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Archiv "Ethikberatung in der Hochleistungsmedizin: Ein Beitrag zur Patientenzufriedenheit" (03.02.2012)

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A 202 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 5

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3. Februar 2012 tienten sollten nach unserer Auffas-

sung bei strenger Prüfung der Ver- hältnismäßigkeit erlaubt sein, zum Beispiel zur Abwehr von akuter Selbstgefährdung und bei erheblicher Fremdgefährdung im Rahmen der (psychotischen) Erkrankung, sofern diese nicht in einer zu beachtenden Patientenverfügung ausdrücklich un- tersagt worden sind. Insbesondere sollte die Verabreichung von Beruhi- gungsmitteln zur Behandlung akuter Erregungszustände erlaubt sein, un- ter Umständen auch von bestimmten Antipsychotika (bei Psychosen) oder Medikamenten gegen ein Delir (zum Beispiel Clomethiazol, Benzodiaze- pine), wenn diese auf eine (kurzfristi- ge) Herstellung der Autonomie (Ein- willigungsfähigkeit) des Betroffenen abzielen. Diese Zwangsbehandlun- gen müssen dann grundsätzlich ge- richtlich genehmigt werden (außer bei akuter Gefahr). Um Entscheidun- gen über längerfristige Behandlun- gen zu treffen, könnte ein klinisches Ethikkomitee vermittelnd wirken, um einen Konsens zu erreichen.

Zwangsmedikation darf in einer modernen Therapie nur als Ultima Ratio unter strikten Bedingungen eingesetzt werden. Das Ziel ist stets, mit dem Patienten ein therapeuti- sches Bündnis zu erreichen und ihn aktiv in die Auswahl der Psychothe- rapie und/oder Pharmakotherapie einzubeziehen. In manchen Krank- heitszuständen ist die Autonomie des Patienten aber durch die Erkrankung gefährdet und der „natürliche Wille“

(der aktuell geäußerte Wille) kann dem tatsächlichen Willen des Patien- ten, der auch auf längerfristige Ziele ausgerichtet ist, entgegengesetzt sein.

Eine geeignete Therapie kann die Autonomie wiederherstellen. Daher gebietet gerade der Respekt vor der Patientenautonomie in bestimmten Fällen eine kurzzeitige Behandlung gegen den natürlichen Willen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2012; 109(5): A 198–202

Anschrift für die Verfasser Dr. phil. Dipl.-Phys. Sabine Müller

Charité – Universitätsmedizin Berlin, Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, Charitéplatz 1, 10117 Berlin, mueller.sabine@charite.de

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit0512

ETHIKBERATUNG IN DER HOCHLEISTUNGSMEDIZIN

Ein Beitrag zur

Patientenzufriedenheit

Das Universitätsklinikum Heidelberg hat seine Ethik beratung auf vier Säulen neu aufgestellt. Unter anderem berät ein unabhängiger externer Beirat den Klinikumsvorstand bei schwierigen Fragen.

U

m bei komplizierten Entschei- dungsfindungen im Span- nungsfeld zwischen Hochleistungs- medizin und dem Diktat der Wirt- schaftlichkeit, dem Patientenwillen und dem ärztlichen Handeln eine ethische Beratung auf allen Ebe- nen zu gewährleisten, wurden am Universitätsklinikum in Heidelberg neue Strukturen für die Ethikbera- tung geschaffen. „Die Hochleis- tungsmedizin an einem Universi- tätsklinikum braucht ein ethisches Fundament und gut funktionierende Strukturen für die Beratung im kli- nischen Alltag“, begründete Prof.

Dr. med. J. Rüdiger Siewert, Lei- tender Ärztlicher Direktor am Hei- delberger Universitätsklinikum, kurz vor seinem Wechsel in derselben Funktion an das Universitätsklini- kum in Freiburg die Neuordnung.

Anlass dazu war ein konkreter Fall, mit dem sich der Klinikumsvor- stand zu beschäftigen hatte.

Es ging Siewert zufolge um ein nicht lebensfähiges Frühgeborenes – stark untergewichtig mit einer Lun- genaplasie und weiteren schwerwie- genden Komplikationen – dessen El- tern entgegen dem Rat der behan- delnden Neonatologen darauf be- standen hatten, das Kind weiter am Leben zu erhalten. Die verzweifelten Eltern gingen bis zum Klinikums- vorstand und an die Öffentlichkeit.

In dieser schwierigen ethischen Si- tuation habe Siewert eine Gruppe von Experten vermisst, die ihm bera- tend zur Seite gestanden hätte.

Ein neu geschaffener externer Ethikbeirat für Krisenfälle

Er wandte sich an den Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin, Prof. Dr. med. Wolf- gang Eckart, mit der Bitte, die Ethik- beratung am Heidelberger Uniklini- kum neu aufzustellen. Sie basiert auf vier Säulen. Ein neu geschaffener Sollen Ärzte

ein nicht le- bensfähiges Frühchen auf Wunsch der El-

tern am Leben erhalten? Ein Thema für die Ethikberatung

Foto: dpa

T H E M E N D E R Z E I T

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3. Februar 2012 externer Ethikbeirat berät den Kli -

nikumsvorstand künftig in solchen Fällen. Ihm gehören der emeritierte Direktor der Psychiatrischen Univer- sitätsklinik Heidelberg, ein externer Jurist, ein externer Theologe und ein Wissenschaftsjournalist an.

Dieses Gremium ist allein dem Klinikumsvorstand zugeordnet und wird von ihm in Krisenfällen hin - zugezogen. Das könnte bei ethi- schen Fragen der Fall sein, die zum Beispiel rechtlich problematisch sind und/oder öffentlichkeitswirksam wer- den könnten. Der Beirat kann aber auch seinerseits an den Klinikums- vorstand herantreten, wenn Anfra- gen aus dem Klinikum oder der Öf- fentlichkeit an ihn herangetragen werden. Ethische Grundsatzfragen, die von allgemeinem öffentlichem Interesse sind, können vom Ethik- beirat in Abstimmung mit dem Vor- stand auch an die Öffentlichkeit ge- bracht werden, zum Beispiel in Symposien oder Ethikforen.

Neuer Konfliktstoff durch die zunehmende Ökonomisierung

Neuen ethischen Konfliktstoff sieht Siewert durch die zunehmende Ökonomisierung auf die Universi- tätskliniken zukommen. Früher sei- en die Universitäten Non-Profit-In- stitutionen gewesen, heute müssten sie eine Rendite erwirtschaften, um zu überleben. Dieser ökonomische Druck könne zu extrem schwieri- gen Konfliktsituationen zwischen Ökonomie und ärztlicher Hand- lungsfreiheit führen.

Neben dem externen Beirat ist für ethische Fragen im klinischen Alltag ein klinisches Ethikkomitee zustän- dig, das aus dem schon seit mehr als zehn Jahren bestehenden „Arbeits- kreis Ethik-Konsil“ hervorgegangen ist. Es tritt einmal monatlich zu meist retrospektiven Fallbespre- chungen mit ethischer Fragestellung zusammen und erarbeitet Empfeh- lungen für künftige ähnlich gelager- te Fälle. Das Themenspektrum ist groß. Ein klassisches Problem ist zum Beispiel, wenn ein aus ärztli- cher Sicht problematischer Patien- tenwille einer medizinisch indizier- ten Behandlung entgegensteht.

Die Leiterin des Fachbereichs Medizinethik am Institut für Ge-

schichte und Ethik der Medizin, Prof. Dr. med. Monika Bobbert, be- richtet von einem Fall aus dem Kli- nikalltag: Ein 59-jähriger Patient mit einem seit elf Jahren bestehen- den Morbus Hodgkin mit mehrma- ligen Rezidiven kam mit Atemnot aufgrund einer beidseitigen Lun- genentzündung in die Notambulanz des Klinikums. Er verweigerte eine künstliche Beatmung, ließ sich aber nach mehreren Gesprächen mit dem behandelnden Arzt auf eine be- grenzte Intubation über drei Tage ein. Nachdem danach keine Besse- rung des Zustandes eingetreten war, hat seine Ehefrau als dessen Bevoll- mächtigte die Beendigung der Be - atmung gefordert, worauf der Pa- tient gestorben ist. Der behandelnde Arzt wandte sich an das Komitee, um retrospektiv ihn bedrängende Fragen klären zu helfen: „Habe ich den Patienten zur Beatmung über - redet?“ „War es aufgrund der ange- nommenen Besserungs chancen rich- tig, den Beatmungskompromiss zu schließen?“

Weitere häufige Themen, die das Komitee beschäftigen, sind: Soll die Maximaltherapie bei Schwerstkran- ken fortgesetzt werden, oder wäre eine Therapiebegrenzung im Sinne des Patienten angezeigt? Wie ist mit Konflikten unter den Angehörigen umzugehen, die den mutmaßlichen Willen nicht entscheidungsfähiger Patienten unterschiedlich interpre- tieren? Wie ist bei der Anmeldung eines Patienten auf die Transplanta- tionsliste im Sinne der Verteilungs- gerechtigkeit zu entscheiden?

Neben den monatlichen Fallbe- sprechungen werden auch Ad-hoc- Beratungen durch ein Ethikkonsil auf den Stationen durchgeführt.

Dies geschieht zum einen institutio- nalisiert durch die regelmäßige Teilnahme der Ethikberaterin bei Visiten auf Intensivstationen (zwei- mal wöchentlich) oder als Einzel- fallberatung auf Anfrage von Ärz- ten, Pflegekräften, Patienten oder Angehörigen. „Wir erarbeiten Emp- fehlungen und sind beratend tätig, die Therapieentscheidung trifft aber immer der Arzt“, betont Bobbert.

Das Ethikkomitee bietet zudem regelmäßig Weiter- und Fortbildun- gen für die Klinikmitarbeiter etwa zu

den Themen Patientenverfügung und Kommunikation mit Patienten und deren Angehörigen an. Außerdem werden vom Ethikteam Empfehlun- gen für immer wiederkehrende Fra- gestellungen erarbeitet, die vom Klinikumsvorstand gegebenenfalls als Leitlinien implementiert werden können. Themenschwerpunkte sind dabei zum Beispiel Therapieziel - änderungen auf Intensivstationen, etwa der Verzicht auf intensivmedi - zinische Maßnahmen. In Fällen, die das Fehler- und Beschwerdemanage- ment betreffen, werden die Stabsstel- le Qualitätsmanagement und Medi- zincontrolling informiert und in die Beratungstätigkeit einbezogen.

Regelmäßige Sprechstunden für Patienten und deren Angehörige lie- gen dem Ethikberatungsteam be- sonders am Herzen. „Die ethische Beratung ist Teil einer guten Dienst- leistung, wie sie in einem großen Klinikum vom Patienten erwartet werden darf“, sagt Eckart, der das Beratungskonzept zusammen mit Bobbert und der Ethikberaterin Dr.

phil. Beate Herrmann am Gesamt- klinikum etabliert hat.

Hilfe bei der Konfliktlösung im Stationsteam

Patienten hätten nicht nur ein Recht auf gute medizinische, pflegerische und psychosomatische Versorgung, sondern auch auf eine fundierte ethische Beratung im Sinne einer angemessenen und gerechten Be- handlung. Die klinische Ethikbe - ratung diene der Beilegung von Konflikten und trage somit zur Patientenzufriedenheit bei. Das Ethikkomitee beziehungsweise die Ethikberaterin sind aber auch gefordert , wenn es zum Beispiel gilt, Kommunikationsprobleme und Konflikte im Stationsteam zu lösen.

Die Leitung und Koordinierung der „Klinischen Ethikberatung“ ob- liegt dem Institut für Geschichte und Ethik der Medizin. Auch für Lehre und Forschung zu ethischen Fragestellungen zeichnet das Insti- tut verantwortlich. Eckart: „Ent- scheidungen zu ethischen Konflikt- fällen sollten auf der Basis ethi- scher Forschung diskutiert, getrof- fen und bewertet werden.“

Ingeborg Bördlein

T H E M E N D E R Z E I T

Referenzen

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