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HISTORIKERTAG

Zu viel "Geschichtspornografie" im Fernsehen

Historische Themen sind auf allen Kanälen sehr beliebt. Beim Publikum. Fachleute aber ärgern besonders die Sendungen von Guido Knopp im ZDF. Bei der Fachtagung in Konstanz kam es zum offenen Streit.

Von Sven Felix Kellerhoff

Konstanz - Die Schule der Nation ist – das Fernsehen. Jedenfalls, was die Geschichte und speziell die Zeit des Nationalsozialismus angeht: Nirgends lernen mehr Menschen mehr Tatsachen über die jüngste Vergangenheit als bei ZDF, „Spiegel-TV“ und ARD. Der Geschichtsunterricht hat seine einst

bewusstseinsprägende Funktion längst verloren; Sachbücher haben schon immer nur einen wesentlich kleineren Kreis erreicht. Und selbst gut gemachte historische Ausstellungen, die zuletzt einen

Besucherrekord nach dem anderen feiern konnten, profitieren mehr vom Fernsehen als umgekehrt.

Für die akademische Zunft der Historiker ist der Erfolg ihres Themas auf dem Bildschirm freilich vor allem eine Herausforderung. Sie haben diesen Trend in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten im

Wesentlichen erst ignoriert, dann meist verdammt oder mindestens scharf kritisiert. Erst der 46. Deutsche Historikertag in Konstanz hat sich ernsthaft der Bedeutung von Geschichte in den Medien angenommen.

„Wir dürfen uns dieser Auseinandersetzung nicht entziehen, wenn wir unserer Aufgabe als Historiker gerecht werden wollen“, gab der Verbands-Chef Peter Funke bei der Eröffnung vor. Innerhalb des Rahmenthemas „Geschichts-Bilder“ widmete sich ein ganzer Schwerpunkt mit einem halben Dutzend hochkarätig besetzter Veranstaltungen dem Thema. Denn natürlich „fabriziert das Fernsehen

Geschichtsbilder“, wie der Basler Mediävist Achatz von Müller feststellte.

„Beherrschende Figur heutiger Vergangenheitsvergegenwärtigung“, so der Potsdamer Neuzeitler Martin Sabrow, sei der Zeitzeuge. Seit den achtziger Jahren sind Menschen, die über ihr eigenes Erleben der Vergangenheit berichten, im Fernsehen oder auch in Schulen, immer mehr in den Vordergrund gerückt.

Das war nicht zuletzt die Folge eines Paradigmenwechsels hin zu einer „opferzentrierten

Geschichtskultur“, denn Zeitzeugen sind meistens entweder Überlebende des Repressionsapparates oder durch Krieg und Kriegsfolgen geschädigte Personen.

Allerdings, das zeigte der Mainzer Militärexperte Sönke Neitzel, sind Zeitzeugen vielfach zweifelhafte Quellen. Er wertete etwa 35?000 Seiten Transkripte von Zeitzeugeninterviews des ZDF aus und stellte fest, dass in sehr vielen Fällen emotional vorgetragene Aussagen das Ergebnis nachträglichen

Wissenserwerbs sind. Neitzel, der selbst als Berater bei Produktionen des ZDF-Chefhistorikers Guido Knopp tätig war, fand freilich mit seinen Analysen nicht das angemessene Gehör in Konstanz. Denn immer noch pflegen akademische Historiker eine grundlegende Aversion gegen „Herr K.“, wie Knopp hier regelmäßig apostrophiert wurde.

Norbert Frei (Jena) trieb den Hochmut der Mandarine gegenüber dem vermeintlichen

„Verwahrlosungsfernsehen“ auf die Spitze. Er nahm den Vorwurf der „Geschichtspornografie“, den Wulf Kansteiner (Binghampton) metaphorisch gegen Knopp erhoben hatte, unter Beifall wörtlich: „Das Zeitzeugenfernsehen des ZDF macht Lust auf Erkenntnis, befriedigt sie aber nicht – und so etwas darf man ja wohl als Pornografie bezeichnen.“ Doch Frei blendete komplett aus, dass Zeitgeschichte nie zuvor so breite Schichten erreicht hat wie heute dank des Fernsehens. Und gerade das Befriedigen von weiter gehenden Erkenntnisbedürfnissen, die Guido Knopps mitunter tatsächlich zu stark vereinfachenden Sendungen wecken, ist ein Geschenk für alle akademischen Geschichtsforscher. Denn von Millionen Zuschauern der ZDF-Serien greifen vielleicht einige tausend schließlich doch zur weiterführenden Literatur, die diesen Schritt ohne das Massenmedium Fernsehen eben nicht gemacht hätten.

Bei seiner Pauschalkritik beschränkte sich Frei zudem nicht auf Knopp, sondern holte zum Rundumschlag gegen jede am Publikum orientierte Vermittlung von Vergangenheit aus. So attackierte er das erfolgreiche Haus der Geschichte der Bundesrepublik, das er als „Helmut Kohls Bonner Erlebnismuseum“ schmähte.

Und auch „Spiegel-TV“, derzeit anspruchsvollster Produzent von Geschichtsfernsehen, fertigte der Jenaer Professor gleich mit ab. Frei warf dem „Spiegel-TV“-Verantwortlichen Michael Kloft vor, lediglich die immer gleichen Bilder abzuspielen, seien es nun „US-Cinemascope“-Aufnahmen oder Nazi-Propaganda-

Filmchen. Obwohl der bekannte Zeithistoriker auf Nachfrage das Gegenteil behauptete, hat er sich augenscheinlich nie mit hochwertigen Geschichts-TV-Dokumentationen wie „Als der Krieg nach Deutschland kam“ oder „Der Krieg in Farbe“ beschäftigt.

Doch solche Arroganz des Lehrstuhl-Besitzers (und übrigens gelernten Journalisten) Frei prägte nicht insgesamt die Debatte des Verhältnisses von Medien und Geschichtswissenschaft in Konstanz. Dafür

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03.10.2006

http://www.welt.de/data/2006/09/22/1046397.html?prx=1

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sorgte nicht zuletzt Kloft, der erfolgreich zwischen den Polen kritischer Forschung und

publikumswirksamer Darstellung vermittelte. Seine Filme haben der Wissenschaft nicht selten völlig neue Quellebestände erschlossen, und sie widerlegen gängige Klischees über ihr Zielpublikum: „Das

Grundinteresse an Zeitgeschichte ist bei jüngeren Zuschauern zweifelsohne vorhanden, und nicht immer muss Histotainment der Köder sein.“

Auch andere Referenten nahmen das Motto „Geschichts-Bilder“ im Hinblick auf das Fernsehen ernster als Frei. So stellte Frank Bösch (Bochum) treffend fest, dass das Fernsehen längst „eine eigenständige Form der Geschichtsgenerierung“ darstelle, die aber die Forschung nicht marginalisiere. Thomas Fischer (Baden-Baden) und Rainer Wirtz (Konstanz) fragten: „Wer also produziert die Geschichtsbilder der Gegenwart?“ Die beiden Referenten antworteten zugespitzt mit einer rhetorischen Frage: „Es sind zur Zeit jedenfalls kaum die Historiker. Waren sie es eigentlich jemals?“

Artikel erschienen am 22.09.2006

Artikel drucken WELT.de 1995 - 2006

Seite 2 von 2 Historikertag : Zu viel "Geschichtspornografie" im Fernsehen

03.10.2006

http://www.welt.de/data/2006/09/22/1046397.html?prx=1

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