Untersuchungen
zu einigen ibaditischen Handschriften
Von Josef van Ess, Tübingen
Rudi Paret zum 75. Geburtstag
Im März 1974 hatte ich dank der Unterstützung der Deutschen For¬
schungsgemeinschaft Gelegenheit, einige ibäditische Bibliotheken auf
der Insel Djerba und im Mzäb zu besuchen. Leider waren meine Aufent¬
halte nur verhältnismäßig kurz und die Arbeitsbedingungen nicht immer
günstig; man ist in Privatbibhotheken trotz allem Entgegenkommen
der Besitzer gewissen Beschränkungen unterworfen, die sich wohl nur
bei längerem Kontakt wirklich ausräumen lassen*. Dennoch scheinen mir
einige Ergebnisse meiner Untersuchungen bei aller Vorläufigkeit und bei
aller Gefahr, daß sich in der Hast des Notierens Fehler eingeschlichen
haben, der Veröffentlichmig wert. Die Ibädiya ist ja seit den Tagen
MoTYLiNSKi's von der abendländischen Forschung nicht gerade mit
Vorzug behandelt worden; auch heute gibt es außer T. Lewicki^ nie¬
manden, der sich intensiv und vorrangig mit ihr befaßt. Selbst Werke,
die seit knapp 100 Jahren im Druck, bzw. in einer Lithographie, vor¬
hegen, sind kaum bekannt oder ausgewertet. So sind z.B. die Öawähir
al-muntaqät des Historikers Barrädi (1. Hälfte 15. Jh.), obgleich für die
Geschichte des 1. Jh.s H. nicht ganz unwichtig, von der gesamten
jüngeren deutschen und englischen Umaiyadenforschung unbeachtet
gebheben ; auch die Artikel von L. Veccia Vagliebi' und R. Rttbi-
NACCi*, in denen der Quellenwert dieses Buches deuthch hervorgehoben
* Die wichtigste Bibliothek im Mzäb, die des Saih AtfaiyiS in Beni Izguen
{maktabat al-Qufb), ist z.B., da der augenblickliche Verwalter Lehrer an
einer Oberschule ist, nur Mo — Do sowie Sa von 7°°—8^° und So von 10—12
geöffnet. Die Privatbibhotheken auf Djerba sind in den Landhäusern der
Familien untergebracht und damit ■— zumindest für einen flüchtigen Be¬
sucher — nur am Wochenende zugänglich, wenn die Besitzer, die meist in
Houmt Souq ihren Geschäften nachgehen, sich dorthin zurückziehen.
"Vgl. die Bibhographie seiner Schriften bis 1969 in: Folia Orientalia 11
(1969) 7ff., zuvor auch die beiden Artikel von M. Canabd in: Revue Afri-
came 103 (1959) 356ff. und 105 (1961) 186ff.
ä II conflitto 'All — Mü'äwiya e la secessione Khäri^ita riesaminati aUa
luce di fonti ibädite. In: AIUON 4 (1952) Iff.; vgl. auch 5 (1954) Iff.
* II „Kitäb al-Öawähir" di al-Barrädl. In: AIUON 4 (1952) 95ff.
wurde, haben es nicht vermocht, das Interesse der Speziahsten von den
übhchen QueUen weg hin auf diesen Außenseiter zu richten. Ebenso
ärgerhch steht es um die theologische Literatur der Glemeinde; hier
scheinen die Texte bisher eher noch weniger ausgewertet^. Es ist freihch
einzuräumen, daß die Drucke in Europa nur schwer auffindbar sind;
auch um mit ihnen zu arbeiten, bleibt manchmal kaum etwas anderes
übrig, als in den Mzäb zu reisen.
Die Handschriftenbestände ibäditischer Privatbibliotheken sind katun
erfaßt. Nach den Inhaltsangaben von A. de C. Motylinski (in: BuUetin
de Correspondance Africaine 3 [1885] 30ff.), die z.T. dmch spätere
Drucke überholt sind, hat erst R. Rübinacci wieder airf ibäditische
Handschriften aufmerksam gemacht und sie ausführhch beschrieben
(in: AIUON 3 [1949] 431 ff.). Jedoch behandelt er nur einige wenige
Stücke, die — wohl aus Libyen — in den Besitz des Istituto Universi¬
tario Orientale in Neapel gelangt waren. An Ort und Stelle hat dann
nach ihm, und nun in wesenthch größerer Breite, J. Schacht Nach¬
forschungen angesteUt ; er macht in einem Artikel in der Revue Africaine
(100 [1956] 375ff.) auf etwa 200 Titel aufmerksam (151 Grundwerke mit
Kommentaren und Glossen), die er anläßhch eines Besuches im Mzäb
Dezember 1952— Januar 1953 aufgenommen hat. AUerdings hat er sie
nm z.T. gesehen; er scheint im wesenthchen von dem handschrifthchen
Katalog der Bibliothek des iaih AtfaiyiS in Beni Izguen, der ihm im
Auszug zur Verfügung gesteUt wurde, ausgegangen zu sein. Hand¬
schriftenbeschreibungen oder Inhaltsangaben finden sich darum bei
ihm nicht. Jüngst hat schließlich der hbysche Gelehrte A. K. Ennami,
selber Ibädit und in Cambridge promoviert, in JSS 15 (1971) 63 ff.
einige Handschriftenfimde pubhziert; sie gewinnen dadmch besonders
an Interesse, daß sie u.a. auch Werke der irakischen Frühphase be¬
treffen und damit bis ins 2. Jh. H., in wenigen FäUen sogar bis ins 1. Jh.
zmückführen. Ennami hat dabei als erster die Bedeutung der Biblio¬
theken auf Djerba herausgesteUt; Schacht hatte zu der wichtigsten,
der hizäna al-Bärüniya, in der auch wir kmz arbeiten konnten*, noch
keinen Zugang erhalten (vgl. seinen Aufsatz, S. 376, Anm. 2). Alle diese
Angaben geben jedoch nur über einen BruchteU der wirklichen Be-
* Vgl. vorläufig die Arbeiten von C. A. Nallino : Rapporti fra la dogmatica mu'tazilita e quella degli ibäditi dell' Africa settentrionale. In: RSO 7 (1916—8) 455ff. (auch Raccolta di scritti editi e inediti. Roma 1939—48, II 170ff.);
M.M. Mobeno: Note di teologia ibädita. In: AIUON 3 (1949) 299fr.; R.
Rubinacci: La professione di fede di al-Öannäwunl. In: AIUON 14 (1964)
553ff. ; V. Cbemonesi: Un antico documento ibädita sui Corano create. In:
Studi Magrebmi 1 (Neapel 1966), S. 133ff.
' Sie enthält über 400 Hss., darunter als älteste (datierte) ein Exemplar
von Maidäni's Magma' al-amtäl aus dem Jahre 585/1189.
Untersuchungen zu einigen ibäditischen Handschriften 27
stände Aufschluß; eine jüngst abgeschlossene Dissertation an der Sor¬
bonne (Ibrähim Fahhäb : Les communautis Ibädites en Afrique du Nord,
Libye, Tunisie, Algerie, depuis les Fätimides. 1971, Sorbonne W 1971,
These 30, unter C. Cahen) zählt insgesamt 100 Bibliotheken auf: 87 in
Algerien, 5 auf Djerba, 1 in Tunis (die Bibliothek der Familie Taminl,
jetzt geschlossen) und 7 in Libyen.
Mir kam es vor allem darauf an, frühe Texte, auf die ich durch
Schacht und Ennami aufmerksam geworden war, hinsichthch ihrer
Echtheit und ihrer Bedeutung für die Geistesgeschichte des frühen
Islams zu untersuchen. Erst in zweiter Linie — und besonders dadurch,
daß ich wegen der kurzen Öffnungszeiten der Bibliotheken mich nach
anderer Beschäftigung umsehen mußte — fühlte ich mich veranlaßt,
nach neuen Handschriften zu suchen. Hier ist mir vor allem Saih Sälih
Ba'mära in Maüka (Mzäb) sehr behilflich gewesen; er hat mir die
Bibhothek seines Hauses zur Verfügung gestellt und mich mit manchem
bibliographischem Rat unterstützt. Ihm wie auch allen anderen Freun¬
den, die mir in großzügiger Weise Gastfreundschaft gewährt haben,
sei auch an dieser Stelle noch einmal gedankt.
*
1. Öäbn b. Zaid al-Azdi (gest. zwischen 93/711 und 104/722), RasäHl.
Handschrift in der hizäna al-Bärüniya bei Houmt Souq, Djerba; be¬
schrieben von Ennami in: JSS 15 (1971) 65 f. Es handelt sich um 14
juristische Responsa, in denen Gäbir b. Zaid nach eigenem Ermessen
{ra'y), ohne Rückbezug auf Koran oder sunna, verschiedenen Zeitge¬
nossen zu juristischen Tagesfragen seinen Rat erteilt. Alle Texte beginnen
mit einer Segensformel, die im einzelnen jeweils nur geringfügig ab¬
weicht (saiäm"" '■alaifca, fa-inni ahmadu ilaika Iläha lladi lä iläha illä huwa, wa-üsika bi-taqwä Ilähi was-sadäd wal-iqtisäd in nr. 6 z. B., fol. 10b).
Ihr folgen paränetische Bemerkungen allgemeiner Art, bevor Gäbir
auf das jeweihge Problem eingeht. Daten oder Anspielungen auf ein¬
deutig identifizierbare zeitgenössische Ereignisse finden sich, soweit ich
sehen konnte, nicht. Dies ist umso bedauerhcher, als sich bei einem
solch frühen Text das Problem der Echtheit mit besonderer Schärfe
stellt. Es läßt sich mit Sicherheit erst entscheiden, wenn der Text
einmal ediert vorliegt bzw. im Film zugänghch ist und die behandelten
jmistischen Probleme in ihren historischen Zusammenhang gesteUt
werden. Vorläufig läßt sich nur auf folgende Beobachtungen verweisen:
a) Schon Ennami hat die Namen der 14 Adressaten verzeichnet. Sie
sind verhältnismäßig isohert; viele von ihnen sind weder in den übhchen
bibliographischen Nachschlagewerken (Ibn Sa'd; Dahabi: Mizän al-
i'tidäl; Ibn Hagar: Tahdib at-Tahdib etc.) noch etwa im Geschichts¬
werk des Tabari zu belegen. Das ist kaum verwunderlich. Die ibädi¬
tische Gemeinde in Basra blieb ziemhch unter sich; man beschäftigte
sich dort zudem nur wenig mit dem, was die späteren Biographen am
meisten interessierte : dem Hadit. Auch viele andere prominente Figuren
der Gemeinde, die uns aus härigitischen Quellen verläßlich überhefert
sind, sind außerhalb ihrer nicht nachzuweisen. Daß aber in unserem
FaU selbst diese härigitischen QueUen, etwa die Siyar des Sammähi
(vgl. Cael Beockelmann : Oeschichte der arabischen Litteratur. 2. Aufl.
1.2. Suppl. 1—3. Leiden 1937-^9 [GAL], 2/312 S 2/339), meist nicht
weiterhelfen, mag sich daraus erklären, daß manche der Anfragen nicht
aus Basra selber kamen — wo es eines expliziten Briefes vermuthch
gar nicht bedurfte —, sondern von ,, Außenposten" der Gemeinde, etwa
in Huräsän.
Umso bedeutsamer scheint dann, daß die vorletzte Anfrage (nr. 13)
von 'Abdalmalik b. al-Muhallab ausging, dem Bruder des Yazid b.
al-MuhaUab, der längere Zeit unter Haggäg Anführer der irakischen
Polizeitruppe (Surta) war (bis 85/704; vgl. Tabari : Annales. Ed. M. J.
DB Goeje, Leiden 1879—1901, II 1140, lÖff. und 1182, lf.), später
dann sich an den Machtkämpfen seiner Famihe im Irak beteihgte und
schheßhch i.J. 102/721 im Osten des Reiches mit anderen Verwandten
den Tod fand (vgl. Tabari II 1413, 70".). Die Beziehung der Ibäditen
zu den MuhaUabiden ist bereits von T. Lewicki herausgesteUt worden
(in EI2 III 649b und in Cahiers d'histoire mondiale 13 [1971] 68L).
Zwar hatte der Ahnherr der Famihe, MuhaUab b. Abi Sufra, die Azraqiten
bekämpft; aber das schloß Kontakte zu den gemäßigten Härigiten
nicht aus, ließ diese vielmehr zur Verstärkung der diplomatischen Posi¬
tion vieUeicht sogar wünschenswert erscheinen. Jedoch handelte es sich
wohl nicht nur um eine diplomatische Allianz. Wesenthch scheint, daß
sowohl MuhaUab als auch zahlreiche Ibäditen, unter ihnen Gäbir b.
Zaid, dem Stammesverband der Azd angehörten'.
Wichtig ist weiterhin nr. 11 der Liste bei Ennami, Sähm b. Dakwän.
Von ihm heißt es nämhch bei Sammähi ausdrücklich, daß er mit Gäbir
b.Zaid korrespondiert habe (Siyar. Kairo 1301 H. [1883], 119, 12). Er
gehört in die Generation des Abü 'Ubaida at-Tamimi (1. Hälfte 2. Jh.,
s.u. S. 32), ist also jünger als öäbir gewesen. Natürhch ist damit
nicht gesagt, daß noch Sammäbi (gest. 928/1522) die Briefsammlung
habe einsehen können; er schreibt im aUgemeinen ja nur ältere QueUen
' S. u. S. 31 f. zu 'Amr b. Harim und Rabi' b. Habib.
Untersuchungen zu einigen ibäditischen Handschriften 29
aus. Barrädi nennt das Corpus in seiner bekannten BibUographie, die
MoTYLmsKi übersetzt hat, nicht (vgl. BuU. Corr. Afr. 3 [1885] löff.)*.
Nr. 7, Näfi' b. 'AbdaUäh, könnte identisch sein mit dem bei Dahabi:
Mizän al-iHidäl fi naqd ar-ri^äl. Ed. 'A. M. Ai-BiöÄwi. 1—4. Kairo
1382 H. [1963], nr. 8993, und bei Ibn Hagar al-'Asqaläni: Tahdib at-
Tahdib. 1—12. Haidaräbäd 1325—28 H. [1907—10], X 406 genannten
Traditionarier dieses Namens, von dem Abü Damra Anas b. 'lyäd
(104/722—200/816) überheferte. Da letzterer in Medina zu Hause war,
hätten wir vieUeicht einen Angehörigen der ibäditischen Glemeinde im
Higäz vor uns (vgl. zu ihr Lewicki in EI^ III 651a).
Sollte man nr. 5, al-Härit b. 'Anw, mit al-Härit b. 'Amr at-Tä'i gleich¬
setzen dürfen, den 'Umar II. zum Gouverneur von Transjordanien
(Balqä') einsetzte und der i.J. 107/725—6 in Armenien kämpfte? (vgl.
Halifa b. Haiyät: Ta'rlh. Ed. Suheil Zakkäb. 1.2. Damaskus 1967,
465, 15f. und 492. 3ff.). Es ist nicht unbedingt wahrscheinhch. Er
war wohl Syrer; die Taiyi' lebten damals vor allem in Syrien (von
wo sie z.T. nach Spanien einwanderten; vgl. W. Caskel: Das genealo¬
gische Werk des Hiiäm b. Muh. al-Kalbl ( öamharat an-nasab). 1.2. Leiden 1966, II 555).
Bei nr. 9, 'Abdallah b. Sa'd, könnte man an einen der beiden Tradi¬
tionarier dieses Namens denken, die Dahabi verzeichnet (Mlzän nr. 4348
und 4349). Jedoch ist ebenso wie im vorhergehenden Fall die Namens¬
folge zu normal, um dieser Vermutung irgendwelche Sicherheit zu
geben.
Bezeichnenderweise lassen sich gerade die seltenen Namen der Liste
(nr. I: RäSid» b. Haitam; nr. 3: Tarif b. Hulaid; nr. 4: Gitrif b. 'Abd¬
assaläm; nr. 6: 'Unaifa*"; nr. 12: Nu'män b. Salama; nr. 14: Habra
b. Damra) nirgendwo belegen.
b) Brief nr. 6, an einen gewissen 'Unaifa gerichtet, wendet sich u. a.
folgendem Problem zu (12 a, 3 ff.): „Nun zu der Frau aus Huräsän, die
dort verheiratet war und dann aus Huräsän in das Gebiet ging, wo die
Mushme (ahl al-qibla) Krieg führen, wobei aber (auch) sie (die Hurä-
säner?) Muslime sind. Sie heiratete (dort von neuem), so wie das bei
ümen der Brauch (din) ist. Dann kehrte sie nach Huräsän zurück,
nachdem ihr erster Mann gestorben war. Darf nun ein Muslim sie heira¬
ten, wenn sie Reue zeigt? — (Nein.) Das ist jedem Muslim verboten;
tmd es gefällt mir gar nicht, daß du wegen solcher Fragen an mich
' Vielleicht hat Ennami mit seiner Vermutung recht (S. 65), daß wir in
den Öawäbät des öäbir nur einen Teil des K. Öawäbät al-a'imma des Ismä'il
b. Müsä al-Öitäh (gest. 730/1329 oder 750/1349; vgl. GAL S 2/349) vor uns
haben. Vgl. zu diesem Werk Sammähi: Siyar 556f.
» So in der Hs., nicht NäSid, wie Ennami vorschlägt.
•° So wohl zu lesen statt 'Anifa bei Ennami.
schreibst".** Dieser Ehebruch mit einem Frontsoldaten, dort vielleicht
auf miti'a-Basis legahsiert, setzt eine historische Situation voraus, die
der zur Zeit des öäbir b. Zaid gut entspricht. Jenseits von Huräsän
kam es damals immer wieder zu Kämpfen: 86/705 im unteren Tochari¬
stan, 87/706—90/709 um Buhärä, 91/710—93/712 im Oxustal, 94/713—
96/715 in den Jaxartesprovinzen. Sie hängen mit den Eroberungszügen
des Qutaiba b. Mushm zusammen (vgl. H. A. R. Gibb : Muslim Con¬
quests in Central Asia. London 1923, 31). Zuvor aber hatten in Huräsän
bezeichnenderweise wiederum die MuhaUabiden eine besondere Rolle
gespielt: Muhallab b. Abi Sufra war i.J. 78/697—8 Statthalter der
Provinz geworden und hatte von Marv aus Expeditionen gegen Buhärä
untemommen; bei seinem Tode i.J. 82/702 hatte ihn sein Sohn Yazid
in diesem Amte abgelöst. 85/704 war für neun Monate Yazid's Bruder
Mufaddal Statthalter gewesen. Während dieser Zeit hatte es vor allem
auch innere Streitigkeiten gegeben, die in schwere Stammeskämpfe
mündeten (vgl. Gibb 25). Möghchkeiten genug also, den Brief einzu¬
ordnen, zu viele aber, um eine genauere chronologische Festlegung zu
wagen.
Die weiteren in diesem Brief behandelten Fragen betreffen 1) den Fall
einer Kupplerin: darf man sie heiraten? 2) die Höflichkeitsformen beim Betreten von Zelten {al-fasä(tp wal-djibiya) : das Zelt ist wie ein Haus zu
behandeln ; man muß also auch dort — um die Frauen zu warnen — vor
Betreten den Gruß aussprechen imd um Einlaß bitten, c) den Fall einer
Scheidung unter der Vereinbarung, daß die Frau das Kind zwei
weitere Jahre noch stillt: Kann der Mann ihr als Bedingung aufer¬
legen, daß sie während dieser Zeit nicht heiratet*"?
c) Öäbir b. Zaid bezieht sich in seinen Responsa weder auf bestimmte
Koranverse noch auf irgendein Hadit, gelegentlich jedoch auf Ibn
'Abbäs. Das spiegelt die Situation, aus der heraus er urteilt, recht gut
wieder. Juristische Streitfragen, die bereits im Koran entsdhieden
waren, wird man ihm nicht vorgelegt haben. Das Hadit ist damals,
zu Ende des 1. Jh.s, noch in der Entwicklung und genießt noch keine
besondere Autorität**. Ibn 'Abbäs aber war sein Freund und Lehrer**.
'* Wa-ammä lladl dakarta min imra'atin känat min ardi Huräsän lahä
zau^, tumma harakat min ardi Huräsän ilä ardi harbin li-ahli l-qibla wa-hum ahlu qibla, ja-tazauwagat wa-käna dälika dlnuhum, tumma ra^a'at ilä Huräsän
wa-qad tuumffiya zau^uliä l-auwal; wa-hal yasluhu li-ragulin muslimin an
yatazauwagaliä idä hiya täbat? — fa-dälika harämun 'alä kulli muslim, wa-
mitlu hädä min al-mas'alati lä yu'^ibunl an taktuba ilaiya bih.
*^ ... allä tatazauwa^a fihimä. So wohl in der Hs. zu lesen.
*' Vgl. entsprechende Beobachtimgen zu anderen Texten des 1. Jh.s in
meinen Anfängen muslimischer Theologie, S. 122.
** Vgl. EI" s.n. Djäbir b. Zaid.
Untersuchungen zu einigen ibäditischen Handschriften 31
Die Handschrift ist Teil einer Magmü'a, die in der hizäna al-Bärüniya
unter nr. 16 geführt wird*^; sie ist undatiert. Leider ist der Text sehr
verderbt überhefert; die Lektüre wird durch Wurmfraß weiter erschwert.
Zu Gäbir b. Zaid vgl. vorläufig Rubinacci in EI" s.n. und Lewicki in EI" III 649a (Art. Ibädiyya). Vieles Material, allerdings ohne jede kriti¬
sche Wertung, findet sich bei Muhammad 'Ali Dabbüz: Ta'rih al-
Magrib al-käbir. Kairo: Haiabi 1384/1964, Bd. III 138ff.; der Autor ist selber Ibädit und lehrt am Ma'had al-Hayät in Guerrara (zu letzterer
Institution vgl. Schacht in: Al-Andalus 22 [1957] 15ff. und Dabbüz:
Nahdat al-Öazä'ir al-hadita wa-tauratuhä al-mubäraka. 1. Damaskus:
al-Matba'a at-Ta'äw\miya 1385/1965. 2.3. Algier : al-Matba'a al-'Arabiya 1389/i969— 1391/1971, III 14ff.).
Zwei weitere Texte des öäbir aus der hizäna al-Bärüniya vgl. Ennami,
nr. 1—2 und 1—3 (zu 1—3 auch unten nr. 2).
2. Aqwäl Qatäda.
Uberlieferungen und juristische Expertisen des Qatäda b. Di'äma
(gest. 117/735 oder 118/736), Schülers und Nachfolgers des Hasan al-
Basri ; in 7 Teilen. Erhalten in der Bibhothek des Saih Sälim b. Ya'qüb
auf Djerba.
Die Sammlung ist zusammengestellt von Bür b. Gänim al-Huräsäni,
dem Autor der Mvdauwana (s.u. nr. 4). Jedoch ist sie, entgegen den
Angaben des Besitzers, nicht Teil der Mudauwana^*. Qatäda beruft
sich meistens auf einen gewissen 'Amr b. Harim al-Azdi al-Basri, der
bei Dahabi und Ibn Hagar erwähnt wird (vgl. Mizän nr. 6464 und
Tahdib at-Tahdib VIII 113). In der Biographie bei Ibn Hagar vnxd
diese Beziehung bestätigt: Qatäda hat über 'Amr b. Harim das Toten¬
gebet gesprochen, und zwar — aus weiter nicht genanntem Grunde —
noch nach dessen Begräbnis. Ebenda erfahren wir auch, daß 'Amr b.
Harim Schüler des öäbir b.Zaid (Abü §-Sa'tä') war; wahrscheinhch
hat die Zugehörigkeit zum gleichen Stamm, den Azd, den Kontakt
begünstigt.
Dieses Schülerverhältnis wird deutlich an dem K. as-Salät des öäbir,
das Ennami in derhizärui al-Bärüniyä gefunden hat (vgl. JSS 15 [1970]
67, nr. 1—3). Es ist von 'Amr b. Harim übemommen und an den Basrier
Habib b. Abi Habib al-öarmi, bekannt als sähib al-anmät, der ,, Decken¬
händler", weitergegeben worden (vgl. zu Letzterem Dahabi: Mizän
** Zu einem weiteren in ihr enthaltenen Text vgl. Ennami, S. 65.
Leider habe ieh die Handschrift nur flüchtig bei hereinbrechender
Dunkelheit in einem unbeleuchteten Raum sehen können. Ich hoffte dem
Text als einem Teil der Mvdauwana bei meinem späteren Aufenthalt im
Mzäb — wo die Mudauwana in mehreren Exemplaren vorhanden ist (s.u.) —
wieder zu begegnen. Seine Originalität ist mir erst dort klar geworden.
nr. 1695). Das Kolophon macht deutlich, daß man auch diesen Text
häufig — als Schlußstück — den Aqwäl Qatäda zurechnete. Der Sach¬
verhalt bleibt anhand der obengenannten Hs. zu überprüfen. Auffälhg
wäre in diesem Fall, daß Qatäda im letzteren Text dann nicht direkt
von 'Amr b. Harim übernähme, sondern auf einem Umweg von einem
Zeitgenossen, der den Text dann ebenso in Basra angeboten hätte wie er.
3. ar-Rabi' b. Habib b.'Amr al-Farähidi: al-Musnad oder al-öämi'
as-sahih.
Vgl. dazu bisher Lewicki in: REI 8 (1934) 70f.; Ch. Pellat: Le Milieu basrien et la formation de Öähiz. Paris 1953, 214; GAL" 1/163 S 1/259 und 691; Schacht in: Revue Africaine 100 (1956) 379f. nr. 6; Fuat Sezgin:
Geschichte des arabisciien Schrifttums. Iff. Leiden 1967fF. [GAS], 1/93.
Der Autor stammt aus öadfän in 'Umän; ebenso wie der Grammati¬
ker Halli b. Ahmad gehört er zu den dort ansässigen Banü Furhüd
oder Farähld, einem Unterstamm der Azd 'Umän, die in großer Zahl
um das Jahr 60/679 nach Basra ausgewandert waren (vgl. zu ihnen
Caskel: Öamharat an-nasab II 245 und Stkenziok in: EI- I 812b)*'.
In seiner Jugend soll er noch öäbir b. Zaid erlebt haben ; jedoch über¬
nimmt er nicht direkt von ihm, sondern über Dimäm b. Yahyä (s.u.
S. 36). Er war Schüler des Abü 'Ubaida Muslim b. Abi Karima at-
Tamiml (gest. während des Kalifats des Mansür, 136/754—158/775)
und wurde in Basra dessen Nachfolger als Haupt des Hohen Rates
der Gemeinde (gamä'at al-muslimin; vgl. dazu Lewicki in: Cahiers
d'histoire mondiale 13 [1971] 79). Als unmittelbar nach der Wahl des
Rustamidenimäms 'Abdalwahhäb b. 'Abdarrahmän (168/784—208/823)
die ,,Nukkär" sich von diesem lossagten*», ließ der Imäm durch zwei
Emissäre Rabl's Meinung einholen; dieser hielt sich damals gerade in
Mekka auf (vgl. die Chronik des Abü ZakaeIyä' in : Revue Africaine 104
[1960] 136f.). Auch später wird er während dessen Imamat noch erwähnt
{ib. 156); allerdings war er, als Halaf b. as-Samh sein Schisma verkün¬
dete*", nicht mehr am Leben {ib. 162). Das geschah gegen Ende des
2/8. Jh's; wir werden seinen Tod in die Zeit zwischen 180/796 und
190/806 setzen dürfen^". Vor seinem Tode hat er noch den Exodus —•
*' Auch Gäbir b. Zaid und 'Amr b. Harim waren ja Azditen.
** Vgl. zu diesem frühesten Schisma innerhalb der Ibädiya T. Lewicki
ül Ell, Suppl., s.v. Nukkär, und in SI 9 (1958) 78.
*» Vgl. Lewicki in SI 9 (1958) 79f. und EP III 659b.
"° Das von Brockelmann in GAL S 2/823 gegebene Datum 170/786 ist
mit einiger Sicherheit zu früh.
Untersuchungen zu einigen ibäditischen Handschcriften 33
bzw. die Rückkehr — der bayrischen Gtemeinde nach 'Umän mitge¬
macht (vgl. EI2 III 651a)2i.
Auch nicht-ibäditische Quellen erwähnen ihn gelegentlich, wenngleich mit recht vagen Angaben: Buhäri: Ta'rlh al-kablr. 1 —-8. Haidaräbäd
1941—63, Iii 277 nr. 945; Ibn Abi Hätim ar-Räzi: al-Öarh wat-ta'dll.
1—8. Haidaräbäd 1941—53, Ij 457 nr. 2063; Dahabi: Mlzän nr. 2734;
Ibn Hagar: Tahdlb at-Tahdlb III 241 und ders., Taqrlb at-Tahdlb.
Madina 1380 H. [1960], I 244. Ihre Urünformiertheit verrät sich darin,
daß sie immer wieder mit dem Gedanken spielen, Rabi' b. Habib mit
einem gewissen Abü Salama al-Hanafi gleichzusetzen, jedoch keine
Kriterien finden, diese Frage zu entscheiden. Buhäri leimt die Gleichung noch ab"". Ibn Abi Hätim (gest. 327/938) dagegen geht bereits von ihr
aus; Dahabi vollzieht sie bewußt. Wir werden uns, nach dem was wir
über den Verfasser des Musnad wissen, auf die Seite Buhäri's schlagen
müssen. Ein Angehöriger der Azd hat mit den Banü Hanifa b. Lugaim,
also den Bakr b. Wä'il, nichts zu tun; und Anhänger des Abü Hanifa ■—■
wenn man denn in dieser frühen Zeit, zu Lebzeiten Abü Hanifa's oder
kurz nach seinem Tode, von dessen Namen überhaupt schon eine Nisbe
ableitete — war Rabi' b. Hablb auch nicht. Zudem wird eine kunya
Abü Salama nirgendwo in den ibäditischen Quellen von ihm überliefert.
Noch andere Gründe sprechen für die Trennung, diesmal den ^arh
wa-ta'dll-Werhen selber entnommen. Nach Buhäri hat Rabi' u.a. von
Hasan al-Ba§ri und Ibn Sirln überliefert. Das ist, da er selber in Basra
lebte, sehr wahrscheinlich, wenngleich er sie persönlich ebenso wio
Öäbir b. Zaid allenfalls in semer frühen Jugend kennengelernt haben
kann. Ibn Abi Hätim nun fügt ebenso wie Dahabi ihnen nooh Muham¬
mad al-Bäqir hinzu. Das hat wenig für sich; mit Si'itischen Imamen
hatten die Ibäditen kaum etwas im Sirm. Er dürfte also aus dem
Material über Abü Salama al-Hanafi in die Biographie hineingeraten
sein. Deutlich wird der Sachverhalt darm vor allem, werm wir ein Werk
konsultieren, das früher ist als Buhäri's Ta'rlh al-kablr und im übrigen
auch geographisch der basrischen Szenerie etwas näher kommt: das
K. al-'Ilal des Ahmad b. Hanbal (I. Ed. T. Ko^viöiT und I. Cebräh-
OÖLTT. Ankara 1963). Dort wird unser Rabl' an einer Stelle als ,,ein
Marm namens Rabi' b. Habib" genannt, der über Dimäm (s.u.) von
öäbir b. Zaid überlieferte (231, pu. f.). Das entspricht dem in ibä¬
ditischen Quellen üblichen Isnäd. Daneben ist von oinem Rabi' b.
Hablb die Rede, der einen Bruder namens 'Ä'id hatte (S. 378 nr. 2511);
dieser 'Ä'id b. Habib lebte, wie wir aus dem Mlzän des Dahabi er¬
fahren (nr. 4099), in Küfa und war Si'it (vgl. auch Ardablll: öämi'
ar-ruwät. 1.2. Teheran 1331 h. s., I 429). Wenn wir dasselbe für seinen
Bruder voraussetzen dürfen, so würde dies sehr gut zu jenem Abü
Salama al-Hanaf I passen, der sich auf Muhammad al-Bäqir bezog.
"* Unterriohtet hat er dort, wohl wogen seines hohen Alters, nioht mehr.
Schon zuvor hatte ein gewisser Abü 1-Mundir Basir b. al-Mundir an-Nazwäni in seinem Auftrag seine Überlieferungen in 'Umän verbreitet (vgl. Musnad.
Ed. Kairo 1326/1908, 14, llf.; zu ihm Lewicki in: EI" III 652a).
"" Der Haidaräbäder Druck des Ta'rih hat Abü Säma statt Abü Salama.
3 ZDMG 120/1
Allerdings ist damit durchaus nieht alle Verwirrimg — auf die bereits
der Herausgeber des Ibn Abi Hätim hinweist — beseitigt. Offenbar hat
sich nämlich (nach Ibn Hanbal 212 nr. 1316) diesem Brüderpaar noch
ein dritter hinzugesellt, der als Abü HiSäm al-Ahwal bekarmt war.
Dieser wird nun bei Ibn Hagar: Tahdlb at-Tahdlb III 240 f. gleichfalls als Rabi' b. Habib eingeführt. Ibn Hagar hat also die an zwei verschie¬
denen Stellen des K. al-'Ilal genannten Brüder des 'Ä'id b. Habib
zu einer einzigen Person zusammengefaßt. Das ist, da an einer der
beiden Stellen nur eine kunya imd ein laqab genannt sind, durchaus
möglich. Es führt nur dazu, daß Abü Salama al-Hanafi jetzt „übrig
bleibt"; er kann kaum mit Abü Hisäm al-Ahwal identisch sein. Ihn
hat Ibn Hagar darum ganz konsequent — und in der Nachfolge des
Ibn Abi Hätim und des Dahabi —■ mit unserem Rabi' b. Habib gleich¬
gesetzt (III 241). Wir müssen demgegenüber daran festhalten, daß
es sich in jedem Fall um drei verschiedene Personen gehandelt hat;
ob Abü Salama al-Hanafi dabei Bruder des 'Ä'id b. Habib war, möge,
als für unseren Zusammenhang ohnehin nicht wichtig, dahingestellt
bleiben"^.
Der Musnad des Rabi' ist bis heute von der Forschung kaum beachtet
worden. Das hängt damit zusammen, daß er nicht in die sunnitische
Tradition aufgenommen wurde ; die vagen Nachrichten der sunnitischen
Biographen zeigen ja, daß ihnen sein Werk völhg unbekannt geblieben
war. Dennoch gibt es immerhin 4 Drucke des Buches; sie sind aUer¬
dings nur schwer zugänglich.
a) Lithographie aus dem Jahre 1315/1897—8.
b) Ausgabe Kairo 1349/1930, in 4 TeUen (mit durchgehender Zäh¬
lung der Hadite). Vgl. GAL S 1/259 und 691.
c) Druck Sansibar 1304/1887, mit HäSiyä von Abü 'AbdaUäh Mu¬
hammad b. 'Umar al-Magribi. Vgl. GAL S 1/692 und GAS 1/93.
Nicht gesehen.
d) Druck Kairo, Matba'at al-Azhär al-Bärüniya 1326/1908, mit Hääiya
des 'AbdaUäh b. Humaiyid as-Sälimi (gest. 1332/1914), 2 Bände.
Vgl. GAL S 2/823 und GAS 1/9323».
AUe bringen sie das Werk in der Anordnung des Yüsuf b. Ibrähim
al-Wargläni (gest. 570/1174; vgl. GAL S 1/692); über seine ursprüng¬
hche Gestalt, die es bis dahin noch hatte, läßt sich vorläufig nichts
Auch die Tatsache, daß Ardabili unter den Si'itischen Überlieferern,
die er in seinem Öämi' ar-ruwät gesammelt hat, einon Rabl' b. Habib al-
'Absl al-Küfi nennt (I 316), fühi-t nicht recht weiter; denn er bringt keine
kunya. Für Ibn Hagar's These spricht, daß die Nisben mit den bei ihm
angeführten identisch sind. Andererseits gehörte auch dieser Rabi' zu den
Anhängern des Muhammad al-Bäqir.
Das Werk soll 1963 erneut in Damaskus gedruckt worden sein. Jedoch
habe ich bisher diesen Druck nicht aufspüren können.
Untersuchungen zu einigen ibäditischen Handschriften 35
aussagen-*. Der Redaktor hat dabei den Bestand des Werkes ergänzt,
u.Z. 1) um Überheferungen, mit denen Rabi' gegen Andersgläubige
argumentierte, und 2) um die riwäyä seines Schülers und Nachfolgers
als Haupt der gamä'at al-mttsUmin in 'Umän, Abü Sufyän Mahbüb
b. ar-Rahil, soweit deren Material sich nicht schon in dem Musnad
selber fand. Diese beiden Ergänzungen bilden Teil 3 und 4 von Ausgabe 6;
in den Ausgaben a und d sind sie nicht enthalten.
Die Isnäde sind, wie zu erwarten, meist basrisch; jedoch sind sie
alles andere als sorgfältig durchgeführt. Band IV (Ausgabe b, S. lOfF. =
nr. 924 ff.) bringt eine Anzahl magiw'-Traditionen, die ohne Isnäd auf
öäbir b. Zaid zurückgehen. Das Werk spiegelt den unfertigen Zustand
der Haditwissenschaft im 2. Jh. wieder; der Exodus der Gemeinde
nach 'Umän hat spätere Korrekturen verhindert. An einer Stelle greift
Rabi' in der Polemik gegen das taSbih sogar auf eine Überlieferung
seines jüngeren Zeitgenossen Bür al-Marisi (gest. 218/833) zurück, der
seinerseits sich auf den küfischen Hanafiten Muhammad b. Ya'lä, ge¬
nannt Zunbür, beruft*^. In ähnhche Umgebung kämen wir, wenn jener
Muhammad b. al-Hasan, von dem er in nr. 909 überliefert, mit Saibäni
(gest. 189/804) identisch sein sollte. Auch Beziehung zu Bür b. Gänim,
dem Verfasser der Mudauwana (s.u. nr. 4), läßt sich feststellen (vgl.
nr. 913); umgekehi-t hat Mahbüb b. ar-Rahil ein Hadit des Rabi' einem
biographischen Werk des Bür b. öänim** entnommen (nr. 902). Wo es
zu dem Kontakt zwischen beiden gekommen ist, läßt sich kaum sagen;
die Mobihtät der damaligen Gelehrten — und der Ibäditen, die ja in
großem Stile Handel betrieben^', im besonderen — erlaubt mehrere
Möghchkeiten. Bür b. Gänim hat eine Reise nach Tähart unternommen
(s.u. S. 38); sein Weg hat ihn von Horäsän gewiß über den Irak und
über Basra geführt. Umgekehrt mag ebenso Rabi' einmal nach Horäsän
gekommen sein; er hätte dort auch Bisr al-Marisi und vielleicht sogar
^* Barrädi hat sie noch gekamit ; er sagt es deutlich in seinen öawähir
(vgl. das Zitat in: AIUON 4 [1952] 105). In seiner Bücherliste nennt er
sowohl den Musnad des Rabi' als auch den tartlb des Wargläni, letzteren
dabei völlig getrennt und ohne Hinweis auf den inneren Zusammenhang
beider Werke (vgl. die Übersetzung von Motylinski in : Bull. Corr. Afric. 3
[1885] 17 nr. 7 imd 27f. nr. 74). Wichtig für die Frage ist die Untersuchung von Babi's K. al-Ätär (s.u.).
Zu diesem vgl. mein Zwischen Hadit und Theologie 170f.
"' Es wurde von einem gewissen Abü Yazid al-Huräsäni zusammenge¬
stellt. Dieser ist leider nicht näher zu identifizieren. Er dürfte kaum mit
jenem HäSim b. 'Abdallah al-Huräsäni gleichzusetzen sein, der die Über¬
lieferungen des Rabi' nach Huräsän brachte (vgl. Musnad. Ed. Kairo 1326/
1908, I 4, apu.); denn dieser war ja Zeitgenosse des BiSr b. öänim.
"Vgl. dazu Lewicki in: RO 11 (1935) 173ff. und Etnogi-afia Polska 8
(1964) 291 ff.
3«
Saibäni, der in seinem Todesjahr Ma'mün dorthin begleitete, treffen können.
Massignon hat in einer kurzen Notiz in: REI 12 (1938) 410 Bedenken
gegen die Echtheit des Textes angemeldet. Sie gründen sich im wesent¬
lichen auf die Erwähnung des BiSr al-MarisI und die Behandhmg des
kalq al-Qur'än, das doch erst in der Zeit zwischen 218 und 234 akut
geworden sei. .Iedoch beziehen sich beide Argumente streng genommen
nicht auf den Musnad, sondern auf die Teile 3 und 4 von Ausgabe 6,
welche der Redaktor aus anderen Quellen hinzugefügt hat. Selbst für
diese aber scheinen sie mir nicht unbedingt sticbhaltig. BiSr al-Marisi war, wie oben schon bemerkt, ein Zeitgenosse, jünger zwar, aber darum
sehr berühmt (vgl. Der Islam 44 [1968] 30ff.); und das Problem des
halq al-Qur'än ist auch schon vor der mihna ausführlich diskutiert
worden (vgl. Madelung in : Orientalia Hispanica [Festschrift Pabeja].
Leiden 1974, Ij 504ff.). Daß die Isnäde in Teil 1 und 2 stereotyp seien, wie Massignon feststellt, läßt sich nicht leugnen; jedoch spricht dies eher für als gegen ein hohes Alter des Textes.
Neben diesem Musnad hat es nun weitere Werke des Rabi' gegeben.
Barrädi nennt in seiner Bücherliste noch ein K. al-Hu^ga 'alä l-halq
fi ma'rifat al-haqq, das Abü Sufra 'Abdalmalik b. Sufra von ihm über¬
lieferte, und ein K. fi l-furW, das ein gewisser Haitam*» nach verschie¬
denen Mittelsmännern zusammengestellt hatte (nr. 8 und 9 in der Uber¬
setzung von Motylinski, Bull. Corr. Afr. 3 [1885] 17). Denkbar wäre,
daß Wargläni Material aus dem ersteren Werk in Teil 3 seiner Redak¬
tion eingearbeitet hat; nach dem Titel zu urteilen, könnte es ja Uber¬
lieferungen enthalten haben, die sich gegen Nichtibäditen wenden lie¬
ßen. Wichtiger — und leichter nachprüfbar — ist das Verhältnis zu der
Riwäyat Dimäm^^ ('an Öäbir b. Zaid) des Rabi', die Ennami kürzlich
wiederentdeckt hat (vgl. JSS 15 [1970] 68 nr. 3—1). Sie ist von dem
obengenannten Haitam an 'Abdalmalik b. Sufra weitergegeben worden.
Das gilt offenbar auch für das K. al-Ätär des Rabi', von dem Sezgin
(GAS 1/93) eine Handschrift in Kairo verzeichnet. Beide Werke könnten
also identisch sein — vielleicht auch derart, daß die Riwäya ein Teü.
des K. al-Ätär ausmachte.
Gleichzeitig aber vnid fraglich, ob beide wiederum mit dem Musnad
gleichzusetzen sind. Sezgin geht von dieser Annahme aus; wenn sie
stimmt, dann hätten wir in dem K. al-Ätär vielleicht die unredigierte
"8 So wohl zu lesen statt des unverständlichen H-y-S-m, entsprechend dem
Überlieferer der Riwäyat Dimäm (s.u.). Ist Haitam b. al-Haitam an-Nägl
gemeint, der im Fihrist genannt wird (Ed. G. Flügel. Leipzig 1871—72,
183, 5f.)?
"" Wir wissen über diesen Dimäm weiter nichts. Bei Sammähi taucht er
an einer Stelle als Dimäm b. Yahyä auf (Siyar 121, —8). Zu seinen Be¬
ziehungen zu Rabi' vgl. ib. 80, pu. ff.
Untersuchungen zu emigen ibäditischen Handschriften 37
„Urfassung" des Musnad vor uns. Jedoch spricht dagegen, daß die
Überheferungen des Musnad nicht über 'Abdalmahk b. Sufra laufen ;
Wargläni müßte diesen Teil der Isnäde denn weggeschnitten haben.
Hinzu kommt, daß die ibäditische Tradition beide Werke deutlich
voneinander trennt. Nach Sammäfei überheferte 'Abdalmalik b. Sufra
die Ätär des Rabi', die dieser über Dimäm von öäbir b. Zaid übernahm*";
das sprieht für jene Gleichsetzung mit der Riuxiyat Dimärn, die wir oben
vorschlugen. Sie aber sind zu unterscheiden von dem Musnad, der auch
einfach Kitäb RahV genannt wurde und vor aUem Material nach Abü
'Ubaida at-Tamimi enthielt; er war völlig ungeordnet. Sein Über¬
lieferer war unbekannt — offenbar, weil man nur noch mit der Redak¬
tion des Wargläni arbeitete (vgl. Siyar 119, 4ff.).
Zum tartlb des Wargläni schrieb ein gewisser Abü 'Abdalläh al-'Umäni
einen Kommentar. Er kann trotz der Namensgleiehlieit nicht mit dem
bei Schacht in Revue Africaine 100 (1956) 382, nr. 22 aufgeführten
Abü 'Abdalläh Muhammad b. Ibrähim b. Sulaimän al-Kindi al-'Umäni
identisch sein, da dieser bereits gegen 508, also 60 Jahre vor Wargläni
starb. Wahrscheinlich ist, trotz der Verschiedenheit der Nisben, eher an
Abü 'AbdaUäh Muhammad b. 'Umar al-Magribi zu denken, dessen
Hääiya die Sansibarer Ausgabe (c) begleitet.
Zu diesem Kommentar verfaßte ein gewisser Abü Sitta al-öarbi eine
Glosse. Sie ist in einer Handschrift aus dem Jahre 1103/1692 in der
Bibliothek des Saih Sälih Ba'mäba in Malika erhalten. Das Werk selber
ist, wie wir aus dem Kolophon erfahren, i.J. 1082/1671^—2 verfaßt.
Damit steht fest, daß der Autor mit jenem Abü Sitta al-Qasabi identisch
ist, zu dem Rubinacci eine umfangreiche bibhographische Glosse in
einer ibäditischen Handschrift des Istituto Universitario Orientale in
Neapel ans Licht gezogen hat (vgl. AIUON 3 [1949] 431 ff., kurz auch
6 [1957] 7). Die Hädiya ist dort verzeichnet, zusammen übrigens mit
weiteren Glossen, etwa zum Tafsir des Hüd b. Muhkim (s.u. nr. 5),
zum Muhtasar al-'Adl des Sammähi (s.u. nr. 12)** usw. Abü Sitta starb
im Rabi' I 1088/Mai 1677 (vgl. ib. S. 432). Sicheriich werden wir auch
Abü Sitta as-Sidwiksi hierherziehen dürfen, dessen Glosse zum tartib
des Wargläni nach Schacht (nr. 6) in einem dreibändigen Druck in der
Maktabat al-Qutb vorhanden ist. Dieser Druck wäre demnach mit der
obengenannten Handschrift identisch**; aUerdings ist bei Schacht von
dem zwischengeschalteten Kommentar keine Rede.
Das K. al-Ätär heißt in der Kairiner Hs. direkt Musnad Abl Sufra.
Eine weitere Hs. findet sich in der Bibliothek des Saih Sälem b. Ya'qüb
auf Djerba, in derselben majmü'a, die auch die Aqwäl Qatäda enthält.
** Beide Werke blieben unvollendet.
Ich habe leider versäumt, beide miteinander zu vergleichen.
Brockelmann erwähnt (GAL S 1/692) eine Glosse des Abü Sitta aI-Qa§abi zum K. al-Wad' des öanäwuni (s.u. nr. 10), die in der hizäna
al-Bärüniya auf Djerba aufbewalirt wird. Nach Schacht (nr. 30) soll
das gleiche Werk von einem Abü 'Abdallah Muhammad b. 'Umar b.
Abi Sitta stammen, der im 10./17. Jh. gelebt habe. Liegt eine Konta¬
mination mit dem Namen des obengenannten Kommentators vor?
Der tartib des Wargläni ist von Saih Muhammad b. Yüsuf Atfaiyis,
dem letzten großen ibäditischen Gelehrten alter Schule (gest. 1332/1914;
vgl. GAL S 2/893), noch einmal umgeordnet worden; das Autograph ist
in seiner Privatbibliothek, der Maktabat al-Qtttb in Beni Izguen, erhalten
(vgl. Schacht nr. 6). Der Text ist in einer Lithographie Algier 1326
gedruckt.
4. Abü öänim Bisr b. öänim al-Huräsäni: al-Mudauwana.
Vgl. Barrädi, übs. Motylinski 18, nr. 12; Schacht nr. 16; GAS 1/586.
Der Verfasser hat zu Rabi' b. Habib und anderen bayrischen Autori¬
täten der zweiten Hälfte des 2. Jh.s Kontakt gehabt. Jedoch repräsen¬
tiert er im wesentlichen den persischen Zweig der Gemeinde (vgl.
Lewicki in EI* III 653b). Daraus erklärt sich, daß die ibäditischen
biographischen Quellen, die ja alle aus dem Magrib stammen, über ihn
keine Auskunft geben. In Persien ist wohl auch seine MudauwuTia
entstanden, in der er die juristischen Lehrmeinungen seiner Gemeinde
zusammenstellte. Als er auf einer Reise in den Magrib den Imäm 'Abdal¬
wahhäb b. 'Abdarrahmän b. Rustam (168/784—208/824) in Tähart auf¬
suchte, hinterließ er ein Exemplar des Werkes für die dortige Biblio¬
thek, die maktaba al-ma'süma. Letzteres ging bei der Eroberung der
Stadt durch den Vorboten der Fätimiden, Abü 'Abdalläh al-Si'i, i.J.
296/908 im Brande der Bibhothek zugrunde. Jedoch hatte zuvor AbO
Hafs 'Amrfls b. Fath, der z. Z. des Imams Yüsuf b. Muhammad b.
al-Aflah (abgesetzt 281/894?) Qädi im Öabal Nafüsa war und in der
Schlacht von Mänü (283/896) gegen die Aglabiden fiel, das Buch für
sich abgeschrieben und auf diese Weise in den öabal Nafüsa gebracht**.
Die jetzigen Exemplare gehen angeblich alle auf diesen Kodex zurück.
Das Werk wird gelegentlich auch unter dem Titel Oänimlyät oder Diwän
BiSr b. Öänim genannt (vgl. Lewicki in: EI* s.n. Abü Ghänim und in:
RO 25 [1961] 96f ; dazu die Chronik des Abü Zakariyä', übs. Le Toue¬
neau in: Revue Afr. 104 [1960] 330 und Sammähi: Siyar 228, 3ff.).
Allerdings sind heute zwei Fassungen des Werkes im Umlauf, eine
Mudauwana al-kubrä (Mk) und eine Mudauwana as-sugrä (Ms). Barrädi
Ein kontroverstheologisches Werk des 'Amrüs b. Fath (K. Usül ad-
dainüna as-säjiya) ist von Ennami aufgefunden worden (vgl. ,ISS 15 [1970]
80f.).
Untersuchungen zu emigen ibäditisclien Handschriften 39
kennt diesen Unterschied nicht; er zählt 11 Teile auf, die ihm wahr¬
scheinlich separat vorlagen** und jedenfaUs nicht das gesamte Werk
repräsentieren*'' (vgl. Motylinski 18, nr. 12). Schacht hat jeweils eine
Handschrift für beide Versionen aus Privatbesitz in Beni Izguen ver¬
zeichnet (nr. 16). Es gibt deren jedoch mehr: in der fiizäna al-Bärüniya
auf Djerba findet sich die Ms, in der Bibliothek des Saih Sälim b.
Ya'qüb ebenda ein Bäh as-salät wat-takbir, wohl aus der Mk. Zwei
weitere Handschriften, die ich nicht einsehen konnte und über deren
Zugehörigkeit zu einer der beiden Versionen ich darum nichts aussagen
kann, wurden mir für die Bibhotheken des Saih Mathäei (Mutahhar)
in Malika und des Saih Bel Häöö in Guerrära gemeldet.
Im Besitz des saih Sälim b. Ya'qüb befindet sich auch eine junge Hs.
mit juristischen Entscheidungen des öäbir b. Zaid, die angeblich der
Mk entnommen sind. Hier bleibt ebenso wie bei den Aqwäl Qatäda
(s.o. nr. 2) das genauere Verhältnis der Texte zueinander nooh zu
untersuchen.
Ich selber habe ebenso wie Schacht jeweils ein Exemplar der beiden
Versionen aus Privatbesitz in Beni Izguen einsehen können. Die Mk
gehörte Bäbänü Muhammad b. Yüsuf; die My, nach deren Herkunft
ich zu fragen vergaß, ist vieUeicht mit der bei Schacht verzeichneten
identisch. Mk enthält dabei den Text in der Anordnung des Saih AtfaiyiS
(zu ihm s.u. S. 61); jedoch findet sich zu Anfang in der gleichen Hand¬
schrift separat daneben ein Fragment der ursprünghchen Fassung (bis
zum Bäb salät al-gum'a). Der tartib des Saih AtfaiyiS ist zugleich ein
Kommentar; die erklärenden Zusätze sind dabei nicht in den Text
eingeschoben, sondern mit der Bemerkung qäla l-murattib ihm jeweUs
angefügt. Die ursprüngliche Anordnung läßt sich aus der Ms erschließen.
Diese nämlich ist im wesentlichen eine Kurzfassung. Das Bäb salät
al-hauj z.B. besteht in Mk aus folgenden Teilen:
a) SteUungnahme des Abü 1-Mu*arrig (s.u.) nach Abü 'Ubaida at-Tamimi
[Abu l-Mu'arrij 'an Abi 'Ubaida: idä haraga ...)
b) Verweis auf die Lehrmeinung des BiSr al-Marisi (wa-za'ama BiSr al-
Marisi. ...)
c) emeute Stellungnahme des Abü 1-Mu'arrig nach Abü 'Ubaida, dies¬
mal jedoch auf ausdrückliches Befragen ; ergänzt um die Lehrmeinung
des Hätim b. Mansür (s.u.) nach 'AbdaUäh b. 'Abdal'aziz (sa'altu
Abä l-Mu'arri^ 'an salät al-hauf. Qäla: sa'altu 'an dälika Abä 'Ubaida
^* Die Reihenfolge seiner Aufzählung entspricht nicht der in unseren
Handschriften.
Von einem 12. Teil, dem K. az-Zakät, vermerkt er, daß dieser ihm nie
zu Gesicht gekommen sei.
fa-qäla .... wa-qäla Hätim b. Mansür ... qäla: Qäla 'Abdalläh b.
'Abdal'aziz. ...)
d) Stellungnahme des Ahü l-Mu'arrig nach Abü 'Ubaida, ob man auf
einem Schiff in Glefahrensituationen die salät al-hauf beten solle
(Bäb. Sa'aüu Abä l-Mu'arrig .... Qäla: sa'altu 'an dälifca Abä
'Ubaida, qäla: ...).
Davon bringt M? nur Abschnitt c, diesen jedoch wörthch. Die Struktur
der einzelnen Kapitel ist nicht immer gleich; das Bäb at-taläq ist ganz
im Frage- und Antwort-Stil gehalten, wobei aber im Gregensatz zu
oben immer nur eine Autorität befragt und meist nicht namentlich
genannt wird. Mit dem K. al-Buyü' beginnt, nach vorhergehender
Schlußfloskel, ein anderes Werk, das später in seinem Kolophon als
K. Ihtiläf al-futyä, riwäyat öänim b. BiSr b. Gänim 'an ar-Rabi' b.
Ifabib 'an Abi 'Ubaida Muslim b. Abi Karima at-Tamimi bezeichnet
wird. Es handelt sich also um das in Barrädi's Bücherhste als nr. 14
genannte Werk (vgl. Motylinski 18, nr. 14), über dessen Verbleib
bisher noch nichts bekannt war. Das Buch ist von dem Sohn des Bilr b.
6änim (nach dem dieser ja auch die Icunya Abü öänim trägt) tradiert
worden und enthält offenbar vor allem Lehrentscheide des AbO 'Ubaida.
Es ist darum nicht erstaunlich, daß hier emeut ein Kapitel über taläq
und nilcäh auftaucht. Der Dialogstil der Mudauwana findet sich hier
nicht; vielmehr werden einzelne Kasus abgehandelt. Im Anschluß an
das Kolophon dieses zweiten Teüs folgt ein weiteres Werk im Dialogstil,
über dessen Identität ich nichts auszumachen vermochte. Wenn die
eingesehene Handschrift also die übliche Textgestalt von Ms repräsen¬
tiert, so haben wir in diesem Werk die Kombination zweier, wenn
nicht dreier Einzelschriften des Biär b. öänim vor uns, die auf eine
spätere Zeit zurückgeht; die Tatsache, daß Barrädi noch nicht von ihr
weiß, läßt vermuten, daß sie jünger ist als das 8./14. Jh.
Ich vermag allerdings die Möglichlceit nicht ganz auszuschließen, daß
es sich bei der vorliegenden Hs. ura eine SammeLhandschrift handelt
und Ms in Wirklichkeit vor dem K. Ihtiläf al-futyä endet. Laut dem
Kolophon, das auf letzteres folgt, ist sie (oder letzteres) am 16. Safar
1286/28. Mai 1869 fertig abgeschrieben worden. — Die Hs. von Mk im
tartlb des Atfaiyis ist nicht ganz vollständig und hat infolgedessen kein Kolophon.
Bür b. Öänim hat in diesem Werk, wie der Titel schon sagt, die
juristüchen Lehrmeinungen, die von den maßgebhchen Autoritäten
seiner Gemeinde vertreten winden, zusammengestellt und schrifthch
niedergelegt. Beherrschend ist dabei die Figur des Abü 'Ubaida. Jedoch
hat Bür ihn selber offenbar nicht mehr erlebt. Gtelegenthch zwar wird
ein Passus ohne Isnäd direkt mit qäla Abü 'Ubaida eingeleitet; jedoch
Untersuchungen zu einigen ibäditischen Handschriften 41
heißt dies wohl nur, daß Bür die Ansicht des basrischen Grelehrten
referiert, u.z. wahrscheinhch nach einer schrifthchen QueUe'*. Viele
andere Namen dagegen sind in ein Dialogschema hineingenommen
imd werden mit der Floskel sa'altu oder qultu li- ... (ahbirni 'an ...)
eingeleitet, z.B.
1) Rabl' b. Habib (zu ihm s.o. nr. 3)
2) dessen Schüler Abü Sufyän Mahbüb b. ar-Rahil (zu ihm vgl. Sam¬
mähi 117, apu. S. und Lewicki in RO 11 [1935] 177f.)
3) Abü Aiyüb Wa'U (b. Aiyüb al-Hadrami), gleichfalls Schüler des Rabl'
4) Abü l-Mu'arrig
5) Abü Sa'id 'AbdaUäh b. 'Abdal'aziz 6) Abü öassän Mahlad b. al-Mu'arrid*'
7) Abü 1-Muhägir (wohl der Küfier dieses Namens; vgl. Lewicki in EP
111651a)
8) Hätim b. Mansür.
AUerdings heißt dies nicht unbedingt, daß er mit aUen unter ihnen
dnekten Kontakt gehabt habe; an einer SteUe folgt auf eine Aufzählung
mehrerer Autoritäten, die er ,, gefragt" haben wül, die Bemerkung:
,, Einige habe ich direkt gefragt; bei anderen hat mir jemand berichtet,
der sie direkt gefragt hat ...". Das bedeutet, daß sie zwar aUe seine
(älteren) Zeitgenossen sind, er jedoch nicht eng mit ihnen zusammen¬
lebte — bei der weiten geographischen Verbreitung der Gemeinde sehr
verständlich. Nr. 3 unserer Liste stammt aus dem Hadramaut; nr. 7
gehört anscheinend nach Küfa. Bezeichnenderweise werden manche von
ihnen gelegenthch auch nur mit qäla eingeführt, also vieUeicht nach
schrifthcher Vorlage zitiert (so etwa nr. 5, nr. 7 und nr. 8). Mit qäla
griff" Bür, wie wir sahen, ja auch direkt auf die diesen seinen Zeitge¬
nossen unmittelbar voraufgehende Generation zurück, auf Abü 'Ubaida
(s.o.) oder Abü Nüh Sähh ad-Dahhän, der mit diesem zusammen der
basrischen gamä'at al-muslimin angehörte. Mit qäla wird im übrigen
auch einmal ein Zitat nach dem Zeitgenossen Hamza b. Bazig einge¬
leitet, der seinerseits sich auf nr. 1, 2, 4 und 8 und zudem auf Hägib
at-^Tä'i, den bekannten und einfiußreichen KoUegen des Abü 'Ubaida
in Basra, bezieht. Mit Rabi' b. Habib scheint der Autor nur kurz —
wohl in seiner Jugend — zusammengekommen zu sein; hier läuft, wie
andere SteUen zeigen, die Überheferung auch über dessen Schüler
Die Handschrift eines Werkes von Abü 'Ubaida verzeichnet Ennami
in JSS 15 (1971) 67f.
*' So zu lesen? Vgl. Sammähi III und Dargini: Tabaqät in der Inhalts¬
angabe von Motylinski in Bull. Corr. Afr. 3 (1885) 41. Die Hs. der Mudau¬
wana hat an der herangezogenen Stelle die Form al-'-m-r (als al-Gumr zu
lesen?).
Mahbüb b. ar-Rahil. Von letzterem stammt sehr viel Material in den
Responsa des Bäb at-taläq in Ms (s.o.). Besonders eng war offenbar die
Beziehung zu nr. 4 und nr. 5; sie werden überaus häufig genannt. Von
ihnen erfahren wir an anderer Stelle (Sammähi: Siyar 119, 13fF. und
153, 3ff.), daß sie sich durchaus nicht immer der Meinung des Rabi'
b. Habib anschlössen ; er hat sich zeitweise sogar von ihnen losgesagt
und sie mitsamt ihrem Anhang aus seinem Lehrzirkel verwiesen. Nr. 3
dagegen soll Rabi' sehr nahe gestanden haben (Sammähi 105, 10),
ebenso wie vermuthch auch nr. 2. Eine genauere Analyse der Mudau¬
wana dürfte näheren Aufschluß über diesen Schulstreit bringen.
Die „Gründergeneration" der Ibädiya, unter ihnen vor allem Gäbir
b. Zaid, tritt demgegenüber etwas zurück. Gäbir wird zitiert, aber nicht
aUzu häufig, neben ihm dann auch nicht-ibäditische Autoritäten wic
Sa'Id b. al-Musaiyab (gest. 94/713), Hasan al-Bayrl (gest. 110/728), Ibn
Slrin (gest. im gleichen Jahr), 'Atä' (wohl 'Atä' b. Abi Rabäh, gest.
114/732), Zuhri (gest. 124/742) usw. Hadite werden nur selten herange¬
zogen; maßgebliche Rechtsgrundlage ist der Usus der ibäditischen
Gemeinde, so wie er sich in den Entscheiden ihrer Juristen manifestiert.
Die Form der Isnäde ist noch sehr locker; Hätim b. Manyür benutzt
etwa an einer SteUe die Formel : haddatani ra^ul min ahl Huräsän rafa'a
l-hadit ilä Anas b. Mälik. Anderswo heißt es einfach gä'a 'an an-nabi
oder gä'a l-hadit.
Interessant ist, daß ebenso wie Rabl' b. Habib auch Biär b. öänim
zumindest an einer SteUe, wahrscheinhch aber häufiger, BiSr al-Marisi
zitiert. Die Vokabel za'ama, mit der er das Zitat einleitet, zeigt, daß er
sich von ihm distanziert. Jedoch ist BiSr al-Marisi der einzige Zeitge¬
nosse außerhalb der Gemeinde, auf den er Rücksicht nimmt. Es scheint,
daß dieser in Huräsän z.Z. des Ma'mün, der ja bis gegen 204/819 dort
residierte, in juristischen Dingen ein überragendes Prestige besaß. BiSr
b. öänim ist wohl jünger gewesen als er; wir werden seinen Tod in die
Zeit um 230/845 setzen dürfen.
Auf eine berberische Übersetzung bzw. Paraphrase der Mudauwana
haben bereits Motylinski und im Anschluß daran Schacht (S. 38L
Anm. 8) sowie Sezgin (in GAS 1/586) aufmerksam gemacht. Ihr Ver¬
hältnis zum Grundtext bleibt zu untersuchen.
5. Hüd b. Muhkim al-Hauwärl: Tafsir.
Vgl. Schacht, nr. 1; GAS 1/41 (wo falsch „al-Hauwärl").
Der Autor gehört dem Berberstamm der Hauwära an, welche in
Tripolitanien die ibäditischen Imäme unterstützten und später mit Abü
Yazid, dem ,,Mann mit dem Esel", gegen den Fätimiden Mansür kämpf¬
ten (vgl. EF S.Y. Hauwära und Abü Yazid). Sein Vater wurde z.Z.
des Rustamidenimäms al-Aflah b. 'Abdalwahhäb (208/823—258/872?)
Untersuchungen zu einigen ibäditischen Handscliriften 43
von den Stämmen des öabal Nafüsa zum Qädi gewählt ; er weigert sich
zuerst, nimmt aber dann an und wird wegen seiner Strenge und Unbe¬
stechhchkeit berühmt (vgl. die Chronik des Ibn Sagir in: Actes XIV.
Congres Alger 1905, III^ S.23, pu. ff./Übs. Slff.; auch Sammähi:
Siyar 194). Der Sohn lebte also um die Mitte bis Ende des 3. Jh's. Die
Lesung des Namens M-h-k-m ist nicht unbedingt sicher ; Muhkim ent¬
spricht der heute im Mzäb gebräuchhchen Aussprache. Jedoch wäre
auch Muhkam, Muhakkam oder, bei einem Härigiten besonders nahe¬
liegend, Muhakkim denkbar.
Das Werk ist nicht sehr umfangreich ; nach Barrädi's Angabe umfaßt
es zwei guz' (vgl. Motylinski 23, nr. 49). Leider habe ich nur eine der
beiden bei Schacht genannten Handschriften, Q 24/317, einsehen kön¬
nen. Sie ist unvollständig und umfaßt, bis auf einige fehlende Blätter,
Sure 19—37, das dritte Viertel des Werkes; sie wurde voUendet Freitag,
13. Ramadän 1002/2. Juni 1594 von Sulaimän b. Abi 1-Qäsim b. Sulaimän
an-Nafüsi'». Der geringe Umfang erklärt sich daraus, daß, wie Sammähi
formuliert, das Buch ,,nach Art der Alten" geschrieben ist (Siyar 381,
6 ff.); es kümmert sich nicht um grammatikalische Fragen oder um
dogmatische Konsequenzen, sondern treibt rein historische Exegese mit
gelegenthchen Rückgriffen auf den Schatz vorislamischer Legenden.
Obgleich nicht viel älter als der Tafsir des Tabari, benutzt das Werk
doch wesenthch weniger und nur frühe QueUen: die Kommentare des
Mugähid (gest. 104/722), des Hasan al-Basri (gest. 110/728) und des
Kalbi (gest. 146/763), Bücher also, die zu dem Zeitpunkt, als die ibädi¬
tische Gemeinde Basra verließ, bereits vorlagen. Seitdem war die Ver¬
bindung zum Irak, in dem sich der Fortschritt der Wissenschaft im
wesentlichen vollzog, abgebrochen. Auch Hadit wird nicht allzu häufig
zitiert : gelegentlich nach Ibn 'Umar, nach Ibn Mas'üd oder nach 'Ubäda
b. a?-Sämit. VieUeicht läßt sich aus diesem Text vertiefte Einsicht in die
Überlieferung des Mugähid-Kommentars gewinnen; diese hat sich ja
als verhältnismäßig kompliziert erwiesen (vgl. G. Stauth : Die Über¬
lieferung des Koranhommentars Mugähid b. öabrs. Diss. Gießen 1969).
6. K. al-öahälät.
Theologisches Werk im Frage- und Antwort-Stil, dessen Autor schon
Barrädi unbekannt war'* (vgl. Motylinski 26f. nr. 65). Kommentiert
'8 Das Kolophon bezeichnet den Tafsir übrigens als dem Hüd b. Muhkim
nur zugeschrieben (mudäf ilä).
^' Allerdings heißt es nicht deswegen K. al-öahälät, wie heute gelegentlich
im Mzäb zu hören ist. Man kann vielmehr vom direkten Wortsinn ausgeben :
in ihm werden Punkte behandelt, in denen sich die theologische Unwissen¬
heit der Gegner erweist (vgl. die Kapitelüberschrift Bäb ähar min al-
Öahälät).
von Abü 'Ammär 'Abdalkäfi (Mitte des 6/13. Jh.s), dem Verfasser des
Mü§iz (s.u. nr. 12; vgl. Motylinski 27 m-. 69). Handschriften von
Grund werk und Kommentar vgl. Schacht m-. 75. Ich habe gearbeitet
mit der Sammelhandschrift Qutb 825, die das Grundwerk in zwei
Exemplaren und daneben den Kommentar sowie das K. al-Mügiz ent¬
hält.
Das erste Exemplar umfaßt 1.5 folia und ist Anfang Ragab 1275/Anfang
Februar 1859 vollendet. Am Rande des Kolophons ist ein Name nach¬
getragen, der vermutlich dem Schreiber zugehört: Ibrähim b. Yüsuf
b. 'Isä. Das zweite Exemplar ist unvollständig und bricht nach folio 14
kurz vor dem Ende ab. Der Kommentar des Abü 'Ammär wurde von
dem Schreiber Yünus b. Muhammad al-Barqi am 27. Dü 1-Qa'da 1093/
27. Nov. 1682 vollendet; der Anfang fehlt. Zum K. äl-Müjiz s.u.
nr. 12.
Das Buch besteht in der von mir benutzten Handschi'ift aus 5 unge¬
zählten Kapiteln. Der Inhalt ist nicht leicht wiederzugeben, da das
Thema im allgemeinen sehr schnell wechselt; Überschriften fehlen. Die
folgenden Angaben sind darum keineswegs erschöpfend; andererseits ist
zu berücksichtigen, daß die aufgeführten Fragen häufig nur gestreift
und in katechismushafter Kürze abgehandelt werden.
Kap. I ist als Anleitung zur theologischen Diskussion konzipiert:
1) Die Geschöpf lichkeit des Menschen als Beweis fin die Existenz
Gottes".
2) Die Eigenschaften Gottes und ihre Verschiedenheit von denen der
Menschen: inwiefern ist Gott in anderer Weise „einer", ,,gut", ,, gerecht" etc. als der Mensch?
3) Wo ist Gott? Gott ist überall".
4) Die Ewigkeit Gottes.
5) Das Wissen um die Geschöpf lichkeit ist „notwendig". Über den
Iidialt dieses Wissens.
Vgl. zum Stil folgende kurze Textprobe aus dem Anfang des Werkes :
In sa'ala aä'ilun fa-qäla: Mä dallluka 'alä annaka mahlüq? fa-qul: Dallanl 'alä dälika hadatl ba'da id lam aku Sai'an wa-häjatl ilä gairl wa-taqallubu l-aSyä'i fiya wa-fl gairl. — Fa-in qäla: Wa-mä fl dälika mimmä yadulluka?
fa-qul: Wa-kaifa lä yakünu dälika ll dalllan wa-qad wajadtu nafsi tanzilu
bihä l-aSyä'u 'alä kurhin minni lä astatl'u daf'dhä wa-lä l-imtinä'a minhä. — Fa-in qäla: Fa-hal ta'rifu lladl anzala bika hädihi l-aSyä' 'alä kurhin minka?
fa-qul: Na'am. — Fa-in qäla: Fa-lud ra'aitahü? fa-qul: Lä. — Fa-in qäla:
Fa-hal lamastahü? fa-qul: Lä. — Fa-in qäla: Fa-hal sami'tahü? fa-qul: Lä. —
Fa-in qäla: Fa-hal adraktahü bi-Sai'in min hädihi l-hawäss al-hamsa? fa-qul:
Lä. — Fa-in qäla: Wa-kaifa 'arifta rabbaka annahü liäkadä? fa-qul: Nazartu ilä hädä l-halq fa-wagadtuhü dalllan
*^ .... wa-laisa ka-Sai'in fl Sai' wa-lä ka-Sai'in ma'a Sai' wa-lä ka-Sai'in dähilin fl Sai' wa-lä ka-sai'in härijin min Sai' wa-lä ka-Sai'in mufäriqin li-Sai' wa-lä ka-Sai'in muläsiqin li-Sai' wa-lä ka-Sai'in mugäwirin li-Sai' wa- huwa bi-kulli makän wa-fl kulli makän. . . .
Untersuchungen zu einigen ibaditischen Handschriften 45
ö) Vergleich anderer Wissensinhalte: Ist „Gott ist einer" identisch mit
„Gott ist ewig"? — Nein; sonst wäre alles Eine auch ewig. „Gott ist einer" besagt Negation der Zahl (nafy al-'adad, d.h. Negation einer numerischen Vielheit); „Gott ist ewig" besagt Negation der Zeitlichkeit (nafy al-liadat). „Gott ist etwas (Sai')" besagt Negation des Nichtseins.
7) Unterschied zwischen kufr und Sirk.
8) Polemik gegen das taSblh.
9) Könnte Gott auch die Guten bestrafen und die Bösen belohnen?
Antwort: Das ist absurd (muhäl).
10) Weiß Gott durch ein Wissen und ist er allmächtig durch eine (sepa¬
rate) Allmacht? — Die Aussage „Gott hat ein Wissen von den
Dingen" bzw. „er hat Macht" heißt nur „er ist nicht unwissend inbezug auf sie" bzw. „er ist nicht ohnmächtig inbezug auf sie", nicht aber, daß er ein (separates) Wissen oder eine Allmacht besitze,
durch die er von den Dingen weiß und über sie Macht hat. — Warum
diese Differenzierung? •—• Weil „Gott hat ein Wissen" bzw. „Gott hat Allmacht" nur heißen karm: a) dieses Wissen bzw. diese Allmacht
ist ewig; dann ist die Einzigkeit Gottes aufgehoben oder b) Gott
läßt beides zu einem bestinunten Zeitpunkt in die Existenz treten;
dann war er vorher unwissend bzw. machtlos. Wer aber machtlos ist,
kann auch kein Wissen und keine Allmacht in die Existenz treten
lassen. Gott ist also seinem Wesen nach (jt najsihi) allwissend und
allmächtig. ,,Gott hat Wissen" heißt nur ,,Gott ist (all)wissend und nicht unwissend", nichts anderes''". Die Namen Gottes haben mit
irdischen Bezeichnungen nichts zu tun. Bezeichnimgen irdischer
Dinge sind ablösbar; bei Gott dagegen sind die Namen Ausdruck
seines Wesens. Sie sind alle eine Form des Preises (madha) seiner
Einzigkeit.
Kap. II (Bäb ähar min al-öahälät) hat zu Anfang eine andere sti¬
listische Form. Zwar wird auch hier das Frage- und Antwort-Schema
beibehalten; aber es handelt sich nun nicht um Anleitung zum Dialog,
sondern um Wiedergabe eines Dialogs. Die Einleitungsfloskeln haben
sich demgemäß geändert: statt ja-in sa'ala sä'ilun — fa-qul heißt es
jetzt sa'altu — fa-qäla (wobei der Schreiber zu Anfang allerdings nach
alter Gewohnheit noch einige Zeit lang fa-qul schreibt). Die Fragen und
Antworten sind im aUgemeinen kürzer als zuvor und überschneiden sich
z.T. mit den vorherigen; das Thema wird nun wesentlich häufiger ge¬
wechselt. AUerdings wird schon bald das ursprüngliche Schema wieder
aufgenommen.
*" Das steht in gewissem Gegensatz zu Abschnitt 6. Es handelt sich also doch nicht, ^vie dort schien, um reine negative Theologie. Der Hauptakzent
der Beweisführung hegt auf der Ablehnung selbständiger Attribute. Sind
hier zwei Entwicklungsstadien, die negative Theologie nach Art des Mu'tazi¬
liten Dirär b. 'Amr (vgl. Der Islam 43 [1967] 277) und die Attributenlehre des Abü 1-Hudail etwa, miteinander vermischt?
1) Über tauhid und Imän: Unterschied zwischen wesentlichen und verziohtbaren Glaubensinhalten. Wann ist Solidarität (tawalll) gebo¬
ten und wann Lossagung {tabarru').
2) Warum hat Gott den Menschen geschaffen? — Zur Bewährimg
(bi-HUat al-ibtilä').
3) Zum Unterschied zwischen Bewegung und Ruhe ; über willkürliche mid
unwillkürliche Bewegung (harakat al-muktasib und harakat ahnudfarr).
4) Über die Eigenschaften Gottes.
5) Zum Unterschied zwischen wahr und falsch: „Wenn man nach
dem Wahren (al-haqq) sucht, so findet sich als Basis etwas Beständi¬
ges" (oder: ,. etwas, das einen beständigen Sinn hat", wugida tahtahü ma'nan täbit), beim Falschen nicht.
6) Wen muß man als Ungläubigen erkennen — und demgemäß als
solchen behandeln — und wen nicht? Sehr eingehender kasuistischer
Fragenkatalog. In den Antworten wird jeweils auch die Stellung des¬
sen erörtert, der am Unglauben des Betreffenden zweifelt (mit der
Formel aS-Säkk *l kufrihl käfir bzw. muslim).
7) Definition der „Religion" (dln): ,, Erkenntnis dessen, was man
nicht nichtwissen darf; Tun dessen, was man nicht unterlassen
darf, und Unterlassen dessen, was man nicht tun darf".
8) Zahlreiche weitere Fragen aus dem gleichen Bereich: Definition von
wiläya und barä'a; Grundvoraussetzungen (arkän) von Glauben und
Unglauben; Wesen von tauhid, nifäq usw.; erneute Definition von
dln, das hier als „Islam" erklärt wird.
9) Was ist Islam? — ,,Rede und Handeln" (qaul wa-'amal). Definition von qaul und 'amal.
Kap. III:
1) Über die Bestrafung der Ungläubigen: wer Gott, seinen Propheten
oder den Koran ablehnt, soll verbrannt und nicht in die Gefangen¬
schaft geführt werden.
2) Definition von Wissen, Handlungsfähigkeit und Wollen.
3) Setzt sich das göttliche Allwissen gegenüber Gottes Gebot durch oder
umgekehrt sein Gebot auf Kosten seines Allwissens? ■— Das Wissen
ist übergeordnet ; denn allen Menschen ist geboten, zu glauben, aber Gott weiß, daß nicht alle glauben werden.
4) Will Gott etwas schon vor dessen Existenz oder nachher oder im
Augenblick seines In-die-Existenz-Tretens?
5) Müssen die Menschen dem Aufruf Gottes und der Propheten folgen,
obgleich Gott doch weiß, daß manche ihm nicht folgen werden?
6) Was ist Islam? (s.o. II 9). — Ergebung in Gottes Gebot und Zufrie- denlieit mit seiner Bestimmung.
7) Über die Erschaffung in der Zeit.
8) „Gott ist wissend" heißt ,,er ist nicht unwissend" etc. (s.o. I 10).
9) Stehen die Engel unter der Verpflichtung des Gesetzes (mukal-
lafün)1 — Ja; aber sie werden nicht für ihre Taten belohnt, da es in
ihrer Natur liegt, nicht zu sündigen.
10) Warum müssen die Männer einen Brautpreis für die Frauen zahlen,
obgleich doch beide das gleiche Vergnügen am Ehevollzug haben? —
Weil die Frauen die Kinder kriegen.
Untersuchungen zu euiigen ibäditischen Handschriften 47
11) Warum heißt Gott im Koran mu'min, aber nicht muslimt
12) Ist Gott barmherziger als die Eltern?
Kap. IV:
1) Ist der Glaube an das Einheitsbekenntnis (at-tauhld) identiscli mit
dem, woran man glaubt {(ü-muwahhad) oder nicht? — Nein; mu-
wahhad ist Gott.
2) Weitere Fragen zum iauhld, Definition etc. (s.o. II 1 etc.).
3) Über Glauben und Unglauben: Definitionen (s.o. II 6).
4) Über den Unterschied zwischen isläm und Imän.
5) Über wiläya und barä'a (s.o. II 8).
Kap. V hat zu Anfang Responsencharakter, mit der Formel „sa'alta
'an .... wal-gawäb fi dälika an . . . ."
1) Wenn man einen Glaubensbruder (min ahl ad-da'wa)*^ jahrelang für
verläßlich gehalten hat und sich plötzlich herausstellt, daß er nicht
weiß, wer Muhammad war, wie sind er bzw. seine Frau und die¬
jenigen, die ihm den zakät abgeliefert haben, zu beurteilen? — Die
Antwort notiert einen Dissens unter den 'vlamä' darüber, ob seine
Ehe dann automatisch geschieden ist oder nicht.
2) Was, wenn jemand einen Koran verbrennt? — Er soll 114 Monate
fasten oder 10 gläubige Sklavinnen freilassen oder 300 Arme mittags und abends speisen.
3) Was, wenn jemand die Qibla oder ihre Bedeutung nicht kennt?
4) Was, wenn jemand falsche Behauptungen über Gott aufstellt?
6) Was, wenn jemand nicht weiß, wann Muhammad gelebt hat und ob
er etwa noch am Leben ist? Ob Gabriel ein Mensch war oder nicht?
Ob Muhammad das Siegel der Propheten war oder nioht? Ob Jesus
Engel war oder Mensch?
Dann wieder Stü wie in Kap. I :
6) Woraus erkennt man die Ewigkeit Gottes? Woraus die ZeitUchkeit
der Schöpfung? und weitere Fragen über das Wesen Gottes.
7) Ist Gott im Paradies oder in der Hölle? — Gott ist nirgendwo im
lokalen Sinne.
8) Ist Gott „etwas" (iai')t — Ja.
9) Kennt Gott sich selber und hört oder sieht er sich selber?
10) Über die göttlichen Attribute, u.a.: Was heißt „Gott ist (all)wis-
send"? — „Er ist nicht unwissend" (s.o. I 10 und III 8). Wie kann
man beweisen, daß Gott von Ewigkeit her allwissend war? Dieselben
Fragen für die Allmacht mit jeweils recht ausführlicher und subtiler
Antwort. Über basir und samV, mutakallim, qavn, murid, qähir,
gani, häkim, karim, halim, 'azim, 'aziz, sädiq, bäqi, Sai', haiy, wähid
*^ ahl ad-da'wa bezeichnet hier wohl nicht die Missionaro, sondern einfach
die Angehörigen der Gtemeinde. Allerdings ist im Folgenden u.a. auch an
Leute höheren Ranges gedacht, die das Recht haben, den zakät einzu¬
ziehen.
qadlm mit jeweils dem gleichen Dreierschema: Ist Gott x? Was bedeutet es? (mit seiner darauffolgenden negativen Definition) \md:
Wie läßt sich beweisen, daß er so ist?
Die einzelnen Kapitel behandeln also, bei jeweils leicht abweichender
Akzentsetzung, im wesentlichen die gleichen Fragen; auch die Ant¬
worten sind manchmal wörtlich dieselben. Die Struktm dagegen ist
uneinheithch. Zwar wird der Frage- und Antwort-Stil im großen und
ganzen — gegenüber einer rein darsteUenden Form — dmchgehalten;
jedoch hat er verschiedene Intention und benutzt dementsprechend auch
verschiedene Einleitungsfloskeln. Dieser Befund paßt sehr gut dazu,
daß in einer einleitenden Bemerkung in der ersten der beiden eingesehe¬
nen Handschriften das Buch als taHif as-sädät min ahl ad-da'wa bezeich¬
net wird; es wäre also in einer Art Gemeinschaftsarbeit von den ma߬
geblichen Missionaren der Gemeinde verfaßt. Man hat sich dies wohl so
vorzustehen, daß jedes Kapitel von jemandem anders stammt; dies
ist vielleicht auch der Grund, warum die Kapitel nicht durchgezählt
werden. Vielleicht hat die presbyterianische Struktm der ibäditischen
Gemeinde der Entstehung von ,, team-work" Vorschub geleistet. Jedoch
hat sich diese presbyterianische Struktur, wie sie in der Institution der
haUja und in dem Rat der 'azzäba sich heute verwirkheht, ja erst später,
nach dem Ende des Imamats von Tähart (296/908) voll entfaltet**;
und unser Text scheint verhältnismäßig alt. Man sollte eher wohl an
ein zufäUiges Zusammenwachsen mehrerer Einzelwerke gleicher Inten¬
tion denken; daß — etwa im Sinne unserer heutigen ,, Symposien" —
ein Autorengremium sich bewußt die Aufgabe gestellt habe, ein Hand¬
buch zu verfassen, wird durch die zahlreichen Überschneidungen un¬
wahrscheinhch gemacht. Auch chronologische Verschiedenheit mag hin¬
zukommen, obwohl eine flüchtige Durchsicht mir keine Kriterien dazu
gab. Das Phänomen ist ja nicht ganz ohne ParaUele: auch das früh-
ismä'iUtische K. al-KaSf besteht aus mehreren Kapiteln, die jeweils
einer bestimmten Phase der vorfätimidischen ismä'Üitischen da'wa zuzu¬
ordnen sind und darum von verschiedenen Autoren stammen (vgl.
Madelung in: Der Islam 37 [1961] 53ff. ; näher dazu demnächst H.
Halm: Die Kosmologie der frühen Ismä'iliya. Habil.-Schrift Tübingen
1975).
Über einen Redaktor erfahren wir bei unserem Text nichts. Namen
werden an keiner Stelle genannt. Allerdings referiert Barrädi ein Urteü
der 'azzäba, also wohl der (jclehrten seiner Zeit, wonach Abü Ismä'il
al-Ba§Ir Ibrähim b. Malläl vom Stamme der Mzäta dem Grundtext
** Zur Institution der 'azzäba vgl. Lewicki in EI' III 95ff. s.v. Halha und
Faehät al-Öa'biei: Nizäm al-'azzäba 'inda l-Ibädlya bi-Öarba, Magister¬
arbeit an der Universität Tunis 1971 (unter Muhammad Talbi).