Eidgenössisches Departement für
Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF
Staatssekretariat für Wirtschaft SECO Grundlagen Arbeit und Gesundheit
Tipps und Tricks für Personen mit Schichtarbeit
Dr. med. Samuel Iff
FMH Arbeitsmedizin und FMH Prävention
• Ja
• Nein
Haben Sie selber in Schicht oder in der
Nacht gearbeitet?
Nachtarbeit
Nachtarbeit ist auf Grund des zirkadianen
Rhythmus nicht
physiologisch und stört (fast) alle Systeme des Körpers
Bedeutung in der Schweiz
• Ja, Nachtarbeit
• Ja, Schichtarbeit
• Ja, Nacht- und Schichtarbeit
• Nein
Arbeiten Sie in einem Betrieb, wo Schicht-
oder Nachtarbeit vorkommt?
Schichtarbeiterinnen und –arbeiter 2013
• 500‘000 Beschäftigte = 15 % der erwerbstätigen Bevölkerung
• Neue Bedürfnisse zunehmende Bedeutung
• Frischprodukte-Bereitstellung
• Call-Center
• Technologische und wirtschaftliche Gründe
• Ununterbrochene Produktion
• Nicht durch Tagesarbeit ersetzbar
• Pflege
• Überwachung
• Rettung
Ursachen für Schichtarbeit
• 20% verlassen die Schichtarbeit aus persönlichen und gesundheitlichen Gründen im ersten Jahr
• 70% finden sich damit ab und lernen damit umzugehen
• Es werden die „guten Schichtarbeiter“ selektioniert
Nachtarbeit problemlos?
Rhythmik des Körpers
Chronobiologie
• Ja
• Nein
Denken Sie, wir können uns an Nachtarbeit
gewöhnen?
• Der Körper ist evolutionsbedingt auf einen 24h Rhythmus angepasst
• Köperprozesse sind von der Tages- und Nachtzeit abhängig
• Funktionieren können wir immer, aber nicht immer gleich gut
Die Rhythmik des Körpers
Die 24h Rhythmik der Körpersysteme
(Melatonin, Temperatur, Testosteron, Cortisol)
Verdauungsgeschwindigkeit, Darmwellen
Rao et al., Gastrointestinal and Liver Physiology, 2001
x2 x3
• „Zirkadianrhythmus“
• Steuert einen grossen Teil der Körperfunktionen:
Temperatur, Kreislauf, Hormone etc.
• Diese lassen sich nicht ändern
• Zeitliche Lage individuell verschieden:
• „Frühtypen“ (ca. 20 %): kürzerer Rhythmus
• „Spättypen“ (ca. 10 %): längerer Rhythmus
• Äussere Zeitgeber zum Anpassen (Uhrzeit;
hell/dunkel (blauer Anteil vom Licht); warm/kalt;
soziale; sonstige Wahrnehmung)
Chronobiologie
Schichtarbeit
Leistungskurve über 24 Stunden
• Rhythmik der Körperfunktionen passt sich nur teilweise an (z.B. Körpertemperatur)
• Eindruck, sich „daran gewöhnen zu können“
• Hauptsächlich Nachts Einschlafepisoden, v.a. bei eintönigen Tätigkeiten
(Sekundenschlaf an Hirnaktivität nachweisbar)
Unfall- und Fehlerraten erhöht!
Wissenschaftliche Erkenntnisse
• Schlafrhythmik
(paradoxe Situation: Schlaf erwünscht, wenn „auf Leistung“ geschaltet und umgekehrt)
• Schlafqualität: Tagschlaf mit abweichendem Muster (weniger Zyklen, weniger Tiefschlaf)
(Störfaktoren: Lärm +15 dB [A], Sommertemperatur)
• Schlaflänge: Tagschlaf kürzer
(zunehmender Schlafmangel bei mehreren Nachtschichten hintereinander)
Auswirkungen auf den Schlaf
Nachtschlaf
umgezeichnet n. Grandjean, E.: Physiologische Arbeitsgestaltung Ott-Verlag, Thun, 1991 w
1 2 3 4
= REM-Phasen; w = wach; 1 - 4 = Schlafstadien
24 1 2 3 4 5 6 7 Uhr
Tagschlaf
w 1 2 3 4
= REM-Phasen; w = wach; 1 - 4 = Schlafstadien
8 9 10 11 12 13 Uhr
Risiken von Schicht- und Nachtarbeit
Auswirkung auf: kurzfristig längerfristig Schlaf Müdigkeit, Gereiztheit,
Unfallgefahr
Chronische Müdigkeit, Erschöpfung
Verdauung Fehlender Appetit Magenentzündung,
Magengeschwür Diabetes Typ 2 Gewichtszunahme Herz/Kreislauf Kreislaufstörung Hoher Blutdruck,
Herzgefässverengung, Herzinfarkt
Menstruation,
Schwangerschaft Störungen der Regelblutung Risiko für Fehl- und Mangelgeburt
Brustkrebs Unterdrückung Melatonin Erkrankungsrisiko wahrscheinlich erhöht Sozialleben Beziehungsstörung Trennung, Vereinsamung
Gesundheitliche Risiken
Gesundheitsprobleme wegen Schichtarbeit
Foster et al. Nature Reviews Neuroscience 6, 407-414, doi:10.1038/nrn1670
• Arbeitsunfälle sind 1.78x häufiger bei Schlafproblemen
• Stolper- und Sturzunfällen sind 5-mal häufiger
• Unfällen mit Werkzeugen und Maschinen sind 4-mal häufiger
• Unfällen bei Nebentätigkeiten wie Aufräumen und Reinigen sind 2- bis 5-mal häufiger
* Lange (≥8h) oder kurze Schlafdauer (<6h), schlechte Schlafeffizienz (<85%) oder Probleme am Tag wach zu bleiben (≥1x/w)
Unfallrisiko bei „Schlafproblemen“
Persönliche Massnahmen
• Ja
• Nein
Informieren Sie ihre Mitarbeiter aktiv über
mögliche persönliche Massnahmen?
• Nach der Schicht schlafen, oder vor der nächsten Schicht
• Kurzschlaf vor der ersten Nachtschicht
• Nach der letzten Nachtschicht kurz schlafen, dann früher am Abend ins Bett gehen
• Seine Gewohnheiten herausfinden und diese wiederholen
Schlafrhythmus
• Schlafzimmer für Schlafen reservieren. Kein TV, Essen oder Arbeiten
• Dicke Vorhänge verwenden, oder Augenklappe
• Telefon ausschalten und Combox einschalten
• Familie um Ruhe bitten, wenn man schläft
• Nachbaren um Nachsicht bitten
• Ohrenpfropfen, Weisses Rauschen-Generator oder Hintergrundmusik um Geräusche
auszublenden
• Kühle Schlaftemperatur
Schlafumgebung
• Kurzer Spaziergang, Buch lesen, Musik hören oder ein warmes Bad vor dem Schlafengehen
• Keine anstrengende körperliche Tätigkeit vor dem Schlafengehen
• Kein Koffein (Kaffee, Energy-Drinks) 4h vor dem Schlafengehen
• Leichter Snack vor dem Schlafengehen, nicht hungrig einschlafen
• Kein Alkohol trinken
Schlafförderung
• Koffein spärlich einsetzen, da der Effekt rasch abklingt
• Kein Alkohol zum Schlafengehen, er stört den Schlafrhythmus und die -qualität
• Keine Schlafmittel regelmässig einnehmen, da sie suchtgefährdend sind
• Stimulanzien spärlich einsetzen, da der Langzeitgebrauch nicht erforscht ist
Stimulanzien und Beruhigungsmittel
• 30min körperliche Aktivität pro Tag planen
• Regelmässig gesund essen
• Rauchen aufgeben
• Alkohol reduzieren
• Doktor bei chronischen Krankheiten über Schichtarbeit informieren
Fitness und Lebensstil
• Familie und Freunde über Schichtarbeit und Schichtpläne informieren
• Gemeinsame Aktivitäten planen (Essen, Wochenenden, Abende)
• Hausarbeit und Schichtarbeit planen. Schlaf sollte nicht zu kurz kommen
• Arbeitskollegen zu gemeinsamen Aktivitäten animieren
Familie und Freunde
• ÖV benutzen
• Kurze körperliche Aktivität vor der Reise
• Car-sharing
• Defensiv fahren
• Sich nicht beeilen
• Bei überwältigender Müdigkeit Kurzschlaf halten
• Energy-Drinks oder Koffein benutzen
Arbeitsweg
14 Empfehlungen für einen Schichtplan
• Ja
• Ja, mit anderen Fachkräften
• Nein
Machen Sie persönlich auch
Schichtplanung?
1. Möglichst keine Dauernachtschicht
(Ausnahme: speziellen Fällen vorbehalten)
• Die zirkadianen Rhythmen passen sich nicht an die Umkehrung an.
• „Anpassung“ im Grunde nur vermeintlich
• Dauernachtarbeitende sind eine soziale Randgruppe.
2. Möglichst wenig Nachtschichten in Folge
(Wiederherstellung des normalen Rhythmus erleichtert)
• je weniger Nachtschichten in Folge, desto geringer das Schlafdefizit (Quelle von Fehlleistungen, Unfällen)
• jede Woche Möglichkeit zu sozialer Betätigung
Anzahl aufeinanderfolgender
Nachtschichten
3. Kein kurzer Übergang zwischen zwei Schichten
• mind. 10 Std. erforderlich!
• Zeit für Arbeitsweg, Verpflegung, Körperpflege und Schlaf vorsehen
• nach einer Nachtschicht mind. 24 Std. Erholungszeit 4. Freie Wochenenden vorsehen
• mind. 2 aufeinanderfolgende freie Tage am Wochenende
• Freitag/Samstag, Samstag/Sonntag oder Sonntag/Montag frei
• Wochenenden: Zeit für die Familie und für andere soziale Aktivitäten
Verteilung der arbeitsfreien Zeit (1)
5. Lange Arbeitsperioden vermeiden
• höchstens 8 Arbeitstage in Folge
• Lange Arbeitsperioden führen besonders bei älteren Personen zu vorzeitiger Ermüdung.
• Jüngere Personen dagegen schätzen die Vorteile der damit verbundenen langen Freizeit.
• Es besteht das Risiko, dass einer Nebenbeschäftigung nachgegangen wird.
Verteilung der arbeitsfreien Zeit (2)
6. Die Länge einer Schicht muss der Belastung angemessen sein.
• Eine körperlich oder geistig stark beanspruchende Arbeit kann nur begrenzt aufrechterhalten werden
• In gewissen Situationen sind auch gedehnte Schichten (10-12 Std.) zulässig.
7. Die Länge der Nachtschicht soll je nach Arbeitslast bemessen werden.
• Nachtarbeit ist generell anstrengender als Tagarbeit
• speziell anstrengende Tätigkeit kürzer, z.B. 7 Std.
• weniger anstrengende Tätigkeit länger, z.B. 10 Std.
Schichtdauer
8. Möglichst Vorwärtswechsel, z.B. F-S-N
• (Angleichung an circadianen Rhythmus)
• Entspricht der Situation einer Flugreise in westlicher Richtung.
• Erholungszeiten genügend lang
• Schlaf und allgemeines Befinden besser
Richtung des Schichtwechsels
9. Beginn der Frühschicht möglichst spät
• Je früher der Beginn, desto kürzer ist in der Regel die vorangehende Nacht.
• Es kann am Abend nicht beliebig früh eingeschlafen werden.
• Zeit für Aufstehen, Frühstücken und Arbeitsweg muss zudem beachtet werden.
Beginn und Ende der Schicht (1)
10. Flexibilität ist auch bei Schichtarbeit zu erwägen.
• Abweichungen von starren Zeiten für den Schichtwechsel können für die Betroffenen von Vorteil sein.
(z.B. unterschiedliche Verkehrsmittel für den Arbeitsweg)
Beginn und Ende der Schicht (2)
11. Regelmässige Schichtfolgen
• sind leichter einzuprägen
• Schichtfolgen sollen übersichtlich sein.
• Freizeit lässt sich besser planen und nutzen.
12. Kurzfristige Änderungen vermeiden
• werden schlecht ertragen
• Produktionsspitzen mit anderen Kräften abdecken (z.B. Springer oder Hilfsschichten)
Schichtfolgen (1)
13. In Einzelfällen Spielraum lassen für Flexibilität
• Befriedigung persönlicher Bedürfnisse
• Gelegentliche Abweichungen vom Schichtplan ermöglichen
z.B. Schichtabtausch mit Kollegen z.B. Verschiebung der Übergabezeit 14. Schichtfolgen rechtzeitig ankündigen
• Akzeptanz
• Langfristige Planung
• Schichtplan so früh wie möglich bekanntgeben
Schichtfolgen (2)
samuel.iff@seco.admin.ch
Fragen?
Gesundheitliche Untersuchung
• Die Untersuchung ist von einer Ärztin
vorzunehmen, die sich vertraut gemacht hat mit
• dem Arbeitsprozess,
• den Arbeitsverhältnissen und
• den arbeitsmedizinischen Grundlagen
• D.h. Hausärztin ist in der Regel NICHT geeignet
Anforderungen an den Arzt
• Gespräch, Einschätzung (Vorgeschichte, aktueller Gesundheitszustand)
• Kontrolle der wichtigsten Systeme (Herz, Kreislauf, Atmung)
• Status der Organe
• Labor: Urinuntersuch auf Zucker und Eiweiss
• Screeningtest für Zuckerkrankheit und generelle Nierenschädigung
Gesundheitliche Untersuchung (1)
• Evaluation der Ausschlusskriterien (Anfallsleiden, Zuckerkrankheit, Herz-/Kreislauferkrankungen, usw.)
• Bei fraglichen Befunden ev. Rücksprache mit dem Hausarzt
• Beratung (Schlaf, Ernährung, Soziales usw.)
• Oft unterschätzt und nicht durchgeführt mangels Wissen
Gesundheitliche Untersuchung (2)
• Schlafstörungen
• Erkrankungen des Verdauungstraktes
• Herz-/Kreislauferkrankung
• Mit Insulin behandelte Zuckerkrankheit
• Epilepsie
• Nachtblindheit
• ungünstige Wohnsituation
• Gefühl der Benachteiligung
• Etc.
Nicht-Eignung für Nachtarbeit
• 33-jähriger Mann mit Multipler Sklerose.
Erstsymptome 2013 und Diagnose 2014. Seither 3 Schübe, letzter vor 6 Monaten, im Rhythmus von ca. 9 Monaten. Aktuell unter medizinischer
Therapie.
• Arbeitet in einem Verpackungsbetrieb mit «altem»
Schichtsystem