Was machen Listen?
Zur Konstruktion, Nutzung und Wirkung populärer Paradigmen
Markus A. Helmerich, Carolin Gerlitz, Johannes Paßmann & Matthias Schaffrick
Was machen Listen?
Markus A. Helmerich (Didaktik der Mathematik):
Listen, die populär machen? Stiftung Warentest Carolin Gerlitz (New Media and Digital Culture):
Listen, die Popularität abbilden? Klout
Johannes Paßmann (Neuere Deutsche Philologie, Kultur- und Medienwissenschaft):
Listen, die lustig sind? Twitter
Matthias Schaffrick (Neuere deutsche Literaturwissenschaft):
Listen, die erzählen? Wolf Haas
Popularität
Pop
Pop aus unserer Sicht:
Formen und Praktiken, die sich von populärer Kultur emanzipiert haben.
D.h. sie entstammen populärer
Kultur, sind aber nicht mehr auf
Popularität angelegt.
Fallbeispiel 1:
Stiftung Warentest
Markus A. Helmerich Didaktik der Mathematik
Listen mit Test- Ergebnissen
Beispiel: Notebook Test bei Stiftung Warentest
• Die Liste in der Tabelle: Zum Aufbau der Testliste
• Analyse aus populär- kultureller Sicht
vom 1.10.2014
Die Liste in der Tabelle
• Tabelle mit Test-Ergebnissen
• Ranking nach Bewertungen
Ablauf von Test und Bewertung
• Testkäufe: Auswahl von Produkten
• Kriterien festlegen
• Tests durchführen
• Bewertungen vornehmen
• Gesamtbewertung ermitteln und Ranking erstellen
Kriterien festlegen
• Rechenleistung
• Handhabung
• Tabletnutzung
• Display
• Akku
• Umwelteigenschaften
• Vielseitigkeit
Tests durchführen
• absolute Aspekte: Prüfung von Normen und gesetzlichen Vorgaben
• relative Aspekte:
standardisierte Tests und Expertenurteile
Bewertungen vornehmen
• Noten vergeben
• Verstoß gegen Gesetze und Noten = „mangelhaft“
• Streuung der Testergebnisse berücksichtigen
• Relevanz der Testkategorien für Verbraucher festlegen
Gesamtbewertung und Ranking
• Gesamturteil als gewichtetes arithmetisches Mittel
• ggf. „Abwertungen“
vornehmen
𝑥 = 𝑤
1∙ 𝑥
1+ 𝑤
2∙ 𝑥
2+ ⋯ + 𝑤
𝑛∙ 𝑥
𝑛𝑤
1+ 𝑤
2+ ⋯ + 𝑤
𝑛Teilnoten 𝑥
1, 𝑥
2, 𝑥
3, … 𝑥
𝑛zugehörige Gewichte 𝑤
1, 𝑤
2, 𝑤
3, … 𝑤
𝑛Konstituierung der Test-Listen
• harte und weiche Kriterien
• Grundlage: Produkte und Testergebnisse
• transparente Testverfahren und Bewertungskriterien
sowie offen gelegter Ranking- Algorithmus
• aber auch nicht komplett objektivierbare Urteile durch Experten
Autorenschaft der Test-Listen
• Stiftung Warentest als
staatliche Institution mit hoher Autorität
• und starkem Vertrauen der Verbraucher = Legitimation
Form der Test-Listen
• als Rangliste mit Noten:
ordinales Datenniveau
• Bildung des arithmetischen Mittels eigentlich unzulässig
• relative Aussagen über den Vergleich der getesteten Geräte
Gestaltung der Test- Listen
• Tabellen mit
Bewertungskriterien und Testurteilen: stark
formalisierte Darstellung
• grafische Symbole statt Ziffern
• farbliche Hervorhebung von Notenstufen in
Einzelbewertungen
Popularität der Test- Listen
Popularität der Stiftung Warentest
• 1/3 richtet sich nach
Testurteilen (Umfrage des Allensbacher Instituts 2008)
• 74 % der Verbraucher suchen regelmäßig Rat vor einer
Kaufentscheidung (35 %
„immer“) (STERN Umfrage 2010)
• 96 % kennen sie (BRIGITTE 2004)
• 69 % hat „eine genauere Vorstellung“ (BDO
Wirtschaftsprüfung 2013)
Popularität der Test- Listen in Medien
• massenmediales Ereignis
• Auflage der Test-Hefte: ca.
440.000
• Tagesschau Bericht vom 19.05.2015 über Test von Banking-Apps
Bedeutung und Kraft der Test-Listen
• starker Einfluss auf Kaufentscheidungen
• Fokussierung auf die in der Gesamtbewertung oben stehenden Produkte
• hohe Relevanz für
Verbrauchermarkt: Werbung mit Testergebnissen
Fallbeispiel 2:
Klout
Carolin Gerlitz
New Media and Digital Culture
Klout –
A standard of influence?
• Klout berechnet „Einfluss“ in sozialen Medien.
• Ranking zwischen 1-100.
• Abbildung und Herstellung von Ordnung.
Die Berechnung von Einfluss
• Einfluss = „Ability to drive action“.
• Standardisierte Evaluierungskriterien, algorithmisch berechnet.
• Macht unterschiedliche Aktivitäten vergleichbar: „Commensuration“
(Espeland & Stevens 1998).
Orientierung für
NutzerInnen
Was für eine Ordnung?
• Ordinale Liste suggeriert Ordnung.
• Aber: Abstände zwischen Ranks sind nicht uniform sondern exponentiell.
• 100 nicht absolut sondern relativ höchster Einfluss.
• Relationale, dynamische & opaque Liste.
Messen und herstellen
• Erziehung von NutzerInnen durch Anreize?
• Reaktivität von Rankings: Bringen hervor, was sie messen (Espeland & Sauder 2007).
Ubiquität des Klout Scores
Zirkulation
Klout Ranking als Orientierungsgröße in Word of Mouth Marketing, Customer Service, Social Media Clienten, Bewerbungsgesprächen, Gäste-Listen etc.
• Die Relevanz von Klout ergibt sich nicht aus der Qualität der Berechnung sonders aus seiner sozialen Bedeutung und „Klout‘s own ability to drive action“ (Gerlitz & Lury 2013).
• Messen & Herstellen von Einfluss fallen zusammen.
• Popularität als Gegenstand und Bedingung.
• Parodien: Klouchebag.
Fallbeispiel 3:
Listen hacken
Johannes Paßmann
Neuere Deutsche Philologie, Kultur- und Medienwissenschaft
Listen hacken
Listen etablieren semantische Felder
Listen hacken
Saxon Samson
Diamond Head
Def Leppard
Iron Maiden
Listen hacken
Iron Maiden
Madonna
De Höhner
Rolf Zuckowski
Deine Mutter
Listen hacken
Tweet von @FR31H31T vom 18. Januar 2011. Screenshot aus dem Web-Interface Favstars
Listen hacken
Tweet von @mogelpony vom 25. Juni 2011. Screenshot aus Twitters Web-Interface
Screenshot aus:
http://www.wuv.de/blogs/bre uers_arbeitswelt/10_ultimati ve_tipps_fuer_bessere_liste n
Fallbeispiel 4: Listen in der Literatur
Matthias Schaffrick Neuere deutsche Literaturwissenschaft
Listen in der Pop-Literatur
• Wolf Haas: Silentium!
Roman. Reinbek 1999.
Brenners
„Plastiktaschenpack“
Drogeriemarkt Kodak
Billa Lego
Bank Austria […]
Parfümerie Elke H&M
Libro ORF […]
Bauprofi
Kleider Bauer Interspar
• Wolf Haas: Silentium!, S. 191f.
Pop-literarische Listen
• Konsumorientierung
• Poetik der Oberfläche
Der Roman als
Interview mit Roman
• Wolf Haas: Das Wetter vor 15 Jahren. Roman.
Hamburg 2006.
Listen als ästhetische Form der Pop-Literatur
• Literaturbeilage: ‚Ein gewaltiger, Hunderte von Metern hoher Springquell aus Fernsehapparaten und Feuerlöschern und Radiorecordern und Autofelgen –‘ […] Sie zählen das ja wieder mal mit einer gewissen Hingabe auf. […]
• Wolf Haas: Ja, ganze Wolken waren das aus Schneeketten und Stichsägen und Traktorreifen und Wäscheschleudern und Elektromessern und Diaprojektoren und
Rechenmaschinen und Fotoapparaten und Staubsaugern und Trockenhauben und Rasierapparaten und Elektrogrillern und Autorradios.
• Wolf Haas: Das Wetter vor 15 Jahren, S. 208, 210.
Listen als ästhetische Form der Pop-Literatur
• Wolf Haas: [I]ch hätte jetzt nicht beim Manuskriptüberarbeiten
sagen können, Bohrmaschine rein, Stichsäge raus, Pürierstab rein, Diaprojektor raus, Bügeleisen, Kassettenrecorder und Kelomat-Topf rein, Saftpresse und Elektrogriller raus. […] Ich hab einfach alles aufgezählt. Ich hab mir ja die Liste organisiert vom
Gemeindebeamten, der für die Aufräumarbeiten zuständig war.
• Literaturbeilage: Sie haben einfach alles aufgezählt?
• Wolf Haas: Ja, das ist der Trick. Je massiver eine Aufzählung ist, umso eher glaubt man, es müsse erst recht eine Auswahl sein, das Aufgezählte stehe für eine Unmenge des Nichtaufgezählten. Aber in Wirklichkeit war’s das auch schon.
• Wolf Haas: Das Wetter vor 15 Jahren, S. 211f.
Listen als ästhetische Form der Pop-Literatur
• Literaturbeilage: Diese Aufzählung von Dingen, das geht ja über Seiten: Die Bosch-Bohrmaschinen, die Carrera- Rennbahnen, die Remington-Trockenhauben, die
Olivetti-Schreibmaschinen, die Braun-Rasierapparate, die Mauser-Maschinengewehre, die Alibert-
Badezimmerschränkchen, die Radios von Philips, die Fritteusen von Kenwood, die Alleszerkleinerer von
Moulinex, die Staubsauger von Siemens, die Auspuffs von, oder Auspuffe, wie sagt man?
• Wolf Haas: Das Wetter vor 15 Jahren, S. 210f.
Was machen Listen in der Pop-Literatur?
1. Poetik der Oberfläche 2. Realitätseffekt
3. Äquivalenz, Paradigma
4. Aufzählung ≠ Erzählung
Zusammenfassung
• Wie wird aus dem populärem ein ästhetisches Prinzip?
• Von der Ordnung und Herstellung von Popularität zur Entwicklung einer
ästhetischen Form.
Von Popularität zu Pop
Von der “schönen Ordnung”
zur “schönen” Unordnung
• Stiftung Warentest und Klout sind bemüht, Ordnung und Handlungsdirektiven in kontingente Situationen zu
bringen.
• Twitter- und Pop-Listen zielen auf Selbst-Reflexivität ab und durchbrechen die Ordnung der Liste.
• Listen mischen sich ein.