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Das Nordende des Roten Meeres.
Von Rud. Kittel.
Lange Zeit galt es bei vielen als ausgemacht, daß die heutige Gestalt des nördlichen Endes des Busens von Suez verhältnismäßig
jung sei und daß noch in dem uns geschichtlich zugänglichen Alter¬
tum der Busen erheblich weiter nach Norden gereicht habe als
heute. Diese Annahme ist durch die gründliche und nach manchen 5
Richtungen hin verdienstliche Arbeit von Küthmann: Die Ost¬
grenze Ägyptens (1911) erheblich erschüttert worden, so daß neuer¬
dings mehrfach in Schriften über verwandte Gegenstände die ent¬
gegengesetzte Anschauung: der westliche Arm des Roten Meeres
habe niemals in geschichtlich uns zugänglichen Zeiten über die 10
Gegend des heutigen Suez hinausgereicht, als erwiesene Tatsache
aufzutreten beginnt.
Der Schreiber dieser Zeilen hat 1912 in seiner „Geschichte
des Volkes Israel", Bd. I'', 515 eine Stelle bei Agathemeros betont,
die zu dieser neuerdings beliebten Auffassung nicht zu stimmen 15
scheint. Auch heute noch bin ich der Meinung, daß die Aussage
keine andere Deutung zuläßt. Ich habe dieser Meinung auch so¬
eben bei dem unlängst zum Abschluß gekommenen Neudruck des
genannten Werkes (3. Aufl., 1916) erneuten Ausdruck gegeben.
Indes ist mir schon vor einiger Zeit von befreundeter sachkundiger 20
Seite ein doppelter Einwand zugekommen. Da das vorhin genannte
Werk mir nicht der geeignete Ort zu einer weitern Auseinander¬
setzung schien, gestatte ich mir hier auf die Sache zurückzukommen.
1. Die Stelle lautet (Müller, Geogr. graec. min., II, S. 475):
'O ds lAQocßwg xdAjtos, axsvbg cov xal nQOfirjxrig, apj;£Tat äno 25
'Hq(o(oi> Ttökmg.
Daraus scheint mit Bestimmtheit hervorzugehen, daß die Quelle
des Agathemeros den Busen als bei Heroopolis beginnend an¬
nahm. Nun setzen wir Heroopolis mit dem alten Pitom , dieses
aber mit Teil el-Mashüta, das wenige Kilometer westlich vom so
Timsähsee liegt, gleich. Sind diese Gleichungen richtig, so würde
in der Tat aus ihnen allem Anschein nach folgen , daß der Busen
damals bis zum heutigen Timsähsee reichte.
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144 -ß- Kittel, Das Nordende des Roten Meeres.
Nun macht mich aber mein Kritilcer darauf aufmerksam, daß
statt Tcökeag von 11 Handschriften 5 norufiov lesen. ,Das ist ja
natürlich Unsinn, kann aber auch nicht gut aus itökeag entstanden
sein. Man gewinnt eher den Eindruck , daß sowohl die Lesart
5 Ttdifus als die noTafiov hervorgegangen sein könnten aus
cinb 'Hqcöcov nökecog ftujjoü,
wozu recht wohl 7 Zeilen weiter die Angabe für die Länge der
arabischen Golfseite passen würde
än AilavLTOv fiv^ov.'
10 Aber bei reiflicher Erwägung dieser Frage der Textkritik
scheint es mir doch gewagt, auf die bloße Möglichkeit hin die
Lesart nölcag zu verlassen. Denn nichts spricht dafür , daß das
sinnlose noTafiov gerade auf diese und nicht auf eine ganz andere
Weise entstanden sei. Die Möglichkeiten, die man sich ausdenken
15 kann, sind zahllos. Aber nichts weist, weder paläographisch, noch
sonst, gerade auf diesen Weg. Stilistisch hingegen wäre die Rede¬
weise überaus hart und sonderbar, so daß schon diese Erwägung
bedenklich machen muß.
2. Mein Gewährsmann rechnet denn auch tatsächlich trotz jenes
so Eindrucks mit Rücksicht auf Strabo und Artemidor mit der Lesart
nokiag. Doch glaubt er, es sei aus ihr, auch wenn sie richtig sei,
nicht mehr zu schließen als aus Strabo. Beiden Schriftstellern,
meint er, würde man, wenn man weiter nichts wüßte, entnehmen,
daß Heroopolis am Ende des Golfs von Suez oder wenigstens ihm
25 so nahe lag, daß er danach benannt werden konnte. «Aber da
wir nun einmal Hero (Ero) jetzt bei Pitom kennen , müssen wir
auf alle Fälle anerkennen, daß es nicht am Golf von Suez lag.
Auch wenn wir den weiter nördlich streckten, würde daran nichts
Wesentliches geändert."
30 Dem letztern Satz glaube ich widersprechen zu sollen. Reichte
der Golf ehedem nördlich bis zum Timsähsee, so lag Heroopolis
etwa 12 km (nach Westen) von seinem Ufer ab; reichte er bis
zu seinem heutigen Nordende, so waren es + 75 km. Bei der ersteren
Entfernung, besonders wenn sie garnicht in der Richtung des
35 Busens selbst sich erstreckte , sondern die Stadt zur Seite lag,
konnte nach meinem Empfinden ein Schriftsteller recht wohl sagen :
6 xoXnog ägxerai äno Hqcowv noltag; bei einer Entfernung von
75 km konnte er m. E. wohl am Ende auch den Busen nach dieser
Stadt, weil sie der nächste bekanntere Ort Ägyptens war, benennen,
,0 er konnte aber unmöglich sagen, daß hier der Busen anfange.
Leipzig, Dezember 1915.
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Die semitischen /u-Laute.
Von Hermann Möller.
In meiner Schrift »Semitisch und Indogermanisch" I (Kopen¬
hagen 1906, im folgenden abgekürzt SI.) und in meinem „Vergleich, indogerm.-semit. Wörterbuch" (Göttingen 1911) habe ich unter Ver¬
gleichung des Semitischen mit dem Indogermanischen dem Ursemi¬
tischen und ebenso dem Vorindogermanischen neben einem nicht 5
emphatischen ^-Laute und einem ebensolchen Ä-Laute (dieser ge¬
worden zur indogerm. Tenuis p) einen emphatischen P-Laut zu¬
geschrieben (> indogerm. ih), neben welchem das Vorindogermanische
einen emphatischen B-Laut gehabt hat (geworden zu indogerm. stimm¬
haftem b), der im Semitischen als emphatischer 5 -Laut nicht mehr lo
vorhanden und im Indogermanischen als b selten ist.
Hubert Grimme hat ZDMG. 68, S. 259 ff. in einem Aufsatz
„Semitische P-Laute", in welchem er nur die speziellen ^-Laute (mit den einem p semitischer Dialekte z. T. gegenüberstehenden
semit. b) , nicht auch den ursemitischen Ä-Laut behandeln wollte, 15
dem Ursemitischen außer dem nicht emphatischen ^-Laut, der nach
Grimme bereits im Ursemitischen eine Affrikata pf gewesen sein
soll, und dem von mir für das Vor- und Ursemitische erschlossenen
emphatischen P-Laut (von Grimme p geschrieben) noch einen dritten
allein im Äthiopischen in der ursprünglichen Geltung erhaltenen 20
^-Laut zugewiesen.
1. Wenn Grimme mein nicht emphatisches ursemitisches p fürs
ürsemitische statt als Affrikata pf als Aspirata ph angesetzt hätte,
dann würde in diesem Punkte nur eine Verschiedenheit der Schrei¬
bung, also nur ein Unterschied fürs Auge, nicht ein wirklicher 25
Unterschied zwischen seiner und meiner Ansicht bestehn, indem ich,
statt für jedes von mir angesetzte ursemitische p ein umständlicheres
ph anzusetzen, in der Schreibung p für den dem südsemitischen
hebräischen c usw. zugrunde liegenden Laut mich einfach dem all¬
gemein üblichen Gebrauch angeschlossen habe. Denn daß ein p- 30
Laut, der im Südsemitischen zu f und im Nordwestsemitischen
(wenn auch nach Grimme a. a. 0. S. 267 Anm. vielleicht noch nicht
im klassischen Hebräisch) unter bekannten Bedingungen zu einem
/"-Laut geworden ist usw. , auf der den Lauten der Einzeldialekte
Zeitschrift der D. M. G. Bd. 70 (19161. 10