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Archiv "Datenschutz im Gesundheitswesen: Selbstbestimmung hat Vorrang vor dem Effizienzinteresse" (24.06.2011)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 25

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24. Juni 2011 A 1419 DATENSCHUTZ IM GESUNDHEITSWESEN

Selbstbestimmung hat Vorrang vor dem Effizienzinteresse

M

edizinische Einrichtungen setzen im Zeitalter der Digi- talisierung des Gesundheitswesens ihr Effizienzinteresse zunehmend gegen die Selbstbestimmung des Patienten durch. Drei Fallbeispiele aus der Praxis.

Externe Abrechnung

Fallbeispiel 1: Ein niedergelassener Arzt verweigert die Behandlung, weil der Patient die elektronische Daten- weitergabe an eine privatärztliche Verrechnungsstelle ablehnt.

Die Berufsfreiheit aus Artikel 12 Grundgesetz (GG) berechtigt den Arzt dazu, die effizienteste und wirt- schaftlichste Form der Aufgaben - erfüllung zu wählen. Dazu zählen heute Informations- und Kommuni -

ka tionstechnik und die Delegation von Leistungen an Dritte. Die Aus- gliederung der Abrechnung privat - ärztlicher Leistungen umfasst auch, dass der Arzt Patientendaten an ei- nen externen Dritten übermittelt.

Damit sind sowohl die ärztliche Schweigepflicht als auch der Da- tenschutz als „Recht auf informa- tionelle Selbstbestimmung“ (1) be- troffen. Das ärztliche Berufsrecht mit dem Arztgeheimnis (2) und der Strafandrohung für seine Verlet- zung (3) unterscheidet sich hier nicht wesentlich vom Bundesdaten- schutzgesetz (BDSG) mit seinem Verarbeitungsverbot mit Erlaubnis- vorbehalt. Beide Rechtsgebiete ste- hen mit ihrem Geltungsanspruch nebeneinander (4).

Wer seine privatärztlichen Leis- tungen über eine externe Verrech- nungsstelle abrechnen will, benötigt für die Übermittlung der Behand- lungsdaten die vorherige „eindeutige und unmissverständliche“ Schweige- pflichtentbindung des Patienten (5).

Freiwilligkeit der Einwilligung

Schweigepflichtentbindung und Einwilligung müssen wirksam sein.

Medizinrechtlich und besonders strafrechtlich (§ 203 Strafgesetz- buch, StGB) kann eine Schweige- pflichtentbindung, die durch den Täter erzwungen oder abgenötigt wurde, eine Durchbrechung des Arztgeheimnisses nicht rechtferti- gen (6). Es bedarf allerdings der Auslegung, welcher Grad externer Medizinische Einrichtungen dürfen eine Behandlung nicht von vornherein

ablehnen, wenn der Patient die geforderte Schweigepflichtentbindung oder die datenschutzrechtliche Einwilligung verweigert.

Hans-Joachim Menzel

Die Weitergabe von Patientendaten

zwischen Einrichtungen eines Behandlungszentrums bedarf der wirksamen Einwilligung. Eine pauschale Vorab - ermächtigung zum Datenabruf darf nicht erzwungen werden.

Foto: Superbild

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Willensbeeinflussung – von der drängenden Bitte bis zur Andro- hung eines nicht hinnehmbaren Übels – einer Schweigepflichtent- bindung die Freiwilligkeit und da- mit die Wirksamkeit nimmt.

Für eine datenschutzrechtliche Einwilligung erklärt § 4 a Absatz 1 BDSG die Freiwilligkeit ausdrück- lich zur Wirksamkeitsbedingung.

Auf die Folgen einer Einwilli- gungsverweigerung ist in der Regel hinzuweisen. Die „freie Entschei- dung“ ist auch hier auslegungs - bedürftig. Die Verweigerungsfolge

„Behandlungsablehnung“ wird in der Praxis meist erst dann ausge- sprochen, wenn der Patient die Un- terschrift unterlässt.

Alternativen zur Behandlung

Die angedrohte Verweigerung der Behandlung beeinflusst den Patien- ten umso stärker, je weniger Alter- nativen für die gewünschte Behand- lung dem Patienten offenstehen (7).

Bei einem echten Notfall hat er keine – die Folge: Eine Behandlung darf nicht verweigert werden, auch wenn der einsichts- und artikulati- onsfähige Patient die Schweige- pflichtentbindung und Einwilligung ablehnt. Eine erteilte Einwilligung ist nicht wirksam.

Das andere Ende der Freiwillig- keitsskala: Ein neu in die Gegend gezogener Privatpatient kann unter mehreren Arztpraxen auswählen, von denen nur eine die Behandlung von der Einwilligung in die externe Abrechnung abhängig macht.

In der Regel handelt es sich hin- sichtlich der zumutbaren Alternati- ven jedoch um Fälle zwischen

„Notfall“ und „freier Auswahl“:

Der Patient lebt auf dem Lan- de, und für ihn ist angesichts seines Zustands und der schlechten Ver- kehrsinfrastruktur subjektiv nur ei- ne einzige Arztpraxis erreichbar.

Der Patient hat zwar andere Praxen in der Nähe, ist jedoch seit langem bei einem Arzt seines Ver- trauens in Behandlung, der nun aus- schließlich extern abrechnen will.

In diesen Fällen wäre es ein gro- ßes Opfer für den Patienten, auf die gewünschte Behandlung zu verzich- ten, um seine Ablehnung einer exter- nen Abrechnung durchzusetzen. Die

Entscheidung über Schweigepflicht - entbindung und Einwilligung wäre nicht wirklich frei, die abverlangten Erklärungen wären nicht wirksam.

Behandlungsfreiheit des Arztes Auf die Freiwilligkeit der Patien- tenentscheidung käme es dagegen gar nicht an, wenn die Behand- lungsfreiheit des Arztes Vorrang hätte: „Von Notfällen oder besonde- ren rechtlichen Verpflichtungen ab- gesehen (sind) auch Ärztinnen und Ärzte frei, eine Behandlung ab - zulehnen“, § 7 Absatz 2 Satz 2 der (Muster-)Berufsordnung (MBO).

Diese Norm rechtfertigt jedoch kei- ne völlig willkürlichen Entschei- dungen des Arztes. Die Verweige- rung einer Behandlung aus dem Grund, dass der Patient sein Selbst- bestimmungsrecht wahrnimmt, ist kaum mit einer Be-

rufsausübung der Ärz- te „nach ihrem Ge - wissen, den Geboten der Ethik und der Menschlichkeit“ (§ 2 Absatz 1 MBO) in Ein- klang zu bringen. Die Behandlungsfreiheit

des Arztes ist vielmehr gebunden an eine sachliche, nachvollziehbar- vernünftige Begründung. Da an - dererseits auch das Selbstbestim- mungsrecht des Patienten eine zen- trale Wertentscheidung der Verfas- sung darstellt, bleibt im Ergebnis nur eine Abwägung zwischen den Interessen des Arztes und des Pa- tienten im Einzelfall. Das Daten- schutzrecht sieht eine solche Ein- zelabwägung häufig als Mittel vor, um gegenläufige Grundrechtsposi- tionen in „praktische Konkordanz“

zu bringen (8).

Abwägung und Ergebnis

Auf Patientenseite sind zunächst die besonderen individuellen Situa- tionen zu berücksichtigen, die ei- nem Notfall nahekommen. Sie schränken nicht nur die Freiwillig- keit der Patientenentscheidung, sondern – spiegelbildlich – auch die Behandlungsfreiheit des Arztes ein.

Das Interesse des Arztes, kom - plexe privatärztliche Leistungen von Experten abrechnen zu lassen, die auch die Gebührenordnung aus-

schöpfen, ist legitim; die Delegation verschafft dem Arzt Zeit und Kapa- zität für andere medizinische Auf - gaben. Dieses Delegationsinteresse wiegt allerdings weniger schwer, wenn eine einfache Routineleistung abzurechnen ist. Lehnt der Patient dafür die Übermittlung der Behand- lungsdaten an eine Verrechnungs- stelle ab, so ist es der Praxis zuzu- muten, selbst abzurechnen. Gegebe- nenfalls kann der Arzt von seiner Verrechnungsstelle auch eine anony- me Abrechnung anfordern, die er dann dem Patienten zuordnet.

Ein Weiteres kommt noch hinzu:

Der Arzt verknüpft hier zwei Teile des Vertragsverhältnisses mit dem Privatpatienten (Behandlung und anschließende Abrechnung), die in keinem zwingenden Zusammen- hang zueinander stehen. Die Be- handlung ist nicht von der externen Abrech- nung abhängig. Damit verstößt der Arzt gegen das vielfach aus § 4 a BDSG abgeleitete daten- schutzrechtliche Koppe- lungsverbot (9). Auch für die Wirksamkeit der Schweigepflichtentbindung muss dies ein entscheidendes Abwägungs- kriterium sein. Auf die Androhung der Behandlungsablehnung zur Durchsetzung einer externen Ab- rechnung ist deswegen prinzipiell zu verzichten.

Übergreifende Zugriffsrechte Fallbeispiel 2: Ein orthopädisches Behandlungszentrum verweigert die Behandlung, weil der Patient nicht will, dass alle Praxen und GmbHs des Zentrums auf seine Daten zu- greifen können.

Selbstständige Arztpraxen und besondere Therapie-GmbH, die un- ter einem Zentrumsdach kooperie- ren, verlieren dadurch nicht ihre berufs- und datenschutzrechtliche Eigenverantwortung. Ein Austausch von Patientendaten zwischen ihnen sind „Übermittlungen“ und keine interne „Nutzung“ (10). „Das BDSG kennt kein Konzernprivileg“

(11). Die Weitergabe von Patienten- daten zwischen den einzelnen Ein- richtungen des Behandlungszen- trums bedarf also einer wirksamen

Die Behandlungsfreiheit des Arztes ist gebunden

an eine sachliche,

nachvollziehbar-

vernünftige Begründung.

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A 1422 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 25

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24. Juni 2011 Einwilligung und Schweigepflicht -

entbindung.

Da das Behandlungszentrum über ein gemeinsames Patientenverwal- tungssystem verfügt, sind zwei Ebe- nen zu unterscheiden: Die erste Ebe- ne betrifft die technische Infrastruk- tur des Zentrums mit den Berechti- gungen der einzelnen Einrichtungen zum Zugriff auf Patientendaten.

An solche automatisierte Abrufver - fahren stellt § 10 BDSG die vage Anforderung, dass sie nach einer In teressenabwägung „angemessen“

sein müssen. § 9 BDSG fordert, dass jede datenverarbeitende Stelle – und erst recht ein stellenübergreifendes Kommunikationssystem – die Da- tensicherheit durch „erforderliche“

technische und organisatorische Maßnahmen gewährleistet. Dabei muss das Zugriffsberechtigungskon- zept darauf abzielen, den Abruf von Patientendaten auch technisch an die Behandlungsbeteiligung des Be- rechtigten zu binden, also das tech- nische Können und das rechtliche Dürfen so weit wie möglich zur Deckung zu bringen. Denn bereits die Bereitstellung von Patientenda- ten zum freien Zugriff durch unbe- fugte Dritte ohne eine tatsächliche Schutzschwelle stellt ein strafbe- wehrtes „Offenbaren“ im Sinne des

§ 203 StGB dar.

„Mandantenfähigkeit“ des Systems Die Datenschutzkontrollbehörden fordern deswegen für einrichtungs- übergreifende Systeme die „Man- dantenfähigkeit“ (12) des Gesamt- systems, das heißt die technische Möglichkeit für die einzelnen Ein- richtungen, die Patientendaten je- weils für sich und getrennt von den anderen zu verwalten. Ist dies nicht gegeben, erheben sich angesichts der hohen Sensibilität der Gesund- heitsdaten erhebliche Zweifel an der Angemessenheit des Abrufver- fahrens nach § 10 BDSG.

Auf der zweiten Ebene geht es um die Zulässigkeit des einzel- nen Abrufs. Nur hierauf beziehen sich Schweigepflichtentbindung und Einwilligung des Patienten. Eine vorsorgliche Vorabeinwilligung in Datenübermittlungen per Abruf be- zieht sich jedoch faktisch auch auf die – dem Patienten unbekannte –

vorgegebene technische Infrastruk- tur des Zentrums. Widerspricht die- se den datenschutzrechtlichen For- derungen, zum Beispiel nach

„Mandantenfähigkeit“ des Systems, kann die Einwilligung jedenfalls nicht zugleich das „unangemesse- ne“, weil datenschutzwidrige Ab- rufverfahren legitimieren.

Abwägung und Ergebnis

Hinsichtlich der Freiwilligkeit der Patientenentscheidung gilt analog zum Fallbeispiel 1: Es können Si- tuationen vorliegen, die eine Be- handlungsalternative für den Pa- tienten unzumutbar machen. Die erteilte Schweigepflichtentbindung und Einwilligung sind dann un- wirksam, Zugriffe der anderen Zen- trumseinrichtungen unzulässig.

Das orthopädische Zentrum hat allerdings das legitime Interesse, dass sich die medizinisch aufeinan- der bezogenen Einrichtungen im Fal-

le einer Mit- oder Weiterbehandlung die Patientendaten schnell und voll- ständig zur Verfügung stellen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, warum die gezielte Ermächtigung zum Daten- abruf vorab pauschal und nicht erst zusammen mit der Entscheidung über die Mit- oder Weiterbehandlung erteilt wird. Vielmehr scheint hier die Androhung der Behandlungs - verweigerung auch die Funktion zu haben, die pauschale Vorabeinwilli- gung indirekt auch zu einer Infra- struktur zu erzwingen, die eine spä- tere gezielte bilaterale Abrufermäch-

tigung gar nicht erlaubt, weil es an einer einrichtungsbezogenen ge- trennten Patientendatenverwaltung insgesamt fehlt. Wie gezeigt kann je- doch eine Einwilligung zu einzelnen Daten abrufen nicht zugleich ein unzuläs siges, weil nicht „mandan- tenfähiges“ System legitimieren.

Schließlich kann die Behandlungs- freiheit nach § 7 Absatz 2 MBO nicht eine Empfangsperson eines Behand- lungszentrums, sondern nur „der Arzt“ für sich in Anspruch nehmen.

Frühere Behandlungsdaten Fallbeispiel 3: Die zentrale Aufnah- me eines Klinikkonzerns verweigert die Behandlung, weil der Patient den Zugriff der behandelnden Ärzte auf die konzernweite elektronische Patientenakte mit allen früheren Be- handlungsdaten ablehnt. (13)

Der Hinweis des Behandlungs- vertrags auf die „konzernweite elektronische Patientenakte“ ver-

weist zunächst auf das soeben zum zweiten Fallbeispiel Ausgeführte:

Auch ein Klinikkonzern mit ver- schiedenen selbstständigen Toch- tergesellschaften ist keine einheit - liche „datenverarbeitende Stelle“.

Die Konzernentscheidung, Behand- lungsaufgaben auf eigene Rechts- personen wie ein Medizinisches Versorgungszentrum oder eine Pri- vatklinik GmbH auszugliedern, hat deswegen rechtliche Folgen für die Kommunikationsstruktur im Kon- zern. Ist Kernstück des umfassen- den Krankenhausinformationssys- Lehnt ein Patient

für eine einfache Routineleistung die Übermittlung seiner Behand- lungsdaten an eine externe Verrech- nungsstelle ab, ist es der Praxis zuzumuten, selbst abzurechnen.

Foto: picture alliance

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tems eine fortlaufende konzernwei- te elektronische Patientenakte, de- ren Daten aus allen Einrichtungen

„abgerufen“ werden können, kolli- diert dies auch hier mit der Forde- rung nach einem „mandantenfähi- gen“ System und einer grundsätz- lich getrennten Datenverwaltung.

Konzernweite digitale Patientenakte Die Verweigerung der aktuellen Be- handlung wird damit begründet, dass das Krankenhaus verpflichtet sei, alle verfügbaren Informationen zu dem Patienten zu berücksichtigen.

Dies sei eine notwendige Behand- lungsbedingung. Anders als bei der Koppelung von Leistung und Ein- willigung im Fall der externen Ab- rechnung handele es sich hier um ein einheitliches Behandlungsge- schehen mit umfassender Informa- tionsnutzung, in das auch nur ins - gesamt eingewilligt werden könne.

An der Richtigkeit dieser These bestehen jedoch Zweifel:

Die früheren Behandlungsda- ten aus den Konzerneinrichtungen sind nur eine zufällige Auswahl von Informationen: Der Patient wurde früher auch in konzernfremden Ein- richtungen behandelt, etwa bei nie- dergelassenen Ärzten. Deren Doku- mentationen können für die aktuelle Behandlung ebenso wichtig sein, ohne zur Behandlungsvorausset- zung gemacht werden zu können.

Der innere medizinische Zu- sammenhang zwischen einer frühe- ren und der aktuellen Behandlung kann sehr unterschiedlich sein: Ein früherer Schwangerschaftsabbruch oder eine psychiatrische Behand- lung wegen eines Suizidversuchs hat mit einer aktuellen Fußkno- chenfraktur sicher weniger zu tun als eine frühere Osteoporose- oder auch Adipositasbehandlung.

Frühere Befunde verlieren desto mehr an Bedeutung für die aktuelle Behandlung, je länger sie zurückliegen.

Frühere Behandlungsdaten kön- nen also für die gegenwärtige Be- handlung eine Bedeutung haben, müssen es aber nicht.

Abwägung und Ergebnis

Bei der erforderlichen Interessen - abwägung geht es auch darum, wer

festzustellen hat, ob die früheren Behandlungsunterlagen für die ak- tuelle Behandlung von Bedeutung sind. Die administrative Aufnahme- kraft, die die Aufnahme aus forma- len Gründen verweigert, erscheint dazu kaum geeignet. Ihr steht die Behandlungsfreiheit des Arztes nicht zu; eine spätere Behandlungs- verweigerung durch den zuständi- gen Klinikarzt kann sie bei der ad- ministrativen Aufnahme nicht pau- schal antizipieren.

Gegen eine prinzipielle Behand- lungsverweigerung sprechen auf- seiten des Patienten im Übrigen auch hier wieder mögliche indi - viduelle Ausnahmesituationen, die einem Notfall nahekommen und Freiwilligkeit und Wirksamkeit der Entscheidung einschränken:

Das Klinikum verfügt über ei- nen Spezialisten, auf dessen Kennt- nisse und Fähigkeiten der Patient wegen besonderer Krankheitsum- stände angewiesen ist.

Der Arzt, der viele Jahre er- folgreich die chronische Krankheit des Patienten behandelte, wechselt in den Klinikkonzern und könnte den Patienten im dortigen Ambu- lanzzentrum weiter betreuen.

Dennoch ist auch das Interesse des Klinikums legitim, vorhandene und verfügbare medizinische Infor- mationen schnell daraufhin überprü- fen zu können, ob sie für die aktuelle Behandlung wichtig sind, und sie dann auch zu nutzen. Das gilt in besonderem Maße bei früheren Be- handlungen in derselben Konzern- einrichtung und derselben medizi - nischen Fachrichtung beziehungs- weise Fachabteilung. Hier muss sich die Einrichtung vor „bewusster Blindheit“ schützen, die eine ver - antwortungsvolle Behandlungsüber- nahme ausschließt. Es sind also Si- tuationen denkbar, die im Einzelfall eine Behandlungsverweigerung durch den Arzt rechtfertigen.

Eine Lösung des allgemeinen In- teressenkonflikts liegt jedoch nahe (14): Der Patient wird bei der admi- nistrativen Aufnahme um die Ein- willigung in die Hinzuziehung frü- herer Behandlungsunterlagen gebe- ten. Lehnt er dies ab, wird dies im System vermerkt und ein Zugriff auf die elektronische Patientenakte

zunächst gesperrt. Bei der medizi- nischen Aufnahme erörtert der Arzt mit dem Patienten, ob es relevante Vorbehandlungen gab, ob diese Be- deutung für die aktuelle Behand- lung haben und ob dies den Zugriff auf die gesamte elektronische Pa- tientenakte mit allen Daten recht- fertigt – wenn eine Beschränkung auf bestimmte Behandlungsfälle nicht möglich ist. Der Patient kann dann nachträglich die Einwilligung erteilen; im System wird der Zu- griff auf die elektronische Patien- tenakte dann freigeschaltet. Ver- bleibt ein Dissens, kann entweder der Patient das Krankenhaus von der Haftung freistellen oder im Ein- zelfall auch der Arzt die Behand- lung wegen Vorenthaltung erforder- licher Informationen ablehnen.

Fazit

Die umfassende Digitalisierung des Gesundheitswesens ist kein Frei- brief, die Selbstbestimmung des Pa- tienten auszuschließen. Eine vor - gegebene ausnahmslose Versagung der Behandlung wegen der Verwei- gerung einer geforderten Schweige- pflichtentbindung und datenschutz- rechtlichen Einwilligung ist nicht zulässig. Es bedarf immer einer Ab- wägung der jeweiligen Interessen im Einzelfall. Dabei sind indivi - duelle Ausnahmesituationen des Pa- tienten ebenso zu berücksichtigen wie die medizinische – und nicht administrative – Beurteilung, ob die konkrete Behandlung nicht auch ohne die Einwilligung vertretbar ist. Datenschutzwidrige technische Infrastrukturen können durch eine Patienteneinwilligung nicht legiti- miert werden. Ärztekammern wie Datenschutzaufsichtsbehörden sind aufgerufen, aufzuklären, zu beraten und bei Verstößen auch Sanktionen in Betracht zu ziehen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2011; 108(25): A 1419–23

Anschrift des Verfassers Dr. jur. Hans-Joachim Menzel Stellvertretender Hamburgischer Datenschutzbeauftragter

Klosterwall 6 (Block C), 20095 Hamburg hans-joachim.menzel@datenschutz.hamburg.de

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit2511

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A 5 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 25

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24. Juni 2011

LITERATURVERZEICHNINS HEFT 25/2011, ZU:

DATENSCHUTZ IM GESUNDHEITSWESEN

Selbstbestimmung hat Vorrang vor dem Effizienzinteresse

Medizinische Einrichtungen dürfen eine Behandlung nicht von vornherein ablehnen, wenn der Patient die geforderte Schweigepflichtentbindung oder die datenschutz- rechtliche Einwilligung verweigert.

Hans-Joachim Menzel

LITERATUR

1. BVerfGE 65,1: Volkszählungsurteil vom 15. 12. 1983

2. § 9 Musterberufsordnung für Ärzte, www.bundesaerztekammer.de/page.asp?

his=1.100.1143 3. § 203 Abs.1 Nr.1 StGB

4. Vgl. § 1 Abs.3 Satz 2 BDSG: Schweige - verpflichtungen bleiben „unberührt“; vgl.

näher Weichert T, in: Däubler W, Klebe T, Wedde P, Weichert T: Bundesdatenschutz- gesetz, 2009, § 1 RN 14.

5. BGH v. 10. 7. 1991, VIII ZR 296/90 = NJW 1991, 2955; ob daneben eine schriftliche Einwilligung des Patienten nach § 4a BDSG erforderlich ist, ließ das Gericht ausdrücklich offen.

6. Fischer T, StGB, 56. Aufl., 2009, Vor § 32 RN 3c: Der Einwilligende muss „frei in sei- ner Entschließung“ sein.

7. Vgl. Wedde P, in: Däubler W, Klebe T, Wed- de P, Weichert T: Bundesdatenschutzge- setz, 2009, § 28 FN 30

8. Vgl. §§ 4 Abs. 2; 6 b Abs. 1; 10 Abs. 1;

28 Abs. 1 Nr. 2, 3; 30 Abs. 2 Nr. 2; 30a Abs. 1 Nr. 2 BDSG

9. Simitis S, in: Simitis S: BDSG 6. Aufl.

2006, § 4 a RN 63 f., Däubler W, in:

Däubler W, Klebe T, Wedde P, Weichert T:

Bundesdatenschutzgesetz, 2009, § 4a RN 24

10. Vgl. die Unterscheidung in § 3 Abs.4 und 5 BDSG

11. Weichert T, in: Däubler W, Klebe T, Wedde P, Weichert T: Bundesdatenschutzgesetz, 2009, § 3 RN 59

12. Orientierungshilfe Krankenhausinformati- onssysteme: www.datenschutz-bayern.de/

technik/orient/oh-kis.pdf, hier: Glossar:

Mandantenfähigkeit

13. Beyn KS: Datenschutz im Krankenhaus. In:

Gocke P, Debatin JF (Hrsg.): IT im Kran- kenhaus, 2011, S.18

14. Vgl. Orientierungshilfe Krankenhausinfor- mationssysteme: Normative Eckpunkte Ziff.4,7; technische Anforderungen Ziff.1.9, 3.

Referenzen

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