Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen DIE GLOSSE
Belastung
Einen steigenden Arzneimittelver- brauch bei Schwangeren, wie er in der Bundesrepublik Deutschland, in Großbritannien und in USA be- kannt sei, hatte ein Gynäkologe in der DDR bereits vermutet (wie er in einer Veröffentlichung schreibt), bevor er ihn durch eine Umfrage bei schwangeren Frauen auch tat- sächlich ermittelte. Zwar wurden im Abstand von zwölf Monaten nur je etwa 300 Frauen befragt, aber immerhin gab es „erstaunliche"
Parallelen: Zum Beispiel nahmen 16,1 beziehungsweise 16,7 Pro- zent der Befragten während der Schwangerschaft keine Arzneimit- tel; die Vergleichszahl in der Bun- desrepublik betrug 17 Prozent.
(Der steigende Verbrauch in der DDR läßt sich darauf zurückfüh- ren, daß diejenigen Schwangeren, die überhaupt Arzneimittel neh- men, mengenmäßig mehr verbrau- chen).
Man sollte glauben, in der DDR würde der Arzneimittelkonsum von Schwangeren wenigstens überwacht, aber da hapert's: im entsprechenden Ausweis (den je- de Schwangere haben muß, um die staatliche Geburtenhilfe von 1000 M zu kassieren) wurden nicht einmal die Hälfte der Verordnun- gen eingetragen!
Die große Mehrheit der befragten Frauen — nämlich zwei Drittel — ließen sich entweder von der Schwangerenberatung oder von einem Facharzt für Frauenheilkun- de behandeln und erhielten dort auch ihre Arzneimittel. Interessant ist, daß gerade dort auch die Ver- ordnungen besonders zugenom- men haben.
Deutlich gestiegen ist der Arznei- mittelverbrauch gegen Ende der Schwangerschaft (sechster bis neunter Monat), und als beson- ders beunruhigend wird die
„Selbstversorgung" erwähnt:
Auch sie stieg besonders im letz- ten Stadium der Schwangerschaft
stark an, und es hat der Prozent- satz der Frauen zugenommen, die sich trotz einer ärztlichen Therapie noch Arzneimittel hinzukaufen.
Man könne mit Sicherheit damit rechnen, heißt es, daß diese
„selbstbeschafften Tabletten auch eingenommen werden" — dies ist nun ein bemerkenswertes Einge- ständnis für die DDR, also für ein Land, dessen offizielle Propagan- da immer die „Auswüchse" und den „Konsümterror" der westli- chen Reklamegesellschaft — und
ZITAT
Störfaktor
Abg. Gisela Hüller (FDP): Wir sehen die Gefahr, daß in den kommenden Jahren vorbild- .Iich geführte, zu einem volkswirtschaftlich vertret- baren Pflegesatz arbeitende Privatkliniken zur Aufgabe gezwungen werden zugun- sten eines immer unüber- schaubareren und finanziell untragbar werdenden staat- lichen Krankenhausbe- reichs...
Abg. Tepperwien (SPD):
...Genau deswegen machen wir nämlich Krankenhausbe- darfspläne, um die Wirt- schaftlichkeit der Kranken- häuser abzusichern. Genau deswegen haben wir als Ge- sundheitspolitiker die Mög- lichkeit, diejenigen Kranken- häuser, die nur auf privaten Gewinn hinarbeiten, uns da- bei stören und praktisch die Wirtschaftlichkeit der kom- munalen Krankenhäuser be- einträchtigen, auszuschlie- ßen! Niemand hindert sie ja in dieser freien Gesellschaft, weiterhin ihrer Tätigkeit nachzugehen.
Aus der Haushaltsdebatte der Bremischen Bürger- schaft (Landtag) im Dezem- ber 1977
gerade auch der „Arzneimittelkon- zerne" — so gern verteufelt.
Solche Parallelen sind natürlich interessant. Aber genauso interes- sant sind die Dinge, die in der DDR aus politischen Gründen hervor- gehoben werden — und auch die Beobachtungen, die, aus ebenso politischen Gründen, gerade nicht hervorgehoben werden.
So seien bei den Schwangeren der Gruppe „Intelligenz" besondere Einnahmehäufungen durch ver- stärkte geistige Arbeit nicht fest- zustellen; dies werde in der DDR offenbar „durch die Sozialgesetz- gebung verhindert", wie es heißt.
Was aber die Sozialgesetzgebung nicht verhindern kann und auch im Zuge der angeblichen Gleich- berechtigung der Frau — die in Wirklichkeit zu schweren gesund- heitlichen Belastungen der Frauen führt — gar nicht verhindern soll, das kann man deutlich an den Ab- weichungen vom Durchschnitt se- hen, die sich bei den Hausfrauen unter den Befragten ergeben: Von den 310 befragten Schwangeren in der DDR waren nur 19 (sechs Prozent) Hausfrauen. Von ihnen benötigten aber nur knapp die Hälfte — verglichen mit sechs Sie- bentel aller Befragten — während der Schwangerschaft überhaupt irgendwelche Arzneimittel.
Ein ebenso deutlicher Unterschied zeigt sich bei den Erkrankungen während der Schwangerschaft:
Von den Berufstätigen mußten fast zwei Drittel während der Schwan- gerschaft krank geschrieben wer- den, und zwar durchschnittlich je 1,7mal. Von den Hausfrauen wur- den nicht einmal ein Drittel wäh- rend der Schwangerschaft krank.
So erscheint die angeblich so vor- bildliche gesundheitliche Betreu- ung in der DDR erst im richtigen Licht. Gerade für die berufstätigen Frauen und Mütter, deren Bela- stung wir im Westen uns kaum noch vorstellen können, ist sie doch nichts anderes als bittere Notwendigkeit! gb
590 Heft 10 vom 9. März 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT