Zur phraseologischen Gebundenheit der Lexeme. Eine exemplarische Analyse am Beispiel deutscher Adjektive

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Eine exemplarische Analyse am Beispiel deutscher Adjektive

Drd. Mihai CRUDU

Drd., Universität Bukarest, E-mail: mihai_crd@yahoo.com

Abstract: This study aims to analysing the exclusively phraseological occurrency of some adjectives taken from German. This phenomenon reffers to the isolation of words and lexical forms out of linguistical and extralinguistical causes, in phraseological sintagmas. Firstly, we will briefly present the main directions in the research of this isolated lexemes. Then, we will analyse the linguistical features specific to these linguistical facts, using as exemples some of the German adjectives.

Key words: phraseological occurence, lexeme, isolation, adjective, word-formation.

1. Zielsetzung

Vorliegender Beitrag diskutiert das Vorkommen unikaler Lexeme im Phraseolexikon des Deutschen, um damit einer aus mehreren Gesichtspunkten speziellen Klasse von phraseologischen Ein- heiten näher zu treten, nämlich den Phraseologismen mit phraseo- logisch gebundenen Formativen (auch Phraseologismen mit Unikalia; z.B.jemanden über den Löffelbalbieren, gang und gäbe,alles, was dakreuchtundfleucht,noch undnöcher,auf dem Präsentierteller sitzen usw.). Da die Erörterung solcher kniffligen Sprachfakten im Rahmen einer interlingualer

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Kontrastierung Deutsch-Rumänisch das Thema meiner Dissertation darstellt, nehme ich mir hier vor, einen Überblick über die linguistischen Besonderheiten dieser Wörter zu bieten.

Zunächst werden die theoretischen Grundlagen der Phraseme mit unikalen Komponenten dargestellt, um im Anschluss daran die morphologisch-strukturellen und semantisch-funktionalen Parameter unikaler Lexeme zu untersuchen. Es handelt sich dabei um eine heterogene lexematische Klasse, weshalb hier nur einer Korpusstichprobe aus dem gesamten Lexeminventar (330 Wörter) Beachtung geschenkt werden soll, und zwar deutschen Unikalia adjektivischen Charakters. Sie machen etwa 12% des Untersuchungskorpus aus.

2. Zum Unikalitätskonzept in der Linguistik

Das Vorkommen mancher Lexeme ausschließlich bzw. sehr häufig in festen Wortkombinationen (sogenannter Unikalia)1 ist – wenn auch nur oberflächlich – bereits von V. Vinogradov und später von I. Èernyševa registriert worden. In der Germanistik kommt Dmitrij Dobrovol’skij (1978) das erstmalige Verdienst zu, eine Dissertation über phraseologisch gebundene lexikalische Elemente vorgelegt zu haben, worin sowohl Begrifflichkeit als auch hervorstechende Merkmale dieses Sprachphänomens exem- plarisch geklärt werden. Im Grunde genommen wird zwischen (1) phraseologisch gebundenen Formativen und (2) phraseolo- gisch gebundenen Bedeutungen differenziert, wobei unter (1)

1 Etymologisch stammt der Terminus aus dem lateinischen Adjektiv unicus, -a, -um, im Sinne von ‚einmalig, einmal vorhanden‘. In anders- sprachigen Fachliteraturen gelten auch andere Begriffe: engl.hapax legomena,crannberry words/collocations,bound words,unique words/

constituents,unfamiliar pieces,idiomatic isolates; schw.unika konsti- tuenter; isländ.stakorð; span.palabras diacríticas; zur Bezeichnung der Phraseologismen mit unikalen Wörtern im Frz. vgl. idiotismes fossiles,locutionsàmonèmes oblitérés.

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die Lexeme als Form verstanden werden, wohingegen mit (2) Wörter gemeint sind, die in gewissen Phraseologismen eine unikale Bedeutung aufweisen; vgl. z.B.: (1) sich anheischig machen,inSausundBrausleben,denDrehwurmhaben,klipp und klar, bis zum Tezett, verlustig gehen usw.; (2) Dampf haben,guterDingesein,bis in diePuppenbleiben,jemandem denHofmachen,blaumachenusw.

Als Unterklasse von (2) gelten die phraseologisch gebundenen Homonyme. Dobrovol’skij meint, „dass die Bestimmung der Homonymie hier auf der inneren Form des Phraseologismus beruht, d.h. auf der semantisch-assoziativen Vorstellung, die dem Phraseologismus zugrunde liegt, auf der Möglichkeit, das metaphorische Bild, das darin steckt, mit aufzunehmen“ (1978, S. 103). Später konnte Dobrovol’skij (1988) nachweisen, dass das Phänomen der phraseologischen Gebundenheit mancher Wörter als Sprachuniversalie einzustufen ist. Zusammen mit Elisabeth Piirainen (1994a und b) hat Dobrovol’skij eine empi- rische Studie mit Informantenbefragungen durchgeführt, um die Aktualität oder, im Gegenteil, das Veralten der Phraseme mit unikalen Komponenten zu dokumentieren.

Grundfragen des Unikalitätskonzeptes spricht auch Wolfgang Fleischer (1989 und 1997) an, indem er unikale Komponenten unter strukturellem und inhaltlichem Aspekt ins Auge fasst.

Annelies Häcki Buhofer (2002a) behandelt die isolierten Wörter

„als Relikte eines älteren Sprachstandes“ (S. 431) und versucht dabei, den Prozess der Unikalisierung von Lexemen zu rekon- struieren. In Beiträgen jüngeren Datums (vgl. z.B. Jan-Philipp Soehn 2006) wird vornehmlich auf den Vergleich der Unikalia mit benachbarten Spracherscheinungen eingegangen (z.B. Pola- ritätselemente aus der Perspektive der HPSG2 oder sonstige sprachliche Selektionsrestriktionen).

2 Head-Driven Phrase Structure Grammar; zu dieser formalen Gram- matiktheorie s. Levine/Meurers (2006).

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In die Rumänistik fand der Begriff der Unikalität bisher noch keinen Eingang, obwohl Verweise auf in Phraseologismen isolierte Wörter mancherorts anzutreffen sind. Bereits 1958 bemerkte Florica Dimitrescu, dass es z.B. Funktionsverbgefüge (rum. ‚locuþiuni‘) gibt, die Archaismen aufweisen, die nur in einer bestimmten Wortfügung beibehalten worden sind (S. 42f.);

vgl. z.B. (3)a daortulpopii,a grãi pestepiezi,a nu aveahabar, a daghes,a lua cuhapca/japca,a dabrânciu.v.a.m.

Zwei Jahrzehnte später besprechen ªerban/Evseev (1978, S.

44ff.) die Häufigkeit des Miteinander-Vorkommens zweier Lexe- me. Sie gehen davon aus, dass es Wörter gibt, die ihre Autonomie als Folge des wiederholten Auftretens in spezifischen Kontexten verloren haben. Ihnen geht es daher um die lexematische distribu- tionelle Restriktion. Lilia Trinca (2004) diskutiert die Problematik archaischer Phraseologismen, wobei in ihrer Dissertation leider keine straffe Unterscheidung unikaler Archaismen von nicht-uni- kalen vorgenommen wird.

Zusammenfassend kann der rumänischen Linguistik vorge- worfen werden, dass sie einerseits Konzepte wie „Unikalia“

und „Archaismen“ nicht sauber voneinander trennt3, andererseits bis datokeine systematische Annäherung an die hier anvisierte Erscheinung erfolgt hat. Die zwei Phänomene decken sich zwar teilweise, sie sind jedoch konzeptionell zu unterscheiden und müssen entsprechend untersucht werden.

Nach diesem kurzen Überblick soll im Folgenden eine Unter- gruppe unikaler Wörter eingehender besprochen werden. Dabei wird lediglich auf phraseologisch gebundene Adjektive Rücksicht genommen, wobei danach gefragt werden soll, wie sich diese als Lexeme verhalten und welche Besonderheiten ausgemacht werden können. Meine Ausführungen gehen von einer Kor- pusstichprobe aus, die 40 deutsche Adjektive umfasst, die

3 Vgl. auch den Ansatz von Stelian Dumistrãcel (2011, S. 166ff), der beide Kategorien nicht auseinanderhält.

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phraseologische Gebundenheit aufweisen. Das Korpus wurde vorwiegend aus lexikografischen Quellen und aus Fachstudien exzerpiert. Bei Streitfällen sind auch Datenbanken mit Korpora konsultiert worden, um Belege zu finden, dass das eine oder das andere Wort keine freie Verwendung (mehr) hat.

3. Unikalität aus lexikologischer Sicht am Beispiel deutscher Adjektive

Für die exzerpierten Wörter gelten folgende Prozentsätze:

Abb. 1:Unikale Adjektive nach Wortbildungsarten 3.1 Derivation

Aus dieser Grafik geht deutlich hervor, dass die abgeleiteten Adjektive am besten vertreten und „unikalisierungsanfällig“

sind. Vom Semantischen her sind sie größtenteils aufgrund ihrer Inputs oder ihrer Affixe motiviert. Das IC-Analysepattern kann semantische Informationen liefern, zumal die meisten am Wort beteiligten Morpheme bedeutungstragend sind4:

4 S. die Liste mit Abkürzungen am Ende.

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a. PräM + GMAdj:ab + hold5

b. GMVb+ SufM:hab + haft,sang + los,stutz + ig c. PräM + GMØ/N/Vb/N + SufM: ab + spenst + ig, (an + sicht) + ig,(er + böt) + ig, (ver + lust) + ig

d. {PräM + (GMVb + SufM)Adj}Vb + Gr: {be + (müß + ig)} + t

e. GMN+ (GMVb+ SufM)Adj:knie + (fäll + ig)

Das im heutigen Deutsch unproduktive Präfix ab- kommt allein neben den Formativenholdund-spenst(ig)vor, in negieren- dem und pejorativem Sinne (vgl. Fleischer/Barz, 2012, S. 357).

Das Simplexholderscheint auch frei, wohingegen die suffigierte Form*spenstignicht (vgl.gespenstig). Etymologisch geht das Morphem auf das Verbabspannenzurück, wobei das Formativ

*spenst (ohne Gemination wegen früheren Verbformen ahd.

spananbzw. mhd.spanen) heute nur gebunden vorkommt (vgl.

EWD, 2013, S. 7 und 1315).

Die suffigierten Adjektivehabhaft,kenntlich,sanglos,stutzig, die in einem früheren Sprachstand autonome Bedeutungen auf- wiesen, lassen sich heute jeweils durch ihre zugrunde liegenden Lexeme erklären: haben, kennen, singen, stutzen. Die Unikalität solcher Belege ist noch auffälliger, da die beteiligten Morpheme (Simplizia und heimische Suffixe-haft,-lich, -los, -ig) heutzutage immer noch produktiv sind. Vgl. auch das Suffix-ischin der deonymischen Derivationgordisch, die auf das griechische Anthroponym ‚Gordios‘ bzw. auf das Toponym

‚Gordion‘ zurückgeht (LSR, 1994, S. 860f.). Diesmal kann von einem ‚unproduktiven‘ Grundwort gesprochen werden.

Der Unikalisierungsprozess berührt auch einige zirkumfigierte Adjektive. Z.B.: abspenstig, ansichtig, erbötig, erkenntlich, verlustig,vorstellig, bei denen die diskontinuierlichen Morpheme die Basis umschließen. Die adjektivische Form erbötig, die

5 Dieses Lexem kommt in Fleischer/Barz (2012, S. 329 und 357) als Kompositum und als Derivat vor. Allerdings möchte ich hier nicht darauf eingehen.

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ablautend auferbietenzurückgeht, begegnet heute nur noch im Nomen Erbötigkeit, das seinerseits lediglich im gehobenen Sprachgebrauch vorkommt. Das Grundmorphembötist gegen- wärtig zwar nicht mehr aktiv, es ist aber noch im WortVerbot und dessen Ableitungen erhalten. Bei den suffigierten und zirkum- figierten Lexemen muss zusätzlich die Rolle des Suffixes hervor- gehoben werden, das eine Kopffunktion übernimmt, im Sinne, dass es die Wortart Adjektiv bestimmt (vgl. Fleischer/Barz, 2012, S. 54). Außer der semantischen Rolle, die allen Affixen zugewiesen werden kann, gilt den Suffixen auch diese morpholo- gische, wortartverändernde Rolle. Diese Auffälligkeit gewinnt noch mehr an Bedeutung im Kontext des Unikalitätskonzeptes, da Wörter wieAnsichtoderVerlustsich autonomen Gebrauchs erfreuen, wohingegen ihre abgeleiteten Adjektive phraseologisch gebunden sind. Die Unikalität beruht deswegen ausschließlich auf Suffixen. Dabei kommen auch ein paar partizipiale Adjektive hinzu. Z.B.:gemoppelt,gehupftoder sogar negierte Formen wie unbenommen,ungerupft,ungeschehen. Beigemoppelthandelt es sich um eine spielerische, durch Tautologie entstandene Bildung (in doppelt gemoppelt), zumal es im Deutschen kein Verb

*moppeln6gibt, wohingegen die Partizipformgehupftals abnorm anzusehen ist, weil das Grundverb gegenwärtig hüpfenlautet.

Diese spezielle Wortform lässt sich jedoch etymologisch erklären (mhd. Hupfen; vgl. EWD, 2013, S. 564). Was die negierten Partizipformen angeht, muss vermerkt werden, dass ihre Unika- lität auf dem Präfix fußt, da wederbenommennochgerupftnoch geschehen phraseologisch gebunden sind. Auf die Unikalisie- rungstendenz der Bildungen mit dem Präfixun-verweist auch Fleischer (1989, S. 122). Anders steht es um die Derivate erkenntlich, kenntlichundunkenntlich, die alle phraseologische

6 Hier kann ich spekulierend nur auf den lautlichen Vergleich mit dem umgangssprachlichen NomenMoppelhinweisen. Eine genetisch-ety- mologische Verwandtschaft zwischen den zwei Lexemen ist bisher noch nicht wissenschaftlich bewiesen worden.

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Gebundenheit aufweisen, trotz ihrer durchaus produktiven Basis -kenn-.

3.2 Komposition

Was die Komposition angeht, ist sie bei unikalen Adjektiven nicht so gut vertreten, wie es bei Nomina der Fall ist. Die 10 Adjektive (verglichen mit den 120 Nomen), die hier als phraseologisch gebunden eingestuft wurden, zeichnen sich durch eine binäre Struktur aus; vgl. z.B.:

a. GMN + GMAdj: ding + fest, hand + gemein, hieb + fest,mund + tot,nase + lang,schwefel + sauer,spinne + feind

b. GMAdj1+ GMAdj2:hell + licht

c. GMN + {(GMVb+ Gr) + FM}Part I: nacht + {(schlaf + en) + d}

d. GMPräp + {(GMN + PM) + FM}N: von + {(nöt + e) +n}

Außer helllicht sind alle Belege Determinativkomposita, wobei die nominale Komponente als Erstglied besonders auf- fällig ist und eine Vergleichsbeziehung begünstigt. Die unmittel- baren Konstituenten zeigen, dass die an der Zusammensetzung beteiligten Lexeme nicht immer eine simplizische Wortbildung aufweisen (vgl.nachtschlafend). Umstritten ist das letzte Beispiel, bei dem das Zweitglied, das Kopffunktion haben sollte, kein Adjektiv an und für sich ist. Es geht demzufolge um eine hybride Spracheinheit mit nominaler Flexion, die sich aus der Präpositionvonund der Pluralform des SubstantivsNotergibt.

Bemerkenswert ist das nominale syntaktische Verhalten des Adjektivs, aufgrund der Beibehaltung der nominalen Dativen- dung-n. Als Erklärung dieses Sonderfalls kann hier die Kon- version gelten:vonnötenist nominaler Herkunft; vgl. auch die ältere alternative Schreibungvon nöten.

Was die Semantik angeht, muss die Hauptrolle der Zweitein- heit hervorgehoben werden, wobei das erste Element vor allem

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eine modifizierende bzw. individualisierende Funktion erfüllt und der Basis eine zusätzliche Nuance auferlegt. Naselang heißt ja ‚lang‘, aber wie eine ‚Nase‘. Bei diesem Beleg tritt auch eine semantische Übertragung auf, indem die Metapher der

‚Länge der Nase‘ auf keine räumliche Entfernung anspielt, sondern auf eine zeitliche Einschränkung (vgl. DRW11, 2008, S. 546). Vgl. auch das andere Kompositum handgemein. Bei mundtothandelt es sich um ein durch Volksetymologie entstan- denes Wort, das nicht auf ‚Mund‘ zurückgeht, sondern auf ahd.

und mhd. munt, in der Bedeutung ‚Schutz, Vormundschaft‘

(vgl. ebd., S. 533).

3.3 Sonstige Wortbildungsarten

(1) Simplizia, (2) Konversionen und (3) Rückbildungen werden im selben Abschnitt behandelt, weil sie zahlenmäßig unbedeu- tend sind; vgl. z.B.: (1) gewahr, in, paletti, parat; (2) blink, frank,gang; (3)unpass.

Unter den Simplizia istgewahrallein als „echtes“ deutsches Wort anzusehen, das neben dem Verbwerdenschon im 10. Jh.

belegt ist (ahd.giwar werdan); vgl. auch das verwandte englische Formativ aware (in to become aware) oder sogar das nieder- ländische gewaarworden (EWD, 2013, S. 444). Das engl. in wurde mit demselben prädikativen Gebrauch ins Deutsche über- nommen, jedoch in einer anderen Bedeutung (‚modern‘). Es geht auf die englische Wendungto be in fashionzurück, wobei im Deutschen nur ein Teil davon entlehnt wurde und die englische Präposition in durch Konversion zum Adjektiv wurde. Die Herkunft des Lexems paletti ist noch nicht geklärt. Das latei- nische Adjektiv parâtus [eine Partizip-Präteritum-Form von parâre‚(zu)bereiten‘] wurde im Deutschen bereits Anfang des 17. Jhs. belegt, in der bis heute gebliebenen Varianteparat7, die ursprünglich frei vorkam (vgl. die Belege im DW 91992, S.

638). Heute begegnet das Lexem allein neben dem Verbhaben,

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nur ausnahmsweise konnten auch andere Kontexte ausfindig gemacht werden.

Das Adjektiv blink (in der ablautenden Paarung blink und blank) entstand durch syntakische Konversion (Infinitivstamm- konversion) aus dem nicht unikalen Verbblinken. Dieses Verb ergab auch die komplementäre Form blank. Das im 15. Jh.

belegte Adjektiv frank gilt als Konversion des Volksnamens Franke und gehört zur tautologischen Formel frank und frei (vor allem mit Sprechhandlungsverben). Heutzutage wird ihm eine eindeutige Bedeutung zugewiesen, auch wenn es ursprüng- lich metaphorisch verwendet wurde.8Das Lexemgang(in der stabreimenden Zwillingsformelgang und gäbe) stellt eine Kon- version des NomensGangdar, was selbstverständlich auch eine semantische Veränderung voraussetzt.

3.4 Zur lexikalischen Produktivität und Aktivität unikaler Adjektive

Unter lexikalischer Produktivität verstehe ich die Eigenschaft unikaler Adjektive, als potenzielle Inputs für andere Neubildun- gen zu fungieren. Sie sind daher als Wortbildungsmodelle zu interpretieren (vgl. Fleischer/Barz, 2012, S. 74ff.). Um die lexikalische Produktivität exemplarisch dokumentieren zu kön- nen, wurde in den lexikografischen Quellen nach weiteren Wortbildungen gesucht, denen die hier anvisierten Lexeme zugrunde liegen bzw. in denen sie oder ihre Grundmorpheme noch anzutreffen sind. Dabei wurden auch etymologische Unter- suchungen herangezogen. Im Folgenden soll exemplarisch auf die Produktivität ausgewählter Lexeme eingegangen werden.

Als Extremfall gilt das deonymische Adjektivgordisch, das in keinem anderen Wort noch auftaucht. Äußerst unproduktiv

7 Vgl. auch die gleichlautenden und -bedeutenden Wörter in anderen germanischen Sprachen: nndl. paraat, nschw. parat, nnorw. parat (KEWDS,252011, S. 683).

8 S. auch die Erklärungen im EWD, 2013, S. 370.

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ist aucherbötig, das nur ein nominales Derivat generiert:Erbö- tigkeit. Vgl. auchlautbar und die nicht unikalen Ableitungen verlautbaren,Verlautbarung. Als hochproduktiver Input erweist sich das Grundmorphem kenn, das in Unikalia wie kenntlich, erkenntlichundunkenntlichauftritt, die ihrerseits anderen, nicht unikalen Nomen zugrunde liegen, z.B.:Kenntlichkeit,Kenntlich- machung,Erkenntlichkeit,Unkenntlichkeit.

Die starke oder, au contraire, schwache Produktivität unikaler Adjektive hängt grundsätzlich damit zusammen, inwieweit das eine oder das andere Grundmorphem Input für nicht unikale Bildungen sein kann. Ein Morphem wiebötist heute in wenigen Wörtern isoliert und daher auch die Produktivität eines etwaigen Derivats wie erbötig niedrig. Ein Simplex wie kenn kommt hingegen in sehr vielen Wortbildungen vor, weshalb auch das unikale Lexemkenntlichals Ausgangseinheit für weitere Neubil- dungen dient. Dabei ist auch noch der semantische Aspekt zu berücksichtigen: Ist ein Grundmorphem polysemantisch, so bestehen mehrere Möglichkeiten, Neubildungen zu bilden. Als zusammenfassendes Postulat gilt: Je produktiver das Grundmor- phem eines unikalen Adjektivs ist, desto wortbildungsproduktiver kann das unikale Adjektiv sein.

4. Fazit

Die Ausführungen wollten überblicksweise die strukturellen und inhaltlichen Besonderheiten unikaler Adjektive hervorheben.

Dabei lässt sich resümierend Folgendes unterstreichen:

Der Wortbildungsprozess hat beträchtlich zur Unikalisie- rung mancher Lexeme beigetragen. Insgesamt können sehr wenige unikale Wörter ausfindig gemacht werden, deren Grund- morpheme sich nicht aufgrund anderer freier Lexeme semantisch motivieren lassen. Hier wurde das anhand von Adjektiven bewies- en. In den meisten Fällen beruht die Bedeutung des unikalen Wortes entweder auf seiner Basis oder ist sie durch andere Wortbildungsarten erklärbar.

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Bei phraseologisch gebundenen Adjektiven muss primär auf deren Basis zurückgegriffen werden, um den Sinn des unikalen Wortes entschlüsseln zu können. „Unikalisierungs- anfällig“ sind Ableitungen, wobei die jeweiligen Affixe wesent- lich zur Isolierung der Wörter in bestimmten phraseologischen Kontexten beigetragen haben. Bei den unikalen Adjektiven mit binärer Struktur – also den Komposita – sind die beteiligten Komponenten nicht unikal. Die Gesamtbedeutung fußt vor allem auf dem Zweitglied, während das Erstglied den Output partiku- larisiert (und auch „unikalisiert“). Bei den Wörtern mit nicht binärer Struktur, Simplizia, Konversionen und Rückbildungen, wurde insbesondere die Etymologie der Grundmorpheme her- angezogen, um semantische Rückschlüsse ableiten zu können.

In einem weiteren Schritt könnte u.a. die Rolle unikaler Adjektive im phraseologischen Komplex verfolgt werden. Andere Untersuchungsaspekte zum Unikalitätskonzept am Sprachma- terial von Adjektiven (aber auch von anderen Wortarten) müssen weiteren Forschungen überlassen werden.

Abkürzungen und Symbole Adj = Adjektiv

FM = Flexionsmorphem GM = Grundmorphem Gr = Grammem N = Nomen

Ø = unikales Morphem Part = Partizip (I/II) PM = Pluralmorphem PräM = Präfixmorphem Präp = Präposition SufM = Suffixmorphem Vb = Verb

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