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Venedig, Wien und die Osmanen

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Venedig, Wien und die Osmanen

Umbruch in Südosteuropa 1645-1700

Bearbeitet von Ekkehard Eickhoff

überarbeitet 2009. Buch. 464 S. Hardcover ISBN 978 3 608 94511 9

Format (B x L): 16,3 x 3 cm Gewicht: 766 g

Weitere Fachgebiete > Geschichte > Europäische Geschichte > Europäische Regional- & Stadtgeschichte

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Leseprobe

Die Belagerung

Schon am nächsten Tag erschien das türkische Heer vor Wien. Nun erst zog sich Karl von

Lothringen mit seinem Reiterheer und der Feldartillerie, die bis zum Entscheidungstag aufgespart werden mußte, auf das andere Ufer zurück, die Schiffsbrücke wurde von der Nachhut unter Schultz, der die andrängenden Verfolger in dreistündigem Gefecht zurückschlug, abgebrochen - hinter ihnen gingen die Leopoldstadt und das Schloß Favorite im Augarten in Flammen auf. Ein Kavalleriedetachement schwamm über den südlichen Donauarm und verbrannte die Fischerboote vor dem türkischen Lager. Am 15. Juli eröffneten die Geschütze des französischen Renegaten Ahmed Bey, eines ehemaligen Kapuziners, die Kanonade. Er selbst hatte mit einer Gesandtschaft Tökölys zuvor in Wien die Festungswerke besichtigt. Am gleichen Tag überbrachte ein reitender Sipahi, der muslimischen Tradition entsprechend, die Aufforderung, den Islam anzunehmen und sich auf Tribut zu ergeben. Am 16. sah sich die Stadt vollständig umschlossen.

Zugleich war das offene Land dem Einbruch tatarischer Reiterscharen fast wehrlos preisgegeben.

Schon in den ersten Julitagen, als die Tataren bei Raab die Donau überschritten hatten, waren sie dem Heer Kara Mustafas weit vorausgeeilt und hatten das Land bis Bruck an der Leitha und um den Neusiedler See überrannt. Seit dem 5. Juli erschienen Flüchtlingskolonnen in allen festen Plätzen um Wien und im hinteren Niederösterreich. Kurz vor der Einschließung Wiens erreichte die türkische Vorhut unter Kara Mehmed Pascha von Diyarbakir und Murad Giray, dem Khan der Krim, Wiener Neustadt und forderte es mit dem gleichen Sendschreiben zur Übergabe auf, das man vorher Ödenburg und nachher Wien überbrachte. Wiener Neustadt, dessen tatkräftiger

Bischof Graf Kollonitsch zur Verteidigung in die Hauptstadt geeilt war, wurde von Graf Castelli und seinen Dragonern sowie von der Bürgerwehr mehr als zwei Monate lang erfolgreich gehalten.

Aber offene Dörfer und Flecken, Klöster und Märkte fielen den schnellen Tatarenschwärmen und ihrer Brandfackel zum Opfer. Oft waren die Spitzen der Krimtataren den behördlichen Warnungen und den Flüchtlingshaufen voraus, so daß sie auf ganz unvorbereitete Ortschaften stießen.

Überall wurde bewaffneter Widerstand niedergemacht, Männer, Frauen und Kinder an den

Händen zusammengebunden, manchen die Füße in Ketten gelegt, wurden davongetrieben, um im Heerlager verkauft zu werden. Alte und Kranke und zu kleine Kinder wurden niedergehauen oder ertränkt. An der Donau entlang stießen die Reiterhorden über das Tullner Feld bis nach

Oberösterreich vor, weiter südlich überrannten sie die Hänge und Täler des Wienerwaldes, wo Orte und Klöster in Flammen aufgingen: so Hainfeld und Perchtoldsdorf, Altmarkt und Heiligkreuz, Rainfeld und St. Veit. In St. Pölten setzten sich 2000 Tataren fest und plünderten die Umgebung.

Auf dem offenen Land und in den stillen Tälern des Wienerwalds, wo dieser apokalyptische Sturm die obrigkeitliche Schutz- und Zwangsordnung weggefegt hatte, zeigten sich jetzt in den

Prachtfassaden der barocken Gesellschaft die Risse. Waffen und Wehrverhaue, mit denen bäuerliche Selbsthilfe sich gegen die Eindringlinge zu schützen suchte, richteten sich plötzlich auch gegen die Herren und Plagegeister von gestern. Besonderer Haß trat dabei gegen die Ordensgeistlichen zutage, während man die ' Leutpriester ' eher un geschoren ließ. Man erinnerte sich, mit wieviel Schweiß und Entbehrung fronende Bauern an den Wunderwerken des

österreichischen Klosterbarock gearbeitet hatten. Von den verhaßten Pfaffen forderte man Weg-

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und Lösegelder und bedrohte sie mit dem Tod. Ebenso schwand vielerorts über Nacht die

Autorität der Amtmänner und Vögte. Nicht nur der überlebende heimliche Protestantismus ganzer Landstriche Niederösterreichs, sondern die Kirchen- und Herrenfeindlichkeit des Landvolks

schlechthin wurden sichtbar, und man konnte die Forderung hören, nun müßten die Bauern endlich die Herren sein. Dazu wurde die Erbitterung der insgeheim lutherischen Volksteile, die sich von der überrumpelten Hofburg im Stich gelassen sah, noch dadurch geschürt, daß man weithin der Meinung war, die gegenreformatorische Unterdrückung in Ungarn hätte die Türken ins Land gerufen. - Wo sich die alte Ordnung allerdings unter entschlossener Führung auf nur

einigermaßen feste Plätze zurückziehen konnte, erwehrte sie sich der Tataren erfolgreich und bot dem dorthin geflüchteten Volk Schutz. Das galt nicht nur von den Städten, sondern auch von den mehrfach angegriffenen Stiften Lilienfeld, Melk und Klosterneuburg.

Inzwischen begann in Wien der Leidensweg einer langen und harten Belagerung. Sie wurde mit Tapferkeit und Geduld ertragen. Die Zahlen der kampffähigen Männer drinnen und draußen verhielten sich etwa 1: 15; die Lage wurde durch die schweren Verluste der Verteidiger, die sie härter trafen als die Ausfälle in Kara Mustafas Massenheer, später noch ungünstiger für die Stadt.

Die Befestigungen waren zwar modernisiert, aber sie zählten nicht zu den stärksten der Zeit und hätten ohne die fieberhaften Arbeiten der letzten Woche einer großen Belagerung nicht

standhalten können. Dafür hatte Wien unter Starhemberg als Platzkommandanten und dem tüchtigen alten Grafen Kaplirs als Haupt der zivilen Verteidigung eine unbeugsame Führung. Graf Kollonitsch, der Bischof von Wiener Neustadt, bewährte sich als unermüdlicher Organisator. Noch kurz vor Einschließung Wiens hatte er große Vorräte an Lebensmitteln herangeführt. Dann betrieb er die Ausrüstung der armierten Donauschiffe, die man dann wegen ganz unzureichender

Vorbereitung im Arsenal wieder aufgeben mußte - die Schiffe waren nicht fahrtüchtig. Vor allem aber richtete er in kürzester Zeit Lazarette ein, wozu er die vom ungarischen Episkopat in der Stadt zurückgelassenen Gelder verwandte, und stellte einen Dienst von Kundschaftern auf, die auf halsbrecherischen Wegen zu Land und Wasser Verbindung mit Karl von Lothringen hielten. - Kollonitsch, damals als Malteserritter, und der Kommandant der Mineure, Georg Rumpler, hatten einst auf den Wällen von Kandia dem gleichen Feind gegenübergestanden.

Kara Mustafa und sein Feldzeugmeister Ahmed Bey richteten den Hauptstoß der Belagerer auf die Basteien in unmittelbarer Nähe der Burg. Dort entfaltete sich, von zahlreichen Hilfstruppen in großer Geschwindigkeit ausgeworfen, das Gitterwerk von Laufgräben, Schanzen und Batterien, wie von Kandia her bekannt. Hinter ihnen hatte der Großwesir im Trautson'schen Garten seine palastgleichen Zelte aufführen lassen. Hier war der Diwan mit der Heiligen Fahne, von

Prunkgemächern, Harem und Schatzzelten um - geben, davor, unter breitem Sonnendach weithin sichtbar erhöht, der Hinrichtungsplatz.

Im Mittelabschnitt befanden sich der Aga der Janitscharen und der Beylerbey von Rumelien. Den vorderen Flügel des weiten Halbmonds der Belagerer an der Donau bei Nußdorf bildeten die Vasallenheere der Moldau und Walachei mit einer Schiffbrücke über den Donaukanal. Der Bau einer großen Schiffbrücke über die Donau selbst, um Karl von Lothringen auf dem anderen Ufer nachzusetzen, wurde durch die gegenüber postierte Artillerie des Grafen Heißler verhindert. - Aus rund 300 Schlünden feuerte die türkische Artillerie gegen die Wälle. Schon am 23. Juli wurde vor

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der Burgbastei zum erstenmal gestürmt, weitere Sturmangriffe folgten schnell hintereinander am 2. und 4. Tag darauf - alle ohne Erfolg. Dabei stand die Stadt auf kaum glaubliche Weise fast während der meisten Zeit der Belagerung mit Karl von Lothringen in Verbindung; sogar mit dem kaiserlichen Residenten Kunitz aus Istanbul, seit dem 8. August vor Wien im Lager des

Großwesirs. Wagemutige Taucher, die nachts durch die Donau schwammen, Herrn von Kunitz' tapferer Diener Jakob Heidler, der sich vom Gewahrsam seines Herrn zur Stadt durchstahl, Wagemut und Verkleidungskünste von Leuten wie dem Polen armenischer Herkunft Kolschitzky ( vielgerühmt, aber weder der einzige dieser Boten, noch der erste und privilegierte Wiener

Kaffeesieder ) ermöglichten immer wieder, daß zwischen diesen drei Lagern Botschaften hin und her gingen. Die Kuriere riskierten ihr Leben. Mehrere dieser Freiwilligen wurden im türkischen Lager gefaßt, verhört und hingerichtet. Begünstigt wurde die Verbindung zum Heer auch durch die geheimen Sympathien, die der Fürst der Walachei erban Cantacuzeno für die christliche Sache hegte. Doch vom 25. Juli bis 5. August und dann wieder bis zum 17. blieb Wien ohne jede Verbindung mit der Außenwelt.

Die Verluste der Kaiserlichen, die auf den langgezogenen Sternbasteien und Wällen Tag und Nacht Dienst tun mußten, wogen schwer. Starhemberg selbst wurde zweimal verwundet. Das erste Unglück, das die Verteidiger traf, war der Ausbruch einer Ruhrepidemie. Die von Kollonitsch eingerichteten Hospitäler waren schnell überfüllt, so daß für Verwundete kaum noch Platz blieb. - Am 3. August brachen die Türken, nachdem die äußersten Palisaden vor der Burgbastei

niedergebrochen waren, in die Contrescarpe, den äußeren Wall vor dem Basteigraben, ein und stießen hier Tag für Tag mit neuen Stürmen nach. Die Nahkämpfe in der Bresche forderten

schwere Opfer. Hier schien die Belagerung sich zu entscheiden. Der Entsatz der Verbündeten war aber lange noch nicht heran.

Im Reich dröhnten die Türkenglocken wie 1664 und im Jahrhundert vorher. Der ernsteste Fall zur Einlösung des Bündnisworts war gegeben. Georg Friedrich von Waldeck, Fürst seit dem Tag der Laxenburger Allianz, erlebte und leitete selbst die Bewährung seiner ' Assoziierungs ' politik im Reich. Er ordnete die Reichstruppen des fränkischen und oberrheinischen Kreises und führte sie, 9000 Mann stark, wie vor St. Gotthard, nach Osten. Max Emanuel sammelte 10 000 Bayern und Salzburger. Der Reichstag genehmigte aufgrund der 1681 beschlossenen Reichskriegsverfassung das Triplum - das Dreifache - der normalen Verteidigungsleistungen der Stände. Von Passau aus, wo Kaiser und Hof verblieben waren, gingen zudem fieberhafte Verhandlungen weiter. So

versuchte man auch mit Frankreich ins reine zu kommen, um sich den Rücken freizuhalten.

Ludwig XIV. schlug dem Kaiser einen Waffenstillstand von 30 Jahren vor, wenn er die Reunionen und den Erwerb Straßburgs anerkenne, wobei er von der Mäßigung seiner Forderungen viel Wesens machte. Der Kaiser weigerte sich, darauf einzugehen. Die Antwort darauf war zwar kein Angriff am Rhein. Damit hätte sich der Allerchristlichste König dann doch in den Augen der Zeitgenossen zu schwerwiegend kompromittiert. Wohl aber folgte, als die Lage in Wien am

kritischsten schien und die meisten Bündnisheere noch weit waren, der französische Einmarsch in die Spanischen Niederlande. [.]

Die Befreiung Wiens

Vor dem ersten Morgendämmer des 12. September, einem Sonntag, las Marco d'Aviano im

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Kamaldulenserkloster auf dem Kahlenberg die Messe und segnete noch einmal das Heer. Der Schlachtplan war festgelegt, die Truppen geordnet, die Feldherren begaben sich zu ihren Heeresteilen. Ein strahlend klarer Spätsommertag stieg herauf.

Hier auf der Höhe schon standen die Truppen in der Ordnung, die sie unten im Schlachtfeld einnehmen sollten. Am linken Flügel, am dichtesten an der Stadt, führte Herzog Karl von Lothringen das Kommando, unter ihm eine lange Reihe bekannter und verdienter Generäle:

Markgraf Hermann und der junge Ludwig Wilhelm von Baden, Graf Leslie und Graf Caprara, Hieronymus Lubomirski mit seinen polnischen Panzerreitern, und Männer, deren Namen erst im kommenden großen Türkenkrieg bis 1699 ihren Klang erhalten werden: Mercy und Taafe und vor allem, unter 33 anderen Prinzen, der unscheinbare neunzehnjährige Prinz Eugen von Savoyen.

Wie sein gegenwärtiger Kommandeur, Karl von Lothringen, war er aus dem Paris des

Sonnenkönigs geflohen. Die Nachricht vom Tod seines Bruders nach dem Gefecht von Petronell hatte den letzten Anstoß gegeben. In Passau hat ihn der spanische Botschafter Kaiser Leopold vorgestellt, doch das Dragonerregiment seines Bruders ist schon vergeben. Sie nennen ihn den 'kleinen Kapuziner ', dem nichts gehört als sein Pferd und sein Degen, und er dient als ' Prince volontaire ', um hier, am größten Tag der deutschen und österreichischen Geschichte dieses Jahrhunderts, in sein erstes Gefecht zu gehen - so wie 19 Jahre zuvor Karl von Lothringen bei St.

Gotthard.

Es folgen die mehr oder minder selbständigen Kommandos der beiden Kurfürsten von Sachsen und Bayern, dort unter dem greisen Feldmarschall von der Goltz, hier unter Max Emanuel, dabei alle fünf Wittelsbacher Brüder der Kaiserin aus dem Hause Pfalz-Neuburg. Neben den Bayern stehen im Zentrum die Truppen des fränkischen und schwäbischen Kreises unter dem Fürsten von Waldeck, mit einer langen Reihe regierender Fürsten und Prinzen aus den thüringischen Territorien, den welfischen und Holsteiner Herzogtümern, dazu der Markgraf von Bayreuth, die Feldmarschälle und Generäle Rabatta, Dünewald, Stirum, Hannibal Freiherr von Degenfeld (aus der im Dienst Venedigs berühmt gewordenen Familie), Pálffy und viele andere. Am rechten Flügel die Polen, mit Jablonowski und Sieniawski unter dem Oberkommando des Königs. Die ganze Armee ist an die 70 000 Mann stark, darunter mehr als 21 000 Kaiserliche, 17 000 bis 20 000 Polen, je 9000 Bayern und Sachsen.

Aber noch lag eine weite Strecke über zerklüftete Waldabhänge hinab zwischen den beiden Heeren. Fünf Kommandoschüsse verkündeten den Verbündeten den Beginn des Abmarsches, und die ganze Kette der Truppen setzte sich in Bewegung. Von Wien aus wurde das Entsatzheer beobachtet, Raketen grüßten herüber und hinüber - im Morgengrauen hatte Sobieski geschrieben:

' Le commandent de Vienne nous voit.'

Als die christlichen Heere von Kara Mustafas Feldlager aus auf dem Kahlenberg in breiter Front sichtbar wurden und sich hinunter über die Hänge ergossen, verließen der Großwesir und seine Befehlshaber Zelte und Laufgräben und ritten zu ihren in Kampfordnung aufgestellten Verbänden:

in der Mitte Kara Mustafa mit der Masse der Sipahi, an seiner Seite der Prediger Wani und die Heilige Fahne, vor ihm der Aga der Janitscharen mit mehreren Regimentern; am rechten Flügel, am Fluß und an der Donauinsel die Woiwoden der Moldau und Walachei, dann der Wesir Kara Mehmed und Ibrahim Pascha von Ofen, am linken Flügel der Khan der Tataren und mehrere

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Paschas.

[Bild: Schlacht am Kahlenberg. Im Vordergrund Johann III. und Jakob Sobieski ]

Erster am Feind war der linke christliche Flügel in den Engpässen vor Nußdorf, die von

Janitscharen besetzt und von türkischer Artillerie gedeckt waren. Nach erbittertem Hin und Her wurde der Widerstand durch Kaiserliche und Sachsen gebrochen; um Mittag waren die Türken auf Grinzing und Heiligenstadt geworfen. Die Sachsen unter Goltz, die Kaiserlichen mit Ludwig

Wilhelm von Baden und dem Prinzen Eugen sind hier im Vormarsch. Bald darauf haben die Truppen Karls von Lothringen Döbling im Norden der Stadt erreicht und stehen am Rand des türkischen Lagers mit seinen 15 000 Zelten. Die Reichsvölker unter Waldeck, mit weiterem

Anmarschweg, kommen nach, Zentrum und innerer linker Flügel schließen sich wieder an. An der äußersten Linken schlagen die österreichische Kavallerie Capraras und die Panzerreiter

Lubomirskis die moldau-walachische Reiterei am Donauufer entlang zurück. Adjutanten und schnelle Stafetten halten gute Verbindung zwischen den christlichen Kommandeuren. Nach sechs Stunden Vormarsch, während derer der linke Flügel die Last des Kampfes getragen hat, halten die christlichen Heere an. Man wartet noch auf die Polen, die den längsten und mühseligsten Weg zurücklegen müssen.

Nachdem Sobieski zunächst vom Kahlenberg das Gesamtgeschehen beobachtet hat, begibt er sich zu seinen Truppen. Vor der Masse der polnischen Kavallerie treiben deutsche und polnische Infanterie die Janitscharen aus Sperrverhauen vor Neustift, Pötzleinsdorf und Dornbach heraus.

Gegen 2 Uhr am frühen Nachmittag kommt vom Zentrum und linken Flügel aus die farbenprächtige Front der polnischen Reiterei mit Tausenden sonnenbeschienenen

Lanzenfähnchen in Sicht, von jähem Freudengeschrei des wartenden Heeres begrüßt. Ungestüm vorpreschende Wolken polnischer Kavallerie entfesseln ein verlustreiches Vorgeplänkel mit türkischen Sipahi. Hier entsteht ein kritischer Augenblick, da Kara Mustafa sofort in die

aufgelockerte Front seines Gegners hineinstoßen läßt. Aber inzwischen hat Sobieskis Gros Zeit zur Entfaltung, Waldecks Zentrum schließt mit berittenen Verstärkungen auf. Noch beim Aufbruch von der Höhe waren die Feldherren nicht sicher gewesen, ob es am selben Tage noch zur

Schlacht kommen würde. Nun nimmt die Ungeduld seiner Truppen dem Lothringer die Entscheidung ab. Mit begeisterter Wucht stürmen die Österreicher am linken Flügel in einer großen Rechtsschwenkung gegen den Feind, so daß die weichenden Türken über Döbling und die befestigte Höhe hinweg am Dornbach zusammengeschoben werden. Diese Höhe wird heute noch Türkenschanze genannt. Gleichzeitig kommt am rechten Flügel die polnische Kavallerie in dicht massierte Bewegung und jagt auf dem gewellt-abschüssigen Gelände bis Hernals über die türkischen Stellungen hin. Im vorderen Mitteltreffen reitet der König mit dem sarmatischen

Feldzeichen, dem Falkenflügel an hochgerichteter Lanzenspitze, wie die ganze Kavallerie mit farbigem Überwurf oder Pantherfell über Harnisch und Kettenhemd, mit Federn und Edelsteinen geschmückt, den 16jährigen Prinz Ja - kob immer an seiner Seite. Mit dem Ruf 'Jesus Maria hilf' werfen Sobieskis Husaren und Panzerreiter die Sipahi in zwei Kavallerieattacken zurück. Das Ziel ist der Zeltpalast Kara Mustafas im Südosten.

Der Großwesir hatte von seinem Kommandoplatz zwischen den Sipahi den harten Zusammenprall zwischen der eigenen Kavallerie und der Bergab-Attacke des Polenkönigs beobachtet. Jetzt

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erkennt er, daß Johann Sobieski geradewegs auf die grüne Fahne neben ihm zuhält. Rechts und links auf den Flügeln, dann in seiner engsten Umgebung beginnen die Paschas und ihre Truppen zu weichen. Der Sturm der christlichen Kavallerie scheint nicht mehr aufzuhalten. Da wirft der Großwesir sein Pferd herum und jagt mit der Heiligen Fahne zu seiner Zeltburg zurück, während die christlichen Spitzen be - reits im Lager sind. Die Reitermassen des Tatarenkhans sind nicht zur Entfaltung gekommen. In weniger als einer Stunde, zwischen 3 und 4 Uhr, ist das Schicksal des türkischen Heeres entschieden. Das tapfer kämpfende türkische Zentrum bei Gersthof wird überwältigt. Plötzlich greift Panik um sich; aus den wankenden Fronten der Sipahi wird haltlose Flucht. Kaiserliche und Reichsvölker dringen am linken Flügel immer schneller und schneller von Döbling zum Stadtrand vor. Hier hat wahrscheinlich der junge Prinz Eugen seine Feuertaufe erhalten, hier erreicht sein Vetter Ludwig Wilhelm von Baden als erster die Laufgräben.

Die Verteidiger Wiens hatten von den Bastionen einen guten Überblick über die Lage. Jetzt machen sie aus dem Schottentor einen Ausfall nach Norden und packen von dort die Laufgräben in der Flanke. Rasend schnell entleert sich das große, unbefestigte Lager der Türken nach Süden.

Vielbewunderte Schätze, die Kara Mustafa angehäuft hat, werden im Stich gelassen. Aber Hunderte Sklaven und Kriegsgefangene werden zuvor noch erschlagen. 6000 Männer, 11 000 Frauen, 14 000 Mädchen, 50 000 Kinder aus der Steiermark und aus Niederösterreich werden noch mitgeschleppt. Der Resident von Kunitz, von seiner Janitscharenwache alleingelassen, gelangt unbeschadet zu den Seinen.

Karl von Lothringen und Georg Friedrich von Waldeck, die noch nicht an das ganze Ausmaß des Sieges glauben mögen, halten ihre Soldaten bei Todesdrohung die ganze Nacht über in eiserner Schlachtordnung fest, während die polnischen Regimenter über die Beute des türkischen Lagers herfallen. An eine Verfolgung der flüchtenden Massen wird nicht gedacht. Johann Sobieski betritt als erster das Zelt Kara Mustafas, in dem er die Roßschweife und das Leibpferd des Großwesirs in Empfang nimmt und Kostbarkeiten von märchenhaft- orientalischer Pracht für Maria Kasimira erbeutet. Die Nacht verbringt er mit seinem Sohn auf dem Schlachtfeld unter freiem Himmel.

Der nächste Tag zeigte das Ausmaß der türkischen Niederlage: über 10 000 Gefallene, alle 300 Geschütze, 15 000 Zelte, ungezählte Waffen und Feldzeichen waren zurückgeblieben. Nur 2000 Tote hatten die Verbündeten zu beklagen, darunter General de Souches, Fürst Stanislaus Potocki und an - dere polnische Kommandeure, die schon bei Chotin gekämpft hatten. 'Kein Sieg von solcher Wichtigkeit', schreibt Graf Taafe, 'hat so wenig Blut gekostet. ' Die schwersten Verluste hatten die Menschen im offenen Land und die Verteidiger Wiens zu beklagen.

Zum zweiten und letzten Mal hatte Wien der ganzen osmanischen Kriegsmacht widerstanden. Am 13. September früh besichtigten die verbündeten Heerführer das von Gräben und Explosionen zerrissene Vorfeld der Stadt. Dann hielten Johann Sobieski und Max Emanuel umjubelten Einzug in die Stadt. Mittags speisten Sobieski und die Kurfürsten bei Starhemberg, wo der König zum Fürsten von Anhalt bemerkte: 'Könnte ich noch einmal so eine Armee kommandieren wie gestern, ich wollte die ganze Welt zittern machen.' Der Lothringer und die meisten übrigen Fürsten aber warteten vor der Stadt auf den Kaiser. Dieser hatte noch auf seinem Schiff bei Krems, als die Schlacht schon geschlagen war, fast verzweifelt an Marco d'Aviano geschrieben, er müsse nun doch zu seiner Armee. Und der Pater setzte vor Ende des großen Tages, noch auf dem

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Schlachtfeld, einen Brief an Leopold auf, in dem er ihn vom Sieg und der Befreiung Wiens unterrichtete.

Am folgenden Morgen erschien Leopold, umritt mit den deutschen Fürsten die Wälle und zog von Süden her durchs Stubentor in seine Hauptstadt ein. Kollonitsch zelebrierte eine Dankmesse im Stephansdom. In der unzerstört gebliebenen Stallburg lud der Kaiser die deutschen Protagonisten des Dramas: Lothringen, Starhemberg und die Kurfürsten zur Tafel. Heer und Bevölkerung taten sich unterdessen an den Resten der türkischen Beute gütlich, welche die Polen übriggelassen hatten. Neid um die Beute schmälerte sichtlich das vorher so gute Einvernehmen zwischen den verbündeten Völkern. Auch war Leopold darüber verstimmt, daß Sobieski den Einzug in die befreite Stadt entgegen seinem Befehl vorweggenommen hatte. Er mißgönnte dem Sieger vielleicht nicht den Triumph - wohl aber, wie er Marco d'Aviano gegenüber bekannte, die Liebe seiner Untertanen. Schließlich hatten ihn diese zuletzt in verstörter Flucht davonjagen sehen und begrüßten nun den verbündeten König, der als Befreier unmittelbar vom Schlachtfeld kam. Auch war das Warten der Reichsfürsten und Feldherren auf den Einzug des Kaisers einer der

Hauptgründe, der die Verfolgung der geschlagenen, aufgelösten osmanischen Heere verhinderte.

Am 15. September fand draußen bei Schwechat, vor den revuemäßig aufgestellten Armeen, die Begegnung der beiden Monarchen statt. Sobieski hatte schließlich diese Form der Begrüßung gewünscht, die jedes brüderliche Zeremoniell wie Akkolade und Handschlag ebenso wie die Frage des Vortritts und Ehrenplatzes umging. Denn der Kaiser - und namentlich seine Räte - wollten dem Wahlkönig solche Ehrungen keineswegs einräumen, die Sobieski als gekrönter Gast, der sein Reich zur Rettung seines Verbündeten verlassen hatte, verlangte. Leopold ritt an der Spitze seiner Räte und Heerführer auf das freie Feld, Sobieski und Prinz Jakob kamen ihm zu Pferd mit einer Schwadron Husaren entgegen. Leopold dankte in lateinischer Ansprache für den rettenden Beistand, der König antwortete mit einem Lob auf die Tapferkeit der kaiserlichen Armee. Aber der Habsburger wußte den rechten Ton und die rechte Form für den empfindlichen, erwartungsvollen König nicht zu finden. Die Wärme und Herzlichkeit, die man an dieser Stelle von ihm erwarten durfte, standen ihm nicht zur Verfügung. Vor allem ließ er es in den Augen Sobieskis an

Aufmerksamkeit für den blutjungen Prinzen Jakob fehlen. Hier ist zu beachten, daß Leopold die Hoffnung des polnischen Königspaares, für Jakob die Hand der Erzherzogin Maria Antonia und später die Krone von Ungarn zu erhalten, mißbilligte; die dem Prinzen gezeigte Kühle mag daher durchaus vorbedacht gewesen sein. Der Polenkönig ahnte nicht einmal, daß Maria Antonia schon für Max Emanuel bestimmt war. Jakob erwies dem Kaiser eine ehrerbietige Reverenz, während dieser lediglich die Hand an den Hut hob - ' Ce que voyant ', schreibt Sobieski an Maria Kasimira, ' peine n'en restais je pas pétrifié '.

Die äußeren Umstände dieser berühmten Begegnung lassen keine wirkliche Kränkung erkennen.

Doch war Johann Sobieski zu Recht enttäuscht und der erste Morgenglanz einer habsburgisch- polnischen Freundschaft be - reits erloschen. Viel Tinte ist jahrhundertelang darüber vergossen worden, Schuld oder Unschuld an diesem Verlauf der Begegnung von Schwechat darzutun, und vor allem, den polnischen oder deutschen Anteil, die Rolle Lothringens oder Sobieskis an

Schlachtplan und Schlacht zu schmälern oder zu steigern. Hier wurde Sobieski zu einem eitlen Popanz, der nur rein nominell den Oberbefehl führte, dort Karl von Lothringen zu einem

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beschränkten Pedanten ohne alle Feldherrnqualitäten. Oder Lothringen und die kaiserlichen Truppen verschwanden ganz in der Versenkung, und die Befreiung Wiens wurde zum Werk der Polen allein. Das übersteigerte Rangbewußtsein des 17. Jahrhunderts und engstirniger

Nationalismus des 19. und 20. haben sich hier verbündet, um die Erinnerung an den

gemeinsamen Sieg zu verfälschen. - Übrigens ist eine Unterscheidung zwischen 'deutsch' und 'österreichisch ' in den Türkenkriegen historisch sinnvoll nur da, wo es sich ausschließlich um österreichische oder ausschließlich reichsdeutsche Truppen und Mitspieler handelt.

Weit sind solche Erwägungen von Stimmung des 12. September entfernt. In letzter Minute war das große Bündnis zustande gekommen, so daß es den Zeitgenossen fast wie ein Wunder erschien. In höchster Eile hatten die Partner ihre Versprechen erfüllt, in vorbildlicher Eintracht der Heerführer, von denen man sonst Zank und Neid um die Kommandostellen gewohnt war, war der Schlachtplan akzeptiert und befolgt worden. Damit war eine der größten Wendungen in der

Geschichte des östlichen Mitteleuropa erreicht - in seltener Einigkeit zwischen Deutschen und Polen, Kaiser und Reich, Fürsten und Ständen, Katholiken und Protestanten, ermöglicht auch durch die Diplomatie und Opferfreude eines ganz von dem gemeinsamen Ziel erfüllten Papstes.

Dieser Sieg löste denn auch von Rom bis Litauen und von Holstein bis Graz einen in zahllosen Flugschriften reflektierten Jubel aus, in den sich erst spät und vereinzelt Stimmen von Neid und Enttäuschung mischten. In den Erblanden und im Reich läutete man ganze Tage hindurch Viktoria. Die Türkenglocken aber waren für immer verstummt. [.]

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