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Entscheidungen - Keine Verletzung der Pressefreiheit durch Mitbestimmung des Betriebsrats bei Festlegung der Arbeitszeit von Mitarbeitern eines Presseunternehmens - Tendenzbestimmung und Tendenzverwirklichung der Verleger

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Aktie "Entscheidungen - Keine Verletzung der Pressefreiheit durch Mitbestimmung des Betriebsrats bei Festlegung der Arbeitszeit von Mitarbeitern eines Presseunternehmens - Tendenzbestimmung und Tendenzverwirklichung der Verleger"

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- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Bernd Michael Rosenberger und Partner, Rödingsmarkt 9, Hamburg -

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2 BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BVR 505/95 -

In dem Verfahren über

die Verfassungsbeschwerde der G... mbH,

vertreten durch die Geschäftsführer

gegen a) den Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 31. Januar 1995 - 1 ABN 33/94 -,

b) den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 29. Juni 1994 - 8 TaBV 3/94 -,

c) den Beschluß des Arbeitsgerichts Berlin vom 26. November 1993 - 36 BV 410/93 -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Papier

und die Richter Grimm, Hömig

gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntma- chung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 15. Dezember 1999 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Mitbestimmung des Betriebsrats nach dem Betriebsverfassungsgesetz bei der Festlegung des Arbeitszeitbeginns von Mitarbeitern eines Presseunternehmens.

I.

1. Die Beschwerdeführerin gibt die Tageszeitung "Berliner Kurier" heraus, die an sieben Tagen in der Woche erscheint. Sie beschäftigt etwa 150 Arbeitnehmer. Nach- dem die Beschwerdeführerin sich für die Einführung eines Nachthandels entschlos- sen hatte und deshalb die bisher auf 23.00 Uhr festgelegte Sollandruckzeit für einen Teil der Auflage auf 21.00 Uhr vorverlegt worden war, ordnete sie ohne Beteiligung des Betriebsrats die Vorverlegung des Arbeitszeitbeginns der Spätdienste um 1,5 Stunden an. Betroffen waren hiervon Produktionsassistentinnen, Botinnen, eine Kor- rektorin und eine Sekretärin. Der normale Spätdienst wurde hierbei auf die Zeit von

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7 13.30 Uhr bis 22.00 Uhr (zuvor: 15.00 Uhr bis 23.30 Uhr) festgesetzt, der Spätdienst

auf die Zeit von 15.30 Uhr bis 24.00 Uhr (zuvor: 17.00 Uhr bis 1.30 Uhr). Hierdurch reduzierten sich die von den Arbeitnehmern zu erzielenden Nachtzuschläge.

Daraufhin beantragte der Betriebsrat der Beschwerdeführerin beim Arbeitsgericht die Feststellung, daß die Anordnung der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Vorver- legung des Arbeitszeitbeginns der Spätdienste rechtswidrig ist. Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt:

Die Beschwerdeführerin habe das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß

§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG hinsichtlich des Beginns und Endes der täglichen Arbeits- zeit nicht beachtet. § 118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG stehe dem Mitbestimmungsrecht nicht entgegen. Durch diese Vorschrift werde das Mitbestimmungsrecht nur dann ausge- schlossen, wenn es sich um eine tendenzbezogene Maßnahme handele und die geistig-ideelle Zielsetzung des Unternehmens und deren Verwirklichung durch die Beteiligung des Betriebsrats ernstlich beeinträchtigt werden könne. Dies gelte auch für den Bereich der Presseunternehmen. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats müßten nur insoweit zurücktreten, wie durch ihre Ausübung die Freiheit des Verle- gers zur Tendenzbestimmung und Tendenzverwirklichung ernsthaft beeinträchtigt und damit das Grundrecht auf Pressefreiheit verletzt werden könne. Da es bei der Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten zunächst um den wertneutralen Arbeits- ablauf des Betriebs gehe, komme eine Einschränkung des Mitbestimmungsrechts nur in Ausnahmefällen in Betracht (Bezugnahme auf BAGE 69, 187).

Zwar müsse es dem Verleger bei der Arbeitszeitgestaltung von Tendenzträgern, insbesondere von Redakteuren, vorbehalten bleiben, die Entscheidungen, durch die die Aktualität der Berichterstattung berührt werde, unbeeinflußt vom Mitbestim- mungsrecht des Betriebsrats zu treffen, jedoch verbleibe ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, soweit - wie hier - im Rahmen der tendenzbezogenen Zeitvorgaben die Arbeitszeiten technisch-organisatorisch umgesetzt würden.

Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Beschwerdeführerin hat das Landesar- beitsgericht zurückgewiesen. Die Beschwerdeführerin berufe sich zu Unrecht auf

§ 118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Danach fänden die Vorschriften des Betriebsverfassungs- gesetzes auf die dort genannten Unternehmen und Betriebe keine Anwendung, so- weit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs dem entgegenstehe. Die For- mulierung "soweit" belege, daß der Tendenzschutz inhaltlich ausgelotet und abgegrenzt werden müsse.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Kam- mer anschließe, stehe die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs dem Beteili- gungsrecht des Betriebsrats überhaupt nur dann entgegen, wenn die Maßnahme Ar- beitnehmer betreffe, für deren Tätigkeit die Bestimmungen und Zwecke der in § 118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG genannten Unternehmen und Betriebe prägend seien, die soge- nannten Tendenzträger. Auch für diese würden die Mitbestimmungsrechte aber nur insoweit ausgeschlossen, wie ihnen die Eigenart des Unternehmens oder des Be-

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10 triebs entgegenstehe, was nicht bei allen Maßnahmen der Fall sei, von denen Ten-

denzträger betroffen seien. Vielmehr müsse es sich jeweils um eine tendenzbezoge- ne Maßnahme handeln.

Bezogen auf den vorliegenden Fall sei zunächst festzustellen, daß keiner der von der streitbefangenen Arbeitszeitfestlegung in den Spätschichten betroffenen Mitar- beiter zu den Tendenzträgern gehöre. Zweck der Berichterstattung oder Meinungs- äußerung seien hiernach ersichtlich nicht prägend für die Tätigkeit dieser Mitarbeiter, was unter den Beteiligten nicht im Streit sei. Dann könne aber an diesem Punkt be- reits festgestellt werden, daß mangels betroffener Tendenzträger das Mitbestim- mungsrecht des Betriebsrats bei der Festsetzung der Arbeitszeiten für die beiden Spätschichten weder zurückgedrängt werde noch gar entfalle.

Zwar treffe es zu, daß der gesamte technisch-organisatorische Ablauf einer Zei- tungsproduktion der erstrebten Aktualität der Berichterstattung diene. Dies reiche al- lerdings nicht aus, um die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in diesem technisch-organisatorischen Bereich bereits entfallen zu lassen. Vorliegend könne die Frage unentschieden bleiben, ob im Fall einer zwingenden Arbeitszeitgestaltung aus Gründen der Aktualität der Berichterstattung das Mitbestimmungsrecht des Be- triebsrats auch für Nichttendenzträger zurückgedrängt werden oder entfallen könne.

Denn die Beschwerdeführerin habe dies für die von ihr einseitig festgesetzten Ar- beitszeiten der beiden Spätschichten schon in tatsächlicher Hinsicht nicht schlüssig dargelegt. Gerade weil der Festsetzung dieser Zeiten ein kalkulatorisches Element innewohne, sei die Mitbeurteilung des Betriebsrats aus seiner Kenntnis der Produkti- onsabläufe und schließlich seine Mitbestimmung gefragt. Dabei habe er die tendenz- bezogenen Vorgaben der Beschwerdeführerin wie den Redaktionsschluß, den frü- hen Andrucktermin und den Fortdrucktermin selbstverständlich zu beachten.

Schließlich könne die Beschwerdeführerin auch nicht wegen des zeitlichen Auf- wands, der für dieses Mitbestimmungsverfahren, gegebenenfalls unter Einschaltung einer Einigungsstelle, benötigt werde, den Tendenzschutz für die Aktualität der Be- richterstattung reklamieren. Es sei Sache der Unternehmensleitung, den Betriebsrat über geplante Veränderungen rechtzeitig zu unterrichten und ihm Gelegenheit zur Mitbestimmung zu geben. Auch für künftige Änderungen von tendenzbedingten Zeit- vorgaben könne unter Beachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats Vor- sorge getroffen werden. Es gebe durchaus Möglichkeiten, im Rahmen einer Betriebs- vereinbarung hierfür vorab generelle Regeln aufzustellen, wie hinsichtlich des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats verfahren werden solle, sei es, daß für eine bestimmte Anzahl von kurzfristigen Veränderungen pro Monat oder während eines anderen Zeitraums der Unternehmer freie Hand bekomme, diese anzuordnen und den Betriebsrat im nachhinein zu unterrichten, oder sei es, daß eine andere Form der Flexibilität bereits für bestimmte Fälle vereinbart werde. Gerade weil mit einer derarti- gen in Ruhe und unabhängig von aktuellen Veränderungen ausgehandelten Be- triebsvereinbarung für den konkreten Eilfall selbst Zeit gespart werde, stelle der Hin- weis auf die Dauer eines Einigungsstellenverfahrens kein Argument für den Wegfall

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15 des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats aus Gründen des Tendenzschutzes dar.

Das Landesarbeitsgericht hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht nicht zugelassen. Die hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat das Bundesarbeitsgericht zurückgewiesen, weil die Voraussetzungen der allein auf Di- vergenz gestützten Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht vorlägen.

2. Mit ihrer fristgerecht zunächst gegen die Entscheidungen des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts eingelegten und später auf den Beschluß des Bundesar- beitsgerichts erweiterten Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und macht im wesentlichen geltend:

Soweit die Ausübung eines Mitbestimmungsrechts im Sinn von § 87 Abs. 1 BetrVG Tendenzbezug habe, sei regelmäßig auch eine "erhebliche" Beeinträchtigung der Tendenzverwirklichung und damit ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gege- ben. Wenn die Umsetzung einer tendenzbedingten Unternehmerentscheidung erst nach Ermöglichung der Mitbestimmung des Betriebsrats rechtswirksam wäre, liege allein in der Eröffnung des Mitbestimmungsrechts für den Betriebsrat eine Beein- trächtigung der Tendenzautonomie, die als solche stets erheblich sei. Die Tendenz- beeinträchtigung werde auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß entsprechend der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 30. Januar 1990 (= BAGE 64, 103) der Tendenzschutz in dem Verfahren vor der Einigungsstelle hinreichende Berücksichti- gung finden solle. Bei der Verlagerung der Entscheidung auf die Einigungsstelle wer- de die Tendenzautonomie des Verlegers ebenso fremden Einflüssen ausgesetzt wie bei der Mitbestimmung des Betriebsrats. Im übrigen könne die Einigungsstelle einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG schon deshalb nicht mehr verhindern, weil das Einigungsstellenverfahren erst beginne, nachdem die Pressefreiheit des ten- denzgeschützten Arbeitgebers, nämlich die unmittelbare Umsetzung der tendenzbe- dingten Unternehmerentscheidung, bereits beeinträchtigt sei.

Die Möglichkeit der Beeinträchtigung der grundrechtlich geschützten Tendenzauto- nomie werde nicht dadurch ausgeschlossen, daß nach dem Leitbild des Gesetzge- bers bei der Mitbestimmung des Betriebsrats die Betriebsparteien vertrauensvoll zu- sammenarbeiten sollten. Der diesem Leitbild zugrunde liegende Idealfall könne nicht generalisierend für jeden Fall der Umsetzung einer Tendenzentscheidung im Presse- betrieb zugrunde gelegt werden. Insoweit berücksichtige das Landesarbeitsgericht nicht die grundsätzlich stets bestehende Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Ak- tualität der Berichterstattung einer Zeitung bei Anerkennung eines Mitbestimmungs- rechts des Betriebsrats trotz der Notwendigkeit unmittelbarer und kurzfristiger Umset- zung von Tendenzentscheidungen. Gerade weil hier eine Beeinträchtigung der Tendenzautonomie durch Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden könne, bleibe nur ein abstrakt-genereller Ausschluß der Mit- bestimmung bei der hier fraglichen Maßnahme im Arbeitszeitbereich, um den verfas- sungsrechtlichen Anforderungen gerecht zu werden.

Die Gerichte hätten zudem verkannt, daß bei Umsetzung von Tendenzentscheidun-

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21 gen durch Arbeitszeitmaßnahmen im Presseunternehmen nicht zwischen rein or-

ganisatorischen und tendenzbezogenen Maßnahmen unterschieden werden könne.

Der Verleger und die redaktionellen Mitarbeiter des Verlags seien bei der Veröffentli- chung der redaktionellen Beiträge auf die Mitarbeiter im technisch-organisatorischen Produktionsablauf und auf die Einhaltung von Zeitvorgaben auch durch die dort tä- tigen Mitarbeiter notwendig angewiesen. Insoweit seien der Mitbestimmung des Be- triebsrats im sozialen Bereich verfassungsrechtliche Grenzen bei Arbeitszeitregelun- gen sowohl für Tendenzträger als auch für Mitarbeiter bei der Produktion der Zeitung in gleicher Weise gesetzt.

Zu Unrecht habe das Landesarbeitsgericht auf das kalkulatorische Element von Ar- beitszeitvorgaben abgehoben. Da sämtliche Arbeitszeitvorgaben ein solches Ele- ment aufwiesen, werde die Mitbestimmungsfreiheit von Arbeitszeitvorgaben im Ten- denzbereich auf praktisch ausgeschlossene Fallgestaltungen beschränkt. Das verletze das Grundrecht der Pressefreiheit ebenso wie die generelle Anerkennung von Mitbestimmungsrechten im Tendenzbetrieb.

Das Bundesarbeitsgericht habe mit der Zurückweisung der Nichtzulassungsbe- schwerde aus formalen Gründen die Verletzung verfassungsmäßiger Rechte der Be- schwerdeführerin durch die vorangegangenen instanzgerichtlichen Entscheidungen perpetuiert und damit ebenfalls das Grundrecht auf Pressefreiheit verletzt.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die An- nahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor.

1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die maßgeblichen verfassungs- rechtlichen Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hin- reichend geklärt (vgl. insbesondere BVerfGE 52, 283).

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin auf Pressefreiheit angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

a) Soweit die Beschwerdeführerin die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts an- greift, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil bereits die Möglichkeit der Verletzung des Grundrechts auf Pressefreiheit nicht in Betracht kommt. Das Bundes- arbeitsgericht hat lediglich über die Frage der Zulassung der Revision entschieden und diese mangels Vorliegens des allein geltend gemachten und im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72 a Abs. 1 ArbGG ausschließlich möglichen Revisionszulassungsgrundes der Divergenz verneint. Es ist nicht ersichtlich und von der Beschwerdeführerin auch nicht geltend gemacht, daß die Rechtsanwendung des Bundesarbeitsgerichts einfachrechtlichen oder verfassungsrechtlichen Bedenken un- terliegt.

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26 b) Die hinsichtlich der Entscheidungen des Arbeitsgerichts und des Landesarbeits-

gerichts zulässige Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Sie verstoßen nicht ge- gen das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.

aa) Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine betriebsverfassungsrechtliche Streitig- keit, die sich nach Vorschriften des Arbeitsrechts, namentlich § 118 Abs. 1 Satz 1 Be- trVG, beurteilt, deren Auslegung und Anwendung Sache der dafür zuständigen Ar- beitsgerichte ist. Das Bundesverfassungsgericht prüft lediglich nach, ob dabei die grundrechtlichen Normen und Maßstäbe beachtet worden sind (vgl. BVerfGE 42, 143

<148>). Der verfassungsrechtlichen Überprüfung unterliegt daher nur die Frage, ob die vom Bundesarbeitsgericht gefundene Auslegung mit den verfassungsrechtlichen Geboten der insoweit als Prüfungsmaßstab allein in Betracht kommenden Pressefrei- heit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) im Einklang steht, auf die die Beschwerdeführerin sich als Verlegerin berufen kann (vgl. BVerfGE 52, 283 <295>).

bb) Das Grundrecht der Pressefreiheit umfaßt die Freiheit, die Tendenz einer Zei- tung festzulegen, beizubehalten, zu ändern und diese Tendenz zu verwirklichen; dies ist eine Grundbedingung freier Presse, wie sie durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewähr- leistet wird. Aufgabe der Presse ist es, umfassende Information zu ermöglichen, die Vielfalt der bestehenden Meinungen wiederzugeben und selbst Meinungen zu bilden und zu vertreten. Das setzt die Existenz einer relativ großen Zahl selbständiger, vom Staat unabhängiger und nach ihrer Tendenz, politischen Färbung oder weltanschauli- chen Grundhaltung miteinander konkurrierender Presseerzeugnisse voraus, die ih- rerseits davon abhängt, daß die Grundrichtung einer Zeitung unbeeinflußt bestimmt und verwirklicht werden kann. Dem Staat sind insoweit nicht nur unmittelbare Eingrif- fe, vor allem in Gestalt eigener Einflußnahme auf die Tendenz von Zeitungen, ver- wehrt; er darf auch nicht durch rechtliche Regelungen die Presse fremden - nicht- staatlichen - Einflüssen unterwerfen oder öffnen, die mit dem durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG begründeten Postulat unvereinbar wären, der Freiheit der Presse Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 52, 283 <296>).

Demgemäß steht auch dem Betriebsrat unter verfassungsrechtlichen Aspekten ein Einfluß auf die Tendenz der Zeitung nicht zu. Ein solcher Einfluß wäre ein "fremder";

seine Begründung würde zu einer Einschränkung der Pressefreiheit des Verlegers führen (vgl. BVerfGE 52, 283 <296 ff.>). Eine solche Einschränkung erlaubt § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG aber nicht. Denn diese Vorschrift beschränkt die Pressefreiheit nicht, vielmehr schirmt sie sie gerade - im Rahmen der Reichweite der Norm - vor ei- ner Beeinträchtigung durch betriebliche Mitbestimmungsrechte ab (vgl. BVerfGE 46, 73 <95>). Die Anwendung von Mitbestimmungsrechten ist, soweit durch sie die Pres- sefreiheit eingeschränkt würde, durch § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ausgeschlossen (vgl. BVerfGE 52, 283 <299>).

§ 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist mithin keine grundrechtsbegrenzende, sondern eine grundrechtsausgestaltende Regelung, bei deren Auslegung und Anwendung es nicht auf das Gewicht der durch die in Frage stehenden Mitbestimmungsrechte geschütz-

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31 ten Belange der Arbeitnehmer ankommt. Soweit für die Auslegung grundrechtsge-

staltender Regelungen auch das Sozialstaatsprinzip heranzuziehen ist, darf dies nicht in eine Beschränkung des Grundrechts auf Pressefreiheit umschlagen (vgl.

BVerfGE 52, 283 <299>).

cc) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen die Entscheidungen des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts. Die ihnen zugrunde liegende Auslegung des § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG eröffnet dem Betriebsrat nicht einen mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbaren Einfluß auf die Tendenz der Zeitung.

Die Gerichte sind im Ansatz davon ausgegangen, daß Beteiligungsrechte des Be- triebsrats nur insoweit zurücktreten müßten, wie durch ihre Ausübung die Freiheit des Verlegers zur Tendenzbestimmung und Tendenzverwirklichung ernsthaft beeinträch- tigt und damit das Grundrecht der Pressefreiheit verletzt werden könne. Hiergegen bestehen verfassungsrechtliche Bedenken nicht. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt, daß der Verleger seine Tendenzentscheidungen unbeeinflußt fassen und verwirkli- chen kann. Nur soweit eine Einschränkung dieser Freiheit zu besorgen ist, müssen Beteiligungsrechte von Verfassungs wegen ausgeschlossen bleiben. Eine solche Gefahr ist nicht schon generell bei jeder Beteiligung an der Umsetzung einer ten- denzbedingten Unternehmerentscheidung gegeben. Allein der Umstand, daß eine Maßnahme der Umsetzung einer Tendenzentscheidung dient, besagt noch nichts darüber, ob mit einer Einflußnahme auf die Ausgestaltung der Maßnahme eine Ein- schränkung der Verwirklichung der Tendenzentscheidung einhergeht. Vielmehr hängt dies im Einzelfall von der jeweiligen Maßnahme und deren konkreten Auswir- kungen für die Tendenzverwirklichung ab.

Vorliegend haben die Gerichte eine Einschränkung der Tendenzverwirklichung ver- neint, weil sich das geltend gemachte Mitbestimmungsrecht lediglich auf die technisch-organisatorische Umsetzung der mitbestimmungsfreien tendenzbezoge- nen Zeitvorgaben hinsichtlich der (veränderten) Sollandruckzeiten beschränkt. Auch hiergegen bestehen verfassungsrechtliche Bedenken nicht.

Eine unmittelbare Einflußnahme auf die dem Tendenzschutz unterliegende Ent- scheidung zur Einführung eines Nachthandels und die demgemäß erfolgte Festle- gung geänderter Sollandruckzeiten ist damit ausgeschlossen. Auch eine Beeinträch- tigung der Verwirklichung dieser Tendenzentscheidung ist mit der Anerkennung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats hinsichtlich der hier in Rede stehenden be- triebsorganisatorischen Umsetzung dieser Zeitvorgaben nicht verbunden.

Eine solche Beeinträchtigung ergibt sich entgegen der Auffassung der Beschwerde- führerin nicht daraus, daß die Kalkulation von Arbeitszeitvorgaben infolge einer Vor- verlegung des Erscheinungstermins der Zeitung stets eine unmittelbare Folge der Tendenzentscheidung ist. Denn nicht die Kalkulation, sondern nur das Ziel der unge- hinderten Verwirklichung der Tendenzentscheidung muß mitbestimmungsfrei blei- ben.

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34 Es kommt auch nicht darauf an, ob im Falle der Notwendigkeit einer unmittelbaren

und kurzfristigen Umsetzung einer Tendenzentscheidung das Mitbestimmungsrecht zurückzutreten hat, weil eine Beteiligung des Betriebsrats eine die Tendenzverwirkli- chung beeinträchtigende Zeitverzögerung mit sich brächte. Denn hierfür ist vorlie- gend nichts ersichtlich. Es ist weder dargelegt noch ergibt sich dies aus den angegrif- fenen Entscheidungen, daß die Beschwerdeführerin sich kurzfristig für die Einführung eines Nachthandels entschieden hätte und die Beteiligung des Betriebs- rats deshalb einer fristgerechten Umsetzung entgegengestanden haben könnte.

Soweit zukünftig kurzfristige Änderungen des Arbeitszeitbeginns zum Zweck der betriebsorganisatorischen Umsetzung von Tendenzentscheidungen notwendig wer- den könnten, kann hierfür nach den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts auch unter Beachtung des Mitbestimmungsrechts Vorsorge etwa im Rahmen einer Be- triebsvereinbarung getroffen werden. Damit kann hinreichend sichergestellt werden, daß die Verwirklichung von Tendenzentscheidungen auch in Eilfällen ohne Verzöge- rung erfolgen kann.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Papier Grimm Hömig

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Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. Dezember 1999 - 1 BvR 505/95

Zitiervorschlag BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. Dezem- ber 1999 - 1 BvR 505/95 - Rn. (1 - 34), http://www.bverfg.de/e/

rk19991215_1bvr050595.html

ECLI ECLI:DE:BVerfG:1999:rk19991215.1bvr050595

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