• Keine Ergebnisse gefunden

Städtische Sclnn»»ig!>pl>i«r

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Städtische Sclnn»»ig!>pl>i«r "

Copied!
21
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

kette 6er Selellkclicitt tür kommuncile Toiicilpolitik in Kigci.

^ Ns. 32. ^

Städtische Sclnn»»ig!>pl>i«r

Vortrag,

gekalten sn, ,z. Dezember >yi2 in Äer Gesellsl^akt für koniniunale Sozialpolitik in kiga

k e i n ? Pirang, Architekt.

V. Sakrgang.

Wig«.

Druck von W. F. Hacker.

1913.

(2)

ZtMIlcks köbauungzpläne.

Von Architekt Heinz Pirang.

Meine Damen und Herren!

Vor zwei Jahren hatte ich die Ehre, hier in der Gesellschaft für kommunale Sozialpolitik einen Vortrag über „die Aufgaben des modernen Städtebaus" zu halten, in dem ich die Bedeutung dieses wichtigen Kapitels für das Städteweseu im allgemeinen darzulegen versuchte. Heute will ich mich einem Spezialgebiet des Städtebaus zuwenden — den städtischen Bebauungsplänen.

Das Problem eiues systematisch durchgearbeiteten Planes für eine Bebauung ist für eine jede Stadt mit starker Bevölkerungszunahme und dementsprechender Gebietserweiterung eine Lebensfrage allerersten Ranges. Insbesondere für eine Stadt, der allem Anschein nach eine hervorragende Zukunft bevorsteht. Den großen Anforderungen, die diese Zukunft schon an unsere gegenwärtige Generation stellt, müssen wir wohlgerüftet gegenüberstehe Das heißt mit anderen Worten: wir müssen bei allen Unternehmungen größeren Stils schon heute mit Zuständen rechnen, die weit vor uns liegen und die wir deshalb in allen Einzelheiten gar nicht bestimmen können. Wir werden uns darauf beschränken müssen, dieses Zukunftsbild in den Rahmen vor­

aussichtlicher Wahrscheinlichkeit hineinzukompouieren. In diesem, be­

zeichnenderweise sogen. „Zukunftsplan" — oder auch „Generalplan" — für eine städtische Bebauung werden wir nur die Hauptrichtlinien festlegen dürfen, um eiuer zukünftigen Detaildurchbildung möglichst viel Spielraum zu gewähren.

Nun entsteht die Frage, von welchen Gesichtspunkten wir bei solchem Festlegen voll Richtlinien ausgehen sollen, nach welchen allge­

meingültigen Normen e^l Zuknnstsplan zu entwerfen ist? Hieralls gibt uns die Städtebaugeschichte aller Kulturländer immerhin einige wertvolle Anhaltspunkte. Alls Grund langjähriger und vielseitiger Praxis kann man eine Reihe empirischer Erfahrungssätze aufstellen, die in ihrer Gesamtheit einen unumstößlichen Beweis für die

(3)

— 50 -

biologische Gesetzmäßigkeit in der formalen Ausgestaltung der Städte­

bilder erbringen. Gewisse typische Erscheinungsformen werden bei zahlreichen Städten, die unter ähnlich gearteten Verhältnissen ent­

standen sind, immer wieder anzutreffen sein. Ich erinnere z. B. an die vielen Städte mit dem charakteristischen, den alten Stadtkern um­

gebenden Ring von Grünanlagen an Stelle niedergelegter Wälle.

Dieses typische Element im Städtebau ist weitverbreitet und besonders in die Augen fallend. Es gibt aber noch eine Menge an­

derer Formen, die ebenfalls unter dem Zwange einer ganz bestimmten Gesetzmäßigkeit entstanden zu sein scheinen. Diese Gesetze muß ein Städtebauer kennen, wenn er den Bebauungsplan für irgend eine Stadt bearbeiten will. Er muß mit verständigem Blick den geschicht­

lichen Werdeprozeß großer Stadtgebilde studieren, um alle typischen Motive in ihrem eigentlichen Wesen verstehen zu können.

Ein allgemeingültiges Schema kann es im Städtebau natürlich nicht geben. Jede Stadt ist ein Individuum, ein organisch gewordenes Kulturgebilde uud eine Persönlichkeit.

Deshalb muß ein Städtebauer auf das eingehendste mit den lokalen Verhältnissen der Stadt, die ihm anvertraut ist, bekannt sein.

Er muß die Seele, den rein persönlichen, individuellen Stimmungs­

gehalt der Stadt iu sich aufgenommen haben, ehe er umgestaltend und neugestaltend in das Gesamtbild eingreift. Er muß ein guter Lokalpatriot — im edlen Sinne des Wortes — sein, und mit fein­

fühligem Instinkt künstlerische Einheitlichkeit zu wahren suchen. Als besonders glückliche Lösung erscheint daher bei der Wahl eines Städte­

bauers immer der Fall, wo der Betreffende es mit seiner Vaterstadt zu tun hat, in der er ausgewachsen und mit der er verwachsen ist.

Drittens muß ein Städtebauer in der modernen Städtebaukunde bewandert sein. Er muß die umfangreiche städtebauliche Tätigkeit der neuzeitlichen Kommnnalverwaltuugeu verfolgt haben, muß über die komplizierten technischen, volkswirtschaftlichen, hygienischen und künstlerischen Bestrebungen der Gegenwart orientiert sein und sich die guten und schlimmen Ersahrungen großer Musterstädte für seinen Fall zunutze machen können.

Endlich muß er imstande sein, ehe er an die graphische Arbeit geht, ein großzügiges Bebauungsprogramm für seine Stadt zu ent­

werfen. Dazu gehört eine starke Phantasie und ein ausgesprochenes

(4)

— 51 —

organisatorisches Talent. Er muß, wie gesagt, bestimmte Richtlinien festlegen, jedoch auch auf die Möglichkeit von Zufallsbildungen Rücksicht nehmen, muß das Gewordeue, Bestehende mit dem Werdenden in lebensvoller Weise verknüpfen und in Einklang bringen, muß den gesamten Mechanismus des modernen Städtebaus kennen, — er muß gewissermaßen das ganze Stadtgebilde plastisch beherrschen. Es ist im vollen Sinn des Wortes ein künstlerisches Gestaltungsproblem, das dem heutigen Städtebauarchitekten zu lösen obliegt, eine Aufgabe, die in der Tat außerordentlich hohe Anforderungen stellt.

In meinem ersten Vortrage über Städtebau habe ich bereits die Frage der Bebauungspläne berührt. Ich wies darauf hin, daß die Aufstellung eines systematisch angelegten Bebauungsplanes mit Berück­

sichtigung einer zukünftigen Stadterweiterung eine Lebensfrage für die Fortentwicklung Rigas sei. Ferner proponierte ich folgendes:

Die Bearbeitung eines Bebauungsplanes im Sinne des modernen Städtebaus sollte einer Zentralstelle übertragen werden, einem selb­

ständigen „Stadtplanamt", wo neben dem Verwaltungsbeamten der Techniker, der Landmesser, der Hygieniker, der Nationalökonom und vor allem auch der Künstler zur Geltung kommen müsse. Die Leitung dieser Zentralstelle solle einem Architekten mit Spezialbilduug im Städte­

bau anvertraut werden — einem sogen. „Städtebauarchitekten".

Ich kann mit aufrichtiger Genugtuung konstatieren, daß die von maßgebender Seite damals geäußerten Bedenken gegenüber diesen Vorschlägen zum größten Teil geschwunden sind. Vor allen Dingen aber erwies sich auch hier unser unvergeßliches verstorbenes Stadthaupt Armitstead als ein Mann, der mit prüfendem Scharfblick die Trag­

weite der modernen Städtebaufrage klar erfaßte und dementfprechende Verfügungen traf. Ihm verdanken wir es, daß unsere Stadtverwal­

tung sich bereits für die Anstellung eines Städtebauarchitekten ent­

schlossen und einen entsprechenden Ausgabeposten in das Budget für 1912 eingestellt hat. Das ist ein großer Schritt vorwärts!

M. D. u. H.! Es liegt eine hübfche symbolische Bedeutung in der Tatsache, daß wir hier in unserer Gesellschaft für kommunale Sozialpolitik, auf dem ersten Abend nach dem Hinscheiden unseres verehrten Gründers und Präses, das Vortragsthema über eine der großzügigsten Fragen der Städtepolitik mit seiner Person in unmittel­

baren Zusammenhang zu bringen veranlaßt sind!

(5)

— 52 —

Bei der Anlage eines großen Bebauungsplanes für eine Stadt gilt es zwei Aufgaben zu lösen. Erstens ist das Bestehende den modernen Anforderungen entsprechend umzugestalten, zweitens ist städtisches, noch uuerschlosseues Gebiet neuzugestalten. Entsprechend dieser Zweiteilung sind die von mir aufgestellten Thesen angeordnet.

These 1 bezieht sich vornehmlich ans die umgestaltende, These 2, 3 und 4 auf die neugestaltende Tätigkeit des Städtebauers.

Ehe wir nun an die Betrachtung der unserem heutigen Thema zugrunde liegenden städtebaulichen Fragen herantreten, sei zunächst ein kurzer Überblick über die komplizierten Formgestaltungen alter Städte geboten, wie sie sich im Lause der Geschichte herausgebildet haben.

Aus der überreichen Fülle von Möglichkeiten will ich nur einige Proben herausgreisen. Die verhältnismäßig juuge Wissenschast der Städtebaugeschichte, deren „stanäÄi-äwol-k" noch nicht geschrieben ist, verfügt bereits über ein stattliches Material. Die Leistungen einer sast viertausendjährigen städtebaulichen Tätigkeit sind uns durch die Forschung zugänglich gemacht worden. Bis in die früheste Vorzeit hinein reichen die Spuren menschlicher Siedlungsstätten und geben uns Kunde von dem Urzustand der Gebilde, aus denen sich die spätere „Stadt" entwickelte.

Das älteste uns bekannte Beispiel für eine planmäßig angelegte Stadt ist die altägyptische Kolonie Kahuu ca. 3000 v. Chr., die vor wenigen Jahren von Prof. Flinders Petrie ausgegraben wurde (Plau von Kahun)*). Wir fehen eine regelmäßige Aufteilung des Geländes mit wohlerhaltenen Hänfergruudrifsen. Sehr interessant ist gleichzeitig eine in der Mitte der Straßen angelegte Rinne — das früheste Bei­

spiel einer Straßenentwässerung. Eine reiche Entwickelung von großer Verschiedenartigst weisen die griechischen Städte auf (Selinnnt, Priene). Hier spielen bereits Handel und Verkehr eine ausschlag­

gebende Rolle, desgleichen Rücksicht auf den Charakter des Geländes.

Für die römische Städtebaukunst ist das Schema des Kastrums zu universeller Bedeutung gelangt (Aosta), ein Normaltypus, der in zahllosen Städten Mitteleuropas sich vielfach bis auf den heutigen Tag in klar erkennbarer Form erhalten hat. Ein rechteckiger Plan­

grundriß mit vier Toren in der Umhegung und zwei sich winkelrecht kreuzenden Hauptstraßen (Floreuz, Turiu, Nancy, Mainz, Regensburg).

Die angeführten Beispiele werden durch Lichtbilder illustriert.

(6)

- 53 —

Zu einer anderen Gruppe von Städten — im Gegensatz zu den ebengenannten planmäßig gegründeten Kolonien — gehören die aus uralten Siedlungen hervorgegangenen sogen, „allmählich gewordenen Städte". Sie lassen sich nur schwer klassifizieren, ganz abgesehen von dem Mangel feststehender Daten über ihren Urzustand (Rom, Paris, Moskau).

Verhältnismäßig gut sind wir über die Geschichte des deutschen Städtebaus unterrichtet. Wir können drei große Perioden im Mittel­

alter von je einem Halbjahrtausend unterscheiden: 1) die Zeit der römischen Städtegründungen 100 v. Chr. bis 400 n. Chr. (Köln, Trier);

2) die Zeit des Ausbaues deutscher Städte auf dem Boden früherer Siedlungen zum Teil flavischen und keltischen Ursprungs, 400 bis 900 n.

Chr. (Dresden, Halberstadt, Breslau); 3) die große Zeit kolonisa­

torischen Vordringens des Germanentums nach Osten: Städtegrün­

dungen auf slavischem Neuland seit Heinrich dem Löwen (900 bis 1400 n. Chr.). Über 300 Neugründungen aus jener Zeit sind uns bekannt (Rostock, Zittau, Lübeck). Auch Riga gehört in jene Zeit.

Deutsche Städtebautypen aus der Neuzeit bilden die bekannte Gruppe der „landesfürstlichen Gründungen" nach streng symmetrischem System (Mannheim, Karlsruhe, Berlin).

Um die Cutwickelung Rigas im Grundriß zu zeigen, sei zunächst eine Zeichnung Or. W. Neumanns vorgeführt (Riga um 1205) (aus: Der Dom St. Marien zu Riga 1912). Aus ihr können wir ersehen, daß einzelne alte Straßenzüge auch heute uoch erhalten sind.

Das weitere Wachsen der Siedlungsgrenzen geben in interessanter Weise mehrere Zeichnungen wieder, die der Stadtrevisor R. Stegmann in der „Rigaschen Industrie-Zeitung" 1889, Nr. 22 veröffentlicht hat, in dem Aufsatz: Die Ausdehnung und Topographie Rigas im XVII.

und XVIII. Jahrhundert. (Riga um 1650, 1652, 1771, 1790, 1864, 1885). Zur Zeit der Gründung umfaßte das Stadtterrain ca. 50 Lofstellen, im Jahre 1500 ca. 100, im Jahre 1700 ea. 900, zu Be­

ginn des Jahres 1800 ca. 1500 und im Jahre 1900 ca. 25,000 Lofstellen, d. i. annähernd 80 Quadratwerst!

M. D. u. H.! Wer bei diesem flüchtigen Gang durch 40 Jahr­

hunderte mit kritischem Blick den „roten Faden" herauszufinden ver­

sucht und jede besondere Erscheinungsform im Stadtbilde als Er­

gebnis einer gauz bestimmten Kulturepoche zu erkennen vermag, der

(7)

— 54 —

gewinnt erst das richtige Verständnis zur Betrachtung des Werde­

prozesses alter Stadrbaukuust im allgemeinen.

Die Form des Stadtbildes an sich hat die Historiker und Künstler schon in früheren Zeiten aufs lebhafteste interessiert. Hier verweise ich z. B. auf die theoretischen Studien italienischer Renaissanceschrift­

steller (Pläne von Vasari, Scamozzi).

Ein spezifisch neuer Gesichtspunkt aber, den die Städtebaukunde ausgestellt hat, ist der entwicklungsgeschichtliche. Nicht nur die Form, sondern vor allem der Formprozeß interessiert, das Auftreten neuer Formen in Abhängigkeit von geänderten Lebensbedingungen der Städte.

Der moderne Städtebauer studiert diese geschichtlichen Vorgänge lediglich, um aus ihnen die Normen abzuleiten, die für vergangene Jahrhunderte maßgebend waren, nicht aber um die an sich überlebten Formen zu einem inhaltlosen Scheindasein zu erwecken. Er will das Alte erkennen, um die Kraft seiner schöpferischen Gesinnung der Lösung neuzeitlicher Aufgaben in selbständiger Weise dienstbar zu machen und das Weseu der Städtewerdung und weiteren Ausgestaltung in orga­

nischem Zusammenhang zu begreifen. Dabei eröffnen sich dem gründlich Forschenden ganz außerordentlich wertvolle Perspektiven. Denn es dürste kaum überzeugendere Dokumente vergangener Kulturepochen geben, als ganze Stadtgebilde.

Diese neuartige Auffassung des Stadtcharakters im Hinblick aus die Geschichte mag uns — nebenbei bemerkt — gleichzeitig einen Wertmesser geben für die ungemein verantwortungsvolle Stellung eines modernen Städtebauarchitekten im öffentlichen Leben. Der Städtebauer beein­

flußt die Geschichte des Stadtbildes in weit höherem Maße, als jeder gewöhnliche Privatarchitekt.

In den letzten Jahrzehnten unserer allgemeinen Städtegeschichte begegnet man leider auf Schritt und Tritt den ärgsten städtebaulichen Unterlassungssünden und Vergehen. Mit wieviel unnützem Aufwand von Mitteln sind alte Stadtteile niedergerissen worden, um angeb­

lichen Verkehrsanforderungen zu genügen, wieviel wertvolle alte Bauten mußten geopfert werden, um belauglofe „Straßenverbreite­

rungen" zu schaffen? Wieviel langweilige und trostlose Platz- und Straßenanlagen sind entstanden, ohne daß man sich über das Wesen der Städtebauaufgaben klar gewesen wäre? Es ist betrüblich genug, immer wieder die Anklage gegen unsere väterliche und großväterliche

(8)

— 55 —

Kurzsichtigkeit erheben zu müssen! Setzen wir unsere frischen Kräfte daran, um uach bestem Wissen und Gewissen die begangenen Fehler wieder gut zu macken! Denken wir an die Zukunft!

Der Städtebauarchitekt ist der Vergangenheit und der Zukunft gegenüber Rücksichtnahme schuldig, denn — wie ich vorhin ausführte — seine Tätigkeit ist dem Objekte nach eine zweifache: eine umgestaltende und eine neugestaltende.

Bei der Umgestaltung schon bestehender Stadtteile, vornehmlich des alten Stadtkernes, handelt es sich heutzutage nicht nur um eine Form-, sondern auch um eine Wesensänderung. Die Altstadt hat gegenwärtig andere Aufgaben zu lösen, als früher. Im Mittelalter war das ganze mauerumgürtete Stadtgebiet ohne strenge Gliederung zugleich Wohn-, Geschäfts- und Betriebsstätte. Der reiche Kaufherr wohnte in einem großen Warenhause, der kleine Handwerker dicht daneben mit seiner Werkstätte; in geruhsam-freundlicher Gemütlichkeit vollzog sich der behagliche Verkehr von Haus zu Haus, von Straße zu Straße. So ging es viele Jahrhunderte hindurch bis in die Zeit vor etwa zwei Generationen.

Heute hat sich das Bild radikal geändert: die Altstadt weist einen stärkeren Verkehr auf, ein Wohnhaus nach dem anderen verschwindet, um großen Geschäftslokalen und Warenhäusern Platz zu macheu: die Altstadt — wird zur „City".

Das ist wiederum eine sür alle größeren Städte gültige typische Erscheinung der Gesetzmäßigkeit. Die „Citybildung". Sie liegt in der Tendenz weitgehendster Differenzierung des Siedlungscharakters der verschiedeneu Stadtgebiete. Einer Zentralisierung des Geschäfts­

verkehrs steht die Dezentralisierung der Betriebs- und Wohnstätten gegenüber. Den klaren Beweis dafür erbringt die Bewegung der Einwohnerzahl in den Altstadtvierteln. Im Stadtinneren sinkt die Zahl ganz konstant. In London z. B. sank die Einwohnerzahl der City im Zeitraum von 1891—1901 um ungefähr 28H, im nächsten Dezennium 1901—1911 um 27A. Dabei bewegten sich die Zahlen für die peripheren Gebiete in rapid aussteigender Linie. Analoge Erscheinungen bieten alle bedeutenderen Städte.

Die Lösung der mit der „Citybildung" zusammenhängenden Fragen gehört zu den schwierigstell und verantwortungsvollsten Auf­

gaben im Städtebau. Bisher glaubte man die Forderungen der neuen

(9)

— 56 —-

Zeit vollauf befriedigen zu können, indem man die alten Häuser einfach niederriß, wo sich der Verkehr behindert sah. Dem Verkehr zuliebe wurde oft die ganze Schönheit innerer Städtebilder geopfert. Plätze und Straßen wurden verbreitert und winklige Fluchtlinien „begradigt".

Heute hat man aber schon vielfach eingesehen, daß dem Verkehr in der Altstadt zu viel Konzessionen gemacht worden sind. Im Ge­

schäftsverkehr liegt das Bedürfnis nach besonders breiten Straßen gar nicht vor, namentlich nicht in Städten mit geringen Entfernungsver­

hältnissen. Die großen radial verlaufenden Zufuhrwege sollen nicht bis ins Herz der Altstadt hineingeführt werden oder gar die ganze Altstadt durchschneiden. Sie sollen um die Stadt herumgeführt werden, etwa in der Weise, wie bei uns in Riga die Haupttramlinien aus den Stadtring ausmünden. Eine verunglückte Ausnahme bildet die Suworowstraßenlinie, die sich bis an die Börse hineinzieht. Ihre Weiterführung über den Börsen- und Domplatz — eine Kombination, von der seinerzeit viel gesprochen wurde — wäre unter allen Um­

ständen total verfehlt. Es würde am zweckmäßigsten sein, die Sand­

straße überhaupt für den Tramverkehr zu sperren und die Linie dem Ring anzuschließen. Nun noch gar den Domplatz herzugeben und den Verkehr gewaltsam in Bahnen zu zwingen, die er gar nicht sucht, wäre durchaus verhängnisvoll. Bei der überflüssigen „Freilegung"

der Domkirche in den 80 er Jahren ist schon so viel an intimen Reizen geopfert worden, daß man heute füglich mit Recht größeres Ver­

ständnis für die realen Verkehrsansprüche erwarten dürfte. Reger ist der Verkehr am Domplatz durch die Freilegung gewiß nicht geworden

— es lag eben kein „dringendes" Bedürfnis vor (Herderplatz und Domkirchenplatz vor der Freilegung). In letzter Zeit droht dem schönsten Kirchplatz, den wir haben, dem Petrisriedhos, eine ähnliche Gefahr. Auch hier soll die Zufahrt von der Herrenstraße breiter ge­

macht und begradigt werden. Wozu? Nur damit bei den doch relativ seltenen Kirchentrauungen und Beerdigungen die Kutschen mehr Frei­

heit haben. Ist das wirklich so kolossal wichtig, daß man deshalb dieses ästhetische Opser leichten Herzens bringen sollte? Überall im Auslande, wo schöue Plätze in der Nähe wertvoller Bauten Verkehrs­

schwierigkeiten bereiten, hilft man sich durch verbesserte Verkehrsregelung, durch gute Verkehrsordnung — aber man schont nach Möglichkeit den Bestaud der Platzumgebung (Petrisriedhos).

(10)

— 57 —

Die Rücksichten gegenüber den modernen Anforderungen der Denkmalpflege, die der Städtebauer zu üben hat, sind in letzter Zeit von fachmännischer Seite eingehend behandelt worden. Der Denkmal­

pflegetag 1903 hat beachtenswerte Leitsätze zu dieser Frage aufgestellt.

Es heißt dort P. 4:

Die neuen Baufluchtliuieu sind nach Möglichkeit so festzusetzen, daß nicht bloß die in Rede stehenden (d. h. alte wertvolle) Bauten dauernd vor Benachteiligung geschützt, sondern auch die Eigenart der Straßenzüge erhalten wird. Aus die Durchführung gerader Flucht- nnd Höhenlinien ist, wenn in dem einen oder anderen Sinne Schä­

digungen zu befürchten find, zu verzichten. Gekrümmte Straßen­

richtungen und Straßenwandungen, fowie charakteristische Höhenunter­

schiede sind überhaupt bei Feststellung neuer, zur Erweiterung und Verbesserung von Straßen bestimmter Fluchtlinien nach Möglichkeit beizubehalten.

P. 5: Die Geschlossenheit alter Straßen und Platzwandungen ist auch bei Festlegung der für den Verkehr erforderlichen Erbreiterungen, Richtnngsverbefserungen uud Durchbrechungen nach Möglichkeit zu fchonen.

Alle Vorschriften, die aus Erhaltung alter Denkmäler — und dazu gehört das Stadtbild — Bezug nehmen, sind natürlich nie als rigorose Forderung aufzufassen. Das Gegenwartsleben muß selbst­

verständlich sein Recht behaupten köuuen — unter Umständen auch auf Kosten von Altertumswerten. Alte Stadtbilder sollen keineswegs

„mumifiziert" werden. Es genügt vollauf, wenn der Städtebauer soviel künstlerischen Takt zeigt, um ästhetisch befriedigende Kompromisse zustandezubringen.

Nicht geringe Schwierigkeiten bereitet oft die Frage der Neu­

gestaltung von Platz- oder Straßenfassaden im Inneren der Altstadt.

Auch hier gilt der Grundsatz, daß der Einheitlichkeit im Stadtcharakter Rechnung getragen werde. Der Denkmalpflegetag 1904 erörterte diese Frage, ebenfalls unter Aufstellung von Leitsätzen, die ich hier anführen möchte:

„Neu- und Umbauten in der Umgebung künstlerisch oder orts­

geschichtlich wertvoller Bauwerke und im Gebiete ebensolcher Straßen und Plätze siud der baupolizeilichen Genehmigung auch in dem Sinne zu unterwerfen, daß sich diese Bauausführungen in ihrer äußeren

(11)

— 58 —

Erscheinung harmonisch uud ohne Beeinträchtigung jener Baudenk­

mäler in das Gesamtbild einfügen. Entsprechendes gilt von Firmen- und Reklameschilderu n. dgl. Dabei wird darauf hingewiesen, daß zur Erzielung dieser notwendige« Harmonie hauptsächlich die Höhen- und Umrißlinien, die Gestaltung der Dächer, Brandmauern und Aufbauten, fowie die anzuwendenden Baustoffe und Farben der Außenarchitektur maßgebend siud, während hinsichtlich der Formgebung der Einzelheiten künstlerischer Freiheit augemessener Raum gelassen sein kann."

So viel über das Kapitel „Denkmalpflege" im Altstadtbiwe!

Die „Citybildung" bietet, wie gesagt, noch andere Schwierig­

keiten bei der Umarbeitung vorhandener Stadtteile. Vor allein die Folgeerscheinung der Citybildung, die zentrifugale Expansionstendenz der Betriebs- und Wohnstätten. Wohin soll die Abwanderung aus dem Stadtkeru gelenkt werden?

Schon seit Jahrzehnten, wo in wachsenden Städten sich In­

dustrie« entwickelten, lagerten sich diese in vollständig regelloser An­

ordnung um den Stadtkern herum, ohne Rücksicht auf die ungünstige Beeinflussung der verstreut dazwischen liegenden Wohnstätten.

Es entstand auf diese Weise das höchst unerfreuliche Gebilde der typischen Großstadtvorstädte, in dem weder die Industrie sich das erforderliche Maß von Ausdehnungsmöglichkeit rechtzeitig gesichert hatte, noch auch die Wohnviertel eine hygienisch befriedigende Lösung zuließen. Die unaufhörlichen Klagen über Ranchbelästiguug und Be­

triebslärm von gewerblichen Anlagen in Wohnvierteln sind redende Zeugen dieser unbeschreiblichen Verwirrung in jeder größeren Stadt.

Mit welcher Planlosigkeit man in den ersten Jahrzehnten der Ent­

wicklung einer regeren Fabriktätigkeit bei der Konzessioniernug von Nengründnngen vorging, zeigt uns ein Blick auf den Plan jeder beliebigen „modernen" Vorstadt. In buntem Wechsel sind Fabrik­

anlagen und vornehme „herrschaftliche" Wohnkafernen — wie es der reine Zufall fügte - - durcheinandergewürfelt. Es find Gebiete dieser Gattung entstanden, die das Terrain des alten Stadtkernes oft um das Hundertfache oder Tausendfache übersteigen. Das chaotische Bild einer Vorstadtbebauung ist ein sichtbares Zeichen für die Ratlosigkeit, mit der die Kommunalverwaltungen bisher vorgegangen sind. Aller­

dings fehlt es einstweilen meist an gesetzlichen Handhaben zur syste­

matischen Regelung der privatrechtlichen Verfügungsfreiheit über Grund

(12)

— 59 -

und Boden. Wo jedoch eine Stadt noch über freies, unbebautes Terrain in ihrem Obereigentum verfügt, sollte sie so schnell als möglich die Bebauung in gesunde Bahnen lenken durch strenge, räumliche Abgrenzung der Wohnviertel gegenüber den Industrievierteln, d. h.

sie sollte die durch die Citybildung hervorgerufene Expaufiousteudenz systematisch fördern und regeln. Sie sollte durch Aulage geeigneter großer Gebiete in der Peripherie dafür sorgen, daß die Industrie aus deu Stadt- oder Vorstadtvierteln freiwillig hinauswandert und damit den dem Stadtkern näher liegenden Teilen der Vorstädte die Möglich­

keit gibt, hygienisch befriedigende Lebensbedingungen zu finden.

Damit wäre in der Hauptsache das erörtert, was der moderne Städtebauer bei Umgestaltungen schon bestehender Anlagen in Stadt- nnd Vorstadtvierteln zu berücksichtigen hat. Kurz zu erwähnen wäre noch die Frage der Sauiernng von Altstadtvierteln durch Niederleguug gesundheitsgefährdender Häuser oder Häusergruppen. In solchen Fällen muß selbstverständlich jede romantische Stimmungsliebhaberei in den Hintergrund treten. Hier gilt es Ubelstände abzuschaffen — so schnell als möglich, auch wenn alte malerische Partien dabei zugrunde gehen. Unsere berüchtigte Lärmstraßengegend, so sehr sie als Motivenschatz für Maler und Pholographen bevorzugt wird, muß verschwinden, um gesunden Neubauten Platz zu machen. Wünschens­

wert wäre es allerdings, hier mit großer Vorsicht zu Werke zu gehen und beim Neuschaffen von modernen Anlagen etwas strenger auf ein­

heitliche Wirkungen hinzuarbeiten. Da die alten engen Straßenzüge nicht mehr in unser Programm hineinpassen, wäre es vielleicht geeignet, hier auf das im Auslande wohlbewährte Verfahren der „Umlegungen"

hinzuweisen, wodurch bei Sanierungen oft wesentliche Vorteile er­

zielt worden sind (Beispiele von Umlegnngen: Brüssel, Köln, Hannover).

Eine weitere Frage, die uns heute zu beschäftigen hat, ist die der Neugestaltung von baufreiem Gelände zu Stadterweiternugszwecken.

Die Hauptfragen der Parzelliernngs- und Straßenführungstätigkeit eines modernen Städtebauarchitekten habe ich in meinem ersten Vortrage bereits kurz erwähut. Ich will hier uoch einige Einzelfragen näher behandeln.

Der wichtigste Gesichtspunkt bei allen Neuanlagen ist die systema­

tische Trennung der Wohu-, Fabrik- und Geschäftsviertel voneinander.

(13)

— 60 —

Für die Gestaltung der Geschäftsviertel, die außer im alten Stadtkern auch an mehreren Zentralpunkten der Außenstadt anzu­

ordnen sind, gelten im wesentlichen dieselben Vorschriften, wie in der City. Natürlich mit einem weit geringeren Maß von Einschränkuugen.

Die Fabrikviertel haben ihre eigenen Spezialbestimmungen, die wir diesesmal übergehen können.

In bezng aus die Gestaltung der Wohnbezirke will ich zur Charakterisierung der modernen Auffassung im Städtebau auf ein allgemeingültiges Schema der Bebauungsweise hinweisen, das gleich­

zeitig zum Teil bei uns in Riga auf die bereits gegebenen Verhält­

nisse anwendbar ist. Die ganze Gliederung der Bebauungsweise einer Stadt sollte bei der Anlage von Baublocks folgendermaßen erfolgen:

1) geschlossene, dichte Bauweise (Altstadt);

2) geschlossene, weniger dichte Bauweise (Anlagenring);

3) halboffene, halbgeschlossene oder gemischte Bauweise (etwa die Gegend der Andreas- und Georgenstraße);

4) offene, engere Bauweise (etwa die neuen Parzellen an der Friedensstraße);

5) offene, weitere Bauweise (Sassenhof, Kaiserwald).

Eine Umgestaltung des Stadtinneren und Umgestaltung der Peri­

pherie nach diesem Schema in konsequenter Durchführung ist kaum zu erwarten, immerhin sollte ein ähnliches Jdealschema bei der Plan­

bearbeitung als Richtschnur dienen.

Die in dieser Verteilung durch Beispiele aus Riga gekennzeich­

neten Bautypen verlangen ganz bestimmte Vorschriften hinsichtlich der Baublockgestaltung, der Straßenanlage und der Bauordnung.

Wir können die entsprechenden Vorschriften, wie sie sich aus der Natur der Sache ergeben, dadurch ableiten, daß wir die Beziehungen vom Haus zur Straße untersuchen. Es gibt hier viererlei verschiedene Möglichkeiten:

1) das Haus in der Straßenflucht (Gruppe 1 und 2 des oben erwähnten Schemas);

2) das Haus mit Bauwich (Gruppe 3);

3) das Haus innerhalb des Baublocks iu der Gruppierung (Gruppe 4);

4) das Haus als Einzelbau, die Villa (Gruppe 5).

(14)

— 61 —

Es würde uns zu weit führen, auf die aus dieser Betrachtung sich ergebenden, ganz dem inneren Wesen der Haustypen oder Block­

typen entspringenden Normen für die Bebauung oder Parzellierung einzugehen. Desgleichen kann die Behandlung der Bauordnung auf dieser Grundlage nicht genauer erörtert werden. Nur so viel sei noch­

mals betont — ich führte das in meinem ersten Vortrag an - : im modernen Städtebau geht die Aufstellung eines Bebauungsplanes mit einer ensprechenden Umgestaltung der ganzen Bauordnung nach dem­

selben „Staffelungssystem" Hand in Hand. Wir dürfen nicht ver­

gessen, daß alle unsere bisherigen Bauordnungen schon lange nicht mehr genügen, da sie in hohem Grade unzureichend sind. Sie richten sich alle mehr oder weniger nach einem seinerzeit als mustergültig bezeichneten Vorbild, der Berliner Bauvorschrift der 70 er Jahre.

Diese ist aber ganz speziell für einen Berliner Haustypus geschaffen worden — für die große Mietkaserne. Da mag sie durchaus am Platz sein, jedenfalls aber ist eine Übertragung dieser Bestimmungen auf die Gesamtheit aller Bauten durchaus unzulässig. Die Statistik hat in den letzten Jahren als ziemlich allgemeine Erscheinung die Tatsache festgestellt, daß 80- 90A aller Wohnungen in großen Städten — kleine Arbeiterwohnungen sind, oder, mit anderen Worten, daß der­

selbe Prozentsatz der Gesamtbevölkerung dem Arbeiterstande angehört.

Allein diese Tatsache dürfte die Reformbedürftigkeit unserer Bauord­

nungen auf das krasseste illustrieren. An der Hand von graphischen Darstellungen, die ich Ihnen im Lichtbilde vorführe, läßt sich er­

messen, welche Widersprüche bei strenger Einhaltung unserer Bau­

ordnung zutage treten (Beispiele für Lichtverhältuiffe bei Häusern innerhalb des Baublocks und an der Straße) (Typen für Block­

bebauung und Straßenführung)

M. D. u. H.! Ich will Ihnen nun zum Schluß an einigen Beispielen demonstrieren, was der moderne Städtebau bereits zustande­

gebracht und erreicht hat — durch die großartige Lösung des Garten­

stadtproblems. Hier haben wir eine Bewegung vor uns, die in ihren Fortschritten geradezu beispiellose Erfolge zu verzeichnen hat und der unzweifelhaft eine bedeutungsvolle Zukunft bevorsteht. Man vergegen­

wärtige sich, daß die Gartenstadtidee kaum 20 Jahre alt ist und heut­

zutage bereits mit einem Gesamtkapital von etlichen Hundert Millionen Mark operiert. Das erklärt wohl auch die ungewöhnliche Popularität,

(15)

— 62 —

die sie allenthalben genießt, sowie die einzigartige Stellung, die sie unter all den vielen Resormbeslrebuugen unserer Tage einnimmt. Einzig­

artig, weil keine andere Bewegung in dem Maße geeignet erscheint, die allgemeine Basis zu schaffen, auf der sich die übrigen Reformen tatsächlich verwirklichen lassen (Beispiele englischer und deutscher Gartenstädte). Ich übergehe die rein städtebaulichen Einzelheiten der Gartenstadtgestaltung und weise nur auf einen Faktor hin, der bei dieser idealen Lösung einer Hauptfrage im Städtebau, der Wohnfrage, ausschlaggebend geweseu ist — die moderne Verkehrstechnik.

Dieser enge Zusammenhang zwischen Verkehrsverhältnissen und Wohngestaltung ist klar ersichtlich. Je weiter von der Stadt unsere Wohn­

stätte liegt, desto gesunder und billiger können wir leben, vorausgesetzt, daß wir gute Verkehrsbedingungen habeu. Je weiter wir aber wohnen, desto besser müssen die Verkehrsverhältnisse sein. Denn Zeit ist Geld!

Wir müssen auf guten Bahnen billig und schnell fahren können

— so lautet die einfache Formel.

Die heutige Technik hat dieses Problem in bester Weise gelöst und damit dem modernen Städtebau erst die Möglichkeit gegeben, sich voll entfalten zu können.

Gute elektrische Straßenbahnen haben wir auch bei uns in Riga.

Aber daß wir auch wirklich billig und schnell fahren können, wird man nicht behaupten dürfen. Es müßte hier unbedingt aus eine Herabsetzung des Fahrtarifs hingearbeitet werden. Erstens müßte der 5-Kopeken-Taris wieder eingeführt und zweitens der Zuschlag für die weiteren Strecken aufgehoben werden. Sodann bedarf die Straßenführung in manchen Punkten einer Korrektur. Es ist durchaus fehlerhaft, die Straßenbahn abseits von schon eingefahrenen Wegen durch kleine winklige Straßen hindurchzuführen; denn es liegt im ganzen Wesen des elektrischen Personenbeförderungsmodus, daß die Schienenstränge nach Möglichkeit geradlinig verlaufen und in radialer Richtung aus dem Stadtmittelpunkt hinausführen in die Peripherie.

Deshalb muß beim Entwurf eiues Erweiterungsplanes für unsere Stadt schon jetzt daran gedacht werden, daß gute „Ausfallstraßen"

bis weit in das Patrimonialgebiet hinein einstmals ohne große Um­

legungen und Kosten gemacht werden können. Die I. Städtebau­

ausstellung in Berlin 1910 war für das Studium der Verkehrsfrage in Großstädten von außerordentlichem Interesse. Hier konnte man

(16)

— 63 —

sehen, wie schwierig sich in Berlin die glatte Abwicklung des Vorort­

verkehrs gestaltet. Jeder Vorort hatte bei den Straßenanlagen nur an seinen Vorteil gedacht und die Straßen so angelegt, daß der Nachbarort nicht etwa gefördert, sondern — der „Konkurrenz" wegen — eher geschädigt wurde. Überall fehlt es an guten Anschlußmöglich­

keiten. Nur mit riesigen Mitteln wird man in Zukunft etwas Groß­

zügiges und Einheitliches auf diesem Gebiet schaffen können. Man hat deshalb — nicht mit Unrecht -- Berlin die Stadt der „verpaßten Gelegenheiten" genannt.

Jede werdende Großstadt sollte sich dieses Beispiel rechtzeitig vor Augen halten! Man wende hier nicht etwa ein, daß sich die Verhältnisse einer Millionenstadt nicht ohne weiteres auf bescheidenere Zustände übertragen ließen. Auch in kleineren Kommunen muß man sich davor hüten, in städtebaulichen Dingen nur für den „Jahres­

bedarf" zu arbeiten.

Was wir heute bei einer zu weit getriebenen Sparsamkeitspolitik auf das Gewinnkonto buchen zu können glauben, wird späteren Ge­

nerationen das Verlustkonto ums Hundertfache belasten.

stielen un6 Diskullion.

A b e l e n .

1. Die bei der natürlichen Entwicklung und Ausdehnung der Städte zutage tretende Tendenz zur „Citybildung" und der damit zusammenhängenden Expansion des Wohngebietes sollte nach Möglich­

keit gefördert und systematisch geregelt werden.

2. Bei der Parzellierung neuer Stadtgebiete sind Wohn-, Fabrik- und Geschäftsviertel nach modernen Gesichtspunkten streng voneinander zu trennen.

3. Die Anlage des Straßennetzes und die Gestaltung der Bau­

blocks sind von der Zweckbestimmung der entsprechenden Gebietsteile abhängig.

4. Die wichtigste Voraussetzung für eine gute Löfuug des Stadt- erweiterungsplanes ist das Vorhandensein entwicklungsfähiger Ver­

kehrsverhältnisse.

(17)

— 64 —

ViskuMon.

Zur 1. These wird daran erinnert, wie die Citybildung, nament­

lich in den größeren städtischen Zentren Westeuropas, schou Jahr­

hunderte zurückdatiert, ja wie sie in gewissem Sinne bereits im Mittel­

alter sich anbahnte durch Gruppierung von Wohnsiedlungen um Burgen und Kastelle, die den Landbewohnern einen Zufluchtsort boten und später zum Kern der Städte wurden. Seit etwa einem halben Jahrhundert hat die Citybildung, im Znsammenhange mit den mo­

dernen Verkehrserleichterungen und auch mit der Verstärkung kapita­

listischer Interessen, ein rascheres Tempo angenommen. Eine beson­

dere Förderung aber erheischt die Citybildung, wie der Vortragende hervorhebt, erst seitdem die durch den Charakter der modernen Groß­

stadt bedingten Übelstände im Wohnungswesen das Bedürfnis gezeitigt haben, die Wohnstätten weiter hinaus zu verlegen. Daß diesem Be­

dürfnis tunlichst Rechnung getragen werde, wird allgemein als wünschenswert anerkannt, so daß die These im Prinzip zu keinen weiteren Debatten Anlaß gibt.

Zur 2. These berichtet der Vorsitzende, daß vor zwei Jahren im Architektenverein und im Technischen Verein in Riga eingehend die Frage beraten worden ist, welche Stadtrayons sich bei uns zu Fabrik- und Industrievierteln vornehmlich eignen dürften. Im damals aufgestellten Programm ist als ein solches Gebiet besonders die Nie­

derung der Spilwe bezeichnet, die durch ihre Lage am Wasser und ihre Eisenbahnverbindung (Bolderaaer Bahn) große Vorzüge besitzt.

Letztere könnten durch Schaffung bequemer Hasenplätze und direkten Bahnanschlusses voll ausgenutzt werden, woran in der Tat auch ge­

dacht wird. Dagegen erscheint der in jenem Programm ebensalls niedergelegte Gedanke eines Fabrikviertels am Stintsee heute bereits sehr fraglich, ja kaum mehr haltbar, da die unmittelbare Umgebung des Stint- und Jägelsees sich gerade als Zukunftsgebiet für Wohn­

siedlungen darstellt und sich zu eiuem modernen Wohnviertel aus­

gestalten dürfte, zumal wenn einst beide Seeufer von einer Ringbahn befahren sein werden. Nach etlichen Jahrzehnten könnten sich dort unter solchen Verkehrsbedingungen vielleicht ausgedehnte Wohnsied­

lungen befinden.

Für die Festlegung eines die Stadt in großem Bogen umzie­

henden Wald- und Wiesengürtels spricht sich, im Anschluß hieran.

(18)

— 65 —

Stadtgartendirektor G. Knphaldt aus. Die Voraussetzungen hierfür sind, wie er darlegt, in Riga besonders günstige: von den oben ge­

nannten Seen über die Moordorser Gegend nach Olai und dann im Bogen um Hageusberg zur Spilwe hin ließe sich ein Kreis zukünftiger Gartenanlagen um Riga legen, wie nicht leicht in einer anderen Stadt. Befinden sich doch diese Ländereien großenteils im eigenen Besitze der Stadt. Von der Schaffung eines solchen Wald- und Wiesengürtels sollte als Grundlage ausgegangen werden, wobei dieser Gürtel selbst der Bebauung zu entziehen wäre, während an ihn künf­

tige Wohnbezirke sich anlehnen könnten.

Andererseits wird nun darauf hingewiesen, wie der heutzutage in fast allen großen Städten wahrnehmbare Expansionsdrang der Be­

völkerung ungeheure Lasten für die Stadtverwaltungen mit sich bringt, die dem finanziell oft noch nicht gewachsen sind, besonders in bezug auf die äußerst teure Straßenanlage, die ja zwar in den Peripherien z. T. den privaten Eigentümern der zu parzellierenden Grundstücke überlassen werdeu kann, woraus aber nach gewisser Zeit die Stadt doch die Sorge für solche Straßen übernehmen muß. Außerdem wird eine Expansion doch immerhin nur unter der Bedingung von den Stadtbewohnern erstrebt, daß das Stadtzentrum in höchstens einer halben Stunde bequem erreichbar bleibt.

Was nun die Schaffung besonderer Fabrikviertel betrifft, so ist sie, wie allseitig anerkannt wird, durchaus wünschenswert, stößt aber einstweilen noch auf große Hindernisse. Diese bestehen erstlich darin, daß die Konzessionierung neuer Fabrikanlagen nicht von der Stadt­

verwaltung, die sich dazu nur gutachtlich zu äußern hat, sondern von der Gouvernementsregierung abhängt. Ferner fehlt die juridische Grundlage für einen derartigen Eingriff in die privaten Eigentums­

rechte, daß die Errichtung von Wohnhäusern aus Fabrikgrundstücken verboten werden könnte. Auch ist zu beachten, daß die Fabriken auf gewisse natürliche Existenzbedingungen (so namentlich auf gute Ver­

kehrsverhältnisse und Wasserverbindung) angewiesen sind, die sie nicht in allen Stadtgegenden finden. Man sollte ihnen dieselben zu schaffen suchen. Zur Verlegung der Fabriken außerhalb der eigentlichen Wohn­

viertel wird nun freilich auch die natürliche Entwicklung das ihrige beitragen, indem die fortschreitende Steigerung der Bodenpreise im Stadtinneren immer mehr dazu sühren muß, sür Fabrikanlagen ein

(19)

— 66 —

entlegeneres Gelände zu wählen. Und für die Znkunft muß der — nicht in der Kompetenz der Kommunen liegende — Erlaß solcher Bestimmungen erhofft werden, nach denen Fabriken bestimmter Kate­

gorien nur in den dafür anzuweisenden Rayons angelegt werden dürfen. Jedenfalls herrscht, wie znständigerseits mitgeteilt wird, auch bei der gegenwärtigen Ausarbeitung der neuen Bebauungsregeln für Riga das Bestrebell, soweit es nach Lage der Dinge erreichbar ist, das Stadtbild so zu gestalten, wie es den modernen Anforderungen entspricht. Letztere gehen, wie der Vortragende zur 2. These noch erläutert, auf Trennung der Wohn-, Fabrik- und Geschäftsviertel ill baupolizeilicher Hinsicht hinaus, dergestalt, daß jedes dieser Viertel seine eigenen Bauregeln erhalte, was zurzeit natürlich noch auf viele Schwierigkeiteu stößt, aber als Richtlinie im Auge zu behalten ist.

Je mehr übrigens das Bedürfnis nach Geschäftslokalen in der inneren Stadt wächst, desto mehr werden voll dort die Wohnungen verschwinden und Hand in Hand mit der Verbesserung der Verkehrs­

bedingungen immer weiter hinaus verlegt werden können. In Riga bieten überdies, wie in der Diskussion weiter bemerkt wird, auch die näheren, an den Anlagenring sich anschließenden Vorstädte an und sür sich recht gute Wohnverhältnisse, die sich noch weit gesunder und günstiger gestalten ließen, wenn gegen zwei Hauptübeli die Rauch - plage und den Lastwagenverkehr in diesen Wohngebieten ein­

geschritten würde. In der Tat hat nun auch die Stadtverwaltung auf diese Mißstände schon längst ihr Augenmerk gerichtet. Über die Abstellung der Rauchplage — bekanntlich ein sehr kompliziertes und technisch noch nicht befriedigend gelöstes Problem — sind nicht nur vielfache Verhandlungen gepflogen worden, und die Stadtverwaltung hat sich an den Rigaer Dampfkesselüberwachungsverein mit der Bitte um weitere Förderung dieser Sache durch Anstellung bezügl. Versuche gewandt, sondern auf Anregung der Stadtverwaltung ist auch bereits der Umbau von Heizungsanlagen, fo z. B. in der Tramway-Zentral- station, vollzogen worden; ebenso ist auch das städtische Elektrizitäts­

werk mit einer neuen rationellen Anlage versehen worden. Allein der Erlaß eines Ortsstatuts hierüber wäre, bei dem Versuchsstadium, in dem diese Frage sich uoch befindet, einstweilen verfrüht. Was aber die Regelung des Lastenverkehrs anlangt, so hängt sie mit der bevor­

stehenden Umgestaltung des Eisenbahnknotens eng zusammen. Ist diese

(20)

— 67 —

erst erfolgt, fo wird auch der Lastenverkehr mehr in die dem Hafen anliegenden Wege gelenkt werden können, was zurzeit noch nicht möglich erscheint.

Bei Besprechung der 3. These erläutert der Vortragende, daß die bisher vielfach vom Zufall bestimmte Aufteilung wesentlich ratio­

neller geschehen kann. Die Baublocks (d. h. straßenumschlossenen Häuserkomplexe) müssen, der Natur der Sache nach, in Fabrikvierteln ganz andere, oft bedeutend größere Dimensionen haben, als in Wohn­

vierteln, wo zu große Blocks nur zu schweren Unzuträglichkeiten führen.

Daraus ergibt sich unmittelbar die Verschiedenheit in der Anlage des Straßennetzes. Für Wohnviertel ist die Dnrchlegnng großer Verkehrsstraßen zu vermeiden. Zugleich ist zu berücksichtigen, daß zu breite Straßen nicht nur unschön, sondern, da sie große Anlage- und Unterhaltungskosten erfordern, auch unökonomisch sind und außerdem die Staubentwicklung begünstigen. Auch deshalb also können in Wohnvierteln die dort zahlreicheren Straßen schmäler bemessen werden.

Bei der 4. These hat der Vortragende die Unterstützung der zentrifugalen Siedlungstendenz im Auge gehabt. Er betont, daß die großen Verkehrslinien frei sein müssen vom Znsallscharakter und ein festes Ziel haben müssen. Besonders gut sei das z. B. in Herm.

Jansens Entwürfen für Groß-Berlin durchgeführt, wo die großen Ausfallstraßen mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der außerhalb Woh­

nenden, denen ein billiger und schneller Verkehr ermöglicht werden soll, gezogen sind. In dieser Hinsicht fände sich in Riga noch mancher wenig glückliche Punkt, wie etwa der weite Bogen, ^in dem die Straßenbahn den Hagensberger Markt umschreibt. Überhaupt hätten gerade die links der Düna belegenen Stadtbezirke teilweise noch an unbefriedigenden Verkehrswegen zu leiden. Die Stadtverwaltung hat indessen, wie mitgeteilt wird, diesen Fragen ebenfalls ihre Aufmerk­

samkeit zugewandt, darunter auch der oben erwähnten Verkehrs­

erschwerung durch die Kurve um den Hagensberger Markt, die übrigens nur als Provisorium gedacht war. Eine besondere Kommission ist mit der Bearbeitung dieser Frage beschäftigt.

Dieselbe These gibt Anlaß, die Frage der Behinderung des Straßenverkehrs durch den Eisenbahnkörper zu berühren, wobei die Befürchtung ausgesprochen wird, daß in Riga das Passieren des Bahnringes immer ernstere Schwierigkeiten bereiten könnte. Auf der

(21)

einzigen großen Ausfallstraße Rigas, beim Alexanderviadukt, kämen bereits Verkehrsstockungen vor und würden sich wahrscheinlich auch auf der Rumpenhosschen Straße bald einstellen. Die unumgängliche Hochleguug der Riga-Oreler Bahnlinie ist nun, wie hierzu mitgeteilt wird, ins Auge gefaßt uud soll mit Übernahme der neuen Eisen- bahnbrücke ins Werk gesetzt werden. Auch die Überwindung der Schwierigkeiten, die durch die Mühlgrabener Eisenbahn für den Straßenverkehr erwachsen, ist in Erwägung gezogen, wobei ein Viadukt­

bau in Frage kommt. Im allgemeinen gehört, worauf vom Vortra­

genden hingewiesen wird, die Hochlegung des Schnellverkehrs zu den Prinzipien im modernen Städtebau und läßt sich, sobald sie im Interesse des Straßenverkehrs unvermeidlich wird, meist auch ohne besonders große Kosten gut durchführen.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Kiegészítő nyomtatás-szárító rendszer (csak az SC-S60600 sorozat esetén) Система дополнительной сушки принтера (только для модели SC-S60600) Додаткова

PL Instalacja oprogramowania CS Instalace softwaru HU A szoftver telepítése RU Установка программного обеспечения UK

Intended For: Advanced Mul tics PL/I programmers who need to use Mul tics subroutines to perform IIO, manipulate files in the storage system, and/or wTite

Waste Ink Bottle (Pojemnik zbierający tusz) Waste Ink Bottle (Nádoba na odpadový atrament) Waste Ink Bottle (Hulladék festékgyűjtő tartály) Waste Ink Bottle (Емкость

PL Instalacja oprogramowania CS Instalace softwaru HU A szoftver telepítése RU Установка программного обеспечения UK Встановлення

Посетите веб-сайт http://epson.sn/, введите название модели своего принтера и нажмите на кнопку. Відвідайте веб-сайт Epson

Moduł czyszczący podawania tuszu Jednotka pro přívod čisticího inkoustu A tintaellátó egység tisztítása Блок подачи чистящих чернил Блок подавання чорнила

Программное обеспечение, необходимое для установки Epson Edge Print, можно скачать в Интернете; убедитесь, что компьютер подключен к Интернету, а