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Archiv "Datenschutz: Nicht nur eine „Formsache“" (06.03.1992)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

D

ie Wahl des neuen Daten- schutzbeauftragten, Pro- fessor Hassemer, Straf- rechtsprofessor aus Frank- furt, bot diesem wie dem nach 16 Jahren aus diesem Amt jetzt ausge- schiedenen bisherigen Datenschutz- beauftragten, Professor Dr. jur. Spi- ro Simitis, der auf seinen Lehrstuhl für Arbeits- und Familienrecht in Frankfurt zurückkehrt, eine gute Gelegenheit, sich zur Bedeutung des Datenschutzes vor den Abgeordne- ten q.es Hessischen Landtages und der Offentlichkeit am 22. Oktober 1991 zu äußern.

"Der Mensch in der modernen Gesellschaft braucht nicht nur Brot und Freiheit, sondern auch einen stabilen Schutz gegen fremde, ihm weit überlegene Neugier" ... "eine Information über Personen ist heute nicht nur lnformiertheit, sie ist Herr- schaft, und Herrschaft muß im Rechtsstaat gebunden, gebrochen werden ... "; Worte aus der Rede Professor Hassemers, die verdeutli- chen, daß der Staat nicht das Recht

Hospiz in Flensburg

Eine Palliativstation mit sechs Betten als Kernstück des örtlichen Hospizes wird seit dem vergangeneu Jahr in Flensburg eingerichtet. Mit dieser Station und den übrigen dazu gehörenden Diensten soll Schwer- kranken und Sterbenden nach dem Willen der Flensburger Hospizge- meinschaft eine Möglichkeit geboten werden, ihre letzte Lebensphase und den Tod in Würde gestalten zu kön- nen.

In Flensburg ist die Initiative zum Aufbau eines Hospizes von den beiden konfessionellen Krankenhäu- sern und ihren Trägern ausgegan- gen. Schrittweise sei ein Konzept für die Arbeit entwickelt worden, um auf ökumenischer Basis christliche Grundwerte bei der Pflege und Be- treuung von Sterbenden und deren Angehörigen zu verwirkliche~. Seit- dem habe man in intensiver Offent- lichkeitsarbeit zahlreiche Gruppen, Verbände, Kirchengemeinden und vor allem die niedergelassenen Ärzte aus Flensburg und Umgebung, die

THEMEN DER ZEIT

Datenschutz:

Nicht nur eine "Forinsache"

Alfred Boßmann

..,.. Vorfast 22 Jahren, am 30. September 1970, verabschiedete der Hes- sische Landtag ein Datenschutzgesetz. Es war das erste Spezialgesetz dieser Art in der Bundesrepublik Deutschland. Aber nicht nur deshalb war Hessen damals schon "vom". Was bislang noch kein anderes Land ge- schafft hat: in Hessen wird der Datenschutzbeauftragte nicht lediglich von der Regierung ernannt, sondern unmittelbar vom Landtag gewählt.

..,.. Nur eine Formsache? Keineswegs, denn durch die parlamentari- sche Wahl werden die Bedeutung des Datenschutzes für Staat und Ge- sellschaft hervorgehoben und die Position des Datenschutzbeauftragten gestärkt.

.... Längst stellt sich die Frage, ob dem Datenschutz nicht ein beson- derer Verfassungsartikel gebührt. Denn schließlich hat das Bundesver- fassungsgericht schon in seinem Urteil vom 15. Dezember 1983 zum Volkszählungsgesetz dem Datenschutz Grundrechtscharakter (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1, Abs. 1) zuerkannt.

für sich in Anspruch nehmen kann, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren

Mitarbeiter der drei Krankenhäuser sowie verschiedener Heime und der Sozialstationen über das Vorhaben und die Zielsetzung eines Hospizes informiert.

Da es bislang für Hospize in der Bundesrepublik Deutschland keine institutionelle Finanzierung gibt, mußte sich auch die Flensburger Hospizgemeinschaft um eine Misch- finanzierung bemühen. Einen ersten

"Finanzschub" erhielt sie durch die Zusage der Deutschen Krebshilfe, mit über 700 000 DM in den ersten zweieinhalb Jahren die Ausbauphase des Hospizes zu unterstützen. Eine besondere Bedeutung wird dem För- derverein Flensburger Hospiz e.V.

zukommen. Eine weitere "Säule"

sind die ehrenamtlich tätigen Helfe- rinnen und Helfer. Sie werden stun- denweise in den Familien und im sta- tionären Bereich Sterbende und de- ren Angehörige begleiten und unter- stützen. Im April 1992 soll das Hos- piz, das in einer alten Villa unterge- bracht ist, geöffnet werden.

Kontaktadresse: Elisabeth von Spies, Dethleffsenweg 4, W-2392

Glücksburg. EB

und zu katalogisieren. Niemand soll sagen, daß diese Gefahr nicht be- steht. Sie ist um so größer, je mehr der zunehmende Wohlstand in der Gesellschaft das Denken und die Sensibilität für bestimmte Wertvor- stellungen, zu denen auch die Unver- letztlichkeit der Persönlichkeitsphä- re des einzelnen gehört, zu beein- trächtigen droht.

Mit Magnetplatte gegen Mißbrauch

Besonders im Gesundheitswe- sen, wo seit vielen Jahren Politik mit der Herrschaft der ökonomischen Sachzwänge gemacht wird, besteht unentwegt die Neigung, den Umfang der Informationen über Patienten zu Kontrollzwecken weiter auszudeh- nen. Um eine Begründung ist man nicht verlegen, notfalls wird das Ge- meinwohl als Anlaß für die Ein- schränkung der Persönlichkeitsrech- te der Bürger aufgeboten. Aufkom- mender Kritik wird mit der Behaup- tung begegnet, ohne staatliche Inter- vention bestehe die akute Gefahr der Selbstauflösung der Gesell- schaft. Wie schnell hat man doch vergessen, daß 1988 erst im letzten Augenblick die vom Gesetzgeber ins Auge gefaßte personenbezogene Er- Dt. Ärztebl. 89, Heft 10, 6. März 1992 (31) Ac771

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fassung von Patientendaten auf „Lei- stungskonten" der Krankenkassen verhindert werden konnte, ebenso die maschinenlesbare Erfassung der Diagnosen und Befunde der Patien- ten von den Krankenscheinen. Die Versicherten haben es damals nicht einmal richtig gemerkt, wie wenig ihr Recht auf informationelle Selbstbe- stimmung beachtet worden ist — auch nicht die Gewerkschaften, die immer nur dann hellwach sind, wenn es um die Einführung automatisierter Per- sonalüberwachungssysteme in den Betrieben geht.

Wenn nicht alles täuscht, wird es nicht lange dauern, bis auf dem Ge- biet des Gesundheitswesens unter dem Vorwand der notwendigen Ko- stendämpfung erneut Gesetzesiniati- ven gestartet werden, um den Zugriff auf personenbezogene Daten auszu- dehnen. Politiker haben da keine großen Hemmungen, zumal sie sogar inzwischen selbst das Volkszählungs- urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 vergessen haben, sonst wür- den in den Amtsstuben nicht jetzt schon wieder Konzepte für die Volkszählung im Jahre 2000 mit dem Ziel einer angeblich unentbehrlichen

„Totalerhebung" entwickelt.

So nimmt es nicht wunder, daß Professor Simitis auch über die Ge- fahren gesprochen hat, die sich ganz allgemein, aber ganz besonders auf dem Gebiet des Gesundheitswesens aus der Verarbeitung personenbezo- gener Daten ergeben. „Wer systema- tisch Daten über die Krankheiten von Kassenpatienten zusammen- stellt, . . . Informationen darüber er- hebt und miteinander verknüpft, wann Schulkinder auffällig wer- den . . ., will mehr als nur Fragen entscheiden, die einen bestimmten Einzelfall betreffen. Er will das Ver- halten der Kassenpatienten unter Kostengesichtspunkten ,optimieren', ,kriminogenen' Faktoren in Schule und Familie rechtzeitig entgegenwir- ken oder gezielt auf Vorstellungen und Reaktionen . . . Einfluß neh- men."

Nachdem der Gesetzgeber in dem letzten seiner vier Kostendämp- fungsgesetze die Einführung einer maschinenlesbaren Versichertenkar- te beschlossen hat und ständig deren alsbaldige Verwendung bei jeder

Vision 2000:

Die elektronische Patientenkartei DA-Karikatur:

Peter Bensch, Köln

Patient-/Arzt-Begegnung anmahnt, wird sich wohl in absehbarer Zeit das personenbezogene Informationspo- tential bei den Krankenkassen er- heblich erweitern. Dieses ist natür- lich auch eine Folge der fortschrei- tenden Entwicklung der Informati- onstechnologie. Sie ermöglicht die Erfassung und den Umgang mit gro- ßen Datenmengen und ihre Ver- knüpfung zu bestimmten Zwecken.

Letztlich führt dies dazu, daß es für den Bürger hinsichtlich seiner Per- son kein „belangloses Datum" mehr gibt. Man kann verstehen, daß sich Menschen hierdurch verunsichert und eingeschüchtert fühlen, was zur Bedrohung ihrer Privatsphäre völlig ausreicht.

Magnetstreifenkarte versus Chipkarte

Auffällig ist, daß bei der Diskus- sion um die Einführung der Versi- chertenkarte neuerdings die soge- nannte „Chipkarte" präferiert wird.

Zugegeben, sie hat im Gegensatz zu der im Modellversuch mit mäßigem

Erfolg erprobten Magnetstreifenkar- te technische und sonstige Vorteile.

Vor allem aber zeichnet sie sich durch eine große Speicherkapazität aus. Man kann auf der Karte mit ih- rem integrierten 16 000 Bit-Compu- terchip so viel Patientendaten spei- chern, wie auf zwei Zeitungsseiten gedruckt werden können.

Kein Zweifel: Technisch gese- hen eignet sie sich, um bargeldlos einkaufen, telefonieren, automatisch Türen öffnen, Fahrkarten und Park- gebühren bezahlen sowie Banküber- weisungen absichern zu können. Je größer die Speicherkapazität, je grö- ßer die Neigung, sie auch zu nutzen.

Das Ganze erinnert an das „Kartof- feltheorem": Nun sind die Kartoffeln da, nun müssen sie auch gegessen werden. Sind viele Kartoffeln da, müssen viele gegessen werden. So wie es die innovative Stärke der Kar- toffel gibt, so scheint sie auch auf dem Gebiet der Verarbeitungstech- nologie zu existieren. Also entschlos- sen sich die Regierung in Frankreich und die dortigen Versicherungen, das große Speicherangebot des Kar- tenchip für die elektronische Patien- A,-772 (32) Dt. Ärztebl. 89, Heft 10, 6. März 1992

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tenidentifikation, die Befundspei- cherung und vor allem für die Hono- rarabrechnung in jahrelangen Mo- dellversuchen zu erproben, mit Er- folg, wie man hört. Sie haben hierfür Milliardenbeträge ausgegeben, ein- schließlich für die Minicomputer zum Lesen und Speichern bei den Benutzern. Ihr einziges Ziel: die ad- ministrativen Kosten des Gesund- heitswesens zu verringern. Wen wun- dert es, daß die Chipkarte in Deutschland an Interesse gewinnt.

Getreu der Devise, daß jede technische Innovation ein Mensch- heitsfortschritt ist, verkündete die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) im Janu- ar 1991: „Chipkarten verändern die Zukunft der Bürger". Ob die GMD die Bürger wohl gefragt hat, ob sie damit einverstanden sind, daß man ihr Leben durch eine solche techno- logische Neuerung, wenn damit Krankheitsdaten gespeichert werden sollen, verändert?

Wenn es nur darum geht, die Chipkarte zum freiwilligen Gebrauch anzubieten und dafür zu verwenden, was den Wirtschaftskreislauf in Gang hält und den Menschen am meisten Spaß macht: bargeldlos zu konsumieren, und zwar so viel wie möglich! Aber es ist etwas ganz an- deres, wenn man ein solches Spei- chermedium zum vorgeschriebenen Gebrauch für administrative Zwecke einführen und die Bürger über die Krankenkassenbeiträge ebenso zwangsweise auch noch zur Selbstfi- nanzierung des Ganzen heranziehen will.

Was den Datenschutz betrifft, ist es richtig, daß der Zugang zu be- stimmten Speicherzellen des Chip gesperrt beziehungsweise nur mit Hilfe spezieller Chiffrekarten er- möglicht werden kann. Insofern kön- nen gespeicherte medizinische Da- ten gegenüber unbefugten Dritten geschützt werden. Wer sagt denn, daß solche Daten zum Beispiel ge- genüber den Krankenkassen offen- bart werden müssen? Aber es blei- ben dennoch Zweifel, auch hinsicht-

lich des Datenschutzes und der Si- cherheit im Umgang mit diesen Da- ten. Was soll zum Beispiel gespei- chert werden, und wer garantiert da- für, daß sich auf der Chipkarte stets die richtigen und aktuellen Daten befinden? Was ist, wenn der Patient der Speicherung einer bestimmten Diagnose (Aids) widespricht und in- soweit wichtige Informationen auf der Karte fehlen? Oder wird der Pa- tient gar nicht erst gefragt?

Es mag sein, daß — wenn alle stö- renden Faktoren ausgeschaltet wer- den können — die sofortige Verfüg- barkeit medizinischer Informationen für einen Arzt in dringenden Fällen

— vor allem bei sogenannten Risiko- patienten — per Chip von Vorteil ist.

Aber auf wie viele Patienten trifft das zu? Nach der EVaS-Studie des Zentralinstituts (Wissenschaftliche Reihe, Band 39.1, Köln 1990) ken- nen Ärzte 79,4 Prozent ihrer Patien- ten aus laufender Behandlung, bei den Allgemeinärzten sind es sogar 86,2 Prozent. Der Rest besteht mit Sicherheit nicht aus Risikopatienten.

Damit ist eigentlich alles gesagt.

Wer im Zusammenhang mit der Erfassung, Verarbeitung und Wei- tergabe personenbezogener Daten nach immer perfekteren Methoden ruft oder diese bedenkenlos einzu- setzen bereit ist, gleichwohl aber die hiervon ausgehenden Gefahren für den Persönlichkeitsschutz der Be- troffenen kennt, verstößt gegen den Grundsatz der informationellen Selbstbestimmung der Bürger. Diese werden allmählich begreifen, daß mit der Fülle der verfügbaren Daten, die über sie erhoben werden, die Neugier und der Druck zur Offenba- rung durch die speichernden Stellen steigt. Die Ärzte wissen ein Lied da- von zu singen. Sie haben sich von je- her für die Ziele eingesetzt, die Has- semer in seiner Antrittsrede formu- liert hat: „Es geht um die Abwehr von weit überlegener Neugier" des Staates und seiner Institutionen.

Bei dieser Abwehr darf man sich nicht auf die Datenschützer verlas- sen, die in der Vergangenheit immer wieder von der Verarbeitungstech- nologie und der Politik herausgefor- dert worden sind. Die auch von Ärz- ten manchmal gehegte Hoffnung, man werde hinsichtlich der von neu-

en Technologien ausgehenden Ge- fahren schon selbst für die notwendi- gen Beschränkungen und den Schutz personenbezogener Daten sorgen, oder notfalls den Datenschutz zur Hilfe rufen, ist allzu trügerisch. Ganz abgesehen davon, daß Datenschutz nicht die Feuerwehr ist und erst recht kein Ersatz für kluges poli- tisches Handeln.

Datenschutz ist vorge- zogener Rechtsschutz

Wie sehr die Hoffnung auf er- folgreiche Interventionen der Daten- schützer trügerisch sein kann, be- weist die Tatsache, daß trotz ihres Hinweises auf das Fehlen einer ge- setzlichen Grundlage die Kassenärz- te immer noch jährlich auf 300 Mil- lionen Kranken- und Überweisungs- scheinen die Diagnosen der Patien- ten gegenüber den Krankenkassen offenbaren müssen.

Die Krankenkassen könnten sich sehr wohl auf die konkret erfor- derlichen Angaben beschränken, die sicher nur für einen Bruchteil der heute von dem unzulässigen Offen- barungsverlangen betroffenen Be- handlungsfälle notwendig sind. Aber

„jede Verarbeitung wird so lange als legitim und legal angesehen, wie sie dazu dient, die eigenen Aufgaben ,effizienter' und ,wirtschaftlicher' zu erfüllen . . . Würde man diese Vor- stellung weiterhin uneingeschränkt und unbefragt akzeptieren, bestünde wenig Aussicht auf Datenschutz;

denn es gibt kaum einen Verarbei- tungsvorgang, für den sich diese Kri- terien nicht ins Feld führen ließen"

(Simitis).

Hier sind datenschutzrechtlich verträgliche und organisatorisch in- telligente Lösungen gefragt, die we- gen der steigenden Verwaltungsko- sten der Krankenkassen — sie stiegen 1990 gegenüber dem Vorjahr um 8,6 Prozent — vom Aufwand her gesehen auch dem Grundsatz der Verhältnis- mäßigkeit des Mitteleinsatzes ent- sprechen würden.

Anschrift des Verfassers:

Alfred Boßmann

Am Ricklinger Holze 54

W-3005 Hemmingen-Westerfeld

I

Abschätzung von Technikfolgen

Dt. Ärztebl. 89, Heft 10, 6. März 1992 (35) A1-773

Referenzen

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