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Der Heilige Geist wird auf Dich/Euch herabkommen. Das Geistzeugnis der Kirche Jesu Christi

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Vorlesung EKKLESIOLOGIE * 16. Oktober 2019

Der Heilige Geist wird auf Dich/Euch herabkommen. 

Das Geistzeugnis der Kirche Jesu Christi

Wenn wir nun im Neuen Testament nach der ausdrücklich gewordenen Kirche fragen, bringt das die Frage nach ihrem Bezug zu Leben und Wirken Jesu Christi und mit dem Wirken des Geistes mit sich:

Kirche im geschichtlich greifbaren Sinne beginnt mit dem Pfingstereignis. In der Kraft des Heiligen Geistes  konstituiert  sich  die  Gemeinschaft  der  Glaubenden  als  Gemeinde  im  Geist  Jesu  Christi.  Die wartende und betende Gemeinschaft der Apostel mit Maria ist bereits Gemeinde, die sich der sammeln‐

den Verheißung des Auferstandenen verdankt: 

Beim gemeinsamen Mahl gebot er ihnen: Geht nicht weg von Jerusalem, sondern wartet auf die Verheißung des Vaters, die ihr von mir vernommen habt. Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber werdet schon in wenigen Tagen mit dem Heiligen Geist getauft (Apg 1,4‐5). 

Aber sie sind noch von Furcht bewegt und von der Erfahrung der Abwesenheit Jesu bestimmt. Und doch bereiten sie aktiv das Kommende vor, indem sie durch die Wahl des Matthias die Zwölferzahl der Apostel ergänzen  und  damit  symbolisch  die  Zahl  der  gesammelten  Stämme  Israels  wiederherstellen.  Es  ist vielleicht  nicht  überinterpretiert,  gerade  in  diesem  Vorgehen  ein  Zeichen  der  Vorläufigkeit  ihres Handelns zu sehen: Sie werfen das Los, d.h. sie lassen Gott handeln ohne sie. Später werden sie das Wirken des Geistes in ihren Entscheidungen bezeugen: Der Heilige Geist und wir ... (Apg 5,23; 15,28).

Das Pfingstereignis bringt eine Wende: Aus der angstvoll zurückgezogenen Schar wird die verkündi‐

gende Gemeinde, der der Heilige Geist gleich am ersten Tag etwa 3000 Menschen hinzufügt (Apg 2,41).

Von nun an ist die Rede vom Leben der Kirche Jesu Christi als „Gemeinschaft” im Heiligen Geist:

Sie hielten an der Lehre der Apostel fest und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten (Apg 2,42).

Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften  Hab  und  Gut  und  gaben  davon  allen,  jedem  so  viel,  wie  er  nötig  hatte.  Tag  für  Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Einfalt des Herzens. Sie lobten Gott und waren beim ganzen Volk beliebt. Und der Herr fügte täglich ihrer Gemeinschaft die hinzu, die gerettet werden sollten (Apg 2,44‐47).

Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele. Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam. Mit großer Kraft legten die Apostel Zeugnis ab von der Auferstehung Jesu, des Herrn, und reiche Gnade ruhte auf ihnen allen. Es gab auch keinen unter ihnen, der Not litt. Denn alle, die Grundstücke oder Häuser besaßen, verkauften ihren Besitz, brachten den Erlös und legten ihn den Aposteln zu Füßen. Jedem wurde davon so viel zugeteilt, wie er nötig hatte (Apg 4,32‐35).

Wie wenig ideal die Realität gewesen ist, hören wir von Anfang an – aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass offensichtlich ein Maßstab da ist, an dem die Gemeinde sich misst. Dieser Maßstab ist Gemeinschaft – nicht nur von Herz und Seele, sondern von Hab und Gut, Gemeinschaft in der Freude des Glaubens, Gemeinschaft am Heiligen in der Feier der Eucharistie, communio sanctorum. 

Doch das Pfingstereignis und die biblischen Berichte in ihrer Gesamtheit zeigen unmissverständlich, dass  diese  Kirche  nicht  schlechthin  ein  Anfang  ist,  sondern  sich  einem  „Anfang  vor  dem  Anfang”

verdankt.  Wir  fragen  heute:  Was  muss  schon  alles  angefangen  haben,  damit  Kirche  ihren  Anfang nehmen kann? Was ist eigentlich alles erforderlich und vorausgesetzt, damit wir, damit Menschen heute mit Kirche „etwas anfangen” können?, so ließe sich die Frage in aktueller Perspektive umformulieren.

Suchen wir also nach dem „Anfang vor dem Anfang”. Und wir suchen auf dem Hintergrund der resignati‐

ven Stellungnahme von George Steiner: Wir haben keine Anfänge mehr ...

1) Der Anfang vor dem Anfang der Kirche ist der Heilige Geist, der die betende, wartende, sich bereitende Gemeinde – die sicher schon irgendwie von ihm bewegt ist – verwandelt in die bekennende,

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verkündigende, in die ganze Welt zu allen Völkern gesandte Gemeinde. Dieser Anfang vor dem Anfang ist Ausdruck der Freiheit Gottes in der Gründung seiner Gemeinde. Das Unberechenbare des Geist‐

wirkens bleibt. Die Pfingstnovene ist nicht umrechenbar in Pastoralpläne. Wer Kirche stiften will, muss in dieser unberechenbaren Erwartung des Gebets leben. Die Jünger/innen haben gebetet, dass die verheißene Gabe Jesu Christi kommen möge – und sie ist gekommen, um aus ihnen Kirche werden zu lassen. Wenn wir eine gute, im Heiligen Geist lebendige und bewegliche Kirche haben wollen, müssen wir weiterbeten, weiterwarten, uns weiterhin aktiv bereiten.

2) Doch wenn wir nach dem Anfang vor dem Anfang fragen, können wir auch beim Pfingstereignis nicht  stehenbleiben.  Woher  wissen  denn  die  Apostel,  was  dort  mit  ihnen  geschieht,  während  die Umstehenden sagen: Sie sind vom süßen Wein betrunken (Apg 2,13)? Der Heilige Geist ist der Geist Jesu Christi, der vom Vater in Jesu Namen gesandt ist. Seine Sendung besteht darin, alles zu lehren und euch an alles zu erinnern, was ich euch gesagt habe (Joh 14,26). Der Heilige Geist ist nicht irgendeine diffuse Inspiration,  sondern  vermittelt  die  Gegenwart  des  Auferstandenen  in  der  Geschichte.  Gerade  die Apostelgeschichte zeigt deutlich, dass der Geist Gottes eine konkretisierende Kraft ist und keineswegs

„spiritualisierend” aus der Geschichte herausführt. Dieser Geist setzt fort und führt zur Vollendung, was Jesus  Christus  in  seinem  irdischen  Leben  bezeugt  hat:  die  Sammlung  und  Sendung  der  Jünger  und Jüngerinnen, die Botschaft vom angebrochenen Reich Gottes, die unbedingte Treue Gottes über alle Bosheit und Ablehnung der Menschen hinaus, den Sieg Gottes über den Tod. Kurz: Ohne Jesus Christus kein  Pfingstereignis.  Kirche  ist  nicht  die  allgemeine  Inspiration  zur  Gütergemeinschaft,  sondern  die Einweisung in eine Gemeinschaft der Erinnerung und Erzählung über Jesus den Christus. So beginnt Lukas sein zweites Buch: 

Im ersten Buch, lieber Theophilus, habe ich über alles berichtet, was Jesus getan und gelehrt hat, bis zu dem Tag, an dem er (in den Himmel) aufgenommen wurde. Vorher hat er durch den Heiligen Geist den Aposteln, die er sich erwählt hatte, Anweisungen gegeben (Apg 1,1‐2) [andere Übersetzungs‐

möglichkeit: den Aposteln, die er durch den Heiligen Geist erwählt hatte]. 

Hier ist die Frage nach der „Stiftung” der Kirche implizit beantwortet: Jesu Anweisungen finden sich nicht in einem historischen „Gründungsakt” der Kirche, sondern der Heilige Geist selbst ist die Erinnerung an ihn.

3) Es könnte scheinen, als seien wir jetzt beim Anfang angekommen. Denn am Anfang steht doch, dass wir Christen heißen nach Jesus Christus. Er ist der Anfang unseres Glaubens, der Urheber unseres Heils, wie es im Hebräerbrief mehrfach heißt (Hebr 2,10; 5,9; 12,2), der Anfang der Kirche. Der Heilige Geist ist der Geist Christi, der von ihm verheißen wird,  den sein Kreuzestod freisetzt, den der Auf‐

erstandene sendet. So ist tatsächlich unsere westliche Theologie über die Grenzen der Kirchenspaltung hinweg geprägt: Kirche ist Kirche Jesu Christi, weil sie in Jesus Christus ihren Anfang nimmt.

Doch was geschieht, wenn wir bei diesem Anfang stehenzubleiben versuchen? Gegenüber einem Anfang der Urheberschaft ist alles andere Nicht‐Anfang. Alles, was nicht Anfang ist, kann nur von sich weg auf den einen und einzigen Anfang hinweisen. Der Versuch mag gemacht werden, den Anfang zu festzuhalten, ihn zu institutionalisieren und so in die Kontinuität der Geschichte einzufügen. Doch eine solche Institutionalisierung des Anfangs führt zurück auf die ursprüngliche Negation: Alles, was nicht Jesus  Christus  ist,  ist  nicht  Anfang  und  kann  sich  gegenüber  diesem  Anfang  nur  in  der  Weise  der Negation bestimmen. Kirche, die sich exklusiv von ihrem Anfang im irdischen Leben Jesu Christi her bestimmen will, ist zwischen der Institutionalisierung und der Selbstnegation hin‐ und hergeworfen.

Kirche, die sich mit einem innergeschichtlichen Anfang begnügt, wird als Religionsinstitution in einer schlechten  Weise  partikulär  und  exklusiv;  vor  allem  aber  wird  sie  unfrei,  weil  sie  unter  einer  ihr äußerlichen Norm steht, der gegenüber sie sich selbst stets verleugnen muss. 

Die Heilige Schrift öffnet in diesem Dilemma eine Perspektive: Die Kraft des Anfangs ist nicht exklusiv und behauptet sich nicht gegen alles andere, was nicht Anfang ist, sondern teilt sich mit! Der Geist, der als der Geist Jesu Christi von ihm verheißen und gesandt wird, geht Jesus Christus in einer entscheiden‐

den Weise auch voran und teilt sich einem Menschen so mit, dass daraus der Ursprung göttlichen Lebens in der Welt wird: Der Engel sprach zu Maria: 

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Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten (Lk 1,35). 

Ein Geschöpf, eine Frau, wird in der Kraft des Heiligen Geistes zum Anfang vor dem Anfang: Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden (Lk 1,35). Ohne das fiat Marias keine Geschichte Jesu,  kein  Pfingstgeschehen,  keine  Kirche‐stiftende  Geistsendung.  Wir  sollten  Maria  die  Gestalt Johannes’ des Täufers an die Seite stellen. Nicht nur auf der orthodoxen Deesis‐Ikone steht er mit der Gottesmutter zusammen neben dem erhöhten Christus. Er ist in der biblischen Heilsgeschichte der unverzichtbare Wegbereiter, der einen „Anfang vor dem Anfang” setzt, weil er dem Volk Buße und Umkehr predigt, weil er Jünger für die Nachfolge Jesu bereitet etc.

4) Damit taucht in unserer Suche nach dem Anfang vor dem Anfang der Heilige Geist ein weiteres Mal auf: nicht mehr als derjenige, den Jesus Christus während seines irdischen Lebens verheißt und durch seinen Tod und seine Auferstehung sendet, sondern insofern er diesem Jesus Christus vorausgeht.

Der Heilige Geist ist noch einmal der Anfang vor dem Anfang. Diese Umkehrung sollten wir nicht aus dem Auge verlieren. Hier liegt wohl ein wesentlicher Unterschied zwischen der theologischen Tradition der Ostkirche und der Westkirche: Die Ostkirche betont das Vorausgehen des Geistes vor der Sendung des Sohnes. Sie lebt aus der Epiklese, der betenden Erwartung des je neuen Pfingstgeschehens. Die Kirche des Westens betont die Priorität der Sendung Jesu Christi vor der Sendung des Geistes – und gerät damit in Versuchung, das Wirken des Geistes einzugrenzen auf eine statisch verstandene kirchliche Institution. 

5) Wenn wir das Zuvorkommen des Heiligen Geistes gegenüber der Sendung Jesu Christi ernst‐

nehmen, werden wir wiederum einen Schritt weitergewiesen. Wie schafft denn der Geist Gottes den Anfang vor dem Anfang? Indem er das Volk Israel als von Gott auserwähltes Volk führt und für das Kommen des Messias bereitet. Die Geschichte der Erwählung und Führung dieses Volkes gehört zum Anfang vor dem Anfang der Kirche.

Aus der statischen Fixierung auf den eigentlich nie zu überschreitenden Anfang wird ein Werde‐

prozess, der den Anfang in Jesus Christus nicht negiert, ihn auch nicht durch menschliche Eigenmächtig‐

keit zu ersetzen versucht, sondern in der Kraft des Heiligen Geistes, im Glauben, sola gratia an dieser Ursprungskraft Anteil erhält. Maria ist dabei selbst nicht absoluter Anfang, sondern sie geht hervor aus der  Weisheit  der  alttestamentlichen  Bundesgeschichte,  insbesondere  aus  der  Schar  der  „Armen”

(anawim), die ihre ganze Hoffnung auf Jahwe setzen. Sie wird im Heiligen Geist zum Anfang des Heils, indem sie selbst Frucht der Geschichte Israels ist: Tochter Zion. Seit langem hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass wir von Maria nur von Jesus Christus her reden können. Die reformatorische Kritik hat hier in vieler Hinsicht als heilsamer Einspruch gewirkt. Weniger entwickelt ist die Überzeugung, dass wir von Maria nur vom Advent der Geschichte Israels her angemessen sprechen können, dass sie sich also selbst einem Anfang vor dem Anfang verdankt.1 

Dass Kirche die vom Heiligen Geist geleitete Geschichte des Volkes Israel voraussetzt, wird in der Apostelgeschichte unmittelbar ersichtlich: In der ersten Predigt des Petrus nach Pfingsten spricht er bezeichnenderweise von der Erfüllung der Verheißungen beim Propheten Joël:

Da trat Petrus auf, zusammen mit den Elf; er erhob seine Stimme und begann zu reden: Ihr Juden und alle Bewohner von Jerusalem! Dies sollt ihr wissen, achtet auf meine Worte! Diese Männer sind nicht betrunken, wie ihr meint; es ist ja erst die dritte Stunde am Morgen; sondern jetzt geschieht, was durch den Propheten Joël gesagt worden ist: In den letzten Tagen wird es geschehen, so spricht Gott:

Ich werde von meinem Geist  ausgießen  über alles Fleisch. Eure Söhne und eure Töchter werden Propheten sein, eure jungen Männer werden Visionen haben, und eure Alten werden Träume haben.

Auch über meine Knechte und Mägde werde ich von meinem Geist ausgießen in jenen Tagen, und sie werden Propheten sein. Ich werde Wunder erscheinen lassen droben am Himmel und Zeichen unten

1 Vgl. Paul‐Werner Scheele, Maria in der Gemeinschaft und Geschichte Israels: Catholica 2/3 (1975) 92‐113.

Joseph Ratzinger, Die Tochter Zion. Betrachtungen über den Marienglauben der Kirche, Einsiedeln 1977; Karl‐

Heinz Menke, Fleisch geworden aus Maria. Die Geschichte Israels und der Marienglaube der Kirche, Regensburg 1999.

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auf der Erde: Blut und Feuer und qualmenden Rauch. Die Sonne wird sich in Finsternis verwandeln und der Mond in Blut, ehe der Tag des Herrn kommt, der große und herrliche Tag (Apg 2,14‐20).

Gerhard Lohfink erinnert in seiner biblischen Ekklesiologie2 daran, dass Gott in der Geschichte Menschen einbezieht, wenn er Neues hervorbringen will; er erinnert zugleich daran, dass dieses Handeln gerade deshalb stets einen Verheißungsüberschuss in sich birgt – die Hoffnung, dass er all das, was er mit seinen Geschöpfen begonnen hat, zur Vollendung führen möge, die nichts ausklammert.

6) Wenn wir bei Israel den absoluten Anfang suchen, kommen wir zwar zur Kirche, aber nicht zur erlösten Menschheit und zur neuen Schöpfung, denn wir setzen wiederum einen exklusiven geschicht‐

lichen Anfang, der alles andere als Nicht‐Anfang ausscheidet. Die Heilige Schrift und die Kirchenväter finden den Anfang vor dem Anfang im Schöpfungswerk Gottes, in gewisser Weise in Gott selbst, wie wir bereits gesehen haben:

Mir, dem Geringsten unter allen Heiligen, wurde diese Gnade geschenkt: Ich soll den Heiden als Evangelium den unergründlichen Reichtum Christi verkündigen und enthüllen, wie jenes Geheimnis Wirklichkeit geworden ist, das von Ewigkeit her in Gott, dem Schöpfer des Alls, verborgen war. So sollen jetzt die Fürsten und Gewalten des himmlischen Bereichs durch die Kirche Kenntnis erhalten von der vielfältigen Weisheit Gottes, nach seinem ewigen Plan, den er durch Christus Jesus, unseren Herrn, ausgeführt hat (Eph 3,8‐11). 

Nicht der Triumph der Kirche, sondern die neue Schöpfung und die erlöste Menschheit ist das Ziel der Heilsgeschichte.

7) Dass die Schöpfung kein absoluter Anfang ist, besagt der Begriff selbst, der auf einen Anfang im Schöpfer verweist. In diesem Bereich vollzieht sich in den letzten Jahrzehnten der Theologiegeschichte ein wichtiges Umdenken, das der Ekklesiologie zugute kommt: Solange die Schöpfung in mechanistischen Kategorien als ein überdimensionaler Herstellungsprozess gedacht wurde, spielte das Geheimnis des dreifaltigen  Gottes darin  keine  Rolle.  Der eine  Gott  konnte  als  eine  Kausalursache  der  Schöpfung angesehen werden. Indem das mechanistische Weltbild seine leitende Rolle verloren hat, wird das theologische Denken wieder frei, das dreifaltige Leben Gottes als solches als Urbild und schöpferische Kraft des Anfangs unseres Kosmos wahrzunehmen. Kirche beginnt in der Kraft des Heiligen Geistes das zu leben, was den Daseinsgrund und die Erfüllung der Schöpfung ausmacht: die Teilhabe am dreifaltigen göttlichen Leben. Was aber bedeutet die Rede vom Schöpfer, vom einen und dreifaltigen Gott, der nicht die Ursache, sondern der lebendige Ursprung der Schöpfung „im Anfang” ist, d.h. nicht in vergangener Vorzeit, sondern als innewohnender Ursprung? Nicht allein der eine Gott in seinem Handeln ad extra, sondern der dreifaltige Gott als Vater, Sohn und Heiliger Geist ist am Schöpfungsgeschehen beteiligt.3 Die  Bezogenheit  der  Kirche  auf  das  Geheimnis  Gottes  ist  eine  doppelte:  eine  personale  und  eine wesentliche: 

–  als  personale communio  und communicatio  der  Liebe,  als  die  eine  Person  Jesu  Christi  in  vielen geschöpflichen Personen, in Freiheit geeint durch den Heiligen Geist, wie Heribert Mühlen formuliert4, – als Anteil am Lebensinhalt Gottes, an seiner vielfältigen Weisheit (vgl. Eph 3,10), die sich in der Vielfalt der Schöpfung, in der Vielgestaltigkeit des Kosmos abbildet. Hier liegt das Urbild des „Reiches Gottes”, in dem Einheit und Vielfalt keinen Gegensatz bilden, sondern sich bedingen. Die Theologiegeschichte spricht zur Verdeutlichung dieses Lebensinhaltes Gottes von den göttlichen „Ideen”, die nicht als bloße Gedankengebilde missverstanden werden dürfen, sondern Ausdruck dessen sind, was Gott als Gott ist.

Damit werden wir ein letztes Mal dazu geführt, den „Anfang vor dem Anfang” in Gott, dem Schöpfer, zu transzendieren:

– Zum einen ist hinzuweisen auf den Vater, der von den Kirchenvätern in Ost und West als der Anfang, die Kraft der Ursprungs bezeichnet wird, der im Sohn und im Heiligen Geist seine Selbstoffenbarung

2 Gerhard Lohfink, Braucht Gott die Kirche?, Freiburg u.a. 1998, 13‐70.

3 Vgl. Gilles Emery, La Trinité creátrice. Trinité et création dans les commentaires aux Sentences de Thomas d’Aquin et de ses précurseurs Albert le Grand et Bonaventure, Paris 1995.

4 Vgl. Heribert Mühlen, Una mystica persona. Die Kirche als das Mysterium der heilsgeschichtlichen Identität des Heiligen Geistes in Christus und den Christen: Eine Person in vielen Personen, München u.a. 1968.

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hervorbringt, ohne dass darin ein zeitliches oder qualitatives Nacheinander läge. Eine „Theologie des Vaters” spricht vom „Anfang im göttlichen Anfang”. Ohne diesen lebendigen Bezug zum Vater, den Jesus immer wieder im Gebet, in Wort und Tat bekundet, geht die Tiefendimension seiner Sendung verloren.

Nicht  zu  ihm  lehrt  er  uns  beten,  sondern  mit  ihm  zum  Vater  in  der  Kraft  des  Heiligen  Geistes.  Er bestimmt seinen Auftrag, ja sich selbst, ganz und gar aus der Beziehung zum Vater, und die Theologie darf diese Beziehung nicht unterschlagen. Wir neigen dazu, „Jesus” und „Gott” zu sagen, statt z.B. „Jesus der Sohn” (wahrer Gott!) und „Gott der Vater”:

Jesus aber sagte zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, wenn er den Vater etwas tun sieht. Was nämlich der Vater tut, das tut in gleicher Weise der Sohn. (Joh 5,19).

– Zum zweiten ist hinzuweisen auf das ewige Gott‐sein Gottes, das nicht einfach identisch ist mit der Person des Vaters, sondern das die Lebensfülle umschließt, die Inhalt seiner personalen Selbstoffenba‐

rung im Sohn und im Geist ist, in geschöpflicher Gestalt mitgeteilter Inhalt auch des Kosmos und der Kirche in ihr. Die Kirche offenbart nicht nur eine Ethik des Umgangs mit den Wirklichkeiten dieser Schöp‐

fung, sondern sie offenbart das, was die gesamte Wirklichkeit ihrem Wesen nach ist: gute Schöpfung Gottes, berufen zur Teilnahme an der Fülle seines ewigen Lebens. Die Kirche ist daher – wie es in der Apostelgeschichte berichtet wird – nicht nur eine Gemeinschaft von Herz und Seele, sondern auch eine Gemeinschaft von Hab und Gut. Sie ist eine Gemeinschaft der „Spiritualität”, indem sie zugleich eine Gemeinschaft der „Ökonomie” und der „Ökologie” ist: des rechten Umgangs mit der gesamten Schöp‐

fung. Als Antwort auf die Frage: Was ist Kirche?, ließe sich wiederum kurz sagen: Kirche ist die Heils‐

ökonomie  –  die  dem  Menschen  anvertraute  Schöpfung,  insofern  sie  von  ihrem  Ursprung  her  die Berufung zur neuen Schöpfung im Leben Gottes in sich trägt.

– Wir können gleichsam noch einen Schritt – zwar nicht denken, aber erahnen, indem wir uns klar machen, dass unser Wort „Gott” bereits ein Beziehungswort ist, das eine geschöpfliche Antwort auf die Selbstoffenbarung Gottes in unserer Geschichte darstellt. Die jüdische Tradition, die den Namen Gottes mit Schweigen umhüllt, und die theologische Tradition der apophatischen Theologie versuchen in der Theologie selbst Raum zu lassen für das Geheimnis Gottes, das all unsere Worte und uns erkennbaren Anfänge unaussprechlich übersteigt. Es ist dies der Verweis an die absolute Unvordenklichkeit Gottes, die nicht im Gegensatz zu seiner unbedingten Zuwendung steht, sondern ihre unverfügbare Priorität kundgibt. Es geht dabei nicht um einen nicht offenbarten, verborgenen „Teil” Gottes, wie Luther später meinte5, sondern um ein Schweigen, das Quelle all unserer Worte ist:

Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da sprang dein all‐

mächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron herab als harter Krieger mitten in das dem Verderben geweihte Land (Weish 18,14f.).

Gerhard Lohfink betont, dass diese unvordenkliche Unverfügbarkeit Gottes Israels Gottesbekenntnis von dem Bekenntnis der umliegenden Völker unterscheidet. Während diese Völker in einem sehr harmo‐

nischen Einklang mit ihrer jeweiligen Götterwelt leben können, weil sie in ihren Göttern ihre Lebenswelt religiös überhöht haben, befindet sich Israel im permanenten Aufstand gegen seinen Gott: 

„Unglaube und Treulosigkeit kann es überhaupt nur dort geben, wo ein Volk in seiner Geschichte auf den wahren Gott und dessen Willen gestoßen ist [...] Wir stoßen hier ganz unmittelbar auf den Unterschied zwischen Religion und Glauben. Religion bedarf keines Glaubens [...] Die Religion sucht die Interessen des Menschen zu befriedigen; der Glaube fragt nach den Interessen Gottes, weil er erfahren hat, dass Gott nichts anderes will als das Heil der Welt [...] Der religiöse Mensch sorgt sich um sich selbst; der Glaubende fragt nach der Sorge Gottes”.6

Die Kette der Anfänge, denen wir nachgegangen sind, führt uns nicht immer weiter weg von unserer Gegenwart,  wie  das  bei  einer  Kette  von  Kausalursachen  der  Fall  wäre,  deren  Einwirkung  immer

5 Vgl. Luthers Unterscheidung zwischen dem deus absconditus und dem deus revelatus.

6 Lohfink, a.a.O., 122f.

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schwächer  und  indirekter  wird.  Diese  Anfänge  sind  gegenwärtig.  Die  göttliche  Kraft  des  Ursprungs behauptet sich nicht gegen die Schöpfung, sondern teilt sich ihr mit. Deshalb steht sie auch nicht im Gegensatz  zu  unserem  Anfangen‐können,  sondern  ist  dessen  Ermöglichungsgrund.  Wenn  wir  das Zusammenspiel der „Anfänge” betrachten, fällt auf:

– Der „Rückgang”, den wir gerade vollzogen haben, kann und muss eigentlich bleibend gegenläufig,

„nach vorne”, in die Zukunft Gottes hinein gelesen werden: keine historisierende Rekonstruktion der Vergangenheit, sondern eine lebendige Quelle bleibender Ursprünglichkeit. Die Kraft des Anfangs bringt sich weiterhin zur Geltung: Von Anfang an übt Gott seine Schöpferkraft nicht von außen an dieser Welt aus, sondern legt sie in sie hinein. Er schafft die Tiere nicht selbst, sondern es heißt in Gen 1,24f.: 

Die Erde bringe alle Arten von lebendigen Wesen hervor, von Vieh, von Kriechtieren und von Tieren des Feldes. Und so geschah es. Gott machte alle Arten von Tieren ... 

Gott rettet nicht von außen die Menschheit von ihrer selbstverschuldeten Abwendung von der ge‐

schenkten heilen Schöpfung, sondern bereitet sich ein Volk, aus dessen Mitte der Erlöser hervorgeht, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt. Wir dürfen und müssen geradezu beginnen, auf die Geschichte der Kirche nicht länger zurückzuschauen, sondern sie vorwärts zu schreiben.

– Auf diesem Wege gilt dasselbe, was wir bereits im Alten Testament gesehen haben: Universalität und Konkretheit sind keine Gegensätze: In Maria geschieht das Ganze: die Geburt Gottes aus der Schöpfung.

In Jesus von Nazareth ist das Ganze des Heils Gottes gegenwärtig. In der Kirche als „Teil” der Schöpfung ist  die  ganze  heile  Schöpfung  angebrochen.  Auch  der  Verhältnis  zwischen  Schöpfer  und  Schöpfung mündet in eine staunenerregende Umkehrung: Gott bringt die Schöpfung hervor, die Schöpfung wird in Maria zur Geburt Gottes befähigt. Wir sind in der Hand Gottes, und niemand kann uns Seiner Hand entreißen (Joh 10,28f.), aber es gilt auch: Gott gibt sich in Jesus Christus durch die Eucharistie in unsere Hand ...

Als neutestamentliche Grundlegung der Ekklesiologie im weiten Horizont zwischen Schöpfung und Neuschöpfung bietet sich das lukanische Doppelwerk von Lukas‐Evangelium und Apostelgeschichte an.

Hier wird die Geschichte Jesu Christi in Bezug gesetzt zur Geschichte der Kirche. Die Himmelfahrt Jesu Christi verbindet beide Bücher, indem sie einerseits den Abschluss des Lukas‐Evangeliums, andererseits den Beginn der Apostelgeschichte bildet und dort zum Pfingstgeschehen überleitet.

Es ist in der Exegese bekannt, dass das Lukas‐Evangelium und die Apostelgeschichte als ein Doppel‐

werk  betrachtet  werden  müssen,  das  den  Zusammenhang  zwischen  dem  Christusereignis  und  der anfanghaften Entfaltung der Kirche darstellt. Die Apostelgeschichte aber beginnt – noch vor dem Bericht über das Pfingstereignis – mit einem Dialog Jesu mit seinen Jüngern, die zwar dem Auferstandenen begegnet sind, aber vom Sinn der Geschehnisse noch nichts begriffen haben:

Beim gemeinsamen Mahl gebot er ihnen: Geht nicht weg von Jerusalem, sondern wartet auf die Verheißung des Vaters, die ihr von mir vernommen habt. Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber werdet  schon  in  wenigen  Tagen  mit  dem  Heiligen  Geist  getauft.  Als  sie  nun  beisammen  waren, fragten sie ihn: Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her? Er sagte zu ihnen: Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat. Aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde (Apg 1,4‐8). 

Bis in den Wortlaut hinein besteht eine Parallele zu Lk 1,35:

Der Engel antwortete ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden.

Nimmt das geschichtliche Leben seinen Anfang in der Geistsendung zu Maria, so hat der vollendete Leib Christi, die erlöste Menschheit, die neue Schöpfung, seinen Ursprung in der Geistsendung auf die Jünger.

Wie Maria vom Geist Gottes befähigt wird, Mutter Jesu zu sein, so wird die im Heiligen Geist kon‐

stituierte Gemeinschaft der Kirche befähigt, „Mutter”, geschichtlicher Ursprung der in Christus voll‐

endeten Schöpfung zu werden. In Herders Theologischem Kommentar zum Neuen Testament findet sich der Hinweis: 

(7)

„Die Verbindung [eperchomai epi] kommt im NT nur bei Lukas vor, Lk 1,35 und Apg 1,8 vom Kommen des Geistes; eine beabsichtigte Korrespondenz beider Aussagen ist nicht auszuschließen”.7 Hier müsste jetzt eine sorgfältige Exegese einsetzen, die wir nur als Auftrag formulieren können. Auf jeden Fall sagen uns die exegetischen Werke, dass Apg 1,8 als „Programmsatz” zu verstehen ist und der Dreiteilung  der  Apostelgeschichte  entspricht:  „Jerusalem  –  Judäa  und  Samaria  –  ‚bis  ans  Ende  der Erde’”.8 Daraus ergibt sich folgende Einteilung des gesamten Buches:

Einleitung: 1,1‐26

I. Das Christuszeugnis der Apostel in Jerusalem: 2,1‐5,42

II. Das Christuszeugnis nimmt seinen Weg zu den Heiden: 6,1‐15,35 III. Das Christuszeugnis auf dem Weg „bis ans Ende der Erde”: 15,36‐28,31.

Als „Grundzüge einer ‚Theologie’ der Apostelgeschichte” sagt Gerhard Schneider:

„Es geht dabei um den Zeugenauftrag ‚bis ans Ende der Erde’. Doch ist damit nicht nur ein Auftrag gegeben,  sondern  zugleich  eine  entscheidende  Verheißung  ausgesprochen.  Das  Zeugnis  der Christuszeugen wird – über Rom hinausgehend (28,30f) – das Ende der Erde tatsächlich erreichen.

Zugleich wird deutlich, dass Geistempfang und weltweites Zeugnis in gewisser Hinsicht an die Stelle der von den Jüngern erwarteten sofortigen ‚Aufrichtung des Reiches für Israel’ (1,6) treten. Das Auftrags‐  und  Verheißungswort  an  die  Apostel,  das  für  den  Inhalt  der  Apostelgeschichte  von grundlegender Bedeutung ist, antwortet somit indirekt auf die eschatologische Frage. Zwar ist nicht von der ‚Parusie’ die Rede. Doch steht die Frage nach dem Parusietermin hinter der Jüngerfrage von 1,6 und der Antwort Jesu in 1,7f. Die Terminfrage wird ausdrücklich zurückgewiesen. Apg 1,11 hält an der künftigen Parusie fest, sagt aber den Augenzeugen der Himmelfahrt gerade nicht zu, dass sie selbst den zur Parusie kommenden Christus sehen werden. Die am gewichtigen Eingang des Buches gewonnenen Beobachtungen zeigen, dass mit dem eschatologischen Problem die ‚heilsgeschicht‐

liche’ Konzeption des Evangelisten engstens verknüpft ist. Denn was die Apostelgeschichte erzählen will, ist die Erfüllung des Auftrags Jesu durch seine Zeugen. Zugleich will sie aufweisen: Die Verhei‐

ßung des Auferstandenen ging so weit in Erfüllung, dass dem Leser ihre endgültige Erfüllung gewiss sein kann”.9

Die  Kirche  ist  der  Eintritt  in  das  Geistzeugnis  Jesu.  Die  Apostelgeschichte  ist  eine  der  besten  Ein‐

führungen in die Ekklesiologie.

7 Gerhard Schneider, Die Apostelgeschichte, 1. Teil, Freiburg u.a. 1980, 202, Anm. 37.

8 Ebd. 66.

9 Ebd. 135.

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Credo Ecclesiam. Die notae ecclesiae im Glaubensbekenntnis10

Die notae ecclesiae sind eines der traditionellsten Themen der Ekklesiologie. Fast in jeder Ekklesiologie findet sich ein Kapitel dazu, auch im Handbuch der Fundamentaltheologie, hier unter dem Aspekt der Glaubwürdigkeit der Kirche.11 Aber kaum ein Kapitel ist so gefährdet, eine routinemäßige Pflichtübung mit einigen aktuellen kirchenpolitischen Einlagen zu werden.

1. Der Sitz im Leben der notae ecclesiae

Bevor die notae ecclesiae zum Handbuchkapitel werden, haben sie ihren Platz im Glaubensbekenntnis der Kirche, dem „Credo”.12 Das Glaubensbekenntnis hat einen Sitz im Leben, der nicht identisch ist mit dem  sachlichen  Inhalt  des  Bekenntnisses.  Jeder  atheistische  Literaturwissenschaftler  wird  uns  also sagen: Wenn Sie analysieren wollen, was es bedeutet, dass die Kirche die eine, heilige, katholische und apostolische ist, dann können Sie nicht davon absehen, dass als „Vorzeichen” vor dem gesamten Text steht: „ich glaube”. Aber was bedeutet dieses Vorzeichen? Auch diese Formel „ich glaube” ist ja noch nicht der Sitz im Leben, sondern dieser Sitz im Leben ist die Situation des Bekenntnisses, der status confessionis: 

„Der Übergang von  der fides qua creditur (dem Glauben) zur fides quae creditur (den Bekennt‐

nissätzen) geschieht, obwohl logisch notwendig, keineswegs automatisch. Bekenntnis gibt es nur in statu confessionis, wenn ein Bekenntnis dessen, was man glaubt, durch innere oder äußere Um‐

stände nötig wird”.13

Der status confessionis tritt nicht etwa nur im Extremfall ein, wie Dietrich Bonhoeffer es für die „Beken‐

nende  Kirche”  im  Dritten  Reich  einfordert,  sondern  hat  seinen  Platz  im  Normalfall  des  kirchlichen Lebens. Ich nenne einige Orte, an denen das exemplarisch sichtbar wird:

a. Bekenntnisformulierungen im Neuen Testament:

Die Exegese sagt uns, dass die geprägten Bekenntnisformulierungen vermutlich Akklamationen waren und ihren Ort im Gebet, im Lob Gottes, in der Stiftung und Bekräftigung der gläubigen Gemeinschaft hatten. Ich hebe eine besonders prägnante Stelle hervor:

Denn wenn du mit deinem Mund bekennst: ‚Herr Jesus’ und mit deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat, wirst du gerettet werden (Röm 10,9).

Die Parallelstellen 1 Kor 12,3 und Phil 2,11 belegen, dass es sich bei der Wortfolge „Herr [ist] Jesus”, kyrios Iesus, Dominus Iesus, vermutlich um eine feststehende Formulierung handelt. Wichtig ist der Übergang  vom  Glauben  zum  ausdrücklichen  Bekenntnis,  der  enge  Bezug  zur  Auferstehung  und  die soteriologische Perspektive. Das Wort homologein oder homologia ist ein Wort der Rechtssprache, und

„bezeichnet eine verbindliche, öffentliche Erklärung, durch die ein Rechtsverhältnis vertraglich her‐

gestellt wird”.14 1 Kor 12,2f. macht die Quelle dieses Bekenntnisses deutlich: 

Als ihr noch Heiden wart, zog es euch, wie ihr wisst, mit unwiderstehlicher Gewalt zu den stummen Götzen. Darum erkläre ich euch: Keiner, der aus dem Geist Gottes redet, sagt: Jesus sei verflucht! Und keiner kann sagen: Jesus ist der Herr!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet.

Das Heidentum, die Unkenntnis über den wahren Gott, macht stumm – mitten in allem Geplapper der vielen Worte. Mein Doktorvater Erwin Iserloh sagte häufig anhand ganz konkreter Anlässe, wenn es galt,

10 Vgl. Hermann‐Josef Vogt, Bilder der frühen Kirche. Bildworte der Bibel bei den Kirchenvätern. Kleine Geschichte des Credo, München 1993.

11 Vgl. Handbuch der Fundamentaltheologie, Bd. 3: Traktat Kirche, hg. v. Walter Kern / Hermann J. Pottmeyer / Max Seckler, Freiburg u.a. 1986, 218‐225.

12 Vgl. den ausführlichen Artikel „Glaubensbekenntnis(se)”, in: TRE 13 (1984) 384‐446.

13 Ebd. 437.

14 Ebd. 400.

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etwas  richtig  zu  benennen,  z.B.  was  wir  gerade  Gutes  essen:  „Man  muss  den  Logos  in  den  Dingen erlösen!” Das hat mir immer großen Eindruck gemacht. Der Mensch ist inmitten aller Mittel der Sprache wie ohnmächtig und gefesselt, wenn er nicht den Logos der Dinge, seiner selbst, der Welt, wenn er nicht den Namen Gottes kennt. Das wird auch im interreligiösen Dialog völlig unterschätzt, wenn unterstellt wird, es sei egal, mit welchen Namen wir Gott bezeichnen. Wie also wird uns das rechte Bekenntnis möglich? Im Heiligen Geist und nur im Heiligen Geist, d.h. wiederum im Glauben, insofern der Glaube die vom Geist gewirkte Verbundenheit mit Jesus Christus und der Anteil an seinem göttlichen Leben ist.

Eine der verdichteten Erscheinungsformen des „Wortes” ist das Bekenntnis. Es enthält in sich die ganze sakramentale Dichte des göttlichen Logos, der in Jesus Christus Fleisch geworden ist: Das „Wort”

ist  geradezu  die  innere  Gestalt  der  Kirche.  Wie  ein  Refrain  durchzieht  die  Apostelgeschichte  die resümierende Aussage: 

Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger in Jerusalem wurde immer größer (6,7). 

Das Wort des Herrn aber wuchs und breitete sich aus (12,24). 

So wuchs das Wort des Herrn mit Macht und wurde stark (19,20). 

Hier kann das „Wort” nicht im rein intellektuellen Sinne gemeint sein, sondern es ist Teilhabe am Zeugnis Jesu Christi, des Auferstandenen, des Wortes Gottes, durch den Heiligen Geist. In diesem Sinne kann der apostolische Dienst als ministerium verbi bezeichnet werden (Apg 6,4), was keineswegs nur „Predigen”

heißt. Dass dieses „Wort” sich immer wieder gestalthaft und bekenntnishaft verdichtet, klingt in Röm 9,28 an, wo vom verbum abbreviatum die Rede ist – ein Ausdruck, der in der Geschichte der christlichen Hermeneutik und Frömmigkeit immer neu aufgegriffen wird, z.B. von der Gesellschaft Jesu, die ihre eigene Berufung der Nachfolge des kreuztragenden Christus als verbum abbreviatum betrachtet.

b. Taufbekenntnis: 

Der Artikel „Glaubensbekenntnis” in der Theologischen Realenzyklopädie steht mit guten Belegen der vertrauten Idee skeptisch gegenüber, das Glaubensbekenntnis in der uns vertrauten Gestalt sei aus dem früh  entwickelten,  einheitlich  geprägten  Taufbekenntnis  hervorgegangen.  Die  Taufe  war  sicher  ein herausgehobener status confessionis, aber sie ließ die ganze Vielfalt der biblisch bezeugten Bekenntnis‐

gestalten zu. Der spätere Einschub in der Apg 8,37 könnte Zeugnis davon geben, gerade weil er nicht auf eine feste Formel hindeutet: 

Als sie nun weiterzogen, kamen sie zu einer Wasserstelle. Da sagte der Kämmerer: Hier ist Wasser.

Was steht meiner Taufe noch im Weg? [Da sagte Philippus zu ihm: Wenn du aus ganzem Herzen glaubst, ist es möglich. Er antwortete: Ich glaube, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist.] Er ließ den Wagen halten, und beide, Philippus und der Kämmerer, stiegen in das Wasser hinab, und er taufte ihn (Apg 8,36‐38). 

Erst die Zeit der werdenden Reichskirche nach der Anerkennung des Christentums als religio licita habe zur Ausbildung fester Bekenntnisformulierungen geführt: aufgrund der nun möglichen und nötigen Katechese und vor allem aufgrund der ausbrechenden Glaubensstreitigkeiten. Jedenfalls verweist der Singular des Credo bleibend auf ein individuelles Bekenntnis hin, das seinen Ursprung im Taufbekenntnis haben könnte.

c. Das Credo in der heiligen Messe: 

Ebenso spannend wie tragisch wird es, wenn wir das Credo in seinem „Sitz im Leben” in der heiligen Messe  ernstnehmen.  Blättern  Sie  einmal  liturgiewissenschaftliche  Werke  durch.  Im  Handbuch  der Liturgiewissenschaft überwiegt im Band „Eucharistie”15 eher die Skepsis: Das Credo sei eigentlich eine 

„Dublette  des  Hochgebetes:  Es  rekapituliert  in  bekenntnishafter  Form  die  Grundgeheimnisse  des Glaubens, die in der Form des lobpreisenden Dankens den Inhalt des Hochgebetes ausmachen. Im Sinne

15 Hans Bernhard Meyer, Eucharistie. Geschichte, Theologie, Pastoral (= Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft, Bd. 4), Regensburg 1989.

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einer  Glaubensantwort  auf  das  verkündete  Gotteswort  fügt  sich  das  Credo  einigermaßen  in  die dialogische Struktur des Wortgottesdienstes ein, obwohl es formal nicht unproblematisch ist”.16

Einhellig ist die Zuordnung des Credo zum Wortgottesdienst als dessen Abschluss. Empfohlen wird, ein Glaubenslied zu singen oder jedenfalls lieber das Apostolische Glaubensbekenntnis zu benutzen als das nizänische, das zu dogmatisch‐lehrhaft sei. Ohne das Credo würden die Fürbitten besser an Lesungen und Homilie anschließen.17 Das Credo als Störfaktor? Die Liturgiereform scheint dieser Meinung recht zu geben und reduziert das Credo auf immer weniger Feiern.18 Im Kommentar von Emil Joseph Lengeling zur Allgemeinen Einführung ins Messbuch heißt es: „Es entspricht dem literarischen Genus des Credo weniger, den Text zu singen”.19 Das „Kirchenmusikalische Handbuch” über „Die Messe” von Harald Schützeichel hält ein Credo‐Lied eher für bedenklich, weil „hier der Bekenntnistext um wesentliche Glaubensinhalte verkürzt wird”20, polemisiert aber v.a. gegen die großen Choraufführungen, in denen das Credo ja schon wegen seiner Länge häufig den kompositorischen Höhepunkt darstellt: „aus dem Taufbekenntnis  der  Gemeinde  ist  eine  musikdramatische  Anamnese  der  Heilsgeschichte  mit  dem Mysterium Christi geworden”.21 

Am hilfreichsten ist wieder einmal das gute alte Werk von Jungmann, Missarum sollemnia, der daran erinnert, dass in der östlichen Tradition das Credo nicht etwa den Abschluss des Wortgottesdienstes, sondern den Beginn der Eucharistiefeier bildet: 

„Da  das  Symbolum  unter  der  Arkandisziplin  stand,  ist  es  nicht  zufällig,  dass  die  Entlassung  der Katechumenen, von der die Formel in den östlichen Riten meist heute noch an ihrer Stelle erhalten ist, vorausgehen musste”.22 

Das Credo ist also eine Art Privileg der Getauften, die Grundlage der ganzen eucharistischen Feier. Das ist um so bedeutsamer, als das Credo im byzantinischen Bereich sehr viel gewichtiger und konstitutiver mit der Liturgie verbunden ist. Bereits unter Patriarch Timotheus von Konstantinopel (511‐517) wird verordnet, dass das Symbolum bei jeder Messfeier gebetet werden soll. Bis heute sind Credo und Vater unser die Teile der byzantinischen Liturgie, die vom ganzen Volk gebetet bzw. gesungen werden. Zur Zeit Karls des Großen galt im fränkischen Reich, dass „alle Gläubigen das einfache Apostolische Glaubens‐

bekenntnis  in  der  Volkssprache  hersagen  konnten”.23  Auch  Jungmann  konstatiert  die  strukturelle Verwandtschaft zwischen dem Credo und dem Hochgebet: 

„Denn auch das priesterliche Eucharistiegebet will nichts anderes als in der Form des Dankes die Tatsachen  der  göttlichen  Heilsgeschichte  und  Heilsordnung  überschauen,  die  wir  im  Glauben umfassen, so sehr, dass auch dafür Namen wie praedicatio, contestatio und sogar exomologēsis erscheinen, die ohne weiteres dem Glaubensbekenntnis zukommen könnten, wie man umgekehrt auch das Glaubensbekenntnis als eucharistia bezeichnet hat”.24

Wir können auf diesem Hintergrund damit rechnen, dass die Uneindeutigkeit beim „Sitz im Leben” des Credo auf die Deutung der notae ecclesiae Rückwirkungen hat: Wenn die Kirche als Bekenntnissubjekt nicht gegeben ist, verliert die Kirche als Bekenntnisinhalt ihren Boden.

2. Die Kirche als Subjekt und Inhalt des Bekenntnisses

16 Ebd. 338.

17 Ebd. mit Anm. 81.

18 Vgl. AEM 43f.

19 Emil Joseph Lengeling. Die neue Ordnung der Eucharistiefeier. Allgemeine Einführung in das Römische Messbuch. Endgültiger lateinischer und deutscher Text. Einleitung und Kommentar, Münster (1970) 1972, 43.‐

44.20

Harald Schützeichel, Die Messe. Ein kirchenmusikalisches Handbuch, Düsseldorf 1991, 84.

21 Ebd.

22 Josef Andreas Jungmann, Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der Römischen Messe, 2 Bde, Wien 1952, Bd. I, 599.

23 Ebd. Bd. I, 603.

24 Ebd. Bd. I, 605; verwiesen wird auf Pseudo‐Dionysius, De ecclesiastica hierarchia III, 3,7.

(11)

Die eher exegetischen und liturgiehistorischen Überlegungen gehen Hand in Hand mit ekklesiologischen Interpretationen des Credo. Zunächst fällt auf, dass das Credo einer der wenigen Orte ist, an denen wir in der Liturgie „ich” sagen. „Ich glaube”. Voraus geht das „Ich bekenne” des Schuldbekenntnisses. Das

„Ich bin nicht würdig ...” nimmt das „ich” in Gestalt einer biblischen Anspielung auf.

Wer aber ist dieses „Ich”? Wenn wir die biblischen Bekenntnistexte ernst nehmen, dann kann dieses Ich  nie das isolierte Individuum sein, sondern nur das Ich im Heiligen Geist, das der intellektuellen Vergewisserung entzogen bleibt. Deshalb hat Emmanuel Lévinas Recht, wenn er es eine unerhörte Anmaßung nennt, „das Verb ‚glauben’ in der ersten Person Singular Indikativ Präsens zu gebrauchen”.25 Glauben kann ein Ich nie und nimmer für sich allein:

„Wir reden von Glauben. Wir sagen: ‚Ich glaube an Gott.’ Wo aber findet sich dieser Glaube in seiner Fülle? Wo wird diese Formel ihrem Vollbegriff nach verwirklicht? Welches ist das Subjekt, das stets mit der gleichen, unteilbaren Sicherheit, dem gleichen Selbstvertrauen sagen kann: ‚Ich glaube an Gott’? Und, weil Gott – Vater, Sohn und Heiliger Geist – nur erkannt wird in Jesus Christus, seinem wesenhaften Wort: Wer kann auf die gleiche Weise sagen: ‚Ich glaube an Jesus Christus’? [...] Das Ich, das an Jesus Christus glaubt, kann kein anderes sein als die Kirche Jesu Christi. ‚Confessio fidei traditur in symbolo, quasi ex persona totius Ecclesiae, quae per fidem unitur’” – so formuliert Henri de Lubac.26

Schon im Alten Testament wird im Hinblick auf die Psalmen (die ja nicht zuletzt auch Bekenntnistexte sind oder zumindest enthalten) deutlich, dass sie vielfach eine „Gesamtperson” als den eigentlichen Träger des Gebetes annehmen. Maria steht mit ihrem Magnificat ganz in dieser Tradition. „Ich glaube”

kann ich eigentlich nur sagen mit dem Zusatz: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben”, schenke mir den Geist, der mich glaubend mit der Gottesbeziehung Jesu Christi verbindet. „Herr, schau nicht auf unsere Sünden, sondern auf den Glauben Deiner Kirche ...”, so wird der Friedensgruß in der Liturgie eingeleitet.

Wenn es das glaubende Ich, die Kirche – verwirklicht in Maria und den vollendeten Heiligen, verwirklicht auch in uns selbst, insofern Christus seinem Handeln an uns in der Taufe treu bleibt – nicht schon gäbe, dann bliebe unser Bekenntnis Schall und Rauch. Deshalb ist auch das Credo nicht nur eine Auflistung von Glaubensinhalten, die wir mit unserem Ablesen ratifizieren, sondern es ist wahrhaft ein Gebet, ein Gotteslob. Der Beginn „Ich glaube” (im Apostolischen Glaubensbekenntnis) hebt dabei die unvertretbar persönliche Verantwortung hervor, der Anfang  „Wir glauben” (im Nizäno‐Konstantinopolitanischen Bekenntnis) den unerlässlich gemeinschaftlichen Charakter des Bekenntnisses. Das „Wir” meint dabei nicht nur die gerade zufällig Anwesenden, sondern die gesamte große Gemeinschaft der Kirche, die der Heilige Geist als Leib Christi sammelt. Das Ich des Credo in der Liturgie ist das Ich der Kirche, insofern sie sich in der Einzelperson realisiert. Im Gebet des Credo vollzieht sich die Verkirchlichung des Ich – immer in der Spannung zwischen dem Glaubensbekenntnis und dem Eingeständnis: „Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben”.

3. Das Credo als Ort des Hervorgangs der Theologie aus dem Glauben

Eine kleine Rückblende in die Geschichte:

„Der heilige Kaiser Heinrich II. wurde 1014 zu Rom in der Peterskirche gekrönt. Danach fand das Mittagsmahl im Triclinium des päpstlichen Lateranpalastes statt, dessen Apside heute noch steht.

Nach  großen  liturgischen  Funktionen  spricht  man  von  der  Liturgie.  So  auch  damals.  Der  Kaiser wandte sich an den Papst und fragte: Warum denn bei der Krönungsmesse das Credo gefehlt habe?

– Vermutlich erinnerte sich Kaiser Heinrich an seine Aachener Königskrönung 1002. Papst Benedikt VIII.  war  verlegen.  Der  noch  junge  Spross  einer  römischen  Adelsfamilie  war  nicht  sicher  in  den

25 Vgl. Emmanuel Lévinas, Zwischen uns. Versuche über das Denken an den anderen, München – Wien 1995, 76.26

Henri de Lubac, Credo ecclesiam, in: Jean Daniélou / Herbert Vorgrimler (Hg.), Sentire ecclesiam. Das Bewusstsein von der Kirche als gestaltende Kraft der Frömmigkeit (Festschrift Hugo Rahner), Freiburg u.a.

1961, 13‐16, hier: 14; zit. wird: Thomas von Aquin, STh II‐II, 1,9 ad 3.

(12)

Rubriken. Er wandte sich an seine geistlichen Herren. Die Prälaten erklärten ohne Zögern: Das hängt sicher damit zusammen, dass die römische Kirche allzeit im wahren Glauben treu blieb; deshalb braucht sie kein Credo zu bekennen! – Man kann sich bei diesem ‚Gipfelgespräch’ über Liturgie des Lächelns nicht erwehren”.27

Was hier sehr narrativ anschaulich erzählt wird, ist tatsächlich den historischen Quellen entnommen.

Das Credo wird im Westen verbindlich in die Heilige Messe eingefügt aufgrund der Initiative Heinrichs II. 1014. Dieses Datum geht um wenige Jahre der Entstehung der Theologie in der Gestalt der fides quaerens intellectum voraus: Anselm von Canterbury wird 1033/34 geboren.

So lässt sich die These aufstellen, dass das Credo der Ort für den Hervorgang der Theologie aus dem Glauben der Kirche darstellt. Sicher ist das Glaubensbekenntnis selbst nicht einfach Theologie, sondern es wird zum Gegenstand theologischer Auslegung. Das Subjekt des Bekenntnisses und das Subjekt der Auslegung aber sind identisch: es ist die Gemeinschaft derer, die den Geist Gottes empfangen haben:

Wir verkündigen, wie es in der Schrift heißt, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.

Denn uns hat es Gott enthüllt durch den Geist. Der Geist ergründet nämlich alles, auch die Tiefen Gottes. Wer von den Menschen kennt den Menschen, wenn nicht der Geist des Menschen, der in ihm ist? So erkennt auch keiner Gott ‐ nur der Geist Gottes. Wir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott stammt, damit wir das erkennen, was uns von Gott geschenkt worden ist. Davon reden wir auch, nicht mit Worten, wie menschliche Weisheit sie lehrt, sondern wie der Geist sie lehrt, indem wir den Geisterfüllten das Wirken des Geistes deuten. Der irdisch gesinnte Mensch aber lässt sich nicht auf das ein, was vom Geist Gottes kommt. Torheit ist es für ihn, und er kann es nicht verstehen, weil es nur mit Hilfe des Geistes beurteilt werden kann. Der geisterfüllte Mensch urteilt über alles, ihn aber vermag niemand zu beurteilen. Denn wer begreift den Geist des Herrn? Wer kann ihn belehren? Wir aber haben den Geist Christi (1 Kor 2,9‐16). 

Dem entspricht die liturgiegeschichtliche und liturgietheologische Feststellung, dass das Credo immer von Priester und Volk gemeinsam gebetet wird. Dass das Credo eine Art vorausgenommene Verdoppe‐

lung des Hochgebetes darstellt, wirft nur um so stärker die Frage auf, warum wir nicht das Glaubens‐

bekenntnis als „Hochgebet des Volkes Gottes” und notwendiges Fundament des priesterlichen Hoch‐

gebetes betonen, statt darüber zu streiten, ob Laien Teile des Hochgebetes rezitieren dürfen. Auf diesem Hintergrund wirken die verständnislosen Bemerkungen über den lehrhaft‐dogmatischen Charakter des nizäno‐konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses fragwürdig: Zeigt sich darin nicht die tragische Kluft zwischen dem mangelhaft geschulten Glaubensbewusstsein des Gottesvolkes und der zur Spezial‐

wissenschaft degenerierten wissenschaftlichen Theologie? Es ließe sich die These aufstellen, dass der Stellenwert  des  Credo  in  der  Liturgie  eine  Art  Gradmesser  für  das  Verhältnis  zwischen  Glaube  und Theologie darstellt.

4. Die Doppelfunktion des Credo

Schon in Bezug auf das Neue Testament betont der zitierte Artikel der Theologischen Realenzyklopädie, dass  das  Bekenntnis  eine  doppelte  Funktion  hat:  Es  ist  auf  der  einen  Seite  Zeugnis  der  gläubigen Konstitution kirchlicher Gemeinschaft: In diesem Sinne hat es positiv aufbauenden Charakter und lässt eine Vielfalt der Bekenntnisgestalten zu. Auf der anderen Seite dient es der Abgrenzung von Anders‐

gläubigen: In dieser Hinsicht hat es negativ abgrenzenden Charakter und tendiert zur Einförmigkeit der Bekenntnisformulierung  und  zur  „Konfessionalisierung”.  Das  Verhältnis  dieser  Aspekte  zueinander ändert sich im Laufe der Glaubensgeschichte erheblich: Steht in den Texten der Heiligen Schrift und in der vorkonstantinischen Kirche das Bekenntnis als Konstitution kirchlicher Gemeinschaft im Vorder‐

grund, so wird der negativ abgrenzende Charakter des Bekenntnisses im Laufe der Geschichte immer stärker. In der Nachreformationszeit ist die „Konfession” geradezu das identitätsstiftende Element gegen die andere Konfession. Wir sprechen vom Zeitalter der Konfessionalisierung. Die Konfessionalisierung

27 Theodor Schnitzler, Was die Messe bedeutet. Hilfen zur Mitfeier, Freiburg u.a. 1976, 107.

(13)

im Westen bringt die Versuchung mit sich, Glaubensformeln und Glaubensidentität miteinander zu identifizieren, während im Bereich der Orthodoxie das Wissen darum besteht, dass gerade das Wichtigs‐

te im Geheimnis des Glaubens ungesagt, ja unsagbar bleibt.

5. Die Prozesshaftigkeit der Entfaltung des Bekenntnisses

Wenn wir den Sitz im Leben des Credo berücksichtigen, dann steht die Interpretation der notae ecclesiae in diesem Credo in einem doppelten Bezugsrahmen:

– Die Kennzeichen der Kirche sind zu deuten in der Spannung zwischen ihrem Charakter als Geschenk Gottes, dem wir durch das „Bekenntnis” als Lobpreis Gottes gerecht werden, und der menschlichen Unzulänglichkeit  in  der  Annahme  dieser  Gabe,  der  wir  durch  unser  Schuldbekenntnis  und  unsere Umkehrbereitschaft entsprechen: So preisen wir z.B. Gott für die Einheit, die er seiner Kirche schenkt, indem er sie teilhaben lässt an seinem einen und dreifaltigen Leben; zugleich bekennen wir, dass wir diese  Gabe  nicht  in  ihrer  ganzen  Fülle  verwirklichen,  sondern  dazu  neigen,  die  Einheit  der  Kirche entweder durch äußere Uniformität selbst herbeiführen zu wollen oder durch eine beliebige Pluralität der Mitverantwortung dafür auszuweichen.

– Die Auslegung der Kennzeichen der Kirche steht aber auch in der Dynamik der Entfaltung unseres Glaubens, wie sie die Apostelgeschichte für die junge Kirche schildert und wie sie die Liturgie auf der Basis der Taufe ebenfalls zur Geltung bringt:

(14)

Wahl     š

Umkehr  –  Verkündigung    –  Pascha       –  Sendung als Ruf     š

   Confessio/professio

„ich bekenne ...”     „ich glaube ...”

Wir sind in unserem Verständnis und in unserer Verwirklichung der notae ecclesiae nie am Ziel, sondern stehen  in  einem Prozess der Erneuerung und Vertiefung, der vor dem Ende der Zeiten nicht abge‐

schlossen sein kann. Wir sind bereits zur Einheit zusammengefügt, bekennen aber je neu, dass wir unsere Individualität von allem spaltenden Individualismus reinigen lassen müssen – wir hören je neu die Verkündigung des Wortes Gottes als Ruf in die Gemeinschaft des Leibes Christi – genau in der Mitte der Liturgie vollziehen wir im Bekenntnis des Glaubens die je neue und tiefere Identifikation mit dieser Kirche – wir werden mitgenommen in das Pascha des Herrn – und gesandt in die Welt, um die emp‐

fangene Gabe zu bezeugen.

Die Struktur der Liturgie entspricht übrigens recht genau dem Aufbau der Exerzitien des hl. Ignatius:

Auf das „Fundament”, das zur Besinnung auf die im voraus gewährte Gabe Gottes anleitet, folgt die erste Woche (Umkehr), die zweite Woche (Ruf in die Nachfolge des kreuztragenden Christus). Zwischen der zweiten und der dritten Woche ist die „Wahl” angesiedelt, die zur Übernahme der je persönlichen, unvertretbaren Berufung führt. Es folgt in der dritten Woche der Mitvollzug des Leidensweges Jesu und in der vierten Woche die Ausweitung der Berufung in die universale Sendung der Liebe hinein.

Die folgenden knappen Zusammenfassungen zur Auslegung der vier notae ecclesiae sind in dem skizzierten Bezugssystem zu entfalten:

1. Die  Kirche  ist  wesentlich eine.  Ihre  Einheit  gründet  im  einen  und  dreifaltigen  Gott,  der  durch  die Sendung des Heiligen Geistes die ganze Schöpfung im auferstandenen Jesus Christus zusammenführen will. Diese Einheit drängt zu geschichtlicher Konkretheit in sakramentalen Zeichen.

2. Die Kirche ist heilig, weil Gott sich in Jesus Christus an ihr als heilig erwiesen hat und dies in seinem Geist unaufhörlich weiterhin tut. Sie wird dieser Gabe gerecht, indem sie das Wirken Gottes heilig hält und sich zu ihrer Ungerechtigkeit und Angewiesenheit auf die heiligende Macht des Geistes bekennt.

3. Die Kirche ist wesentlich katholisch, d.h. Zeugin des die ganze Schöpfung umgreifenden Heilswillens Gottes, gesandt im Heiligen Geist nach außen zu allen Völkern (extensive Katholizität) und nach innen in alle Dimensionen der geschöpflichen Wirklichkeit (intensive Katholizität).

4. Die Kirche ist wesentlich apostolische Kirche, weil sie den Glauben der Apostel bekennt, unter der Leitung der Apostel in ihre authentische Gestalt gewachsen ist und in diesem Sinne die apostolische Kirche zum Maßstab hat. Sie ist apostolisch nicht nur in ihrem Ursprung, sondern auch in der Weiterfüh‐

rung der Sendung Jesu Christi im Heiligen Geist durch das ganze Volk Gottes.

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