• Keine Ergebnisse gefunden

Von Versöhnung keine Spur

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Von Versöhnung keine Spur"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Die Erwartungen der koptischen Christen nach der Revolution waren groß:

Die mit 13 Prozent der ägyptischen Bevölkerung größte christliche Minder- heit im Nahen Osten hoffte auf den Anbruch einer neuen Ära ohne will- kürliche Gewalt, Unterdrückung und Diskriminierung ihrer Religions- gemeinschaft. Diese Hoffnung gründete vor allem auf dem bemerkenswerten Schulterschluss von Muslimen und Christen während der Proteste gegen Hosni Mubarak. Ein weiterer Grund waren immer neue Enthüllungen, die belegten, auf welche Art das Regime systematisch einen Keil zwischen die Religionsgemeinschaften getrieben hatte, um das Land mit eiserner Hand kon- trollieren zu können.

Doch die hoffnungsvolle Stimmung verflog rasch. 13 Tote, 140 Verletzte und tausende aufgebrachte Demonstranten sind die Bilanz der jüngsten Zu- sammenstöße zwischen Muslimen und Christen in Kairo. Dass die kulturellen Ursachen des Konflikts in der ägyptischen Gesellschaft mit dem Sturz des Diktators keineswegs beseitigt wurden, zeigt der Auslöser für die Ausschrei- tungen. Die Krise begann am 5. März mit einem jungen Christen und einer Muslimin in der 80 Kilometer südlich von Kairo gelegenen Kleinstadt Sol. Die Familien des Paares billigten die Beziehung, nicht aber die übrigen Stadtbe- wohner. Als der Vater des Mädchens getötet wurde, weil er sich weigerte, den Forderungen radikaler Muslime nachzukommen, rächte ihn sein Sohn und tötete zwei von ihnen. Daraufhin griff ein aufgebrachter Mob die in Sol ansäs- sigen Christen an, steckte die örtliche Kirche St. Mina und St. Georg in Brand und zerstörte die darin befindlichen Heiligtümer. Zudem bestanden radikale Muslime darauf, die Kirche solle nicht am gleichen Ort wieder aufgebaut wer- den. Bald kursierten Gerüchte, die Vertreibung der rund 7000 in Sol lebenden Christen stehe unmittelbar bevor.

Von Versöhnung keine Spur

Die Euphorie ist verflogen: In Ägypten droht eine Welle religiös motivierter Gewalt

Sally Khalifa Isaac | Während der Revolution erzwangen sie gemeinsam den Rücktritt ihres despotischen Präsidenten, doch der Schulterschluss zwischen Muslimen und Christen währte nur kurz. Bei den jüngsten Zusammenstößen in Kairo gab es mehr als ein Dutzend Tote, die Gewalt zwischen den Religi- onsgemeinschaften droht zu eskalieren. Was genau ist geschehen?

1 IP März 2011

www.internationalepolitik.de

(2)

In der Nähe des Tahrir-Platzes in Kairo demonstrierten koptische Christen gegen die Geschehnisse in Sol. Sie forderten den Wiederaufbau der Kirche an ihrem ursprünglichen Standort – aus ihrer Sicht eine logische Forderung: Sollte die Kirche an anderer Stelle wieder aufgebaut werden, könnte dies radikale Muslime zu weiteren Übergriffen anstacheln und schlimmstenfalls zu einem Präzedenzfall für die Verdrängung der christlichen Minderheit in entlegene Gegenden werden. Die Proteste gingen bis zum 13. März weiter, bis der ägypti- sche Militärrat, der das Land seit Mubaraks erzwungenem Rücktritt am 11. Fe- bruar regiert, ankündigte, er werde den meisten Forderungen der christlichen Demonstranten nachkommen, einschließlich des Wiederaufbaus der abge- brannten Kirche in Sol.

Ein weiterer Grund zur Sorge für die koptischen Christen war, dass das am 15. Januar vom Militärrat eingesetzte Verfassungskomitee eine vorgeschlagene Verfassungsänderung ablehnte, die den zivil-säkularen Charakter des Staates hervorheben sollte. Stattdessen verteidigte das Komitee den zweiten Artikel der ägyptischen Verfassung, der den Islam zur Staatsreligion und die Scharia zur wichtigsten Quelle der Gesetzgebung erklärt. Nicht nur die Christen, auch viele liberale Muslime sehen in diesem Artikel ein massives Hindernis für die recht- liche Gleichstellung der religiösen Minderheiten.

In den vergangenen Wochen sorgte zudem die ägyptische Armee für Empö- rung unter den Christen. Sie begann mit dem Abriss von Zaunanlagen, welche die Mönche während der Chaostage in den ost- und west-

ägyptischen Wüstenregionen um ihre Klöster gebaut hatten, um sich vor den vielen aus den umliegenden Gefängnissen entlassenen Häftlingen zu schützen. Zu diesen Klöstern ge- hörten zum Beispiel das im 5. Jahrhundert erbaute Anba- Bishoy-Kloster im Wadi El Natrun und das St. Makarios-

Kloster im Wadi El Rayan bei Fayum. Die Christen werfen dem Militär vor, gegen die zum Schutz der Klöster gebauten Zaunanlagen vorzugehen, nicht aber gegen die Zäune, die aus dem gleichen Grund von den muslimischen Ein- wohnern der überfüllten ägyptischen Städte aufgestellt wurden.

Ein drittes Ereignis brachte die Christen dann endgültig auf die Barrikaden:

Der Egyptian Emergency State Security Court in Qena sprach zwei der drei Angeklagten des Massakers vom Weihnachtsabend im Januar 2010 in Nag Hammadi von sämtlichen Vorwürfen frei. Damals erschossen fanatische Isla- misten sechs Kopten im Alter von 16 bis 23 Jahren aus einem fahrenden Auto heraus.

Der Zorn der Unterdrückten

Die Ausschreitungen in Kairo zeigen zweierlei: erstens das Ausmaß der Ent- täuschung der koptischen Christen nach der Revolution. Und zweitens, dass sich der Umgang der ägyptischen Christen mit ihrer eigenen gesellschaftlichen Stellung grundlegend geändert hat. Sol markiert in dieser Hinsicht einen Wen- depunkt: Bisher blieb die christliche Minderheit stets friedlich und ersuchte für gewöhnlich ihre geistlichen Oberhäupter um Schutz vor Willkür und Un-

Die ägyptische Armee begann mit dem Abriss von Zaunanlagen, die Christen zu ihrem Schutz gebaut hatten

IP März 2011 2

www.internationalepolitik.de

(3)

3 IP März 2011 terdrückung. Da aber die koptische Kirche in Ägypten keinen großen Einfluss hat, gelang es ihr jahrzehntelang nicht, erfolgreich für die Rechte ihrer Gläu- bigen einzutreten. Nach Sol lehnten die Kopten jegliche Versuche ihrer Kirche- noberen ab, sie zu beschwichtigen. Vielmehr kündigten sie an, sich den An- weisungen von Papst Schenouda III zu widersetzen, sollte er von ihnen verlan- gen, ihre Proteste einzustellen. Erstmals sprachen die Kopten offen darüber, dass Gewalt notwendig sei, um sich gegen die gewaltsamen Übergriffe der Muslime zu wehren.

Diese Entwicklung stellt die christlich-muslimischen Beziehungen in Ägypten auf eine schwere Probe. Gibt es dennoch Chancen für eine echte Ver- söhnung oder stehen die kulturellen Ursachen für den Religionskonflikt einer Lösung weiterhin entgegen? Selbst wenn man sich der Probleme jetzt annäh- me, würde es Generationen dauern, die bestehenden kulturellen Gräben zu überwinden. Eine Verfassung, die

allen Religionsgemeinschaften in Ägypten gleiche Rechte zusichert, wäre daher ein wichtiger Schritt.

Doch ob sie an der im Moment äu- ßerst angespannten Lage etwas zu ändern vermag, ist fraglich.

Dr. SALLY KHALIFA ISAAC ist Assistant Professor für Poli- tische Wissenschaft an der Cairo University.

www.internationalepolitik.de

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die Schweden bieten dagegen mit 7 349 Einwohnern pro Kinoleinwand die größte, die Norweger mit 9 930 Ein- wohnern pro Kinoleinwand auch noch eine große, die Franzosen mit 12 731

März 2019, findet um 18.30 Uhr im Sit- zungszimmer des Rathauses eine öffentliche Sitzung des Gemeinde- wahlausschusses statt!. Jedermann hat Zutritt

Nach der Satzung über die Verpflichtung der Straßenanlieger zum Reinigen, Schneeräumen und Streuen der Gehwege sind die Gehwege mindestens auf 3/4 ihrer Breite von Schnee oder

Juni 2018 ab 6.00 Uhr (Altholz bitte rechtzeitig bereitstellen, nachträglich abgestelltes Altholz wird nicht mehr mitgenommen) Einzelteile dürfen ein Gewicht von 50 kg und eine

April 2017 in 39 Städten und Gemeinden Achte „Erzählzeit ohne Grenzen“. ohne das gewohnte

lädt a am Freitag, 02. Dezember 2016 um 17 Uhr auf den Schulhof zu einem gemütlichen Nikolausa- bend bei Kerzenschein, Grillwür- sten, Glühwein, Waffeln und Kin- derpunsch ein.

Nähere Informationen und die An- meldeformulare, können über die Schulhomepage und in Kürze auch über die Homepage der Gemeinde Volkertshausen heruntergeladen werden..

Die berichteten 50,– € von einem ungenannten Spender waren nicht für die Freiwillige Feuerwehr son- dern für die Jugendfeuerwehr be- stimmt..