• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Genetische Varianz: Haben die Ostfriesen andere Gene?" (22.02.2013)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Genetische Varianz: Haben die Ostfriesen andere Gene?" (22.02.2013)"

Copied!
5
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

GENETISCHE VARIANZ

Haben die Ostfriesen andere Gene?

Pharmakotherapie und Ethnizität in Zeiten globaler Migration Daniel J. Müller, Ulrike Kluge, Andreas Heinz

M

it zunehmender Globalisie- rung der Migration kommen immer mehr Menschen aus allen Regionen der Welt nach Deutsch- land. Mehr und mehr Erkenntnisse über genetische Differenzen, bei- spielsweise in der Metabolisierung von Arzneimitteln, werfen im Falle einer medizinischen Behandlungs- indikation die Frage auf, ob Eth - nizität bei der Indikationsstellung oder Dosierung einzelner Arznei- mittel zu berücksichtigen ist. Die- ses Thema hat gerade in den USA, wo häufig die Herkunft von Studien- teilnehmern in wissenschaftlichen Publikationen erfasst wird, beson- dere Beachtung gefunden. Einzelne Publikationen sprechen von einer

„racial pharmacotherapy“, nach- dem die Food and Drug Adminis- tration (FDA) in den USA 2005 den Vasodilatator Hydralazin (BiDil) nur für Afroamerikaner zugelassen hat. Gibt es also grundsätzliche Un- terschiede in Pharmakokinetik und Pharmakodynamik zwischen Men- schen unterschiedlicher ethnischer Herkunft? Und wie sind die im kli- nischen Alltag zu beachten? Und schließlich: Ist es sinnvoll, über- haupt eine ethnische Zugehörigkeit zu definieren?

Unpräziser und biologisch fragwürdiger Begriff

Das in Amerika verbreitete Kon- zept der Einteilung von Menschen in „Rassen“ wurde bereits in den 1990er Jahren von der Associa - tion of American Physical Anthro- pologists kritisiert (1). Tatsächlich erfolgte die amerikanische „Ras- senklassifikation“ auf der Basis von Hautfarbe, kulturellen oder politischen Unterscheidungen, je- doch weniger aufgrund biolo - gischer Faktoren. Wie unpräzise diese Einteilung ist, zeigt das Bei-

spiel Jamaikas: Der ursprünglich spanische Kolonialbesitz wurde im 18. Jahrhundert von den Eng- ländern erobert. Dort werden die schwarzen Jamaikaner den „Afri- can Americans“ zugewiesen. Im Gegensatz dazu werden die Be- wohner der anderen von Spaniern kolonisierten Inseln in der Karibik wegen ihrer Sprache den „His - panics“ zugeordnet. Entscheidet also die Kolonialgeschichte über die „Rasse“?

Unabhängig von diesen kulturel- len Überlegungen ist die Einteilung in „Menschenrassen“ grundsätzlich kritisch zu sehen, da sie auf der wis- senschaftlich obsoleten Vorstellung beruht, dass sich die Menschheit unabhängig in verschiedenen Teilen der Welt entwickelt habe (2). Nach dem derzeitigen Wissensstand stammen jedoch alle Menschen aus Afrika. Dementsprechend findet man dort in der Ursprungspopulati- on eine weitaus größere Varianz in der Allelausprägung. Mit zuneh- mender Migration nach Europa und Asien reduzierte sich diese alleli- sche Varianz, weil offenbar relativ kleine Gruppen mit beschränkter genetischer Varianz jeweils weiter gewandert sind. Gut darstellen kann man das anhand von CD4-Haploty- pen, bei denen sich die zunehmende Reduktion allelischer Varianzen im Laufe der Migration beobachten lässt (Grafik).

Es gibt also keine klar umrisse- nen „Rassen“, sondern eine durch die Wanderungsbewegungen des Menschen entstandene graduelle genetische Varianz zwischen oder innerhalb verschiedener Populatio- nen. Frank Livingstone, ein Experte auf dem Gebiet der genetischen An- thropologie, hatte deshalb bereits 1962 vorgeschlagen, den Begriff der „Rasse“ abzuschaffen und

durch den 1938 von dem Biologen Julian Huxley eingeführten Begriff der „Clines“ zu ersetzen (4). Dieser Begriff beschreibt die kontinuierli- che Varianz und damit die fließen- den Übergänge sowohl von geneti- schen als auch von phänotypischen (äußerlichen) Merkmalen und wird damit den nur graduellen geneti- schen Unterschieden zwischen ver- schiedenen Populationen eher ge- recht als die frühere kategoriale Einteilung.

Genetische Unterschiede verschiedener Populationen Die unterschiedlichen augenfälli- gen Merkmale zwischen verschie- denen Populationen haben seit jeher die Frage aufgeworfen, wo die Ur- sachen für diese phänotypischen Differenzen liegen und ob sich dar - aus ein genetisch determinierter

„Rasse“-Begriff ableiten lässt. Da solch eine Klassifikation die sozio- kulturellen Umwelteinflüsse, die auf ein Individuum einer bestimm- ten Population einwirken, außer Acht lässt (Ernährungsgewohnhei- ten, Klima et cetera), hat sich der Begriff der Ethnizität durchgesetzt.

Doch auch dieser Begriff ist proble- matisch, denn es fehlen wissen- schaftliche Grundlagen, mit denen man sämtliche Individuen vorbe- haltlos in bestimmte ethnische Gruppierungen einordnen kann – wie verfährt man beispielsweise mit Kindern von Eltern, die unter- schiedlichen „Ethnizitäten“ ange- hören?

In der Tat unterscheiden sich Menschen aus verschiedenen Popu- lationen nicht (wie zum Teil in der Laienpresse diskutiert) im Hinblick auf ihre Gene. Somit haben Ostfrie- sen keine anderen Gene als zum Beispiel die Bewohner Polynesiens.

Allerdings gibt es zwischen ver-

Pharmacogenetics Research Clinic, Centre for Addiction and Mental Health, Toronto; Department

of Psychiatry, University of Toronto:

Müller M.D., Ph.D.

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité − Universitäts- medizin Berlin,

Campus Mitte:

Dipl.-Psych. Kluge, Prof. Dr. med. Heinz

(2)

schiedenen Populationen sehr wohl Unterschiede in der Häufigkeit des Auftretens einzelner Genvarianten, das heißt in der Abfolge der Basen- paare in der DNA-Sequenz. Solche Varianten werden als Mutationen bezeichnet, wenn die Frequenz un- ter einem Prozent liegt. Bei einer Frequenz der Genvariante über ei- nem Prozent wird üblicherweise von Polymorphismen gesprochen.

Diese Varianten werden entweder vererbt oder können de novo entste- hen. Genabschnitte mit einer be- stimmten Variante (oder mehreren bestimmten Varianten) werden als Allele bezeichnet. Entscheidend ist dabei, dass diese Varianten die Funktionsweise eines Genprodukts (also des Proteins) beeinflussen können. Zusammenfassend unter- scheiden sich Populationen (bezie- hungsweise ethnische Gruppen) al- so lediglich in der durchschnittli- chen Frequenz bestimmter Genva- rianten.

Jedoch kommen beinahe alle untersuchten Polymorphismen auch in fast allen untersuchten Popu - lationen vor. In den meisten Poly- morphismen unterscheiden sich die Allelfrequenzen zwischen ver- schiedenen Populationen meist nur um wenige Prozent. Dagegen gibt es Genvarianten, die in ihrer Fre- quenz stark variieren. Ein Beispiel hierfür ist ein Polymorphismus im Gen, welches das DARC-Protein (Duffy antigen/receptor for che- mokines) oder auch Fy-Glykopro- tein kodiert. Der Polymorphismus führt zu einem Verlust des Mem- branproteins, was sich als protek- tiv gegen Malaria erwiesen hat, da das Fehlen des Proteins das Ein- dringen von Plasmodium vivax in die Zelle behindert. Während die Genvariante, die zum Verlust des Proteins führt, in Populationen, die nicht in einem Risikogebiet für Malaria liegen, nur mit einer Fre- quenz von unter einem Prozent auftritt, findet man diese Variante bei bis zu 87 Prozent der Populati- on in Afrika südlich der Sahara (5).

Es liegt auf der Hand, dass sich diese protektive Variante in Mala- ria-Risikogebieten über die Zeit ausgebreitet hat, weil sie Überle- bensvorteile bietet.

GRAFIK

Wahrscheinliche Routen des modernen Menschen (Homo sapiens sapiens) bei seiner Ausbreitung von Afrika ausgehend auf die anderen Kontinente

A Nama 0,3

0,25 0,2 0,15 0,1 0,05 0

80 85 90 95 100 105 110 115 120 125 130 135

B Woloff 0,3

0,25 0,2 0,15 0,1 0,05 0

80 85 90 95 100 105 110 115 120 125 130 135

E Cambodian 0,6

0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0

80 85 90 95 100 105 110 115 120 125 130 135

F Cheyenne 0,6

0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0

80 85 90 95 100 105 110 115 120 125 130 135 C

Ethiopian 0,4

0,35 0,3 0,25 0,2 0,15 0,1 0,05

0 80 85 90 95 100 105 110 115 120 125 130 135

D European 0,4

0,35 0,3 0,25 0,2 0,15 0,1 0,05

0 80 85 90 95 100 105 110 115 120 125 130 135

Die Zahlen geben die wahrscheinlichen Zeitpunkte der Ankunft auf den verschiedenen Kontinenten an (modifiziert nach [1]). Die Buchstaben A−F auf der Karte zeigen die Lokalisation der in den Diagrammen aufgeführten Populationen je nach den Regionen, in denen sie beheimatet sind. Die darunter stehenden Diagramme zeigen die Häufigkeiten von verschiedenen CD4-Haplotypen in diesen unterschiedlichen Populationen (A−F) (modifiziert nach [3]).

(3)

Ähnlich unterschiedliche Vertei- lungen existieren auch für schnelle und langsame CYP2D6-Metaboli- sierer. Dieses Enzym ist am Stoff- wechsel vieler wichtiger Arznei - mittel beteiligt. Die Frequenz des Auftretens besonders langsamer (poor metabolizer, PM) oder einge- schränkter Metabolisierer (interme- diate metabolizer, IM) unterschei- det sich deutlich zwischen verschie- denen Populationen, auch wenn ge- nerell gilt, dass die überwiegende Mehrheit in jeder Population nor- mal schnelle Metabolisierer sind (extensive metabolizer, EM). Des

Weiteren gibt es auch besonders schnelle Metabolisierer (ultrarapid metabolizer, UM). Auch hier gibt es ausgeprägte Unterschiede in den Frequenzen zwischen Populationen (Tabelle).

Testverfahren in der klinischen Praxis

Dennoch wäre es in der Praxis nicht ratsam, Medikamente von vorn - herein bei Menschen aus einer be- stimmten Region der Welt anders zu dosieren, nur weil in dieser Po- pulation zum Beispiel häufiger PM oder UM auftreten. Da insbesonde- re bei PM jedoch schneller Überdo- sierungen bestimmter Medikamen- te auftreten können, ist die Kennt- nis des Metabolisiererstatus eines Individuums durchaus im Einzelfall von Nutzen. Daher wäre es für An- gehörige von Populationen mit ge- häuftem Auftreten von Nicht-EM generell sinnvoll, die Indikation für Aktivitätsbestimmungen in Erwä- gung zu ziehen, sofern die Datenla- ge es rechtfertigt.

Dabei kommt pharmakogeneti- schen Untersuchungen und der Erhebung des Serumspiegels eine besondere Bedeutung zu. Der Vor- teil von genetischen Untersuchun- gen liegt darin begründet, dass sich die Ergebnisse prädiktiv nutzen las- sen und nur eine einmalige Unter- suchung erforderlich ist. Für die CYP2D6- und CYP2C19-Gene lie- gen inzwischen auch von der FDA geprüfte molekulargenetische Test- verfahren vor, die eine Einteilung in PM, IM, EM oder UM erlauben und die zunehmend in der klinischen Praxis Verwendung finden (6). Da-

bei muss jedoch berücksichtigt wer- den, dass die Aussagekraft dieser Tests auch Einschränkungen unter- worfen ist, denn die enzymatische Aktivität lässt sich anhand von CYP2D6- und CYP2C19-Genoty- pisierungen nicht vollständig ab- schätzen.

Dies liegt zum einem daran, dass üblicherweise in den Tests nicht sämtliche genetischen Polymor- phismen erfasst werden, und zum anderen, dass CYP2D6- und CYP2C19-Gene durch Arzneimit- tel, aber auch durch Nährstoffe in- duziert oder inhibiert werden kön- nen. So kann beispielsweise ein normaler Metabolisierer durch die Einnahme von Paroxetin (einem Antidepressiva) zu einem funk - tionell langsamen Metabolisierer

„konvertiert“ werden (sogenannte Phänokopie) (7). Aufgrund dieser Einschränkungen gibt es bislang keine verbindlichen Empfehlungen, die das Testen dieser beiden Gene betreffen. Gleichwohl werden diese Tests immer häufiger angeboten

und von Kliniken durchgeführt, da die Kosten für genetische Untersu- chungen relativ gering sind und die Patienten zum Teil von sich aus nach solchen Tests fragen.

Unterschiede in der Frequenz bestimmter Genvarianten Eine verbindliche Empfehlung der FDA zur genetischen Testung liegt seit 2007 für Menschen ostasiati- schen Ursprungs vor, falls diese Personen mit Carbamazepin be - handelt werden sollen. Mehr als 20 Prozent der Menschen aus dem ostasiatischen Raum (etwa aus Teilen Chinas, Thailands oder der Philippinen) sind Träger des HLA-B*1502-Allels (einer Kombi- nation verschiedener Polymorphis- men). Diese Allelträger sind beson- ders gefährdet, eine lebensbedrohli- che Hautreaktion (Stevens-Johnson Syndrom) unter Carbamazepin zu entwickeln (8). Bei Menschen euro- päischen Ursprungs hingegen kommt diese Variante so gut wie nicht vor, so dass hier keine Emp- fehlung zu einer genetischen Unter- suchung ausgesprochen wurde.

Dieses Beispiel zeigt aber auch ein- drücklich, dass es durch einen ge- netischen Test gelingen kann, auch innerhalb einer Gruppe Risikoträ- ger zu identifizieren, ohne pauschal die gesamte Population als „Risiko- population“ zu charakterisieren.

Zusammenfassend kann man sa- gen, dass sich Populationen unter- schiedlicher Herkunft in der Fre- quenz bestimmter Genvarianten un- terscheiden, wobei diese Varianten bei Exposition mit bestimmten Arz- neimitteln Einfluss auf die Metabo- lisierung und damit die Dosisbe- stimmung, die Wirksamkeit und das Auftreten von Nebenwirkungen nehmen können.

In Fällen mit bekannter zugrunde- liegender Genvariante kann sich ei- ne Testung als hilfreich erweisen (zum Beispiel für CYP2D6, CYP2C19 und HLA-B*1502). Sind für einzelne Populationen spezifi- sche Unterschiede beobachtet wor- den, die genauen Ursachen (bezie- hungsweise die zugrundeliegenden genetischen Mechanismen) jedoch nicht bekannt, so kann es wie im Falle des Hydralazins zu spezifi- TABELLE

Polymorphismus von CYP2D6 (in % der Population) in verschiedenen ethnischen Gruppen (nach [9,10,11])

Phänotyp

PM IM EM UM

Bevölkerungsgruppe Europa/Nordamerika (europäischer Abstammung) 7–10 5–10 85–90 0,8–10

Afrika/Amerika (afrikanischer Abstammung) 0–19 10–15 55–80

5–40* (*Nordafrika)

Hispanic/

Lateinamerika

2–6 5–10 80–90 7–10

Asien

0,1–2 5–25 70–90 1–2

Mittlerer Osten

2–5 10 80 15

(4)

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit0813

schen Empfehlungen kommen.

Letztere können also im Prinzip als

„vorläufige“ Empfehlungen ange- sehen werden, bis präzisere Bestim- mungen mittels Untersuchungen von Genen oder Biomarkern mög- lich geworden sind.

Falls eine exaktere Bestimmung zur Frage der Populationszuge - hörigkeit von Interesse ist, zum Beispiel im Rahmen bestimmter wissenschaftlicher Fragestellungen, sind molekulargenetische Testver- fahren verfügbar. Diese Verfahren können – unabhängig von der geo- grafischen Herkunft einer Person – durch die Bestimmung von mehreren genetischen Varianten, sogenannten ancestry informative markers, die Abstammung und Kombination von verschiedenen Herkunftspopu- lationen herleiten (12). Solche Test- verfahren werden derzeit weiter verfeinert und in Zukunft vermehrt angeboten werden. Diese Tests sind außerdem geeignet, Individuen aus heterogenen Populationen oder auch Individuen mit Eltern aus ver- schiedenen Populationen im Hin- blick auf ihre genetische Konstituti- on und daraufhin, welche Wech - selwirkungen bei Exposition mit Arzneimittel zu erwarten sind, zu untersuchen. Die Bestimmung einer ethnischen „Zugehörigkeit“ eines betroffenen Individuums nach den herkömmlichen Kriterien wird mit der Zunahme spezifischer Infor - mationen über individuelle „Allel- muster“ eine immer kleinere Rolle spielen.

Demgegenüber lassen Begriffe wie „Rasse“ und „Ethnizität“ nur unpräzise Einteilungen zu, die wie- derum für medizinische Zwecke nur einen sehr begrenzten Nutzen aufweisen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2013; 110(8): A 314−7

Anschrift für die Verfasser Dipl.-Psych. Ulrike Kluge Prof. Dr. med. Andreas Heinz Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Charité Campus Berlin

Charitéplatz 1 10117 Berlin andreas.heinz@charite.de

Als Arztgattin assistiere ich meinem Mann bei der Organisation betriebli- cher Abläufe, personeller Führung, fi- nanzieller Notwendigkeiten, öffentlich- keitswirksamer Kommunikation – die Liste ist so lang wie abwechslungs- reich. Doch irgendwann kommt der Zeitpunkt, zu dem jedes noch so schil- lernde Projekt beendet, ein Vorgang geschlossen, ein Vorhaben abgehakt wird. Jüngst geschehen mit unserem Liquiditätsmanagement. Erinnern Sie sich noch an die Anfänge der Praxis- (Pardon!) Kassengebühr?

Montagmorgen, 7.50 Uhr. Ein flotter Mittdreißiger brauchte noch schnell vor der Arbeit ein Rezept und zückte einen grünen Schein. Sein Kleingeld war am Sonntagabend für eine Singlepizza draufgegangen. Kurz darauf griff eine achtzigjährige Pelz- mantelträgerin in ihr goldenes Porte- monnaie und zielsicher in die Farben.

Wobei ihr Grün weniger den Aktivitä- ten des Wochenendes, als vielmehr der sorgsam geplanten Außenwirkung geschuldet schien. Später am Vormit- tag folgten die Andächtigen. Sie über- reichten den Hunderteuroschein derart feierlich, dass wir annehmen mussten, sie hielten einen solchen nicht zu oft in ihren Händen und hofften insge- heim, wir müssten die Gebühr man- gels Wechselgeld erlassen. Schnell wurde das grüne Papier zur Macht- probe zwischen Patienten und den Damen am Empfang. Die Abwehr- spannung wuchs.

Bis wir das Spiel verstanden hat- ten. Fortan nahmen wir in die Stellen- beschreibung unserer Angestellten die Bitte auf, große Scheine beim privaten Einkauf in handlicheres Wechselgeld zu überführen und zurück in die Pra- xiskasse zu infundieren. Bald schon

waren wir im Viertel so unauffällig wie das Kontrastmittel auf dem Szinti- gramm. Supermarkt, Bäcker, Kiosk – wir gaben unser Problem einfach wei- ter. Erste Rückfragen kamen, wann denn nun endlich der Porsche vor der Tür stünde. Die Außenwirkung war spektakulär. Wo wir erschienen, zahl- ten wir bar. Taschengeld, Kinderge- burtstag, Caritasspende, stets waren wir flüssig. Uns flatterten Immobilien- angebote ins Haus, die uns träumen ließen, deren Größenwahn allerdings gleich mit ans Exposé geheftet schien.

Ich persönlich glaube ja, dass die Budgetkürzungen, verminderte Regel- leistungsvolumen und Umsatzeinbu- ßen deshalb keiner ernst nahm, weil die Prominenz des Faktischen greifba- rer war. Weil das grüne Tor auf dem Zahlungsmittel den Barockstil und sei- ne Lebensfreude verkörpert. Und wer denkt bei solch grüner Üppigkeit schon an Rotstifte?

Doch plötzlich war es 2013. Ein Wahljahr rollte auf uns zu und kassierte die Kassengebühr. Seither gähnt mir die kleine blaue Stahlkassette leer entge- gen, steht funktionsfrei im Weg herum und entwickelt eine handfeste Depres- sion. Kopiergeld für die Schule, noch schnell ein paar Laugenstangen fürs Abendessen – ich fühle mich wie die Inkarnation des Liquiditätsproblems.

Reagierte der Bäcker schon allergisch auf unser Papiergeld, löst meine EC- Karte nun eine Hochdruckkrise aus.

Doch weinen wir der Gebühr nicht länger nach. Denn ihr Ende unterstützt unsere guten Vorsätze im eben ange- brochenen Jahr. Haushalten heißt das neue Zauberwort. Mit unseren Kräften, unserer Zeit und ja – auch mit dem Geld. Mal sehen, wann wir einen Ha- ken hinter dieses Projekt setzen.

GLOSSE

Elke Hussel

PRAXISGEBÜHR

Haushalten heißt das

neue Zauberwort

(5)

LITERATURVERZEICHNIS HEFT 8/2013, ZU:

GENETISCHE VARIANZ

Haben die Ostfriesen andere Gene?

Pharmakotherapie und Ethnizität in Zeiten globaler Migration Daniel J. Müller, Ulrike Kluge, Andreas Heinz

LITERATUR

1. Association of American Physical Anthro- pologists. Statement of biological aspects of race. Am J Physiol Anthropology 1996;

101: 569–70.

2. Heinz A, Müller DJ, Kluge U. „Race“: Wa- rum alte Begriffe keine neuen Perspekti- ven haben. Journal für Neurologie, Neuro- chirurgie und Psychiatrie. 2011;12:

168–174.

3. Tishkoff SA, Dietzsch E, Speed W et al.:

Global patterns of linkage disequilibrium at the CD4 locus and modern human ori- gins. Science 1996; 271: 1380–7.

4. Livingstone F: On the non-existence of hu- man races. In: Harding S (ed). The Racial Economy of Science. Indiana University Press, Bloomington, Indianapolis, 1962;

133–41.

5. Cavalli-Sforza L, Cavalli-Sforza F: Ver- schieden und doch gleich: ein Genetiker entzieht dem Rassismus die Grundlage.

Droemer Knaur, München, 1994.

6. Mrazek DA: Psychiatric pharmacogenomic testing in clinical practice. Dialogues Clin Neurosci. 2010;1: 69–76.

7. Zourková A, Hadasová E: Paroxetine- induced conversion of cytochrome P450 2D6 phenotype and occurrence of adverse effects. Gen Physiol Biophys.

2003; 22: 103–13.

8. Ferrell PB Jr, McLeod HL: Carbamazepine, HLA-B*1502 and risk of Stevens-Johnson syndrome and toxic epidermal necrolysis:

US FDA recommendations. Pharmacoge- nomics. 2008; 9: 1543–6.

9. Zhou SF: Polymorphism of human cyto- chrome P450 2D6 and its clinical signifi- cance: Part I. Clin Pharmacokinet. 2009;

48: 689–723.

10. Sistonen J, Sajantila A, Lao O, Corander J, Barbujani G, Fuselli S: CYP2D6 worldwide genetic variation shows high frequency of altered activity variants and no continental structure. Pharmacogenet Genomics.

2007; 17: 93–101.

11. Neafsey P, Ginsberg G, Hattis D, Sonawane B: Genetic Polymorphism in Cytochrome P450 2D6 (CYP2D6): Population Distribution of CYO2D6 Activity. Journal of Toxicokolgy and Environmental Health, Part B, 2009;

12: 5–6, 334–361.

12. Tian C, Gregersen PK, Seldin MF:

Account ing for ancestry: population substructure and genome-wide association studies. Hum Mol Genet.

2008; 17(R2): R143–50.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Deutschland wird durch zwei Institute vertreten: Max Planck-Insti- tut (MPI) für Demographische For- schung in Rostock (James Vaupel), In- stitut für Klinische Molekularbiologie in

Die oben erläuterten Ergebnisse für die Varianten *2, *17 sowie *41 sind zwar pharmakokinetisch interessant in unserer Studie aber nicht klinisch relevant, da

Die brutalen Änderungen am Asylgesetz der letzten Jahre und die Verwaltungspraxis des BAMF haben das Grundrecht auf Asyl mitlerweile weitgehend unbrauchbar gemacht: Sei es durch

I Bei diskreter hypothetischer Verteilung mit unendlichem Tr¨ ager bzw. nach Klassierung) bestimmt sind, identische Vorgehensweise f¨ ur alle Verteilungen. Schließende Statistik

F¨ur Aussagen ¨uber die Varianz von Y (als mittlere quadrierte Abweichung vom Erwartungswert) auf Basis einer einfachen Stichprobe X 1 ,... Laut Hersteller ist die L¨ange

Offensichtlich: Große Abweichungen der empirischen (in der Stichprobe beobachteten) H¨aufigkeiten von den theoretischen Wahrscheinlichkeiten sprechen eher gegen die

Organisms with synthetic gene drives are GMOs and therefore fall under GMO legislation, both nationally (e.g., Gene Technology Act, Containment Ordinance and Release Ordinance)

It is known that only certain strains of the family of Enterobacteriaceae, notably rough (R) mutants with the type Rl or R4 core, evoke antibodies in high titers against the