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18 Neuropsychologie der Demenz

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18 Neuropsychologie der Demenz

Thomas Jahn1

18.1 Grundlagen –348

18.2 Diagnostische Kriterien und Nosologie –348 18.3 NeuropsychologischeUntersuchung –350 18.3.1 Kontext undZiele –350

18.3.2 Instrumente –352

18.4 Neuropsychologische Befunde –360 18.4.1 Alzheimer-Demenz –360

18.4.2 Vaskuläre Demenzen –364 18.4.3 Frontotemporale Demenz –366

18.5 Differenzialdiagnostische Probleme –368 18.5.1 Früherkennung –368

18.5.2 Verschiedene Demenzformen –370 18.5.3 Demenz vs. Depression –370

18.6 NeuropsychologischeIntervention –373 18.6.1 KognitiveTrainingsprogramme –373

18.6.2 Selbst-Erhaltungs-Therapie –376

18.7 Neuropsychologische Prävention –377 18.8 Literatur –379

1 Dr. Barbara Romero, Dipl.-Psych.TinaTheml, Dr. Horst Bickelund Prof. Dr. Hans Förstldanke ich für wertvolle Kritik und Verbesserungsvorschläge.

(2)

18

Auf die Frage, welche Beschwerden sie in die Klinik führten, antwortete eine 76 Jahre alte Patientin: Das Gedächtnis ist einfach im Eimer. Ichleg‘ etwas dahin

… und fünf Minuten später sehe ich‘s nicht mehr. Ich such‘ die halbe Wohnung ab. Das ist schrecklich ge- worden … Wenn man so unsicher wird davon, dass man sich sagt, haltlieber den Mund; du blamierst dich bloß. Du sagst doch bloß einen Quatsch, weildu schon wieder nicht mehr weißt, was du meinst. Das ist schlimm. Man wird dawenn man nicht aufpasst vereinsamt, weildie anderen sagen, mit der kannst du ja nicht reden, die redet jalauter Quatsch. (Rome- ro1997a, S.180)

18.1

Grundlagen

Gegenwärtig gibt es in Deutschland etwa eine Mil- lion Demenzkranke. Weniger als 3% hiervon sind jünger als 65 Jahre und leiden an seltenen Formen präseniler Demenzen. Die Prävalenzraten der we- sentlich häufigerensenilenDemenzen nehmen mit dem Alter deutlich zu: von den 65- bis 69-Jährigen sind etwa 1% an einer Demenz erkrankt, von den über 90-Jährigen 35%. Einen ähnlich exponentiel- len Anstieg mit dem Alter zeigen auch die Inzidenz- raten; insgesamt erkranken in Deutschland pro Jahr zwischen 190.000 und 230.000 ältere Menschen an einer Demenz (Bickel 2002a). Epidemiologische Schätzungen des Lebenszeitrisikos anhand der ku- mulierten Inzidenz unter Berücksichtigung ak- tueller altersspezifischer Mortalitätsraten besagen:

Würden alle Menschen 100 Jahre alt, wären vermut- lich 80% an einer Demenz erkrankt. Diese hohe Zahl gestattet den Schluss, dass viele Menschen nur deshalb nicht an einer Demenz erkranken, weil sie vorher an anderen Krankheiten sterben.

Betroffen sind nicht nur die Patienten selbst, auch Ehepartner, Verwandte und Freunde tragen an den Folgen der Erkrankung. Dies gilt insbesondere für die nächsten Angehörigen, die nicht nur über Jahre die häusliche Betreuung und Pflege leisten, sondern auch Abschied von einem nahestehenden Menschen nehmen müssen. Erschöpfungszustände, Depressionen und psychosomatische Störungen sind häufige Folgen dieser besonderen Belastung.

Entgegen der verbreiteten Annahme, die weit- aus meisten Demenzkranken würden bis zu ihrem

Tode in familiärer Umgebung versorgt, erfolgt in etwa 60–80% aller Fälle in fortgeschrittenem Krank- heitsstadium die Aufnahme in eine Pflegeeinrich- tung (Bickel 2001). Ursache hierfür sind weniger die kognitiven Störungen der Patienten als Inkontinenz, Unruhe, Wahn und Halluzinationen oder selbst- schädigendes Verhalten.

Neueren Schätzungen zufolge belaufen sich die direkten und indirekten jährlichen Krankheitskosten hierzulande auf 25–30 Mrd. Euro. Damit gehören die Demenzen schon heute zu den kostenintensivs- ten Erkrankungen im höheren Lebensalter. Auf- grund der dramatischen demografischen Verände- rungen in der Gesellschaft mit einem immer höheren Anteil älterer Menschen bei gleichzeitig sinkenden Geburtenraten wird sich diese Problemlage noch erheblich verschärfen. Seriöse Schätzungen gehen unter der Annahme konstant bleibender Prävalenz- raten von einer Verdoppelung der Krankenzahlen bis zum Jahr 2050 aus, was rasch eine ernstzuneh- mende Bedrohung der Finanzierbarkeit von Pflege- leistungen mit sich bringen wird (Bickel 2001).

Vor diesem Hintergrund kommt der Erforschung der Ursachen und der Verbesserung von Diagnose und Behandlung von zur Demenz führenden Erkran- kungen überragende Bedeutung zu. Hier ist insbeson- dere auch die klinische Neuropsychologie angespro- chen, sind doch kognitive Störungen das gemeinsame und zentrale Merkmal aller Demenzformen.

18.2

Diagnostische Kriterien und Nosologie

Die derzeit gültigen diagnostischen Klassifikations- systeme ICD-10 und DSM-IV definieren Demenz zunächst allgemein als psychopathologisches Syn- drom aus einer erworbenen Störung von Gedächt- nisfunktionen und weiteren kognitiven Einbußen hinsichtlich Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache und Urteilsver- mögen sowie von Verhaltensdefiziten hinsichtlich emotionaler Kontrolle, Sozialverhalten und Motiva- tion. Die kognitiven Beeinträchtigungen dürfen nicht nur im Rahmen eines Delirs auftreten, müssen eine Verschlechterung gegenüber einem vormals höheren Leistungsniveau darstellen und so stark ausgeprägt sein, dass sie sich in einer reduzierten Alltagskompe-

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tenz niederschlagen. Im ICD-10 wird gefordert, dass die erwähnten Symptome und Störungen mindes- tens 6 Monate lang bestanden haben müssen, das DSM-IV macht demgegenüber keine Zeitangaben.

Entgegen der früher geübten Praxis, ausschließ- lich Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) mit irreversiblen undprogredienten kogni- tiven Beeinträchtigungen als Demenzen zu bezeich- nen, verbindet sich mit diesem allgemeinen, rein deskriptiven Demenzbegriff keine Aussage über Ätiologie und Prognose. Zwar ist der Verlauf einer Demenz nach ICD-10 »gewöhnlich chronisch oder fortschreitend« und kommt »bei Zustandsbildern vor, die primär oder sekundär das Gehirn betreffen«

(Dilling et al. 1993, S. 60). Dies schließt jedoch re- versible Zustandsbilder nicht aus. Daher sollte, wann immer möglich, die Diagnose auch die Ursa- che des Demenzsyndroms benennen (z. B. Demenz bei Alzheimer-Krankheit, vaskuläre Demenz, de- menzielles Syndrom bei Depression).

In diesen Fällen wird Demenz dann spezifischer definiert. Beispielsweise verlangt das DSM-IV für die Diagnose einer Demenz vom Alzheimer-Typ zusätzlich zum Kriterium A (Gedächtnisstörungen und mindestens eine zusätzliche Störung – Aphasie, Apraxie, Agnosie oder Beeinträchtigung der Exe- kutivfunktionen) und zum Kriterium B (deutliche Verschlechterung gegenüber einem früherem Leis- tungsniveau mit bedeutsamer Beeinträchtigung der sozialen oder beruflichen Leistungsfähigkeit), dass der Verlauf der Erkrankung durch einen schleichen- den Beginn und fortgesetzten kognitiven Abbau charakterisiert ist (Kriterium C) und weder durch andere Erkrankungen des ZNS, die progrediente kognitive Defizite verursachen, noch durch syste- mische oder substanzinduzierte Erkrankungen er- klärbar sein darf (Kriterium D). Zusätzlich dürfen die kognitiven Defizite und Alltagsbeeinträchti- gungen nicht ausschließlich im Verlauf eines Delirs auftreten (Kriterium E) oder durch eine andere Stö- rung auf Achse I des DSM-IV besser erklärbar sein (Kriterium F). Wie dieses Beispiel zeigt, gründet die Diagnose spezifischer Demenzformen neben dem positiven Nachweis kognitiver Defizite nicht zuletzt auf diversen Ausschlusskriterien.

Zusammenfassung Unter einer Demenz versteht man ein Syndrom aus einer erworbenen Störung

von Gedächtnisfunktionen sowie weiteren kogni- tiven Einbußen und Verhaltensdefiziten. Die kogni- tiven Beeinträchtigungen, die je nach zugrunde liegender Ursache progredient, gleichbleibend oder reversibel sein können, dürfen nicht nur im Rah- men eines Delirs auftreten und müssen so stark ausgeprägt sein, dass sie sich in einer reduzierten Alltagskompetenz niederschlagen. Für Demenzfor- men im Rahmen bestimmter, in vivo nur hypothe- tisch angenommener (auch durch Autopsie oft nicht zweifelsfrei zu klärender) Ätiologien sind spezifi- schere Diagnosekriterien zu beachten.

Ursachen einer Demenz Die möglichen Ursachen einer Demenz sind außerordentlich vielfältig. Sie umfassen

neurodegenerative (z. B. M. Alzheimer, M. Par- kinson) und vaskuläre Prozesse,

ernährungsbedingte Mangelerscheinungen (z. B. Vitamin-B1- bzw. -B12-Mangel),

internistische Erkrankungen (z. B. Hypertonie, Hirntumore, Hypo- bzw. Hyperthyreose) eben- so wie

Folgen langjährigen Suchtverhaltens (insbeson- dere Alkoholismus; vgl. 7Kap.14»Neuropsy- chologie des Alkoholismus …«von Rist, in diesem Band). Diese Heterogenität erschwert eine Nosologie der verschiedenen Demenzformen.

Gebräuchlich sind Unterteilungen wieprimäre vs. sekundäre Demenzen oder kortikale vs.

subkortikale Demenzen. Selbst diese einfachen Dichotomien werden jedoch teilweise unein- heitlich verwendet.

Meist werden als primär degenerativ diejenigen Demenzen bezeichnet, deren pathologischer Schwerpunkt ausschließlich oder überwiegend im Gehirn liegt ohne andere Organsysteme wesentlich miteinzubeziehen. Dies impliziert im Übrigen keineswegs, dass die Ursachen des neurodegenerativen Prozesses vollständig be- kannt sind.

Als sekundär gelten solche Demenzen, deren pa- thophysiologische und pathobiochemische Me- chanismen extrazerebral gelegen sind und bei denen das Gehirn nur mittelbar in das Krank- heitsgeschehen miteinbezogen wird (z. B. Avita- minosen). Die Einteilung in kortikale vs. sub- kortikale Demenzen wird meist auf neurodege- 4

4 4

4

4

4

(4)

18

nerative Erkrankungen bezogen und unterstellt zwei klinisch und neuroanatomisch unterscheid- bare Syndrome, wie sie idealtypisch .Tab.18.1 gegenüberstellt.

Andere wichtige Demenzformen, die in dieses Schema nicht recht passen, wie vaskuläre (Multi- infarkt-)Demenzen, infektiöse Demenzen (Jakob- Creutzfeldt-Erkrankung, progressive Paralyse) und viele toxische und metabolische Enzephalopathien sowie Systemerkrankungen werden von den kortika- len bzw. subkortikalen Demenzen häufig als »Misch- typen« abgegrenzt. Dieser Begriff ist leicht zu ver- wechseln mit dem der »Mischform«, der die häufige Komorbidität vaskulärer und degenerativer De- menzen bezeichnet.

18.3

Neuropsychologische Untersuchung

18.3.1 Kontext und Ziele

Um eine Demenz und ihre wahrscheinliche Ursache zu erkennen, bedarf es der Synthese vieler unter-

schiedlicher Informationen. Zwar lässt sich zeigen, dass neuropsychologische Untersuchungsergeb- nisse für sich allein genommen in 80% aller Fälle mit der abschließenden klinischen Diagnose über- einstimmen (letztere unter Berücksichtigung anam- nestischer, labormedizinischer, neurologischer, neurodiagnostischer und eben auch neuropsycho- logischer Informationen) und in Verbindung mit einer Einschätzung der Beeinträchtigung des täg- lichen Lebens in Stichproben mit dementen und nicht dementen Personen mehr als 90% aller unter- suchten Probanden korrekt klassifizieren (Tschanz et al. 2000). Dennoch sollten sich die Diagnose und insbesondere die Differenzialdiagnose nicht allein auf neuropsychologische Untersuchungsergebnisse stützen. Das in spezialisierten klinischen Einrich- tungen heute übliche Basisprogramm zur Demenz- diagnostik fasst .Tab.18.2 zusammen.

Erst in diesem Kontext entfalten neuropsycho- logische Untersuchungsmethoden ihren besonde- ren Nutzen für die Diagnose und Differenzialdiag- nose der verschiedenen Demenzformen (Theml u.

Jahn 2001). Im Einzelnen leisten neuropsycho- logische Untersuchungsergebnisse wertvolle Bei- träge zur

Tab.18.1.Neuroanatomische, kognitive und motorische Charakteristika kortikaler und subkortikaler Demenzen mit Beispielen. (Mod. nach Lang1994, S. 31ff.)

.

Kortikale Demenz Störung

»spezifischer Funktionen«

Subkortikale Demenz Störung von »Basisfunktionen«

Neuroanatomische Lokalisation

Neurodegeneration v. a. in den neokortikalen Assoziationsgebieten und im Hippokampus

Neurodegeneration v. a. in Basalganglien, Thalamus und Hirnstamm

Sprache Aphasie Normal

Sprechen Normal Hypophonie, Dysarthrie, Mutismus

Gedächtnis Amnesie (Lerndefizit) Vergesslichkeit (Abrufstörung) Denken Akalkulie, Urteilsstörung, Abstraktionsdefizit Verlangsamung, Fragmentierung,

Bradyphrenie

Visuokonstruktion Gestört Gestört

Motorik Haltung, Gang,Tonus und Bewegungen normal Extrapyramidalmotorische Symptome (EPMS) Affekt Indifferent oder enthemmt Apathisch, demotiviert, depressiv

Beispiele M. Alzheimer M. Pick

Progressive supranukleäre Parese M. Huntington

(5)

Früherkennung demenzieller Entwicklungen, Differenzialdiagnostik verschiedener Demenz- formen und -ursachen,

Beobachtung des Krankheitsverlaufs (Verände- rungsmessung, Prognose),

Effektivitätsprüfung pharmakologischer und anderer Interventionen und

Anpassung von Behandlungsplänen an die Be- dürfnisse und Möglichkeiten der einzelnen Pa- tienten und ihrer Familien (»case manage- ment«)

Zu bedenken ist, dass die neuropsychologische Un- tersuchung eines jeden Patienten mit Demenzver- 44

4 4 4

dacht definierten Zielen dient und im Hinblick auf diese Ziele angemessen gestaltet werden muss:

Sobald ein Demenzsyndrom durch Anamnese, Befund

undTestung nachgewiesen ist, nützt es häufig nichts

mehr, Feinheiten der aktuellen kognitiven Defizite mit extensiven neuropsychologischen Batterien herauszu- arbeiten, da die Ergebnisse aufgrund der Krankheits- progredienz oft nur kurzen Bestand haben und häufig ohne großen heuristischen Wert oder therapeutische Konsequenzen bleiben.»Overtesting« ohne geeignete Indikation und ohne Stützung des Patienten kann einen nebenwirkungsreichen und demütigenden Ein- griff darstellen. (Zerfass et al.1997, S. 256)

Tab.18.2. Diagnostisches Vorgehen bei Demenzverdacht (Basisprogramm). (Mod. nachZerfass et al.1997) .

Untersuchungs- bereiche

Hinweise auf z.B. Verdacht auf z.B.

Anamnese und Fremdanamnese

Beginn, Art,

Entwicklung der Beschwerden?

Alkohol, Medikamente, Drogen?

Familiäre Belastung?

Reaktive psychogene Störung

Intoxikation, Folgeerkrankung

Alzheimer-Demenz, Chorea Huntington Psychopathologie Bewusstseinsstörungen?

Störungen von Persönlichkeit und Sozialverhalten?

Depressive oder psychotische Symptomatik?

Verwirrtheitszustand

Frontallappendegeneration

Pseudodemenz Neuropsychologie Keine oder nurleichte Defizite?

Spezifische Defizite?

Charakteristische Befundprofile?

Subjektive Störungen/

altersassoziierte Defizite

Aphasie, Apraxie

Alzheimer-Demenz vs.

andere Demenzformen Neurologie Herdsymptome und Herdzeichen?Vaskuläre Demenz

Extrapyramidalmotorische Störungen?Subkortikale Demenz

Myoklonus?Creutzfeldt-Jacob-Krankheit

Neuroradiologie (CT/MRT)

Raumforderung?Blutung, Neoplasie, Abszess

Infarkte? Ausgeprägte Leukoaraiose?Vaskuläre oder gemischte Demenz

Liquorabflussstörung?Normaldruckhydrozephalus

Labormedizin BKS, Differentialblutbild,TPHA, UrinstatusInfektiös-entzündliche Prozesse Glukose, Elektrolyte,Transaminasen, KreatininMetabolisch-endokrinologische Genese

Vitamin B12, FolsäureNutritive Genese

CTComputertomographie,BKSBlutkörperchensenkungsgeschwindigkeit,MRTMagnetresonanztomographie, TPHATreponema-Pallidum-Hämagglutinations-Test

(6)

18

Eine differenzierte neuropsychologische Untersu- chung ist jedoch angebracht bei

grenzwertigen Befunden, v. a. bei hochgebilde- ten Personen,

Rechtsfragen in frühen Demenzstadien (Testier- fähigkeit, Schuldfähigkeit),

schwierigen differenzialdiagnostischen Ent- scheidungen (z. B. Demenz vs. Depression), Aphasie, die eine Demenz vortäuschen kann (z. B. Gyrus-angularis-Syndrom) und

(multi)fokalen Läsionen.

Daneben gelten Vorbehalte gegen ein mögliches

»Overtesting« weniger im Rahmen von Forschungs- studien, die der Verbesserung bestehender oder der Entwicklung neuer psychometrischer Untersu- chungsansätze zur Demenzdiagnostik dienen oder das Wissen über die Ätiopathologie von zur De- menz führenden Erkrankungen vertiefen sollen.

Dass die Untersuchung kognitiver Beeinträchti- gungen keinesfalls eine demütigende Erfahrung für Patienten und/oder Studienteilnehmer sein darf, gehört dabei zum Selbstverständnis einer professio- nell betriebenen Neuropsychologie.

In den letzten Jahren werden zunehmend auch funktionelle bildgebende Untersuchungsverfahren wie die Positronenemissionstomographie (PET;

meist als Ruheuntersuchung mittels 18-Fluordes- oxyglukose,18FDG-PET) zur Abklärung eines De- menzverdachtes herangezogen. Rationale hierfür ist die Erkenntnis, dass ähnlich wie die Neuropsycho- logie auch die Neurophysiologie früher Demenz- stadien in Abhängigkeit von deren Genese typische Befundmuster aufweisen kann. So ist die beginnen- de Alzheimer-Demenz meist durch einen Glukose- hypometabolismus mediotemporaler und temporo- parietaler Areale gekennzeichnet, während z. B.

frontotemporale Demenzen im Anfangsstadium eine Akzentuierung frontaler und frontoparietaler Areale zeigen.

Die zunehmende Bedeutung strukturell und funktionell bildgebender Verfahren in der Demenz- diagnostik mindert in keiner Weise den Nutzen neuropsychologischer Untersuchungen. Abgesehen davon, dass bildgebende Daten per se nichts über die Verhaltensrelevanz hirndiagnostischer Befunde aussagen, sind psychometrische Tests den viel auf-ff wendigeren und teureren neurodiagnostischen Me- 4

4 4 4 4

thoden hinsichtlich der diagnostischen Sensitivität eindeutig überlegen (s. Studienbox). Neuropsycho- logische und neurodiagnostische Methoden sind demnach als komplementäre Werkzeuge anzusehen:

Zakzanis (1998) empfiehlt die Kombination von Verfahren hoher Sensitivität (neuropsychologische Tests) mit solchen hoher Spezifität (Bildgebung), um die Genauigkeit diagnostischer und differenzial- diagnostischer Entscheidungen zu verbessern. Kom- mentierend sei hier nochmals hervorgehoben, dass Demenzdiagnosen Verhaltensdiagnosen sind, in- sofern ist die neuropsychologische Untersuchung essenziell, wohingegen die Aufgabe labormedizini- scher und bildgebender Verfahren eher darin be- steht, mögliche Ursachen aufzudecken.

18.3.2 Instrumente

Welche psychometrischen Untersuchungsverfahren stehen für die neuropsychologische Diagnostik de- menzieller Erkrankungen zur Verfügung, und welche eignen sich besonders für diesen Zweck? Am weites- ten verbreitet in Forschung und Praxis sind kurze Screening-Verfahren, deren wichtigste .Tab.18.3 aufführt. In dieser und den nachfolgenden .Tab.18.4 und .Tab.18.5werden beispielhaft und ohne An- spruch auf Vollständigkeit nur standardisierte neuro- psychologische Leistungstests (keine Fremd- oder Selbsteinschätzungsskalen) aufgeführt, die im deut- schen Sprachraum einsetzbar sind und den wesent- lichen psychometrischen Gütekriterien genügen. Aus Platzgründen musste auf Literatur- und Quellen- angaben zu den einzelnen Testverfahren verzichtet werden; es sei jedoch auf das separate Testglossar (in diesem Band) verwiesen.

»Mini-Mental StatusTest« Zweifellos das bekann- teste Verfahren hiervon ist der »Mini-Mental Status Test« (MMST; engl. »Mini-Mental State Exami- nation«, MMSE), der ursprünglich als einfache Methode zur raschen Schweregradeinschätzung kognitiver Defizite bei Patienten mit Demenz- verdacht entwickelt wurde. Den Vorzügen dieses Verfahrens, die seine weite Verbreitung erklären – die kosten- und zeitökonomische, einfache Durch- führbarkeit, die auch bei wenig geschultem Hilfs- personal hinreichende Standardisierung gewähr-

(7)

Studienbox

»Quantitative evidence for neuroanatomic and neuropsychological markers in dementia of the Alzheimer‘s type« (Zakzanis 1998) Zakzanis (1998) hat anhand einer Metaanalyse die Sensitivität psychometrischer Leistungstests (»California Verbal Learning Test«, CVLT; »Wechs- ler Memory Scale-Revised«, WMS-R) und struk- turell bzw. funktionell bildgebender Unter- suchungsverfahren (Magnetresonanztomo- graphie, MRT; »Single Photon Emission Compu- terized Tomography«, SPECT; PET) zur Erfassung tem porohippokampaler Minderleistungen bei der Alzheimer-Demenz vergleichend zu be- stimmen versucht. Berücksichtigt wurden die Ergebnisse von 27 in den Jahren 1984–1997 in englischer Sprache publizierten Studien, die durch Einschluss gesunder Kontrollgruppen und hinreichend ausführliche Angaben die Be- rechnung von Effektstärken (Cohens d) ermög- lichten und zusätzlich die folgenden Kriterien er- füllten:

a) Patienten mussten die NINCDS-ADRDA-Kri- terien (»National Institute of Neurological and Communicative Disorders and Stroke, Alzheimer’s Disease and Related Disorders Associa tion«, NINCDS-ADRDA; McKhann et al.

1984) einer wahrscheinlichen Demenz vom Alzheimer-Typ erfüllen,

b) neuropsychologischen Tests mussten von geschultem Personal unter der Supervision eines Psychologen durchgeführt worden sein, und

c) Auswertungen der MRT-, SPECT- und PET-Auf- nahmen mussten von einem Untersucher vorgenommen worden sein, der im Hinblick auf den klinischen Status der Patienten ver- blindet war.

Jede Untersuchungsmethode lieferte dabei meist pro Studie mehrere Effektstärken, je nach Anzahl der quantifizierten Parameter (z. B. WMS-R: Logi- sches Gedächtnis unmittelbare und verzögerte Wiedergabe, visuelle Reproduktion unmittelbare und verzögerte Wiedergabe; MRT: Volumina ver- schiedener temporal-hippokampaler Strukturen links und rechts). Die auf den Daten von insgesamt 619 Pa tienten und 659 Gesunden beruhenden Er- gebnisse verdeutlicht . Abb. 18.1. Demnach fallen die für den Unterschied zwischen Patienten und Gesunden berechneten mittleren Effektstärken im Falle der neuropsychologischen Untersuchungs- instrumente wesentlich höher aus als diejenigen für die neurodiagnostisch-bildgebenden Ver- fahren, wobei es keine Überschneidungen der 95%-Konfidenz intervalle gibt. Bemerkenswert ist auch, dass sich die neuropsychologischen Kennwerteverteilungen beider Stichprobengrup- pen prozentual deutlich weniger überlappen (5,0–8,8%) als die Kennwerteverteilungen aus der Bildgebung (31,9–37,8%).

Abb. 18.1. Vergleich der mittleren Effektstärken (Cohens d mit 95% Konfi- denzintervallen) zweier neuropsycholo- gischer Gedächtnistests (CVLT/WMS-R) und dreier Verfahren zur neurodiagnosti- schen Bildgebung (MRT/PET/SPECT) bei der Unterscheidung zwischen Patienten mit wahrscheinlicher Alzheimer-Demenz und Gesunden. Ziffern an der Abszisse:

Zahl der Effektstärken (eigene Abbil- dung). (Daten aus Zakzanis 1998, S. 265) .

(8)

18

Tab.18.3.Neuropsychologische Untersuchungsinstrumente zur Demenzdiagnostik: Screeningverfahren .

Testkürzel Testnamen Kennwerte/

Parallel- formen

Normierung N/

Altersbereich

Anmerkungen

CDT »Clock Drawing

Test« (Uhren-Test)

1/nein 253/65–85 SprachfreieTestleistung (v. a. visuell-

räumliche Orientierung); zahlreiche Auswertungsvarianten

c.I.-Test Kurztest für zere- brale Insuffizienz zur Frühdiagnostik von Demenzen

2/nein k. A./17–>65 Erfasst kognitive Geschwindigkeit in zweiTempo-Aufgaben; alters- und intelligenzgestufte Cut-off-Werte DemTect DemTect zur Unter-

stützung der De- menzdiagnostik

1/nein k. A./40–>60 5 Aufgaben zu Gedächtnis,Zahlen-

umwandlung und verbale Flüssig- keit; Interpretation anhand Sum- menschwellenwert

KAI Kurztest für allge- meine informations- psychologische Basisgrößen

3/2 672/17–65 Nur gemeinsam mit Mehrfachwahl- Wortschatztest (MWT-B) als Demenz- screening zu erwägen (Vergleich fluide vs. kristalline Intelligenzfunk- tionen)

KMS Kognitives Minimal- Screening

1/nein 202/>40 Weiterentwicklung des MMSTmit

höherer Sensitivität und Spezifität

MMST »Mini MentalStatus

Test«

1/nein 484/k. A. Am weitesten verbreitetes Verfahren

zum Demenzscreening (Grenzwerte zur globalen Schweregradeinschät- zung); weltweit Daten vonTausen- den von Personen

MNDS Modifiziertes

Neuropsycho- logisches Defizit- Screening

15/nein 50/k. A Relativ differenzierte Leistungser-

fassung; validiert an 41Patienten mit Demenz und 23 mit organi- schem Psychosyndrom

MT Memo-Test 5/2 391/2–>60 Lediglich orientierende Interpreta-

tion verbaler Gedächtnisleistung anhand vonTrennwerten SKT Kurztest zur Erfas-

sung von Gedächt- nis- und Aufmerk- samkeitsstörungen

9/5 k.A./17–>65 Eher zur Verlaufsuntersuchung bei bereits abgeklärten demenziellen Erkrankungen; auch internationalin Gebrauch

TFDD Test zur Früherken-

nung von Demen- zen mit Depressions- abgrenzung

2/nein 37/>60 Ein Kennwert bildet globale selbst- und fremdbeurteilte Depressivität ab; validiert an 88 AD-Patienten und 52 Depressiven; vorläufige Cut- off-Werte

ADAS »Alzheimer’s Disea-

se Assessment Scale«

9/5 217/k. A Deutsche Bearbeitung des inter- nationalverbreiteten Verfahrens;

9 Aufgaben im aktivenTestteil(ein- schließlichTremor), darüber hinaus klinisches Interview und Verhaltens- beobachtung; Parallelversionen nur für Freie Wortreproduktion und für Wortwiedererkennen 6

(9)

Tab.18.3 (Fortsetzung) .

Testkürzel Testnamen Kennwerte/

Parallel- formen

Normierung N/

Altersbereich

Anmerkungen

CERAD-NPplus Neuropsycholo- gischeTestbatterie des»Consortium to Establish a Registry for Alzheimer’s Disease« (CERAD)

15/nein 1.100/50–89 Internationaler Standard für die

Dokumentation von Status und Verlauf neuropsychologischer Defi- zite bei Patienten mit Alzheimer- Demenz (u. a. Demenzen). Autori- sierte deutschsprachige Fassung mit Normen von derzeit n=1100 Gesun- den im Altersbereich 50–80+auf der Homepage der Memory-Clinic Basel

DT Demenztest 8/nein 505/k. A. Zu den 8 Untertests gehören MMST,

Ischämie-Score und ein Fremdrating des Alltagsverhaltens; wird trotz fehlender Parallelformen von den Autoren auch zur Verlaufs- messung empfohlen

NAI Nürnberger-Alters-

Inventar

11/5 2688/55–96 4 tempo- und 7 gedächtniszentrierte Leistungsprüfungen; daneben 2 Fremd- und 5 Selbstbeurteilungs- fragebögen u. a. zu Alltagsaktivitäten und Lebensqualität; einige Subtests haben weniger als 5 Parallelformen;

spezielle Vergleichswerte für ver- schiedene Demenzformen; zahlrei- che Übersetzungen

k. A.keine Angaben

leistet –, stehen gravierende Mängel gegenüber (Dunn et al. 2000):

so ist dieses Instrument wenig sensitiv für gering- gradig ausgeprägte kognitive Defizite,

es generiert allzu leicht falschnegative Diagno- sen bei Probanden mit hohem Bildungsstand bzw. falschpositive Diagnosen bei Probanden mit niedrigem Bildungsstand,

es ist nicht hinreichend kulturfair und – aus neuropsychologischer Sicht wichtigster Ein- wand –

es ermöglicht mit seinen 10 funktional hetero- genen Items, die zu einem Summenwert zusam- mengefasst werden, keine differenzierte Beur- teilung des kognitiven Status einer Person.

Demgegenüber liefert eine ausführliche neuro- psychologische Untersuchung valide und reliable Kennwerte über ein ganzes Spektrum kognitiver 4

4

4

4

Funktionsbereiche und erlaubt damit eine differen- zierte Erfassung selbst geringgradig ausgeprägter kognitiver Defizite mit erheblich höherem Nutzen für Früherkennung und differenzialdiagnostische Entscheidungen. Prinzipiell lassen sich dabei zwei Herangehensweisen unterscheiden:

1. die Verwendung standardisierter, mehr oder weniger umfangreicher Testbatterien, die spe- ziell für Aufgaben der Demenzdiagnostik ent- wickelt wurden, und

2. die fallweise Zusammenstellung eigenständiger psychometrischer Tests zu ad hoc-Batterien.

Dabei ermöglicht die 2. Methode ein im Hinblick auf den einzelnen Patienten flexibleres und der je- weiligen Fragestellung besser angepasstes Vorgehen.

Die einzelnen Verfahren haben unter Umständen auch bessere psychometrische Eigenschaften als die analogen Subtests vordefinierter Testbatterien.

(10)

18

Tab.18.4.Neuropsychologische Untersuchungsinstrumente zur Demenzdiagnostik: StandardisierteTestbatterien .

Testkürzel Testnamen Kennwerte/

Parallel- formen

Normierung N/

Altersbereich

Anmerkungen

ADAS »Alzheimer’s

Disease Assessment Scale«

9/5 217/k. A Deutsche Bearbeitung des interna- tionalverbreiteten Verfahrens;

9 Aufgaben im aktivenTestteil (einschließlichTremor), darüber hinaus klinisches Interview und Verhaltensbeobachtung; Parallel- versionen nur für Freie Wortrepro- duktion und für Wortwieder- erkennen

CERAD-NPplus Neuropsychologi- scheTestbatterie des»Consortium to Establish a Registry for Alzheimer’s Disease« (CERAD)

15/nein 1.100/50–89 Internationaler Standard für die

Dokumentation von Status und Verlauf neuropsychologischer De- fizite bei Patienten mit Alzheimer- Demenz (u. a. Demenzen). Autorisier- te deutschsprachige Fassung mit Normen von derzeit n=1100 Ge- sunden im Altersbereich 50–80+

auf der Homepage der Memory- Clinic Basel

DT Demenztest 8/nein 505/k. A. Zu den 8 Untertests gehören MMST,

Ischämie-Score und ein Fremdrating des Alltagsverhaltens; wird trotz fehlender Parallelformen von den Autoren auch zur Verlaufsmessung empfohlen

NAI Nürnberger-Alters-

Inventar

11/5 2688/55–96 4 tempo- und 7 gedächtniszentrier- te Leistungsprüfungen; daneben 2 Fremd- und 5 Selbstbeurteilungs- fragebögen u. a. zu Alltagsaktivi- täten und Lebensqualität; einige Subtests haben weniger als 5 Pa- rallelformen; spezielle Vergleichs- werte für verschiedene Demenz- formen; zahlreiche Übersetzungen k. A.keine Angaben

Die resultierenden Testzusammenstellungen sind jedoch meist weniger konsistent hinsichtlich zu- grunde liegender Konstruktionsprinzipien und ver- fügbarer Normen, und ihre psychometrische Güte als Ganzes ist weniger sicher zu beurteilen als die- jenige standardisierter Testbatterien. Auf die daraus resultierenden speziellen methodischen Probleme einer Profilanalyse kognitiver Leistungen kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden.

Standardisierte Testbatterien .Tab. 18.4 listet standardisierte Testbatterien zur neuropsycholo- gischen Demenzdiagnostik auf. Besonders hervor- zuheben ist die neuropsychologische Testbatterie des »Consortium for the Establishment of a Regis- try for Alzheimer’s Disease« (CERAD), meist als CERAD-NP bezeichnet. Die CERAD-NP gewinnt in den letzten Jahren zunehmende Bedeutung durch den Versuch, mit ihr ein international akzeptiertes

(11)

Tab.18.5. Neuropsychologische Untersuchungsinstrumente zur Demenzdiagnostik: Funktionsspezifische Einzeltests .

Testkürzel Testnamen Kennwerte/

Parallel- formen

Normierung N/

Altersbereich

Anmerkungen

Lernen und Gedächtnis

BT Benton-Test 2/3 >1300/15–69 Angaben bezogen auf Standard-

instruktion A. Spezielle Altersnormen für z. B. Wahlform verfügbar

CGT-(M) Computerisierter Gedächtnis- und Aufmerksamkeits- test (München)

18/2 102/18–85 Die Kennwerte resultieren aus

4 Subskalen; Parallelformen nur für die Subskalen visuelle Aufmerksam- keit und visuelles Gedächtnis

DCS Diagnostikum

fürZerebral- schädigung

2/2 172/40–94 Erfasst mnestische Hirnfunktionsstörun-

gen bei figuralem Lernmaterial; erfordert Gestaltreproduktion mit Übertragung auf feinmotorische Ebene

NVLT Nonverbaler

Lerntest

4/nein 911/20–66 Computertest der Rekognitionsleistung für nonverbales Gedächtnismaterial wahlweise als Lang- oder Kurzform;

neben Gesamtnormen auch spezifische Normen

VLT Verbaler Lerntest 4/2 410/18–76 Computertest der Rekognitionsleistung für verbales Gedächtnismaterial; sonst wie NVLT

RBMT »Rivermead

BehavioralMemory Test«

11/4 157/15–90 Hohe ökologische Validität durch alltags-

relevante Aufgaben; deutsche Normie- rungsstichprobe umfasst auch 67 neuro- logische Patienten;leider nur geringe Stichprobengrößen pro Altersgruppe WMS-R Wechsler Gedächt-

nistestRevidierte Fassung

5/nein 210/15–74 In13 Untertests werden neben verbalen und visuellen Gedächtnisleistungen auch Aufmerksamkeit/Konzentration erfasst

Untersuchungsinstrument zu etablieren, das einer- seits die methodischen Mängel globaler Screening- Instrumente vermeidet (s. o.), andererseits aber hin- reichend einfach und zeitökonomisch anzuwenden ist, um auch in transnationalen Studien unter dem Gesichtspunkt einer besseren Vergleichbarkeit der Falldefinition eingesetzt zu werden. Die autorisierte deutschsprachige, um weitere Subtests ergänzte, Fassung der CERAD-NP (als CERAD-NPplus be- zeichnet) kann von der »Basler Memory Clinic«

unter der Homepage www.memoryclinic.ch/tests bezogen werden. Über Anwendungserfahrungen berichten methodenkritisch Satzger et al. (2001).

.Tab.18.5versammelt einige psychometrische Einzeltests, die sich grundsätzlich zur Kombination

im Rahmen des »flexible battery approach« eignen.

Angesichts des besonderen Stellenwertes, den Ge- dächtnisstörungen für die Diagnostik der meisten Demenzformen einnehmen, überrascht es nicht, dass die Auswahl der hierzu verfügbaren Testverfah- ren relativ am größten ist. Einige der in.Tab.18.5 genannten Testverfahren sind Subtests aus um- fangreicheren Instrumenten (z. B. MT aus WIE), die sich problemlos auch separat verwenden lassen.

Eine Zusammenstellung neuropsychologischer Testverfahren, die für die psychometrische Diagnos- tik demenzrelevanter kognitiver Funktionsbereiche geeignet sind, findet sich auch in Fleischmann (2000).

6

(12)

18

Tab.18.5 (Fortsetzung) .

Testkürzel Testnamen Kennwerte/

Parallel- formen

Normierung N/

Altersbereich

Anmerkungen

Sprache

AAT Aachener

Aphasie-Test

5/nein 476/21–70 Normstichprobe aus 376 aphasischen und100 nichtaphasischen Patienten;

zusätzlich qualitative Auswertung der Spontansprache

RWT Regensburger

Wortflüssig- keitstest

14/nein 634/18–>65 Formallexikalische und semantische

Wortflüssigkeit mit und ohne Kategorien- wechselüber1oder 2 Minuten; Subtests auch einzeln durchführbar bzw. kombi- nierbar für Verlaufsuntersuchungen

TT »TokenTest« 1/nein 200/15–75 Normierung an aphasischen und nicht-

aphasischen neurologischen Patienten Aufmerksamkeit

AKT Alterskonzentra- tionstest

4/2 1008/55–95 Weitgehend sprachunabhängig; ge-

trennte Normen für Aphasiker, Pflege- heimpatienten und Rüstige

FAIR Frankfurter Aufmerksamkeits- intentar

4/2 1553/14–72 Getrennte Eichstichproben für Formen A

und B; Kennwerte sind teilweise intelli- genzabhängig (mit IST-70 bis r=0,44)

ZS-G Zahlen-Symbol-

Test/Version G (Subtest aus NAI;

s..Tab.18.6)

1/5 2688/55–96 Vielschichtiges Anforderungsprofil, auch an komplexe Aufmerksamkeits- funktionen

Raumverarbeitung

VOSP Testbatterie für

visuelle Objekt- und Raumwahr- nehmung

8/nein 98/18–90 Je 4 Subtests für Objekt- bzw. Raum- wahrnehmung plus vorgeschaltetem visuell-sensorischem Screening;

Subtests einzeln durchführbar; Altersein- teilung nur nach unter/über 50-Jährige

MT Mosaiktest

(Subtests aus WIE;

s. unten)

1/nein 1897/16–89 Besonders sensitiverTest zur Erfassung

visuokonstruktiver Leistungen

CFT »Complex Figure

Test«

1/nein 211/30–85 In der Literatur relativ neue Altersnormen

für diesen klassischenTest und seine erweiterte Version

Exekutive Funktionen

FWIT Farbe-Wort-Inter- ferenztest nach Stroop

5/nein 480/16–84

850/16–84b

Ausgesprochener Speed-Test; neben 3 primären Subtestkennwerten 2 regres- sionsanalytisch bereinigte Kennwerte für Nomination und Selektivität (nur füra)

6

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Tab.18.5 (Fortsetzung) .

Testkürzel Testnamen Kennwerte/

Parallel- formen

Normierung N/

Altersbereich

Anmerkungen

PERSEV Perseverationstest 2/nein 104/18–77 Computerversion desZeigeversuches nach Mittenecker; quantifiziert Flexibili- tät motorischen Verhaltens anhand informationstheoretischer Redundanz- maße1. Und 2. Ordnung

WCST »Wisconsin Card

SortingTest«

13/nein 899/6–89 Bekannteste Kartensortieraufgabe zur

Erfassung des abstrakten Denkens;

sprachunabhängiges Stimulusmaterial;

nur U.S.-Normen verfügbar; geringe Stichprobengrößen in höheren Alters- stufen

Intelligenz

WIE Wechsler Intelli- genztest für Erwachsene

11/nein 1897/16–89 Kognitives Leistungsprofilanhand von11

Subtests und ihrerZusammenfassung zu Verbal-IQ, Handlungs-IQ und Gesamt-IQ LPS 50+ Leistungsprüf-

system für 50- bis 90-Jährige

14/2 272/50–90 Differentierte Erfassung des kognitiven Leistungsprofiles

MWT-B Mehrfachwahl- Wortschatz-Intelli- genztest

1/1 1952/20–64 Schätzung prämorbiden Intelligenzni-

veaus anhand kristalliner Leistung

aAllgemeine (»absolute«) Leistungsnorm,bAltersnorm für Erwachsene

Zusammenfassung

Generellist festzuhalten, dass neben bewährten, zeitökonomischen Screeninginstrumenten zur globalen Einschätzung des kognitiven Status eine Reihe psychometrisch überprüfter Unter- suchungsbatterien und funktionsspezifischer Einzeltests verfügbar sind, die für die neuro- psychologische Demenzdiagnostik prinzipiell geeignet sind und eine differenzierte altersnorm- orientierte Leistungsdiagnostik ermöglichen.

Dennoch besteht nach wie vor ein erheblicher Entwicklungsbedarf an gerontoneuropsycholo-

gischen Instrumenten. Einige theoretisch gut be- gründete und auch differenzierteTestverfahren kommen für die Demenzdiagnostikleider (noch) nicht infrage, da sie im höheren Altersbereich nur unzureichend normiert sind.Tatsächlich ist meist weniger die theoretische Fundierung oder psycho- metrische Qualität als die fehlende oder unzu- reichende Altersnormierung der Hauptgrund da- für, dass viele der bereits existierendenTestver- fahren kaum für die Demenzdiagnostik geeignet erscheinen.

(14)

18

18.4

Neuropsychologische Befunde

Im Folgenden werden zentrale Befunde für die beiden mit Abstand häufigsten Demenzformen (Alzheimer-Demenz und vaskuläre Demenzen) so- wie für die in den letzten Jahren zunehmend stärker beachtete frontotemporale Demenz referiert. Ak- tuelle Darstellungen dieser und anderer Demenz- formen geben Beyreuther et al. (2002), Förstl (2001) und Kurz (2000); über ausgesprochen seltene demenzielle Erkrankungen unterrichtet Schulz (2002).

18.4.1 Alzheimer-Demenz

Die Demenz vom Alzheimer-Typ (DAT; kurz: Alz- heimer-Demenz, AD) ist die bekannteste und mit einem Anteil von 60–70% auch die häufigste aller Demenzformen. Ihr liegen charakteristische neuro- degenerative Veränderungen zugrunde, die histo- pathologisch als Ablagerung von β-Amyloid und anderen Eiweißen zwischen den Nervenzellen (Plaques), Umwandlung zytoskeletaler Elemente (Neurofibrillenveränderungen) und reaktive Glia- zellvermehrung sowie makroskopisch als Nerven- zelluntergang (Atrophie) insbesondere im Tempo- ral- und Parietallappen sichtbar werden. Zwar sind Bestandteile und Entstehung der schon von Alzhei- mer (1906) beschriebenen extrazellulären Plaques und intraneuronalen Fibrillenbündel inzwischen weitgehend aufgeklärt (Überwiegen der β- und c-Sekretasen bei der Spaltung des auf Chromo- som 21 kodierten Amyloidvorläuferproteins APP bzw. übermäßige Phosphorylierung des normaler- weise die intraneuronalen Mikrotubuli stabilisie- renden s-Proteins). Auch werden sekundäre Effekte dieser neuropathologischen Veränderungen immer besser verstanden (lokale entzündliche Prozesse, Azetylcholinmangel), und es gibt erste Hinweise auf diagnostisch verwertbare Biomarker (erhöhtes/er- niedrigtes A β 42 im Liquor bei manifester AD und ihren unmittelbaren klinischen Vorstadien). Den- noch liegen die eigentlichen Ursachen der Erkran- kung noch immer im Dunkeln, und eine kausale Therapie ist derzeit nicht möglich (zum aktuellen Stand der molekularbiologischen Grundlagenfor-

schung vgl. Beyreuther et al. 2002, S. 72–128; allge- meiner zu den verschiedenen biomedizinischen Facetten der Alzheimer-Krankheit: Dal-Bianco 2001; Förstl et al. 1999, 2001).

Um die bei der AD auftretenden zahlreichen neuropsychologischen Beeinträchtigungen zu ver- stehen, ist die mehr oder minder typische Ver- laufscharakteristik der Alzheimer-Krankheit zu beachten. Die progredienten neuropathologischen Veränderungen des M. Alzheimer beginnen im mediobasalen Temporallappen Jahrzehnte bevor die ersten klinischen Krankheitszeichen auftreten (klinisch stumme Phase). Erst wenn der neuro- degenerative Prozess den Hippokampus erreicht, treten neuropsychologische Störungen des Lernens und des Gedächtnisses auf. Auch depressive Ver- stimmungen und sozialer Rückzug können vor- kommen, doch sind die kognitiven und emotio- nalen Veränderungen noch wenig offensichtlich (Prädemenzphase). Die diagnostische Schwelle wird überschritten, wenn sich der Krankheitspro- zess weiter auf den Temporal-, Parietal- und (meist zuletzt) Frontallappen ausbreitet und so einerseits die Störungen des Gedächtnisses immer schwer- wiegender werden, andererseits zusätzliche kogni- tive Defizite auftreten (Sprache, Raumverarbeitung, exekutive Funktionen), sodass deutliche Beein- trächtigungen der Alltagskompetenz resultieren.

Diese letzte, eigentliche Demenzphase der Erkran- kung wird üblicherweise wiederum in drei Stadien unterteilt:

leichtgradige Demenz, mittelgradige Demenz und fortgeschrittene (schwere) Demenz.

Diese klinischen Stadien sind durch progrediente kognitive Beeinträchtigungen, den allmählichen Verlust von Krankheitseinsicht und Selbstständig- keit, hinzutretende psychopathologische Symptome (Unruhe, Aggressivität, Sinnestäuschungen, Wahn- vorstellungen) und schließlich durch Pflegebedürf- tigkeit sowie neurologische Komplikationen und Ausfallerscheinungen geprägt (Förstl 2000).

Nach Braak und Braak (2002) weisen v. a. die neurofibrillären Veränderungen ein charakteristi- sches zeitlich-räumliches Verteilungsmuster auf, das die Unterscheidung von 6 neuropathologischen Entwicklungsstadien ermöglicht:

44 4

(15)

Transentorhinale StadienIundII: Erste neu- rofibrilläre Veränderungen im transentorhina- len Randbereich der entorhinalen Rinde (Ein- trittspforte für den isokortikalen Datenstrom).

Veränderungen insgesamt noch gering ausge- prägt, klinisch keine Symptome.

Limbische StadienIIIundIV: Schwere Zerstö- rungen der entorhinalen Rinde zunächst in der oberen Zellschicht (Informationsfluss vom Iso- kortex zur Hippokampusformation), dann in tieferen Schichten (Rückprojektion aus der Hip- pokampusformation zum Isokortex). Isolation des Hippokampus. Veränderungen im vorderen und medialen Bereich des Temporallappens (limbische Zentren einschließlich Amygdala) mit teilweise schon isokortikaler Beteiligung.

Markiert in vielen Fällen die klinische Initial- phase der AD mit bereits deutlicher Beeinträch- tigung des episodischen Gedächtnisses.

Isokortikale Stadien V undIV:Massive neuro- fibrilläre Veränderungen in nahezu allen Teilen der Hirnrinde, v. a. in den ausgedehnten Asso- ziationsarealen des Isokortex. Starker Verlust an kortikalen Projektionsneuronen, Atrophie insbesondere temporaler und frontaler Areale.

Ausgeprägte Demenz mit multiplen kognitiven Defiziten einschließlich »höherer Werkzeugstö- rungen«: Aphasien, Apraxien, Agnosien.

Bemerkenswert ist, dass die primären motorischen und sensorischen Areale des Neokortex sowie der Okzipitallappen von den neuropathologischen Ver- änderungen fast immer verschont bleiben. Häufig trifft dies sogar (zumindest teilweise) für frontale Rindenareale zu, weshalb bei der AD exekutive Funktionsstörungen zunächst meist nicht so im Vordergrund stehen wie Störungen des Gedächt- nisses und der Sprache. Auch Veränderungen der Persönlichkeit und der sozialen Verhaltensweisen sind im Vergleich zu den kognitiven Veränderungen viel weniger deutlich.

Zeitliches Schema neuropsychologischer Funk- tionsbeeinträchtigungen Bezieht man die klini- sche Verlaufscharakteristik und die neuropathologi- sche Stadieneinteilung von Braak und Braak (2002) aufeinander, so ergibt sich ein zeitliches Schema, in das die im Laufe der Alzheimer-Krankheit auftre- 4

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4

tenden neuropsychologischen Funktionsbeeinträch- tigungen eingeordnet werden können (.Tab.18.6).

Zu beachten ist, dass

die Angaben für die Prädemenzphase relativ unsicher sind, da hierfür noch zu wenige ge- sicherte Erkenntnisse vorliegen (s. 7Kap.18.5.1

»Früherkennung«),

sich Störungen, die in einer bestimmten Phase erstmals auftreten, in den nachfolgenden Pha- sen weiter verstärken und

die schematische Darstellung insofern stark ver- einfachend ist, als Krankheitsverläufe realiter eine erhebliche interindividuelle Variabilität der kognitiven Beeinträchtigungen und ihrer zeit- lichen Sukzession aufweisen.

Zahlreiche empirische Untersuchungen belegen und differenzieren die in.Tab.18.6 aufgeführten kog- nitiven Defizite von Patienten mit AD (Übersichten bei Calabrese 2000; Collie u. Maruff 2000; Duke u. Kaszniak 2000; Dunn et al. 2000; Kaschel 2001;

Pasquier 1999; Perry u. Hodges 1999). Dabei werden zunehmend auch solche kognitive Funktikk onen er- forscht, die bisher wenig Beachtung fanden, wie etwa feinmotorische Koordinationsstörungen (Kluger et al. 1997; Slavin et al. 1995) oder Zahlenverarbeitungs- und Rechenstörungen (Kalbe u. Kessler 2002).

Mnestische Beeinträchtigungen Als Beispiel da- für, wie im Rahmen der neuropsychologischen Un- tersuchung von Patienten mit dem Verdacht einer AD einzelne Funktionsbereiche differenziert be- trachtet werden können und auch müssen, sei an dieser Stelle ausführlicher auf die besonders intensiv untersuchten mnestischen Beeinträchtigungen ein- gegangen (Allgemeines zu Gedächtnis und Gedächt- nisstörungen bei Markowitsch 1999; Schuri 2000).

Die frühesten kognitiven Anzeichen einer mög- lichen Alzheimer-Krankheit sind fast immer eine leichte Merkschwäche für neue Informationen und Wortfindungsstörungen (Collie u. Maruff 2000).

Diese werden im Prädemenzstadium von Betrof- fenen, Angehörigen und oft auch von Hausärzten zunächst als normale altersassoziierte Leistungsein- bußen gedeutet. Eine neuropsychologische Unter- suchung erfolgt meist erst, wenn das Demenzsta- dium 1 erreicht ist. Hier imponieren bereits deut- liche Minderleistungen bei der unmittelbaren, v. a.

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