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Am 19. Februar 1919 hielt die Sozialdemokratin

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100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland

Politische Repräsentanz als wichtiges Element auf dem Weg zur

Gleichberechtigung - Theresia von Groote, Maria Bartsch, Maria Mülligann und Cornelia Weigand im AW-Kreis

R i t a G i l l e s

A

m 19. Februar 1919 hielt die Sozialdemo- kratin und Gründerin der Arbeiterwohl- fahrt Marie Juchacz als erste weibliche Abge- ordnete in der Nationalversammlung eine Rede und begann mit der Anrede: „Meine Herren und Damen!“ Der Protokollführer notierte als Reak- tion der Abgeordneten das Wort: „Heiterkeit“.

Was vor hundert Jahren belächelt, wenn nicht gar verlacht wurde, ist heute eine Selbstver- ständlichkeit: die Anrede zweier Geschlechter.

Am 19. Januar 1919 durften die Frauen in Deutschland das erste Mal an die Wahlurne treten. Dies wurde möglich, nachdem am 30.

November 1918 in Deutschland das sogenannte Reichswahlgesetz in Kraft trat. Erstmals hatten Frauen damit das aktive und passive Wahlrecht.

Bei dieser ersten Wahl lag die Wahlbeteiligung bei den Frauen bei 82,3%. Ebenfalls 1919 trat die neue Weimarer Verfassung in Kraft, in de- ren Artikel 109 es hieß: „Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen ha- ben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“

Kampf ums Wahlrecht

Dieses Wahlrecht und damit auch der erste große Schritt hin zur Gleichberechtigung musste von den Frauen mühsam erkämpft wer- den. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts forderten Frauenvereine das Wahlrecht, aber auch ein Recht auf Bildung und Erwerbstätigkeit. 1849 sprach sich die Frauenaktivistin und Herausge- berin einer frauenpolitischen Zeitschrift Luise Otto-Peters für die politische Mitbestimmung für Frauen aus. In der Folgezeit gab es eine Vielzahl von Wegbereiterinnen, wie Clara Zet-

kin, Hedwig Dohm, Anita Augsburg und Ottilie Baader, um nur einige wenige zu nennen. Da- bei war die Schriftstellerin Hedwig Dohm mit ihrem Werk „Der Frauen Natur und Recht“ von 1876 wohl die erste Frau, die politische Gleich- berechtigung forderte. Zwanzig Jahre später, das Wahlrecht war trotz aller Anstrengungen immer noch in weiter Ferne, bekräftigte die Frauenrechtlerin Helene Lange in ihrer Zeit-

Zum Frauentag 1914 wurde zu Versammlungen für das Frauenwahlrecht aufgerufen.

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schrift „Die Frau“ die Forderung und merkte an, dass die Männer die Interessen der Frauen wahren, sei Fiktion.

Die Widerstände, auf die die Frauen tra- fen, waren erheblich. Die Argumentation der Gegner des Wahlrechtes war dabei immer die gleiche, nicht nur in Deutschland. Auch selbst noch vor der Einführung des Frauenwahlrechts in der Schweiz 1971 wurde ins Feld geführt, Frauen seien geistig nicht in der Lage, poli- tische Themen zu verstehen, ihre Aufgabe sei Mutterschaft und Haushalt, zudem wolle die überwiegende Mehrheit der Frauen gar kein Wahlrecht. Und überhaupt würde das Frauen- wahlrecht einen die Nation gefährdenden Ge- burtenrückgang zur Folge haben.

„Das männlichste Volk der Erde“

Es gründete sich sogar der „Deutsche Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation“, in dem ein Viertel der Mitglieder Frauen wa- ren. Dessen Vorsitzender, Ludwig Langemann, mahnte 1913: „Wenn auch alle europäischen Völker am Weibe verkommen sollten, das deut- sche Volk, das männlichste Volk der Erde, an dessen Wesen noch die Welt genesen soll, muß im heiligsten Interesse der Menschheit vor die- sem Schicksal bewahrt werden.“

Die Frauenvereine und Aktivistinnen in Deutschland bildeten dagegen nicht immer eine einheitliche Front und agierten eher ge- geneinander als miteinander. Zwar waren sie sich einig in ihrer Forderung nach dem Wahl- recht, doch die Strategien, die sie verfolgten, wichen zwischen den Sozialistinnen und den konservativ bürgerlich geprägten Frauen von- einander ab. Uneinigkeit bestand beispiels- weise darin, ob es akzeptabel sei, das Ziel in Etappen zu erreichen, indem zunächst nur das kommunale Wahlrecht gefordert werden solle.

Internationale Zusammenarbeit

So kämpften nicht nur in Deutschland Frauen für ihre Rechte. Wichtig für ihren gemein- samen, wenn auch in manchen Ländern sehr späten Erfolg, war auch die gute internationale Vernetzung der Bewegungen. Die größte dieser Organisationen war der International Council of Women (ICW), der Internationale Frauen- bund, gegründet 1888. Mitglied war dort auch der deutsche Dachverband, der Bund Deutscher Frauenvereine (BDF), der eigens hierzu gegrün- det worden war. Auf Kongressen, durch Zeit- schriften und private Korrespondenzen tausch- ten sich die Frauen über Strategien und den Maria Bartsch

inmitten der Kreistagsmitglieder auf der ersten Kreisstraßenbereisung am 16. Juli 1925

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Fortschritt in anderen Ländern aus. Als erster Staat führte Neuseeland bereits 1893 das Frau- enwahlrecht ein.

Einführung des Frauenwahlrechtes in Europa

1906 Finnland; 1913 Norwegen; 1915 Dä- nemark, Island; 1917 Russland, Estland; 1918 Deutschland, Österreich, Polen, Luxemburg, Lettland; 1919 Niederlande, Tschechische Re- publik, Ukraine, Weißrussland; 1920 Slowakei;

1921 Schweden, Litauen; 1922 Irland; 1928 Großbritannien; 1931 Spanien; 1934 Türkei;

1944 Frankreich; 1945 Bulgarien, Ungarn, Slowenien, Kroatien; 1946 Italien, Albanien, Mazedonien, Montenegro, Rumänien, Serbien;

1947 Malta; 1948 Belgien; 1949 Bosnien und Herzegowina; 1952 Griechenland; 1960 Zy- pern; 1962 Monaco; 1971 Schweiz; 1973 An- dorra; 1976 Portugal; 1928 Moldawien; 1984 Liechtenstein; 1994 Kasachstan.

Wegbereiterinnen im Kreis Ahrweiler Auch im Kreis Ahrweiler betraten 1919 die ersten Frauen die politische Bühne. Theresia von Groote wurde die erste Stadträtin in Ahr-

weiler und zwei Jahre später Maria Anna Ottilie Bartsch die erste Frau im Kreistag.

Maria Bartsch wurde am 16. September 1888 in Braunfels geboren und starb am 14. Mai 1968 in Koblenz-Lützel. Von 1917 an arbeitete sie 12 Jahre als Lehrerin in Walporzheim und zog dann nach Koblenz um. Schon frühzeitig engagierte sie sich politisch im Zentrum. Sie hielt 1919 als Vorsitzende der Frauenwahlver- sammlung der Zentrumspartei scharfe Reden.

Ahrweiler Zeitung vom 18. Januar 1919 Frauenversammlung der Zentrumspartei (christlich-demokratische Volkspartei), Ahr- weiler, 16. Januar: Am Donnerstagsnachmit- tag fand eine sehr gut besuchte Frauenwahl- versammlung der Zentrumspartei (christlich- demokratische Volkspartei) „auf dem Hirz“

statt. Eingangs der Verhandlungen protestierte unter dem Beifall der ganzen Versammlung die Vorsitzende, Fräulein Bartsch, energisch gegen die die christliche Religion herabwürdigenden Äußerungen, die auf der tags zuvor gehaltenen Versammlung der deutschen demokratischen Partei seitens eines sozialdemokratischen Dis- kussionsredners gefallen waren.

Maria Bartsch als Lehrerin auf einem Schulbild 1928 in Walporzheim

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Die Zentrumspartei nominierte sie im Februar 1921 bei den Kreistagswahlen auf Listenplatz 16. Das Zentrum konnte in dieser Wahl 15 Sitze erringen. Da am 26. November 1921 der Ahr- weiler Bürgermeister Theodor Blume verstarb, wurde sie als Nachrückerin am 20. Dezember 1921 im Kreistag eingeführt. Sie blieb bis zur Konstituierung des neu gewählten Kreistages am 11. Januar 1926 Kreistagsmitglied. In den Wahlvorschlägen für die Kreistagswahl im Kreis Ahrweiler am 29. Nov. 1925 wurde keine einzige Frau nominiert.

Bis zum nächsten Schritt hat es dann etwas länger gedauert. Erst 40 Jahre später, 1961, wurde mit Maria Hubertine Mülligann die erste Frau zur ehrenamtlichen Bürgermeisterin im Kreis Ahrweiler gewählt. Auf ihrem Grabstein steht zu lesen, dass sie sogar die erste Frau in Rheinland-Pfalz war, die ein solches Amt be- kleidet hat.

Bei den Bürgermeisterwahlen in Lohrsdorf am 22. November 1960 ging Maria Mülligann per Losentscheid als Siegerin hervor. Mehrere Unstimmigkeiten bei der Wahl führten aller- dings dazu, dass sie erst am 25. Januar 1961 ihr Amt antreten konnte. Bei den Wahlen am 25. November 1964 wurde sie als ehrenamtliche Bürgermeisterin von Lohrsdorf wiedergewählt.

Nach der Zusammenlegung der Stadt Ahr- weiler mit der Stadt Bad Neuenahr im Juni 1969 bekleidete Frau Mülligann dann das Amt der Ortsvorsteherin von Lohrsdorf vom 30. Dezem- ber 1969 bis zum 21. August 1979.

Bis zur Wahl der ersten hauptamtlichen Bür- germeisterin dauerte es noch weitere 58 Jahre.

So bekleidet seit Juli 2019, genau 100 Jahre nach der ersten Wahl, bei der Frauen wählen und gewählt werden konnten, mit Cornelia Weigand erstmals eine Frau ein solches Amt im Kreis Ahrweiler als Bürgermeisterin der Ver- bandsgemeinde Altenahr.

Diesen und anderen Wegbereiterinnen aus unserer Region und dem Thema 100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland war eine Aus- stellung gewidmet, die im Mai 2019 im Foyer der Kreisverwaltung Ahrweiler zu sehen war.

Frauenanteil in der Kommunalpolitik heute

Seit der Rede von Marie Juchacz ist sicher- lich vieles erreicht worden, aber eben auch noch längst keine Parität bei den Anteilen von Männern und Frauen in den Parlamenten. So liegt im Kreis Ahrweiler der durchschnittliche Frauenanteil in den Stadträten, Verbandsge- meinderäten und im Kreistag insgesamt be- trachtet bei doch eher bescheidenen 24%. Auch wenn damit eine Steigerung von 3% seit der Kommunalwahl 2014 einhergegangen ist. Die Unterschiede in den einzelnen Kommunalpar- lamenten sind dabei teils erheblich und reichen von einem Frauenanteil von 13% im Rat der Verbandsgemeinde Brohltal bis zu einem Anteil von 32% im Verbandsgemeinderat Adenau.

Auch wenn immer häufiger Frauen kandidie- ren und teils auch auf aussichtsreichen Listen- plätzen stehen, heißt es nicht, dass sie in diesem Verhältnis auch gewählt werden. Ein Beispiel hierfür ist die Wahl zum Kreistag 2019. So wa- Grabstein von Maria Hubertine Mülligann auf

dem Friedhof Heimersheim. Seit April 2019 steht der Grabstein auf dem Dorfplatz in Lohrsdorf.

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ren von den 252 Kandidierenden 32% Frauen.

Damit stieg der Frauenanteil im Vergleich zur Kommunalwahl 2014 um 4%. Gewählt wurden jedoch lediglich 22%, genau wie bei der Wahl 2014.

„Das braucht einfach Zeit!“, wird häu- fig als Argument ins Feld geführt, wenn

es um die Unterrepräsentanz von Frauen in Parlamenten geht. Aber 100 Jahre sollten Zeit genug gewesen sein, dies zu überwinden.

Die politische Repräsentanz ist ein wichtiges Element und ein notwendiger Schritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung.

Bürgermeisterin Maria Mülligann bei der Einweihung der Volksschule Lohrsdorf am 22. Oktober 1964 mit Schulleiter Otto Wenzel (l.) und Ar- chitekt Hans Steinborn (r.)

Anteil Frauen

in % (2014) Anteil Frauen

in % (2019) Veränderung seit 2014

Stadtrat Remagen 25% 31%

Stadtrat Sinzig 9% 22%

Stadtrat Bad Neuenahr-Ahrweiler 17% 22%

Gemeinderat Grafschaft 21% 18%

Verbandsgemeindeart Bad Breisig 32% 29%

Verbandsgemeinderat Brohltal 22% 13%

Verbandsgemeinderat Adenau 18% 32%

Verbandsgemeinderat Altenahr 21% 30%

Kreistag 22% 22% =

Gesamtanteil Frauen 21% 24%

Ergebnisse der Kommunalwahlen 2014 und 2019 2014 2019 - Gesamtanzahl gewählter Frauen: 63 69 - Gesamtanzahl gewählter Männer: 227 220

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