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Archiv "Entscheidungshilfen für Patienten" (04.06.2012)

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Academic year: 2022

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ÜBERSICHTSARBEIT

Entscheidungshilfen für Patienten

Matthias Lenz, Susanne Buhse, Jürgen Kasper, Ramona Kupfer, Tanja Richter, Ingrid Mühlhauser

ZUSAMMENFASSUNG

Hintergrund: Patienten und Patientinnen wollen zuneh- mend in medizinische Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Entscheidungshilfen sollen das Abwägen persön- licher Entscheidungsmöglichkeiten unterstützen.

Methoden: Deskriptive Übersicht einschließlich Klärung der Begriffe partizipative Entscheidungsfindung („shared decision-making“), Entscheidungshilfe („decision aid“) und evidenzbasierte Patienteninformation. Bestandsauf- nahme nichtdeutschsprachiger und deutschsprachiger Entscheidungshilfen mittels Recherchen in MEDLINE, EMBASE und PsycInfo auf Basis eines aktuellen Cochrane Review. Internetrecherchen nach Anbietern von Entschei- dungshilfen in Deutschland.

Ergebnisse: Entscheidungshilfen adressieren vielfältige präventive, diagnostische und therapeutische Anwen- dungsbereiche. Sie werden als Broschüren, Entschei- dungstafeln, Videos oder Computerprogramme angeboten.

Charakteristischerweise enthalten sie Informationen zu Vor- und Nachteilen verfügbarer Optionen sowie Anleitun- gen zur individualisierten Entscheidungsfindung. Entschei- dungshilfen werden einzeln oder als Komponenten struk- turierter Beratung oder Schulung eingesetzt. Mindest - qualitätsstandards sind Evidenzbasierung, Vollständigkeit, Unverzerrtheit und Verständlichkeit. Die Bestandsaufnah- me beinhaltet 106 randomisiert-kontrollierte Studien (RCT) zu nichtdeutschsprachigen und 12 RCT zu deutschsprachi- gen Entscheidungshilfen. Neben indikationsspezifischen klinischen Ergebnisparametern wurden Endpunkte wie Wissen, Behandlungstreue, Patientenzufriedenheit, Patien- tenbeteiligung am Entscheidungsprozess, Autonomieprä- ferenz und Entscheidungskonflikt evaluiert.

Schlussfolgerung: Obgleich es gute Beispiele für systema- tisch entwickelte und evaluierte Entscheidungshilfen gibt, fehlen für die meisten Indikationen entsprechende Ange- bote. Die ethisch legitimierten Ansprüche der Patienten bleiben unerfüllt. Es fehlen Strukturen, die eine nachhalti- ge Entwicklung, Evaluation und Implementierung hoch- wertiger Entscheidungshilfen ermöglichen.

►Zitierweise

Lenz M, Buhse S, Kasper J, Kupfer R, Richter T, Mühlhauser I: Decision aids for patients.

Dtsch Arztebl Int 2012; 109(22–23): 401–8.

DOI: 10.3238/arztebl.2012.0401

M

enschen haben das Recht und einen ethisch be- gründeten Anspruch auf Selbstbestimmung. Sie wollen bei gesundheits- oder krankheitsbezogenen Ent- scheidungen mitentscheiden (1). Besonders relevant ist dies für Maßnahmen, die sich an gesunde Menschen richten (zum Beispiel Krebsfrüherkennungsuntersu- chungen), für Maßnahmen mit zweifelhafter Nutzen- Schaden-Bilanz oder für chronische Erkrankungen mit ungewissem Verlauf wie Krebserkrankungen oder Mul- tiple Sklerose (MS).

Werden Entscheidungen von Patient und Arzt ge- meinsam getroffen, kann von „shared decision making“

(SDM) gesprochen werden (2). Unterstützung beim in- dividualisierten Abwägen zwischen Entscheidungsop- tionen bieten Entscheidungshilfen („decision aids“) (3) und evidenzbasierte Patienteninformationen (EBPI) (4).

Ziel dieser Arbeit ist eine deskriptive Übersicht zu internationalen und deutschsprachigen Entscheidungs- hilfen sowie Anbietern von Entscheidungshilfen in Deutschland. Das Konzept Entscheidungshilfe wird vor dem Hintergrund von EBPI und SDM diskutiert. Zen- trale Aspekte der Entwicklung, Evaluation und Imple- mentierung werden aufgezeigt und am Beispiel von Entscheidungshilfen zur MS illustriert.

Ein eAppendix mit weiterführenden Informationen zu Qualitätskriterien und Entscheidungshilfen ist auf der Homepage der Autoren über folgende Website ver- fügbar: www.chemie.uni-hamburg.de/igtw/Gesundheit/

publikationen/pub_lenz.html

Shared Decision Making

Es gibt keine einheitliche Definition von SDM (5).

SDM steht für einen bestimmten Stil der Kommunikati- on zwischen Patienten und Gesundheitsprofessionellen.

Von SDM kann gesprochen werden, wenn die an der Entscheidungsfindung beteiligten Menschen relevante Informationen austauschen, um gemeinsam eine Ent- scheidung zu treffen und umzusetzen (6). Entsprechend der Grundidee der Evidenzbasierten Medizin (7) sollte SDM auf verlässlichen EBPI beruhen und die von sub- jektiven Bewertungen geprägten Positionen der Betei- ligten berücksichtigen.

Entscheidungshilfen

Entscheidungshilfen sollen beim Abwägen individuel- ler Entscheidungsmöglichkeiten helfen (3, 8) und adressieren präventive, diagnostische und therapeuti- sche Maßnahmen. Sie haben nicht das Ziel, zu be- stimmten Maßnahmen zu raten oder die Behandlungs- treue zu erhöhen. Entscheidungshilfen werden als Bro-

Universität Hamburg, Fakultät für Mathematik, Informatik und Natur - wissenschaften, Geundheitswissenschaften: Dr. phil. Lenz, Buhse, Kupfer, Richter, Univ.-Prof. Dr. med. Mühlhauser

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Allgemeinmedizin:

Dr. phil. Kasper

(2)

schüren, Videos, Internetprogramme oder Entschei- dungstafeln angeboten. Ziele und didaktische Strate- gien sind vielfältig (9). Beispielsweise sollen Patienten durch das Angebot relevanter Informationen zur Refle- xion der eigenen Einstellung motiviert werden und sich infolgedessen an der Entscheidungsfindung beteiligen.

Umgekehrt kann auch die Motivation zur Reflexion ei- gener Werte den Einstieg in einen Informationsprozess darstellen, der Patienten dann zur Beteiligung im Sinne des SDM animiert.

Die Entwicklung von Entscheidungshilfen ist auf- wändig und beinhaltet meist vielfältige theoretische und empirische Vorarbeiten (10). Da die Verwendung von Entscheidungshilfen Auswirkungen auf die Patien- tenversorgung haben kann (3), ist vor deren Implemen- tierung eine sorgfältige Evaluation ihrer Wirksamkeit mit randomisiert kontrollierten Studien (RCT) erforder- lich.

Zur Qualitätsbewertung von Entscheidungshilfen sind verschiedene Instrumente verfügbar (8). Hierzu

Decision Aid Standards (IPDAS)-Collaboration entwi- ckelte Bewertungscheckliste IPDASi (IPDAS-Instru- ment) (14), das Instrument MATRIX (9) zur Bewertung der Entwicklungs- und Evaluationsprozesse von Ent- scheidungshilfen und das Instrument EQIP (Ensuring Quality Information for Patients) (15) zur Bewertung von Informationsqualität.

Evidenzbasierte Patienteninformationen EBPI sind eine zentrale Komponente von Entschei- dungshilfen. International definierte Qualitätskriterien für EBPI liegen vor (4, 11, 12). Ethische Leitlinien (13) klären, welche Inhalte und Metainformationen für Pa- tienten relevant sind. Hierzu zählen:

Informationen zum natürlichen Verlauf der Er- krankung (Beschwerdebild und Prognose der Er- krankung ohne Intervention)

vollständige Nennung aller Optionen, gegebenen- falls einschließlich der Möglichkeit, auf eine In- tervention (vorerst) zu verzichten

Wahrscheinlichkeiten für Erfolg, Nichterfolg und Schaden zu den anstehenden medizinischen Inter- ventionen

patientenrelevante Zielparameter

das Fehlen von Evidenz

für diagnostische Maßnahmen: Daten zu mögli- chen falsch-positiven und falsch-negativen Ergeb- nissen.

EBPI sind laienverständlich und unverzerrt darzu- stellen. Nicht für alle Kriterien der Darstellung ist gute Evidenz hinsichtlich kognitiver Endpunkte verfügbar (Kasten 1). Bei der Entwicklung von Gesundheitsinfor- mationen gilt es, Vertreter der Zielgruppe in den Ent- wicklungsprozess einzubeziehen (4).

Die Entwicklung von EBPI ist aufwändig. Zur Si- cherstellung der Informationsqualität sind unter ande- rem systematische Recherchen nach medizinisch-wis- senschaftlicher Literatur zum Entscheidungsfeld (zum Beispiel Krankheitsbild, verfügbare Optionen und de- ren Wirksamkeit) sowie deren kritische Qualitätsbe- wertung notwendig. Vor dem Hintergrund der heutzuta- ge kurzen Halbwertszeit wissenschaftlicher Informatio- nen kommt der Aktualisierung von EBPI-Inhalten eine besondere Bedeutung zu.

Bestandsaufnahme Methoden

Zur Bestandsaufnahme nichtdeutschsprachiger Ent- scheidungshilfen wurden die Datenbankrecherchen des aktuellen Cochrane-Reviews (3) bis 8/2011 ergänzt.

Gesucht wurde in MEDLINE (Ovid), EMBASE (Ovid) und PsycInfo (Ovid) (eAppendix, verfügbar über die Homepage der Autoren). Eingeschlossen wurden Ent- scheidungshilfen, die den Cochrane-Kriterien genügten und deren Wirksamkeit in RCTs untersucht wurde.

Zur Identifizierung deutschsprachiger Entschei- dungshilfen wurde die Suchstrategie um „patient infor- mation“ erweitert und auf den deutschen Sprachraum limitiert (eAppendix). Bekannte Publikationen sowie

Kriterien für evidenzbasierte Patienteninformation (4)

Kriterien mit guter Evidenz für die kognitiven End- punkte: Wissen, Risikowahrnehmung, Verstehen, Verständnis

– Numerische Darstellung von Zahlen und Ergebnis- sen: Absolute Risikoreduktion, Zahlenangaben in na- türlichen Häufigkeiten statt Prozentangaben, Angabe von Bezugsgrößen

– Sprachliche Darstellung von Risiken: Keine alleinige sprachliche Darstellung von Risiken (selten, häufig etc.) ohne ergänzende numerische Angaben – Grafische Darstellung von Daten: Piktogramme, Bal-

kendiagramme und Tortendiagramme

Beispiele für relevante Kriterien, für die bislang allerdings keine gute Evidenz hinsichtlich kogniti- ver Endpunkte vorliegt

Solange keine Evidenz vorliegt, sollten die Zielgruppen Feedback zur Umsetzung dieser Kriterien geben.

– Bilder und Zeichnungen: Illustrationen der Textinfor- mation

– Narrativ: Patientenberichte und Erzählungen – Kulturelle Besonderheiten: Für den Bereich der Pa-

tienteninformationen gibt es lediglich Ansätze zur Umsetzung dieses Kriteriums für die mündliche Kom- munikation

– Layout-Aspekte: Zielgruppenspezifische Anpassung von Schriftgröße, Schrifttyp, Kontrast zwischen Hin- tergrund und Schrift und Format

– Sprache: laienverständliche und zielgruppenspezifi- sche Sprache, partizipationsfördernde Sprache

(3)

die Referenzlisten der identifizierten Arbeiten wurden nach weiteren Publikationen durchsucht. Eingeschlos- sen wurden in RCT evaluierte deutschsprachige Ent- scheidungshilfen.

Um zu erfassen, welche Anbieter bei Internetsuchen von Laien üblicherweise identifiziert werden, erschien eine systematische Datenbankrecherche nicht sinnvoll.

Stattdessen wurden die Begriffe „Entscheidungshilfe“

UND „Patient“ sowie „evidenzbasiert“ UND „Patien- teninformation“ in die Internetsuchmaschine Google eingegeben. Die jeweils ersten 100 Treffer wurden

nach Anbietern gescreent. Zudem wurden die Internet- seiten bekannter Anbieter nach Entscheidungshilfen oder EBPI sowie nach Links zu weiteren Anbietern ge- screent. Identifizierte Anbieter wurden exemplarisch drei Kategorien zugeordnet (Tabelle 1).

Ergebnisse

International auf Wirksamkeit geprüfte Entscheidungshilfen Aus dem aktuellen Cochrane Review (3) wurden 82 RCT zu nichtdeutschsprachigen Entscheidungshilfen als Datenbasis extrahiert. Aus eigenen Datenbankre- TABELLE 1

Anbieter von Entscheidungshilfen und Patienteninformationen

*1 Diese Tabelle hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit; sie spiegelt eine Internetrecherche mit der Suchmaschine Google wider, unter Eingabe der Begriffe

„Entscheidungshilfe“ UND „Patient“ sowie „evidenzbasiert“ UND „Patienteninformation“ und einem Screening der jeweils ersten 100 Treffer.

*2 Informationen werden von den Anbietern als EBPI bezeichnet

*3 Materialien werden von den Anbietern als Entscheidungshilfen bezeichnet

* 4 Eine Evidenzbasierung ist in den Informationen selbst nicht angegeben, aber Evidenzbasierung ist als Merkmal, z.B. unter Qualitätssicherung, angegeben.

Anbieter (Beispiele)*1

Anbieter von evidenzbasierten Patienteninformationen (EBPI)*2 Internetportal für Patienten (Institut für Qualität und

Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, IQWiG) http://www.gesundheitsinformation.de

Der Gemeinsame Bundesausschuss http://www.g-ba.de/informationen Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

http://www.patienten-information.de

Gesundheitswissenschaften Universität Hamburg www.patienteninformation.de

Anbieter von Entscheidungshilfen*3

Zentrum für Psychosoziale Medizin Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf; „Patient als Partner“

http://www.patient-als-partner.de

Gesundheitswissenschaften Universität Hamburg http://www.chemie.uni-hamburg.de/igtw/Gesundheit Katholischer Hospitalverbund Hellweg

http://www.katharinen-hospital.de Allgemeine Ortskrankenkassen http://www.aok.de/bundesweit

Techniker Krankenkasse

http://www.tk.de/tk/medizin-und-gesundheit

Anbieter von Patienteninformation, Informationsbroschüren usw.*4 Deutscher Krebsinformationsdienst (KID)

http://www.krebsinformationsdienst.de Kassenärztliche Bundesvereinigung http://www.kbv.de/patienteninformation

Angebote (Auszüge)

„Evidenzbasierte Gesundheitsinformation“ zu verschiedenen Themen- bereichen (z. B. Herz und Kreislauf, Immunsystem und Infektionen, Kind und Familie, Kopf und Nerven, Krebs, Muskeln, Knochen und Gelenke, Nieren und Harnwege, Operationen und Prävention)

Indikationsunspezifische EBPI für den Patienten zum Ausfüllen mit bereitgestellten Informationen

Patienteninformation zur chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) und Asthma

Kurzinformationen für Patienten zu ausgewählten Krankheitsbildern wie Krebs, Herzinfarkt, Schlaganfall oder Atemwegserkrankungen

Gesundheitsinformationen zu verschiedenen Themen (z. B. Hormonbe- handlung, Darmkrebsscreening, Mammographie, Zervixkarzinomscreening, HPV-Impfung und multiple Sklerose, Prävention von Osteoporose, Schmerzbehandlung bei Operationen)

Entscheidungshilfen zu verschiedenen Themen (z. B. Brustkrebs, Darmkrebs, Gebärmutterhalskrebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depression, Demenz und Impfungen)

Evidenzbasierte Entscheidungshilfen (Prävention von Herzinfarkt und Multipler Sklerose)

Entscheidungshilfe: „Ernährungssonde ja oder nein?“ für Patienten, Angehörige und Mitarbeiter

Entscheidungshilfen zu verschiedenen Themen (z. B. PSA-Test, Bruster- haltung oder -entfernung, Impfen und künstliche Ernährung im Alter), bereit- gestellt über den AOK-Bundesverband

Portal „Kompetent als Patient“ (z. B. Kurse & Workshops, Patienteninfor- mationen, Informationen bewerten, http://www.tk.de/tk/beratungsangebote/

kompetent-als-patient/informationen-bewerten/225904)

Arztgespräche erfolgreich führen, Arzneimittel sicher anwenden und Entscheidungshilfen); Entscheidungshilfen (z. B. zu Brustkrebsfrüherkennung, Darmkrebsfrüherkennung, Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs und HPV-Impfung)

KID-Informationsblätter zu verschiedenen Themenbereichen Broschüren, Bilder, Audiodateien, Filme zum Thema Krebs

Informationen zu verschiedenen Krankheitsbildern (z. B. Krebs, Herzinfarkt, Schlaganfall und Atemwegserkrankungen)

(4)

cherchen über den Zeitraum 1/2009 bis 8/2011 wurden 3693 Titel identifiziert und 54 Publikationen im Voll- text beurteilt. Davon wurden 24 Publikationen zu 20 Entscheidungshilfen eingeschlossen und 30 ausge- schlossen, da sie keine RCT darstellten oder keine den Cochrane-Kriterien entsprechende Entscheidungshilfe evaluiert wurde. Einschließlich der im aktuellen Coch- rane Review eingeschlossenen RCT wurden 106 RCT zu nichtdeutschsprachigen Entscheidungshilfen identi- fiziert (weiterführende Abbildungen und Tabellen sind über die Homepage der Autoren abrufbar).

Entscheidungshilfen adressieren vielfältige präventi- ve, diagnostische und therapeutische Optionen (3). Sie werden einzeln oder als Komponenten von SDM-Pro- grammen eingesetzt. Teilweise erfolgen zusätzlich Be- ratungen durch Ärzte oder Gesundheitsfachberufe.

Hauptsächlich werden Ergebnisparameter wie Wissen, Einstellung, getroffene Entscheidung, informierte Ent- scheidung (informed choice), Entscheidungssicherheit, Patientenzufriedenheit bezüglich der Entscheidung und Patientenpräferenzen evaluiert.

Entscheidungshilfen

Es wurden 391 Titel identifiziert. Davon prüften die Autoren 339 Titel und beurteilten 19 im Volltext. Insge- samt wurden 12 RCT zu 10 deutschsprachigen Ent- scheidungshilfen eingeschlossen (Tabelle 2) und 7 aus- geschlossen, da sie keine RCT darstellten oder keine Entscheidungshilfe evaluiert wurde. Vier dieser 12 ein- geschlossenen RCT sind auch im aktuellen Cochrane Review enthalten.

Neben indikationsspezifischen klinischen Ergebnis- parametern wurden Endpunkte wie Wissen, Behand- lungstreue, Patientenzufriedenheit, Patientenbeteili- gung am Entscheidungsprozess, Autonomiepräferenz und Entscheidungskonflikt evaluiert. Die Validität der RCT wurde an dieser Stelle nicht beurteilt (weiterfüh- rende Abbildungen und Tabellen sind über die Home- page der Autoren abrufbar).

Anbieter von Entscheidungshilfen im deutschen Sprachraum Es wurden verschiedene Anbieter von Entschei- dungshilfen identifiziert (Tabelle 1). Hinzu kommen Anbieter von Patientenleitlinien oder Patientenin - formationen, deren Inhalte auf Leitlinien der wissen- schaftlichen medizinischen Fachgesellschaften ba - sieren (zum Beispiel Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin). Auch wur- den Internetseiten identifiziert, auf denen selbst keine Informationen angeboten wurden, sondern aus- schließlich Links zu Anbietern, Entscheidungshilfen oder EBPI (zum Beispiel Deutsches Netzwerk evi- denzbasierte Medizin und Deutsches Cochrane Zentrum). Bei den meisten Anbietern ist nicht nach- vollziehbar, in welchem Ausmaß die Informationen tatsächlich evidenzbasiert sind.

Entwicklung, Evaluation und Implementierung am Beispiel multiple Sklerose

Im Rahmen eines Förderschwerpunkts des Bundesmi- nisteriums für Gesundheit (2001–2004) wurden am In- stitut für Gesundheitswissenschaften der Universität Hamburg in Zusammenarbeit mit dem Universitätskli- nikum Hamburg-Eppendorf (UKE) zwei Entschei- dungshilfen für Menschen mit Multipler Sklerose (MS) entwickelt und evaluiert (Kasten 2). Die Entschei- dungshilfe zur Immuntherapie besteht aus einer aus- führlichen Informationsbroschüre und einem Entschei- dungsbogen. Die zweite Entscheidungshilfe zum Schubmanagement besteht neben einer ausführlichen Informationsbroschüre (e1) aus einer vierstündigen Gruppenschulung, Diskussion und Reflexion für MS- Betroffene und deren Angehörige (16). Das Thema Schubmanagement ist angesichts einiger Ungewisshei- ten prototypisch für den Einsatz von Entscheidungshil- fen: So können Schübe sehr unterschiedlich sein, ihre prognostische Bedeutung ist unklar (e2). Leitlinien empfehlen eine kurzfristige hochdosiert-intravenöse Therapie mit Glukokortikoiden (e3), die Evidenz hier- zu ist jedoch schwach. Lediglich kurzfristige Effekte sind nachgewiesen, langfristig zeigen sich keine Vortei-

Entwicklung und Implementierung nach Phasen (10) am Beispiel Multiple-Sklerose-Schubtherapie

Phase der Entwicklung

– theoretische Fundierung (Protection Motivation Theory, Shared Decision Making, evidenzbasierte Patienteninformation) (e18)

– Patientenpräferenzen und -einstellungen (e1) – systematische Literaturrecherche (e2)

Phase der Pilotierung und Planung

– Entwicklung der Broschüre und des Schulungspro- gramms mit Experten und Betroffenen (e8) – Vortestung der Bestandteile sowie des gesamten

Programms (e8)

– Bestimmung der primären und sekundären Ergebnis- parameter (16)

– Entwicklung und Vortestung der Erhebungsinstru- mente (16)

Phase der Evaluation

– multizentrisches RCT mit 150 Betroffenen mit schub- förmiger multipler Sklerose (16)

Phase der Implementierung

– Erstellung einer aktualisierten Entscheidungshilfe (e4)

– Entwicklung eines Train-the-Trainer-Programms (e4) – Evaluation der Implementierung des Programms mit 261 Betroffenen mit schubförmiger multipler Sklerose (e4)

(5)

TABELLE 2

Deutschsprachige Entscheidungshilfen mit Wirksamkeitsnachweis Nr.

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

Thema

Brustkrebstherapie

Bauchchirurgie:

laparoskopische Cholezystektomie

Darmkrebs- screening

Diabetes mellitus

Depression

Herzinfarkt und Schlaganfall:

Risikoprognose und Prävention

Multiple Sklerose:

Immuntherapie

Multiple Sklerose:

Schubtherapie

Entscheidungshilfe und Link*1

drei indikationsspezifische EBPI-Broschüren:

– brusterhaltende Therapie oder Brustentfernung?

– zusätzliche Chemotherapie bei hormonrezeptor- positivem Brustkrebs (T1) (nur Broschüre) – präoperative Chemotherapie oder postoperative

Chemotherapie bei T2 oder T3 www.aok.de/assets/media/bundesweit/

entscheidungshilfebrust.pdf

interaktive DVD Cholezystektomie

Darmkrebs-Früherkennung

www.gesundheit.uni-hamburg.de/upload/

NeueDarmkrebsbroschuere2011.pdf

Prädiabetes – Das unerkannte Risiko auf dem Weg zum Typ-2-Diabetes

Entscheidungshilfe für die Behandlung depressiver Patienten

www.depression-leitlinien.de/depression/media/

Entscheidungshilfe_Deutsch.pdf

ARRIBA-Herz

www.uni-marburg.de/fb20/allgprmed/arriba/

arriba%20in%20sechs%20schritten

Informed shared decision making in Multiple Sclerosis immunotherapy (ISDIMS)

www.gesundheit.uni-hamburg.de/upload/

Immuntherapien%20der%20MS.pdf

Evidence-Based Self-management In Multiple Sclerosis (EBSIMS)

www.gesundheit.uni-hamburg.de/upload/

Schubtherapie_der_MultiplenSklerose.pdf

Studie

Vodermaier 2009 (e9)

Vodermaier 2011 (e10)

Wilhelm 2008 (e11)

Steckelberg 2011 (25)

Genz 2010 (e12)

Loh 2007 (23)

Krones 2008 (e13) Krones 2009 (e14) *2

Kasper 2008 (e15)

Köpke 2008 (16)

Studienteilnehmer (P) Intervention (I) Kontrollintervention (K) Ergebnisparameter (E) P: Ärzte, Patienten (n = 111)

I: eine von drei indikationsspezifischen EBPI + Decisi- on-board

K: Standardbehandlung

E: Entscheidungskonflikt; Entscheidung, Länge der ärzt- lichen Beratung, Zeitpunkt der Entscheidung, Patien- tenbeteiligung im Prozess der Entscheidungsfindung und bei der Entscheidung, Patientenzufriedenheit P: Ärzte, Patienten (n = 98)

I: eine von drei indikationsspezifischen Broschüren + Decision-board

K: Standardbehandlung

E: Entscheidungskonflikt, Angst + Depression, Körper- wahrnehmung, Kontrollüberzeugungen; Coping P: Patienten vor der Entscheidung für oder gegen

Cholezystektomie (n = 212)

I: interaktive DVD zur Unterstützung der Patienten- schulung

K: herkömmliches Patientengespräch durch Chirurg E: Wissen zu Krankheit, natürlichem Verlauf, chirurgi-

scher Prozedur und möglichen Komplikationen;

Zufriedenheit mit der Schulung

P: Versicherte der GEK, 50 bis 75 Jahre alt (n = 1 577) I: EBPI-Broschüre, zwei optionale interaktive Internet-

lernmodule

K: offizielle Informationsbroschüre des deutschen Programms Darmkrebsscreening des G-BA E: „informed choice“ (Wissen, Einstellung, tatsächliche/

geplante Inanspruchnahme)

P: Besucher der Webseiten von TK und Deutsches Diabetes-Zentrum, ohne Diabetesdiagnose I: Internet-basierte EBPI

K: Standardinformation

E: Wissen, Einstellung zur metabolischen Kontrolle, Intention, eine metabolische Kontrolle durchzufüh- ren, Entscheidungskonflikt (DCS), Zufriedenheit mit der Information

P: Ärzte (Cluster, n = 23), Patienten mit neudiagnosti- zierter Depression (n = 287)

I: Ärztetraining, EBPI-Broschüre, Decision-board, Beratungsmodul

K: Standardbehandlung

E: Patientenbeteiligung, Zufriedenheit, Konsultations- dauer, Depressionsschwere, Behandlungstreue P: Hausarztpraxen (Cluster, n = 14), Patienten

mit Indikation zur kardiovaskulären Prävention (n = 1 132)

I: Ärztetraining, Patientenberatungsstrategie einschl.

Entscheidungshilfe und Risikoprognoseinstrument K: Ärzteseminare zu alternativen Themen E: Patientenbeteiligung, SDM (SDM-Q), „decisional

regret“, Wissen (e13), TBT-Scale (e14)*2 P: Patienten mit MS (n = 297)

I: Broschüre, interaktives Arbeitsblatt K: Standardinformationsmaterial (DMSG)

E: Übereinstimmung der vom Patienten gewünschten und im Entscheidungsprozess erlebten Rolle des Patienten

P: Patienten mit MS (n = 150) I: EBPI-Broschüre, Schulungsprogramm K: Standardinformationsmaterial

E: Schubtherapie, Anzahl und Schwere von Schüben, Autonomiepräferenz (CPS), Lebensqualität (HAQUAMS), funktionaler Status (UNDS)

(6)

le gegenüber Placebo oder oraler Glukokortikoidgabe, Nebenwirkungen sind häufig, auch schwere Nebenwir- kungen treten auf (e2).

Da keine entsprechenden evidenzbasierten Entschei- dungshilfen vorlagen (17), wurde auf Grundlage ver- schiedener Vorstudien eine Entscheidungshilfe entwi- ckelt. Durch die Entscheidungshilfe sollen die MS-Be- troffenen erkennen, dass sie im Falle eines Schubes mehrere Entscheidungsmöglichkeiten haben, inklusive der Option abzuwarten. In allen Schritten der Entwick- lung waren Betroffene beteiligt. Die Schulung wurde von zwei Personen, einer Krankenschwester sowie ei- ner Betroffenen durchgeführt.

Die RCT zeigte als Ergebnis der Intervention weni- ger Schübe mit intravenöser Therapie in der Interventi- onsgruppe (22 % der Schübe) im Vergleich zur Kon- trollgruppe (44 %; p<0,0001) sowie ein erhöhtes Risi- kowissen und eine ausgeprägtere Entscheidungsauto- nomie (16).

In der anschließenden Implementierungsstudie (e4) wurden 31 Teilnehmer in einem Train-the-Trainer-Pro- gramm geschult, um die Entscheidungshilfe an ver- schiedenen Zentren deutschlandweit anzubieten. Die Ergebnisse von 261 teilnehmenden Betroffenen zeigten die Übertragbarkeit des Programms in die Praxis, aber auch verschiedene Implementierungsbarrieren.

Derzeit ist das Programm an zwei Rehabilitations- zentren für MS-Betroffene, an der Tagesklinik des UKE sowie einer Selbsthilfeorganisation fest imple- mentiert. Eine Übertragung des Programms an ein ka- nadisches Zentrum ist für Ende des Jahres 2011 ge- plant. (Weiterführende Abbildungen und Tabellen sind über die Homepage der Autoren abrufbar.)

Diskussion

Auf den von den Autoren identifizierten Internetseiten fanden sich vielfältige Angebote, die als evidenzbasierte Patienteninformation oder Entscheidungshilfe bezeichnet werden. Inwiefern deren Inhalte tatsächlich evidenzba- siert sind, ist den Angeboten selbst selten zu entnehmen.

Patienten, die im Internet nach Entscheidungshilfen suchen, würden wahrscheinlich Begriffe zur individu- ellen Indikation wie Diabetes oder Herzinfarkt benut- zen. Obwohl die Autoren im Rahmen dieser Über- sichtsarbeit nicht indikationsspezifisch recherchiert haben, dürfte die Unübersichtlichkeit der Suchergeb- nisse vergleichbar sein.

Der Vielfalt an Informationsangeboten steht der Man- gel an qualitativ hochwertigen Entscheidungshilfen ge- genüber. Ein bislang ungelöstes Problem ist die Intrans- parenz der Informationsqualität. Auch wenn Patientenin- formationen und Entscheidungshilfen sich das Label

„evidenzbasiert“ geben, sind Inhalte und Präsentation der Informationen häufig nicht evidenzbasiert (18). Verschie- dene Qualitätssiegel wie „Health on the Net“ (HON) (e5) oder DISCERN (e6) sollen die Zuverlässigkeit der Infor- mationen belegen. In Deutschland verwenden beispiels- weise das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), die Bundesärztekammer (BÄK) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) das HON-Siegel auf ihren Patienteninformations- seiten (Tabelle 1). Zentrale EBPI-Qualitätsaspekte wie wissenschaftliche Korrektheit, Vollständigkeit und Dar- stellung der Inhalte werden durch die Qualitätssiegel al- lerdings nur ungenügend berücksichtigt (19). Nutzer ha- ben derzeit kaum die Möglichkeit, die Zuverlässigkeit der Informationsangebote zu bewerten.

*1 Internetlink, nur wenn Entscheidungshilfe online frei verfügbar;

*2 Krones 2009 (e14) ist eine Validierungsstudie für die TBT-Scale im Rahmen der RCT (e13) CPS, Degner-Control Preference-Scale; DCS, Decisional Conflict-Scale; DMSG, Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft; DVD, Digital Video Disk; EBPI, Evidenzbasierte Patienteninformation;

G-BA, Gemeinsamer Bundesausschuss; GEK, Gmünder Ersatzkasse; HAQUAMS, Hamburg Quality of Life Questionnaire in Multiple Sclerosis;

MS, Multiple Sklerose; SDM, Shared-Decision-Making; SDM-Q, Shared-Decision-Making-Questionaire; TBT, Theory of planned behaviour; UNDS, UK Neurological Disability Scale 9.

10.

Rückenschmerzen:

körperliche Funktionsverbesse- rung durch Verhal- tensänderung bzgl.

Bewegung

Schizophrenie:

Behandlungs- optionen

Rückenschmerzen

www.arztbibliothek.de/mdb/downloads/kip/

aezq-version-kip-akuter-kreuzschmerz.pdf

Schizophrenie

Bücker 2010 (e16)

Hamann et al. 2006 (e17)

Intervention (I) Kontrollintervention (K) Ergebnisparameter (E)

P: Patienten in hausärztlicher Praxis mit akuten unkomplizierten Rückenschmerzen (n = 174) I: EBPI-Broschüre

K: Faltblatt zu einem nicht rückenschmerzrelevanten Thema

E: Funktionsbeeinträchtigung durch Rückenschmerzen, allgemeine körperliche Funktionsfähigkeit, Einstel- lung und Wissen zu Rückenschmerzen P: 12 Krankenhausstationen für psychiatrische Akut-

patienten, Patienten mit Schizophrenie (n = 107) I: Entscheidungshilfe und Arztgespräch (SDM) K: Standardbehandlung

E: Wissen; Wunsch des Patienten, am Entscheidungs- prozess beteiligt zu sein (API); Einstellung zu Behandlungsoptionen (DAI); Patientenbeteiligung (COMRADE); Zufriedenheit (ZUF8); Ärzte und Pflegepersonal füllten weitere patientenbezogene Fragebögen aus

(7)

Vieles, was als Entscheidungshilfe bezeichnet wird, ist frei im Internet verfügbar. Allerdings zeigen die Da- tenbankrecherchen der Autoren, dass vergleichsweise wenige Entscheidungshilfen in RCT hinsichtlich Nut- zen und Schaden evaluiert sind. Demgegenüber gibt es gute Beispiele für systematisch entwickelte deutsch- sprachige Entscheidungshilfen, deren Wirksamkeit nachgewiesen ist (Tabelle 2).

Eine klare begriffliche Abgrenzung zwischen EBPI und Entscheidungshilfe ist schwierig. Wenn eine EBPI zur Entscheidungsfindung eingesetzt wird, kann sie nach IPDAS-Definition (8) auch als Entscheidungshil- fe gelten. Auch EBPI allein kann wirken. Ein Beispiel ist die „drug-facts-box“ (e7). Hier werden Nutzen und Nebenwirkungen eines Präparats mit Angabe absoluter Risiken direkt gegenübergestellt. In einem RCT wurde nachgewiesen, dass die „drug-facts-box“ gegenüber Standardinformationen Wissen über Nutzen und Ne- benwirkungen verbessern und unrealistische Erwartun- gen an die Wirksamkeit korrigieren kann (e7).

Vor Implementierung einer Entscheidungshilfe ist ihre Wirksamkeitsprüfung in RCT notwendig. Zur Beurtei- lung, wie eine Entscheidungshilfe unter gegebenen Bedin- gungen wirkt, müssen meist weitere theoretische Arbeiten und empirische Vorstudien herangezogen und bewertet werden. Ein methodisches Problem ist die systematische Identifizierung aller verfügbaren Studienpublikationen (20). Hier wird die Entwicklung spezieller Literaturdaten- banken vorgeschlagen, die eine vollständige Identifizie- rung erlauben und die Qualitätsbeurteilung vereinfachen (21, 22). Ein anderes Problem kann die kritische Bewer- tung der identifizierten Literatur sein. Zum einen sind die Arbeiten methodisch heterogen, was ein breites methodi- sches Wissen des Beurteilenden erfordert. Zum anderen sind die Bedingungen (Kontextfaktoren), unter denen die Entscheidungshilfen entwickelt beziehungsweise evalu- iert wurden, nicht immer transparent. In diesen Fällen bleibt für den Nutzer offen, ob die Verwendung einer Ent- scheidungshilfe im Rahmen der eigenen Nutzungsbedin- gungen erfolgversprechend oder kontraproduktiv ist.

Ob die Verwendung einer Entscheidungshilfe schließ- lich zum Ziel führt, kann von verschiedenen Faktoren abhängen. Grundlegende Voraussetzung ist, dass die Pa- tienten die Inhalte verstehen und dass dies auch sicherge- stellt wird. Hier können die Gesundheitsfachberufe zum Beispiel als „breast-care-nurses“ oder Diabetesberaterin- nen stärkere Rollen spielen (1). Für eine erfolgreiche Im- plementierung scheint das Training von Ärzten und me- dizinischen Fachangestellten unter anderem im Sinne von EbM und SDM meist notwendig (23, e6).

Die vorliegende Arbeit ist keine systematische Über- sichtsarbeit. Sie beinhaltet eine Bestandsaufnahme, oh- ne die zusammengestellte Literatur systematisch zu analysieren. Hierzu gibt es das 10/2011aktualisierte Cochrane Review (3), dessen Recherchen allerdings nur bis 12/2009 reichen. Im Gegensatz zum Cochrane Review steht in der vorliegenden Arbeit die Reflexion verschiedener Aspekte der Entwicklung, Evaluation und Implementierung von Entscheidungshilfen in Deutsch- land im Vordergrund.

Fazit

Dem Willen, Recht und ethisch begründeten Anspruch der Menschen auf vollständige, unverzerrte und ver- ständliche evidenzbasierte Informationen kann derzeit nicht genügt werden. Es müssen Strukturen entwickelt werden, die eine nachhaltige Entwicklung, Evaluation und Implementierung hochwertiger Entscheidungshil- fen beziehungsweise evidenzbasierter Patienteninfor- mationen ermöglichen. Dies ist besonders dringlich für onkologische und andere chronische Erkrankungen.

Es sollte ein Kriterienkatalog zur Evaluation von Entscheidungshilfen entwickelt und validiert werden, der, über die IPDAS-Kriterien hinaus, die Evidenzba- sierung der Inhalte sowie die Transparenz der Entwick- lung, Evaluation und Implementierung berücksichtigt.

Für Ersteller von Gesundheitsinformationen wird der- zeit eine Leitlinie entwickelt, die langfristig die Quali- tät der Informationen verbessern soll (24).

Um im deutschen Sprachraum Entscheidungshilfen indikationsspezifisch verfügbar zu machen, ist der Auf- bau einer unabhängigen und öffentlich verfügbaren Da- tenbank erforderlich, in der Autoren aktuelle Entschei- dungshilfen und Metainformationen bereitstellen kön- nen. Diese sollten, über die verfügbare Evidenz zur Entwicklung und Evaluation hinaus, auch Qualitätsin- formationen zur Evidenzbasierung der Inhalte und Im- plementierungsbedingungen enthalten.

KERNAUSSAGEN

Menschen, die vor gesundheits- oder krankheitsbezogenen Entscheidungen stehen, haben das Recht und einen ethisch begründeten Anspruch auf evidenz- basierte Patienteninformationen und Beteiligung an diesen Entscheidungen.

Entscheidungshilfen sollen evidenzbasiert informieren und individuelle Ent- scheidungsprozesse unterstützen.

Entscheidungshilfen sind Interventionen mit Einfluss auf die Patientenversor- gung und müssen vor Implementierung evaluiert werden; Qualitätsmindest- standards sind Evidenzbasierung, Vollständigkeit, Unverzerrtheit und Ver- ständlichkeit der Inhalte.

Vergleichsweise wenige Entscheidungshilfen wurden im Bezug auf Nutzen und Schaden in RCTs evaluiert. Für einzelne Entscheidungshilfen wurde der Nutzen im Hinblick auf bessere Entscheidungen ermittelt.

Eine verlässliche Qualitätsbewertung von Entscheidungshilfen ist für Nutzer kaum möglich, Informationen zur Evidenzbasierung der Inhalte sowie zu Ent- wicklung, Wirksamkeit und Implementierungsbedingungen sind in der Regel nicht transparent oder identifizierbar.

Danksagung

Die Autoren danken Martina Bunge, Anja Gerlach, Sascha Köpke und Anke Steckelberg für deren äußerst konstruktive Beiträge im Rahmen dieser Arbeit.

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten

eingereicht: 24. 10. 2011, revidierte Fassung angenommen: 16. 1. 2012

(8)

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Anschrift für die Verfasser Dr. Matthias Lenz Universität Hamburg

Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften Gesundheitswissenschaften

Martin-Luther-King-Platz 6 20146 Hamburg

matthias.lenz@uni-hamburg.de

SUMMARY

Decision Aids for Patients

Background: Patients want to be more involved in medical decision- making. To this end, some decision aids are now available.

Methods: We present an overview of this subject, in which we explain the terms “shared decision-making”, “decision aid”, and “evidence- based patient information” and survey information on the available de- cision aids in German and other languages on the basis of a literature search in MEDLINE, EMBASE and PsycInfo and a current Cochrane Review. We also searched the Internet for providers of decision aids in Germany.

Results: Decision aids exist in the form of brochures, decision tables, videos, and computer programs; they address various topics in the pre- vention, diagnosis, and treatment of disease. They typically contain information on the advantages and disadvantages of the available opti- ons, as well as guidance for personal decision-making. They can be used alone or as a part of structured counseling or patient education.

Minimal quality standards include an adequate evidence base, comple- teness, absence of bias, and intelligibility. Our search revealed 12 randomized controlled trials (RCTs) of decision aids in German and 106 RCTs of decision aids in other languages. These trials studied the outcome of the use of decision aids not just with respect to clinical developments, but also with respect to patient knowledge, adherence to treatment regimens, satisfaction, involvement in decision-making, autonomy preference, and decisional conflicts.

Conclusion: Only a small fraction of the available decision aids were systematically developed and have been subjected to systematic eva- luation. Patients are still not receiving the help in decision-making to which medical ethics entitles them. Structures need to be put in place for the sustainable development, evaluation and implementation of high-quality decision aids.

Zitierweise

Lenz M, Buhse S, Kasper J, Kupfer R, Richter T, Mühlhauser I:

Decision aids for patients. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(22–23): 401–8.

DOI: 10.3238/arztebl.2012.0401

@

Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:

www.aerzteblatt.de/lit2212

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt-international.de

(9)

ÜBERSICHTSARBEIT

Entscheidungshilfen für Patienten

Matthias Lenz, Susanne Buhse, Jürgen Kasper, Ramona Kupfer, Tanja Richter, Ingrid Mühlhauser

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Referenzen

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