Emergenz und Konstitution:
Von der Mikro-Makro-Transformation zur {Mikro}
→→→→{Mikro}- Koevolution.
Der Vortrag ist theoretisch orientiert und thematisiert die Dualität von Konstitution "von oben" und Emergenz "von unten". Ausgangspunkt ist die systemtheoretische Konzeption komplexer adaptiver Systeme. Komplexe adaptive Systeme sind Netzwerke vieler parallel prozessierender, durch nichtlineare Wechselwirkungen verbundener Agenten, deren Dynamik zugleich als Koevolution eines Systems von Regeln (Replikatorenebene) und eines
Sozialsystems von Agenten (Interaktorenebene) erscheint.
Als Beispiele werden Simulationen zur Evolution von endogenen Erwartungsgleichgewichten auf Finanzmärkten und von Strategien im iterierten Gefangenendilemma betrachtet.
Vor diesem Hintergrund werden theoretische Defizite von Ansätzen, die die
Handlungsproblematik der Mikroebene und die sich aus den Handlungskonsequenzen
ergebende soziale Ordnung der Makroebene zuordnen, deutlich gemacht. Demgegenüber wird gezeigt, daß eine soziologisch tiefergehende Erklärung einer Handlung nur als Erklärung der Evolution der handlungsleitenden Regel im Zusammenhang der Koevolution eines Systems von Regeln möglich ist. Es soll deutlich werden, daß die traditionelle individualistische Auffassung des Mikro-Makro-Problems und insbesondere auch der sog. "agentenbasierten Modellierung" eine theoretisch verengte Sichtweise bedeutet, die zwar aus
modellpragmatischen Gründen von begrenztem Nutzen sein kann, letztlich aber der Entwicklung einer evolutorischen Sozialwissenschaft im Wege steht.
Emergenz und Konstitution:
Von der Mikro-Makro-Transformation zur {{{{ Mikro }}}} → → → → {{{{ Mikro }}}} - Koevolution
Peter Kappelhoff
Oktober 1999
1. Gleichgewichtsmodelle als Lösungen des Mikro-Makro-Problems?
1.1 Das allgemeine Gleichgewicht der Neoklassik 1.2 Gleichgewichtslösungen in der Spieltheorie
2. Selbstorganisationsmodelle als Lösungen des Mikro-Makro-Problems?
2.1 Dissipative Strukturen, Synergetik usw.
2.2 Evolutionäre Spieltheorie
3. Evolutionäre Modelle als Modellierung der {Mikro} → {Mikro} - Koevolution
3.1 Handlungsregeln als Replikatoren 3.2 Koevolution von Handlungsregeln 3.3 Komplexe adaptive Systeme
4. Illustrationen
4.1 Rekursive Erwartungsbildung auf Finanzmärkten 4.2 Koevolution von Strategien im IPD
4.3 Künstliche Gesellschaften: die Zuckerwelt
5. Schlußfolgerungen
Mikrofundierung
Makro 1
Akteur
Makro 2
Handlung Situationslogik
(Brückenhypothesen)
Aggregationslogik
(Mikro-Makro-Problem)
Mikro Mikro
Selektionslogik
(Rationalitätsprinzip)
Classic Defense (Machlup, Friedman, Lucas):
I think of economics as studying decision rules that are steady states of some adaptive process (Lucas 1987,218)
"Rationalität"
rationales
Erwartungsgleichgewicht Koevolutionäre Dynamik
situationslogisch prozeßorientiert
Biologische und kulturelle Evolution biologische
Evolution
kulturelle Evolution Replikatoren genetisch codierte
Information (Gene)
symbolisch codierte Information (Meme, Regeln) Interaktoren Wechselwirkungen von
Organismen in einem ökologischen System
Wechselwirkungen von Akteuren in einem
sozialen System
Regeln und Prozesse als Elemente eines sozialkulturellen Systems
kulturelle Regeln
soziale Prozesse
Konstitution (Steuerung) Emergenz
(Bedingung)
Autonomie
Autonomie
Emergenz und Hierarchiebildung
globale Struktur
lokale Wechselwirkungen Differenzierung
(Erhöhung der Mikrodiversität) Verstärkung der Konnektivität Koevolution am Rande des Chaos
(selbstorganisierte Kritizität)
Emergenz neuer Systemebenen
Koevolution eines Systems von Regeln:
Schematische Darstellung
Simulationsarchitektur
1 Kulturelle Topologie
• Regeluniversum
• Code
• Variationsmechanismen
2 Soziale Struktur
• Institutionen
• soziale Interdependenzen
• differentielle Reproduktion
3 Individuelle Akteure
• Agentenmodelle
• Lernmechanismen
• Metaregeln der Reflexion
KAS von KAS: { Handlungen } Handlungs-
resultat Reproduktions-
population
- Kulturelle Topologie - soziale Struktur - individuelle Akteure
definieren
(Anfangs-
bedingungen) Population von Akteuren
interpretative Regeln Handlungsregeln
strukturelle Regeln Variationsregeln
Rekombinationsregeln
}
Lernregeln Selektionsregeln
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down up
E NDOGENE E RWARTUNGSBILDUNG AUF
F INANZMÄRKTEN (A
RTHUR U.
A. 1997) :
Zeitreihen der Marktpreise und Dividenden bis zur aktuellen Marktperiode sind Grundlage der Erwartungsbildung:
• Akteure als Markttheoretiker werden in Analogie zu Klassifiziersystemen modelliert als Bündel von konkurrierenden Regeln (Hypothesen) der Preis- und Dividendenentwicklung aufgrund der vorhandenen Information
→ kurzfristiger Lernmechanismus: Anpassung der „Stärke“ der Regeln
→ langfristiger Lernmechanismus: genetischer Algorithmus generiert neue Regeln aus erfolgreichen Regeln
• Rekursive Vernetzung der Erwartungsbildung: Um rationale Erwartungen bilden zu können, muß ein Akteur die Erwartungen aller anderen Akteure kennen, die wiederum auf den Erwartungen der anderen beruhen, usw.
• Markt als komplexes adaptives System von komplexen adaptiven Systemen:
Koevolution von Markthypothesen
Regime 1: sehr langsames Lernen
• Konvergenz auf rationales Erwartungsgleichgewicht (fundamentaler Preis)
• Homogene Akteure (konvergente rationale Erwartungen)
Regime 2: schnelleres Lernen
• Technischer Handel
→ sich selbst verstärkende und stabilisierende Erwartungsgleichgewichte
→ durchbrochene Gleichgewichte (im Strategienraum): Blasen und Crashs
• Höheres Handelsvolumen, stärkere Preisschwankungen, GARCH-Verhalten
• Heterogene Akteure (Diversität von Markthypothesen)
E VOLUTION VON K OOPERATION
IM ( ITERIERTEN ) G EFANGENENDILEMMA
Interaktionsformen:
• zufällige Interaktion:
→ Dynamiken in Form durchbrochener Gleichgewichte
→ Kontextabhängigkeit von Strategien
→ Historizität der „Regelrationalität“
Generell erhöhen sich die Chancen der Evolution von Kooperation, wenn durch die Interaktionsform korrelierte Strategien erzeugt werden.
• räumliche Nachbarschaften:
→ Emergenz von variablen räumlichen Mustern
• etikettenabhängige Interaktion:
→ Emergenz von Stereotypisierungen
• kommunikativ gesteuerte Interaktion:
→ Emergenz von Bedeutung und Täuschung
• Partnerwahl aufgrund der Interaktionsgeschichte:
→ Emergenz von sozialen Netzwerken
→ Heterogenität auf Gruppenebene
kulturelle Topologien:
• n-Runden-Gedächtnis: Lindgren-Codierung
• Kooperations- bzw. Defektionsbäume: Ikegami-Codierung
• endliche Automaten
• neuronale Netzwerke
• Klassifiziersysteme