Lesen können – Lesen wollen
Über die Entwicklung von Lesekompetenz, Lesemotivation und Leseverhalten
Inaugural-Dissertation
in der Fakultät Humanwissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg
vorgelegt von
Franziska Maria Locher, M.Sc.
aus Tettnang
Bamberg, den 10.10.2019
Tag der mündlichen Prüfung: 26.06.2020
Dekan: Prof. Dr. Jörg Wolstein
Erstgutachter: Prof. Dr. Maximilian Pfost Zweitgutachterin: Prof. Dr. Cordula Artelt
DOI: https://doi.org/10.20378/irb-48183
Dieses Werk ist als freie Onlineversion über das Forschungsinforma-
tionssystem (FIS; https://fis.uni-bamberg.de) der Universität Bamberg
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D ANKSAGUNG
Ich möchte gerne die Gelegenheit nutzen, mich kurz bei all jenen zu bedanken, die mich persönlich bis hier her begleitet und/oder fachlich in meiner Promo- tionszeit unterstützt haben:
An erster Stelle möchte ich mich natürlich bei Prof. Dr. Maximilian Pfost für die fachliche Betreuung bedanken. Seine stets kritischen, doch immer konstruk- tiven Rückmeldungen zu meiner Arbeit haben grundlegend zu dem Voran- schreiten und Gelingen der vorliegenden Dissertationsschrift beigetragen. Zu- dem möchte ich mich bei Prof. Dr. Cordula Artelt für ihre fachliche Expertise und die Übernahme des Zweitgutachtens bedanken. Bedanken möchte ich mich auch bei meinen Kolleginnen und Kollegen für ihre Unterstützung sowie die gute Zusammenarbeit. Hier möchte ich ganz besonders meiner Kollegin Sarah Becker danken, die mich mit ihrer positiven Art, ihrer Fachkompetenz und ihrer grenzenlosen Hilfsbereitschaft immer unterstützt hat. Danke, dass ihr alle im- mer ein offenes Ohr für mich und meine Fragen hattet…
Ich möchte auch meiner Familie (einschließlich aller Anhänge) und hier ganz besonders meinen Eltern danken. Sie haben mich stets bei meinen Ideen und Vorhaben unterstützt und mein Tun mit ehrlichem Interesse verfolgt. Danke da- für und eigentlich noch für so vieles mehr…
Zuletzt, möchte ich mich bei meinem Freund bedanken. Danke für deinen un-
eingeschränkten Rückhalt, durch den mir einfach alles im Leben so viel leichter
fällt.
Z USAMMENFASSUNG
Für die Bewältigung kultureller und gesellschaftlicher Herausforderungen ist der konstruktive Umgang mit Text eine grundlegende Voraussetzung (OECD, 2003). Die vorliegende Dissertationsschrift soll daher einen Beitrag zur Klärung der Frage leisten, wie sich Reading Literacy entwickelt und was zu negativen bzw. positiven Entwicklungsverläufen beitragen kann. Reading Literacy wird dabei als Überkonstrukt definiert, welches das Verstehen und Reflektieren von Texten, jedoch auch das Leseengagement (d.h. motivationale und behaviorale Aspekte) miteinschließt (Organisation for Economic Cooperation and Development; OECD, 2010a). Die zentralen eigenen Befunde aus insgesamt vier empirischen Studien werden drei Forschungsdesideraten bzw. themati- schen Schwerpunkten zugeordnet: (a) Reading Literacy als ein sich lebenslang entwickelndes Konstrukt (b) Reading Literacy und die Notwendigkeit einer dif- ferenzierteren Betrachtung des Leseverhaltens und (c) Reading Literacy und die Rolle des Lesekontexts.
Im ersten Beitrag wurde auf Basis der Large-Scale Studie NEPS (Nationales
Bildungspanel) der Zusammenhang zwischen Lesezeit und Leseverstehen über
den Lebenslauf hinweg betrachtet. Die Zusammenhänge wurden anhand von
Regressionsanalysen in unterschiedlichen Alterskohorten untersucht und vergli-
chen. Auch wenn hier die Zusammenhänge nicht wie erwartet ausfielen, so
konnte doch gezeigt werden, dass sich der Zusammenhang zwischen quantitati-
ven Aspekten des Lesens, wie der Lesezeit und dem Leseverstehen mit dem
Alter, deutlich verändert. Beitrag 2 beschäftigt sich ebenfalls auf Basis von
NEPS sowie zusätzlich der PISA Studie (Programme for International Student
Assessment) mit der Frage nach der Operationalisierung und Messung des Le-
severhaltens. Dabei wurde ein globales Urteil zum Lesevolumen ausdifferen-
zierten, textspezifischen Urteilen zum Lesevolumen gegenübergestellt und ver-
glichen. Die Untersuchung weist darauf hin, dass gerade im Kontext von Large-
Scale Assessements auch globale Instrumente geeignet sind. Ferner werden im
Beitrag konkrete Handlungsempfehlungen abgeleitet, wie ein Instrument zur
Erfassung von differenzierten, textspezifischen Urteilen am besten gestaltet
studie BiKS (Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Selektionsentschei- dungen im Vorschul- und Schulalter) Zusammenhänge zwischen der intrinsi- schen Lesemotivation und qualitativen Aspekten des Lesens untersucht. Dazu wurde die intrinsische Lesemotivation mit verschiedenen Buchcharakteristika in Verbindung gebracht und für die unterschiedlichen Kontexte “Schule“ und
“Freizeit“ betrachtet. Die Ergebnisse zeigen, dass Buchcharakteristika wie das
Buchgenre oder die Textschwierigkeit bedeutsame Determinanten der intrinsi-
schen situativen Lesemotivation sind und diese wiederum die habituelle intrin-
sische Motivation vorhersagt. Ferner konnte gezeigt werden, dass sich das Le-
seengagement in Schule und Freizeit deutlich unterscheidet. Im vierten Beitrag
wurde schließlich (ebenfalls auf Datenbasis von BiKS) der Zusammenhang zwi-
schen lesebezogenem Selbstkonzept und der Lesekompetenzentwicklung ge-
nauer betrachtet. Mit der intrinsischen Motivation und dem Leseverhalten wur-
den in diesem Zusammenspiel Mechanismen untersucht, von denen allgemein
angenommen wird, dass diese als vermittelnde Faktoren wirken. Die Ergebnisse
zeigen, dass das lesebezogene Selbstkonzept ein wichtiger Faktor für die Ent-
wicklung des Leseverstehens ist. Auch wenn ein indirekter Pfad zwischen den
beiden Konstrukten nur über die intrinsische Lesemotivation bestätigt werden
konnte, so konnte zumindest gezeigt werden, dass sich das lesebezogene Selbst-
konzept, mit der Anzahl gelesener Bücher und dem Buchumfang, positiv auf
Aspekte des Leseverhaltens auswirkt. Die Relevanz der vier Beiträge zur Be-
antwortung der drei genannten Forschungsdesiderate wird diskutiert, bevor ab-
schließend auf Basis der Studienergebnisse forschungsbezogene Implikationen
für zukünftige Untersuchungen sowie praktische Implikationen für die Entwick-
lung und Förderung von Reading Literacy diskutiert werden.
Lesen können – Lesen wollen
Über die Entwicklung von Lesekompetenz, Lesemotivation und Leseverhalten
I NHALTSVERZEICHNIS
1 Einleitung... 9
2 Theoretischer Hintergrund ... 11
2.1 Lesekompetenz ... 11
2.2 Leseengagement ... 13
2.2.1 Lesemotivation ... 13
2.2.2 Leseverhalten ... 14
2.3 Das Zusammenwirken von Lesekompetenz und Leseengagement ... 15
2.4 Zusätzliche Einflussfaktoren ... 18
2.4.1 Die Rolle des lesebezogenen Selbstkonzepts ... 18
2.4.2 Die Rolle des Lesekontexts ... 19
2.5 Zusammenfassung und Ableitung eines theoretischen Modells ... 19
3 Ableitung der Forschungsdesiderate ... 21
4 Datengrundlage und Methode der einzelnen Studien ... 24
4.1 Studie 1: „The Relation Between Time Spent Reading and Reading Comprehension Throughout the Life Course.” ... 24
4.2 Studie 2: „Erfassung des Lesevolumens in Large-Scale Studien: Ein Vergleich von Globalurteil und textspezifischem Urteil“ ... 25
4.3 Studie 3: „The Relation between Students’ Intrinsic Reading Motivation and Book Reading in Recreational and School Contexts“ ... 26
4.4 Studie 4: „Mechanisms Mediating the Relation between Reading Self- Concept and Reading Comprehension“ ... 27
5 Darstellung zentraler Befunde ... 30
5.1 Reading Literacy als ein sich lebenslang entwickelndes Konstrukt (A) ... 30
5.2 Reading Literacy und die Notwendigkeit einer differenzierteren Betrachtung des Leseverhaltens (B) ... 30
5.2.1 Studie 2 ... 31
5.2.3 Studie 4 ... 32
5.3 Reading Literacy und die Rolle des Lesekontexts (C) ... 33
5.3.1 Studie 1 ... 33
5.3.2 Studie 3 ... 34
6 Diskussion der Forschungsbefunde ... 35
6.1 Limitationen ... 37
6.2 Fazit und Ausblick ... 40
6.2.1 Implikationen für die Forschung ... 40
6.2.2 Implikationen für die Praxis... 41
7 Literaturangaben ... 43
8 Verzeichnis der Originalbeiträge ... 53
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1 E INLEITUNG
Der konstruktive Umgang mit Text gehört zu den zentralen Qualifikationen, die für eine erfolgreiche Lebensführung bzw. die Bewältigung kultureller und ge- sellschaftlicher Herausforderungen wichtig sind (Organisation for Economic Cooperation and Development; OECD, 2003). Trotz dieser Relevanz und der Tatsache, dass in den letzten Jahren, spätestens aber durch den „PISA-Schock“ 1 , viel über die Lesefähigkeiten von Jugendlichen diskutiert- und in der Praxis so- wie im Wissenschaftssektor angestoßen wurde (Roeder, 2003), zeigt sich nach wie vor, dass ein großer Teil der Kinder und Jugendlichen in Deutschland ein kaum über Grundkenntnisse hinausgehendes Leseniveau erreicht (z.B. IGLU 2016 und PISA 2015: Hußmann et al., 2017; Weis et al., 2016). Eine zentrale Herausforderung für alle Akteure im Bildungssystem und damit auch für die empirische Bildungsforschung ist und bleibt daher, herauszufinden, wie sich Fähigkeiten im Bereich “Lesen“ entwickeln und wie diese Entwicklung best- möglich unterstützt werden kann. Mehr und mehr wird dabei eingefordert (z.B.
Hurrelmann, 2006; Paratore, Cassano, & Schickedanz, 2011), dass unter kon- struktivem Umgang mit Text mehr verstanden werden sollte als die rein kogni- tiven Prozesse – mit anderen Worten: Es sollte nicht nur darum gehen, dass Personen grundsätzlich lesen können, sondern auch darum, dass sie es wollen und somit regelmäßig tun (Artelt, Stanat, Schneider, Schiefele, & Lehmann, 2004; OECD, 2010a). In diesem Zusammenhang ist auf den angelsächsischen Begriff der Reading Literacy zu verweisen. Dieser wird, in der aus dem Jahr 2010 stammenden Rahmenkonzeption der wohl prominentesten Large-Scale Studie PISA (Programme for International Student Assessment), definiert als
„understanding, using, reflecting on and engaging with written texts in order to achieve one’s goals, to develop one’s knowledge and potential, and to partici- pate in society“ (OECD, 2010a, S. 14 ). Reading Literacy beschreibt damit ein
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