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Die Darstellungen des Alters in ausgewählten Märchen der Brüder Grimm

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Academic year: 2022

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Ursula Kothny

Die Darstellungen des Alters in ausgewählten Märchen der Brüder

Grimm

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades eines Master of Arts

im Rahmen des Universitätslehrganges 2. Dg MUPG Interdisziplinäre Gerontologie

Begutachterin Frau Prof

in

Roberta Maierhofer Mitbetreuerin Frau Dr

in

Heike Hartung

Karl-Franzens-Universität Graz

und UNI for LIFE

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Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

18.12. 2014 Ursula Kothny

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Danksagung

Bedanken möchte ich mich bei allen, die mich bei der Erstellung der Studie begleitet und unterstützt haben. Besonders bedanken möchte ich mich bei:

Frau Drin Heike Hartung für die Begleitung am Beginn und die wichtigen Literaturhinweise, Frau Drin Franziska Großschädel für die Geduld, mit der sie meine Fragen über formale Vorgaben unermüdlich beantwortet hat,

Friedrich Jeriga, für die reflektierenden Gespräche über Märchen und das Korrekturlesen und ganz besonders bei meiner Lektorin Claudia Stoiser, die die Arbeit gewissenhaft geprüft hat.

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Kurzzusammenfassung

Die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm sind Teil der Weltliteratur und unersetzliches Kulturgut. Als solches wurden sie nicht nur von den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen als Forschungsobjekte entdeckt, sondern durch ihre kommerzielle Nutzung in vielen Lebensbereichen sind sie in der Gesellschaft allgegenwärtig. In vorliegender Arbeit werden Alter und Alte innerhalb von sechs bekannten Grimmschen Märchen untersucht (Sneewittchen, Dornröschen, Rapunzel, Hänsel und Gretel, Rothkäppchen, Die Bremer Stadtmusikanten). Die Analyse beruht auf historischen Altersbildern und findet unter Berücksichtigung des typischen Märchenstils statt. Im ersten Abschnitt wird die Sammeltätigkeit der Brüder Grimm erörtert, und die Märchenforschung thematisiert. Ein eigener Abschnitt gilt der historischen Betrachtung von Alter und Altersbildern, um daran anschließend die verschiedenen Formen der Märchenanalyse als Grundlage für die eigenen Analysen darzustellen. Im Ergebnisteil dieser Masterarbeit werden die Analysen mit einem Fokus auf die Rollen und Darstellungen der Alten erörtert, um damit einhergehend eine Kategorisierung typischer Altersdarstellungen vorzunehmen. Dadurch wird eine, die besprochenen sechs Märchen betreffende, übergreifende Aussage zum vorliegenden Thema möglich. Den Abschluss der Arbeit bildet eine Reflexion darüber, welchen Aussagewert Märchen für die gerontologische Forschung haben können.

Schlüsselwörter: Märchenforschung, Märchenanalyse, Märcheninterpretationen, historische Altersbilder und Altersleben, Altersbegriff im Märchen

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Abstract

The „Kinder- und Hausmärchen“ of the brothers Grimm are part of world literature and irreplaceable objects of cultural value. As study subjects they were discovered by different scientific disciplines. Because of the commercial use in many areas of life fairy tales are omnipresent in society. In this study age and aged are surveyed inside of six well-known fairy tales by the brothers Grimm („Sneewittchen“, „Dornröschen“, „Rapunzel“, „Hänsel und Gretel“, „Rothkäppchen“, „Die Bremer Stadtmusikanten“). The analysis is based on the historical perception of age, it includes the typical style of fairy tales. In the first chapter the brother Grimms activity of collecting is reconsidered, besides the research of fairy tales is an issue. The question, which significance fairy tales currently have in different areas of life, is discussed. A section is about the historical perception of age and images of age.

Afterwards the different forms of analysis of fairy tales are shown. They are the basis for the own analyses. In the part of results of this masterthesis the analyses are reconsidered with a focus on the roles and descriptions of the aged. Coming along with this typical descriptions of age are categorised. Thereby a comprehensive statement to the present theme concerning the discussed six fairy tales is possible. The ending of the work is formed by a reflection about the question, which value of declaration fairy tales can have for the gerontological research.

Keywords: Fairy tales research, analysis of fairy tales, interpretations of fairy tales, historical images of age and life of the aged, term of age in fairy tales

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung...1

2 Methodischer Teil...4

2.1 Vorfelduntersuchungen...4

2.1.1 Die Brüder Grimm und ihre Sammeltätigkeit...4

2.1.2 Märchen einst und heute – Ansätze aus der Märchenforschung...6

2.1.3 Alter, Alterung, Altersbilder aus historischer Perspektive und im Märchen...10

2.1.4 Begründung der ausgewählten Märchen...16

2.1.5 Analysemethoden in der Märchenforschung...18

2.1.6 Analysemethode zur Erforschung gerontologischer Aspekte und Abgrenzung zur literaturwissenschaftlichen Forschung ...22

2.2 Analysen der ausgewählten Märchen...24

2.2.1 Sneewittchen (KHM 53 der Ausgabe von 1812) ...24

2.2.2 Dornröschen (KHM 50 der Ausgabe von 1812)...33

2.2.3 Rapunzel (KHM 12 in der Ausgabe von 1812) ...37

2.2.4 Hänsel und Gretel (KHM 15 in der Ausgabe von 1812)...41

2.2.5 Rothkäppchen (KHM 26 in der Ausgabe von 1812)...44

2.2.6 Die Bremer Stadtmusikanten (KHM 27 in der Ausgabe letzter Hand von 1857) ...48

3 Interpretationen und Ergebnisse...55

3.1 Interpretationen und Kategorisierungen...55

3.1.1 Sneewittchen...55

3.1.1.1 Items:...58

3.1.2 Dornröschen...58

3.1.2.1 Items:...60

3.1.3 Rapunzel ...61

3.1.3.1 Items...63

3.1.4 Hänsel und Gretel ...63

3.1.4.1 Items...67

3.1.5 Rothkäppchen ...67

3.1.5.1 Items...69

3.1.6 Bremer Stadtmusikanten ...69

3.1.6.1 Items...71

3.2 Ergebnisse...71

3.2.1 Altersklassifizierungen...71

3.2.2 Kategorien der mittleren Generation, der Alten...72

3.3 Konklusionen: Die Darstellung des Alters in den ausgewählten Märchen...76

4 Schlussbetrachtung...78

5. Literaturverzeichnis...81

5.1 Primärliteratur...81

5.2 Sekundärliteratur...81

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Abkürzungsverzeichnis

ATU – Aarne-Thompsen-Uter-Index

BMASK – Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz KHM – Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm

KHM 53 – Sneewittchen KHM 50 – Dornröschen KHM 12 – Rapunzel

KHM 15 – Hänsel und Gretel KHM 26 – Rothkäppchen

KHM 27 – Die Bremer Stadtmusikanten

WHO – World Health Organization, Weltgesundheitsorganisation

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1 Einleitung

Zwischen dem ersten Satz eines Märchens, „Es war einmal vor langer, langer Zeit in einem weit entfernten Land“, und dem letzten, „und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage“, spielen sich die Geschichten von jungen Heldinnen und Helden, Prinzen und Prinzessinnen oder armen Kindern ab. Die Protagonisten müssen dabei durch allerlei Prüfungen gehen und gefahrvolle Begebenheiten bestehen, die ihnen von den Alten auferlegt werden, bevor sie ihr märchenhaftes Glück finden. Der formelhafte Beginn und das Ende des Märchens sind dabei charakteristisch für jeden Rezipienten/jede Rezipientin sofort als Märchen erkennbar.

Märchen stellen nicht die Wirklichkeit dar, dennoch besitzen sie einen zeitübergreifenden Realitätswert, denn vieles, das sie behandeln, ist uns auch heute nicht fremd. Seit etlichen Zeiten werden Märchen und Sagen in allen Regionen dieser Erde tradiert, und jedes Volk hat seine eigenen. Dabei sprechen diese Fabeln wesentliche Fragen des Menschseins an, die die Menschheit seit jeher beschäftigt haben. Märchen vertreten kein Dogma, wollen keine Weltsicht und Weltanschauung vermitteln, und das sind einige der Gründe für ihre große Beliebtheit bis in die heutige Zeit hinein. Diesseitiges und Jenseitiges wechseln einander ohne Zwischenstufen ab und sind dennoch klar voneinander getrennt, doch die Protagonisten verkehren in beiden Dimensionen ohne Erstaunen und Erschrecken, geradeso wie Numinoses und Zauberhaftes sich mit Profanem und Alltäglichem ablöst, nie willkürlich, sondern nach strengen Regeln, die der Märchenstil vorgibt.

Märchen begleiten die Menschen durch die Kindheit, und vor allen anderen gehören die Grimmschen Kinder- und Hausmärchen zum deutschsprachigen Literaturschatz, sind Teil der Weltliteratur, und bis heute zählen sie zu den meist gelesenen Texten.

Sie zeigen auf, was an kollektiven, ethisch-moralischen und gesellschaftlich-sozialen Vorstellungen im europäischen Kulturkreis an Bildern lebt oder gelebt hat und dazu gehören auch die Imaginationen zu Altersbildern und Leben im Alter. Darum werden in dieser Studie das Alter aus der Perspektive der Vergangenheit betrachtet und nicht der Gegenwart.

Der Begriff „Märchen“ wird von der „Märe“, der unglaubwürdigen Geschichte,

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abgeleitet, ist eine Diminutivform und bedeutet so viel wie „kleine Geschichte“

(Duden Etymologie, 1963). Damit kann sowohl eine kurze als auch eine nicht ernsthafte beziehungsweise nicht ernst zu nehmende Geschichte gemeint sein. Bis heute sind Aussprüche gebräuchlich, wie „Erzähl‘ mir kein Märchen“, womit Unglaubwürdigkeit, die noch keine Lüge ist, zum Ausdruck gebracht wird. Märchen vermitteln ein duales Weltbild, es gibt ausschließlich gut oder böse, schön oder hässlich, arm oder reich, fleißig oder faul. Es gibt kein „sowohl als auch“, kein Dazwischen, keine Kompromisse, es gibt nur „entweder oder“. Verhält es sich derart auch mit den Lebensaltern? Sind die Protagonisten der Märchen tatsächlich nur jung oder alt, und sind die Alten eine homogene Gruppe, oder lässt sich eine Altersklassifizierung erkennen?

Diese Arbeit untersucht die Rolle der Alten in sechs der bekanntesten Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm: Schneewittchen, Dornröschen, Rapunzel, Hänsel und Gretel, Rothkäppchen und die Bremer Stadtmusikanten. Es wird im Detail untersucht, wie Alte in diesen Texten dargestellt werden, in welcher Beziehung sie zu den Jungen stehen, welches ihre Aufgaben sind, wie und an welchen Orten, in welchen sozialen und gesellschaftlichen Verbindungen sie leben. Diese Aufgabe möchte die vorliegende Studie durch Analyse und Interpretation nicht im Allgemeinen, sondern im Detail für die Alten- und Altersdarstellungen in den ausgewählten Märchen erfüllen.

Den methodischen Teil bildet dabei eine empirische Literaturstudie, beruhend auf den ausgewählten Märchentexten und deren Analysen, Studien über Alter und Alte in der Geschichtsforschung, als eine chronologische Altersberechnung noch nicht gängige Praxis gewesen ist, Darlegungen zur Märchenforschung und Analysemethoden sowie einer Begründung der ausgewählten Märchen. Den Beginn stellt ein Kapitel über die Sammeltätigkeit der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm dar, und darauf aufbauend soll erörtert werden, wie sich der typische Grimmsche Märchenstil entwickelt hat.

Der Ergebnisteil wertet Analysen der Märchentexte qualitativ durch Interpretation aus, um im Anschluss daran eine Überblick schaffende Kategorisierung vorzunehmen.

Es wird die Hypothese aufgestellt, dass sich die Darstellungen der Alten im Märchen

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mit den tendenziell negativen Altersbildern decken, die von der Geschichtswissenschaft aus jenen frühen Zeiten, aus denen die Urfassungen der Märchen vermutlich stammen, beschrieben werden. Dabei wird zu klären sein, ob diese Bilder mit den Altersdarstellungen der ausgewählten Märchen übereinstimmen.

In dieser Forschungsfrage liegt auch die Forschungslücke, nämlich in der Betrachtung der einzelnen Darstellungen individueller alter Gestalten in jedem einzelnen Märchen unter Berücksichtigung des typisch Märchenhaften. Dies mag ein erster Schritt in einem wenig erforschten Bereich sein, wodurch sich zwar keine Verallgemeinerungen formulieren lassen, aber möglicherweise Tendenzen, die als Anregungen und Grundlage für weiterführende Forschungen dienen können.

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2 Methodischer Teil

2.1 Vorfelduntersuchungen

2.1.1 Die Brüder Grimm und ihre Sammeltätigkeit

Jacob Grimm (1785–1863) und Wilhelm Grimm (1786–1859) werden durch die Sammeltätigkeit von Clemens Brentano für dessen Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn (1805–1808) in das Erkunden und Redigieren von volkstümlichen Erzähl- und Liedtexten eingeführt. Neben dem Sammeln von Volksliteratur und deren literarischen Aufarbeitung galt ihr besonderes Interesse der mittelalterlichen Literatur, den Sagen und Liedern, worüber sie Abhandlungen und Sammlungen veröffentlichten. Jacob und Wilhelm Grimm wird nachgesagt, dass sie keineswegs selbst übers Land gezogen seien, um sich die Märchen von einfachen Leuten erzählen zu lassen. (Rölleke 1985) Als Bibliothekare an der Kurfürstlichen Bibliothek in Kassel galt ihr primäres Interesse der wissenschaftlichen Betrachtung der Volkspoesie, der Sprachgeschichte sowie dem Verfassen von Grammatik- und Wörterbüchern. Viele der von ihnen niedergeschriebenen Märchen und Kinderlegenden – am Ende waren es 200 – haben sie in bereits verschriftlicher Form übernommen. Meist waren es gut situierte und gebildete Damen aus der gehobenen Bürgerschicht, die ihnen die Texte in bereits vorgenommenen Überarbeitungen zukommen ließen, sodass alles Grobschlächtige, Unsittliche und Ordinäre daraus verbannt worden war. Ebenso haben die Grimms einige von Charles Perrault 1696/97 herausgegebene und in Frankreich gesammelte Volksmärchen in ihre Sammlung aufgenommen und standen in Verbindung mit dem Herausgeber der Deutschen Volksmärchen Karl August Musäus (1735–1784). (Rölleke 1985) Die Brüder Grimm selbst schreiben als Vorrede zur zweiten Auflage 1819:

Gesammelt haben wir an diesen Märchen seit etwa dreizehn Jahren; der erste Band, welcher im Jahre 1812 erschien, enthielt meist, was wir nach und nach in Hessen, in den Main- und Kinziggegenden der Grafschaft Hanau, wo wir her sind, von mündlichen Überlieferungen aufgefaßt hatten“ [...] Einer jener guten Zufälle aber war es, daß wir aus dem bei Kassel gelegenen Dorfe Niederzwehrn eine Bäuerin kennen lernten, die uns die meisten und schönsten Märchen des zweiten Bandes erzählte.

Die Frau Viehmännin war noch rüstig und nicht viel über fünfzig Jahre alt. Ihre

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Gesichtszüge hatten etwas Festes, Verständiges und Angenehmes, und aus großen Augen blickte sie hell und scharf. Sie bewahrte die alten Sagen fest im Gedächtnis und sagte wohl selbst, daß diese Gabe nicht jedem verliehen sei und mancher gar nichts im Zusammenhang behalten könne. Dabei erzählte sie bedächtig, sicher und ungemein lebendig, mit eigenem Wohlgefallen daran, erst ganz frei, dann, wenn man es wollte, noch einmal langsam, so daß man ihr mit einiger Übung nachschreiben konnte. Manches ist auf diese Weise wörtlich beibehalten und wird in seiner Wahrheit nicht zu verkennen sein (Brüder Grimm 2002, S. 18f.).

Inwieweit die Grimms das Erzählgut angepasst haben, ohne ihren ursprünglichen Charakter zu verändern, ist nicht eindeutig zu klären. Im Vorwort zur Erstausgabe von 1812 schreiben die Grimms: „Was die Weise betrifft, in der wir gesammelt haben, so ist es uns zuerst auf Treu und Wahrheit angekommen. Wir haben nämlich aus eigenen Mitteln nichts hinzugesetzt, keinen Umstand und Zug der Sage selbst verschönert, sondern ihren Inhalt so wiedergegeben, wie wir ihn empfangen hatten“

(Brüder Grimm Hg. Rölleke 2009, S. 21). In der zweiten Auflage heißt es in der Vorrede: „Dabei haben wir jeden für das Kindesalter nicht passenden Ausdruck in dieser neuen Auflage sorgfältig gelöscht“ (Brüder Grimm 2002, S. 16). Dass Anpassungen und Veränderungen vorgenommen wurden, zeigen Textvergleiche der Ölenberger Handschrift von 1810 bis hin zur Ausgabe letzter Hand aus dem Jahre 1854, wobei sich bei einzelnen Märchen der zentrale Charakter nicht unwesentlich wandelte. Im Zuge der ständigen Überarbeitung der Märchentexte entwickelte sich der typische und unverwechselbare Stil der Grimmschen Märchen, die bereits zu Lebzeiten der Brüder Grimm weit über den deutschsprachigen Raum hinaus Bekanntheit erlangten. Wenig Beachtung wurde hingegen der in zwei Bänden herausgegebenen Deutschen Sagensammlung geschenkt, wohingegen die wissenschaftlichen Arbeiten an Wörterbüchern und der Deutschen Grammatik ebenfalls fruchtbaren Boden fanden. Die Grimmsche Märchensammlung ist, ganz dem Wunsch der Brüder entsprechend, ein beliebter und scheinbar unerschöpflicher Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geblieben, nicht nur der Literaturwissenschaft und Kinderbuchforschung, sondern interdisziplinär im Bereich der Volkskunde, Religionswissenschaft, Pädagogik und Erziehungswissenschaften, der Soziologie und Psychologie. (Franke, Zimmermann 2008)

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2.1.2 Märchen einst und heute – Ansätze aus der Märchenforschung

„Es war einmal ...“, dieser formelhafte Märchenbeginn ist passend für den divergierenden Diskurs um Ursprung und Entstehungsgeschichte der Märchen. Aus welcher Zeit sie auch stammen, die Expertenmeinungen gehen weit auseinander.

Einig ist man sich in Fachkreisen darüber, dass Volksmärchen – im Gegensatz zu Kunstmärchen – aus einer vorliterarischen Zeit stammen, deren Erfinder unbekannt sind, sie durch Erzählen von Generation zu Generation weiter getragen und auf diese Weise über Jahrhunderte hinweg erhalten geblieben sind. Auf den Diskurs, inwieweit Volksmärchen als Kunstmärchen angesehen werden können, wie er in der Märchenforschung geführt wird, soll in dieser Arbeit nicht eingegangen werden, wenngleich es nach Neuhaus unbestritten ist, dass mit der Verschriftlichung eines erzählten Textes unweigerlich eine Auslegung einhergeht. (Neuhaus 2005).

Zu Lebzeiten der Brüder Grimm wurde der Zeit entsprechend die romantische Vorstellung gepflegt, die Märchen seien eine Mitgift in die Wiege der Menschheit.

Friedrich von der Layen versuchte um die Wende zum 20. Jahrhundert eine Chronologie aller Grimmschen Texte zu erstellen, denen er zum Teil indogermanischen und urgermanischen Ursprung zuschrieb. Die Beweisführung blieb letztendlich aus, denn „[a]ngesichts der fast weltweit belegbaren Ausformungen bekannter Märchentypen bleibt die Beweislast groß, wie und wann solche Tradierung statthaben konnte (letztlich müßten einige Märchen dann entweder so alt wie die Menschheit selber oder älter als der Ursprung von Atlantis sein)“ (Rölleke 1985, S.

94).

Nachdem die Brüder Grimm sich ebenso mit mittelalterlicher Literatur, mit Sagen, Legenden und Mythen beschäftigten, fanden sie Parallelen zu den Erzähltexten der Märchen. Lüthi (1974, S. 104) hält gleichermaßen fest, dass sich zwar „der Mythus im engeren Sinne deutlich vom Märchen unterscheidet (der Mythus kann ausschließlich von Göttern oder anderen Jenseitigen erzählen, der Mensch braucht in ihm nicht vorzukommen, der Held des eigentlichen Märchens aber ist der Mensch)“, man sich allerdings „der Auffassung der Brüder Grimm, die das Märchen aus dem Mythus herleiten, von verschiedenen Seiten wieder genähert“ habe. Die Erzähltexte der Märchen lassen sich keiner Zeitepoche eindeutig zuordnen, weisen

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aber Gemeinsamkeiten mit uralten Epen auf, beispielsweise mit dem Gilgamesch- Epos, dem Nibelungenlied oder der Arthussage. Ebenso sind die Landschaften, in welchen sich die Märchenereignisse abspielen, nicht zuordenbar und könnten sich in vielen Gegenden der Welt befinden. Auch Rölleke (1985) hält hinsichtlich der Herkunft, des Alters sowie der Bedeutung des Märchens fest, dass „die Forschungsergebnisse und -hypothesen, die Meinungen und Spekulationen fast so vielfältig und divergierend [seien], wie es Interessenten an diesen Fragen gibt.“ Er weist zudem darauf hin, dass alleine „die Diskussion über mono- oder polygenetischen Ursprung [...] antinomisch [war und bliebe]“ (Rölleke, 1985,85). Bei einer umgekehrten Argumentation, die sich darauf stützt, dass Märchen

Ausdruck einer bestimmten Weltsicht (auf der Stufe der Kindheitsgeschichte je eines Volkes) innerhalb der menschlichen Entelechie [seien], und so sei es nicht verwunderlich, daß einzelne Ethnien an einem bestimmten Punkt ihrer Entwicklung zu einer ähnlichen Weltauffassung gelangen müßten, die dann auch zu notwendig ähnlichem Ausdruck in sich märchenhaften Geschichten führte (gleichsam Ausdruckszwänge), [...] bleibt die Beweislast der verblüffend großen Ähnlichkeit, ja Identität einzelner Märchenversionen in allen Teilen der Welt (Rölleke 1985, S. 94).

Eines geht jedenfalls aus der immer gleichen Formulierung am Beginn eines Märchens hervor, nämlich dass sich das Erzählte bereits immer in längst vergangenen Zeiten zugetragen haben muss, also nie gegenwärtig gewesen war.

Zum Wesen des Märchens schreibt Lüthi (1974, S. 78f.), es sei

[f]rei von solchen Fesseln [der Sagen und Legenden, Anm. U.K.] [...]. Es kennt weder die Bindung an die Wirklichkeit noch die Bindung an ein Dogma. Es haftet auch nicht an einem einzelnen Ereignis oder Erlebnis, alles Einzelne ist ihm nur Baustein. Das Märchen braucht nicht die Unterstützung der Kirche; es lebt gegen ihre Feindschaft.

Und doch gibt auch es in seiner Weise eine Antwort, und eine tief beglückende Antwort, auf die brennenden Fragen menschlichen Seins. Im Märchen wird, zum erstenmal vielleicht, die Welt dichterisch bewältigt. Was in der Wirklichkeit schwer ist und vielschichtig, unübersichtlich in seinen Bezügen, wird im Märchen leicht und durchsichtig und fügt sich wie im freien Spiel in den Kreis der Dinge. Wo wir in der Wirklichkeit Teilabläufe sehen und kaum verständliche Schicksale, stellt das Märchen eine in sich selber selige Geschehenswelt vor uns, in der jedes Element seine genau bestimmte Stelle hat. Auch im Märchen blicken wir nicht 'hinter die Dinge'; nur die handelnden Figuren erblicken wir, nicht ihr Woher und Wohin, nicht ihr Warum und Wozu. Aber wir sehen, sie treten immer genau an der richtigen Stelle in den Verlauf der Handlung ein und verschwinden, sobald nichts Wichtiges mehr zu tun bleibt für sie.

Die Zeit der Romantik hat die Märchen neu entdeckt, und sie wurden eine Domäne der Frauen. Der Begriff „Ammenmärchen“ weist darauf hin, dass es bevorzugt

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Geschichten für Kinder und „kleine Geister“ zu deren Unterhaltung und Erziehung waren, denen aber keine Glaubwürdigkeit zukam. (Lüthi 1974) Nach C. G. Jung spiegeln Märchen universelle Archetypen wider, die weltweit bei allen kulturellen Unterschieden grundlegende Gemeinsamkeiten aufweisen. Jung sieht in der Märchensprache eine zeitlose und internationale Sprache, die das kollektive unterbewusste Gedächtnis der Menschheit zum Ausdruck bringt. (Jung, 2008) Die von den Brüdern Grimm als Vorlesebuch für Kinder verfasste Märchensammlung war als Kinder- und Erziehungsbuch von Anfang an umstritten. Die Grimms selbst meinten dazu:

Wir suchen für ein solches nicht jene Reinheit, die durch ein ängstliches Ausscheiden dessen, was Bezug auf gewisse Zustände und Verhältnisse hat, wie sie täglich vorkommen und auf keine Weise verborgen bleiben können, erlangt wird, und wobei man zugleich in der Täuschung ist, daß, was in einem gedruckten Buch ausführbar, es auch im wirklichen Leben sei. Wir suchen die Reinheit in der Wahrheit, einer geraden, nichts Unrechtes im Rückhalt bergenden Erzählung (Brüder Grimm 2002, S.

16).

Musäus hingegen schreibt in seinem 1782 veröffentlichten Märchenband im Vorwort, dass Volksmärchen „aber keine Kindermärchen [seien], denn ein Volk besteht nicht aus Kindern, sondern hauptsächlich aus großen Leuten und im gemeinen pflegt man mit diesen anders zu reden als mit jenen“ (Musäus 1977, S. 12). Die Diskussion, ob Märchen für Kinder geeignet sind, besteht bis heute. Aktuell sind es vor allem die Grausamkeiten, die kritisch beurteilt werden und weniger die sittlichen Verderblichkeiten. Horn merkt in ihrem Statement an, dass „in kaum einer anderen literarischen Gattung so oft gemordet, misshandelt, gequält und hingerichtet werde wie in den Märchen“ (Horn 2011, S. 5 online,). Als Gegenargumentation dient allerdings nachfolgender Beitrag von Ursula Kübler:

Gerade das Kind ist auf seinem Entwicklungsweg, ohne ein schon geformtes, reifes Ich, extremen Gefühlen von Angst, Neid, Eifersucht und Hass ausgesetzt. Das Umgehen mit diesen Kräften lehrt uns das Märchen in seiner archaisch – archetypischen Bildsprache, wo die intensiven aber oft tabuisierten Gefühle in einer Geschichte Platz bekommen, ausgelebt werden und sogar eine Lösung aufgezeigt wird. Die Projektion eigener zerstörerischer Seiten auf die Märchenfiguren hilft Spannungen abbauen, entlastet das Gewissen, kann allmählich bis zu einem gewissen Punkt [...] integriert werden (Kübler 2011, S. 4 online).

Bevor die Grimms ihre Texte als Kinder- und Hausmärchen herausbrachten, galten

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Märchen in Zeiten, als sie noch als Erzählgut galten, zur Unterhaltung für Erwachsene, was sich in heutiger Zeit in gewandelter Form wiederholt. Märchen werden kaum noch direkt erzählt, wenngleich auch dies wieder modern wird, in sogenannten Märchenerzähl-Seminaren. Sie werden gelesen, vorgelesen oder über Medien vermittelt. Die Filmindustrie hat – und tut es immer wieder von Neuem – Märchentexte in allen möglichen Varianten und Parodien verfilmt. Ebenso nutzt die Werbeindustrie Märchenmotive für ihre Zwecke, sei es für Konsumgüter oder den Tourismus, was die Wanderausstellung GrimmsKrams & MärchenDising seit dem Jahr 2008 umfangreich veranschaulicht.1 Selbst die Pornografie hat den Reiz der Märchen für sich entdeckt; die Popularität von Märchen und deren Unterhaltungswert besteht demnach nach wie vor. Frank und Zimmermann (2008, Klappentext) halten fest, dass die heutige Gesellschaft „einen Grimm- und Märchenboom [erlebt]: Es gibt Märchenspiele und Märchenparks, Märchenesoterik, Märchentherapie, Märchenfolklore, Märchenschlösser, ganze Märchenstädte. [...] Grimms Märchen sind zu einem Bestandteil der Massenkultur und Erlebnisgesellschaft geworden“.

Wie zu sehen ist, haben Märchen und -motive weite Teile unserer kommerzialisierten Gesellschaft erobert, und Märchen vermitteln unter anderem auch Altersbilder, die aber noch wenig untersucht sind. Schenda (1990), der die Darstellung von Alter und Alten in Volkserzählungen und so auch in Märchen intensiv erforscht hat, spricht diesen allerdings jeglichen Wert für das heutige soziale und gesellschaftliche Leben ab:

Da das Märchen einseitig nach einer Glücksallianz von tüchtig-aktiven Jung-Helden und tugendhaft-passiven Jung-Heldinnen äugelt, ist es blind für andere Koalitionsmöglichkeiten in der Gesellschaft, hat kein Gespür für Partnerschaften zwischen Jung und Alt – mit munteren Großmüttern und neugierigen Enkeln zum Beispiel – oder zwischen Alt und Alt [...]. Da das Märchen zumeist Egozentriker herumwandern läßt, die nur ihr eigenes Königsschloß gewinnen wollen, bietet es nur wenige Bilder vom gemeinsamen Handeln auch älterer Menschen zu gemeinsamen politischen – nicht nur materiellen – Zielen (Schenda 1990, S. 160).

Im Gegensatz dazu steht die Einstellung von Lüthi (1974, S. 25), der festhält, dass

„das Märchen nicht darauf aus [sei], die konkrete Welt mit ihren vielen Dimensionen einfühlend nachzuschaffen.“ Lüthi (ebda) sieht die Welt im Märchen umgestaltet, es verzaubere „ihre Elemente, gibt ihnen eine andere Form und erschafft so eine Welt 1 Aktuell ist sie im Brüder Grimm Museum in Kassel zu sehen.

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völlig eigenen Gepräges“.

In nachfolgendem Kapitel soll untersucht werden, wie die Einstellung zu Altern und Alten in der Geschichte gewesen ist.

2.1.3 Alter, Alterung, Altersbilder aus historischer Perspektive und im Märchen Vor der chronologischen Altersberechnung wurde Alter einerseits als Gegenbild zu den Jüngeren sichtbar, es war also an der Generationenabfolge zu erkennen, andererseits zeigte es sich an der eigenen Leiblichkeit, nämlich dann, wenn die eigene Leistungsfähigkeit nachließ. Beauvoir (1990, S. 8) veranschaulicht, wir stünden „[v]or dem Bild, das die alten Leute uns von unserer eigenen Zukunft zeigen, [...] ungläubig; eine Stimme in uns flüstert uns widersinniger Weise zu, daß uns dies nicht widerfährt: das sind nicht mehr wir, wenn es eintrifft.“ Das Alter sei demnach etwas, das uns selbst nicht betrifft, sondern „nur die anderen“ (ebda). Klargestellt werden muss, dass das Alter nicht über den einzelnen Menschen hereinbricht, sondern ein fortlaufender genuiner Prozess ist, der fortwährend an und in seiner Leiblichkeit arbeitet, ohne dass er ein Bewusstsein davon hat. Erst bei einer physischen Fehlfunktion und der spürbar nachlassenden Regenerationskraft oder über soziale Stigmatisierung werden Menschen ins Altsein gestoßen. Unabhängig von der hohen Lebenserwartung der Gegenwart und Zukunft, gelten Menschen über 40 am Arbeitsmarkt beispielsweise als alt und schwer vermittelbar, mit 45 als kaum noch vermittelbar und ab 55 plus als unvermittelbar; Betriebe wollen Arbeitnehmer/innen ab 50 überdies aussondieren, da sie zu teuer werden (Radio- Interview mit AMS-Direktor Kopf am 11. Oktober 2014 auf Ö1). Zwischen dem gefühlten Alter, dem sozialen Alter und dem kalendarischen Alter bestand offensichtlich von jeher eine grosse Divergenz. Der uralte Kinderreim, „Liram, larum Löffelstil, alte Frauen essen viel, Junge müssen fasten [...]“, müsste gegenwärtig heißen: „[…] alte Menschen kosten viel [...]“. Zum europäischen Jahr für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen 2012 veröffentlicht das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, „dass es ein Vorurteil sei, das Alter beginne mit 65. Eine eindeutige Festlegung, wann das Alter

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beginnt, gibt es nicht. Die WHO unterscheidet zwischen älteren Menschen (60 – 75jährigen), alten Menschen (75 – 90jährigen) und Hochbetagten.“ (BMASK 2012 online) Das offizielle Alter wird spätestens mit Eintritt in den Ruhestand festgesetzt, was sich am kalendarischem Alter orientiert.

Göckenjan (2000, S. 178) erörtert wie folgt die Wandlung des Altersbegriffs:

Altern kann als Anpassungs- und Kompensationsleistung formuliert werden, das sind auch erste Anzeichen einer Verwissenschaftlichung des Alters. Alte treten erkennbar mit eigenen, den Diskurs brüskierenden Interessen auf (Meister, Junghann), aber es sind doch Einzelpositionen, erst Grimm erreicht klassische Statur und Aufmerksamkeit. Diese Positionen der Normalisierung verweisen nicht unbedingt auf eine Veränderung des Sozialstatus alter Leute, und Grimm ist klassisch, indem er die Unabhängigkeit des hohen Alters unterstellt. Die Altersstilisierungen der Großeltern, insbesondere der Großmutter, legen allerdings solche Veränderungen nahe, denn dem Alter werden jetzt Aufgaben zugewiesen, die wie vorher Uneigennützigkeit und Nachfolgedienlichkeit bedeuten, aber nicht im Sinne von Direktionsleistungen, immer im Kern: Platz zu machen für die Nachfolgegeneration, sondern im Sinne von Milieuarbeit nach dem vollzogenen Generationswechsel.

Im Physiologischen beginnt der Alterungsprozess jedenfalls nach Abschluss der Wachstumsphase, Lehr (1988, S. 9) weist allerdings auf die unterschiedlichen Perspektiven hin, so seien für „Kinder und Jugendliche [...] Fünfzigjährige sehr alt; für Siebzig- Achtzigjährige sind jene Fünfzigjährigen noch sehr jung. Untersuchungen zeigen: mit zunehmendem Lebensalter der Befragten beginnt das 'Altsein' zu einem späteren Zeitpunkt, verschiebt sich die Altersgrenze nach oben“. Betont werden muss jedenfalls, dass „Alter […] nicht alleine den sozialen Status [schaffe], sozialer Status und psychophysische Verfallserscheinungen begründen sich wechselseitig“

(Göckenjan 2000, S. 189).

Es stellt sich die Frage danach, wann jemand als alt galt, bevor die chronologische Altersberechnung eingeführt wurde. Vor Einführung der chronologischen Altersberechnung wurde Alter an der Zugehörigkeit zu einer Kohorte bestimmt sowie am sozialen Status. Letzteres blieb bis heute bruchstückhaft erhalten, wenn Jugendliche von ihren Eltern als „meine Alten“ sprechen. Die demografische Entwicklung zeigt, dass „die durchschnittliche Lebenserwartung im 17. Jahrhundert bei knapp 30 Jahren, 1750 bei 32,5 Jahren [lag] und [...] 1850 auf 35 Jahre an[stieg]“

(Marschalck 1984, S. 26). Die Einteilung der Lebenszeit sah darüber hinaus anders aus als heute; mit 25 Jahren wurde geheiratet, im Durchschnitt wurden 7,95 Kinder

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pro Ehe geboren, wobei die „Säuglings- und Kindersterblichkeit [...] bei über 50 Prozent [lag].“ Marschalck (ebda) betont allerdings, dass jene, „die das Kindesalter überlebten, [...] gute Chancen für ein Leben von 60 bis 70 Jahren [hatten], wenn nicht Epidemien oder Kriege ausbrachen“. Göckenjan schreibt in seinem Buch Das Alter würdigen, dass bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hat eine Frau mit der Verheiratung die Jugend verlassen und galt in diesem Sinne als alt. Im Extremfall galt das auch für Mädchen, wenn sie bereits mit 14 Jahren verheiratet wurden.

Männer galten spätestens ab der Geburt des ersten Sohnes als zu den Alten gehörig, da er dann von einem Jüngeren abgelöst wurde. Das kalendarische Alter ist vergleichsweise unwichtig gegenüber dem sozialen Status. Im Unterschied zu Männern galt eine unverheiratete Frau ab dem dreißigsten Lebensjahr als alte Jungfer – für sie beginnt eine seltsam alters- und geschlechtslose Lebensphase. Die Chronologie des Alters ist von untergeordneter Bedeutung, wichtig ist die Generationenfolge. Der Eintritt in das Greisenalter, mit Überschreitung des sechzigsten Lebensjahres ist ein Einschnitt im Lebenslauf. Diese Altersstufe des fortschreitenden Verfalls, ist eine Erfindung zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts mit Beginn des Altersruhestandes, also dem Austritt aus dem aktiven Erwerbsleben. Das Altersbild jener Zeit zeigt eine fundamentale Polarisierung:

einerseits die Würde des Alters und der Respekt den Alten gegenüber, auf der anderen Seite die Stigmatisierung von Häßlichkeit, Sinnlosigkeit und dem geistigen und körperlichen Verfall. Das Negativbild vor allem alter Frauen wurde erst mit der sozialen Erfindung der Großeltern – seit den 1860er Jahren – ausgeglichen.

(Göckenjan 2000)

Rösener führt an, dass in einer Zeit, in der es oft an den notwendigsten Lebensgrundlagen fehlte – und das war zu Zeiten der Märchenerzählungen – jeder Tag eine existenzielle Herausforderung hinsichtlich Nahrung, Wohnraum oder Kleidung darstellte, war ein Leben das wert, was es durch Arbeit zur Erhaltung der Gemeinschaft beitragen konnte. Das galt am Beginn des Lebens ebenso wie am Ende: Kinder wurden früh zu kleineren Tätigkeiten herangezogen, sodass sie ihren Beitrag für die Familie leisteten. Wenn die Alten keine Arbeiten mehr verrichten konnten, wurden sie ebenso wie chronisch Kranke in altertümlichen Zeiten ausgesondert oder den Göttern geopfert, besonders wenn Nahrungsmittel knapp

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waren, wie als Beispiel die Geschichte zweier alter Frauen von Velma Wallis anschaulich erzählt (Wallis 1994) (Rösener, 1986) Die Geschichte alter Frauen ist eine Geschichte der Stigmatisierung, wohingegen alte Männer zwar ebenso vom gesellschaftlichen und sozialen Leben ausgeschlossen waren (vor allem dann, wenn sie nicht mehr arbeitsfähig waren), dennoch erlebten sie nicht die gleiche sprachliche und soziale Diskriminierung wie Frauen. Das männliche Gegenbild zur alten Jungfer ist der Junggeselle, der jung gebliebene Geselle, eine Benennung ohne negative Konnotation. Nachdem bei der Heiratswerbung den Männern die aktivere Rolle zukam, hatten sie auch in einem Alter von über dreißig Jahren noch gute Chancen, eine Ehe zu gründen. Auch als Witwer besaßen sie die besseren Möglichkeiten für eine Wiederverheiratung.

Hahn (2000) weist darauf hin, man wisse nicht, wie alt Frauen tatsächlich sind, wenn

„von alten Frauen in der Literatur bis zum 19. Jahrhundert die Rede ist.“ Es bleibe offen, ob diese Frauen

fünfzig, sechzig, siebzig oder älter [sind]. Die Bilder gleichen einander aus Märchenerzählungen oder Sagen. [...] Stets werden uns Skizzen von Frauen vermittelt, die eingehüllt in schwarze Kleidung, in sich zusammengesunken, zumeist mit runzelig, faltigem Gesicht, abseits bzw. im Hintergrund sitzen und leben, anscheinend nur noch den Tod (geduldig) erwarten, diesem (ruhig) entgegenblicken.

[…] Die Stigmatisierung von Frauen im fortgeschrittenen Alter, unabhängig von ihrem tatsächlichen biologischen Lebensalter, zu bösen, mit dem Teufel im Bunde stehenden Hexen oder Zauberinnen, gipfelt, wie die historische Armuts- und Hexenforschung gezeigt hat, in der frühen Neuzeit [...]. Alt zu sein in diesen Jahrhunderten begann für Frauen bereits mit 30. (Hahn 2000, S. 156-158)

Göckenjan (2000, S. 188) erklärt genauso, dass der „Alterstypus Altjungferntum [...]

eine lange Tradition und umfassende Nutzanwendung als Institut sozialer Verortung und Stigmatisierung [habe].“ Dabei bestehe diese „Stigmatisierung der Unverheirateten [...] für beide Geschlechter, aber nur die alte Jungfer scheint ein dauerhafter Topos zu sein“ (ebda). Göckenjan (ebda) erkennt in der Figur und Rolle der „alten Jungfer“ unterschiedliche „Motive wie das Lächerliche, das Tragische oder das sozial Gefährliche weiblicher Potenzen und Biografien zusammen“. Göckenjan (ebda) weist zudem darauf hin, dass eben diese Motive „durch die Unterstellung zusammengehalten [würden], daß die Betreffenden ihre Situation der Ehelosigkeit absichtlich selbst herbeiführt hätten, durch Arroganz, Egoismus, Lieblosigkeit“. Diese Stigmatisierung und Aggressivität gegenüber ledigen Frauen nahm außerdem mit

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„der Aufwertung von älteren Frauen, die ihrer – in den Augen der Gesellschaft als Pflicht verstandenen – Aufgabe als Ehefrau und Mutter nachgekommen waren, […]

zu“ (Hahn 2000, S. 158). Sie verstärkte sich zudem, „je weiter fortgeschritten die Frauen im Alter waren“, und in dieser „Gesellschaftsstruktur, zu deren Grundpfeilern die heterosexuelle Paarbeziehung zählte, verfügten Frauen, die dieser Norm nicht entsprachen […] über keine adäquate gesellschaftliche Position“ (ebda). Laut Göckenjan wurde diesen Frauen mit spätestens vierzig die Existenzberechtigung vollständig abgesprochen. (Göckenjan 2000) Ledigen Frauen, die nicht in ein Kloster eintraten, standen nur beschränkte Erwerbsmöglichkeiten zur Absicherung ihrer Existenz offen. Bei gebildeten Frauen war das der Beruf der Grundschullehrerin, der Gouvernante oder der Gesellschafterin für wohlhabende Damen. Bei niederen sozialen Schichten konnten sich ledige Frauen als Magd, Dienstmädchen – die Bezeichnung blieb ihnen, auch wenn sie das Mädchenalter überschritten hatten – Köchin, insbesondere Pfarrersköchin oder Hebamme ihren Lebensunterhalt verdienen. (Ebda)

Das Bild der Frau und im Besonderen der alten Frau wurde durch eine patriarchale und von männlichen Vorstellungen geprägte Gesellschaft zur Personifikation des Bösen hoch stilisiert, ob nun verheiratet, verwitwet oder ledig. Das Lied über das Alter aus dem Jahre 1506 von Erasmus umschreibt das Thema folgendermaßen:

Ein fürchterliches Wesen ist das Weib, wenn zu den Fehlern der ganzen Art auch noch das Alter hinzukommt. Wenn man einen Hund reizt, so wird er nur bellen und hin und wieder beißen. Aber die alten Weiber haben nicht nur das Gift ihrer Zunge, sie verfügen auch über böse Künste der Giftmischerei und Zauberei (zit. nach Göckenjan 2000, S. 194).

Ehen waren in den vergangenen Jahrhunderten (und bei nicht wenigen Völkern sind sie es bis heute) eine Institution zur Erhaltung des Stammbaumes, also des Familiennamens durch die Erzeugung von Kindern, wobei den Söhnen die primäre Rolle zukam als Stammhalter des Namens – die Frau nimmt den Namen des Mannes an, eine bis heute übliche Sitte, wenn auch kein Muss. Hingegen kosteten Mädchen vor allem aufgrund der notwendigen Mitgift, um sie attraktiv für eine Verheiratung werden zu lassen; sie konnten jedoch durch eine vorteilhafte Ehe durchaus zu Ansehen und Reichtum der Stammfamilie beitragen. Mit der Eheschließung stand die Frau „Zeit ihres Lebens unter der Vormundschaft ihres

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Ehemannes und war seiner Herrschaft unterworfen“ (Rössler 1986, S. 191). Das Recht zur Züchtigung wurde zur Pflicht, solange der Mann für die Hausgemeinschaft verantwortlich war. Wenn er bei Verfehlungen, vor allem der Frau, nicht züchtigte, musste er Buse zahlen und hatte dazu den Spott des Umfeldes. Die Kirche unterstützte die Vormachtstellung der Männer, indem sie die geistige als auch geschlechtliche Minderwertigkeit der Frauen betonte, und die Frau sich generell dem Mann unterzuordnen hatte. Dies änderte sich erst in der Wende zum 13. Jahrhundert in der Oberschicht mit dem Aufkommen der höfisch-ritterlichen Formen der Liebe. In den Unterschichten war es der aufkommende Marienkult, der das Idealbild einer Frau und Mutter verehrte und diesen damit erstmalig eine ethische Würde verlieh, was an deren Alltagsleben über viele weitere Jahrhunderte hinweg wenig änderte.

Durch die zahlreichen Geburten unter hygienisch mangelhaften Bedingungen und nicht selten schlechten Ernährungszuständen war nicht nur die Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit hoch, sondern viele Frauen verstarben im Kindbett. Frauen allerdings, die das Klimakterium erreichten, hatten die zweifelhafte Chancen auf ein hohes Alter, besonders wenn sie als Witwen überlebten. (Rössler 1986) Fanden oder wollten verwitwete Frauen nach dem obligatorischen Trauerjahr keinen neuen Ehepartner, wurden sie wie ledige Frauen behandelt, als gesellschaftliche Außenseiterinnen stigmatisiert und diskriminiert.

Diese weitverbreitete allgemeine Subsumierung der Witwen unter die Kategorie der alten Frauen zum einen, sowie diesem Stereotyp entsprechend tradierten Bilder von und über verwitwete Frauen zum anderen, die gleichzeitig auch Bilder der 'Randständigkeit', der Hilflosigkeit, von Versorgungsfällen suggerieren, lassen die Frage nach dem tatsächlichen Alter von Witwen ebenso aufkommen wie nach deren Lebens- und Alltagserfahrungen, nach deren Eigen- bzw. Selbstwahrnehmung und den Widersprüchlichkeiten zwischen der eigenen Identität auf der einen Seite und der von außen oktroyierten zugeschriebenen Identität auf der anderen Seite (Hahn 2000, S. 161).

Wenn der Mann, der neben Ernährer auch der Verteidiger der Ehre seiner Frau war, als Familienoberhaupt wegfiel, musste die Witwe sich in schwarze Kleider hüllen und sich, um nicht in Ehrlosigkeit zu verfallen, aus dem gesellschaftlichen Leben zurückziehen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass, wie historische Datenerhebungen „in mitteleuropäischen Städten vom 17. bis zum 20. Jahrhundert zeigen, stets jede zehnte Frau – gemessen an der weiblichen Gesamtbevölkerung –

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eine Witwe war“ (Hahn 2000, S. 160).

In der öffentlichen Rede anlässlich des Todes seines Bruders Willhelm denkt Jacob Grimm laut über das Altwerden nach und betrachtet verschiedene Aspekte wie nachlassende Kraft, Gebrechen, Geiz, Gelassenheit, Konzentriertheit, Ruhe. Daran formuliert er sein persönliches wissenschaftlich-ethisches und politisches Credo, denn er bekennt sich als „freigesinnter alter Mann [...] zu seinen Idealen der freien Forschung und eines Staatswesens, das es verstünde, mit dem größten Schutz aller einen ungestörten und unantastbaren Spielraum für jeden einzelnen zu schaffen und zu vereinbaren“ (Döbler, 2010 deutschlandradiokultur).

Wie dargestellt wurde, stammen die Märchen aus frühen Jahrhunderten, aus einer Zeit also, in der Alter noch nicht über den Geburtsjahrgang bestimmt wurde, sondern über die Zugehörigkeit zu einer Generation. Demnach gilt im Märchen jede Figur als alt, die nicht als Kind beziehungsweise als jugendlich eingeordnet werden kann.

Vater und Mutter resp. Stiefmutter und Witwen zählen daher zu den Alten. Die ganz Alten sind jenseits jeglicher Altersgrenze angesiedelt, es sind dies in den Märchen Hexen, Feen, Zauberer und Zauberinnen, Riesen und Zwerge und dazwischen gibt es noch die (heute würde man sie als hochbetagt nenen) Greisinnen und Greise, die Großmutter und den Großvater. Die Lebensjahre werden bei Kindern gezählt, in dieser Hinsicht stellt Dornröschen mit seinen fünfzehn Jahren das Limit dar. Darüber hinaus wird Alter undifferenziert, einzig durch den sozialen Status als Mutter/Vater, Witwe/Witwer oder unverheiratet Alleinlebende oder unverheiratet Alleinlebender definiert, genauso wie es aus der Geschichtsforschung abzuleiten ist.

2.1.4 Begründung der ausgewählten Märchen

Die Grimmschen Märchen wurden als Primärliteratur für die Erörterung der vorliegenden Thematik gewählt, weil sie mehr als andere Märchenbücher und Fabeln im hiesigen Kulturkreis als allgemeines Kulturgut anerkannt sind. Jedes Kind und jeder Erwachsene hat Bilder von Märchenfiguren im Kopf, wobei die bildlichen Darstellungen in Büchern und heute auch im Film die Vorstellung stark mitprägen, wenn nicht sogar manipulieren.

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Die Urfassungen der Märchen wurden als Textbasis ausgewählt, weil sie unverfälscht die Volkserzählungen wiedergeben, ohne moralische oder betuliche Attitüden der darauffolgenden Ausgaben. Aufgrund dessen kommt in den Urfassungen der für Märchen typische Stil, der nicht gleichzusetzen ist mit dem heute bekannten Stil der Grimmschen Märchen, vordringlicher zur Geltung: die skizzenhafte Darstellung von Gestalten, von Ereignissen, von Umgebungen, Zeitabläufen und sozialen Beziehungen und Lebensbedingungen. Stil und Inhalt der Urfassungen lassen Raum für Fantasie und Interpretation der Rezipienten, denn es werden Bilder im Kopf erzeugt.

Die sechs Märchen wurden wegen ihres hohen Bekanntheitswertes ausgewählt, so werden sie beispielsweise in der Werbewirtschaft reichlich genutzt und sind dadurch allgegenwärtig: Rothkäppchen (z. B. Rotkäppchen-Sekt und Rotkäppchen- Camembert), Hänsel und Gretel (das Haus der Hexe wird Jahr für Jahr in der Adventszeit aus Lebkuchen nachgebacken und ist in verschiedensten Ausführungen in weihnachtlichen Auslagen zu bewundern), Schneewittchen (das wohl am meisten und in unterschiedlichsten Variationen verfilmte Märchen; die Marke „Zwergenwiese“

ist mit allen möglichen Produkten in Bioregalen vertreten, genauso wie der 7-Zwerge- Kindersaft der Firma Voelkel), Rapunzel (Rapunzelsalat), Die Bremer Stadtmusikanten (haben in der Stadt Bremen ein monumentales Denkmal gesetzt bekommen) und Dornröschen (in jedem Lebensmittelgeschäft mit den DeBeukelear- Prinzenrollen vertreten).

Diesen jungen Werbeträgerinnen und Werbeträgern aus den Märchen stehen stets zwei Generationen von Alten gegenüber, nämlich die Alten (aus historischer Sicht sind das die Eltern) und die Uralten, die in das Schicksal der Jungen eingreifen und deren Lebensumstände mitbestimmen und mehr oder weniger bewusst in Vorstellungsbildern neben den Jungen gegenwärtig sind. Die Verstrickung von jeweils drei Generationen in diesen Märchen ist ein wesentlicher Aspekt für die Auswahl in vorliegender Arbeit.

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2.1.5 Analysemethoden in der Märchenforschung

Es war eine Pionierleistung des finnischen Erzählforschers Antti Aarne (1867–1925), als er 1910 die erste Klassifikation von Märchen nach Typen entwarf, die in deutscher Sprache gedruckt wurde: Verzeichnis der Märchentypen. Grundlage waren finnische Märchensammlungen, die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm und die dänische Sammlung von Svend Grundtvig. Die Klassifizierung der Märchen erfolgte in diesem Verzeichnis nach folgenden Kriterien:

1–299: Tiermärchen

300–749: Zaubermärchen

750–849: Legendenmärchen

850–999: Novellenmärchen

1000–1199: vom dummen Teufel und Riesen

1200–1999: Schwänke

Der US-Amerikaner Stith Thompson (1885–1976) verfeinerte dieses System mittels Unterteilungen und veröffentlichte 1961 eine Erweiterung des Typenkatalogs. Im Jahr 2004 wurde das Klassifizierungssystem durch Hans-Jörg Uther zum dritten Mal bearbeitet, sodass auch nicht europäische Märchen darin eingeordnet werden konnten. Seitdem ist der Aarne-Thompson-Uther-Index (ATU) „ein Klassifikationssystem für Märchen und Schwänke, das in der internationalen Erzählforschung für die Identifizierung von Märchentypen und -motiven eingesetzt wird“ (Aarne-Thompson-Index, o.Verfasser, 2010, maerchenatlas). Diese umfassende Gliederung ermöglicht „einen Vergleich und die Aufdeckung von Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den verschiedenen Erzähltraditionen“ (ebda).

Der Russe Vladimir Propp (1895–1970) entwickelte erstmalig eine formale Analysemethode für die Bearbeitung und Erforschung im Speziellen von Zaubermärchen. Als Märchenforscher entdeckte er in hundert russischen Zaubermärchen – und später auch in den Grimmschen Märchen – eine gattungsübliche Struktur, die stets dem gleichen Muster folgt und die, wie Propp meinte, jedem Leser unbewusst bekannt sei. Nach Propp sei die Struktur das Konstante, Invariable, wohingegen der Inhalt variabel sei; wichtig dabei: „Die Abfolge der Erzähleinheiten ist im Märchen bedeutsam“ (Propp 1975, S. 28). Neben der

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äußeren formalen dreiteiligen Struktur, den sogenannten Handlungskreisen (1.

Auszug des Helden/der Heldin, 2. Prüfungen, 3. Heimkehr und Bestrafung der Widersacher/innen), nahm Propp eine, in allen von ihm erforschten Erzähltexten gleichbleibende, innere Struktur wahr. In Propps strukturalistischer Analyse stehen nicht die Charaktere im Mittelpunkt, sondern deren Funktionen, worunter „eine Aktion einer handelnden Person verstanden [wird], die unter dem Aspekt ihrer Bedeutung für den Gang der Handlung definiert wird“ (Propp 1975, S. 26). Propp stellte in den Zaubermärchen exakt 31 Funktionen fest, die stets der gleichen Reihung folgen, wobei es durchaus möglich ist, dass eine oder mehrere Funktionen ausfallen oder sich wiederholen, also in unterschiedlicher Anzahl vorkommen können. „Damit bilden die Funktionen der handelnden Personen die Grundelemente des Zaubermärchens“

(Propp 1975, S. 27). Analog zu den Funktionen stehen sieben Aktanten. Aktant ist dabei die zusammenfassende Bezeichnung für eine handelnde Person in einem Handlungsstrang. Sobald diese Person für den weiteren Fortgang der Erzählung nicht mehr relevant ist, verschwindet sie aus dieser. Nach Propp (1975) treten in jedem Zaubermärchen sieben Aktanten auf: Held, Gegenspieler, Opfer, falscher Held, Schenker von Zaubermitteln, Aussender des Helden, Helfer. Dabei ist es möglich, dass unterschiedliche Handlungsträger in einer Gestalt vereinigt sind, genauso wie ein Handlungsträger in unterschiedlichen Figuren auftreten kann. Propp ging es nicht um eine Sinnerfassung der Märchen oder deren mythologische Verankerung, sondern um die Erfassung der erzählerischen Grundstrukturen in der Gattung Märchen. Die Erkenntnis der Struktur setzt die Elemente einer Erzählung in Beziehung zueinander, wodurch ein dahinter liegender Sinn des Textes offenbart werden kann. (Propp 1975)

Jedem Märchen dieser Studie wird daher eine strukturelle Analyse der Analyse vorangestellt. Der strukturalistischen Analyse sollen die fünf Kategorien der Stilanalyse Lüthis gegenübergestellt werden; nicht als Diskurs, sondern als zwei sich gegenseitig ergänzende Methoden der Märchenanalyse. Lüthi (1979) betont in dieser Hinsicht, Propps Strukturanalyse und seine eigene Stilanalyse, die allerdings außereuropäische Märchen nicht einbezogen hat, würden einander ergänzen. Mit der Stilanalyse wurde eine Methode geschaffen, um die Grundform des Typus Märchen im Allgemeinen zu erfassen. Demnach soll darauf geachtet werden, „was

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das Märchen zum Märchen macht. Der Typus kommt in der Wirklichkeit nie rein vor.

Er kann aber durch Vergleich vieler Individuen gefunden werden. Das Gemeinsame wird festgehalten, das Zufällige, von Individuum zu Individuum wechselnde ausgeschieden“ (Lüthi 1974, S. 7).

Nach Lüthi (1974) ist das erste Kennzeichen jedes Märchens die Eindimensionalität, also die Selbstverständlichkeit, dem Übernatürlichen und Jenseitigen gegenüber. Die Märchenhelden und -heldinnen wundern sich nicht, hinterfragen nicht, sind nicht neugierig; der „Märchendiesseitige hat nicht das Gefühl, im Jenseitigen einer anderen Dimension zu begegnen. In diesem Sinne spreche ich von Eindimensionalität des Märchens“ (Lüthi 1974, S. 12). Die Wirklichkeit der realen Welt ist demnach so selbstverständlich wie eine jenseitige Wirklichkeit, und beide gehen vom Erleben her nahtlos ineinander über. Dieser Umstand führt dazu, dass das Märchen „keine wilde Zaubergeschichte [ist], in der jedem alles möglich ist“

(Lüthi 1974, S. 12), sondern diesseitige Personen bekommen von jenseitigen Gestalten zur Erreichung eines Zieles Zauberkräfte oder -mittel verliehen, die ihnen auch wieder entzogen werden können.

Die zweite Kategorie nach Lüthi ist die Flächenhaftigkeit:

Dem Märchen fehlt nicht nur das Gefühl für die Kluft zwischen profaner und numinoser Welt. Es ist überhaupt und in jedem Sinne ohne Tiefengliederung. Seine Gestalten und Figuren ohne Körperlichkeit, ohne Innenwelt, ohne Umwelt; ihnen fehlt die Beziehung zur Vorwelt und zur Nachwelt, zur Zeit überhaupt (Lüthi 1974, S. 13).

Die Dinge im Märchen, also auch Gegenstände des täglichen Gebrauchs, zeigen weder Spuren eines Verschleißes, genauso, wie Menschen und Tiere entweder immer jung bleiben oder schon immer alt waren. Es fehlt ihnen „die körperliche und seelische Tiefe“ (Lüthi 1974, S. 14), beinahe so, „wie wenn die Märchengestalten Papierfiguren wären, bei denen man beliebig irgendetwas wegschneiden kann, ohne daß eine wesentliche Veränderung vor sich geht“ (ebda). Interessanterweise äüßert

„sich bei solchen Verstümmelungen weder körperlicher noch seelischer Schmerz, nur wenn dies für die weitere Handlung wichtig ist, werden Tränen vergossen“ (ebda).

Überhaupt dienen im Märchen alle erzählten oder erwähnten Gefühle oder Eigenschaften einzig dem Verlauf der Handlung, und nicht dazu, eine Atmosphäre zu schaffen. Lüthi (1974, S. 23) betont den Verzicht des Märchens „auf räumliche, zeitliche, geistige und seelische Tiefengliederung. Es verzaubert das Ineinander und

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das Nacheinander in ein Nebeneinander. Mit bewundernswerter Konsequenz projiziert es die Inhalte der verschiedenen Bereiche auf ein und dieselbe Fläche“.

Diese flächenhafte Darstellung entspringt nicht einem Unvermögen, sondern einer entschiedenen Formgebung des Märchens, denn dieses „saugt alles Räumliche von den Dingen und Phänomenen ab und zeigt sie uns als Figuren und figurale Vorgänge auf einer hell erleuchteten Fläche“ (ebda).

Der abstrakte Stil ist nach Lüthi (1974) die dritte Kategorie, und dieser ergebe sich wie von selbst aus der Eindimensionalität und Flächenhaftigkeit. Die einzelnen Figuren und Dinge heben sich durch scharfe Konturen mittels Linienschärfe und reinen, kräftigen Farben eindeutig voneinander ab. Gerade der abstrakte Stil verleiht den Volksmärchen ihren besonderen Reiz, weil in der Abstraktheit, der minimalistischen Darstellung, dem Verzicht auf jegliche prosaische Ausschmückungen, die vielfältige Interpretierbarkeit liegt. Dazu gehört auch die Formelhaftigkeit der Märchen, mit dem immer gleichen Beginn, „Es war einmal“, den Wiederholungen in den Geschichten, den metrischen und gereimten Sprüchen, und das Märchen „liebt Zahlen, vor allem die Einzahl, Zweizahl, Dreizahl, Siebenzahl und Zwölfzahl: Zahlen von fester Prägung und ursprünglich magischer Bedeutung“ (Lüthi 1974, S. 33). Lüthi erörtert weiters, die abstrakte Stilisierung gebe

dem Märchen Helligkeit und Bestimmtheit. Sie ist nicht Armut oder Nichtkönnen, sondern hohe Formkraft. Mit wunderbarer Konsequenz durchdringt sie alle Elemente des Märchens, verleiht ihnen festen Umriß und sublime Leichtigkeit. Sie ist fern von toter Starrheit, denn zu ihr gehört das rasche und entschiedene Fortschreiten der Handlung. […] Die Bewegung ist keine willkürliche, ihre Form und ihre Richtung, ihre Gesetze sind scharf bestimmt. Der Figurenstil schenkt dem Märchen Festigkeit und Gestalt; das Vorwärtsstreben bewegt und beschwingt es. Feste Form und spielende Eleganz fügen sich zur Einheit. Rein und klar, mit freudiger, leichter Beweglichkeit erfüllt das Märchen strengste Gesetze (Lüthi 1974, S. 36).

Die vierte Kategorie ist jene der (sichtbaren) Isolation und (unsichtbaren) Allverbundenheit, wobei „Isolation und Allverbundenheit [...] Korrelate [sind]. Nicht trotz ihrer Isolierung ist die Märchenfigur kontaktfähig mit allem und jedem, sondern wegen ihrer Isolierung“ (Lüthie 1974, S. 52). Lüthi (1974, S. 61) bezeichnet dabei die

„wahren Märchenhelden“ als „die Isolierten“, die jedoch „wie niemand sonst frei für alles wirklich Wesentliche [seien]. Als Isolierte leben sie 'in Figuren'. Ohne ihren wahren Platz zu kennen, handeln sie 'aus wirklichem Bezug'“.

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Die fünfte Kategorie ist nach Lüthi (1974, S. 63) die Sublimation und Welthaltigkeit, denn hinter vielen Elementen des Märchens stehe ein magischer Ursprung, wobei es sich „zugleich erweist […], daß das eigentlich Magische im Märchen verflüchtigt ist.

Magie ist untrennbar verbunden mit Anspannung der Seele. Zauber verwirklicht sich durch Beschwörung, durch einen Willensakt“. Von diesem Willensakt jedoch sei im Märchen „nichts zu spüren“ (ebda). Als Sublimation werden jene Motive bezeichnet, die aus Riten, Sitten, Gebräuchen, Profanem, Magischem und Mythischem entlehnt sind und durch das Märchen in wirklichkeitsferne Stoffe umgeformt und damit neu gestaltet wurden. Die Welthaltigkeit entsteht dadurch, dass die Märchenmotive zwar keinen Realitätsbezug enthalten aber dennoch das gesamte Leben spiegeln, gleichsam universale Repräsentanten der Welt darstellen. Lüthi sieht in dieser Entleerung aller Motive im Märchen

Verlust und Gewinn zugleich. Verloren gehen Konkretheit und Realität, Erlebnis- und Beziehungstiefe, Nuancierung und Inhaltsschwere. Gewonnen aber werden Formbestimmtheit und Formhelligkeit. Die Entleerung ist zugleich Sublimierung. Alle Elemente werden rein, leicht, durchscheinend und fügen sich zu einem mühelosen Zusammenspiel, in dem alle wichtigen Motive menschlicher Existenz erklingen (Lüthi 1974, S. 69).

Die Stilanalyse nach Lüthi (1974) erweist sich jedenfalls als hilfreich, Märchentexte, -ereignisse- und -gestalten richtig zu beurteilen. Nach Lüthi (1974, S. 72 ) spiegele das Märchen überdies „wirklich alle wesentlichen Elemente des menschlichen Seins.

Schon das einzelne Märchen enthält meist die kleine und die große Welt, private und öffentliche Geschehnisse, diesseitige und jenseitige Beziehungen“.

2.1.6 Analysemethode zur Erforschung gerontologischer Aspekte und Abgrenzung zur literaturwissenschaftlichen Forschung

Nachdem die Märchen aus längst vergangenen Zeiten stammen – dies gilt auch für das 17. und 18. Jahrhundert – ist, von einer geringen Schwankungsbreite abgesehen, die durchschnittliche Lebenserwartung im 17. und 18. Jahrhundert mit 30 bis 35 Jahren anzunehmen. Unter diesem Aspekt können Märchen von einem gerontologischen Standpunkt aus betrachtet werden, wobei nicht nur jene Figuren, die als alt, steinalt oder uralt genannt werden, sondern all jene Figuren, die der Elterngeneration angehören, im sozialen Kontext als zu den Alten gehörig betrachtet

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werden können. In der Ausgabe letzter Hand der Brüder Grimm von 1857 werden die Eltern nicht selten als „die Alten“ bezeichnet. Als Beispiel sei hier Hänsel und Gretel (KHM 15) genannt: Vater und Mutter werden darin zweimal als „die Alten“ bezeichnet.

Diese Bezeichnung wirft ein Licht auf die Altersauffassungen jener Zeit. Die Kindermärchen – in der Bezeichnung ebenso als Hausmärchen verstanden – sind ein Zeugnis der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte früher Zeiten und als solche geben sie einen Eindruck von Altersbildern der frühen Menschheitsentwicklung. Ob diese Bilder heute noch relevant sind, wird durch die Analyse und der sich darauf berufenden Interpretation gezeigt.

In der Erörterung der ausgewählten Märchen werden Lebensumstände, Sozialverhältnisse, Lebensereignisse, Beziehungsgeflechte und Darstellungen der Alten, das ist die mittlere Generation und der hochaltrigen, der dritten Generation unter Berücksichtigung der skizzierten Märchenanalysemethoden betrachtet. In Sneewittchen ist es das Thema des nicht altern wollens, das scheinbar die Menschheit von je begleitet hat. Gronemeyer merkt dazu an: „Die Großmutter von heute trägt Jugend. Ein Stück Befreiung liegt darin – zweifellos. Aber beim morgendlichen Blick in den Spiegel drängt sich die bittere Erkenntnis auf, daß die Entfernung vom Idealtyp immer größer wird. [....] und er kann diesen Kampf nur verlieren. Die Trauer um die vergangene Jugend haben alle Zeiten gekannt. Jeder, der den Verfall zu leugnen trachtete, galt als Narr (Gronemeyer 1980, S. 138).

Dornröschen gibt ein Bild von Ursache und Wirkung – Ursache liegt bei den Alten, Wirkung trägt die Junge – und von Gedächtnis und Erinnerung. In Rapunzel wird die Verflechtung dreier Generationen beschrieben, wobei die tradierte Rolle der bösen Fee genau beleuchtet wird. Hänsel und Gretel vermittelt negative Vorstellungen einer alten und einer hochaltrigen Frau, die den historischen Belegen sehr ähnlich sind und dazwischen ein (alter) Ehemann und Vater, der diesen entgegengesetzt ist. In Rothkäppchen wird vor allem der Großmutter Aufmerksamkeit geschenkt und Die Bremer Stadtmusikanten sprechen sowie so für sich.

Da die vorliegende Arbeit nicht literaturwissenschaftlicher Natur ist, sondern eine gerontologische Forschung an Märchen darstellt, soll den ausgewählten Texten in der Bearbeitung keine literarische Systematik aufgedrängt werden. Vielmehr wird der Versuch unternommen, eine dem Text angepasste Systematik zu entwickeln, ohne

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das Typologische der Gattung Märchen außer Acht zu lassen. Die Bearbeitung der Texte erfolgt dabei nach einem einheitlichen Schema: Jedem Märchentitel ist die Nummer beigefügt, die es im Grimmschen Verzeichnis trägt. Die Märchen werden als bekannt vorausgesetzt, darum wird wegen Redudanzen auf eine eigene Inhaltsbeschreibung verzichtet. Die getreu den Texten folgenden Analysen sind in Eigenerstellung durchgeführt worden und lehnen sich nicht an bestehende Analyse an, da die Alten zu den Hauptprodagonisten werden, um so gerontologische Aspekte aufzudecken. Nach der ATU-Index zuordnung folgen stichwörtliche Angaben der einzelnen Abschnitte oder Handlungskreise, einer Auflistung der Aktanten und Abfolge der Handlungslinien nach dem Vorbild der Strukturanalyse nach Propp (1975), einer Gliederung in Abschnitte nach Vorgabe von Textanalysen (Eckhardt, o.

J. online), um im Anschluss daran die einzelnen Passagen detailliert zu bearbeiten und zu analysieren.

2.2 Analysen der ausgewählten Märchen

2. 2. 1 Sneewittchen (KHM 53 der Ausgabe von 1812)

Es ist im ATU-Index unter der Typus 709 verzeichnet. (o, Verfasser, 2010 maerchenatlas). Das Märchen in drei Abschnitte gliedern:

1. Sneewittchen bis zum siebenten Lebensjahr steht der schönsten Frau und Königin gegenüber

2. Sneewittchen bei den sieben Zwergen steht der alternden, nun nicht mehr schönsten Königin gegenüber

3. Sneewittchen wird zur jungen Königin, dies führt zum Untergang der alten Königin

Den sieben aktiven Handlungssträngen der Königin als Täterin stehen die sieben passiven Handlungsstränge von Sneewittchen als Opfer gegenüber. Die Strukturierung nach dem Vorbild Propps zeigt sieben aktive Handlungsstränge:

1. Stich in den Finger, Wahrnehmung des Bildes und Wunsch nach einem solchem Kind

2. Geburt des Kindes und Befragung des Spiegels: Solange dieser eine positive Antwort gibt, zieht dies keine Folgen nach sich, die für die alte Königin negative Rückmeldung stellt den Beginn der Dramatik dar

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3. Erster Tötungsversuch durch Auftrag an den Jäger

4. Zweiter Tötungsversuch: Verkleidung der alten Königin, die über die sieben Berge geht (Schnürriemen als Werkzeug)

5. Dritter Tötungsversuch: Verkleidung der alten Königin, die über die sieben Berge geht (vergifteter Kamm als Werkzeug)

6. Vierter Tötungsversuch: Verkleidung der alten Königin, die über die sieben Berge geht (vergifteter Apfel als Werkzeug)

7. Tanz der alten Königin/Mutter in eisernen Pantoffeln, der zum Tod führt, auf Sneewittchens Hochzeit

Die sieben passiven Handlungsstränge sind hingegen folgende:

1. Weinen und Bitten um das eigene Leben vonseiten Sneewittchens 2. Ankunft im Zwergenhaus

3. Öffnen der Tür und Erhandeln des Schnürriemens 4. Öffnen der Tür und Kauf des Kammes

5. Öffnen des Fensters und Biss in den vergifteten Apfel

6. Ausspucken des vergifteten Apfelstücks, Sneewittchen wird zur jungen Königin

7. Einladung der alten Königin/Mutter zur Hochzeit und Befehl zum Todestanz Im siebten Handlungsstrang kehren sich der aktive und der passive Handlungsstrang bzw. die Täterin- und Opferrolle um: Sneewittchen wird zur aktiven Täterin, die Königin zum passiven Opfer.

Die sieben Aktanten sind in KHM 53 folgende: Sneewittchen ist im Kindermärchen die Heldin (als Hausmärchen für Erwachsene scheint diese Rolle nicht eindeutig zuordenbar). Wegen Sneewittchens Schönheit wird der männliche Personenkreis zu den Helfern der Heldin: Der Jäger, der eigentlich ein Helfer der Königin sein sollte, wendet sich gegen diese; der zornige Diener, der “das Böse will und das Gute schafft“ (Mephisto in Faust v. Goethe) wird zum Erlöser; der Prinz, der Sneewittchen mit auf sein Schloss nimmt und es zur jungen Königin macht; die sieben Zwerge sind für Sneewittchen die wichtigsten Bezugs- und Schutzpersonen. Als jenseitige Wesen – als solche sind die Zwerge als geschlechts- und alterslos oder uralt zu bewerten – leben sie ganz im Diesseits. Da sie immer gemeinsam auftreten, werden sie als Person zusammengefasst. Die schöne Königin tritt als Gegenheldin auf mit ihrem Spiegel – einem Zaubermittel. Der Spiegel ist sowohl Objekt als auch Person, durch die Stimme, die aus ihm spricht, gibt er den Takt für die Handlungen der Königin vor.

Wem diese Stimme zuzuordnen ist, bleibt der Interpretation überlassen und richtet

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