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Fachmagazin für kommunale Frei-Räume

FreeLounge

Ausgabe 2/2010 10. Jahrgang

Blick über die Grenze

Spiel- und Stadträume in unseren Nachbarländern

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Liebe Leserinnen und Leser,

wir haben in dieser Ausgabe schon vor den ersten Reisewellen den Blick über die Grenzen gerichtet. Ein Schwerpunkt gilt dabei Österreich und der Schweiz, weil hier die internationale Zusammenarbeit von Kommunen und Planern besonders eng ist. Sehr interessante Gastbeiträge bieten Einblicke in Forschung, Regionalentwicklung und die Diskussion um neue Freiraum- Konzepte. Dazu gehören erste Ergebnisse aus dem Projekt „JugendRaum“

vom Institut für Landschaft und Freiraum im schweizerischen Rappers- wil ebenso wie eine Übersicht über die Entwicklung und Umsetzung von Shared-Space-Konzepten in Österreich.

Da Ideen keine Grenzen kennen, haben wir zudem ein breit angelegtes, in- ternationales Panorama von Best-Practice-Beispielen zusammengestellt, die uns so gut gefallen haben, dass wir sie Ihnen unbedingt vorstellen möchten. Die Skaterbahn in Afghanistan als ganz unkonventionelle Ent- wicklungshilfe vor Ort ist so ein Projekt. Oder ein Trend in der Freiraum- gestaltung, bei dem Architektur und Landschaft noch enger als sonst mit- einander verwoben werden. Und natürlich die radikalen Verkehrskonzepte eines bulgarischen Planers. In dieser Ausgabe fi nden Sie außerdem viele Beispiele aktueller Spielplatzgestaltungen: von Madrid bis Reykjavik.

Aber selbstverständlich haben auch aktuelle nationale Themen ihren Raum: Zum Beispiel in einem Überblick über die Highlights der Landesgar- tenschauen und den spektakulären Parkour-Fotos von Jörg Kraus.

Sind Sie jetzt grenzenlos neugierig? Das freut uns!

Dr. Anke Münster

Chefredaktion FreeLounge

FreeLounge auf der GaLaBau 20

10 !

Wir sehen uns in Nür

nberg!

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Inhalt

T O P - T H E M A

6 Zwischen Trend und Krise

11 Stadtgrün – Europäische Landschaften für das 21. Jahrhundert

12 „Pop gibt es viel zu selten!“

Interview mit Martin Rein-Cano, Topotek1 14 Kreative Spielräume für Kinder

per Gesetz

18 Wilde Wasser – eine Erfolgsgeschichte Autor: Dipl.-Ing. Oliver Rathschüler 21 Perspektiven für eine neue Kultur des

öffentlichen Raums Autor: Thomas Pilz

24 Jugendliche in öffentlichen Räumen – Ärgernis oder Missverständnis?

Autor: Raimund Kemper

29 Freiräume als Grundlage nachhaltiger Stadtentwicklung

Autor: Gerda Schneider 32 Madrid: Salon de Pinos –

Sechs Kilometer Spielplatzpromenade 36 Spielplätze in Europa

R E P O R T

38 Landesgartenschauen –

Katalysatoren für die Stadtentwicklung 43 Gezielte Farbexplosion

44 „Politik sollte den interessanten Lösungen nicht im Weg stehen“

Interview mit Planer Ingo Dittrich

46 Das 8. Weltwunder steht in Afghanistan

G E S E L L S C H A F T

50 Transportkonzepte für übermorgen 52 Die Zukunft gehört den Senioren

Kommentar von Dagmar Thiemann 53 Spielplatz-Scouts

M A R K T M O N I T O R

56 Marktmonitor

60 Spielideen aus den Niederlanden

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B E S T P R A C T I C E

64 Haltestelleninfrastruktur Glatttalbahn, Zürich/Schweiz

66 Sentral Parken Fornebu, Oslo/Norwegen 68 Öffentlicher Spielplatz, Kannenfeldpark,

Basel/Schweiz

S P I E L R A U M

70 Parkour & Freerunning – Team Ashigaru fotografi ert von Jörg Kraus

74 Zur Entwicklungsgeschichte der öffentli- chen Freiräume für Kinder, Teil IV Autor: Daniel Rimbach

K U N S T I N D E R S T A D T

80 Keine Kunst um der Kunst willen 85 Dem Untergang entgegen 86 Buchtipps

W E T T B E W E R B

88 Landscpe Award 2010 89 Pilgram-Preis 2010

M E S S E

90 Treffen im Grünen – GaLaBau 2010

R E C H T / V E R B A N D

94 Stadtgestaltung und Stadtmarketing als Herausforderung in Zeiten knapper Kassen

Autoren: Dr. Michael Winkelmüller, Heiko Bokelmann

99 Spielerisches Engagement als wirtschaft- licher Standortfaktor

Autor: Nicola Hengst-Gohlke

102 Klein und stark – BFG zieht Bilanz 105 Gemeinsam planen

Autor: Uwe Kamp

112 Tivoli 117 Termine 118 Entdeckt!

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Zwischen Trend und Krise

Freiräume sind die Visitenkarten der Städte. Ihre Gestaltung gibt Aufschluss über Lebensqualität, geglückte oder gescheiterte Zu- kunftsvisionen und die Mentalität und Mentalitätswandel im Land. Welche Ideen werden uns in Europa in den kommenden Jah- ren begleiten? Oder wird Freiraumgestaltung vor dem steigenden fi nanziellen Druck in den Hintergrund treten?

Selten hört man über eine gescheiterte Frei- raumgestaltung so klare Worte, wie zuletzt von dem Architekten Meinhard von Gerkan. Der von seinem Büro geplante und erbaute neue Haupt- bahnhof in Berlin steht nach seinen Worten in einem Nachbarschaftsmilieu, das in der sibiri- schen Steppe kaum trostloser sein könnte. In der Zeitschrift Bauwelt zählt er die Versäum- nisse auf, die tagtäglich Tausende von Reisende verwundert zur Kenntnis nehmen können: keine angemessene Beleuchtung im Außenraum, Bi- tumen anstelle einer Bodengestaltung und eine katastrophale Verkehrsführung. Anstelle der Umsetzung der hoch gelobten Entwürfe für die städtebauliche Anbindung und die Freiraumge- staltung prägt diese Planlosigkeit das Bild des neuen Berlins an einem der zentralen öffentli- chen Orte der Stadt. Außerdem fürchtet Gerkan, dass weitere Flächen durch die Vergabe an we- nig umsichtig planende Investoren verramscht werden. Es geht scheinbar nicht mehr darum, dass die ursprünglichen Ideen umgesetzt wer- den, sondern, dass überhaupt irgendwie gebaut wird. Ist der städtebauliche Offenbarungseid in unmittelbarer Nachbarschaft zum Regierungs- viertel ein Indiz dafür, dass eine der Tendenzen der letzten Jahre, nämlich das Denken in grö- ßeren Zusammenhängen einer Stadt, letztend- lich durch die Folgen der Krise, den Schritt vom Masterplan in die Realität nicht schaffen wird?

Ökonomisierung des öffentlichen Raums?

Diese Gefahr sieht auch der Schweizer Land- schaftsarchitekt Christian Graf, der sich 2006 im Rahmen seiner Masterarbeit mit program- matischen Stilen in der Landschaftsarchitektur auseinander gesetzt hat. Eine direkt erkennba- re Folge aus der Wirtschaftskrise ist aus seiner Sicht ein viel schärferer Blick auf die optimale Ausnutzung von Baufl ächen als das zu der Zeit seiner Forschungsarbeit der Fall war. Diese Situ- ation betrifft vor allem größere Städte und Bal- lungsgebiete, in denen Freifl ächen immer eine besondere Form von Luxus darstellen. Bis heute werden noch zahlreiche Projekte realisiert, de- ren Planung in die Zeit vor der Wirtschaftskrise reicht. In vielen europäischen Ländern, wie bei- spielsweise Spanien, gab es in den letzten Jah- ren durch interessante Projekte positive Impulse für die Freiraumarchitektur. Ein Beispiel dafür ist die Überdachung einer Ausgrabungsstätte in Cádiz „Between the Cathedrals“ von Alberto Campo Baeza oder auch der neu entstandene Grünstreifen auf der Trasse einer ehemaligen Autobahn (siehe Seite 42ff). Es wird sich erst noch zeigen, wie stark der wirtschaftliche Ein- bruch ab der zweiten Jahreshälfte 2008 und aktuell die Euro-Krise verschiedener Länder ihren Niederschlag in der Architektur und Frei- raumgestaltung fi nden werden.

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Zwei Megatrends als „Evergreens“

Freiraum prägt die Identität der Städte in ho- hem Maße. Der Österreicher Markus Hanzer, Autor des Buches „Krieg der Zeichen. Spurenle- sen im urbanen Raum“, geht so weit zu sagen, dass der öffentliche Raum nach der Zersplitte- rung der Medienlandschaft das einzig verblie- bene Gemeinsame geworden sei. Schon heute leben rund 80 Prozent der Europäer in Städ- ten. Die Tendenz ist in vielen Ländern steigend.

Wenn immer mehr Menschen auf engem Raum leben, steigt auch der Bedarf an öffentlichem Raum mit Aufenthaltsqualität und einer ausrei- chenden Zahl von Flächen, die Ruhe in das hohe Tempo der Städte bringen. Welche Gestaltungs- stile haben in den letzten Jahren das Gesicht der Städte am stärksten geprägt? Christian Graf hat im Rahmen seiner Forschungsarbeit 300 Projekte in 21 Ländern nach genau defi nierten Verfahren ausgewertet und in Megatrends und Trends eingeteilt. An erster Stelle nennt er die Reduktion als gestalterisches Prinzip, dass be- reits über einen langen Zeitraum sehr konstant die Arbeit vieler Landschaftsarchitekten und Planer bestimmt und selbstverständlich auch die Schwesterdisziplinen Architektur und Kunst prägt. „Die Freiräume sind auf das Wesentliche reduziert. Sie streben nach Objektivität, sachli- cher Klarheit und Logik. Die Perfektion im Mini- malismus besteht darin ein Ding zu erschaffen, das man mit Hinzufügen nur verschlechtern kann. Es ist das Weglassen von allem Irrele- vanten, ein reines Destillat. Das Konzept ein Objekt auf das Wesentliche zu reduzieren ist auch in der Landschaftsarchitektur ein adäqua- tes Ausdrucksmittel.“ Dieser Stil gefällt vor al- len Planern und designorientierten Menschen, stößt jedoch bei den Nutzern der Freiräume Der Turbinenplatz in Zürich ist ein Beispiel für minimalistische

Gestaltung, die auf die Wirkung der Reduktion setzt.

Die Jury der Western Pennsylvania Conservancy hat aktuell die Entwürfe von Patkau Architects (Vancouver) für Ferienhäuser im Naturschutzgebiet ausgezeichnet - unweit des berühmten „Fallingwater“ von Frank Lloyd Wright .

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manches Mal auf Ablehnung. Darauf hat Wulf Tessin in seinem Buch „Landschaftsarchitektur und Laiengeschmack. Über die Ablehnung mo- derner Landschaftsarchitektur durch Laien“ im letzten Jahr hingewiesen. Auch Christian Graf kennt viele Beispiele, bei denen der Purismus der Gestaltung an den Bedürfnissen der Bür- ger vorbeigezielt hat. Besonders stark hat er die Ablehnung bei dem Turbinenplatz in Zürich wahrgenommen, der eine Konzentration auf Beton, Kies, gusseiserne Schienen, schlichte Holzbänke, Birken und farbiges Licht auf einer beeindruckenden Fläche von 14.000 Quadrat- metern bietet. Als zweiten Megatrend benennt Graf Landschaftsarchitektur mit amorphen For- men, die zum Beispiel im Ankarpark in Malmö das Motiv von fl ießendem Wasser aufgreifen und dem Park seine Struktur geben: „Ein land- schaftsarchitektonisches Evergreen sind mit Si- cherheit die amorphen Formen, fl ießenden Lini- en, freien Formen oder neuzeitlich ausgedrückt

„Blubbs“. Je nach Zeit oder Literatur wird dieser Megatrend unterschiedlich bezeichnet. Der Stil der freien Formen erlebt seit einiger Zeit in der Gestaltung ein Revival oder in der Sprache der Trendforschung ausgedrückt ein Reframing“

Neue Impulse durch „grüne Architektur“

Dass diese beiden grundsätzlichen Trends bleiben werden, steht außer Frage - selbstverständlich in ganz unterschiedlichen Ausprägungen durch

die Handschrift der jeweiligen Planer. Daneben gibt es zudem Trends oder Strömungen, von de- nen vor allem eine derzeit durch teils spekta- kuläre Entwürfe auffällt. Gemeint ist das enge Verweben von Architektur und Natur. Für Frank Lloyd Wright bestand die Aufgabe von Archi- tektur darin, dass sie Landschaft nicht verletzt, sondern verschönert. Mehr und mehr versuchen Architekten gemeinsam mit Landschaftsarchi- tekten Gebäude mit der Natur verschmelzen zu lassen. Besonders gut illustriert wird dies durch einen aktuell preisgekrönten Entwurf für sechs kleine Häuser, die im Naturschutzgebiet rund um Frank Lloyd Wright's berühmtes Haus

„Fallingwater“ gebaut werden sollen. Sie ord- nen sich höhlenartig der Landschaft unter und verneinen die übliche Veränderungen durch eine Bebauung. Ein anderes Beispiel für „grü- ne Architektur“ sind die vertikalen Gärten des französischen Botanikers Patrick Blanc, die das dichte Grün aus dem gewohnten Kontext an Fassaden in Innenstädten bringt. Im März wur- de ein Projekt vorgestellt, an dem auch Patrick Blanc beteiligt sein wird, das aber noch einen erheblichen Schritt weiter gehen wird. Vor den künstlichen Inseln des neuen Stadtteils Ijburg in den östlichen Hafengebieten von Amsterdam soll geplant von Anne Holtrop mit Roderik van der Weijden und Studio Noach eine schwim- mende Insel mit öffentlich zugänglichen Gär- ten und einem Spa entstehen. Das Gebäude soll Der geplanten schwimmenden Insel mit öffentlichen Gärten und Spa liegt eine gefaltete Struktur zugrunde, die von vertikalen Gärten überwachsen werden soll. Der Entwurf stammt von Anne Holtrop mit Roderik van der Weijden und Studio Noach.

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komplett hinter dem von Patrick Blanc ange- legtem Grün verschwinden. Aber nicht nur die Durchdringung von Natur und Architektur ist hier bemerkenswert. Auch die durch niederlän- dische Architekten und Planer in den letzten Jahren immer weiter entwickelte Bebauung im Einklang mit Wasser und nicht gegen Wasser ist eine interessante Tendenz, die für Länder mit Küstenregionen ein breites Spektrum von Anre- gungen bieten kann.

Dynamik durch neue Aufgaben

Vielleicht mehr als Trends haben zuletzt neue Aufgaben die Landschaftsarchitektur verändert.

Das Spektrum ist sehr breit geworden, zum Bei- spiel versuchen auch ländliche Gebiete, ihre Identität durch Freiraumprojekte zu stärken – in vielen Fällen in Verbindung mit touristischen Angeboten. In Österreich wurde anlässlich der Architekturtage 2010 in einer Ausstellung der Fokus auf zeitgenössische Orts- und Platzge- staltung im ländlichen Raum gerichtet. Mit der Weiterentwicklung der Baukultur in den Alpen- ländern hat auch die Freiraumgestaltung dort eine andere Qualität bekommen. „Galt es früher häufi g nur darum, den Kirchplatz neu zu pfl as- tern, Straßenräume zu dekorieren und ganze Ortsteile hinter Geranienvorhängen unter dem Titel der Dorf- oder Stadterneuerung zu ver- stecken, wird der Freiraum auch im ländlichen Raum mittlerweile vermehrt als eigenständige Planungsaufgabe aufgefasst, zum Wettbe- werbsgegenstand gemacht und ist ein wich- tiger Beitrag zur Präsentation einer Gemeinde nach außen. Vielfältig wie der Stand der Pla- nungskultur und des Selbstverständnisses in den einzelnen Gemeinden sind auch die in den letzten Jahren realisierten freiraumplaneri- schen Projekte.“ So beschreibt der österreichi- sche Landschaftsarchitekt Thomas Proksch in einem Vorwort zu der Ausstellung den Wandel in diesem Segment.

Viele andere Aufgaben sind hinzugekommen:

Die Suche nach Lösungen für Brachen in Städ- ten, die schrumpfen, und die Freiraum-Gestal- tung großer neuer Quartiere in ehemaligen in- dustriellen oder militärischen Zonen zählen zu den besonders anspruchsvollen Projekten, da sie hohe gesellschaftliche Relevanz haben.

Immer mehr Aufgaben – immer weniger Gelder?

Hoffentlich wird nicht die Berliner Hauptbahn- hof-Steppe der Trend, der das Bild der Städte in den kommenden Jahren bestimmt.

Dr. Anke Münster

Markante Architektur in der Landschaft: Die Planer von terrain (München) eröffnen mit dem Murturm in der Steiermark neue Blickwinkel.

... ein besonders positives Beispiel ist der Stadtgarten Dornbirn.

(Gestaltung: Rotzler Krebs Partner)

Zeitgenössische Orts- und Platzgestaltung im ländlichen Raum ist zu einem interessanten Aufgabengebiet geworden, ...

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Stadt-Grün – Europäische Landschaftsarchitektur für das 21. Jahrhundert

Die Sehnsucht der Menschen nach der Natur ist heute größer denn je. Gerade die in Europa in den letzten Jahren vollzogene Wiederentdeckung der Innenstädte geht mit dem verstärkten Be- dürfnis nach innerstädtischem Grün einher. Für dieses Stadtgrün sind neue urbane Lösungen gefordert, die einem komplexen An- forderungskatalog von Gestaltung, Ökologie, Soziologie und Öko- nomie entsprechen müssen.

Die Ausstellung STADT-GRÜN, die das Deutsche Architekturmu- seum in Kooperation mit dem Palmengarten in Frankfurt prä- sentiert, zeigt 27 realisierte Beispiele von Freiraumgestaltung in Europa, entworfen von international renommierten Landschafts- architekten. Die Projekte werden in Plänen, Modellen, Fotografi en und Kurzfi lm-Dokumentationen sowie mit botanischen Beispielen dargestellt. Sie sind zwischen 1990 und 2010 entstanden und rei- chen vom urbanen Privatgarten bis zu Großprojekten wie der Re- vitalisierung von Flussuferbereichen oder Grün-Masterplanungen für ganze Metropolen. Rekonstruierte historische Gärtenanlagen sind ebenso darunter wie temporäre Grüninstallationen, Kinder- spielplätze wie ein als Friedhof genutzter Park. Bei der Auswahl wurde darauf geachtet, dass die Projekte innerstädtische Freiräu- me mit Grünpfl anzungen gestalten. Das ist aus der Sicht der Aus- stellungsmacher bei weitem keine Selbstverständlichkeit mehr:

Wegen der aufwändigen Pfl ege, mangelnder botanischer Kom- petenz und der vermeintlichen Überlegenheit eines spektakulären Designs gegenüber natürlichem Pfl anzmaterial ist das Grün in der Vergangenheit bei Planungen vermehrt ausgeklammert und be- wusst vernachlässigt worden.

„Die Vielfalt der in der Ausstellung präsentierten Projekte gibt dem Besucher einen fundierten Überblick über führende Tenden- zen der Landschaftsarchitektur in Europa - ihre Positionen wie die dabei eingesetzten Materialien und Technologien. Die Aus- stellung STADT-GRÜN versteht sich dabei zugleich als ein enga- giertes Plädoyer für eine höhere Wertschätzung und einen behut- sameren Umgang mit dem innerstädtisch verfügbarem Grün- und Freiraum.“, charakterisieren die Kuratoren die Bedeutung der Werkschau.

Die Ausstellung ist noch bis zum 22. August im Frankfurter Pal- mengarten zu besichtigen. Der Katalog in Deutsch-Englisch ist im Birkhäuser-Verlag, Basel, erschienen.

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FreeLounge: Sehen Sie im Moment besondere Trends oder Tendenzen in der Freiraumgestal- tung?

Martin Rein-Cano: Dafür braucht man einen Blick von außen, den ich gar nicht habe. Ich schaue von innen darauf. Sicher kann man sa- gen, dass noch immer Neoromantiker auf der einen Seite stehen und stärker experimentelle Gestalter auf der anderen Seite. Ich stelle im- mer fest, dass die Vielfalt oft zu kurz kommt.

Das ist ein wirkliches Manko bei der Land- schaftsarchitektur. Vergleichen Sie es mit der Musik: Da gibt es Vielfalt durch Stile wie Pop, durch die Interpretation klassischer Musik und die experimentelle neue Musik. In der Land- schaftsarchitektur läuft alles viel zu oft auf die Interpretation klassischer Themen hinaus. Pop oder künstlerische Improvisation sieht man viel zu selten.

FreeLounge: Können Sie ein Beispiel nennen, welche Projekte Ihnen gefallen?

Martin Rein-Cano: Die New Yorker Highline ist eine schöne Arbeit, die natürlich stark von dem Standort lebt. Hier wurde aus meiner Sicht nichts falsch gemacht, aber es wurde auch nichts probiert. Ich kann schlecht allgemein über Projekte reden, weil ich immer sehr sub- jektiv bin, gar nicht ausgleichend. Spannender fi nde ich formale Fragestellungen.

FreeLounge: Wird die Veränderung der Städte – Verdichtung oder Schrumpfung – Einfl uss auf die Gestaltung haben?

Martin Rein-Cano: Ohnehin sind die Aufga- ben in den letzten Jahren immer vielschichtiger geworden. Darauf muss ganz situativ reagiert werden, auch bei Aufgabenstellungen im Zu- sammenhang mit Schrumpfung oder Ver- dichtung. Es ist eine Frage des Geldes, ob die Schrumpfung überhaupt als zivilisierter Prozess ablaufen wird. Ich könnte mir vorstellen, dass man sich das in Zukunft nicht mehr leisten kann. Die Aufgaben, die aus der Verdichtung entstehen, sind interessant und anspruchsvoll.

Dabei bevorzuge ich das Weiterentwickeln ge- wachsener Strukturen. Sehr kritisch sind dage- gen Großprojekte, die in relativ kurzer Zeit gro- ße Stadtquartiere entstehen lassen. Das mag aus städtebaulicher Sicht notwendig sein, aber eigentlich sind solche Quartiere antiurban, denn Urbanität steht für eine Durchmischung. Land- schaftsarchitektur kann dabei helfen, durch das Aufgreifen von Strukturen den Quartieren eine Identität zu geben. Ich stehe größeren Plänen aber eher skeptisch gegenüber, denn die Ergeb- nisse fi nde ich oft misslungen. Manchmal ist es besser über eine situative Herangehensweise kleinere Brötchen zu backen.

Martin Rein-Carno

Interview mit Martin Rein- Cano, Geschäftsführer von Topotek1 und Gastprofessor an verschiedenen Hochschulen (Landschaftsarchitektur).

„Pop gibt es viel zu selten“

Maselake Sportpark Berlin Spandau

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FreeLounge: Sie arbeiten mit Topotek1 in vie- len verschiedenen Ländern. Welchen Einfl uss hat das jeweilige Land auf die Planungen?

Martin Rein-Cano: Zu Topotek1 gehört auch über meinen Lebensweg und die Mitarbeiter sehr viel Internationalität. Hinzu kommt, dass natürlich grundsätzliches Knowhow vorhanden sein muss, ebenso wie Erfahrung. Man kann aber nicht nur über Denken und Wissen ein Projekt angehen. Das Entwerfen braucht eine intuitive Herangehensweise, bei der auch die Gefühle der Planer Einfl uss auf die Arbeit haben. Das kommt nicht von oben. Man muss denken und klug sein, aber zugleich sein Wissen auch abschalten

können. Im Moment planen wir zum Beispiel in China einen Beitrag für die Xi’an Garden Show 2011. Es wäre absurd, sich in diesem Zusam- menhang mit Zen-Buddhismus auseinanderzu- setzen. Ich möchte etwas geben, das ich weiß und mich nicht anbiedern. „The Big Dig“ greift einen Ausspruch auf, den wohl jedes Kind beim Buddeln mal zu hören bekommt: „Wenn Du weitergräbst, landest Du in China.“ Auch wenn von Europa betrachtet wohl eher Australien das andere Ende der Welt ist, steht doch China für die extreme Entfernung und fühlt sich eben an wie die andere Seite der Welt. In dem Park wird ein Krater tief in die Erde reichen. Über Laut- sprecher werden Sounds und Geräusche aus verschiedenen weit entfernten Orten zu hören sein. Bei dem Entwurf schwingen auch Humor und Provokation mit – hier die Anspielung auf die Liebe zu Großprojekten, die typisch für Chi- na ist. In dem Sinn „Könnte man ein solches Projekt nicht vielleicht wirklich wagen?“

FreeLounge: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Rein-Cano.

Das Interview führte Dr. Anke Münster

Entwurf für das Quartier Superkilen, Kopenhagen Topotek1-Beitrag „The Big Dig“ für die

Xi’an Garden Show 2011

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Kinderlachen tönt aus dem neu gestalteten Bachbett des Emsbaches im Zentrum von Ho- henems. Während die einen im seichten Wasser spielen, laufen andere vergnügt die angrenzen- den Steinstufen entlang, auf denen es sich die Eltern in der Sonne bequem gemacht haben.

Das Projekt hat dem Stadtzentrum ein neues Erscheinungsbild gegeben. Nebenbei wurde noch die Hochwassergefahr entschärft und für die Familien ein attraktiver Erholungsraum ge- schaffen. Das Ganze ist kein Zufallsprodukt.

Mit der Initiative „Kinder in die Mitte – Mit- einander der Generationen“ hat sich das Land Vorarlberg das ehrgeizige Ziel gesteckt, kinder- freundlichste Region zu werden. Im vergan- genen Jahr wurde dafür auch eine gesetzliche Grundlage erarbeitet. „Mit dem Spielraumgesetz soll die Kinderfreundlichkeit in den Kommunen systematisch weiter ausgebaut werden“, erklärt die Landesrätin Greti Schmid. Gemeinsam erar- beiten Kinder, Jugendliche und Erwachsene für jede Gemeinde im Land ein Spielraumkonzept.

Das Konzept wiederum ist die Grundlage für die Schaffung vielfältiger Spielräume. Finanziell

interessant wird das Programm für die Kommu- nen durch weitreichende Förderungen von bis zu 70 Prozent. Das Gesetz soll zu einer offenen, kinderfreundlichen Gesellschaft beitragen, das Miteinander der Generationen fördern und den Kindern die Möglichkeit einer unbeschwerten Entwicklung bieten.

Kinder brauchen Freiräume

„Kinder brauchen Plätze, an denen sie sich frei entfalten zu können. Es ist wichtig, auf ihre Be- dürfnisse in der räumlichen Planung Rücksicht zu nehmen – sei es nun im Wohnbau oder in der Raumplanung eines größeren Ballungsraumes“, macht Landesrat Karlheinz Rüdisser deutlich.

Anlass für das neue Gesetz war vor allem die unbefriedigende Situation bei privaten Wohn- anlagen. „Diese nicht kommunalen Spielplätze wurden oft auf Restfl ächen eher lieblos reali- siert. Mit dem neuen Spielraumgesetz wurde das Baugesetz in der Form geändert, dass sich private Wohnungsbauträger bei den Kommu- nen freikaufen können. Das macht den Weg frei, dass die Kommunen den Bedarf abdecken und

Lässt sich die Qualität von Spielräumen für Kinder durch ein politisches Be- kenntnis und eine ehrgeizi- ge Initiative verbessern? Für das österreichische Bundes- land Vorarlberg lautet die Antwort „Ja“. Im Landtag waren sich die Vertreter aller Parteien einig und brachten 2009 das Spielraumgesetz an den Start.

Kreative Spielräume

für Kinder per Gesetz

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Über Grenzen hinweg – Spielen verbindet

Grenzüberschreitende Fragen der Spiel- und Freiraumplanung – ein Symposi- um in Dornbirn beleuchtet im Oktober unterschiedliche Planungsansätze.

Das Land Vorarlberg ist durch das neue Spielraumgesetz mehr als nur einen Schritt nach vorne gegangen, um die Qualität von Spielplätzen und Spielräumen für Kin- der zu verbessern. Es ist deshalb kein Zufall, dass das Institut für Angewandte Umweltbildung IFAU das diesjährige Spiel- und Freiraumsymposium Dornbirn in Vorarlberg als Veranstaltungsort ausgewählt hat - mit deutlichem Akzent auf die Landesinitiativen.

Das Schwerpunktthema der Tagung lautet „Über Grenzen hinweg – Spielen ver- bindet“ und soll einerseits das Spielen über den klassischen Spielplatz hinweg, also auch in der Natur oder auch auf öffentlichen Plätzen, thematisieren, ande- rerseits die Ansätze der Spielraumplanung in den Österreich benachbarten Län- dern Schweiz, Liechtenstein und Deutschland aufgreifen. Ein zusätzlicher Fokus wird auf das Thema Wasser als Spielplatzelement und genereller Impuls für das Spielen gerichtet.

Es wird Impulsvorträge von Referenten aus Österreich, der Schweiz und Deutsch- land geben, darunter von Herbert Dreiseitl (Landschaftsarchitekt), Ruth Esther Gilmore (Doktorantin der Leibnitz Universität Hannover und Gastautorin der FreeLounge), Daniel Stimbach (Studio Urbane Landschaften, Hannover), Toni An- derfuhren (Spielplatzplaner) und selbstverständlich Organisatoren der Initiative

„Kinder in die Mitte“.

Das IFAU veranstaltet seit 1996 in Kooperation mit einem Partnernetzwerk diese internationale Fachtagung, die sich mit rund 200 Teilnehmerinnen und Teilneh- mern zu einer der bedeutendsten Veranstaltung für diesen Themenbereich in Ös- terreich entwickelt hat.

Ort: Fachhochschule Dornbirn

Datum: 14.-15. Oktober 2010 (Es gibt ein Vorprogramm für den 13.10.) Kosten: 135 Euro (inkl. Kaffeepausen und Abendempfang)

Anmeldung und alle weiteren Informationen unter: www.ifau.at innerhalb einer umfassenden Planung hier eine

höhere Qualität anbieten können“, sagt Wilfried Bertsch, der Leiter der Raumplanungsabtei- lung im Amt der Vorarlberger Landesregierung.

Für besonders wertvoll erachtet er naturnahe Spielräume, in denen die Kinder ihre Umwelt entdecken können. „Wenn die Kommunen ein Spielraumkonzept erstellen, dann gilt es, über konventionelle Spielplätze hinaus zu denken, damit Kinder und Jugendliche in Wohnungs- nähe geeignete Spiel- und Aufenthaltsmög- lichkeiten vorfi nden. Hierfür ist Vielfältigkeit gefragt: Skater- und Bolzplätze haben genau so eine Wichtigkeit wie Gerätespielplätze, aber eben auch Brachen und Naturräume, die als öf- fentliche Freiräume ausgewiesen sind“.

Was das Gesetz ändert

Es gibt kein Datum und somit keinen Zwang, wann die Kommunen die neuen Anforderun- gen umgesetzt haben müssen. Das Land setzt auf Information und positive Anreize durch die weitreichende Förderung. Als erstes geht es da- rum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass ein Spielraumkonzept ähnlich einem Raum- plankonzept für die Entwicklung von Städten und Gemeinden längerfristig viel mehr Nutzen bringt als einzelne Maßnahmen, die ohne Zu- sammenhang geplant werden. „Bei den ersten Anträgen spielte die Aussicht auf Zuschüsse für den Bau von Spielplätzen noch eine übergeord- nete Rolle“, erklärt Bertsch. Der direkte Kontakt mit den Kommunen, Seminare sowie der Ver- sand eines Handbuchs zum Spielraumkonzept hätten jedoch dabei geholfen, den Nutzen und Mehrwert verständlich zu vermitteln und die Gemeinden als engagierte Partner zu gewin- nen.

Auch in Hohenems wurde das Angebot direkt aufgegriffen. Der bespielbare Bachlauf in der Ortsmitte zeigt, dass hier schon vor dem In- krafttreten des neuen Gesetzes sehr kreativ und kinderfreundlich geplant wurde. Das Förderpro- gramm des Landes bietet nun die Möglichkeit, daran anzuknüpfen und weitere Verbesserun- gen auf den Weg zu bringen. Der erste Schritt war im vergangenen Sommer die Aufl istung und Fotodokumentation aller Spielplätze. An- fang des Jahres hat ein externes Planungsbü- ro damit begonnen, Kinder, Jugendliche und Betreuer zu befragen. Wo möchten die Kinder gerne spielen? An welchen Stellen im Ort fi n- den sie es gefährlich? Gibt es genug Raum für die Interessen der Jugendlichen? Aus den Ant- worten formuliert die Kommune die Ziele und

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Leitideen für das Spielraumkonzept. In einem zweiten Schritt wird ein Maßnahmenkatalog auf fünf Jahre erstellt. Damit die Kinder und Jugendlichen zeitnah erleben, dass sich etwas tut, wird es im Sommer kleinere Aktionen wie zum Beispiel ein Landart-Projekt geben.

Natur im ländlichen Raum

Ein erklärtes Ziel ist es, die Jugend wieder stär- ker zur Natur und zum eigenen Lebensraum he- ranzuführen. Selbst in den ländlichen Regionen abseits des bevölkerungsreichen Rheintals zeigt sich, dass durch den Medienkonsum und das geänderte Freizeitverhalten bei vielen Kindern und Jugendlichen immer weniger Bezug zur Natur besteht. Deshalb liegt ein Schwerpunkt darauf, dass Naturräume, die viel weniger re- glementiert sind, in ausreichender Größe und mit einer guten Erreichbarkeit wieder erschlos- sen werden. Die Kommunen müssen für diese Freifl ächen ein Pfl ege- und Bespielungskonzept vorlegen, damit auch dabei die Spielraum-Qua- lität über Jahre gewährleistet ist. Dieser Aspekt ist auch der Landschaftsarchitektin Maria-An- na Moosbrugger, die das Spielraumkonzept in verschiedenen Gemeinden als externe Planerin begleitet, ein großes Anliegen: „Die Aufwertung von Naturerlebnissen ist fester Bestandteil bei der Erarbeitung eines Konzeptes, wobei der Ausgangspunkt die unterschiedlichen Raum- profi le in der Region sind“.

Erfolge steigern die Motivation

Moosbrugger sieht heute schon Veränderungen.

„Mit dem Gesetz und den damit verbundenen Förderungen wurde ein Prozess in Gang gesetzt, der große Eigendynamik entwickelt hat. Meiner Meinung nach ist es wichtig, schon während der Erstellung des Konzeptes mit kleineren Um- setzungen zu beginnen, damit eine Verände- rung nicht nur auf dem Papier steht. Dadurch

steigt die Motivation, mehr aus dem Konzept zu machen“. Eine schnell spürbare Verbesserung ist für kleinere Kinder zum Beispiel die Öffnung von Kindergarten-Spielplätzen außerhalb der dortigen Betreuungszeiten. Aufwendiger ist in der Regel die Erschließung neuer Räume für Ju- gendliche, die das Gesetz auch explizit fordert.

„Wir haben zum Beispiel in einer Gemeinde ei- nen ungenutzten Asphaltstreifen in der Nähe einer Volksschule zu einem jetzt gut angenom- menen Skaterplatz umgebaut. Bei solchen Pro- jekten ist eine intensive Begleitung notwendig, denn die Anrainer haben oftmals Vorbehalte.

Hier muss erst eine Bewusstseinsänderung er- reicht werden. Es muss klar werden, wie not- wendig solche Räume sind. Parallel empfehlen sich zur gemeinsamen Planung Workshops mit den Jugendlichen, in denen sie auch die Spiel- regeln für die Nutzung festlegen“, erläutert Moosbrugger.

Ziele für die nächsten Jahre

Das Land Vorarlberg unterstützt die positive Entwicklung nicht nur fi nanziell, sondern auch organisatorisch, indem alle handelnden Akteu- re untereinander abgestimmt und gut vernetzt werden. Die Raumplanung und Gewässerent- wicklung verfolgt zum Beispiel Ziele, die ganz eng bei den Interessen einer kinder- und ju- gendfreundlichen Stadt- und Gemeindeent- wicklung liegen. Hochwasserschutz, Naherho- lung und die Schaffung von Spielräumen an Flüssen und Bächen lassen sich entsprechend geplant sehr gut verbinden. Für die nächsten fünf Jahre erwarten die Verantwortlichen, dass die Hälfte der 96 Vorarlberger Gemeinden die Vorgaben des Spielraumgesetzes aufgreift und umsetzt. Angebote wie der bespielbare Bach- lauf in Hohenems sind dann vielleicht schon bald keine Seltenheit mehr.

Dr. Anke Münster

Hochwasserschutz und eine kinderfreundliche Ortsgestaltung lassen sich sehr gut verbinden: In Hohenems ist ein öffentlicher Raum mit hoher Aufenthaltsqualität entstanden.

Spielleitplanung – Spielraumkonzept

Die Ideen sind sehr ähnlich – die Umsetzung hat durch das Gesetz in Vorarlberg starke Impulse erfahren. Es gibt einen regen Austausch zwischen Deutschland und Österreich, wenn es um die Gestaltung kindgerechter Lebensräu- me geht. In Rheinland-Pfalz initiierten das Umwelt- und das Jugendministerium 1999 das Gemeinschaftspro- jekt "Spielleitplanung – Ein Weg zur kinderfreundlichen Gemeinde und Stadt". Ziel ist auch hier eine fachbereichs- übergreifende Planung unter konsequenter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, um geeignete Flächen und Räume für Spiel, Erlebnis, Aufenthalt und Bewegung zu schaffen beziehungsweise zu sichern.

Nach einer Erprobungsphase in sieben Gemeinden wurde 2004 eine Handlungsanleitung erarbeitet, an der sich Gemein- den orientieren können. Die Organisatoren aus Vorarlberg haben den Austausch mit ihren Kollegen in Deutschland ge- sucht und auf den Erfahrungen in Rheinland-Pfalz aufgebaut.

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stilum GmbH

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Doch der Reihe nach: die Idee, die Orte Schlad- ming und Rohrmoos mit der alpinen Wasserwelt des Klafferkessels fußläufi g zu verbinden, geis- terte schon lange durch die Gemeindestube(n).

Der richtige Zeitpunkt, die Sache anzugehen, war 2003 gekommen. Erlebniswandern lautete die neue Sommerstrategie des Tourismus, Wan- dern stand – und steht nach wie vor – hoch im Kurs, allerdings muss dem Gast dafür auch etwas geboten werden. So nahm der damalige Bürgermeister der Gemeinde Rohrmoos-Unter- tal, Peter Pilz, Kontakt zur freiland ZT-GmbH auf und im Erstgespräch wurde diskutiert, was man sich „da vorstellen“ könne. Ein attraktives Angebot für Jung und Alt, Alpinisten und Fa- milien solle es sein, dürfe aber nur wenig kos- ten und schnell umgesetzt sollte es auch noch werden. Dass das Projekt in einer höchst inte- ressanten alpinen Kultur- und Naturlandschaft liegt, ist zwar sein großer Trumpf – bei der Projektvorbereitung, speziell in den Genehmi- gungsverfahren, gab es dann doch einige Hür-

den zu überwinden. Vor allem die im oder an das Projektgebiet angrenzenden Schutzgebiete:

Natura 2000, Natur- und Landschaftsschutzge- biete erforderten Gutachten und Untersuchun- gen zum Nachweis, dass z.B. der Naturhaushalt im heiklen Schlucht-Ökosystem des Alpinsteigs nicht nachteilig beeinfl usst wird.

Parallel zu den ökologischen Vorbereitungen wurde die Projektidee mit einem „bottom up“

Ansatz weiterentwickelt. In der eigens einge- richteten Projektgruppe der Gemeinde Rohr- moos-Untertal wurde manch Abend und Nacht heftigst über Details und Sichtweisen diskutiert.

Auch mussten sich die beiden Bearbeiter der freiland ZT-GmbH das Vertrauen der Gemeinde erst erarbeiten.

Viel Zeit wurde im Gelände verbracht, um die optimale Wegeführung zuerst für den Ab- schnitt im Untertal, dann für den Alpinsteig zu fi nden. Neben der Topografi e waren hier die Wünsche der Grundbesitzer maßgeblich, galt

Wilde Wasser

eine Erfolgsgeschichte

Etwas südlich von Schladming-Rohr- moos, „dem“ alpinen Wintersport- zentrum der Steiermark wurden 2006 die Wilden Wasser im Untertal, einem wildromantischen Teil der Schlad- minger Tauern eröffnet. Die Wilden Wasser erschließen mit dem „Wan- dererlebnis Wilde Wasser“ eine neue, familientaugliche Route am Talboden, etwas zünftiger die Talbachschlucht hinauf geht es dann beim „Alpinsteig Wilde Wasser“. Das Projekt wurde zu einer Erfolgsgeschichte, der Be- sucherzustrom hält – mittlerweile in der fünften Saison seit Fertigstellung – ungebrochen an.

Foto: Wall AG

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es doch einerseits möglichst bestehende Pfade und Wege zu nutzen, andererseits aber sollten wichtige Punkte, darunter wurden zuerst vor- nehmlich die Gasthäuser des Tales verstanden, angesteuert werden. Dass neben der hervorra- genden Gastronomie auch andere präsentable Schönheiten im Untertal zu fi nden sind, dafür waren die „Auswärtigen“ zuständig.

Die inhaltliche Seite des „Wandererlebnisses Wilde Wasser“ war rasch defi niert – ein sehr zurückhaltender Themenweg sollte es werden.

Zurückhaltend deswegen, da alle Teammitglie- der überzeugt waren, die Schönheit des Tales spreche für sich. Der Gast brauche lediglich ab und zu einen Hinweis, wohin er seinen Blick lenken soll, unterlegt mit ausgewählten Infor- mationen. Begleitet wird er dabei von den Men- schen des Untertales und Experten zur Erläute- rung von naturkundlichen Highlights.

Für die grafi sche Umsetzung konnte Klaus Da- pra, Fotograf und Grafi ker und ein ausgewie- sener Experte für landschaftlich abgestimmte Informationskonzepte gewonnen werden. Die Fotos wurden aus dem umfangreichen Fundus von Reinhard Lamm und Herbert Raffalt, beide sind profunde Kenner der Region, zur Verfügung gestellt oder gezielt nach Bedarf geschossen.

Auch bezüglich der gestalterischen Ausführung des Wegs mit seinen 14 Stationen gab es keine grundsätzlichen Auffassungsunterschiede. Eine klare, schnörkellose Formensprache der Statio- nen, ausgerichtet auf die hier strengen Winter, Einsatz von hochwertig verarbeitetem Holz und Metall und die Info-Tafeln so produziert, dass sie ganzjährig draußen bleiben können, auf die- se Linie konnte man sich rasch einigen.

Der „Alpinsteig Wilde Wasser“ hingegen kommt mit Ausnahme der Zustiegsstellen ohne Beschil- derung aus. Hier steht das Erleben der Schlucht,

der Gischt, des tosenden Wassers, von Licht und Schatten je nach Jahreszeit manchmal auch hautnah im Vordergrund. Der Steig erfordert dabei ständig die volle Aufmerksamkeit des Be- suchers.

Den Auftakt bildet eine 50m lange, spektaku- läre Hängebrücke, spektakulär vor allem des- halb, weil sie auf modularen Gitterrosten leicht ansteigend überschritten wird, 30 Meter tiefer rauscht der Bach durch die Schlucht. Hier zö- gerte schon manche(r) Besucher(in), bevor der Fuß auf die, je nach Wind zusätzlich leicht schwankende Konstruktion gesetzt wurde.

Danach geht es treppauf treppab, manchmal knapp am Bach oder auch steil am Felsen stetig zum Aufstiegspunkt, der Oberen Gfölleralm. An einer Engstelle überspannen zwei kleine Aus- sichtsplattformen den Bach, kurz vor dem Stei- gende wird der Bach auf einer Brücke gequert.

Verantwortlich für die Idee des Alpinsteigs, des- sen Konzeption und Detailplanung war Herbert Schütter, Polier und Höhenbergsteiger, der für die schwierigen Bedingungen in der Schlucht ein eigenes, modulares Konzept zum Zusam- menbau der Steigelemente entwarf. Dies war sowohl für die Errichtung nötig, als auch um etwaige Frost- oder Steinschlagschäden rasch und kostengünstig reparieren zu können. Be- reits die Errichtung des Steigs mit Hubschrau- berunterstützung und Abseilaktionen der Bergrettung war höchst spektakulär und ein Zuschauermagnet.

Eingangs wurden die Wilden Wasser als Erfolgs- geschichte bezeichnet. Die für (winter-)touris- tische Verhältnisse eher bescheidene Investition von rd. 650.000 Euro hat sich vielfach bezahlt gemacht. Bereits im Oktober 2005 während der Probeeröffnung wurden mehrere Tausend Die Hängebrücke, Auftakt und Highlight des Alpinsteigs Wilde Wasser, in luftiger Höhe über dem tosenden Bach – ein unvergessliches Erlebnis!

Dipl.-Ing.

Oliver Rathschüler

Jahrgang 1961, Absolvent der Universität für Boden- kultur, Ingenieurkonsulent für Landschaftsplanung und –pfl ege, führt gemeinsam mit DI Hans-Jörg Raderbauer das 1991 gegründete Land- schaftsplanungsbüro freiland Umweltconsulting ZT GmbH an den Standorten Wien und Graz/Österreich.

Tätigkeitsschwerpunkte:

Beratender Ingenieur für Tourismus-, Wasserbau-, Energieversorgungsprojekte, Projektvorbereitung, Verfah- rensbegleitung und Umset- zungsbetreuung

» www.freiland.at

(20)

Besucher, vornehmlich Einheimische und Besu- cher aus der Region, gezählt. Im Eröffnungsjahr 2006 besuchten dann rd. 70.000 Personen den Alpinsteig. Selbst wenn man für jeden Besucher nur einen geringen Betrag ansetzt, wird deut- lich, welche regionale Wertschöpfung die Wil- den Wasser generieren.

Markenzeichen der Wilden Wasser ist auch, dass sie ganz stark als regionales Projekt wahr- genommen werden: die Idee stammt aus der Re- gion, die Umsetzung wurde mit Menschen aus der Region fast ausschließlich von regionalen Unternehmen bewerkstelligt. Die „auswärtigen“

Projektbetreuer der freiland ZT-GmbH wiede- rum hatten den Vorteil, ihre Planungs- und Beratungstätigkeit mit der erforderlichen fach- lichen Distanz abwickeln zu können, nachdem das Vertrauen der Projektgruppe erst einmal errungen war. Die starke regionale Verankerung des Projekts blitzt auch heute noch in Gesprä- chen immer wieder auf, dabei ist die Rede von

„unserem Projekt“, unseren „Wilden Wassern“.

Besser kann ein Projekt auch aus Sicht des Pla- ners nicht angenommen werden.

Neben der Benützung durch den Individualgast sind die Wilden Wasser auch Bühne für Exkur- sionen, Fotokurse etc.

Die ökologisch fallweise durchaus heikle Situa- tion wurde durch die Konzentration der Besu- cher auf Weg und Steig entschärft. Der Gast er- hält Einblicke, zu denen er sonst nie gekommen wäre, andererseits garantiert die Wegeführung, dass Störungen des Naturraumes unterbleiben.

Die gestaltende Kraft des Wassers unmittelbar erleben zu können, die Kombination von Erleb- nis und Prozessverständnis schafft unvergess- liche Eindrücke für die Besucher der Wilden Wasser.

Die Frage, welcher Faktor am entscheidendsten für das Gelingen dieses Projekts war, würde ich so beantworten: ganz vorne stehen die Mitglie- der der Projektgruppe der Gemeinde, ohne de- ren Einsatz die Grundbesitzer wohl kaum hät- ten überzeugt werden können. Neben diesem Einsatz bleiben der Teamgeist und die Begeis- terung bei der Arbeit am Projekt in lebendiger Erinnerung.

Oliver Rathschüler

Orientierungsstation Gasthaus Riesachfall, von hier aus starten nicht nur der Alpinsteig sondern viele andere, teils hochalpine Wanderrouten

Startpunkt des Wanderweges Wilde Wasser in Schladming; unten das Computermodell, oben die ausgeführte Variante

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Perspektiven für eine neue

Kultur des öffentlichen Raums

Pilotprojekte und Netzwerke, Ausstellungen und Symposien

Sehr aktiv zeigt sich die Auseinandersetzung rund um den Ideenkreis von Shared Space zurzeit in Graz, wo es neben der Planung von Pilotprojekten in der Region auch intensive theoretische und wissenschaftliche Auseinan- dersetzungen mit dem Thema gibt. Hier werden die Möglichkeiten des Konzepts als Chance be- griffen, Erneuerungen auf zahlreichen Ebenen auszulösen. Denn Shared Space hat sich von seinen Ursprüngen als Verkehrssicherheitskon- zept zu einer komplexen Strategie entwickelt, die zahlreiche Disziplinen in einem kreativen Prozess verbindet. Shared Space ist eine Stra- tegie zur umfassenden Gestaltung des öffentli- chen Raums als Ausdruck, Medium und Bühne des sozialen Lebens. Der öffentliche Raum ist

multifunktional; er wird neu gestaltet und be- lebt, nicht reguliert und zerteilt.

Die Aufenthaltsqualität vor Ort wird zur zent- ralen Kategorie. Shared Space ist der von allen gemeinsam genutzte Raum, der offene Raum im Herzen der Gesellschaft. Sobald das soziale Leben vor Ort intensiv in Erscheinung tritt, fügt sich der Verkehr in das Spiel der menschlichen Beziehungen ein. Die Feindschaft zwischen unterschiedlichen Nutzungsarten tritt in den Hintergrund zugunsten der Integration mög- lichst vieler Aktivitäten. Ziel ist ein Zustand, in dem der Autofahrer vor Ort spürt, dass er hier nur zu Gast ist. Damit das freie Spiel von Gast und Gastgeber zu wirken beginnt, muss jedoch vor Ort die Rolle des – freundlichen, selbstbe- wussten und sichtbaren – Gastgebers besetzt sein. Nur wo der Straßenraum vom Leben vor Ort erzählt, entstehen kulturell hochwertige Straßenmodelle. Damit diese Besetzung glaub- würdig und intensiv wird, sind die möglichst breit angelegten Partizipationsprozesse von zentraler Bedeutung, um Shared Space als ge- sellschaftlichen Prozess lebendig zu machen, der eine Bewusstseinsveränderung auslöst und nicht mit dem physischen Umbau der Straße abgeschlossen ist. Dann wächst das Verständ- nis dafür, dass die Straße in ihrem Kern nicht technische Infrastruktur ist, sondern ein sozia- les Kunstwerk. Ziel, so der australische Vorden- ker David Engwicht zuletzt bei der European Conference on Mobility Management ECOMM 2010 in Graz, sei die Re-democratization of pu- blic space.

Shared Space ist zurzeit zweifellos ei- nes der meist diskutierten Konzepte, wenn es um erneuerte Verkehrs- und Mobilitätskonzepte, mutige Gestal- tungsoptionen im öffentlichen Raum und vitale Prozesse der gesellschaft- lichen Erneuerung geht. In Österreich hat sich eine lebendige Szene rund um das Thema entwickelt: skeptisch oder zuversichtlich, aber auch kont- rovers und mutig, begeistert und äu- ßerst komplex.

Thomas Pilz

beschäftigt sich als Kulturwis- senschaftler und Architekt seit 2007 intensiv mit der Kultur- geschichte des öffentlichen Raums sowie neuen Gestal- tungsstrategien im öffentli- chen Raum. Er ist Mitarbeiter der Forschungsgesellschaft Mobilität Austrian Mobility Research (FGM-AMOR).

(22)

Maßstab für die Qualität des öffentlichen Raums wird die mögliche Anzahl an sponta- nen Erlebnissen. Die bewusste Modellierung der Balance unterschiedlicher Nutzungen entsteht auch aus der selbstbewussten Inszenierung so- zial motivierter, nicht kommerzialisierter Akti- vitäten im Raum. Dass es sich dabei nicht um eine Mode handelt, sondern um Qualitäten des Zeitgeistes, hat das Haus der Architektur (HDA – www.hda-graz.at) in Graz in Zusammenar- beit mit der Forschungsgesellschaft Mobili- tät (FGM – www.fgm.at) in den vergangenen Monaten mit einer Ausstellung zum Thema dokumentiert. Dort waren acht Projekte aus ganz Europa ausgestellt, die die weite Spann- weite unterschiedlicher Lösungen zeigen, die aus dem neuen Gestaltungsansatz entstanden sind. Eva Guttmann, neue Direktorin im Haus der Architektur, freut sich, dass es mit der Aus- stellung und den begleitenden Round-table- Diskussionen gelungen ist, großes Interesse in der Öffentlichkeit zu wecken; das Haus selber sei zu einem shared space geworden, in dem Verkehrsplaner und Architekten, Bürger, Politi- ker, Künstler und Urbanisten einen Denkraum gemeinsam teilen konnten.

Eine Exkursion nach Holland im Herbst 2007

Ausgangspunkt für die Shared Space Begeiste- rung in der Steiermark war eine Exkursion zu wichtigen Projekten in Holland. Vor Ort von der Wirksamkeit des Konzepts überzeugt, hat die für Verkehrsagenden zuständige Landesrätin Kristina Edlinger Ploder politisch die Weichen gestellt, um die angemessene Übertragung des Konzepts nach Südösterreich zu unterstützen.

Seither entstehen Pilotprojekte in verschiede- nen kleineren Ortschaften, um vor Ort zeigen zu können, wie die individuelle Einfügung in den lokalen kulturellen Kontext funktioniert. Die

Forschungsgesellschaft Mobilität FGM aus Graz arbeitet mit einem interdisziplinären Team von Soziologen, Architekten, Verkehrsplanern und Psychologen an der behutsamen Entwicklung der Projekte. Gemeinsam mit den Bürgern vor Ort wird zunächst ein soziales Leitbild entwi- ckelt, das dann schrittweise in einen räumli- chen (architektonischen) Entwurf übertragen wird. Erst dann werden die technischen Ge- sichtspunkte der Verkehrsplanung integriert.

Das Pilotprojekt in Gleinstätten (einer kleinen Marktgemeinde im südsteirischen Weinland) setzt die Shared Space Prinzipien auf einer stark belasteten (dtv 6.800) Durchfahrtsstra- ße um. Durch die Einbindung wichtiger Ne- benräume (Vorbereiche bei Banken, Schulhöfe etc.) gelingt es, den verkehrsdominierten Stra- ßenraum in eine Folge von Plätzen zu verwan- deln, die vom Leben vor Ort erzählen und dem Durchzugsverkehr die Rolle eines Gastes zuwei- sen. Wichtig ist der Ausgleich aller Interessen.

Das Leitsystem für Blinde und Sehbehinderte, das gemeinsam mit Interessensvertretern ent- wickelt wurde, wird bereits jetzt als hoch- wertige Weiterentwicklung von Lösungen in Holland (Haren) und Deutschland (Bohmte) zi- tiert. Insgesamt ist Aufbruchstimmung zu ver- spüren. Bürgermeister Gottfried Schober, bei der Schlußpräsentation des Projekts im Herbst 2009: „Für die Marktgemeinde Gleinstätten bedeutet das Shared Space Projekt eine große Chance zur Erneuerung und Belebung entlang der Durchzugsstraße. In zahlreichen Gesprä- chen kann ich Aufbruchstimmung spüren, die der intensive Planungsprozess bei vielen meiner Mitbewohner ausgelöst hat. Es sind Gestal- tungsideen entstanden, die den Ort wieder at- traktiver erscheinen lassen und ihn als Lebens- raum aufwerten werden.“

(23)

Folgeprojekte in Graz, Velden und Vöck- labruck

Auch in Graz wird mittlerweile ein Pilotprojekt entwickelt. Die Grüne Vizebürgermeisterin Lisa Rücker, zuständig für Verkehr und Umwelt, be- kennt sich zu den Möglichkeiten des Konzepts.

Der Sonnenfelsplatz bietet durch die Nähe zur Universität und die schon jetzt sehr vielfache Nutzung des öffentlichen Raums gute Voraus- setzungen, um einen (verkehrsdominierten) Kreisverkehr in einen lebendigen Platz zu ver- wandeln.

Weitere wichtige Projekte entstehen aber auch in Oberösterreich. Die Dürnau ist ein Wohn- gebiet im Süden von Vöcklabruck. Die zent- rale Straße verbindet – und trennt sozial. Der Shared Space Prozess, an dem große Teile der lokalen Bürgerschaft teilgenommen haben, hat gezeigt, dass Shared Space nicht nur ein Mittel der Integration unterschiedlicher Verkehrsarten ist, sondern auch als Strategie der sozialen In- tegration vor Ort eingesetzt werden kann. Das neue soziale Leitbild und der räumliche Entwurf fi nden große Zustimmung bei allen Bevölke- rungsgruppen. Es ist jetzt Aufgabe der Politik, die Mittel für die Realisierung des Projekts be- reit zu stellen.

In Kärnten wird das touristische Thema der Rollenverteilungen von Gast und Gastgeber als wichtiger Aspekt in der Neuerfassung des öffentlichen Raums wichtig. Das Pilotprojekt in Velden am Wörthersee dient der Integrati- on des Durchzugsverkehrs in das soziale Leben im touristischen Zentralbereich des Ortes. Die Shared Space Prinzipien werden von der lokalen Bevölkerung gut aufgenommen: in einem von vielen Gemeindebürgern getragenen Partizi- pationsprozess hat hier die Forschungsgesell- schaft Mobilität ein räumliches Leitbild ent- wickelt, in dem der gesamte öffentliche Raum als eine zusammenhängende Bühne aufgefasst

wird. Diese Bühne wird je nach Saison unter- schiedlich bespielt. Die Intensität der sozialen Nutzungen bestimmt jeweils den Charakter des Raumes und weist dem Durchzugsverkehr seine Rolle zu.

Shared Space – Shared experience – Shared Knowledge

Neben der Arbeit an den Pilotprojekten bemüht man sich auch um den möglichst breiten und effektiven Austausch von Erfahrungen und den Aufbau von Wissensstrukturen zum Thema. Der Aufbau eines Netzwerks (www.sharedspace.

at) soll das Instrument bilden, um Erfahrungen auszutauschen und Erkenntnisse zu vertiefen.

Gemeinsam mit verschiedenen Universitäten werden die Pilotprojekte wie Laborsituationen betrachtet, um immer besser zu erfassen, wo die Grenze zwischen allgemein gültigen Wir- kungsmechanismen und der jeweils individuell zu erforschenden lokalen kulturellen und so- zialen Situation verläuft. Bei einem Symposi- um in Graz (siehe www.verkehr.steiermark.at/

sharedspace) im März wurden die Perspektiven von Verkehrsplanern mit jenen der Kulturwis- senschaftler gekreuzt. Neben den Begründern des Konzepts wie Ben Hamilton Baillie (Archi- tekt aus Bristol) und Willem Foorthuis (Nach- folger des verstorbenen Hans Monderman am Shared Space Institute in Drachten) traten dort auch Stadtsoziologen wie Klaus Ronneber- ger (Frankfurt) und als Kulturwissenschaftler Wolfgang Pauser (Wien) auf. Neben der aktiven Einbindung der Perspektiven von Forschern, In- teressenvertretern und Planern wurden inten- siv weiterführende Optionen diskutiert, die den Grundansatz des Konzepts in neue Handlungs- felder übertragen: Shared Space als urbanisti- sche Strategie, um den öffentlichen Raum als aktive Größe der Stadtentwicklung immer bes- ser zu etablieren.

Thomas Pilz

(24)

Welche Kommune hat die Erfahrung nicht ge- macht: Anwohner beschweren sich über Ju- gendliche bei nächtlichem Lärm, Mütter kla- gen über Scherben auf dem Spielplatz, ältere Menschen wundern und empören sich über rumhängende Jugendliche, die scheinbar sinn- los ihre freie Zeit verbringen, oder fühlen sich angesichts skatender Jugendlicher auf dem Bahnhofsplatz verunsichert.

Die Raumansprüche und Aneignungsformen Jugendlicher differieren alters- und szenespe- zifi sch. Sind solche Räume nicht vorhanden, schon „besetzt“ oder werden sie von anderen Nutzergruppen, Eigentümern sowie Sicherheits- diensten verwiesen, kommt es zu Problemen.

Interessens- und Nutzungskonfl ikte, aber auch, Alkohol- und Drogenkonsum, Vandalismus und Gewalt prägen verstärkt die Wahrnehmung öf- fentlicher Räume durch Medien, Stadtbewoh- ner und –besucher sowie planende Akteure.

Entsprechend steigt der Handlungsdruck in den Kommunen.

Zudem verursachen die unterschiedlichen Probleme in öffentlichen Räumen vielerorts beträchtliche Folgekosten, sei es durch die Präsenz von Sicherheits- und Ordnungsdiens- ten, das Aufstellen und die Überwachung von Verbotsregelungen, das Beschwerdemanage- ment oder die Beseitigung von Sitzbänken, die intensiv durch Jugendliche genutzt werden.

Diese administrativen, ordnungspolitischen und baulichen Maßnahmen führen nicht selten zu Problemverlagerungen; ohne die Wahrneh- mung der Bedürfnisse Jugendlicher beginnt der Kreislauf von vorn.

Jugendliche

in öffentlichen Räumen

Öffentliche Räume werden von Jugendlichen oft anders interpretiert und angeeignet als von Erwachsenen erwartet und von Planenden vorgesehen. In dem Schweizer Projekt "JugendRaum – Aneignung öffentlicher Räume durch Jugendliche" wird derzeit ein Wissens- und Instrumentenkoffer für Kommunen erarbeitet.

Raimund Kemper

hat Raumplanung in Dortmund und London studiert. Seit 2007 ist er am Institut für Raument- wicklung der Hochschule für Technik Rapperswil in For- schung und Lehre tätig.

Schwerpunktmässig befasst er sich in unterschiedlichen Projekten mit Fragen zur Stadterneuerung, nachhalti- ger Regionalentwicklung und Partizipation.

Ärgernis oder Missverständnis?

Die Problemursache liegt unter anderem da- rin, dass Jugendliche als eigene Nutzergruppe vielerorts nicht vorgesehen sind. Jugendliche brauchen Orte zum selbstbestimmten Auf- enthalt, Orte zum Rückzug sowie Bühnen der Selbstdarstellung und Bewegung. Ihnen fehlt es daher zum einen an Möglichkeitsräumen, was nicht nur mit veränderten Ausdrucksformen der Lebensphase Jugend und einer zunehmend ausdifferenzierten Jugendszene zu tun hat (Ju- gendliche sind alters- und szenebedingt keine homogene Gruppe). Auch der moderne Städte- bau mit der Trennung von Funktionen (Wohnen, Arbeiten, Erholen) sowie die Betreuung bzw. der Aufenthalt von Kindern und Jugendlichen an eigens dafür geschaffenen Orten (Spielplätze, Jugendeinrichtungen) hat dazu geführt, dass der Anspruch, vor jeglicher Störung geschützt zu sein, gestiegen, und die Toleranz gegenüber Jugendlichen im öffentlichen Raum gesunken ist.

Das Projekt JugendRaum erprobt neue Wege

Mit dem Projekt "JugendRaum – Aneignung öf- fentlicher Räume durch Jugendliche" wird das Ziel verfolgt, in Zusammenarbeit von Forschung und Praxis einen Wissens- und Instrumenten- koffer zu entwickeln: Zur Wahrnehmung der Ansprüche und Aneignungsformen Jugendli- cher in öffentlichen Räumen, zur Gestaltung jugendgerechter Räume und zur Entwicklung von Beteiligungsverfahren, unterstützt durch das web-basierte Beteiligungsinstrument PP- GIS (Public Participation Geoinformationssys-

(25)

Jugendliche brauchen Orte zum selbstbestimmten Aufenthalt, Orte zum Rückzug sowie Bühnen der Selbstdarstellung und Bewegung.

Abb. 1: Problemrahmen

Interessens- und Nutzungskonfl ikte unter Nutzer- gruppen, mit Anwohnern oder Eigentümern

Vandalismus, Littering, Verdrängung

Folgekosten: Sicherheits- und Ordnungsdienste, Verbotsergelungen, Beschwerdemanagement, ...

Problemverlagerungen auf andere Orte tem). Um die Interpretationen, Bedürfnisse und

Aneignungsformen Jugendlicher in verschiede- nen Typen öffentlicher Räume (gegliedert nach Gestalttyp, Öffentlichkeitsgrad, sozialer Kont- rolle, funktionaler Bestimmung, Nutzungstyp, z.B. Schulhof, Bahnhofsvorplatz, Park etc.) und ihre Vorschläge zu Verbesserungen zu ermit- teln, wurden Interviews, Fotodokumentation etc. mit Jugendlichen durchgeführt. Aber auch Erwachsene (Anwohner, Geschäftsbetreiber etc.) wurden befragt, um ihre Wahrnehmung zu erfahren.

Erste Erkenntnisse aus dem Projekt

Die nachfolgend dargestellten Erkenntnisse sind das Ergebnis der Auswertung der Befra- gungen (1500 Interviews hauptsächlich mit Jugendlichen) zwischen August und Oktober 2009 in ausgewählten öffentlichen Räumen der genannten Kommunen (ca. 10.000 – 50.000 Ew.). Zwar gibt es kommunal- und vor allem platztypspezifi sche Besonderheiten, die bei der übergreifenden Betrachtung weggeglättet wer- den, dennoch ist die hohe Übereinstimmung der Ergebnisse für eine nicht repräsentativ an- gelegte Befragung erstaunlich.

Wie zufrieden sind die Platznutzer?

Im Allgemeinen sind Jugendliche sowie Er- wachsene zufrieden mit "ihren" Plätzen (siehe Abb. 2). Bei Erwachsenen herrscht ein großes Verständnis für die Bedürfnisse der Jugendli- chen. Eltern beispielsweise beklagen sich über Glas oder Zigarettenstummel auf Spielplätzen, zeigen aber gleichzeitig Verständnis für Ju- gendliche, die sich auf Spielplätzen aufhalten.

(26)

Wie werden die Plätze genutzt?

Rumhängen, Beobachten und soziale Kontakte sind bei allen Platztypen wichtige aber nicht immer die häufi gste und bedeutendste Nut- zungsform Jugendlicher (Siehe Abb. 3). Dabei darf natürlich nicht vergessen werden, dass Ju- gendliche im Vergleich zu Erwachsenen bedeu- tend mehr Zeit im Freien verbringen. Die platz- spezifi schen Nutzungsformen der Jugendlichen ergeben sich aus den vorhandenen Infrastruk- turen und Ausstattungen (z.B. Sportanlagen).

Mit zunehmendem Alter nimmt die Bedeutung der Nutzungsformen Rumhängen und Soziale Kontakte ab und es ist eine Zunahme der Nut- zungen Entspannen, Natur geniessen, Spielen mit Kindern festzustellen. Das heißt, während Jugendliche in allen Platztypen „rumhängen“, ist die Nutzungsart mit zunehmendem Alter zweckorientierter, wiederum dem vorhandenen Platzcharakter und der Ausstattung entspre- chend. So sind auch für Jugendliche Grünräu- me Orte zum Entspannen. Die Umgebung und die Aussicht genießen jedoch tendenziell eher Erwachsene.

Was ist positiv, was negativ?

Befragt nach der Bewertung konnte festge- stellt werden, dass über alle Platztypen über- durchschnittlich die Atmosphäre sowie die anzutreffenden Leute positiv bewertet werden (überdurchschnittlich von Jugendlichen), die Platzgestaltung, der Pfl egezustand/Sauberkeit sowie die Atmosphäre hingegen negativ. Bei funktionsbestimmten Plätzen wie Schularealen oder Jugend- und Freizeiteinrichtungen wird von Jugendlichen die Verregelung kritisiert (Verbote, Kontollen). Nutzungskonfl ikte be-

26 - 99 jährig und mehr 20 - 25 jährig

16 - 19 jährig 12 - 15 jährig 0

20 40 60 80 100

Teilweise Ja

Nein

Abb. 2: Eignung des Ortes für Nutzung (nach Altersklassen)

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0 10 20 30 40 50 60 70 80

Genussmittel konsumieren Durchgangszone Wartezeit

Pause

Umgebung geniessen Spielplatz Eltern mit Kindern

Soziale Kontakte

Entspannen, Natur geniessen Rumhängen, Beobachten

26 - 99 jährig und mehr 20 - 25 jährig

16 - 19 jährig 12 - 15 jährig

Abb. 3: Aneignungsformen aller Altersklassen über alle Plätze

stehen selten zwischen unterschiedlichen Ju- gendgruppen; häufi ger sind Beschwerden von Anwohnern. Dabei dominiert der Lärmaspekt.

Jugendliche fühlen sich an vielen Plätzen als Problemgruppe wahrgenommen (Polizei, ande- re Raumnutzer, Anwohner).

Welche Ideen und Verbesserungsvor- schläge gibt es?

Über alle Platztypen werden Verbesserungen zur Ausstattung (Sitzgelegenheiten, Sport- und Spielgeräte), Witterungsschutz, Platzge- und ausgestaltung (Grünelemente, Bodenbelag), Sauberkeit vorgeschlagen. Gerade Jugendliche wünschen sich Ausstattungen, die ihnen einen unkomplizierten, ununterbrochenen Aufenthalt im öffentlichen Raum ermöglichen. Dabei geht es insbesondere um Witterungsschutz, Trinkge- legenheiten (Brunnen) und sanitäre Anlagen.

Hier spielt auch der fi nanzielle Aspekt eine Rol- le, sind doch die letzten beiden Punkte häufi g mit Kosten verbunden. Es fällt auf, dass seitens der Befragten, Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen, eher kleine Veränderungen ge- wünscht sind, die der alltäglichen Nutzung der öffentlichen Räume dienen. Große Projekte und Investitionen, wie häufi g von den Kommunen befürchtet, sei es ein neues Schwimmbad oder ein kompletter Skaterpark, spielten keine Rolle.

Besteht ein Interesse an Beteiligung und Mitwirkung?

Auf die Frage, ob ein Interesse an einer Beteili- gung und Mitwirkung zur Verbesserung „ihrer“

öffentlichen Räume bestünde, antworteten rund 45% der Befragten mit Ja. Angesichts der Tatsache, dass es nicht um konkrete Pro-

jekte mit großer anzunehmender B e t r o f f e n h e i t ging, ist dieser Wert als hoch einzuschätzen und möglicher- weise auf die große Nähe vie- ler Plätze zu den Wohnungen und auf das geweck- te Interesse nach dem Interview zurückzuführen.

Aus Befragungen werden Projekte

Damit nicht nur für sondern auch mit Jugend- lichen geplant wird, werden in den Kommunen mit der Kinder- und Jugendförderung Schweiz (Infoklick) jugendgerechte Beteiligungsverfah- ren in Form von Mitwirkungstagen durchgeführt, das den jugendlichen Interessen, Möglichkeiten und Besonderheiten (szene- und alterstypisch) gerecht wird. Damit soll der Kreislauf von Prob- lembehebung – Problemverlagerung durchbro- chen, Verantwortungsbewusstsein und Engage- ment gestärkt und so letztlich organisatorische (Konfl iktmanagement) und investive Kosten (Beseitigung von Vandalismusschäden) einge- spart werden. Bisher fanden in zwei Kommunen Mitwirkungstage, an denen auch Vertreter aus Politik und Verwaltung mitwirkten, statt. Dabei wurden die Ergebnisse der breiten Öffentlichkeit vorgestellt und in Workshops diskutiert sowie Ideen und konkrete Projektvorschläge ausgear- beitet. In Arbeitsgruppen, die am Mitwirkungs-

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26 - 99 jährig und mehr 20 - 25 jährig

16 - 19 jährig 12 - 15 jährig

tag gebildet wurden, konnten die Vorschläge konkretisiert und zu Handlungsempfehlungen weiterentwickelt werden. Die Projektideen kon- kretisierten meist die Ergebnisse der Befragung und reichen von Trinkbrunnen über Klappstuhl- verleihe am Seeufer bis hin zu einer Umbenen- nung von Plätzen oder einer stadtweiten Müll- vermeidungsstrategie. Die Ergebnisse wurden im Rahmen einer Ergebniskonferenz der Öf- fentlichkeit präsentiert und dem Stadtrat über- geben. Bei der Umsetzung der Projekte werden wieder die Bewohner einbezogen.

Resümee

Die Auswahl der Untersuchungsräume erfolgte häufi g aufgrund der Wahrnehmung als "Prob- lemraum" oder "Brennpunkt", wo mehr Kont- rollen nötig schienen oder der zunehmenden Vermüllung nachgegangen werden sollte. Die Befragung ergab, dass Jugendliche sowie Er- wachsene im Allgemeinen zufrieden mit "ihren"

Plätzen sind und sie kostenmäßig vergleichs- weise kleine aber für die alltägliche Raumnut- zung wichtige Verbesserungen vorschlagen.

Jugendliche fühlen sich an vielen Plätzen als Problemgruppe wahrgenommen (durch Polizei, andere Raumnutzer, Anwohner) und mit we- nigen problematischen Jugendlichen in einen Topf geworfen. Es entsteht der Eindruck, dass sich wenige (Anwohner, Ladenbesitzer) häufi g über wenige Jugendliche beschweren, jedoch viele Jugendliche für die Probleme verantwort- lich gemacht werden. So entsteht eine verzerr- te Wahrnehmung in der Verwaltung (Niemand hat der Verwaltung seine Zufriedenheit mit den öffentlichen Räumen kundgetan). Aus Räumen zum Entspannen, Rumhängen, Spielen oder Sport werden Brennpunkte. Die Gefahr besteht

darin, dass in der Verwaltung ein Handlungs- bedarf an den eigentlichen Bedürfnissen vorbei entwickelt wird. Massnahmen wie Verweise oder mehr Sicherheitskontrollen führen eher zu einer Verlagerung von Problemen, teils weg von öffentlichen Plätzen hin zu Wohngebieten, wo- durch sich die Konfl ikte verschärfen können.

Als ein organisatorisches Erfolgskriterium hat sich die breite Abstützung des Projekts durch eine interdisziplinäre Steuergruppe erwiesen.

So entwickelte sich die notwendige Dynamik für eine schnelle Konzept- und Umsetzungs- phase. Das Projekt blieb ständig in den Köpfen präsent – „es tut sich was“. Das Interesse an den öffentlichen Räumen und an einer Mitwirkung ist groß, wenn man die Jugendliche, Anwohner etc. vor Ort "abholt". Die direkte Betroffenheit fördert das Engagement, insbesondere bei Aus- sicht auf Realisierung von vorgeschlagenen Ideen. Durch Beteiligung und Mitwirkung wird das Problembewusstsein, aber auch die Identi- fi kation mit dem gemeinsam Geschaffenen und Gestalteten gestärkt und somit die Qualität der Resultate nachhaltig gesichert. Es konn- te auch durch den Einbezug der Erwachsenen (Anwohner, Geschäftsbetreiber etc.) ein „Zu- rechtrücken“ der allgemeinen vorherrschenden Problemsicht auf Jugendliche in öffentlichen Räumen erreicht werden. Schließlich ist der po- litische Wille ein entscheidender Faktor, damit das Engagement nicht in einem Wunschzettel für die Schublade endet.

Raimund Kemper

Abb. 4: Beteiligungsinteresse nach Altersklassen Vertreter aus Politik und Verwaltung sind bei den Mitwirkungstagen gefragt, um aus den

Ergebnissen der Befragung Projekte zu gestalten.

0 10 20 30 40 50 60

Vielleicht Ja

Nein

Links

» www.irap.ch

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Die Uni vor Ort

Für die Lehre und Forschung an der Universi- tät für Bodenkultur Wien (BOKU) ist der Blick über die Grenzen Programm. Der Praxisbezug ist zentraler Bestandteil der Ausbildung in der Studienrichtung ‚Landschaftsplanung und Landschaftsarchitektur‘. In Zusammenarbeit mit der Kärntner Landeshauptstadt Klagenfurt, Abteilung Stadtgarten unter der Leitung von Dipl.-Ing. Heinz Blechl, haben 25 Studierende mit 2 TutorInnen und mir als Lehrveranstal- tungsleiterin eine Woche vor Ort an planeri- schen Aufgaben, lösbaren und unlösbaren, ge- arbeitet. Die umfangreichen Ergebnisse dieser projektorientierten Übung im 4. Semester wur- den im Plenum mit Vertretern der Abteilungen Stadtgarten und Stadtplanung diskutiert.

Studien- und Forschungsort war das Gebiet zwischen Völkermarkter und Pischeldorfer Straße in Klagenfurt-Ost, da hier die Abteilung Stadtgarten planerische Probleme und Hand- lungsbedarf erwartet. Dabei handelt es sich um zwei sehr unterschiedliche Siedlungsgebiete,

die von neun Arbeitsgruppen mit unterschiedli- chen Themenstellungen untersucht wurden. In der fünftägigen Projektarbeit vor Ort wurden die Arbeitsergebnisse des Tages abends vervoll- ständigt, im Plenum der Studierenden und Leh- renden refl ektiert. In Wien wurde danach ein umfassender Projektbericht erstellt.

Gute Bau- und Freiraumstrukturen aus schlechten Zeiten

Die Siedlung Haidach/Welzenegg aus den 1950er Jahren überzeugt durch Hausbebau- ung auf ehemaligen Selbstversorgerparzellen und bietet Lebensqualität mit Innen- und Au- ßenhaus (I. M. Hülbusch, 1978) für alle. Die zur Straße orientierten freistehenden Häuser mit großen Gärten werden aktuell den Lebenspha- sen der BewohnerInnen angepasst. Gemein- sam älter werden und gegebenenfalls dichter mit der nächsten Generation zusammenrücken wird durch bauliche Nachverdichtung auf der Parzelle ermöglicht und stellt ein sozial und städtebaulich nachhaltiges Konzept dar. Die

FREIRÄUME als Grundlage

nachhaltiger Stadtentwicklung

Studierende der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) haben im Rahmen einer projektorien- tierten Lehrveranstaltung einen freiraumplanerischen Beitrag zum Stadtentwicklungskonzept (SEK) für Klagenfurt-Ost, Stadtteil Welzenegg, erarbeitet und mit Vertretern des Gartenamts und der Stadtplanung diskutiert. Für alle Beteiligten war es ein Blick über die Grenzen der Disziplinen und Institutionen, ein Freiraum für Erfahrungen und ein Dazuler- nen.

Uni vor Ort in Klagenfurt

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