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Die Macht der Muskeln: Warum uns Krafttraining so gut tut

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Die Macht der Muskeln: Warum uns Krafttraining so gut tut

Muskeln halten uns fit – das weiß man schon länger. Nun aber stößt die Wissenschaft auf immer neue Belege, wie umfassend die Mobilmacher uns vor Krankheiten schützen. Sofern wir sie richtig nutzen

Von Jörn Auf dem Kampe - Erschienen in GEO 04/2021

Die Forscher kleben mir ein paar silbrige Kügelchen aufs Bein, dann bin ich bereit für das Experiment.

Kameras werden gleich millimetergenau jede Position der daumennagelgroßen Kugeln erfassen. Eine Platte wird die Kraft messen, sobald ich sie mit den Füßen von mir wegschiebe. Sofern mir das gelingt.

Immerhin ist sie an einen Roboterarm montiert, der die physische Präsenz eines Berggorillas besitzt – und sich gleichzeitig so feinmotorisch bewegen soll wie eine Ballerina.

Noch ruhen seine weißen Glieder aus Gusseisen, seine Gelenke, seine Elektromotoren. Irgendwo summt ein Lüfter. Laut Website des Herstellers eignet sich das Ungetüm „besonders für das Punktschweißen und liefert beste Prozessergebnisse bei geringen Investitionskosten“. Heute soll der

„KR 160 R1570 nano“ mein Trainingspartner sein. Gemeinsame Übung von Roboter und Reporter: die Beinpresse, ein Klassiker jedes Fitnessprogramms. Und eine Übung, die so gut erforscht ist wie keine andere.

Deutsche Sporthochschule Köln, Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft, an einem Wintermorgen. Draußen vor den Fenstern des Labors ziehen Studenten und Lehrkräfte vorbei. Kaum jemand schaut hinein. Dabei beginnt hinter der Scheibe die Zukunft des Muskeltrainings. Das jedenfalls hofft Kirsten Albracht. Zusammen mit Ingenieuren und Programmierern hat ihr Forschungsteam dem gut 700 Kilogramm schweren Industrieroboter so viel Feingefühl und Umsicht beigebracht, dass er mit Menschen arbeiten kann.

Sieben Jahre hat das gedauert, nun nehmen die ersten Probanden für eine klinische Studie vor der Maschine Platz. „Anders als ein simples Fitnessgerät, dessen Gewichte man wuchtet, besitzt der Roboter ‚Intelligenz‘“, sagt Albracht, „denn er kann die Belastung für sein Gegenüber anpassen.“ Er stoppt, sobald der Sportler stoppt. Er versucht, Überbelastungen zu verhindern und ungünstige Bewegungen zu korrigieren. Und er soll dazulernen.

Anhand der Abstände der Kugelmarker errechnet sein Algorithmus, wie ich mein Bein anwinkle, wie schnell ich es bewege. Die Messplatte verrät, mit welcher Kraft ich presse. Aus diesen Daten schließt der Roboter, welche Belastungen in Hüfte, Knie und Knöchel gerade bei mir wirken. Er fühlt gewissermaßen in sein Gegenüber hinein. Man wird ihm auftragen können, bei einem Arthrosepatienten den Schongang einzulegen und olympische Zehnkämpfer so richtig zu fordern.

Und auch die Kölner wollen dazulernen: aus den anonymisierten Daten der Nutzer, vieler Nutzer. Bei welcher Belastung verbessert sich die Kraft, was lässt Muskeln wachsen? Und kann man damit besser als jemals zuvor eine Herausforderung meistern, die den allermeisten bevorsteht: die Muskulatur bis ins hohe Alter zu erhalten?

Kirsten Albracht muss lachen, als ich sie frage, ob darüber nicht längst alles bekannt ist. „Die Anatomie eines Muskels versteht man sehr gut. Aber wie Training ihn genau verändert, das ist immer noch rätselhaft.“

Die Muskeln des Körpers: unser schwerstes Organ

Zu Beginn dieser Recherche bilde ich mir ein, dass ich schon viel über die Motoren des Körpers weiß.

Und dass ich sie schon allesamt gefordert habe. Ich fahre Ski, trainiere für Triathlonwettkämpfe und gehe bouldern, in der Kletterhalle oder am Fels. Ich kenne die Anzahl der Muskeln, die ein Mensch hat:

mehr als 650. Ihr Anteil an der Körpermasse: bis zu 57 Prozent. Ohne Muskeln stünden wir still, es gäbe kein Händeklatschen, keine schwingenden Stimmbänder, keine Verdauung.

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Mir ist klar, dass sie unterschiedliche Aufgaben erfüllen, aber die allermeisten dafür da sind, uns von A nach B zu bewegen. Wobei grob gesehen zwei Typen von Muskelfasern zum Einsatz kommen. Zum einen die Abteilung „schnell und stark“: Sie ist hauptsächlich bei Sprint oder Klimmzug gefragt, entfaltet binnen kürzester Zeit maximale Kraft, aber ermüdet rasch. Dann die Ausdauer-Fraktion: agiert bedächtiger, läuft und läuft und läuft, treibt uns voran, wenn wir joggen (siehe Seite 39/40). Was gut ist für die Gesundheit, weil es den Kreislauf ankurbelt, das Herz stärkt und stimmungsaufhellend wirkt.

Muskeln sind also brave Dienstleister, denke ich anfangs, Mittel zum Zweck, Befehlsempfänger.

Am Ende werde ich begreifen: Das stimmt nicht. Muskeln sind keine Gehilfen. Sie sind eine Instanz mit eigener Agenda. Sie kommunizieren mit anderen Geweben, steuern sie und wirken sogar auf das Hirn ein. Gemeinsam stellen sie unser schwerstes Organ – das mit dem Rest des Körpers auf komplexe Weise verwoben ist.

Lange hat die Forschung dieses Beziehungsgeflecht übersehen. Seit wenigen Jahren aber fügt sich ein neues Bild der Muskeln; man beginnt zu verstehen, warum sie jenseits ihrer Funktion als Antriebseinheit lebenswichtig sind. Dass sie uns vor Krankheiten schützen – wenn wir sie beanspruchen. Es gibt erste Hinweise, dass Muskeln sich rächen, wenn man ihre Ansprüche ignoriert.

Deshalb wird es in dieser Geschichte auch um ein paar unangenehme Wahrheiten gehen; und um Fruchtfliegen, Grizzlybären und das Weltall. Aber auch darum, Antworten zu finden auf eine der großen Fragen der Sportwissenschaft – was man tun kann, um stark und gesund zu bleiben.

Muskelschwund gilt heute als eigenes Krankheitsbild

Die schlechten Nachrichten zuerst: Nichts hält ewig, auch nicht der Muskel. Wer über 30 ist, den wird die folgende Information vermutlich nicht gerade beruhigen: Ab diesem Alter schwindet die Muskulatur, jedenfalls statistisch betrachtet. Alle zehn Jahre schrumpft sie um fünf Prozent, ab 70 beschleunigt sich der Rückbau. „Kein altersbedingter Schwund im Körper ist so gravierend wie dieser“, hat der Mediziner Irwin Rosenberg von der Tufts University in Massachusetts mal gesagt. Auf ihn geht der Begriff

„Sarkopenie“ zurück, der „Mangel an Fleisch“.

Dass Muskeln weichen können, ist keine Neuigkeit. Nur haben Ärzte das Problem lange nicht als wichtig angesehen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erkennt den Niedergang, also die Sarkopenie, erst seit 2016 als eigenes Krankheitsbild an, bei dem zwei Dinge geschehen: Umbau und Schwund.

Muskelfasern werden durch Fettgewebe ersetzt. Zudem nimmt die Anzahl der Blutgefäße ab, die Verknüpfungen zwischen Nervenzellen und Muskelfasern verkümmern. Das Prinzip hinter beiden Vorgängen: ein ökonomisches. Zum einen baut der Organismus ab, was er scheinbar nicht mehr benötigt, ein Standardvorgang, der in einigen unserer Gewebe abläuft. Zum anderen erhöht der Körper den Anteil an Fett, seinem größten Energiespeicher, um ihn in Zeiten des Mangels anzapfen zu können.

Die Defizite haben nicht nur mit der Zahl der Lebensjahre zu tun. Auch wer nicht trainiert, muss damit rechnen, dass die Muskeln schwinden, das gilt auf der Erde wie im Weltall. Die Sportwissenschaftlerin Albracht beobachtet das Problem bei Astronauten der Internationalen Raumstation (ISS), die sie in Köln und Houston untersucht – um so Rückschlüsse auf irdische Patienten ziehen zu können. Bis zu einem Fünftel ihrer Muskeln büßen die ISS-Bewohner bei den teils monatelangen Aufenthalten in der Schwerelosigkeit ein – ohne Krafttraining auf der Raumstation wäre der Verlust noch größer: Ihnen fehlt die Gravitation, gegen die unsere Muskulatur auf der Erde arbeitet, wenn sie unseren Körper bewegt.

Schneller weicht sie bei Covid-19- Erkrankten auf den Intensivstationen. Gesunde sind ebenfalls nicht immun dagegen, schon gar nicht Schreibtischarbeiter. Was den Schwund betrifft, habe Dauersitzen fast die gleichen Effekte wie ein Langzeitaufenthalt im Bett, schreibt der Anthropologe Dan Lieberman aus Harvard in einem Buch über die Evolution von Homo sapiens.

Obwohl es ein Milliardenbusiness wäre, sind bisher keine Medikamente gegen den Verfall auf dem Markt. Jedenfalls keine, die ohne Nebenwirkungen auskommen und sich auch für Kranke oder Betagte eignen. Forscher vom Berliner Max-Delbrück- Centrum für Molekulare Medizin fahnden nach geeigneten Lösungen. Und zwar bei Grizzlybären, die – ähnlich wie Covid-19-Patienten oder ISS-- Astronauten – eine Zeit lang ihre Muskeln kaum beanspruchen: nämlich im Winter.

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Was kann der Grizzly, was wir nicht können?

Die Bären weisen eine bemerkenswerte Eigenschaft auf: Während ihrer mehrmonatigen Winterruhe regen sie sich kaum, und dennoch bleiben ihre Muskeln erhalten, ein beinahe unfairer Vorteil. Die Forscher wollen wissen, was beim Grizzly anders läuft. Und dabei den Hebel finden, mit dessen Hilfe sich der Schwund bei uns bremsen ließe. Sie analysieren Muskelproben der Grizzlys und vergleichen sie mit denen bettlägeriger Menschen. Sie sondieren darin die Aktivität von Genen und die Konzentration von Eiweißen. Dabei haben die Wissenschaftler erste Proteine ausgemacht, die irgendwann im Rahmen einer Therapie das Muskelwachstum fördern könnten. Allerdings ist es bis zu einer Anwendung noch mehr als eine Weile hin, eine pharmazeutische Rettung auch sonst nicht in Sicht. Der Mensch hat also ein Muskelproblem. Die Frage ist: Wie schlimm ist es? Und: Kriegen wir es in den Griff?

Anruf bei Fabio Demontis, in Memphis, Tennessee. Was passiert im Körper, will ich wissen, wenn wir Muskeln verlieren, sei es durch Stillstand, Krankheit oder im Alter? Der Molekularbiologe arbeitet am St. Jude Children’s Research Hospital, das sich der Erforschung von Tumoren bei Kindern verschrieben hat.

Demontis will verstehen, warum schon die Muskeln der kleinen Patienten schwinden, eine Nebenwirkung des Krebses – und wie das aufzuhalten wäre. Dafür beherbergt er Scharen von Drosophila melanogaster,der Schwarzbäuchigen Fruchtfliege, in seinem Labor. Seine Studienobjekte gelten als Modellorganismen, deren Analyse Erkenntnisse liefert, die auch für andere Lebewesen gültig sind. Zum Beispiel für den Menschen.

Bei Untätigkeit rächen sich die Muskeln

Fabio Demontis manipuliert dabei das Erbgut der Insekten. Er kann Gene an- oder ausschalten, und schon schwinden die Muskeln der Fliege kaum noch, auch wenn das Insekt altert. „Und dann geschieht etwas Merkwürdiges“, sagt der Forscher, „auch andere Gewebe der Fliege halten dem Alterungsprozess stand, sie bleiben länger jung.“ Dazu zählen das Hirn, die Retina und das Fettgewebe.

Demontis hat sogar herausgefunden, dass derart manipulierte Tiere länger leben. Seine Folgerung:

Intakte Muskeln zögern den Tod hinaus. Aber Demontis sieht auch eine Kehrseite dieser Erkenntnis:

Muskelschwund könnte die Lebenszeit verkürzen. Das ist die Rache der Körpermotoren.

Für Demontis ist die Muskulatur so etwas wie ein Taktgeber des Daseins, im übertragenen Sinn. Sie beeinflusst andere Organe. Im Guten wie im Schlechten. Baut sich Muskulatur ab, leidet auch der Rest.

Diese Regel gilt auch für den Menschen, glaubt Demontis. Und: „Kein Gewebe im menschlichen Organismus schwindet so schnell wie unsere Muskulatur.“

Der Wissenschaftler sieht sie deshalb als mächtigen Akteur, der über unser Wohlergehen mitbestimmt.

Ihren Einfluss machen Muskeln besonders mithilfe von Botenstoffen geltend, welche sie selber herstellen und dann auf die Reise durch den Körper schicken. Diese Substanzen können uns helfen.

Aber auch Prozesse hervorrufen, die Demontis als „schädlich“ bezeichnet. Dann leidet wie bei der Fliege auch beim Menschen die Gesundheit – und wir altern schneller. Der Name dieser Botenstoffe: Myokine, vom griechischen mysfür Muskel und kinema, Bewegung.

Im Jahr 2003 erfand die dänische Medizinerin Bente Klarlund Pedersen von der Kopenhagener Universität das Kunstwort, als sie den ersten dieser Botenstoffe entdeckte. Seitdem hat die Wissenschaft mehr als 600 Myokine identifiziert, von denen bisher fünf Prozent erforscht sind. Muskeln sind damit die größte Produktionsstätte von Botenstoffen in unserem Organismus.

„Damit diese vorteilhaft wirken“, glaubt Fabio Demontis, „dürfen wir die Quelle der Botenstoffe nicht in Ruhe lassen, sondern müssen sie strapazieren: Wir müssen die Muskeln benutzen.“

Im Labor der Sporthochschule Köln soll ich nun ganz locker mit den Füßen die Platte wegschieben, die am Roboterarm befestigt ist. Er weicht in einem fließenden Zug fast widerstandslos zurück. „Diesen Ablauf speichert der Roboter und lernt so, was dem Bewegungsvermögen des Benutzers entspricht“,

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sagt Albracht. Ich werde gleich exakt diese Bewegung wiederholen – dann allerdings gegen den Widerstand eines Gewichts.

Jeder Schub meiner Beine, weiß ich inzwischen, wird sich dann auch an anderer Stelle in meinem Körper niederschlagen.

Womit endlich die guten Nachrichten beginnen. Wissenschaftler betrachten Bewegung als eine der besten Schutzmaßnahmen gegen Krankheiten und Alterserscheinungen – vor allem, weil dann Myokine ausgeschüttet werden. „Dass Sport gesund ist und das Leben verlängert, weiß man zwar schon lange aus statistischen Erhebungen“, sagt Christoph Handschin am Telefon, „aber mittlerweile findet man immer neue Beweise, dass der Muskel dabei eine unglaublich wichtige Rolle spielt.“

An der Universität Basel leitet Handschin die Forschungsgruppe „Molekulares Verständnis von gesunden und kranken Muskeln“, und er spricht mit Begeisterung von den Motoren des Körpers, über ihre Macht, die Myokine und die erstaunlichen Erkenntnisse darüber.

Zum Beispiel: dass die Muskulatur mit vielen Geweben vernetzt ist. Und zwar mittels eben jener Myokine, die sie bei oder nach Bewegung in die Blutbahn abgibt. Eines mit der Bezeichnung „IGF-1“

etwa gelangt bis in die Knochen und regt dort Zellen zur Teilung an. „Was zur Folge hat, dass Knochen Substanz aufbauen und sich so vor Osteoporose, also Knochenschwund, wappnen“, sagt der Schweizer Forscher. Die Botschaften der Muskeln dringen auch ins Fettgewebe vor und bewirken, dass sich weißes in braunes Fett verwandelt. Dabei schmelzen nicht nur die als ungesund geltenden Depots der weißen Masse ab. Braunes Fett dient auch als körpereigene Heizung – deren Betrieb Kalorien verbrennt, was wahrscheinlich die Gewichtsabnahme beschleunigt.

Womöglich wirken Muskel-Botenstoffe sogar gegen Krebs

Myokine kurbeln auch die Produktion von Botenstoffen des Immunsystems an, mit der Folge, dass chronische Entzündungen zurückgedrängt werden. Zwei Muskel-Botschafter mit den klangvollen Bezeichnungen „Cathepsin B“ und „Irisin“ schaffen es bis ins Hirn, was Forscher bei Experimenten mit Mäusen herausgefunden haben. Dort fördern sie die Bildung eines Stoffes, der selber eine Art Wachstumsprogramm initiiert: Er lässt aus Stammzellen Neuronen entstehen, die wichtigsten Elemente unseres Denkorgans. Was möglicherweise das Gedächtnis verbessert und vielleicht gar Demenz unwahrscheinlicher werden lässt.

Eine kleine Studie mit einer Handvoll Patienten am Universitätsklinikum Erlangen ergab kürzlich, dass Myokine womöglich helfen, das Wachstum von Darm- oder Prostatatumoren zu hemmen, selbst wenn der Krebs fortgeschritten ist. Gleiches könnte, einer anderen Studie zufolge, bei Brustkrebs gelten.

Unsere Muskeln, eine Allzweckwaffe?

Der Kölner Sportmediziner Wilhelm Bloch verwendet noch eine ganz andere Metapher. Er hält die bewegte Muskulatur für eine „körpereigene Apotheke“, die vor vielen Krankheiten schützt, nicht nur Osteoporose oder Krebs, sondern auch Depressionen oder Diabetes. Was die Frage aufwirft: Welche Art von Bewegung befähigt Muskeln zu guten Taten?

Sporthochschule Köln, Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft, auf dem Stuhl der Roboter- Beinpresse. Eine Kollegin der Projektleiterin Kirsten Albracht stellt auf ihrem Touchscreen einen Regler ein: Ich soll die gleiche Bewegung wie beim Testlauf vollführen, aber jetzt mit 90 Kilogramm Gegengewicht und unter konstantem Tempo.

Dass Menschen auf diese Weise mit einem Roboter arbeiten, ist neu. „Solche Maschinen stehen sonst an den Fertigungsstraßen der Industrie“, sagt Albracht, „aus Sicherheitsgründen meistens hinter Gittern.“ Das Kölner Exemplar darf sich frei bewegen, aber in bestimmten Grenzen, die verhindern, dass Sportler von dem Trumm erdrückt werden.

Dann drücke ich Knöpfe auf den beiden Griffen links und rechts des Sitzpolsters, an denen ich mich festhalte, und entsichere den Roboter. Ein hoher, sirrender Ton erklingt, die Platte vibriert sanft, während ich schiebe. Was sich anfühlt, als würde der Roboterarm leben, ein Techno- Kraftprotz,

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muskelbepackt und feinfühlig zugleich. Wie ein fürsorglicher, aber fordernder Trainer. Aber das Gerät hat noch mehr drauf.

Der Roboter speichert jeden Nutzer ab - als digitalen Avatar

Auf einem Monitor sehe ich eine 3-D-Nachbildung meines rechten Beins, desjenigen, auf dem die Kugeln kleben. Das Bild zeigt transparente Bälle, an der Hüfte, am Knie, am Knöchel. Wo ich mehr Kraft aufwende, schwellen sie auf Übergröße an, wie eine Kaugummiblase. Sobald das System einsatzbereit ist, werden sich die Bälle rot verfärben, falls Gelenke dabei überstrapaziert werden, so der Plan.

Demnächst soll die zusammen mit Partnern aus der Industrie und der Technischen Hochschule Aachen entwickelte Maschine weitere Übungen lernen, für den Rücken, die Arme, die Beine. „RoboGym“

nennen die Kölner das Konzept, bei dem der Roboter zwischen verschiedenen Anwendungen wechselt, sich selber Griffe oder Stangen ansetzt. Und damit er in Zukunft sein Gegenüber noch genauer einschätzen kann, soll jeder Sportler außerdem in einem 3-D-Bodyscan vermessen werden. Sämtliche Daten speichert das Trainingsgerät dann als eine Art Avatar, ein präzises digitales Abbild des Nutzers.

Sollte Albrachts metallener Kraftmeier irgendwann in Fitnessstudios, auf Olympiastützpunkten und in Rehazentren zum Einsatz kommen, dann hofft die Forscherin auf big data, einen Strom von Daten darüber, wie sich Muskeln in welchen Altersgruppen am besten optimieren lassen, welche Übungen bei wem am meisten bringen. Das wäre eine Revolution in der Muskelforschung. Training würde sich dann viel exakter planen lassen.

„Bisher ist da noch viel vom Zufall abhängig. Wir können jedes Flugzeug vor dem Jungfernflug simulieren“, sagt Albracht, „aber nicht, wie Menschen auf eine Übung reagieren.“ Sie versucht den Körper daher zu durchdringen wie ein Luftfahrtingenieur eine Turbine, und wenn sie über ihr Projekt spricht, fallen Begriffe wie Regelkreis, Newtonmeter, Soll- und Ist-Werte. Interesse an der Erfindung hätten schon Rehakliniken gezeigt, sagt sie, ebenso Betreiber von Kreuzfahrtschiffen, Investoren aus Japan und den Golfstaaten. Das vom Forschungsministerium geförderte Projekt ließe sich aber auch als Indiz verstehen: dass in Sachen Kraft und Muskeln Nachholbedarf besteht.

Sogar 90-Jährige profitieren vom Krafttraining

Wer fit bleiben will, sollte joggen, schwimmen oder radeln – so denken viele. Pures, hartes Krafttraining mit Gewichten dagegen gilt oft immer noch als öde Alternative oder notwendiges Übel. Aber nicht gerade als Teil eines Masterplans für die Gesundheit. Diese Auffassung wandelt sich: „Rethinking exercise“ nannte das Wissenschaftsmagazin „New Scientist“ im Frühjahr 2020 eine Titelgeschichte, was man als „Training neu denken“ übersetzen könnte. Das Fazit: Ausdauer ist nicht alles, Kraft ist das neue Ding.

Das britische Gesundheitsministerium verwies erstmals 2011 in einer Empfehlung darauf, dass Krafttraining unbedingt zur Prophylaxe von Krankheiten ins wöchentliche Fitnessprogramm gehört. Die WHO empfiehlt sogar schon 5- bis 17-Jährigen, die Muskeln zu stärken. Und erst recht den Älteren, an mindestens zwei Tagen pro Woche. Zum einen, weil man – was naheliegt – so den Schwund bremst.

Und zwar nachhaltig. „Sogar 80- bis 90-Jährige weisen nach entsprechenden Übungen Muskelzuwächse auf“, sagt Heinz Kleinöder von der Sporthochschule Köln. Nebeneffekt für fitte Rentner: Wer Muskeln hat, stürzt seltener.

Zudem könnte Sport die Produktion der Myokine ankurbeln. Noch weiß man wenig über die genauen Mechanismen“, sagt der Hildesheimer Sportwissenschaftler Sebastian Gehlert, „aber sehr wahrschein- lich werden durch Krafttraining besonders viele Botenstoffe ausgeschüttet.“ Je stärker also Muskeln beansprucht werden und je mehr Muskelmasse ein Mensch hat, desto mehr Myokine bringen sie auf den Weg.

All das bedeutet aber nicht, dass man die Laufschuhe in die Ecke werfen und nur noch Gewichte stemmen sollte. Monotonie verträgt sich schwer mit unserer Stammesgeschichte. Homo sapiensgilt als Generalist – nicht nur als bester Jogger im Tierreich. Er liegt auch als ausdauernder Wanderer weit vorn, ist ein fulminanter Werfer, ein passabler Kletterer und Schwimmer. Sportmediziner Wilhelm Bloch

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sagt: „Wer immer nur für einen Halbmarathon trainiert, der trainiert einseitig. Und dafür ist der Mensch nicht gemacht.“

Viel muss man nicht tun, um fit zu bleiben

Der Mix aus Ausdauer und Kraft ist also entscheidend. Das beweist auch ein achtwöchiges Experiment an der University of Illinois in Chicago, bei dem unsportliche, übergewichtige Probanden in drei Gruppen aufgeteilt wurden; sie absolvierten entweder nur Krafttraining, stiegen ausschließlich aufs Radergometer – oder taten beides. Die Teilnehmer der dritten Gruppe schnitten am besten ab – sie senkten ihren Blutdruck und die Zuckerwerte, verloren Fett, stärkten das Herz.

Für derlei Effekte braucht es keinen großen Aufwand: „Dreimal Training pro Woche reichen, um gesund zu bleiben“, sagt Heinz Kleinöder. Sein Fitnessplan: In Woche eins trimmt man zweimal Ausdauer und einmal Kraft. In der Folgewoche genau umgekehrt. Danach im Wechsel. 30 Minuten je Einheit reichen.

Kraft: abwechselnd alle großen Muskelgruppen strapazieren, fertig. Und an einem Kraft-Tag immer Spieler und Gegenspieler trainieren – also etwa Bauch und Rücken.

Bei der Ausdauer: Anstrengend soll sich das Training zwar anfühlen, aber niemand muss bis zur Erschöpfung rennen oder radeln. Kleinöder schätzt das „Fahrtspiel“, ein lustiges Wort wie von Turnvater Jahn. Es bedeutet: Immer mal wieder beim Joggen das Tempo wechseln, mal schnell, mal langsam laufen.

Als der Roboter stoppt, spüre ich, dass meine Oberschenkel in Betrieb waren – und der Glutaeus maximus, einer der größten Muskeln, jener, der dem Hintern Form verleiht. Ich sollte das öfter machen.

Für die Myokine, für die Gesundheit.

Kirsten Albracht und ihr Team verfolgen noch ein weiteres Projekt: Die Kölner haben gerade erste Tests für ein Gerät abgeschlossen, das an einen Mars-Rover erinnert – den Roboter-Rollator „Robotrainer“.

Das dreirädrige Hightech-Gefährt, eine Entwicklung des Karlsruher Instituts für Technologie, soll Senioren herausfordern. Der Roboter prüft, wohin ein Fahrer steuert. Er baut Schikanen ein, lenkt plötzlich in eine andere Richtung, provoziert ein heftiges Eingreifen des Benutzers und schult so den sicheren Gang. Oder er lässt sich plötzlich schwerer schieben und verlangt nach mehr Kraft.

Er ist nicht nur ein Altenheim-Roboter. Sondern auch ein Versprechen: Für die Muskeln ist es nie zu spät.

Woraus Muskeln bestehen

Jeder Muskel ist aus Muskelfasern aufgebaut, darunter etwa der Große Brustmuskel, Musculus pectoralis major, oder der Schneidermuskel, Musculus sartorius. Welcher Fasertyp in einem Muskel vorherrscht, ist je nach Veranlagung und Training unterschiedlich. „Schnelle“ Muskelfasern erlauben vor allem rasche, dynamische Bewegungen und große Kraftentfaltung, etwa beim Gewichtheben. Sie ermüden aber in kürzerer Zeit. Die „langsamen“ Fasern dagegen sind die Dauerläufer des Körpers.

Ihre Kernkompetenz ist nicht Maximalkraft, dafür werden sie besser mit Sauerstoff versorgt und halten deshalb weitaus länger durch – etwa beim Joggen. Bei manchen Belastungen sind sogar beide Typen

beteiligt, eine körpereigene Form der Arbeitsteilung.

Die Körpermotoren, die den Gliedmaßen die Bewegung und dem Gesicht die Mimik ermöglichen, gehören zur „quergestreiften“ Muskulatur. Darunter sind so mächtige wie der Große Gesäßmuskel, Musculus glutaeus maximus, einer der größten Muskeln des Menschen, der uns beim aufrechten Gang und beim Laufen unterstützt. Geradezu winzig sind dagegen jene Muskeln, die für die Feinmotorik zuständig sind – etwa der Musculus interosseus dorsalis 1, der die Bewegung der Hand steuert. Oder solche, die klein sind, aber enorme Kräfte entfalten: wie der Musculus masseter, einer der Kaumuskeln.

Weniger offensichtlich wirkt die „glatte Muskulatur“, die etwa Blutgefäße oder den Darm umkleidet und bei Letzterem den Transport während der Verdauung bewerkstelligt – also eine Bewegung im Körperinnern hervorruft. Ganz gleich, wo Muskeln arbeiten: Ohne sie stünden wir still.

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