungen. Es geht ebenso um Eigenlogiken der vielfältigen Beutepraktiken wie um den symbolischen Mehrwert von Beute, den auf ökonomische Rationalität festlegte Analysen nur schlecht zu erfassen vermögen. So analysiert der Beitrag von Michael Jucker den Zusammenhang von symbolischer, ökonomischer und politischer Qua- lität mittelalterlicher Beuteobjekte. Einen weiten Bogen schlägt der Jurist Christoph Krampe, wenn er anhand von Piraterie-Fällen nach dem privatrechtlichen Ausgleich für die Geschädigten von der Antike bis in die Gegenwart fragt. Mischa Meier wie- derum behandelt die Erstürmung Roms durch Alarich im Jahre 410 und deren In- terpretation durch Orosius. Dieser hatte eingehend die Plünderung der Stadt durch die »Barbaren« nachgezeichnet. Meier widmet dem spätantiken Historiker viel Platz. Dass die Plünderung der Stadt einen nicht wiederherzustellenden Image- schaden bedeutete, wird dabei eher ein Nebenprodukt der Analyse. Die Literatur- wissenschaftlern Cora Dietl widmet sich dem mittelhochdeutschen Versroman Her- zog Ernst und damit einem Gegenmodell der gelungenen Vergemeinschaftung durch Erbeutung. Sie zeigt nämlich, wie in dieser »Sage« Treuebündnisse ge- schmiedet wurden: zwar durch Gaben bzw. das Angebot von Beute, erfolgreicher aber gerade durch den Verzicht auf Raub. Guido M. Berndt untersucht, wie in go- tischen Kriegerverbänden der Spätantike die Faktoren Kriegführung, Mobilität und Beutepraktiken zusammenwirkten. Gerade hohe, oftmals erzwungene Mobi- lität ging zur Selbsterhaltung mit intensiven Raubzügen einher, was diese insta- bilen Kriegergemeinschaften in besonderem Maße dem Kriegsglück aussetzte.

Stefan Xenakis wirft in seinem anregenden Beitrag Schlaglichter auf die konkreten Beutepraktiken von Söldnern im Einzugsgebiet des Schwäbischen Bundes zu Be- ginn des 16. Jahrhunderts. Deutlich wird, wie intensiv die Landsknechte auf ma- terielle Entlohnung hofften, aber auch wie sehr der Kriegsherr sich über die Ver- teilung der Beute als Herrschaftsinstanz inszenieren konnte. Den polnisch-litauischen Kosaken in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts widmet sich Daria Starčenko.

Auch sie weist darauf hin, welch immense Bedeutung Beutezüge als gemeinschafts- stiftende und -erhaltende soziale Praktiken für diese Gewaltverbände besaßen.

Erste Einblicke in seine Forschungen zu Gewaltgebieten im westlichen Balkanraum liefert Andreas Helmedach. Vieh- und Pferdediebstahl, aber auch Sklaverei waren hier als Beutepraktiken von besonderer Bedeutung. Zugleich deutet der Autor an, dass »Hehler«-Netzwerke eine große Rolle gespielt haben müssen, aber kaum Spu- ren in den Quellen hinterlassen haben. Der Band schließt mit einem Sprung nach Ostafrika im 19. Jahrhundert und dem treffenden Wortspiel »Beute deuten«.

Stephanie Zehnle dekliniert am Beispiel der Ruga-Ruga durch, wie wichtig auch hier

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Beutepraktiken für die Vergemeinschaftung von Kriegergruppen gewesen sind, wie bedeutsam sie aber auch für den jeweiligen Kriegsherren waren, um seinen Führungsanspruch durchzusetzen und zu rechtfertigen.

Man darf auf weitere Ergebnisse der Forschungsinitiative gespannt sein, die es dann ermöglichen, noch systematischer das Phänomen dieser Be- wie Entlohnung von Gewalt zu ermessen.

Birthe Kundrus

Piraterie von der Antike bis zur Gegenwart. Hrsg. von Volker Grieb und Sabine Todt. Unter Mitarb. von Sünje Prühlen, Stuttgart: Steiner 2012, 313 S. (= His- torische Mitteilungen, Beih. 81), EUR 59,00 [ISBN 978-3-515-10138-7]

Piraten sind derzeit im Kommen – zwischen Kino, Abendnachricht, Kinderzim- mer. Zumindest im deutschsprachigen Raum waren sie von wissenschaftlichen Untersuchungen kaum behelligt – bis zum Erscheinen der Überblicksstudie von Robert Bohn und der historisch-juridischen Monografie von Michael Kempe (Robert Bohn, Die Piraten, 2. Aufl., München 2005; Michael Kempe, Fluch der Welt- meere. Piraterie, Völkerrecht und internationale Beziehungen 1500–1900, Frank- furt a.M. 2010). Dem Thema sind nun auch Sabine Todt und Volker Grieb gefolgt, die an der HSU/Universität der Bundeswehr Hamburg lehren. Ihr Band versammelt 16 Beiträge aus historischer, ethischer, rechtlicher und politikwissenschaftlicher Sicht.

Wie relevant die Antike für das Verständnis zeitnaher Themen sein kann, zei- gen Burkhard Meißner und Philip de Souza. Ersterer kennzeichnet die altgriechischen Piraten als »Sicherheits- wie Unsicherheitsunternehmer zugleich«, das in einem

»Hochrisiko-Erfahrungsberuf« (S. 24, 45). Dabei verhielten sich staatliche Akteure

»der Piraterie gegenüber [oft] wie failed states in der Gegenwart« (S. 43); oder aber sie nutzten sie zum Kampf gegen Konkurrenzmächte. De Souza zeigt, wie das At- tribut »Pirat« in der römischen Welt zur Delegitimierung des Gegners verwandt wurde (S. 47). Das von hellenistischen Staaten verfolgte Ziel der Piratenbekämp- fung wurde bekanntlich von der spätrömischen Republik vollendet; klassischer- weise bereitete Gnaeus Pompeius den Seeräubern den Garaus. Dabei gilt es aber zu berücksichtigen, dass der Krieg als Spielstätte des Wettbewerbs zwischen den Männern der Elite diente. Die sich herausbildende Konzeption vom gerechten Krieg (bellum iustum) verband sich mit dem Kampf um Prestige, Reichtum und Einfluss (S. 56). De Souza kennzeichnet die Unterscheidung zwischen dem legitim Krieg führenden »Staat« (der aggressiven Imperialmacht Rom) und nicht-staatli- chen »Piraten« (als welche die kleinen Stadtstaaten der südlichen kleinasiatischen Küste galten) als Ausfluss imperialer Propaganda.

Volker Grieb zeigt mediterrane Piraterie in der Übergangszeit zwischen Antike und Mittelalter. Im 6. Jahrhundert verwandelten vandalische, ein Jahrhundert spä- ter arabisch-muslimische Seebeutefahrer das vorherige »mare nostrum« Roms in ein »mare barbaricum«. Wenig überraschend bezieht Detlef Ellmers die Aktionen der Wikinger auf ihre nautischen Fähigkeiten. So wurden um das Jahr 800 die Bri- tischen Inseln von allen Seiten her verwundbar, nicht mehr, wie ehedem, aus- schließlich von Süden. Seeraub war Saisongeschäft. Voraussetzung hierfür war die Akkumulation von Gefolgschaft, Ernährungsbasis und Ruhm, und diese Formen von »Kapital« waren ineinander einlösbar. Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen

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Handelsfahrt an den Küsten der sich ausbildenden nordischen Herrschaftsgebiete und Kriegszügen »außerhalb«. Entgegen der gängigen Erzählung, dass »eine Tren- nung zwischen Händler und Räuber noch nicht bestanden habe« betont Ellmers, dass die für Wikingerzüge maßgebliche Gesellschaftsschicht danach strebte, »auf den Märkten auch die Regeln des friedlichen Handlens strikt einzuhalten, [...] es aber gleichwohl mit ihrem Ehrenkodex vereinbaren konnte, außerhalb ihres Landes Raubzüge durchzuführen« (S. 105).

Stephan Selzer kritisiert die im 19. Jahrhundert geprägten legalistischen und eta- tistischen Auffassungen. Auch auf hansischen Schiffsrouten des Spätmittelalters blieb die »Linie zwischen legitimer und illegitimer Gewaltausübung zur See« flie- ßend. Verbriefte Gewaltausübungsrechte waren dabei zentral: erstens Kaperbriefe, die ein Freibeuter von der Macht erwerben konnte, die durch den Leistungsein- kauf Dritter ihre Feinde zu schädigen trachtete; zweitens Repressalienbriefe, die darauf abzielten, erlittenen Schaden durch äquivalente Schädigung des Schädigers zu sühnen. Natürlich wurden so oft »die Rollen von Tätern und Opfer verdreht«

(S. 122). Selzer zieht von der Umbruchszeit des Spätmittelalters Parallelen zur Ge- genwart: »Die Staaten produzierten die Gewalt mit, aus deren Eindämmung sie Legitimität und Steuereinnahmen zogen« (S. 136). Der Beitrag von Robert Bohn be- leuchtet ein Thema, das in der bisherigen (Nordwest-)Europa-zentrischen Sicht- weise bislang verdrängt war. Auch deutsche Seefahrer aus Hamburg, Bremen oder Lübeck waren von der Frühen Neuzeit bis 1817 durch nordafrikanische Korsaren gefährdet. Die Bedrohung durch Verschleppung in die Sklaverei zeitigte auch blei- bende Innovationen: Das Seeversicherungswesen findet seine Wurzel in den seiner- zeit errichteten Sklavenkassen.

Anhand der sogenannten Piratenrunde zwischen Karibik und Indischem Ozean erörtert Michael Kempe Zusammenhänge zwischen globalisierter Seeräuberei und transnationaler Politik um 1700. Piraten erschlossen Handelsrouten, durchaus zum Nutzen ihrer Herkunftsländer; deren Marinen jedoch bereiteten diesen ihr Ende, nachdem sie ihre Aktivitäten als illegal deklariert hatten.

Obwohl durch keine eigene Sektion getrennt, sind die folgenden Beiträge im Buch interdisziplinär und gegenwartsbezogen ausgerichtet. Indem er zwischen Somalia-internen, afrikanischen/arabischen und globalen Akteuren unterscheidet, erörtert Belachev Gebrewold die Ursachen von staatlichem Kollaps und Anarchie in Somalia. Gerade der »Westen« erfährt Kritik. Die US-amerikanische Politik des

»counter-terrorism« erweise sich als selbsterfüllende Prophezeiung (S. 214). Die Frage, ob der militärische Kampf gegen Piraterie ethisch legitimiert sei, erörtert Volker Stümke anhand eines fünfstufigen, am Konzept des »gerechten Krieges« aus- gerichteten Prüfschemas. Sein Ergebnis: Ja, der Einsatz gegen Piraterie sei gerecht- fertigt; nein, im vorliegenden Fall sei er unverhältnismäßig. Als früher selbst Ver- antwortlicher schildert Lutz Feldt praktische Probleme und normative Hindernisse, die dem effektiven militärischen Einsatz gegen die Piraterie im Wege stehen. Das freimütige Fazit des von 2003 bis 2006 amtierenden Inspekteurs der Deutschen Ma- rine betont nicht zuletzt die Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Ressorts der Bundesregierung. In seiner ökonomischen Betrachtung kommt Stefan Bayer aber zum Ergebnis, dass die vorherrschende Form des Anti-Pirateneinsatzes un- wirtschaftlich sei: Private Gewinne von Reedereien und anderen Wirtschaftssub- jekten würden durch den Einsatz staatlicher Marinen auf die Allgemeinheit um- gelegt. Dagegen versichert Dirk Max Johns als Vertreter des Verbandes Deutscher Reeder, dass kein Piratenaufschlag bei den Frachtraten existiere. Nach wie vor

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lehne die deutsche Handelsschifffahrt eine Bewaffnung ihrer Besatzungen ab;

»nach anfänglichem Zögern« sei sie nun aber »bereit, bewaffnete Kräfte an Bord zu nehmen, um Übergriffe abzuwehren. Dies müssten aber zwingend staatliche Kräfte sein« (S. 238). Ist diese Aussage noch aktuell?

Andreas von Arnauld diskutiert die völkerrechtlichen Aspekte. Per definitionem betreffe Piraterie nur die Hohe See. Innerhalb der 12-Meilen-Zone zählten Über- fälle zur normalen Kriminalität und müssten vom zuständigen Staat geahndet wer- den. Mit dieser Prämisse – Staatlichkeit und Hohe See – macht er deutlich, wie in- kompatibel der juristisch korrekte Pirateriebegriff mit den historischen Phänomenen ist. Den klaren Kriterien seiner Fachwissenschaft folgend, erteilt der Autor einer bereichsübergreifenden Synthese – und daraus möglicherweise resultierenden Handlungsspielräumen für Sicherheitsakteure – eine Absage: »Statt Sicherheitsri- siken pauschal zu verquicken und einem modischen Vernetzungsdenken zu hul- digen, fordert das Völkerrecht hier zu Recht differenzierende Antworten ein«

(S. 224). Solche formal-juristische Argumentation betont das Recht ungeachtet sei- ner Folgen. Eine Seite später dreht es der Autor aber um: Die »Probleme der Kriegs- logik eines war on terror« seien bar jeder Verhältnismäßigkeit. Das rekurriert nun auf die Folgen! Beide Argumentationsstränge sind für sich plausibel, doch zusam- men inkompatibel. Ausführlich diskutiert Arnauld, dass ein Einsatz gegen Piraten rechtsstaatliche Standards und auch deren Menschenrechte wahren müsse (S. 230);

wohl wahr. Doch müssten dann die (zur Entstehungszeit des Buches 2010) 600 in Geiselhaft verschleppten Seeleute ebenfalls Berücksichtigung finden! Als Grund- problem erweist sich indessen etwas Anderes: Die Jurisprudenz setzt das Westfä- lische System staatlicher Souveränität dogmatisch voraus. Dessen nur sehr rela- tive Gültigkeit haben aber Historiker (vgl. Kempe, S. 177) zuvor eindrücklich aufgezeigt! Und überhaupt entstanden frühneuzeitliche Grundlagen von Völker- recht wie Ökonomie – Freiheit der Meere und Freihandel – angesichts der Aktivi- täten europäischer Seebeutefahrer. Diese aber agierten, je nach Perspektive, mal als rechtmäßige Kaperfahrer, mal als illegale Piraten. (Und deshalb sei Juristen wie Historikern Kempes Fluch der Weltmeere nachdrücklich zur Lektüre empfohlen.)

Johannes Marbach zeigt die Verarbeitung des Piratentopos in Literatur, Oper und Film. In der Entwicklung vom (vermeintlichen) Zeitzeugenbericht zur Abenteuer- literatur und dann zum Film wurden (und werden) Vorstellungen fortwährend re- produziert. Auch Volker Grieb betont in seinem Resümee, dass die kulturelle Ver- arbeitung einschließlich der Romantisierung von Piraterie erst einsetzt(e), nachdem die Gefahr gebannt war. Aufmerksamkeit verdient der letzte Absatz im Buch: »Glo- bale Vernetzung und die weltweite Etablierung von staatlichen Strukturen lassen für Piraterie heutzutage nur noch wenige Seegebiete übrig, in denen sie sich ent- falten kann, wenngleich der Güter- und Schiffsverkehr auf den Weltmeeren heut- zutage größer ist als jemals zuvor [...] Failed states wie Somalia [...] bieten der Pi- raterie dennoch weltweit immer wieder Ausbreitungsbedingungen, die in früheren Epochen weitaus vielfältiger anzutreffen waren, und zeigen zugleich, dass auch zukünftig notwendige Freiräume und Ausbreitungsbedingungen für Piraterie be- stehen werden, wenn eine internationale Gemeinschaft nicht die notwendigen An- strengungen zu deren Eindämmung und Bekämpfung unternimmt« (S. 300 f.). Die Abkehr vom bisweilen geäußerten Alarmismus verdeutlicht den Wert einer inter- disziplinären Analyse, ohne das Thema zu verniedlichen.

Einige Formalien sind zu beanstanden: Der Verzicht auf allzu häufig wieder- verwendete Zitate (so S. 7 und 29, 26 und 48) hätte den Ertrag nicht geschmälert.

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Und dass es sich bei Lutz Feldt nicht um den »Generalinspekteur der Marine« han- delt, zu dem ihn die Herausgeber (S. 310) befördert haben, hätten diese eigentlich wissen können. Alles in allem ist es ihnen jedoch gelungen, das Thema Piraterie wohltuend kontrastreich auszuloten.

Martin Rink

Robert C. Doyle, The Enemy in Our Hands. America‘s Treatment of Enemy Prisoners of War from the Revolution to the War on Terror, Lexington, KY:

University Press of Kentucky 2011, XX, 468 S., $ 24.95 [ISBN 978-0-8131-3459-8]

Mit dem vorliegenden Band legt Robert C. Doyle so etwas wie eine Bilanz seiner beruflichen Beschäftigung mit der Kriegsgefangenschaft vor. Sein Vorhaben ist neu und ambitioniert: Er schreibt eine Geschichte der Behandlung feindlicher Kriegs- gefangener durch die USA seit dem Unabhängigkeitskrieg bis zu den Invasionen in den Irak und in Afghanistan. Die Liste der Kriege ist beeindruckend: Sie um- fasst den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und den Krieg von 1812, den Krieg zwischen den USA und Mexiko von 1846 bis 1848, den Bürgerkrieg, die Indianer- kriege, den Krieg gegen Spanien von 1898 und den philippinischen Aufstand, den Ersten und den Zweiten Weltkrieg, den Korea-Krieg und den Vietnam-Krieg, die Invasionen in Grenada und Panama, die beiden Kriege gegen den Irak und die In- vasion in Afghanistan – und somit nicht nur »klassische« Kriege zwischen Staaten, sondern alle Konflikte, in die die USA verwickelt waren. Dabei beschränkt er sich nicht einmal auf die Soldaten, sondern bezieht auch noch die internierten Feind- staatenangehörigen und die internierten eigenen Staatsangehörigen mit ein. Einem solchen Versuch allein schon gebührt Respekt, im Wesentlichen kann er auch als gelungen bezeichnet werden.

Der Autor sieht die Entwicklung der US-amerikanischen Kriegsgefangenenpo- litik als eine quasi aufsteigende Linie, als eine Erfolgsgeschichte, deren Krönung das amerikanische Verhalten im Zweiten Weltkrieg darstellt, in dem sich die USA vorbildlich an die Regeln des humanitären Völkerrechts gehalten hätten. Den ent- scheidenden Wendepunkt bildete dann der Anschlag vom 11. September 2001 auf das World Trade Center. Den – vorläufigen – Tiefpunkt der Entwicklung besch- reibt der Autor so: »On 17 January 2002 the Pentagon announced that Taliban pris- oners would not receive the protection of POW status under the Geneva Conven- tion. Because they were ›unlawful combatants‹, they were considered ›detainees‹, and would be taken to the new detention facility at Guantánamo bay, Cuba. Gone were the traditional notions of the Golden Rule, and a new paradigm emerged, one that not only fit cold and hardened military necessity but also disturbed the ideas of reciprocity and the moral high ground« (S. 346). Dass Doyle diese Ent- wicklung nicht gut heißt, kann man seinem Resumée entnehmen, wenn er schreibt:

»How we as Americans treat enemy prisoners who wage war against us speaks volumes about who and what we are. Although there is always hope that the reci- procity-based Golden Rule will reemerge as a guideline for the wars of the twenty- first century, perhaps the nations of the world should gather again do devise a more flexible international convention that addresses the new paradigms of war and captivity« (S. 349).

So interessant – und für einen US-Historiker erstaunlich kritisch – diese These ist, scheinen doch ein paar Bemerkungen angebracht. Wenn Doyle die US-Kriegs-

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gefangenenpolitik im Zweiten Weltkrieg als den »moral high ground« beschreibt, dann hat er im Wesentlichen sicher Recht, allerdings übersieht er da so manchen Schönheitsfleck. Die »Rheinwiesenlager« werden zwar noch in der Einleitung ex- plizit erwähnt, nicht aber in der folgenden Darstellung. Amerikanische Verbrechen gegenüber Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg, wie die Ermordung von 76 deutschen und italienischen Kriegsgefangenen im Juli 1943 durch US-Truppen, die häufige Ermordung von japanischen Soldaten, die sich gefangen geben wollten oder die weit verbreitete Misshandlung von Waffen-SS-Soldaten an der Westfront 1944/45 werden nicht erwähnt.

Ein zweites Problem liegt in der verwendeten Literatur. Der Autor kann Deutsch und kennt sich mit der deutschen Literatur aus, wie er in früheren Studien bewie- sen hat. Im vorliegenden Band sind – möglicherweise mit Rücksicht auf das anglo- amerikanische Publikum – nur englischsprachige Veröffentlichungen nachgewie- sen. Schwieriger noch ist der Umstand, dass der Autor sich – mit Ausnahme der Literatur, die sich auf die jüngsten Kriege bezieht – weitestgehend auf Veröffent- lichungen aus der Zeit vor dem Jahr 2000 beschränkt und damit die doch erheb- liche Entwicklung der Forschung in den letzten Jahren ignoriert.

Insgesamt hat Robert C. Doyle trotz kleiner Schwächen seiner Arbeit eine inte- ressante Studie vorgelegt. Bleibt abzuwarten, ob seine Prognose eintrifft, dass es zu neuen, abgesenkten Standards des humanitären Völkerrechts kommen wird – hoffentlich nicht.

Rüdiger Overmans Maritime Wirtschaft in Deutschland. Schifffahrt – Werften – Handel – See- macht im 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. von Jürgen Elvert, Sigurd Hess und Heinrich Walle, Stuttgart: Steiner 2012, 228 S. (= Historische Mitteilungen, Beih. 82), EUR 36,00 [ISBN 978-3-515-10137-0]

Dieser Band enthält in den vier Sektionen »Schiffahrt«, »Werftindustrie«, »Han- del« und »Seemacht« die 13 Vorträge einer im November 2010 in Hamburg veran- stalteten schifffahrtshistorischen Tagung der Deutschen Gesellschaft für Schiff- fahrts- und Marinegeschichte (DGSM) mit den Kooperationspartnern Deutsches Maritimes Institut und Ranke-Gesellschaft. Referenten, Sektionsleiter und Heraus- geber werden auf drei Seiten vorgestellt; ein Namensregister nimmt sechseinhalb Seiten ein.

»Wir alle sind in irgendeiner Form vom Meer abhängig. Das Meer und die Deut- schen ist ein besonderes Thema – mehr Menschen müssen erkennen, welche ele- mentare Bedeutung die See für unsere hochindustriealisierte, dienstleistungsorien- tierte und führende Handels- und Schiffahrtsnation hat« (Sigurd Hess, S. 9). Diese Feststellung ist so wahr und einleuchtend, dass man sich fragt, wieso sie nicht Richtlinie für das Handeln der Bundesregierungen und Allgemeingut im Bewusst- sein auch der küstenfernen Bevölkerung ist.

Die »Einführung« zur ersten Sektion »Schiffahrt« von Heinrich Walle ist mit 16½ Seiten eindeutig zu lang und nimmt wesentliche Aussagen späterer Vorträge vorweg. Melanie Leonhard (»Rickmers: Vom Segelschiff zum Konzern; Schiffahrt, Schiffbau, Handel 1834–1918«) stellt die faszinierende Entwicklung eines Werftbe- sitzers zum Reeder und Handelsherrn, aber auch firmen- und familieninternen Streit dar. Brigitte Braasch (»Die Entwicklung des Tourismus über den Atlantik am

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Beispiel der [britischen] Cunard Linie«) behandelt einen im Kontext des heutigen Seetouristik-Booms historisch interessanten Aspekt. In der Sektion »Werftindus- trie« schildert Dirk J. Peters »Die Entwicklung der deutschen Werftindustrie von 1850 bis 1914 und ihre Beziehung zu Großbritannien«. Hier liest man u.a., wie der deutsche Schiffbau (allzu) lange am Holz festhielt und ab etwa 1880 mit Schiffs- neubauten aus Stahl rasant aufholte. Zwar wuchs u.a. wegen des tirpitzschen Flot- tenbaus die deutsche Werftindustrie erheblich, nahm auch 1912 mit 13,5 Prozent vom Weltschiffbau den 2. Platz ein, blieb aber weit hinter Großbritannien mit 63 Prozent zurück. Die Beziehungen zur deutschen Eisenindustrie waren lange schwach entwickelt – vielleicht auf das binnenländische Unverständnis für mari- time Fragen zurückzuführen? – Einmal überflügelte der deutsche Schiffbau jedoch den britischen, nachzulesen im Beitrag »Armstronmg, Vulcan & Schichau: Deutsch- englische Werftrivalität um die chinesische Marine zwischen 1870 und 1895« von Cord Eberspächer. Nebenbei erfährt der Leser dort einiges über die Entwicklung der chinesischen Marine schon im 19. Jahrhundert – entgegen der Vorstellung, die ge- genwärtige Entwicklung der Marine der Volksrepublik China wäre ein Novum in der chinesischen Geschichte. Interessant ist, wie die deutsche Werftindustrie im Wettbewerb um chinesische Aufträge gewonnene Erfahrungen nutzte, u.a. mit Hilfe eines sehr effektiven Netzwerkes zugunsten maritimer Belange.

Johanna Meyer-Lenz (»Deutschland als Nachzügler? Blohm & Voss 1877–1914:

Ein Unternehmen des industrialisierten Großschiffbaus«) betrachtet diese Firmen- geschichte vor dem Hintergrund von Wachstum und Konkurrenz des weltweiten Großschiffbaus. Darüber hinaus ist die Verflechtung Hamburger Banken, Reeder und Familien von besonderem Interesse. – Ein (auch) skurriles Kapitel weniger des deutschen Schiffbaus als eher der deutschen Atompolitik beschreibt der Beitrag von Hajo Neumann: »Werftindustrie und technologischer ›spin-off‹ am Beispiel NS [Nuklearsschiff] Otto Hahn«. Während die »Otto Hahn« nur 20 000 BRT hatte, wurden damals eigentlich nur Massengutfrachter ab 200 000 BRT als wirtschaft- lich rentabel angesehen. – In der Sektion ›Handel‹ bietet vor allem der Beitrag

»Handel im Zeichen der Globalisierung. Von der Verwundbarkeit des Reichtums gestern und heute« von Franz Böni Erkenntnisse über Hintergründe des somali- schen Piratenwesens, seiner Gefahren (z.B. abschreckende Wirkung auf diejenigen, die sich für maritime Berufe interessieren!) und Möglichkeiten seiner Bekämpfung bis hin zur (eventuellen) Beendigung. Erhellend ist auch Bönis Feststellung, dass es zwar UN-Maßnahmen gegen Piraterie gibt, aber keine gegen die von Industrie- nationen betriebene illegale Großfischerei, deren eine Folge ja die Piraterie ist!

Drei Beiträge der Sektion »Seemacht«: »Zur Ideologie von Seemacht« (Rolf Hob- son), »Flotten und Flottenrüstung im 20. Jahrhundert« (Michael Epkenhans), »See- macht und Geschichte – der Aufbau der Seemacht im kaiserlichen Deutschland«

(Andrew Lambert), sind stark theorielastig geraten bzw. bieten wenig Neues. Thomas Kossendey (Parl. Staatssekretärs beim Bundesminister der Verteidigung) beklagt in

»Deutschland und die See im 21. Jahrhundert« erneut die »Beziehungslosigkeit weiter Kreise der Bevölkerung und der Politik zu maritimen Belangen«, beschwört die strategische Bedeutung der See und die Sicherheit der Weltmeere für Deutsch- land und prophezeit: »Das maritime Jahrhundert kann nicht ohne Folgen für die Bundeswehr bleiben« (S. 216). Letztlich stellt er seine Bekenntnisse und Forde- rungen (z.B. nach einem leistungsfähigen Marineschiffbau) unter den alles domi- nierenden Finanzierungsvorbehalt und endet mit der ebenso fantasieanregenden wie ernüchternden Feststellung: »Im Verhältnis zwischen Deutschland und der

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See wird es wahrscheinlich auch im 21. Jahrhundert allenfalls für eine Vernunft- ehe reichen. Dann aber würde die Bundesrepublik Deutschland ihre Sicherheit und Prosperität immerhin mehr als bislang von der See her denken.« Dieses Fazit allerdings schließt den Kreis zur o.a. Eingangsgbemerkung des DGSM-Vorsitzen- den und führt zu der Hoffnung, dass diesem Band mit den Vorträgen einer hoch- karätig besetzten Tagung in Hamburg Aufmerksamkeit auch beim »küstenfernen«, eher desinteressierten Publikum erfährt, woraus sich Wissenszuwachs, Bewusst- seinswandel und letztlich tatsächlich maritim orientiertes Handeln ergibt.

Dieter Hartwig

Guntram Schulze-Wegener, Das Eiserne Kreuz in der deutschen Geschichte.

In Zusammenarbeit mit dem Wehrgeschichtlichen Museum Rastatt, Graz:

Ares 2012, 174 S., EUR 29,90 [ISBN 978-3-902732-06-4]

Jeder Rekrut und jede Rekrutin lernt etwas über das Eiserne Kreuz (EK), der »Rei- bert« geht darauf ein, auf Panzern und Flugzeugen findet es ebenso Verwendung wie als Logo der Bundeswehr. Kann man zu diesem Standardthema anlässlich des 200. Geburtstag noch etwas Neues schreiben?

Man könnte durchaus. Der vorliegende reich illustrierte Band, an dem Histo- riker, Museumsfachleute und Ordenskundige mitgewirkt haben, zeigt es ein- drucksvoll aber auch zwiespältig. Er dient als Begleitband einer Ausstellung des Wehrgeschichtlichen Museums Rastatt und wendet sich somit an ein breites Pu- blikum. Vermutlich deshalb wurde leider auf einen wissenschaftlichen Apparat verzichtet, lediglich ein zweiseitiges Literaturverzeichnis existiert.

Positiv hervorzuheben ist, dass sämtliche Varianten des Eisernen Kreuzes der Ausführungen 1813, 1870, 1914, 1939 und 1957 in allen Klassen nebst Großkreuz sowie Ritterkreuz (RK) mit den Zusätzen Eichenlaub, Schwertern und Brillanten als Vorder- und Rückseite abgebildet sind. Hinzu kommen Fotos, welche die Her- stellung, die Träger und andere Orden bzw. Auszeichnungen zeigen. Bilder von Kriegerdenkmalen und allerlei Gegenständen, die mit dem EK geziert waren, run- den die Sache ab. Darüberhinaus sind die entsprechenden Verordnungen über die Stiftungen und Neustiftungen des EK abgedruckt, teilweise als Faksimile. Die Zah- len der Verleihungen sind ausgiebig dokumentiert. Somit kann sich zum einen die geneigte Leserschaft ihr Urteil bilden, zum anderen handelt es sich um eine Fund- grube für all diejenigen, die Unterrichtseinheiten gestalten müssen.

Ob in einem solchen Werk – vermutlich analog zur Ausstellung – mit Reiz- überschriften gearbeitet werden soll, ob damit gearbeitet werden darf, oder aber ob damit sogar gearbeitet werden muss, über all das lässt sich trefflich streiten. Der Autor oder der Verlag hat sich für knappe Reizüberschriften entschieden, die aber auch abstoßend wirken können, besonders dann, wenn sie historische Vielfalt und Diskurse eher glätten. Das Werk selbst orientiert sich an der Chronologie und glie- dert sich nach Vor- und Geleitwort, sowie der Einleitung (»Orden und Ehrenzei- chen – Ein Symbol von Wertschätzung und Individualität«, S. 13–16) in fünf Kapi- tel: »Gegen die Fremdherrschaft: 1813« (S. 19–55), »Das deutsche Volk ist eins:

1870« (S. 59–80), »Heil Dir im Siegerkranz: 1914« (S. 83–112), »Für Führer, Volk und Vaterland: 1939« (S. 115–154, »Wert und Unwert: 1957« (S. 157–164) und »Nach- wort: Der Dank der Demokratie« (S. 165–170). Damit stellt sich aber die Frage, ob die Kriege 1813 bis 1815 wirklich nur als Kampf gegen die Fremdherrschaft im

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Sinne der Befreiungskriege oder vielleicht auch als Streit für die Freiheit im Sinne von Freiheitskriegen zu sehen sind. Der Autor entscheidet sich in Text, Diktion und Wertung für die erste Variante. Gleiches gilt für das angeblich geeinte Volk im Jahre 1870, also zu einem Zeitpunkt, als das neue Kaiserreich noch nicht einmal prokla- miert war, das zudem nur eine kleindeutsche Lösung unter preußischer Führung, dafür aber mit nicht zu unterschätzenden nationalen Minderheiten umfasste. Die Überschrift zu dem Kapitel über den Ersten Weltkrieg »Heil Dir im Siegerkranz«

klingt bei einem verlorenen Krieg nach bewusster Ironie. All diese Wertungen wer- den nur begrenzt in einem fragenden Stil problematisiert oder gar als offene The- men angesprochen, vielmehr letztlich in einem tendenziell eher pro-borrussischen Geschichtsverständnis mit eher traditionellen Formulierungen einfach gesetzt. Der Rezensent gibt aber fairerweise zu, dass er Selbiges schon aufgrund seiner »weiß- blauen« (bayerischen) Herkunft nur äußerst eingeschränkt teilt.

Sehr viel besser ist aus Sicht des Rezensenten der Abschnitt über den Zweiten Weltkrieg geraten. Hier wird die nun beendete Konkurrenzsituation zwischen den alten Halsorden der Monarchien und dem EK ebenso behandelt wie deren Aufhe- bung zugunsten des neuen RK und der Frage nachgegangen, inwieweit und in welcher Form das NS-Regime hier Althergebrachtes mit Neuem kombinierte. Dazu gehört der Wegfall des preußischen schwarz-weißen Bandes und damit auch der Unterschied zwischen Ausführungen für Kämpfer und Nicht-Kämpfer. Allein für Führung und direkter Aktivität vor dem Feind wurden EK/RK nun mit schwarz- weiß-rotem Band in den Reichsfarben verliehen. Der Autor hebt zu Recht hervor, dass erst 1939 das EK als »Orden« angesprochen wurde, 1813 war es eine Auszeich- nung und 1870 sowie 1914 sprach man vom »Ordenszeichen«. Er hebt die Steige- rung der Bedeutung des EK in dieser Zeit hervor. Leider gerät ihm die Abwertung des EK durch die Diskriminierung und Ermordung von »nichtarischen« EK-Vete- ranen des Ersten Weltkrieges arg kurz, sieht man einmal von dem sehr eindrucks- vollen Foto auf S. 134 ab, dass einen Insassen des Lodzer-Ghettos mit EK II und

»Judenstern« zeigt. Auch die EK- bzw. RK-Träger aus den Reihen der Männer des 20. Juli 1944 und deren Schicksal sind unterrepräsentiert, die Trägerinnen dieser Auszeichnungen werden erwähnt. Das letzte Kapitel und das Nachwort spannen den Bogen hin zur Bundeswehr und bis in die jüngste Gegenwart.

Insgesamt hinterlässt das Buch einen zwiespältigen Eindruck: Einerseits loten qualitativ hochwertige Abbildungen in reicher Zahl das Thema weit aus und wer- den durch die vielen Quellen sinnvoll ergänzt. Andererseits finden sich Formulie- rungen und Wertungen, die eher in vergangene Zeiten als in das frühe 21. Jahr- hundert passen, die Ausführungen für die Zeit 1939 bis 1945 sowie die Passagen für die Nachkriegszeit zum größten Teil ausgenommen.

Warum ein in Österreich beheimateter Verlag, über zehn Jahre nach der Öff- nung aller Laufbahnen der Bundeswehr für Frauen, das Buch ausgerechnet »DEM DEUTSCHEN SOLDATEN« in der ausschließlich männlichen Formt, widmet, bleibt ebenso ein Rätsel wie die Ansprache des EK im Vorwort als »Orden für Ver- dienste um das Vaterland«, die dann an anderer Stelle zugunsten der Unterschei- dung zwischen Orden, Auszeichnung und Ordenszeichen wieder aufgegeben wird.

Harald Potempa

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Michael Peters, Geschichte Frankens. Von der Zeit Napoleons bis zur Gegen- wart, Gernsbach: Katz 2011, 333 S., EUR 32,00 [ISBN 978-3-938047-57-6]

»Leider lässt Michael Peters seine Geschichte der Franken schon mit dem Fall Bayreuths an Bayern im Jahre 1810 enden. Die spannenden 200 Jahre bis heute wä- ren nicht weniger interessant und angesichts der über 1700 Jahre zusammenhän- genden Kulturgeschichte auf wenigen Seiten zumindest skizzierbar gewesen«, so schrieb der Rezensent in der MGZ, 69 (2010) auf Seite 330 über Band 1 der Ge- schichte Frankens. Zu dieser Zeit arbeitete Michael Peters bereits am Folgeband.

Das hier vorzustellende Buch schließt die angemahnte Lücke, die Rezension soll daher auch eine kleine Wiedergutmachung für die vorschnelle Kritik sein.

Der Autor nimmt mit der Auflösung des »Alten Reiches«, als die fränkischen Gebiete den Königreichen Bayern und Württemberg sowie dem Großherzogtum Baden zugeschlagen wurden, den Faden des Vorgängerbandes auf und arbeitet sich in sechs chronologisch und drei thematisch angelegten Kapiteln durch die letzten zweihundert Jahre fränkischer Geschichte. Die auf dem Schutzumschlag zu sehende ICE-Hochgeschwindigkeitstrasse bei Veitshöchheim steht dabei für das moderne Franken. Den ersten Band schmückte noch die idyllische Alte Main- brücke in Würzburg, Symbol barocker Blütezeit.

Von den 27 Landesherrschaften, 25 Reichsgrafschaften und 5 Reichsstädten blieben ab 1837 drei Regierungsbezirke, Ober-, Mittel- und Unterfranken. Bayerns König Ludwig I. garantierte mit seiner Verwaltungseinteilung das Überleben eines

»fränkischen Bewusstseins«, das bis heute letztendlich auch die Separationsidee speist. Im deutschen Vormärz sollte die »fränkische Opposition« im bayerischen Landtag sprichwörtlich werden.

Von Beginn an waren die Beziehungen zu München schwierig. Bereits 1802 be- setzten bayerische Truppen die von Napoleon in Aussicht gestellten Landstriche.

Danach folgte ein bis heute beklagter Verlust von Kulturgütern, vor allem durch die Auflösung zahlreicher Klöster im Zuge der Säkularisation. Dafür gründeten sich allerorten Historische Vereine und das bayerische Staatswappen wurde um den fränkischen Rechen ergänzt. Die Integration der altfränkischen Gebiete in Württemberg und in Baden wurde hingegen mit deutlich weniger Symbolik und Rücksichtnahmen durchgeführt.

Freiheit und Unabhängigkeit waren die politischen Losungen des 19. Jahrhun- derts. In Franken wurden Verfassungsfeiern und Sängerfeste, wie 1845 das erste deutsche Sängerfest in Würzburg, veranstaltet. Nikolaus Titus forderte als demo- kratisch-republikanischer Abgeordneter des Frankfurter Parlaments die Abschaf- fung der Monarchie und die Errichtung eines föderativen Staatenbundes. Dabei spielten seine politischen Erfahrungen in der fränkischen Heimat sicher eine große Rolle.

Das folgende Kapitel über die Geschichte Frankens im Deutschen Kaiserreich mutet etwas anekdotisch und oberflächlich an. Die Bedeutung des Bismarckschen Vertrauten Chlodwig von Hohenlohe-Schillingsfürst oder des Bismarckgegners Georg Arbogast von und zu Franckenstein lassen ebenso wenig Rückschlüsse auf das Leben in Franken zu wie die hochherrschaftlichen Besucher Frankens bei Ma- növern oder in Kurbädern – viel eher schon die Ausführungen zum regen Vereins- leben und über den Kriegsalltag bis 1918, hier vor allem über die Januarstreiks im letzten Kriegsjahr. Mit 45 000 Streikenden fand in Nürnberg die größte Kundge- bung statt. Bemerkenswert ist die »Bamberger Verfassung« vom August 1919 auf

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der einen und die »Bamberger Erklärung« des Alldeutschen Verbandes vom Fe- bruar 1919 auf der anderen Seite. Erstere gilt als die erste demokratische Konsti- tution Bayerns, die zweite war ein früher Sargnagel für die junge Demokratie.

Das Kapitel über Franken im Nationalsozialismus ist besonders lesenswert.

Hier gelingt dem Autor eine unaufgeregte und doch kritische Darstellung der Zeit- läufte bis 1945. Ausgehend vom »Deutschen Tag« in Coburg im Herbst 1922, einer Großveranstaltung Vaterländischer Vereine, die Adolf Hitler als Festredner eine erste Bühne boten, über Gunzenhausen als Hochburg der Nationalsozialisten bis hin zum Gau Franken unter Julius Streicher mit den Reichsparteitagen in Nürn- berg, wird das ganze Ausmaß der Verstrickung der fränkischen Bevölkerung of- fen gelegt. Die lange Geschichte der Juden in Franken und die prägende Reichs- idee machten viele Franken anfällig für die Ideen Hitlers. Peters schreibt von der

»fränkischen Machtbasis«, die den Aufstieg der Partei trug (S. 217). Wenige Jahre später standen Städte wie Nürnberg, Heilbronn, Schweinfurt und vor allem Würz- burg nach schweren Luftangriffen in Flammen.

Der Kalte Krieg rückte Franken an den (Zonen-)Rand, teilweise verlief die neue Grenze durch fränkische Ortschaften wie in Mödlareuth. Dennoch gelang der wirt- schaftliche Wiederaufstieg, auch mit Hilfe der vielen Heimatvertriebenen und durch Unternehmen, die sich im Westen neu ansiedelten. Die fränkische Porzel- lan- und Spielzeugindustrie erblühte wieder, das Versandhaus Quelle oder die Firma Siemens in Erlangen standen für das gesamte »Wirtschaftswunderland«.

Nicht viel weniger spannend sind die militärgeschichtlichen Aspekte, zumal gerade die letzten 200 Jahre von kriegerischen Ereignissen geprägt waren. Auch in Franken, einem klassischen Durchzugsgebiet für Truppen, lassen sich eine Fülle interessanter Themen finden. Es beginnt mit den Franzosen, die im September 1796 bei Oberpleichfeld eine empfindliche Niederlage gegen die Österreicher unter Erz- herzog Karl einstecken mussten. Napoleon unterzeichnete 1806 in Würzburg die Mobilmachung gegen Preußen. In Coburg kam es zu ersten Kampfhandlungen in diesem neuen Krieg. In den Zollerschen Gebieten gab es eine fränkische Unter- grundbewegung gegen den französischen Kaiser, 1808 wurde die »Fränkische Le- gion« im Bayreuther Land aufgestellt. Knapp sechzig Jahre später wurde Main- franken Kriegsgebiet, als bayerische Truppen gegen die vorrückenden Preußen kämpften. Theodor Fontane wiederum berichtete von der Besetzung Bayreuths, Erlangens und Nürnbergs durch die preußische Armee. Rund 80 Jahre später, zum Ende des Zweiten Weltkrieges, sollten wieder Kampfhandlungen auf fränkischem Boden stattfinden. Zwei amerikanische Armeen rückten Richtung Osten vor. Der aussichtslose und verlustreiche Kampf konnte nur an wenigen Stellen frühzeitig beendet werden, wenn sich couragierte Menschen unter Lebensgefahr gegen fa- natisierte Restgruppen der Wehrmacht oder der SS durchsetzen konnten. In Och- senfurt und Gerolzhofen waren es die Frauen, die ihre Städte vor der Zerstörung retteten.

In seinem ersten thematischen Kapitel wendet sich der Autor der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Frankens im 19. Jahrhundert zu. Der Leser erfährt viel Neues über die frühe Wirtschaftsregion Nürnberg–Fürth–Erlangen, über die Genossen- schaften und Sparkassen – die erste Sparkasse Bayerns wurde 1821 in Nürnberg gegründet – sowie über den Eisenbahn- und den Kanalbau. Auch die Geschichte einzelner Firmen, wie die von Faber-Castell, der Druckmaschinenfabrik Koenig &

Bauer in Würzburg oder der Fischer-Kugelwerke und Fichtel & Sachs in Schwein- furt, werden kurz skizziert.

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Ein zweites thematisches Kapitel widmet sich den »berühmten Franken«. Die beachtliche Bandbreite, vom Architekten Washingtons, Adolf Cluss (1825–1905), über die Kunstmalerin Julie Gräfin von Egloffstein (1792–1869) bis hin zum Kaval- leriegeneral und Politiker Konstantin Freiherr von Gebsattel (1854–1932), wird mit biografischen Skizzen unterstrichen und durch Nennung zahlreicher anderer wie Jean Paul, den bereits erwähnten Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst, Thomas Dehler oder Henry Kissinger ergänzt. Schwer nachvollziehbar ist hinge- gen, Alfons Goppel und Franz Josef Strauß als »Franken unter den Ministerpräsi- denten« (S. 258) zu bezeichnen. Goppel, gebürtiger Regensburger, war zwar lange Jahre in Aschaffenburg tätig und Vater Strauß kam aus Mittelfranken, jedoch hät- ten vielmehr Hans Ehard aus Bamberg oder Günther Beckstein als erster evange- lischer Ministerpräsident des Freistaates genannt werden müssen.

Schließlich das dritte Kapitel dieser Art über das fränkische Musikleben. Na- turgemäß nimmt Richard Wagner breiten Raum ein. Auch die großen Orchester, allen voran die Bamberger Symphoniker, finden ebenso ihre Würdigung wie die Fränkischen Musiktage in Alzenau. Allerdings fehlen ein paar Zeilen über die frän- kische Hausmusik, über Lieder wie »Auf du junger Wandersmann« oder »Die schöne Frankenwälderin«. Den aufmerksamen Leser beschleicht der Verdacht, der Verlag könnte das Manuskript des Autors an vielen Stellen deutlich gekürzt ha- ben.Insgesamt gelingt es Michael Peters erneut, dem Leser die spannende Ge- schichte Frankens in ihrer bunten Vielfalt näher zu bringen. Die breite Literatur- auswahl lädt zu tiefergehender Beschäftigung mit dem Thema ein. Der militärhis- torisch Interessierte wird ebenfalls fündig und staunt angesichts der unzähligen und teilweise unbekannten militärischen Ereignisse, die sich im 19. und 20. Jahr- hundert auf fränkischem Boden abspielten. Auch dieser Band hätte eine etwas üp- pigere Ausstattung – vor allem mit Karten – verdient, zumindest ist diesmal ne- ben dem Ortsregister ein hilfreiches Personenverzeichnis verfügbar.

Helmut R. Hammerich

Johannes Leicht, Heinrich Claß 1868–1953. Die politische Biographie eines Alldeutschen, Paderborn [u.a.]: Schöningh 2012, 463 S., EUR 58,00 [ISBN 978-3-506-77379-1]

Heinrich Claß, der langjährige Vorsitzende des Alldeutschen Verbandes war zwei- fellos einer der bedeutendsten politischen Agitatoren in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wie kaum ein anderer hat er spätestens seit 1908 ver- sucht, als er den Vorsitz dieses kleinen, aber sehr elitären nationalen Verbandes am äußersten rechten Rand des politischen Spektrums übernahm, den Prozess der Demokratisierung und Modernisierung in Deutschland aufzuhalten. Staatsstreich- pläne, territoriale Expansion unvorstellbaren Ausmaßes, ethnische Säuberungen in den zu erobernden Randgebieten und vor allem Bekämpfung des Judentums waren in seinen Augen Mittel zur Erreichung der ihm vorschwebenden Ziele.

Obwohl über Claß, Sohn aus bürgerlichem Hause, bereits viel geschrieben wor- den ist, verwundert es, dass eine Biografie im eigentlichen Sinne bisher ein Desi- derat der Forschung war. Diese Lücke hat der Verfasser nun in überzeugender Weise geschlossen. Mit großer historischer Intuition hat er die vorhandenen Quel- len aufgespürt und zu einer sehr gut lesbaren Darstellung verdichtet. Geschickt

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verknüpft er dabei die Ergebnisse der von ihm jeweils klug angereicherten bishe- rigen Forschungen zum zunehmend religiös aufgeladenen Nationalismus und zur Idee der »Volksgemeinschaft«, zur Generationalität und zum Antisemitismus mit dem Lebensweg seines Protagonisten.

Claß, dies gilt es festzuhalten, hat die Ideen, für die er später stand, nicht er- funden, sie aber Zeit seines Lebens mit ungeheurer persönlicher Energie und Lei- denschaft bis an den Rand des körperlichen Zusammenbruchs in radikaler Weise weiter entwickelt. Es ist schon erschütternd zu lesen, wie sehr Claß seit seiner Wahl zum Vorsitzenden versuchte, mit unterschiedlichsten Mitteln die Politik zu beein- flussen, sei es zur Expansion auch auf die Gefahr eines Krieges hin wie in der Ma- rokko-Krise 1911, als er unbeirrt an der Forderung festhielt »Westmarokko Deutsch«, oder sei es zu einem radikalen Umbau im Innern. Dort gehörte er seit 1912 zu jenen, die einen Staatsstreich forderten. Während des Ersten Weltkrieges verschärfte er seine Position, legte mit seiner Kriegszieldenkschrift Ende 1914 ei- nen Katalog von Forderungen vor, der hinsichtlich seiner territorialen, politischen und rassistischen Ziele mehr als maßlos war. Je mehr der Sieg in die Ferne rückte, umso radikaler, vor allem umso antisemitischer trat er auf: »Schlagt Sie [die Juden]

tot, das Weltgericht fragt Euch nach den Gründen nicht« (S. 256), rief er pathetisch seinen Anhängern in einer seiner letzten Reden vor der Revolution 1918 zu.

Es verwundert daher nicht, dass Claß auch nach der Revolution an seinen Zie- len festhielt, ja diese forderte ihn regelrecht dazu heraus, noch radikaler aufzutre- ten. Früh traf er sich mit Hitler, versuchte, diesen für seine Bewegung zu gewin- nen. Claß’ Dilemma nach wie vor 1918 war allerdings, dass es Bündnisse nur zu seinen Bedingungen geben konnte. Viele Versuche, die Rechte zu einigen, waren daher nicht zuletzt an seinem halsstarrigen Verhalten gescheitert, und daran sollte sich bis zuletzt nichts ändern. Kompromisse waren seine Sache nicht. Gleicherma- ßen hatte er seit dem Scheitern seiner Reichstagskandidatur 1903 überhaupt kein Interesse daran, für sein Programm politisch zu werben, um dieses dann im Dis- kurs mit anderen Parteien zu verteidigen oder gar Mehrheiten dafür zu gewinnen.

Verantwortlich dafür war nicht zuletzt sein elitäres Selbstverständnis. Der Alldeut- sche Verband kam daher aus der Ecke einer abgegrenzten Gemeinschaft bürgerli- cher Eliten nicht heraus – ganz im Gegensatz zur NSDAP, die mit ihrem Programm und ihrem Auftreten gezielt die Massen ansprach. So sehr Claß wie auch mancher andere Alldeutsche nach 1933 beanspruchte, als ideologischer Mentor der neuen Bewegung mitreden zu können, so wenig sollten sich diese Hoffnungen erfüllen.

Das NS-Regime hatte gar kein Interesse an einer Mitarbeit »altvordrer Monarchis- ten, konservativ-biederer Bürgerlicher, arroganter Besserwisser und Exponenten einer überkommenen reaktionären Machtelite« (S. 394). Im März 1939 verfügte Himmler die Auflösung des Verbandes, Claß’ Proteste blieben wirkungslos.

Claß selbst war zu diesem Zeitpunkt nicht nur politisch gescheitert, sondern auch körperlich am Ende seiner Kraft. 1943 in Berlin ausgebombt, zog er sich nach Jena zurück, wo er 1953 – von Stasi und NKWD unbeachtet – starb. Beigesetzt wurde er, erstaunlich genug im Kalten Krieg unter einem falschem Namen jedoch in seiner Heimatstadt Mainz.

»Claß verknüpfte«, so das zutreffende Urteil des Verfassers, »in seinem Den- ken und Wirken die kolonial- und weltpolitischen Machtutopien der radikalen Na- tionalisten mit dem um die Jahrhundertwende aufkommenden rassistischen Ord- nungsdenken sowie mit der sozialbiologistischen Adaption der Darwinschen Selektionstheorie. Er setzte sich für eine gesellschaftliche Realisierung seiner Vision

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einer ethnisch homogenen ›Volksgemeinschaft‹ ein, welche die ›rassische Degene- ration‹ beseitigen, den kulturellen Niedergang beenden, die sozialen Konflikte pa- zifizieren und die politische Disharmonie überwinden sollte« (S. 412). Wenn auch nicht direkt, so doch indirekt gehört er damit zu den bedeutendsten politischen Brandstiftern des 20. Jahrhunderts.

Michael Epkenhans

Anne Curry, Der Hundertjährige Krieg (1337–1453). Aus dem Engl. von Tobias Gabel, Darmstadt: Primus 2012, 136 S., EUR 19,90 [ISBN 978-3-86312- 345-1]

Der Hundertjährige Krieg (1337 bis 1453) wurde vornehmlich zwischen den Kö- nigen von England und Frankreich ausgetragen und ist aus verschiedenen Grün- den für die Geschichte Europas und die mittelalterliche Militärgeschichte von In- teresse, da sich in dieser Zeit einschneidende Veränderungen feststellen lassen.

Diese betreffen etwa die Ausbildung des englischen und des französischen Natio- nalempfindens, eine Beschleunigung der Verstaatlichung in beiden Ländern und Entwicklungen im Kriegswesen – wie den massierten Einsatz von Artillerie und die Etablierung eines stehenden Heeres in Frankreich. In der nationalen Tradition der beiden Kriegsgegner wird dieser Konflikt in der Regel in der englischen oder französischen Forschung zum Thema gemacht. Deutschsprachige Abhandlungen zum Hundertjährigen Krieg sind rar gesät. Dass Perspektive und Parteilichkeit bei der geschichtswissenschaftlichen Behandlung von Kriegen besonders offensicht- lich sind, macht sich auch beim Zugriff auf den Hundertjährigen Krieg in den je- weiligen Abhandlungen deutlich bemerkbar, der mal aus englischer, mal aus fran- zösischer Perspektive erzählt wird. Selbst die einzige bislang erschienene deutschsprachige Abhandlung ist nicht gänzlich frei davon: Der Frankreichspezia- list Joachim Ehlers (Der Hundertjährige Krieg, München 2009) erzählt den Krieg mit Schwerpunkt auf der französischen Perspektive.

Das hier zu besprechende Buch kann man als Gegenpart zu Ehlers Abhand- lung verstehen. Beide eint, dass es schmale Überblickswerke sind, die sich an eine breite Leserschaft wenden. Entscheidende Unterschiede liegen in der Perspektive und in der sprachlichen Gestaltung. Das vorliegende Buch ist die Übersetzung von The Hundred Years’ War aus dem Jahr 2002 (Osprey Publishing, Oxford), das nicht mit dem gleichnamigen Buch derselben Autorin aus dem Jahr 1993 verwechselt werden darf (St. Martin’s Press, New York). Die Monografie von 1993 zählt sicher- lich noch immer zu den besten wissenschaftlichen Handbüchern zum Hundert- jährigen Krieg. Anne Curry ist eine der führenden Spezialistinnen für die Ge- schichte dieses Konfliktes und hat zahlreiche Aufsätze und Monografien zu diversen Einzelaspekten vorgelegt. Ihr Buch von 2002 bereitet das Thema deutlich weniger wissenschaftlich auf und verliert dadurch an Komplexität, nicht aber an wissenschaftlicher Fundierung. Dieses Buch liegt nun in deutscher Übersetzung vor.Der Gesamteindruck entspricht vollauf den Erwartungen: Der Leser wird an- schaulich über die Ursachen, den Verlauf und die Folgen des Krieges informiert.

Die Forschungsschwerpunkte der Militärhistorikerin Curry bringen es mit sich, dass immer wieder kriegsgeschichtliche Details Erwähnung finden. Nach einer knappen Einleitung (S. 7–10) und einer Zeittafel (S. 11–13) werden die Hinter-

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gründe des Konfliktes dargelegt (S. 14–27); hier wird deutlich gemacht, dass es nicht die rivalisierenden Erbansprüche Eduards III. und Philipps VI. waren, die den Krieg hervorgerufen haben, sondern die Streitigkeiten um die Besitzungen des englischen Königs auf dem Festland. Den Schilderungen des Kriegsverlaufs ist ein Kapitel zu den Kriegsparteien (S. 28–38) vorgeschaltet, in dem es vor allem um mi- litärhistorische Fragestellungen geht. Die eigentlichen Kampfhandlungen werden in drei Kapiteln vorgestellt: eines zum Kriegsausbruch (S. 29–44), eines zu den vier Phasen des Krieges (S. 45–91) und eines zum Kriegsende (S. 118–125). Zwischen den letzten beiden Kapiteln sind biografische Skizzen von Soldaten (S. 92–98) und von »einer waffenkundigen Zivilistin: Christine de Pisan« (S. 113–117) eingefügt.

Besonders hervorzuheben ist ein Abschnitt (S. 99–112), der sich mit den Auswir- kungen des Krieges auf die Bevölkerung in Frankreich befasst und dem Bild vom Krieg der Feldherren das Leiden der Gewaltopfer entgegensetzt. Das Buch verfügt über zahlreiche Karten und (sehr dunkle) Schwarz-Weiß-Bilder, Stammbäume und ein Namen- und Sachregister.

All diese Abschnitte bewegen sich auf der Höhe der Forschung (von 2002) und bieten einen guten Einstieg in die Geschichte des Hundertjährigen Krieges – aus englischer Perspektive. Das Buch wendet sich eindeutig an eine englische Leser- schaft, etwa wenn es vom »Verlust von Normandie und Gascogne« (S. 118) spricht;

dieser Zugriff wird stillschweigend vorausgesetzt und nicht reflektiert. Manche Aspekte der Darstellungen sind ohne entsprechende Vorkenntnisse – vor allem in der englischen Geschichte – nur schwer verständlich. Am Ende des Bandes gibt es Empfehlungen für eine weiterführende Lektüre, die überwiegend aus englischen Titeln und einigen deutschen besteht, aber keine erschöpfende Bibliografie zum Thema sein will; französische Titel fehlen ganz. Im Text selbst werden immer wie- der Quellen und (englische) Sekundärliteratur wörtlich zitiert. Da das Buch gänz- lich auf Anmerkungen verzichtet, kann man diese Zitate nur mit viel Aufwand nachvollziehen, zumal einige der zitierten Autoren nicht im Literaturverzeichnis genannt sind. Dieser Umstand macht das Buch als Ausgangspunkt für weitere Be- schäftigung mit dem Thema eher ungeeignet.

So bleibt ein zwiespältiger Eindruck zurück. Anne Currys Text ist sicherlich eine sehr gute Einführung in die Geschichte des Krieges; dieser verliert aber ei- niges durch die Präsentation der deutschen Ausgabe. Dies gilt nicht zuletzt für die Qualität der Übersetzung, die sich deutlich schlechter liest als das englische Ori- ginal. Mitunter folgt sie dem englischen Satzbau so dicht, dass es sinnenstellend wird: »Es kann also nicht verwundern, dass diese Sprache [...] im Hundertjährigen Krieg große Beförderung erfuhr« (S. 9). Jeder, der sich eingehender mit dem Hun- dertjährigen Krieg befassen will, sollte zu Anne Currys Buch von 1993 oder zum englischen Original der vorliegenden Übersetzung von 2002 greifen.

Martin Clauss

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Das Elbinger Kriegsbuch (1383–1409). Rechnungen für städtische Aufgebote.

Bearb. von Dieter Heckmann unter Mitarb. von Krzysztof Kwiatkowski, Köln [u.a.]: Böhlau 2013, 436 S. (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 68), EUR 54,90 [ISBN 978-3-412-21011-3]

Diese akribisch besorgte Edition erschließt der Forschung ein Zeugnis spätmittel- alterlicher städtischer Militärpraxis von hohem Erkenntniswert. Auf den ersten Blick scheint das nicht der Fall zu sein, bietet das Elbinger Kriegsbuch doch vor allem eines: Namen. In langen Listen sind sie zusammengestellt, gruppiert nach scheinbar kaum verständlichen Prinzipien. Erst in der Edition werden diese Na- men wieder zum Sprechen gebracht.

Das hier vorgelegte »Kriegsbuch« der Stadt Elbing ist eine umfangreiche, buch- förmige Zusammenstellung von Gestellungsleistungen der Elbinger Bürger aus den Jahren 1383 bis 1409, zumeist für die Aufgebote des Deutschen Ordens. Sie fällt damit in die turbulente Zeit der militärischen Bemühungen des Ordens im Kampf gegen die Litauer, in dem sie von Rittern aus ganz Europa unterstützt wur- den (»Preußenreisen«). Näherhin betrifft sie jene Zeit, in der sich nach der Krö- nung des litauischen Großfürsten Jagiello zum polnischen König 1386 das Blatt entscheidend zu Ungunsten des Ordens wandte – was sich im Übrigen auch in den Gestellungen widerspiegelt. An über vierzig Zügen des Ordens nahmen in dieser Zeit Elbinger Bürger teil. Hinter der groß angelegten prosopografischen Auswer- tung des Kriegsbuches, mittels derer die Edition gleichsam aufgeschlüsselt wird, erscheint dabei ein komplexes System unterschiedlicher Gestellungsleistungen nach beinahe kaufmännischen Logiken, dem der Elbinger Rat folgte. Das führen die beiden Herausgeber in ihrer umfangreichen Einleitung anhand einiger Bei- spiele plastisch vor Augen.

Erkannt wurde der Aussagewert des heute im Danziger Staatsarchiv ver- wahrten Kriegsbuches im Übrigen bereits im 19. Jahrhundert: Erste Auszüge da- raus teilte bereits 1899 der um die preußische Landesgeschichte so verdiente Max Töppen in der »Altpreußischen Monatsschrift« (S. 223–273) mit. Seitdem ist insbe- sondere von Landeshistorikern immer wieder auf das Kriegsbuch zurückgegrif- fen worden, ohne dass eine vollständige Edition jemals wieder in Angriff genom- men wurde. Die nun vorliegende, nach modernen editorischen Grundsätzen gestaltete Ausgabe beschränkt sich nicht auf den reinen Textabdruck, sondern nimmt eine vollständige, auf umfassenden Archivrecherchen fußende prosopo- grafische Auswertung der rund eintausend aufgelisteten Namen vor. Allein diese Aufschlüsselung dürfte der Elbinger Stadtgeschichte ein willkommenes Geschenk sein, solange die eingangs kurz erwähnte Datenbank mittelalterlicher Bewohner Elbings von Roman Czaja, auf die auch die Herausgeber haben zugreifen können, nicht öffentlich zugänglich ist. Der Aussagewert dieser Auswertungen geht aber durch die zahlreichen Verflechtungen mit Preußenfahrern, Hansekaufleuten und anderen Auswärtigen weit über die Stadtmauern hinaus. Der Edition und dem prosopografischen Verzeichnis vorangestellt wird noch eine ausführliche Einlei- tung, die nicht nur eine eingehende kodikologische Beschreibung des Kriegsbuches bis hin zum Händevergleich der beiden Schreiber, sondern vor allem auch eine Einbettung in die zeitgenössische preußische Kriegsgeschichte und in größere mi- litär- und landeshistorische Fragestellungen leistet.

Rechnungs-, Abgaben- und Leistungsbücher im Allgemeinen – und so eben auch dieses sehr spezifische – umweht nicht eben die Aura eines Faszinosum. Es

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sind trockene Quellen, die mit einer Reihe handwerklicher Hürden daherkommen.

Umso mehr muss den Herausgebern für diese vorbildlich aufbereitete Edition ge- dankt werden, die dem Nutzer viele dieser Hürden abnimmt.

Hiram Kümper

Sascha Möbius, Das Gedächtnis der Reichsstadt. Unruhen und Kriege in der lübeckischen Chronistik und Erinnerungskultur des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, Göttingen: v&r unipress 2011, 390 S. (= Formen der Er- innerung, 47), EUR 56,90 [ISBN 978-3-89971-898-0]

In seiner Göttinger Dissertation befasst sich Sascha Möbius mit der städtischen Er- innerungskultur Lübecks über den langen Zeitraum des 14. bis frühen 18. Jahr- hunderts. Dabei wählt er als case-studies zwei zentrale Episoden der mittelalter- lichen Stadtgeschichte: die Schlacht von Bornhöved am 22. Juli 1227, in der Lübeck in Allianz mit Adolf von Holstein, Heinrich von Schwerin und anderen lokalen Adeligen den Dänenkönig Waldemar II. schlug, und die Unruhen der Jahre zwi- schen 1376 und 1385, bei denen es, wie in vielen anderen Städten Deutschlands während des 14. und 15. Jahrhunderts, vor allem um die Klärung des Kräftever- hältnisses zwischen dem Rat und anderen Gruppen der Bürgerschaft ging. Beide Ereignisse betreffen ganz fundamental das Selbstverständnis des vormodernen Lübeck als Stadtgemeinschaft: Wurde mit der Schlacht von Bornhöved die kurz zuvor verbriefte Reichsfreiheit auch de facto durchgesetzt und konnte für Lübeck der »take-off« (Andreas Ranft) beginnen, der die Stadt bald zum »Haupt der Hanse« werden ließ, so haben die Bürgerunruhen des ausgehenden 14. Jahrhun- derts maßgeblich die Verfasstheit des vormodernen Lübeck mit ausgeprägt. Für die Leserschaft dieser Zeitschrift wird freilich der erstgenannte der beiden Schwer- punkte dieser Studie, die Erinnerung an die Schlacht bei Bornhöved, das größere Interesse reklamieren dürfen. Dem kommt entgegen, dass sie auch in der städti- schen Erinnerungskultur – so eines der Ergebnisse der Studie – einen weit prominen- teren Platz einnahm als die Unruhen des 14. Jahrhunderts.

Zwei eng aufeinander bezogene Dimensionen tragen zur Erinnerung der Schlacht von Bornhöved bei. Zum einen natürlich ihr Ausgang mit seinen Auswir- kungen: Durch den Sieg der adelig-städtischen Koalition wurde die dänische Herr- schaft im nordostdeutschen Raum langfristig gebrochen. Zum anderen aber auch der überlieferte Grund für diesen Ausgang: Nur durch den Beistand der »Tages- heiligen« nämlich, der heiligen Maria Magdalena, soll dieser Sieg für die Koalition errungen worden sein. Der faktische Erfolg wird also durch ein Schlachtenwun- der als gottgewollt überhöht. Zum Dank, so will es die Legende, stifteten die Lübe- cker einen Dominikanerkonvent auf den Ruinen der zerstörten Dänenburg: das spätere Burgkloster. Die Magdalenenlegende wird damit sowohl historiografisch als auch architektonisch in die städtische Erinnerung eingeschrieben. Ob gerade diese Begründung für die Errichtung des Dominikanerkonvents freilich tatsäch- lich eine nachträgliche Deutung gewesen ist, indem einem bereits bestehenden Bet- telordenskonvent diese Gründungsgeschichte gleichsam untergeschoben wurde, muss bis auf Weiteres offen bleiben. Die auf eine Inschrift am Röbeler Chorgestühl fußende Argumentation von Michael Scheftel, der sich Möbius hier ohne weitere Diskussion anschließt (S. 133), kann für sich zwar eine gewisse Plausibilität bean- spruchen, kommt aber ihrerseits nicht ohne eine Rückprojektion von Statuten des

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