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Archiv "Glücksspielsucht als Krankheit: 1 Exzessives Spielen – Krankheit oder Symptom?" (09.11.1989)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

DISKUSSION

1 Exzessives Spielen - Krankheit

oder Symptom?

Es besteht unter Experten Einig- keit, daß exzessives Glücksspielen im Rahmen ganz unterschiedlicher psy- chischer und sozialer Voraussetzun- gen zu beobachten ist. In der anglo- amerikanischen Literatur ist die Verschiedenartigkeit der Bilder stets betont worden. So unterschied Mo- ran (1970) zwischen neurotischem, impulsivem, psychopathischem, symptomatischem und subkulturge- bundenem Spielen. Was wir selbst an einem zunächst kleinen Kollektiv (1987) fanden, hat sich inzwischen an einer gemischten psychiatrischen Klientel von 34 Spielern (ambulant, stationär und forensisch) deutlich bestätigt: Exzessives Spielen trat auf C) in akuten Lebenskrisen, Ent- wurzelungssituationen oder im Rah- men chronischer Partnerschaftskon- flikte als desaktualisierendes, angst- und spannungsminderndes Rück- zugsverhalten;

C) im Rahmen länger hingezo- gener, eher symptomarmer depressi- ver Verstimmungen als antidysthyme Selbststimulation;

® bei Patienten mit ausgepräg- ten narzißtischen oder mit Border- line-Persönlichkeitsstörungen, insbe- sondere nach Niederlagen oder an- dersartiger Destabilisierung;

®

in (hypo)manischen und (sub)depressiven Stadien bipolarer Psychosen und bei zyklothymen Per- sönlichkeiten;

® bei Männern mit deutlicher hirnorganischer Beeinträchtigung und damit zusammenhängender Be- einträchtigung von sozialer Kompe- tenz und sozialer Anpassung;

C) bei Männern mit primär dis- sozialer Entwicklung im Rahmen un- strukturierten Freizeitverhaltens.

In der ambulanten Klientel überwogen die Formen 1 bis 3, in der stationären die Formen 3 bis 5, fo- rensisch die Formen 3, 4 und 6.

Es ist Rasch (1987) zuzustim- men, daß bei Fortdauer des exzessi- ven Spielens über Jahre hinweg eine zunehmende Vereinheitlichung der Verhaltensweisen und Beziehungs- muster im Sinne einer „psychopatho- logischen Entwicklung" eintreten kann, wie sie auch Querulanten, Sammler oder Substanzabhängige durchlaufen; mit der Uniformierung der Bilder verschlechtert sich zu- gleich die Prognose. Meyer und Kel- lermannn sind offenbar besonders häufig mit dieser Gruppe von Spie- lern befaßt, die nach langen Jahren des Spielens ökonomisch und in ih- ren sozialen Beziehungen ruiniert sind und auch einen gewissen Per- sönlichkeitswandel erfahren haben, welcher sie manchen chronischen Alkoholikern vergleichbar macht.

Es wäre aber fatal, diese Gruppe mit der schlechtesten psychosozialen Prognose als einzigen Bezugspunkt von Diagnostik und Therapie zu wählen. „Kapitulation" und Selbst- etikettierung als „lebenslang spiel- süchtig" mögen therapeutischer Not- behelf für diese Gruppe sein. Sie be- inhalten aber eine inadäquate Pro- blemdefinition für die unter

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bis C) skizzierten Situationen, in denen Spielen symptomatische Funktion und Bedeutung hat und eine wir- kungsvolle, rechtzeitige Intervention möglich ist.

Kellermannn und Meyer ma- chen rechtzeitige Interventionen un- möglich, wenn sie „Kapitulation"

und „innerlich akzeptierende Selbst- identifikation als süchtiger Glücks- spieler" zum „ersten therapeuti- schen Ziel" machen, wozu Spieler — da haben sie recht — erst „fähig" sind, wenn sie „viele negative Erfahrun- gen erlitten" haben. Dies entspricht

dem wohl doch allmählich verlasse- nen Suchttherapie-Jargon, der Ei- genwille des Patienten müsse gebro- chen, er müsse erst ruiniert sein und

„in der Gosse liegen", bevor eine (dann zwangsläufig custodiale) Suchttherapie greifen kann.

Die bei noch nicht deletären Entwicklungen gebotenen, an der in- dividuellen Problemstellung orien- tierten Interventionsformen liegen vielfach innerhalb nervenärztlicher und psychotherapeutischer Kompe- tenz. Das Einheitsetikett „Spiel- sucht" dagegen vermag abzulenken von einer seelischen oder sozialen Notlage, die oft gut angehbar wäre, und fokussiert die Behandlung auf Techniken zum Erreichen von Absti- nenz, die zu erreichen ohne Behe- bung der Verhaltensursachen beson- ders schwer fällt. Sie beschwört so die Gefahr herauf, ein lösbares Pro- blem durch falsche Problemdefini- tion unlösbar zu machen.

(Literatur beim Verfasser) Dr. med. Hans-Ludwig Kröber Leiter der

Psychiatrischen Poliklinik der Psychiatrischen Universitätsklinik Luisenstraße 5

6900 Heidelberg

2 Computer als Therapiehilfe

Ich stimme mit den Verfassern völlig darin überein, daß der Spieler sich mit seiner Sucht identifizieren und zur Totalabstinenz kommen muß. Er sollte sich auf jeden Fall ei- ner Selbsthilfegruppe anschließen und psychotherapeutischen Maß- nahmen zugänglich sein. Der Staat muß wirksame präventive Maßnah- men treffen.

Zur Therapie der Glücksspiel- sucht möchte ich mir einen Hinweis erlauben. Im Falle eines hochgradig dem Spielrausch verfallenen und da- durch extrem verschuldeten jungen Mannes hat sich der Rat, sich einen Computer anzuschaffen, als außer- ordentlich hilfreich erwiesen. Nun vertreibt er — ein sehr intelligenter Bankangestellter — seine Freizeit nicht etwa nur mit Computerspielen, sondern er gestaltet aktiv eine Schü-

Glücksspielsucht als Krankheit

Zu dem Beitrag von Dr. med. Bert Kellermann in Heft 4 vom 26. Januar 1989

A-3414 (70) Dt. Ärztebl. 86, Heft 45, 9. November 1989

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lerzeitung, die in ihrer attraktiven Form sehr gut ankommt und dem Verfasser ungeahnte Erfolgserleb- nisse vermittelt. So kann der Compu- ter als wirksame Therapiehilfe bei Glücksspielsucht eingesetzt werden.

Dr. med. Hans Runge Arzt für Nervenkrankheiten Harzburger Straße 19 3300 Braunschweig

Schlußwort

Kröber weist auf einige krisen- hafte Lebenssituationen hin, in de- nen exzessives Glücksspielen auftre- ten könne. Dieser Katalog ist aller- dings unspezifisch; in solchen Situa- tionen könnten ebenso exzessives Al- koholtrinken oder exzessiver Kon- sum eines anderen Suchtstoffes auf- treten, oder auch ganz andere oder gar keine psychischen Auffällig- keiten. In unserem kurzen Beitrag konnten wir auf das Prodromalstadi- um einer süchtigen psychischen Fehlentwicklung nicht näher einge- hen. Kröber hat völlig recht mit sei- nem Wunsch, daß versucht werden muß, Menschen in solchen kritischen Situationen therapeutisch zu helfen, um psychische Fehlentwicklungen möglichst zu vermeiden. (Der Kata- log ließe sich selbstverständlich noch erheblich erweitern.)

Unser Thema war jedoch nicht das exzessive Spielen, sondern die bereits manifeste Gücksspielsucht beziehungsweise das pathologische Glücksspielen. Die Suchttherapie ist in den letzten 15 bis 20 Jahren kei- neswegs so deprimierend, wie Krö- ber vermutet („der Eigenwille des Patienten müsse gebrochen" werden usw.). Zum Beispiel ist die „zwangs- läufig custodiale Suchttherapie" für die allermeisten Suchtkranken sogar kontraindiziert. Vielen Suchtkran- ken gelingt heute durch das Hilfsan- gebot die entscheidende Wende schon lange vor dem Zeitpunkt, an dem sie sonst „in der Gosse liegen"

würden.

Nicht verständlich ist, warum Kröber eine psychiatrische Diagno- se, die zum Beispiel im DSM III und demnächst im ICD 10 verzeichnet ist, als „Einheitsetikett" bezeichnet.

Diese Gefahr besteht doch mehr oder minder bei allen psychiatri- schen Diagnosen, und dennoch be- nutzen wir sie. Die Patienten, die zu uns (von sich aus!) in die psychia- trisch-stationäre Suchttherapie kom- men, definieren sich selber als Glücksspielsüchtige. — Kommerzielle Kreise mögen verständlicherweise das gravierende Problem des patholo- gischen Glücksspielens beziehungs- weise der Glücksspielsucht nicht wahrhaben und versuchen es intensiv auf mehr oder minder wissenschaft- licher Basis zu bagatellisieren.

Runge berichtet von seinem Er- folg mit einer etwas unkonventionel- len Therapiemethode. Wer heilt, hat natürlich recht. Manchen Suchtkran- ken gelingt tatsächlich das Umstei- gen auf weniger destruktive Sucht- stoffe beziehungsweise süchtige (oder auch nur exzessive) Verhal- tensweisen. Da eine Suchtkrankheit

Gleichzeitiges Karzinom von

Rektum und Kolon

Bei 1037 Patienten, die während eines Zeitraums von neun Jahren wegen Kolon- oder Rektumtumoren behandelt wurden, zeigten sich in 55 Fällen gleichzeitig zwei oder mehr Karzinome des Kolons oder Rek- tums. Ausgeschlossen aus dieser Stu- die wurden Patienten mit Polipose, RCU und allen nicht adenomatösen Neoplasien.

Es zeigte sich, daß bezüglich persönlicher Daten und Symptome kaum ein Unterschied zwischen den Patienten mit einer oder mehreren Neoplasien bestand. Lediglich über Diarrhoe wurde in der Gruppe mit nur einer Neoplasie häufiger geklagt.

Bei Vorliegen mehrere Neoplasien war mehr der Bereich des Colon as- cendens befallen, und es zeigten sich Tumore im Stadium Dukes C in 43,5 Prozent der Fälle, gegenüber 28 Pro- zent bei nur einem Tumor. Weiter- hin war die Inzidenz von muzinösem Adenokarzinom und das Vorkom- men von adenomatösen Polypen

in der Regel sowohl eine eigenstän- dige Krankheit mit eigenen Ver- laufsgesetzen als auch gleichzeitig Symptom einer zugrunde liegenden psychischen Störung ist, wäre es al- lerdings aus präventiver Sicht gut, wenn versucht werden würde, einem Suchtkranken auch bei der Bewälti- gung der zugrunde liegenden Proble- me zu helfen. Bei dem Patienten von Runge waren vielleicht die neuen Erfolgserlebnisse so etwas wie eine kausale Therapie. —

Auch wenn wir professionellen Therapeuten es nicht gern wahr- haben mögen: Die „Selbstheilungs- rate" ist gerade bei Suchtkranken nicht gering.

Dr. med. Bert Kellermann Chefarzt der Suchtabteilung Allgemeines Krankenhaus Ochsenzoll

Langenhorner Chaussee 560 2000 Hamburg 62

(56,4 Prozent der Fälle) in dieser Gruppe weitaus höher.

Da eine präoperative Diagnose von mehreren gleichzeitigen Neopla- sien nur in 30 Prozent der Fälle mög- lich war, vor allem bei Obstruktion durch den distalen Tumor, kommt der intraoperativen Diagnose eine besondere Bedeutung zu. Tastbar sind die weiteren Neoplasien nur in weniger als einem Drittel der Fälle;

sie befanden sich aber in 62 Prozent im selben Darmabschnitt und in 33 Prozent in anliegenden Segmenten.

Die Autoren schlagen vor, nicht routinemäßig eine subtotale Hemi- kolektomie bei synchronem Karzi- nom von Kolon und Rektum durch- zuführen. slü

Adloff, M. et al.: Synchronous Carcinoma of the Colon and Rectum: Prognostic and Therapeutic Implications. Am. Journ. Sur- gery 157 (1989) 299-302

Dr. Michel Adloff, Service de Chirurgie, CMCO, 19, rue Louis Pasteur, Schiltig- heim, Frankreich

Dt. Ärztebl. 86, Heft 45, 9. November 1989 (73) A-3417

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