• Keine Ergebnisse gefunden

Bei Tinnitus nach Komorbiditäten suchen

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Bei Tinnitus nach Komorbiditäten suchen"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

BERICHT

458

ARS MEDICI 14–16 | 2020

Die Wahrnehmung von Geräuschen in Ohr oder Kopf kann verschiedene periphere cochleäre oder zentrale Ursachen haben. Lärm, Trau- mata, Intoxikationen können die inneren und äusseren Haarzellen in der Cochlea schädigen und zu abnormen neuralen Erregungsmustern führen. Auch eine Dysfunktion der Kieferge- lenke oder der Halswirbelsäule kann tinnitus- verursachende somatosensorische Afferenzen auslösen. Aber auch psychische Komorbiditä- ten können eine wichtige Rolle spielen.

Während ein objektiver Tinnitus durch eine identifizierbare Schallquelle im Körper wie beispielsweise Strömungsgeräu- sche bei einer Aortenstenose definiert ist, kann beim subjek- tiven Tinnitus keine körpereigene Schallquelle gefunden wer- den. Die Ursache dafür ist eine abnormale Aktivität im auditorischen System. Die Prävalenz des subjektiven Tinnitus beträgt in epidemiologischen Studien 10 bis 19 Prozent (1, 2).

Diese nimmt mit steigendem Alter durch den altersbedingten Hörverlust zu. Unter älteren Personen über 65 Jahre ist jede dritte Person davon betroffen. Dennoch fühlen sich 6 bis 20 Prozent aller Betroffenen durch den Tinnitus nicht gestört (3). Um die Belastung des Patienten durch den Tinnitus zu messen, eignet sich gemäss Schapowal der Tinnitusfragebo- gen nach Goebel und Hiller (4). Je höher der dabei erhobene Belastungsgrad ist, desto wahrscheinlicher ist das Vorhanden- sein einer psychischen Komorbidität (5). Am häufigsten finde

man Depression, Angststörungen, posttraumatische Belas- tungsstörungen und Schlafstörungen, so Schapowal. Psycho- metrische Tests wie das Beck-Depressions-Inventar (BDI) zur Erfassung des Schweregrades einer Depression oder der Fragebogen Generalized Anxiety Disorder 7 (GAD-7) bei der Angststörung seien hierzu hilfreich.

Zur Anamnese gehörten neben der Erfragung der subjektiven Beeinträchtigung auch die Abklärung von verstärkenden inneren und äusseren Umständen, eventuell ototoxische Medikamente, Lärmexposition und die Einschränkung des Hörvermögens.

Zum Ausschluss von objektivierbaren Ursachen gehören zur ohrenärztlichen Untersuchung die Beweglichkeit der Kiefer- gelenke, die Inspektion des Kauapparates, der Zähne, der Kopfgelenke und der Halswirbelsäule sowie die Auskultation der Gehörgänge und der Karotis bei pulssynchronem Tinni- tus. Tympanometrie, Impedanzmessung, Reinton- und Sprachaudiometrie, Messung der Tinnitusfrequenz, -laut- stärke und -maskierbarkeit wie auch die Unbehaglichkeits- schwelle runden das Bild ab. Zeigt sich eine einseitige Schwer- hörigkeit, empfiehlt sich ein MRI zum Ausschluss einer Neoplasie. Ein normaler Bildbefund wirke auf die Patienten sehr erleichternd, so Schapowal. Bei mittelgradiger Tinnitus- belastung sei es aber in jedem Fall sinnvoll, eine psychische Komorbidität abzuklären.

Tinnitustherapie mit multimodalem Ansatz

Gemäss europäischer Guideline ist die bei akutem Tinnitus häufig verabreichte, hoch dosierte Kortisontherapie, analog dem Hörsturz, nicht mehr empfohlen. Generell besteht keine Evidenz für einzelne pharmakologische Massnahmen. Die Behandlung von psychiatrischen Komorbiditäten ist jedoch empfohlen (6), Schlafstörungen und psychische Probleme in- folge Tinnitus sollten angegangen werden. Empfehlungsstatus erhält die kognitive Verhaltenstherapie, während die häufig genutzte Tinnitus-Retraining-Therapie, die repetitive trans- kranielle Magnetstimulation, die Vagusnervstimulation, die Klangtherapie sowie die Akupunktur keine Empfehlung er- halten.

Die Guideline gibt auch keine Empfehlungen für tinnitus- spezifische pflanzliche Arzneimittel, doch hält Schapowal

Geräusche im Ohr

Bei Tinnitus nach Komorbiditäten suchen

Bei Tinnituspatienten kann die Behandlung von begleitenden Störungen wie beispielsweise Schlafstörungen, Ängstlichkeit, Depression oder Nervosität eine Linderung bringen. Dazu eignen sich nicht pharmakologische wie auch phytotherapeutische Massnahmen. Einen Überblick dazu gab PD Dr. Andreas Schapowal, niedergelassener HNO-Facharzt, Landquart, an der Jahrestagung für Phytotherapie in Baden.

Dr. Andreas Schapowal

Foto: vh

� Tinnitus kann eine objektivierbare körpereigene Ursache haben oder subjektiv durch eine abnormale Aktivität im auditorischen System empfunden werden.

� Beim subjektiven Tinnitus ist die Erhebung des Belastungs- grades Grundlage für die weitere Therapie.

� Über die Behandlung von psychischen Komorbiditäten kann eine Linderung des Belastungsgrades erreicht werden.

KURZ & BÜNDIG

(2)

BERICHT

460

ARS MEDICI 14–16 | 2020

solche bei Tinnituspatienten für nützlich. Standardisierte Ginkgo-biloba-Extrakte könnten sich seiner Meinung nach bei akutem, subakutem und chronischem Tinnitus positiv auswirken und seien einen 30-tägigen Therapieversuch wert.

Bei subjektivem Therapieerfolg, wie beispielsweise einer Score-Verbesserung im Tinnitusfragebogen, könne die Be- handlung weitergeführt werden.

Bringt das keine erhoffte Linderung, kann ein Therapiever- such während 10 Tagen mit dem durchblutungsfördernden tibetischen Arzneimittel Padmed Circosan®, 3 × 2 Kapseln/Tag, gestartet und im Erfolgsfall fortgesetzt werden.

Als Entspannungshilfe ist neben autogenem Training und progressiver Muskelrelaxation nach Jacobson auch der Ein- satz eines Phytopharmakons möglich. Der Trockenextrakt aus Pestwurz, Baldrian, Passionsblume und Melisse (Ze 185, Relaxane®) hat in Vergleichsstudien mit den Benzodiazepinen Bromazepam und Oxazepam seine sedative und entspan- nende Wirkung und Sicherheit bewiesen (7, 8).

Bei stärkerer Tinnitusbelastung sind Schlafstörungen häufig.

Die Kombination aus Baldrian und Hopfen (Ze 91019, Redormin®) zeigte in kontrollierten Doppelblindstudien ge- gen Diphenhydramin und Plazebo eine schlafverbessernde Wirksamkeit ohne schwere Nebenwirkungen oder Abhängig- keitsproblematik beim Absetzen (9, 10). Baldrian wirkt dabei wie ein endogenes Adenosin und erhöht die Schlafbereit- schaft, Hopfen wirkt wie endogenes Melatonin (11).

Sind Depression und Angststörungen als Begleiterkrankun- gen vorhanden, besteht die pflanzliche Therapieoption aus der Gabe von Johanniskraut. Gemäss einem Cochrane- Review variiert die Wirksamkeit je nach Präparat allerdings erheblich (12). Für den Hypericumextrakt Ze117 (Reba-

lance®) wurden die Wirksamkeit und die Sicherheit in ver- schiedenen Doppelblindstudien im Vergleich mit Fluoxetin, Imipramin und Plazebo jedoch nachgewiesen. Der Extrakt wirkte hochsignifikant besser als Plazebo und gleich gut wie Fluoxetin und Impramin, war aber in der Verträglichkeit überlegen (13–15).

Ist Johanniskraut kontraindiziert oder steht die Ängstlichkeit im Vordergrund, kann Lavendelöl Linderung bringen. Das durch Dampfdestillation gewonnene Lavendelöl Silexan (Laitea®) zeigte in 3 randomisierten Doppelblindstudien bei subsyndromaler Angststörung versus Plazebo, bei generali- sierter Angststörung versus Lorazepam und bei Unruhe und Agitiertheit versus Plazebo etwa eine Halbierung des Gesamtwerts auf der Hamilton-Angstskala (HAMA) nach 10 Wochen. Bei Patienten mit generalisierter Angststörung war die Reduktion auf der HAMA-Skala unter Silexan und

Lorazepam vergleichbar (16). s

Valérie Herzog

Quelle: «Tinnitus». Jahrestagung für Phytotherapie 2019, 21. November 2019 in Baden.

Tabelle:

Mögliche Phytopharmaka bei Tinnituspatienten

(Auswahl)

Pflanze Handelsname Indikation

Ginkgo biloba Ginkgo Sandoz, Ginkgo-Mepha,

Rezirkane®, Symfona®, Tebokan® mentale Leistungseinbussen, Gehtraining bei pAVK, Vertigo, Tinnitus Vielstoffgemisch Padmed Circosan® Durchblutungsstörungen mit Kribbeln,

Ameisenlaufen, Schwere- und Span- nungsgefühl in den Beinen und Armen, Einschlafen von Händen und Füssen, Wadenkrämpfe

Pestwurz, Baldrian, Passions-

blume, Melisse Relaxane® Nervosität, Spannungs- und Unruhe-

zustände, Prüfungsangst

Baldrian, Hopfen Redormin® Ein- und Durchschlafstörungen,

unruhiger Schlaf

Johanniskraut Rebalance® gedrückte Stimmung, Stimmungs-

labilität, innere Unruhe, Ängstlichkeit, Spannungszustände und damit einher- gehende Ein- und Durchschlafstörungen, Symptome einer leichten bis mittel- gradigen depressiven Episode

Lavendel Laitea® Ängstlichkeit und Unruhe

Quelle: PD Dr. A. Schapowal, Jahrestagung für Phytotherapie 2019, Baden; www.swissmedicinfo.ch

(3)

BERICHT

ARS MEDICI 14–16 | 2020

461

Referenzen:

1. Axelsson A et al.: Tinnitus – a study of its prevalence and characteristics.

Br J Audiol 1989; 23: 53–62.

2. Gilles A et al.: Prevalence of leisure noise-induced tinnitus and the attitude toward noise in university students. Otol Neurotol 2012; 33: 899–906.

3. McCormack A et al.: A systematic review of the reporting of tinnitus prevalence and severity. Hear Res 2016; 337: 70–79.

4. Goebel G et al.: Tinnitusfragebogen (TF) – ein Instrument zur Erfassung von Belastung und Schweregrad bei Tinnitus (Manual). Hogrefe, Göttin- gen 1998.

5. Goebel G et al.: Psychiatrische Komorbidität bei Tinnitus. In: Tinnitus.

Springer, Berlin 2005: 137–150.

6. Cima RFF et al.: A multidisciplinary European guideline for tinnitus: dia- gnostics, assessment, and treatment. HNO 2019; 67 (Suppl 1): 10–42.

7. Gerhard U et al.: Die sedative Akutwirkung eines pflanzlichen Entspan- nungsdragées im Vergleich zu Bromazepam. Schweiz Rundschau Med (PRAXIS) 1991; 80 (52): 1481–1486.

8. Schellenberg R et al.: Pflanzlicher Tagestranquilizer Ze185 und Oxazepam im klinischen und neurophysiologischen Vergleich bei Patienten mit psychovegetativen Beschwerden. Zeitschrift Phytotherapie 2004; 25:

289–295.

9. Morin CM et al.: Valerian-hops combination and diphenhydramine for treating insomnia: a randomized placebo-controlled clinical trial. Sleep 2005; 28: 1465–1471.

10. Koetter U et al.: A randomized, double blind, placebo-controlled, pro- spective clinical study to demonstrate clinical efficacy of a fixed valerian hops extract combination (Ze 91019) in patients suffering from non- organic sleep disorder. Phytother Res 2007; DOI:10.1002/ptr.2167 11. Brattström A: Scientific evidence for a fixed extract combination (Ze

91019) from valerian and hops traditionally used as a sleep-induced aid.

Wien Med Wochenschr 2007; 157: 367–370.

12. Linde K et al.: St John’s wort for depression. Cochrane Database Syst Rev 2005; 2: CD000448.

13. Schrader E et al.: Hypericum treatment of mild-moderate depression in a placebo-controlled study. A prospective, doubleblind, randomized, pla- cebo-controlled, multicenter study. Human Psychopharmacol 1998; 13:

163–169.

14. Schrader E: Equivalence of St John’s wort extract (Ze 117) and fluoxetine:

a randomized, controlled study in mild-moderate depression. Internat Clin Psychopharmacol 2000; 15: 61–68.

15. Woelk H: Comparison of St John’s wort and imipramine for treating depression: randomised controlled trial. BMJ 2000; 321: 536–539.

16. Kasper S et al.: Efficacy and safety of silexan, a new, orally administered lavender oil preparation, in subthreshold anxiety disorder – evidence from clinical trials. Wien Med Wochenschr 2010; 160: 547–556.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Gleichgewichtsprobleme mit einer definierten Ursache in den Ohren können auch im Zusam- menhang mit einem Tinnitus auftreten und bestehen, sind bei Kindern häufig schwierig

Ändert sich in dem Gesamtsystem der Hör- wahrnehmung etwas, zum Beispiel bei einem Hörverlust oder einer Überforderung des Hörsystems, so ist es sinnvoll, dass dies im

Die folgende Grafik unterscheidet in Erkrankungen bei denen Tinnitus auftreten kann, Beschwerden und Körperbereiche, deren Behandlung hilfreich sein könnte, sowie Symptome, die

Vervielfältigungen jeglicher Art nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung des Verlags gegen Entgelt möglich.. Angela

Der chronische Tinnitus wird somit nicht mehr im geschädigten Innenohr produ- ziert, sondern hat sich als Ausdruck einer zentralen Störung verselbständigt.. Eine

​Übersicht über Informationen, die bei Tinnitus, Hörsturz, Hyperakusis und Morbus Menière relevant sein können:. ​Tinnitus

Bei den Geräuschen kann es sich um Knacken, Rauschen, Zischen, Pfeifen oder Brummen han­.. deln, die jedoch nicht

Auch die durch VCD vom Patienten erhobene Hus- tenschwere reduzierte sich unter EA 575 ® über die gesamte Therapiedauer im Vergleich zu Placebo signifi kant, zum Therapieende