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Archiv "Delirium tremens — Symptomatik und Therapie" (17.01.1980)

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Delirium tremens -

Symptomatik und Therapie

Abdulhamid Kashgari

Aus der Inneren Abteilung

(Chefarzt: Dr. med. Reinhard Rose) des St.-Ansgar-Krankenhauses Höxter

ln einer Zeit, in der die Alkoholkrankheit und ihre Komplikationen ständig zunehmen, muß jeder Arzt mit der Diagnose und Therapie des Alkoholdelirs und seiner Vorstadien vertraut sein. Gefährdete Patien- ten findet man nicht nur in psychiatrischen Fachabteilungen, sondern auch in der täglichen Praxis, in der Chirurgie nach einem Unfall und in den inneren Abteilungen wegen Folgekrankheiten. Genaue Kennt- nisse der Symptomatik sowie der Wirkung und Nebenwirkung der medikamentösen Therapie sind Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung.

Ein Delir (besser ein delirantes Syn- drom) stellt eine unspezifische Re-

~ktion des Gehims auf unterschied- liche Noxen dar und geht mit einer zerebralen Funktionsstörung einher.

Es kommt keineswegs nur als Folge chronischer Alkoholintoxikation vor, sondern auch bei:

..,.. anderen Intoxikationen (zum Bei- spiel Medikamentenabusus von Hypnotika und Sedativa)

..,.. allen Hirnerkrankungen (Enze- phalitis, Meningitis, Tumor)

..,.. Hirntrauma ..,.. Epilepsie

..,.. anderen zerebralen Prozessen (zum Beispiel seniles Delir)

..,.. internen Infektionskrankheiten mit Hirnbeteiligung (Typhus, Fleck- fieber)

..,.. Urämie

..,.. Basedowscher Erkrankung ..,.. Fieber.

Das Alkoholdelir (Delirium tremens) können wir als eine akute delirante Psychose auf dem Boden eines chronischen Alkoholismus definie- ren. Das Alkoholdelir kann entste- hen als:

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Kontinuitätsdelir; bei Fortsetzung der bisherigen Rauschzustände

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Gelegenheitsdelir (Provokations- delir); provoziert durch Gelegen- heitsursachen wie Infekte oder Traumen

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Entzugsdelir (Abstinenzdelir);

nach abruptem Alkoholentzug. Das Delir tritt dann gewöhnlich 24-28 Stunden nach Absetzen der Alkohol- zufuhr ein.

Dem Alkoholentzug kommt bei der Entstehung des Alkoholdelirs eine besondere Bedeutung zu.

Dem Alkoholdelir gehen Prodromal- erscheinungen voraus, die als Prä- delirzusammengefaßt werden: ..,.. Schlafstörungen

..,.. ängstliche Stimmung

ÜBERSICHTSAUFSATZ

..,.. Unruhe und Verwirrtheitszu- stände

..,.. flüchtige Halluzinationen ..,.. passagere illusionäre Verken- nung der Umgebung

..,.. Zittern ..,.. Hyperhidrosis

..,.. zerebrale Krampfanfälle.

Symptomatik

Das vollentwickelte Delirium tre- mens ist durch einen Komplex psy- chopathalogischer Symptome cha- rakterisiert:

I. Psychische Symptome

..,.. Bewußtseinsstörung:

a) Desorientiertheit über Ort und Zeit

b) Verwirrtheit (inkohärenter Gedan- kengang)

..,.. ängstliche psychomotorische Un- ruhe und Beschäftigungsdrang, be- sonders nachts (Nesteln an der Klei- dung, Zupf- und Greifbewegungen an der Bettdecke, Herumsuchen, Kramen)

..,.. Sinnestäuschungen:

a) optische szenenhafte Halluzina- tionen (die Patienten sehen kleine

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 3 vom 17. Januar 1980 1HI

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Delirium tremens

sich bewegende Tiere, Ungeziefer, auch Männlein; sie greifen danach und wollen die Lebewesen verjagen) b) illusionäre Verkennung der Um- gebung (Personen- und Situations- verkennung); die Patienten meinen, derzeitig in ihrem Beruf tätig zu sein, und verhalten sich entsprechend

~ hochgradige Suggestibilität; auf entsprechende Anregung liest der Patient Beliebiges vom leeren Blatt ab, sieht bei Druck auf die geschlos- semen Augen alles, was man ihm ein- redet

~ herabgesetztes Auffassungsver- mögen.

II. Körperliche Symptome (vegetative Entgleisung)

~ grobschlägiger Tremor der Hän- de, der Zunge und des Kopfes

~ starkes Schwitzen

~ Tachykardie mit einer Pulsfre- quenz von 100 bis 120/Minute, bei schwerem Delir auch über 120/Mi- nute

~ subfebrile Temperaturen (zere- brales Fieber) mit einer Temperatur von 37,2 bis 37,8 Grad Celsius, bei schwerem Delir auch mit einer Tem- peratur über 37,8 Grad Celsius

~ Hyperreflexie

~ Magen-Darm-Symptome wie Übelkeit und Erbrechen

~ generalisierte Grand-mal-Anfälle

~ ausgeprägte Ataxie mit Bewe- gungsunsicherheit und Gleichge- wichtsstörungen

~ Eiweiß und Urobilinegen im Urin infolge Leberschädigung.

Verlauf

Das Delir dauert gewöhnlich zwei bis fünf Tage (seltener Stunden, bis maximal 20 Tage) und endet mit ei- nem langen, tiefen Schlaf (Terminal- schlaf).

Pathogenese

Für die Entstehung des Alkoholde- lirs werden verschiedene Ursachen diskutiert:

~ Stoffwechselstörungen des Koh- lehydrat-, Fett- und Eiweißhaus- haltes

~ Veränderungen des Elektrolyt- und Wasserhaushaltes

~Hypovitaminosen, besonders vom Vitam i n-B-Komplex

~ gestörte Entgiftungsfunktion der Leber infolge alkoholtoxischer Le- berschädigung

~ Blockierung von Neurotransmit- tern

~ Freisatzung von Acetylcholin

~ Störung der Adaption an den Al- kohol

~ Enzyminduktion.

Eine neuropharmakologische Hypo- these geht davon aus, daß Alkohol wie andere Hypnotika die Traum- aktivität vermindert. Beim Entzug des Alkohols kommt es dann als Re- bound-Effekt zu einem Einbruch der Traumphasen in den Wachzustand. Diese Auffassung wird gestützt durch die Ähnlichkeit des Erlebens im Traum und Delir.

Therapie

Das Delirium tremens stellt eine vital bedrohliche Erkrankung dar und sollte wegen der Gefahr des Herz- und Kreislaufversagens möglichst auf einer Intensivstation behandelt werden.

Zur Therapie gehören:

~ Überwachung von Herz, Kreislauf und Atmung

~ Kontrolle des Elektrolythaushal- tes und Substitution bei eventueller Hypokaliämie

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~ Flüssigkeitszufuhr (drei bis vier Liter täglich)

~ Antibiotikaprophylaxe wegen der Pneumoniegefahr (diese Therapie ist jedoch umstritten, eine Antibioti- katherapie ist angezeigt, wenn die Temperatur trotz der Therapie mit Clomethiazol 38,0 Grad Celsius überschreitet)

~ kardiale Unterstützung durch Herzglykoside bei Vorliegen einer Herzinsuffizienz oder einer alkohol- toxischen Kardiemyopathie

~ die eigentliche effektive medika- mentöse Therapie.

Therapie der Wahl ist die orale Gabe von Clomethiazol (zum Beispiel Di- straneurin®), das stark sedierende, hypnotische und antikonvulsive Wir- kungen hat.

Wenn die orale Verabreichung von Clomethiazol bei manifestem Delir oder Erbrechen nicht möglich ist, ist die Applikation durch Infusion ange- zeigt.

Initial ist die Gabe von zwei bis drei Tabletten oder Kapseln (1 bis 1 ,5 Gramm) zu empfehlen. Falls der Pa- tient nicht innerhalb einer Stunde einschläft, ist die Gabe von weiteren zwei Tabletten angezeigt. Danach und in den ersten vier Tagen ist die Gabe von zwei Tabletten in Abstän- den von zwei bis drei Stunden aus- reichend.

Beim Prädelir und bei leichten Deli- rien genügt meistens die Gabe von viermal zwei Tabletten täglich, wo- bei die letzte Dosis in der Nacht zirka um 23 Uhr zu geben ist, um die frü- hen Morgenstunden zu überbrük- ken. Die Höchstdosis an Clomethia- zol beträgt acht Gramm täglich (16 Tabletten oder Kapseln). Die orale Clomethiazoltherapie soll unter Blutdruckkontrolle erfolgen.

Die intravenöse Applikation von Clo- methiazol soll nur unter ständiger Überwachung _von Kreislauf und At- mung wegen der Gefahr von Blut- druckabtall und Atemdepression er- folgen. Initial werden 50 bis 100 Mi I-

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liliter der O,Bprozentigen Clomethi- azollösung infundiert, bis der Pa- tient tief schläft. Die Infusionsge- schwindigkeit kann dann so gemin- dert werden, daß ein ruhiger Schlaf- zustand resultiert, aus dem der Pa- tient jederzeit durch Schmerzreize erweckbar ist. Die Initialinfusion von durchschnittlich 100 Milliliter soll in fünf bis zehn Minuten erfolgen. Die Höchstdosis an Clomethiazol, das per Infusion eingeführt werden darf, beträgt ebenfalls acht Gramm (1000 Milliliter der O,Bprozentigen Lö- sung). in Ausnahmefällen kann die Dosierung bis 2000 Milliliter täglich gesteigert werden. Sobald wie mög- lich soll auf orale Gaben übergegan- gen werden. Die Dauer der Therapie mit Clomethiazol ist auf zehn Tage begrenzt. Diese Frist darf nur mit besonderer Anordnung um weitere vier Tage verlängert werden. Die Therapie mit Clomethiazol soll etap- penweise reduziert werden. Bei zu raschem Absetzen von Clomethiazol können Krampfanfälle auftreten.

Die zeitliche Begrenzung der Thera- pie mit Clomethiazol ist wegen der Gefahr der Gewöhnung und wegen der polyvalenten Suchtstruktur der Alkoholiker wichtig (Umsteigen von der Pulle zur Pille).

Zusammenfassung der Nebenwir- kungen von Clomethiazol:

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Hypotonie und Kollapsneigung f) zentrale Atemdepression

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Reizung der Magenschleimhaut bei oraler Gabe mit Übelkeit und Brechreiz

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Suchtgefahr

Kontraindikation von Clomethiazol: Clomethiazol ist bei Patienten mit obstruktiven Lungenerkrankungen (beziehungsweise vorbestehender respiratorischer Insuffizienz kon- traindiziert, da es durch vermehrte Speichel- und Bronchialsekretion zu einer weiteren Verlegung der Atem- wege kommen kann und weil durch

die Sedierung eine Zunahme der

Hypoventilation resultiert.

Vorteile von Clomethiazol:

..,.. rasch sedativ-hypnotische Wir- kung

..,.. antikonvulsive Wirkung ..,.. rasche Ausscheidung

..,.. keine leberschädigende Wirkung.

Eine Alternative bei der Behandlung des Delirs ist Haloperidol (z. B.

Haldoi®).

Die Indikation zur Behandlung mit Haloperidol ist in folgenden Fällen gegeben:

0

wenn eine Abhängigkeit von Clo- methiazol in der Anamnese vorliegt f) wenn die Therapie mit Clomethi- azol versagt, das heißt trotz Höchst- dosis nicht ausreicht

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bei Alkoholdelir mit akuter Erre- gung und starker halluzinatorischer Komponente

0

wenn Clomethiazol wegen einer

Ateminsuffizienz nicht gegeben wer-

den kann.

Initial erfolgt die Gabe von fünf bis zehn Milligramm Haloperidol intra- venös (ein bis zwei Ampullen}, wenn nach 20 Minuten keine Wirkung ein- getreten ist, ist eine weitere Ampulle zu geben.

Durchschnittlich genügen vier bis sechs Ampullen täglich. Die maxi- male Dosis beträgt 50 Milligramm (zehn Ampullen) täglich.

Nachteile von Haloperidol:

..,.. relativ starke extrapyramidale Ne- benwirkungen

..,.. Erhöhung der Krampfbereitschaft besonders bei Kindern und Epilepti- kern

Kontraindikationen von Haloperidol:

..,.. akute Alkohol-, Schlafmittel-, An- algetika- und Psychopharmaka-Into- xikation.

Delirium tremens

Vorteile von Haloperidol:

..,.. gute antipsychotische Wirkung ..,.. geringe vegetative Nebenwir- kungen

..,.. keine Abhängigkeitsgefahr . Ein weiteres Medikament, das zur Behandlung des Delirs empfohlen wird, ist Diazepam (zum Beispiel Va- lium®), besonders wenn es zu Be- ginn unklar ist, ob es sich um eine akute Alkoholintoxikation oder ein beginnendes Delir handelt.

Die Dosis beträgt 10 bis 20 mg intra- venös oder intramuskulär (ein bis zwei Ampullen) und kann mehrfach am selben Tag wiederholt werden.

Literatur

(1) Benkerl und Hippius: Psychiatrische Phar- makotherapie, Springer-Verlag 1974- (2) Hu- ber, G.: Psychiatrie, Schattauer Verlag 1974- (3) Keup, W.: Pharmakatherapie bei Suchter- krankungen, 1975 - (4) Lemke und Renner!:

Neurologie und Psychiatrie, Ambrosius Barth Verlag 1974-(5) Wieck, H.: Neurologie und Psychiatrie in der Praxis, Schattauer Verlag 1974 - (6) MSD-Manual der Diagnostik und Therapie, Urban & Schwarzenberg 1975- (7) Gillen und Hillemacher: Das Alkoholdelir. Psy- cho 10, 1977- (8) Ardjah, H.: Das Alkoholdelir, Der informierte Arzt 9, 1978

Anschrift des Verfassers:

Abdulhamid Kashgari Assistenzarzt

an der Inneren Abteilung des St.-Ansgar-Krankenhauses Höxter

Brenkhäuser Straße 71 3470 Höxter 1

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Referenzen

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