• Keine Ergebnisse gefunden

Beitrag: Milliarden-Gewinne statt Klimaschutz Die Profiteure vom Emissionshandel

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Beitrag: Milliarden-Gewinne statt Klimaschutz Die Profiteure vom Emissionshandel"

Copied!
6
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Manuskript

Beitrag: Milliarden-Gewinne statt Klimaschutz – Die Profiteure vom Emissionshandel

Sendung vom 5. Oktober 2021

von Hans Koberstein, Olaf Lippegaus und Ana Pecanic

Anmoderation:

Es gibt bereits eine Idee, damit die Industrie ganz von selbst und aus eigenem Interesse klimafreundlicher wird. Nennt sich Emissionshandel. Für jede ausgestoßene Tonne des

Treibhausgases CO2 muss die Industrie demnach sogenannte Emissionszertifikate kaufen. Je schmutziger Stahl, Zement- oder Chemiekonzerne also produzieren, desto teurer kommt es sie. Ein Anreiz für mehr Klimaschutz - soweit die Idee. Nur läuft es in der Realität oft umgedreht. Je schmutziger die Industrie, desto mehr kann sie beim Emissionshandel gewinnen – und zwar Milliarden Euro. Wie kann das sein?

Hans Koberstein und Olaf Lippegaus erklären, wie sich Klimaschutz ins Gegenteil verkehrt.

Text:

Beton und Stahl, überall werden sie gebraucht - beim Bauen von Straßen und Brücken, Wohnungen und Fabriken. Doch gleichzeitig sind sie die größten Klimakiller der deutschen Industrie.

Allein bei der Herstellung entstehen jedes Jahr mehr als 50 Millionen Tonnen CO2. Diese CO2-Emissionen müssen schnell sinken, nur dann kann Deutschland seine Klimaschutzziele erreichen.

Verabredung mit dem Energieexperten Frank Peter. Er ist überzeugt: Bisher habe die deutsche Stahl- und

Betonindustrie viel zu wenig für mehr Klimaschutz getan.

O-Ton Frank Peter, Agora Energiewende:

Die Emissionen (...), insbesondere bei der Industrie, haben eigentlich über die letzten zehn Jahre nur stagniert. Und es

(2)

wird dadurch klar, dass wir auf diesem Pfad nicht weitermachen können.

Dabei hätten die CO2-Emissionen der Industrie schon längst sinken sollen, dank des sogenannten Emissionshandels der EU. Der gilt seit 2005 und funktioniert so:

Ein Unternehmen muss für jede ausgestoßene Tonne CO2 Zertifikate von der EU kaufen. Das kostet Geld. Um Geld zu sparen, wird das Unternehmen die Emissionen reduzieren, soweit die Theorie. In der Praxis aber hat die EU die allermeisten CO2-Zertifikate verschenkt.

O-Ton Frank Peter, Agora Energiewende:

Der Emissionshandel hat definitiv in der Vergangenheit nicht gut funktioniert. Wir haben zu viele Emissionszertifikate im System ausgegeben. Das hat im Prinzip dazu geführt, dass es, dass wir viel, viel zu viel Zertifikate haben, dass die Preise keine Lenkungswirkung haben und dass entsprechend auch kein Druck hinsichtlich hin zur Emissionsreduktionen für die Industrie gegeben wurde.

Statt Druck für mehr Klimaschutz erhält die Industrie viele wertvolle Gratis-Zertifikate.

Amsterdam. Der Datenjournalist Luuk Sengers von der holländischen Wochenzeitung "De Groene Amsterdammer"

hat sich das genauer angesehen und die offiziellen Daten der EU-Kommission ausgewertet.

O-Ton Luuk Sengers, Journalist, "De Groene Amsterdammer":

Wir haben uns auf die 100 größten Klimaverschmutzer konzentriert und untersucht, welche Unternehmen mehr Gratis-Zertifikate bekommen haben, als sie eigentlich für ihre CO2-Emissionen brauchten.

Das erstaunliche Ergebnis von Luuk Sengers Berechnung: 40 Unternehmen erhielten mehr Zertifikate geschenkt, als sie benötigten, rund 820 Millionen zu viel. Beim heutigen CO2- Preis entspricht das einem Gewinn von rund 41 Milliarden Euro.

O-Ton Luuk Sengers, Journalist, "De Groene Amsterdammer":

Von diesen 100 Unternehmen haben etwa 40 am

Handelssystem verdient - an einem System, das eingerichtet wurde, um die Verursacher für ihre Verschmutzung zahlen zu lassen. Doch im Gegenteil, Sie ziehen Gewinne daraus.

(3)

Einer der größten Gewinner des Systems ist

HeidelbergCement. Der Konzern bekam seit 2008 gut 45 Millionen Zertifikate mehr, als er brauchte. Beim heutigen CO2-Preis: ein Geschenk aus Brüssel im Wert von mehr als zwei Milliarden Euro.

Was sagt HeidelbergCement dazu. Auf Nachfrage erklärt der Konzern schriftlich,

Zitat:

“Aus wettbewerblichen Gründen äußern wir uns nicht zu unseren Handelsaktivitäten.”

Fest steht: Die CO2-Emissionen der deutschen

Zementindustrie sind seit Einführung des Emissionshandels 2005 bis heute nicht gesunken. 2020 lagen sie bei 20,1 Millionen Tonnen, genauso viel wie vor 16 Jahren.

Dabei ist die Technik für mehr Klimaschutz längst da. Das zeigt die holländische Baustofffirma New Horizon. Sie setzt auf Betonrecycling: vom Abriss eines Bauwerks über das Zerkleinern, Zerlegen, Reinigen bis hin zum sogenannten Smart Liberator.

Die Recyclingmaschine trennt alten Beton in seine

Hauptbestandteile: Sand, Kies und Zementreste. Damit wird dann neuer Beton hergestellt - mit deutlich weniger

Emissionen.

O-Ton Erik Koremans, New Horizon:

Von allen CO2-Emissionen weltweit stammen allein neun Prozent aus der traditionellen Produktion von Beton. Wenn wir also mit unserem Beton mehr als 60 Prozent einsparen, dann haben wir für die Umwelt einen großen Schritt getan.

Beton mit 60 Prozent weniger CO2 - doch die Firma hat es schwer im Wettbewerb, trotz Emissionshandel. Der

Konkurrent HeidelbergCement etwa könne seinen

klimaschädlichen Beton deutlich günstiger anbieten, erklärt das Unternehmen.

O-Ton Erik Koremans, New Horizon:

Ich finde das unfair. Wer ordentlich CO2 emittiert, wird dafür sogar noch belohnt.

Und es wird noch verrückter: Viele Unternehmen stellen die geschenkten Zertifikate ihren Kunden in Rechnung, indem sie die Preise erhöhen. Das haben Wissenschaftler aus den

Niederlanden konkret für einzelne Unternehmen berechnet.

(4)

Bei HeidelbergCement kommen sie auf einen Profit von zusätzlich 285 Millionen Euro. HeidelbergCement erklärt auf Nachfrage, dieser Gewinn sei “rein theoretischer Natur”, Zitat:

“Aus wettbewerbsrechtlichen Gründen können wir uns zu einer etwaigen Weitergabe von CO2-Kosten an Kunden nicht im Detail äußern.”

Die Ökonomin Carolin Schenuit wundert es nicht, dass Unternehmen ihren Kunden Gratis-Zertifikate in Rechnung stellen.

O-Ton frontal:

Ganz schön dreist, oder?

O-Ton Carolin Schenuit, Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft:

Also, auf der einen Seite kann man sagen, ganz schön dreist, auf der anderen Seite betriebswirtschaftlich rational für ein Unternehmen. Wenn ich höhere Preise erlösen kann, dann mache ich das. So funktionieren Märkte.

Und so profitiert vom Emissionshandel die Industrie, weil die EU die CO2-Zertifikate nicht etwa verkauft, sondern einfach verschenkt. Und die Industrie stellt ihren Kunden diese Zertifikate obendrein in Rechnung, obwohl sie selbst nichts dafür bezahlt hat - ein Wahnsinns-Geschäft. Für die deutsche Industrie Extragewinne von rund zehn Milliarden Euro, so die Berechnungen der niederländischen Wissenschaftler.

Wie konnte es dazu kommen? Rückblick: Für die Gratis- Zertifikate hat die Industrie in der Vergangenheit immer wieder gekämpft. Bei jeder Reform des Emissionshandels gingen Arbeiter der Konzerne auf die Straße. Ohne Gratis- Zertifikate seien Hunderttausende Arbeitsplätze in Gefahr, so die Drohung.

O-Ton Frank Peter, Agora Energiewende:

Die Industrie ist in Europa gut aufgestellt, was ihre eigenen Interessen angeht. Es gibt sehr, sehr viele Kontakte, die entsprechend auch dann genutzt werden.

Besonders gut aufgestellt ist die Stahlindustrie mit ihrem Lobbyverband. Wir treffen dessen Geschäftsführer Martin Theuringer. Der warnt einmal mehr vor Abwanderung der Betriebe. Die Gratis-Zertifikate seien weiterhin unverzichtbar.

(5)

O-Ton Martin Theuringer, Wirtschaftsvereinigung Stahl:

Mit jeder Tonne CO2, die aus Deutschland und Europa in den Rest der Welt geleakt wird, also abwandert, verlieren wir hier rund 5.000 Arbeitsplätze, ohne dass wir irgendeinen positiven Klimaschutzeffekt erzielen.

O-Ton frontal:

Diese Gratiszuteilungen - wie lange glauben Sie, dass Sie die brauchen?

O-Ton Martin Theuringer, Wirtschaftsvereinigung Stahl:

Für den Übergang - und aus unserer Sicht wird dieser

Übergang mindestens in die 2030er, wenn nicht sogar in die 2040er-Jahre dauern.

Die Forderungen der Industrie fanden noch immer Gehör bei der Bundesregierung - auch heute noch? Nachfrage beim verantwortlichen Staatssekretär im Bundesumwelt-

ministerium.

O-Ton Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium:

Aufgabe der Politik ist es, das ungerechtfertigte Gejammer von dem zu trennen, was tatsächlich an Problemen besteht, und da dann auch zu helfen.

O-Ton frontal:

Ist das immer gelungen, in der Vergangenheit?

O-Ton Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium:

Nein, das ist nicht immer gelungen. Wir haben in der Tat da, das will ich gar nicht bestreiten, auch im

Emissionshandelssystem Fehler gehabt. Die sind beglichen worden. Das hätte man auch ein Stück früher machen können, gar keine Frage. Aber ich glaube, das System ist jetzt robust aufgestellt und wird seine Dienste tun.

Erstaunlich: Denn die Bundesregierung will der Industrie weiter CO2-Zertifikate schenken - genauso wie die deutsche EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen. Vor wenigen Wochen schlug sie vor: Die Industrie soll auch weiterhin CO2- Zertifikate gratis erhalten, erst einmal bis 2025.

Es bleibt also vorerst alles beim Alten: Wettbewerbsnachteile für Unternehmen mit klimafreundlichen Lösungen und Extra- Profite für Klimasünder.

Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des

(6)

Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Welche Auswir- kungen dies auf Entwicklungsländer haben wird, hängt maßgeblich von den Reaktionen der anderen Han- delsmächte, vor allem der Europäischen Union (EU) und

---.. Der Klimaschutz-Index 1 ist ein innovatives Instru- ment, das mehr Transparenz in die internationale Klimapolitik bringt. Er vergleicht und bewertet anhand von

Der Klimaschutz-Index 1 ist ein innovatives Instru- ment, das mehr Transparenz in die internationale Klimapolitik bringt. Er bewertet und vergleicht anhand von einheitlichen

Die drama gierungsb Alarmsign quenter a sen, was m Folgen de hergesagt Klimaregi sowohl di men, gena wie beisp zwischen  mehr sich telbar bet im Rahme Landesvo

Rituale sind ein evolutionäres Erbe, sie machen Sinn und sie reduzieren die Energieverschwen- dung, die man für Neues braucht – sie tragen also zur positiven Energiebilanz bei – da

Aber es gibt ein Problem: Eine treibhausgasneutrale Chemieproduktion erfordert sehr große Energiemengen.. Die Autoren der Roadmap schätzen, dass dadurch der Strombedarf

Mit klimaaktiv steht Unternehmen ein österreichweites Netzwerk zur Verfügung, das eine Vielfalt an praxistauglichen, erprobten Unterstützungs- und Beratungsangeboten für

Verschiedene Akteure brachten zuletzt eine Miteinbeziehung des Straßenverkehrs in den europäischen Emissionshandel in die Diskussion ein (siehe z. Bundesverband der