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Archiv "Bewertung von komplexen Interventionen: Eine methodische Herausforderung" (09.01.2012)

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A 22 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 1–2

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9. Januar 2012 ken, die man braucht, um Situatio-

nen zu meistern, in denen es um Le- ben und Tod geht. „Der Patient kann, obwohl er weiß, dass sein Zu- stand gefährlich ist, seine Gesund- heit einfach dadurch wiedererlan- gen, dass er mit der Güte seines Arztes zufrieden ist.“ Dieser Satz ist wahrscheinlich 2 400 Jahre alt und soll vom großen Hippokrates stammen.

Durch alle Jahrhunderte hin- durch galt die Beziehung der Ärzte, der Medizinmänner, der Schama- nen zu ihren Patienten als geheim- nis- und bedeutungsvoll, eben weil sie anders geartet war – und immer noch ist – als die üblichen mensch- lichen Beziehungen.

Der Schriftsteller John Berger hat das in seinem sehr berührenden Buch „Geschichte eines Landarz- tes“ beschrieben. Er reflektiert dar - in unter anderem die Tatsache, dass wir als Kranke einem Fremden Zu- gang gestatten zu unserem Körper und zu unserer Seele:

„Wir gewähren dem Arzt Zugang zu unserem Körper, wie wir ihn sonst freiwillig nur dem oder der Geliebten gewähren . . . Dabei ist der Arzt ein vergleichsweise Unbe- kannter. (Aber:) Im Verlauf einer Krankheit sind viele soziale Verbin- dungen unterbrochen. Krankheit erzeugt und fördert beim Kranken ein verzerrtes, fragmentiertes Bild seiner selbst. Mit Hilfe der Ver- trautheit mit dem Kranken und der besonderen Nähe, die ihm zugebil- ligt wird, muss der Arzt diese ge- störten Beziehungen des Kranken ausgleichen und den sozialen Bezug des beschädigten Selbst wiederher- stellen.“

Vor diesem Hintergrund sollten wir uns fragen, ob wir wirklich ei- ne „menschliche Medizin“ brau- chen, oder ob es nicht genügen würde, wieder zu einer ganz nor- malen Medizin zu finden, die es uns gestattet, einerseits gemäß dem State of the Art zu handeln, die an- dererseits aber auch den Raum gibt, zuzuhören, zu fragen und zu beraten – so wie wir es gelernt ha- ben, als wir uns für diesen großarti- gen, den besten aller Berufe ent-

schieden haben.

Dr. med. Marianne Koch

BEWERTUNG VON KOMPLEXEN INTERVENTIONEN

Eine methodische Herausforderung

Komplexe Interventionen bestehen aus mehreren inter- dependenten Komponenten, von deren Zusammenspiel der Erfolg einer solchen Intervention abhängt.*

V

iele medizinische Maßnah- men sind komplexe Interven- tionen. Sie bestehen aus mehreren Einzelkomponenten, die sich wech- selseitig bedingen. Beispiele dafür sind Stroke Units oder Disease-Ma- nagement-Programme. Bei der Be- urteilung ihrer Wirksamkeit, des Nutzens und Schadens bleiben der Beitrag der Einzelkomponenten und der Einfluss ihrer Interaktionen mit dem Setting auf das Gesamter- gebnis häufig unklar.

Ein Arzneimittel kann als „ein- zeln wirkende Komponente“ be- zeichnet werden. Mit der Zulassung durch die Arzneimittelbehörde sind die Entwicklungs- und Prüfphasen I–III abgeschlossen, das Arzneimit- tel liegt dann in standardisierter Form vor. Allerdings sind auch bei einer Arzneimittelbehandlung die klinischen Effekte von verschiede- nen Variablen abhängig, wie Dosie- rung und Dauer der Behandlung, Patientenpopulation, Begleitthera- pien und Adhärenz. Zudem kann auch in qualitativ hochwertigen randomisiert-kontrollierten Studien

(RCT) die Wirksamkeit eines Arz- neimittels von weiteren Begleitfak- toren abhängen. So können beispiels- weise medikamentenspezifische Be- schwerden eine Intensivierung von Diagnostik und Versorgung indu- zieren. Auch die Effektstärke des Placebos oder der Standardtherapie in der Vergleichsgruppe beeinflus- sen das Ergebnis.

Berücksichtigung verschiedenster Faktoren Komplexe Interventionen bestehen aus mehreren interdependenten Komponenten. Ein Beispiel sind strukturierte Behandlungs- und Schulungsprogramme zur Insulin- therapie von Patienten mit Diabetes Typ 1 (1). Auch hier gibt es arznei- mittelspezifische Aspekte wie die Pharmakokinetik des Insulinpräpa- rats. Andere Faktoren sind jedoch von vergleichsweise größerer Be- deutung. Da die Insuline von den Patienten selbst appliziert und do- siert werden, wird die Wirksamkeit und Sicherheit der Insulinbehand- lung entscheidend von den Mög-

*Der vorliegende Arti- kel ist ein modifizierter

Auszug aus einer Publikation, die in der Z. Evid. Fortbild. Qual.

Gesundh. wesen (ZEFQ) 105 (2011) 751–61 erschienen ist. Es wird auf das ausführliche Quellen- verzeichnis des Origi- nalartikels verwiesen.

T H E M E N D E R Z E I T

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9. Januar 2012 A 23

Ein Arzneimittel ist ein Beispiel für eine singuläre Inter- vention. Mit seiner Zulassung liegt es in standardisier- ter Form vor, egal, ob in einer Apotheke in München oder Hamburg erworben.

Patientenschulungsprogramme sind ein Beispiel für komplexe Interventionen. Indikationen und Ingredien- zien sind variabel, häufig unzureichend definiert und nicht systematisch deklariert.

SINGULÄR ODER KOMPLEX

Bereits eine einzelne Komponen- te einer solchen multimodalen Inter- vention kann zum Misserfolg eines gesamten Programms führen. Typi- scherweise sind es jedoch mehrere unverzichtbare Komponenten, deren Zusammenwirken den Erfolg einer komplexen Intervention ausmachen.

Entwicklung und Evaluation von komplexen Interventionen Analog zur Entwicklung eines Arz- neimittels hat das Medical Research Council in Großbritannien ein Pha- senmodell für die Entwicklung und Evaluation von komplexen Interven- tionen definiert (2). Die präklinische beziehungsweise theoretische Phase dient der Identifizierung bereits vor- liegender Evidenz, der Konzeptent- wicklung und der Bildung von Hy- pothesen zur intendierten Wirksam- keit der komplexen Intervention. In Phase I erfolgen der Entwurf und die Beschreibung einzelner Komponen- ten, Prototypenentwicklung und ers- te Exploration von Wirkmechanis- men. Phase II umfasst die Evalua - tion von Machbarkeit, Implementie- rungsbedingungen und Stabilität der komplexen Intervention in unter- schiedlichen Kontexten sowie die Exploration der Bedingungen für ein RCT. In Phase III wird die komple- xe Intervention als Ganzes mittels RCT mit einer angemessenen Alter- native verglichen. Phase IV besteht schließlich in der Evaluation der Übertragbarkeit, Reproduzierbarkeit und Langzeitwirksamkeit unter Ver- sorgungsbedingungen. Die Phasen beinhalten unterschiedliche qualita- tive und quantitative Forschungs- methoden. Die 2008 aktualisierte Fassung berücksichtigt die Zirkula- rität des Modells (3).

Herkömmliche systematische Übersichtsarbeiten im Interventi- onsbereich fokussieren auf RCT.

Auf dem Kontinuum der Evaluation komplexer Interventionen erfolgt ein RCT jedoch erst nach einschlä- gigen Vorarbeiten in einem weit ge- diehenen Stadium der Interventi- onsentwicklung und -evaluation.

Die Gesamtheit der Evidenz für ei- ne komplexe Intervention ist derzeit in systematischen Übersichtsarbei- ten nicht zu beurteilen, da nicht da- nach recherchiert wird und die ein-

zelnen Publikationen oft auch mit den üblichen Suchstrategien in den Datenbanken nicht identifizierbar sind (4). Zudem berücksichtigen Metaanalysen unzureichend die kli- nische Heterogenität von komple- xen Interventionen, wie unter- schiedliche zugrunde liegende päd - agogische Ansätze oder Theorien, Therapiestrategien und Studienset- tings oder die variablen Interdepen- denzen zwischen Komponenten, Kontexten und Endpunkten (4).

Analog der Entwicklung eines Arzneimittels muss die Entwick- lung und Evaluation von komple- xen Interventionen systematisch er- folgen. Alle Entwicklungsschritte müssen begründet, dokumentiert und vollständig publiziert werden.

Komplexe Interventionen, selbst zu identischen Fragestellungen, unter- scheiden sich oft erheblich in ihrer Zusammensetzung und den daraus resultierenden Interaktionen der Komponenten untereinander und mit dem Implementierungskontext.

Zur Beurteilung einer komple- xen Intervention ist die Gesamtheit der Evidenz einschließlich Ent- wicklungsphasen, RCT und Imple- mentierungsstudien notwendig.

Metaanalysen werden diesem An- spruch nicht gerecht.

Systematische Übersichtsarbei- ten müssen weiter entwickelt wer- den, um dem Nutzer die gewünsch- ten und notwendigen Informationen verlässlich zur Verfügung stellen zu können. Die methodischen Proble- me medizinischer komplexer Inter- ventionen stellen sich in ähnlicher Weise für Interventionen aus dem Pflege-, Ernährungs-, Erziehungs- oder Politikbereich, um einige zu nennen. Die kommende Jahresta- gung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin (vom 15.

bis 17. März in Hamburg; www.

ebm-kongress.de/) hat daher das Hauptthema „Komplexe Interven- tionen – Entwicklung durch Aus-

tausch“.

Prof. Dr. med. Ingrid Mühlhauser, Dr. phil. Matthias Lenz, Universität Hamburg, MIN-Fakultät, Gesundheitswissenschaften

Prof. Dr. phil. Gabriele Meyer, Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesund-

heit, Department für Pflegewissenschaft

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit0112 lichkeiten und Fähigkeiten des Pa-

tienten bestimmt, diese erfolgreich durchzuführen. Zur Komponente Arzneimittel kommen also Kompo- nenten wie Therapieschemata, Pa- tientenschulung, Qualifikation und Motivation des Schulungs- und Be- handlungsteams und Gesundheits- systembedingungen. Interdepen- denzen ergeben sich, da die Interventionskomponenten vonein - ander abhängen. So ist Krankheits- und behandlungsbezogenes Wissen grundlegend wichtig, vermittelte Inhalte müssen jedoch evidenzba- siert und handlungsrelevant sein.

Stoffwechselselbstkontrollen sind unverzichtbar, die Patienten müssen die Messungen jedoch korrekt durchführen, die Werte interpretie- ren und durch adäquate Therapiean- passung reagieren können. Die Mo- tivation der Patienten erfolgt we- sentlich durch die Möglichkeit einer freien Diät und flexiblen Gestaltung des Tagesablaufs. Schließlich müs- sen die Patienten das nötige Selbst- vertrauen besitzen, die Therapien erfolgreich durchzuführen.

Stroke Units sind ein Beispiel für komplexe Interven- tionen.

Foto: mauritius images

T H E M E N D E R Z E I T

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