im Wissenschaftszentrum Nordrhein- Westfal en
Jahrbuch 2005
Inhaltsverzeichnis
Franz Lehner
„Alte“ und „neue“ Indus trie ... 8
Gerhard Bosch und Thorsten Kalina
E ntw ic k lung und S truk tur der
N iedrig lo h nb es c h ä ftig ung in D euts c h la nd ... 2 9
Gerhard Bosch und Jürgen Nordhause-Janz
Arb eits m a rk t N R W : E ntw ic k lung en und
H era us fo rderung en... 4 7
Renate Büttner, Martin Brussig und W alter W eiß
D ie D euts c h en g eh en w ieder s p ä ter in R ente -
a rb eiten s ie a uc h lä ng er? ... 6 5
Stephan von Bandem er und Michael R. Hübner
G es undh eits refo rm , V ers o rg ung s q ua litä t und K o s tenentw ic k lung : D a s B eis p iel Im p la ntierb a rer
C a rdio v erter D efib rilla to ren... 7 7
Michael Cirkel
F it fo r a g e – D ie N a c h fra g e Ä lterer a ls
W irts c h a fts fa k to r im F reitz eits p o rt... 9 4
Lars Czom m er und Oliver Schweer
M o derne D iens tleis tung en a m Arb eits m a rk t in
AR G E n - o der im Arg en? ... 1 1 7
Karin Esch und Sybille Stöbe-Blossey
Arbeitsmarkt und Kinderbetreuung – Anforderungen an die Neustrukturierung eines
Dienstleistungsangebots ... 13 3
Dagmar Grote Westrick, Josef Muth und Dieter Rehfeld
Clustermanagement im europäischen Vergleich ... 153
Thomas Haipeter und Gabi Schilling
T arifbindung und O rganisationsentwicklung: O T - Verbände als O rganisationsstrategie der
metallindustriellen Arbeitgeberverbände ... 169
Bettina Hieming, Karen Jaehrling und Achim Vanselow
P ersonalarbeit bei einfachen Dienstleistungen – (k)ein P roblem?... 185
Dirk Langer
Vernetztes Weiterbildungsmarketing – neue Chancen fü r Volkshochschulen in der beruflichen
Weiterbildung?... 20 4
Dieter Rehfeld
P erspektiven der Strukturpolitik nach 20 0 6 ... 220
Dorothea Voss-Dahm
Verdrängen Minijobs „normale“ Beschäftigung? .... 23 2
Claudia Braczko
Ö ffentlichkeitsarbeit im elektronischen Z eitalter ... 247
Jochen Bleckmann
Organisation, Personal und Haushalt... 257 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts Arbeit und Technik ... 260
Ahmad Anagreh und Melanie Wolf
Veranstaltungen 01.08.2004 - 30.06.2005 ... 263
Britta Reussing und Karin Weishaupt
Verö ffentlichungen aus dem IAT vom 01.08.2004 bis
zum 30.06.2005... 271
Gerhard Bosch und Jürgen Nordhause-Janz
Arbeitsmarkt NRW: Entwicklungen und Herausforderungen
1 Einleitung
Die Arbeitslosenzahlen zu Beginn des laufenden Jahres haben erneut die unverändert schwierige Lage auf dem Arbeitsmarkt des Landes verdeutlicht. Auch wenn die durch Hartz IV bedingten Änderungen in der statistischen Erfassung der Arbeitslosigkeit zu beträchtlichen Ver- zerrungen und Unsicherheiten geführt haben, zeigt die Spannweite1 der regionalen Unterschiede in den Arbeitslosenquoten, dass die Beschäfti- gungssituation des Landes nach wie vor von den Problemregionen, wie dem Ruhrgebiet, geprägt wird. Diesen Landesteilen stehen auf der an- deren Seite Regionen gegenüber, deren Arbeitsmarktlage sich deutlich besser als der westdeutsche Durchschnitt darstellt.
Der folgende Beitrag analysiert diese regionalen Unterschiede einge- hender in vergleichender Betrachtung (Abschnitt 2) und kontrastiert sie mit einigen ausgewählten Herausforderungen und Entwicklungen, vor denen der bundesdeutsche Arbeitsmarkt steht. Dabei konzentrieren wir uns auf die Probleme der Integration unterschiedlicher Erwerbsperso- nengruppen in den Arbeitsmarkt (Abschnitt 3) sowie die Nutzung von Wachstumspotentialen in NRW (Abschnitt 4).
2 Beschäftigungs- und Arbeitsmarktentwicklungen in NRW
In nahezu allen entwickelten Industrieregionen waren in den vergange- nen Jahrzehnten sektorale Verschiebungen zugunsten der Dienstleis- tungen zu beobachten. Dieser Bedeutungsgewinn der Dienstleistungen ist Ausdruck des sektoralen Strukturwandels, der auch in NRW stattge- funden hat. Für NRW insgesamt kann man feststellen, dass die Arbeits-
1 Arbeitslosenquoten Februar 2005: Arbeitsagenturen Coesfeld (8,4 %), Gelsenkirchen (23,8 %)
platzverluste im verarbeitenden Gewerbe seit 1970 insgesamt durch einen Zuwachs an Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor mehr als ausgeglichen worden sind. In NRW insgesamt sind seit Mitte der neun- ziger Jahre sogar über dem Durchschnitt Westdeutschlands liegende Beschäftigungsgewinne in den Dienstleistungen zu beobachten (Abb.
1).
Abbildung 1: Langfristige Entwicklung der sektoralen Erwerbstätigkeit in NRW
Erwerbstätige im Produzierenden Gewerbe und Dienstleistungen - Ind
=100 -
0,0 20,0 40,0 60,0 80,0 100,0 120,0 140,0 160,0 180,0 200,0
1970
197119721973197419751976 1977
19781979198019811982 1983
1984 1985198619871988
1989 1990
199119921993 ex 1970
19941995 1996
199719981999200020012002 2003 Produzierendes Gewerbe Westdeutschland Produzierendes Gewerbe NRW Produzierendes Gewerbe Ruhrgebiet Dienstleistungen Westdeutschland Dienstleistungen NRW Dienstleistungen Ruhrgebiet
Quelle: StaBu; Berechnungen des IAT
Dies gilt allerdings nicht für alle Landesteile. So entpuppt sich etwa in langfristiger Betrachtung die das Ruhrgebiet mittlerweile prägende Dienstleistungsstruktur nicht unbedingt als Ergebnis dynamischer Wachstumsprozesse mit überdurchschnittlichen Beschäftigungsgewin- nen. Im Gegenteil: Die Arbeitsplatzverluste in der Industrie waren im Ruhrgebiet deutlich stärker als im Vergleich zu NRW insgesamt oder zur westdeutschen Entwicklung. Insgesamt ging in der Ruhrgebietsin- dustrie zwischen 1965 und 2003 die Zahl der Erwerbstätigen um mehr als 51 % zurück, in NRW lagen die Arbeitsplatzverluste bei rund 40 %.
Gleichzeitig verliefen die Beschäftigungszuwächse in den Dienstleis- tungen im Ruhrgebiet nur unterdurchschnittlich. Starke regionale Un- terschiede bestimmen bis heute die Beschäftigungsentwicklung in
NRW. Während das Münsterland oder Ostwestfalen-Lippe den Ver- gleich mit Westdeutschland bzw. westdeutschen Wachstumsregionen wie Bayern und Baden-Württemberg nicht scheuen müssen, zeigen sich vor allen Dingen im nördlichen Teil2 des Ruhrgebiets und im Bergi- schen Land erhebliche Wachstumsschwächen (Abb. 2).
Abbildung 2: Entwicklung der sozialversicherungs- pflichtig Beschäftigten insgesamt - Juni 2004: Index 1990=100 –
95,4 98,6 102,8
95,4
79,8 110,1
95,1
101,1 99,5
0,0 20,0 40,0 60,0 80,0 100,0 120,0
Westdeutschland Baden-
Württember g
Bayern NRW
Bergisches Lan d
Münsterland Sauer
-, Sieger land
Ostwestfal en-Lippe
Rheinland
Ruhrgebie
87,4 84,7
90,0
t insgesamt
nördliches Ruhrgebiet übriges Ruhrgebiet
Quelle: BA; Berechnungen des IAT
In der Konsequenz haben sich die regionalen Beschäftigungsstrukturen und –profile verändert (Abb. 3). So hält das nach wie vor kolportierte Bild der Montan- und Industrieregion Ruhrgebiet mittlerweile einer genaueren empirischen Überprüfung nicht mehr stand. Richtig ist, dass auch heute noch ein nicht unerheblicher Teil der im Produzierenden Gewerbe Beschäftigten im Ruhrgebiet arbeitet. 2003 waren dies im- merhin noch rund 320.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte.
Ihr Anteil an allen Beschäftigten im Ruhrgebiet lag im Jahre 2003 mit nur noch 22,9 % aber unter dem Durchschnitt von NRW (27,2 %).
Sogar das Münsterland hatte mit 28,4 % einen höheren Anteil der Be-
2 Arbeitsagenturen: Bochum, Duisburg, Gelsenkirchen, Oberhausen, Recklinghausen
schäftigten im produzierenden Gewerbe. Das Sauer- und Siegerland mit einem Anteil von 44,2 % und das Bergische Land mit einem Anteil von 38,2 % sind die heimlichen Industrieregionen NRWs geworden. Für das Ruhrgebiet dagegen sind längst andere Wirtschaftsbereiche prägend.
Unternehmensnahe Dienstleistungen, Infrastruktur- und Transport- dienstleistungen sowie haushalts- und personenbezogene Dienstleistun- gen haben für die Region größere Bedeutung als für NRW insgesamt.
Allerdings, so das Ergebnis der vorherigen Analyse, sind diese Ver- schiebungen im Ruhrgebiet weniger das Ergebnis überdurchschnittli- cher
Abbildung 3: Regionaler Profilindex3 der Beschäftigung – Juni 2003 -
-60 -40 -20 0 20 40 60
Bergbau und Verarbeitendes Gewerbe Bauwirtschaft
Infrastruktur und Transport Dienstleistungen Unternehmensnahe Dienstleistungen Handel, Finanzen und Immobilien Verwaltung, Organisationen, Politik Haushalts- und Personenbezogene Dienstleistungen
Bergisches Land Münsterland OWL Sauer-, Siegerland Rheinland Ruhrgebiet
Quelle: BA; Berechnungen des IAT
Wachstumsprozesse im Dienstleistungsbereich, sondern resultieren aus den dramatischen Arbeitsplatzverlusten im Produzierenden Gewerbe.
Die Wachstumsschwäche der Industrie und der Dienstleitungen im Ruhrgebiet sind bekanntermaßen nicht ohne Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt des Landes geblieben. Nach wie vor beeinflusst die Ar- beitsmarktentwicklung des Ruhrgebiets die Entwicklung in NRW ins-
3 Zur Berechnung des Index vgl. Nordhause-Janz, 2002.
gesamt (Tab. 1). So bewegt sich die Arbeitslosenquote in NRW in den vergangenen Jahren zwar im Entwicklungstrend der alten Bundeslän- der, sie liegt jedoch durchgängig über dem westdeutschen Durchschnitt.
Im Vergleich zu Baden-Württemberg und Bayern liegt sie sogar durch- schnittlich um bis zu 3,8 Prozentpunkte höher. Im Ruhrgebiet liegt die Arbeitslosenquote im Durchschnitt um fast 3 Prozentpunkte über dem Landesdurchschnitt. In den übrigen Regionen bewegt sich dagegen die Arbeitslosigkeit unter dem Landesdurchschnitt. Im Münster- und Sauer- land ist die Arbeitsmarktsituation sogar besser als im Durchschnitt der westdeutschen Länder.
Tabelle 1: Regionale Arbeitsmarktentwicklungen
insgesamt Frauen Männer
Deutschland 11,4 11,5 11,3
Westdeutschland 9,3 9,0 9,7
Baden-Württemberg 7,1 7,1 7,1
Bayern 7,4 7,4 7,5
Nordrhein-Westfalen 10,9 10,4 11,4
Bergisches Land 10,3 10,1 10,6
Münsterland 8,1 8,3 8,0
Ostwestfalen-Lippe 10,0 10,2 9,8
Sauer-, Siegerland 9,0 9,5 8,6
Rheinland 10,3 9,7 10,9
Ruhrgebiet 13,7 12,5 14,7
nördliches Ruhrgebiet 14,2 13,1 15,0
übriges Ruhrgebiet 13,3 11,9 14,4
Durchschnitt der Jahre 19 Arbeitslosenquoten An
Langzeit lo
34,8 1,76
35,1 1,87
31,8 2,05
27,8 2,31
40,1 1,62
37,7 1,65
29,4 2,09
33,3 1,85
34,0 1,89
37,6 1,61
41,9 1,43
42,2 1,42
41,6 1,45
95 - 2004
Abgangsraten der Arbeitslosigkeit teil
arbeits- se
Quelle: BA; Berechnungen des IAT
Bis zum ersten Drittel der neunziger Jahre lagen die Arbeitslosenquoten der Frauen über den entsprechenden Werten der Männer. Seit Mitte der neunziger Jahre ändert sich dies zugunsten der Frauen. Ursächlich hier- für sind im Wesentlichen der Verlust klassischer Industriearbeitsplätze und der Bedeutungsgewinn der Dienstleistungen, in denen in stärkerem Maße Frauen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung finden. Dieser Trend setzt sich seit dem Jahr 2000 verstärkt fort und ist in NRW und in Westdeutschland gleichermaßen zu beobachten.
Die Entwicklung der Langzeitarbeitslosen verlief, ähnlich wie die Ar- beitslosigkeit insgesamt, im Trend der alten Bundesländer, allerdings auch in diesem Fall in NRW auf höherem Niveau. Bis Ende der neunzi- ger Jahre stieg die Zahl der Langzeitarbeitslosen kontinuierlich an. Erst seit dem Jahr 2001 sind wieder sinkende Zahlen zu beobachten. Auch bei der Langzeitarbeitslosigkeit lässt sich ein ähnliches regionales Ge- fälle in NRW beobachten wie bei der Arbeitslosigkeit insgesamt. Der Arbeitsmarkt im (nördlichen) Ruhrgebiet weist deutlich höhere Lang- zeitarbeitslosenanteile auf als andere Regionen. Er prägt auch hier nach wie vor die unterdurchschnittliche Dynamik des Landesarbeitsmarktes im Vergleich zu Westdeutschland.
Die hohe Zahl der Langzeitarbeitslosen lässt auf eine nur unzureichende Dynamik des Arbeitsmarktes schließen. Dies ist allerdings nur bedingt richtig. Eine Stromgrößenbetrachtung des nordrhein-westfälischen Arbeitsmarktes verdeutlicht, dass sich hinter den absoluten Bestands- zahlen erhebliche Arbeitsmarktbewegungen verbergen. So standen der absoluten Zahl an Arbeitslosen von 880.000 im Jahresdurchschnitt 2003 jeweils über 1,4 Millionen Zugänge in und Abgänge aus Arbeitslosig- keit gegenüber. Der Vergleich der nordrhein-westfälischen Regionen zeigt aber auch, dass die Abgangsraten aus Arbeitslosigkeit, als ein Maß für die Verfestigung von Arbeitslosigkeit, in den vergangenen Jahren regional stark streuen. So unterstreichen die deutlich niedrigen Abgangsraten im Ruhrgebiet das Bild, das sich bereits bei der Analyse der Langzeitarbeitslosigkeit gezeigt hat. Andererseits belegen sie die deutlich positiveren Arbeitsmarktentwicklungen in anderen NRW- Regionen (z. B. im Münsterland). Aus der Aufteilung der Zu- und Ab- gänge nach den jeweiligen Bewegungsrichtungen lässt sich zudem die aktuell schwierige Arbeitsmarktlage ablesen. Lediglich rund 1/3 der Abgänge aus Arbeitslosigkeit mündeten in einer Erwerbstätigkeit.
3 Herausforderung I: Arbeitsmarktintegration unterschiedlicher Erwerbspersonengruppen In der Debatte um den demografischen Wandel wird fast nur die lang- fristige Alterung der Bevölkerung und des Erwerbspersonenpotentials thematisiert. Dabei wird häufig übersehen, dass bis 2010 auch die Zahl der Jugendlichen, die in den Arbeitsmarkt eintreten und einen Ausbil-
dungsplatz suchen, steigt (Abb. 4) und erst nach 2015 wieder sinken wird. In Landesteilen mit einer jüngeren Bevölkerung, wie etwa dem Münsterland oder Ost-Westfalen-Lippe, ist der Anstieg höher und der Rückgang erfolgt später als in Regionen mit einer älteren Bevölkerung, wie im Ruhrgebiet. Die aktuellen Bevölkerungsprognosen zeigen, dass im nächsten Jahrzehnt zugleich die Gruppe der älteren Erwerbsperso- nen ab 55 Jahren erheblich wachsen wird und die mittleren Altersgrup- pen (25 bis 54 Jahre) schrumpfen. (Abb. 4). In den letzten Jahrzehnten sind Arbeitsmarkprobleme in Deutschland über großzügige Vorruhe- standsprogramme gemildert worden. Die Beschäftigungsquoten der über 55-Jährigen sind deutlich abgesunken und liegen unterhalb des Durchschnittsniveaus der EU (Bosch/Schief 2005). Vor allem geringer Qualifizierte schieden auf diese Weise vorzeitig aus dem Erwerbsleben aus. Der Vorruhestand war für viele Betriebe eine Alternative zur Fi- nanzierung von Weiterbildungsmaßnahmen für diese Arbeitskräfte. Im Ruhrgebiet, in dem über die Sozialpläne im Bergbau und in der Eisen- und Stahlindustrie der Strukturwandel sozialverträglich gestaltet und der Vorruhestand sozusagen „erfunden“ wurde, liegt die Beschäfti- gungsquote der über 55-Jährigen besonders niedrig (Tab. 2).
Abbildung 4: Prognose: Bevölkerungsentwicklung nach Altersgruppen in NRW - 2002=100 -
87,7
110,0
97,5
94,0
83,0
106,8
95,3
10
82,3
97,9
91,0
0,0 20,0 40,0 60,0 80,0 100,0 120,0 140,0
unter 15 Jahren 15 bis 24 Jahre 25 bis 54 Jahre 55 bis 6
116,2
7,3
118,0
120,8 122,3
4 Jahre ab 65 Jahren
2010 2015 2020
Quelle: LDS NRW; Berechnungen des IAT
Tabelle 2: Erwerbsbeteiligungen
Erwerbsquote Ältere ab 55 Jahren Frauen Frauen
Deutschland 27,8% 44,3% 49,3%
Westdeutschland 26,8% 41,9% 48,9%
Baden-Württemberg 32,4% 46,8% 52,3%
Bayern 28,3% 46,8% 52,1%
Nordrhein-Westfalen 27,6% 41,6% 45,8%
Bergisches Land 37,9% 42,7% 44,9%
Münsterland 25,8% 40,0% 48,4%
Ostwestfalen-Lippe 36,2% 44,4% 49,0%
Sauer-, Siegerland 27,9% 40,8% 46,7%
Rheinland 27,8% 43,0% 46,0%
Ruhrgebiet 23,7% 38,6% 43,3%
nördliches Ruhrgebiet 21,4% 35,8% 41,6%
übriges Ruhrgebiet 25,9% 41,6% 45,2%
2003
Beschäftigungsquoten1 n 2 Erwerbstätigenquoten3 Frauen
44,6%
45,3%
48,5%
48,5%
41,5%
40,4%
45,5%
44,6%
42,5%
41,9%
38,5%
36,5%
40,6%
1 Anteil der sozialversicherunsgpflichtig Beschäftigten im Alter von 55 bis 65 an der Bevölkerung im entsprechenden Alter
2 Anteil der Erwerbspersonen im Alter ab 15 Jahren an der Bevölke- rung im entsprechenden Alter
3 Anteil der Erwerbstätigen im Alter ab 15 Jahren an der Bevölkerung im entsprechenden Alter
Quelle: BA, StaBu; © Berechnungen des IAT
Die stärker werdenden Kohorten der über 55-Jährigen werden nach den Renten- und Arbeitsmarktreformen der letzten Jahre, die den Vorruhe- stand versperren oder verteuern, künftig verstärkt als Nachfrager auf dem Arbeitsmarkt auftreten. Die Renten- und Arbeitsmarktreformen der letzten Jahre müssen also bildungspolitisch unterfüttert werden, um die Beschäftigungsfähigkeit älterer Erwerbspersonen zu sichern. Ansonsten werden sie nur eine Erhöhung der Arbeitslosigkeit Älterer bewirken.
Die Weiterbildungsteilnahme Erwachsener in Deutschland liegt deut- lich unterhalb des Niveaus der skandinavischen Länder, die hier im internationalen Benchmarking die Maßstäbe setzen (Grünewald, Mo- raal, Schönfeld 2003). In NRW ist die Weiterbildungsteilnahme vor allem in den Regionen gering, in denen besonders stark Personal abge- baut wurde. Die Unternehmen investieren naturgemäß weniger in Be- schäftigte, von denen sie sich trennen wollen. Darüber hinaus konnte
belegt werden, dass Unternehmen mit innovativen Formen der Arbeits- organisation mehr in Weiterbildung investieren als traditionelle Unter- nehmen. Der Rückstand des Ruhrgebiets in der Weiterbildungsteilnah- me im Vergleich zum Rest von NRW lässt sich auch mit solchen Unter- schieden in der Arbeitsorganisation erklären (Büttner, Knuth, Stender, Weiss 2003).
Auch die Integration der nachwachsenden Generation wird in hohem Maße von ihrer Qualifikation abhängen. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel verlassen relativ weniger Schüler als im Bundesdurchschnitt das Schulsystem ohne Abschluss und mehr Schüler erreichen die Hoch- schulreife (Tab. 3). Unübersehbar sind allerdings die starken Unter- schiede zwischen Deutschen und Ausländern, wobei in NRW ein höhe- rer Anteil jugendlicher Ausländer die Hochschulreife erlangt als im Bundesdurchschnitt. Erst wenn man noch feiner regional gliedert, wird die ungleiche Verteilung von Bildungschancen in vollem Umfang sichtbar. So liegt etwa im Norden des Ruhrgebiets der Anteil der Schul- absolventen ohne Abschluss weit über dem von NRW und des Bundes (Esch/Langer 2004). In einzelnen Stadtquartieren verlassen mehr als 30 % aller Schulabgänger die Schule ohne Abschluss. Das deutsche Bildungssystem hat unübersehbare Schwächen bei der Verringerung sozialer Ungleichheit.
Tabelle 3: Anteile in- und ausländischer Schulab- gänger im Jahre 2000 nach Niveau des Abschlusses
Ruhrgebiet
Deutsche 19,7
Ausländer 35,4
Deutsche 42,8
Ausländer 35,8
Deutsche 31,9
Ausländer 15,5
Deutsche 5,6
Ausländer 13,3
(Fach-) Hochschulreife ohne Abschluss
Hauptschule Fachoberschule
NRW Deutschland
20,6 24,1
35,6 40,2
43,0 40,8
35,8 28,9
31,2 26,9
14,9 11,0
5,2 8,3
13,6 19,9
Quelle: ProjektRuhr 2003: 36
In der beruflichen Bildung sieht die Lage in NRW etwas ungünstiger aus als im Bundesgebiet insgesamt. Die Zahl der Lehrstellen ist seit
1990 stärker als im Bund zurückgegangen (ProjektRuhr 2003: 53) und auch die Weiterbildungsteilnahme liegt leicht unter den Bundeswerten.
Dies überrascht nicht. Die Beschäftigungsentwicklung in Nordrhein- Westfalen verlief aufgrund des starken Einbruchs in den industriellen Kernindustrien ungünstiger als etwa in den süddeutschen Bundeslän- dern. Dies hinterließ deutliche Spuren im Ausbildungsplatzangebot, aber auch bei den Weiterbildungsinvestitionen mit weitreichenden negativen Folgen für die nachwachsende Generation.
Infolge des starken Dienstleistungswachstums in NRW (außer im Ruhrgebiet) sind die Arbeitsmarktchancen von Frauen gestiegen. Die Erwerbstätigenquoten der Frauen in NRW liegen zwar weiterhin unter dem Durchschnitt, haben sich aber in den letzten Jahren dem Bundesni- veau angenähert (Tab. 2). Besonders niedrig sind die Erwerbstätigen- quoten der Frauen im Ruhrgebiet und hier wiederum besonders ausge- prägt im nördlichen Ruhrgebiet, das mit seinem geringen Dienstleis- tungswachstum Frauen immer noch zu wenig Beschäftigungsmöglich- keiten bietet.
4 Herausforderung II: Nutzung von Wachstumspo- tenzialen
Wirtschaftliche Innovationsprozesse, also die Erforschung, Entwick- lung, Erprobung und Einführung neuer oder verbesserter Verfahren und Produkte, sind zentrale Faktoren für regionale und sektorale Wachs- tumsprozesse. Industrielle Forschung und Entwicklung (FuE) und deren rasche Umsetzung in zukunftsträchtige, marktfähige Produkte sind in den letzten Jahren zu wichtigen Faktoren für Wachstumsprozesse von Unternehmen, Branchen und Regionen geworden. Die besondere Be- deutung industrieller FuE lässt sich vor allen Dingen an folgenden Sachverhalten festmachen:
Sieht man einmal von konjunkturell bedingten Einflüssen ab, so haben in den vergangenen Jahren vor allen Dingen Industriebranchen mit einem überdurchschnittlichen Forschungsengagement für zusätzliche industrielle Beschäftigungsimpulse gesorgt. Sie haben gleichzeitig in überdurchschnittlichem Maße die Nachfrage nach Forschungsleistun- gen anderer Branchen bestimmt. Dabei beschränken sich diese Aus- tauschbeziehungen nicht nur auf den industriellen Sektor, sondern um-
fassen insbesondere auch die beschäftigungsintensiven produktionsori- entierten und wissensintensiven Dienstleistungen, die in starkem Maße auf das Vorhandensein innovationsorientierter Industrien angewiesen sind. Diese engen sektoralen Zusammenhänge sind in wirtschaftlichen und technologischen Querschnittsfeldern, die als beschäftigungswirk- same Zukunftsmärkte angesehen werden, von besonderer Bedeutung4. Tabelle 4: Forschung und Entwicklung (FuE) nach
Ausgabesektoren
1991 321.756 72.821 70.553
1993 293.774 67.836 70.445
1995 283.316 64.685 66.024
1997 286.270 64.228 68.270
1999 306.693 71.757 69.854
2001 307.257 76.665 71.868
1991 2,40 3,89 3,38
1993 2,50 3,43 4,08
1995 2,40 3,34 3,87
1997 2,41 3,06 3,82
1999 2,54 3,10 3,80
2001 2,42 3,17 3,58
1991 1,75% 2,71% 2,69%
1993 1,57% 2,22% 2,93%
1995 1,49% 2,13% 2,77%
1997 1,54% 2,09% 2,92%
1999 1,70% 2,24% 3,04%
2001 1,76% 2,43% 3,12%
1995 0,76% 0,63% 0,89%
1996 0,76% 0,65% 0,87%
1997 0,75% 0,64% 0,86%
1998 0,74% 0,63% 0,84%
1999 0,74% 0,61% 0,81%
2000 0,74% 0,60% 0,81%
2001 0,76% 0,60% 0,82%
Umsatzanteil interner FuE-Aufwendungen von Unterne Bergbau und Verarbeitendem Gewerbe Deutschland Bayern Baden-Württemberg
FuE-Personal - Vollzeitäquivale
Interne FuE-Aufwendungen im Wirtschaftssektor: Anteil am BIP
FuE Ausgaben Staat und Hochschulen: Anteile am BIP
55.291 17,2%
48.431 16,5%
44.541 15,7%
43.568 15,2%
44.666 14,6%
43.127 14,0%
NRW Bundesanteil FuE-Ausgaben
1,76 19,0%
1,72 17,4%
1,47 15,4%
1,57 15,5%
1,62 14,9%
1,53 13,9%
1,38%
1,18%
1,01%
1,06%
1,14%
1,10%
0,63%
0,63%
0,62%
0,63%
0,63%
0,65%
0,66%
hmen im
NRW Bundesanteil FuE-Personal NRW
nt -
Quelle: StaBu, Stifterverband; Berechnungen des IAT
4 Vgl. hierzu auch: Grupp, Legler, Licht (2004), Technologie und Qualifikation für neue Märkte. – Ergänzender Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2003-2004 –, BMBF, Berlin.
Diese Zusammenhänge gelten für eine Industrieregion wie Nordrhein- Westfalen, die in erheblichem Maße in den internationalen Wettbewerb eingebunden ist in besonderem Maße. Eine nähere Analyse vorhande- ner Indikatoren deutet allerdings auf eine durchaus heterogene Entwick- lung des Landes hin.
Im Zeitraum 1991 bis 2001 haben Unternehmen in NRW im Gegensatz zur Bayern und Baden-Württemberg in deutlichem Umfang FuE- Personal abgebaut (Tab. 4). Hierdurch bedingt hat das Land, gemessen am Bundesanteil, konstant an Gewicht verloren. Die nordrhein- westfälischen Unternehmen sind damit zwar einem Trend gefolgt, der bundesweit feststellbar war, allerdings haben die bayerischen und ba- den-württembergischen Unternehmen ihren Personalbestand im Bereich Forschung und Entwicklung per Saldo erhöht. In sektoraler Betrachtung waren in NRW vor allen Dingen die Chemieindustrie und der Maschi- nenbau von einem Abbau des FuE-Personals betroffen. Eine vergleich- bare Entwicklung lässt sich für den Industriebereich auch bei den inter- nen FuE-Ausgaben der Unternehmen beobachten. Gemessen als Anteil am erzielten Unternehmensumsatz hat sich die Position Nordrhein- Westfalens im Bundesvergleich kontinuierlich verschlechtert. Das ver- gleichsweise ohnehin geringe FuE-Ausgabenniveau hat sich im Zeit- raum zwischen 1991 bis 2001 nochmals verschlechtert. Die geringere FuE-Intensität der nordrhein-westfälischen Wirtschaft lässt sich zum Teil durch besondere Strukturmerkmale erklären. So ist etwa die sehr starke Elektro- und Metallindustrie in NRW sehr mittelständisch ge- prägt. Die durchschnittliche Betriebsgröße liegt nur etwa halb so hoch wie in Baden-Württemberg. Gerade Klein- und Mittelbetriebe verfügen häufig nicht über eigene Forschungsabteilungen. Darüber hinaus gingen gerade in NRW überdurchschnittlich viele Arbeitplätze in der sehr forschungsintensiven chemischen Industrie verloren.
Demgegenüber blieben die nordrhein-westfälischen FuE-Ausgaben des öffentlichen Sektors, gemessen als Anteil am Bruttoinlandsprodukt, nahezu konstant. Mit einer Steigerungsrate von 17,6 % im betreffenden Zeitraum lag das Wachstum zudem über dem Bundesdurchschnitt und den Ausgabensteigerungen in Bayern und Baden-Württemberg.
Allerdings konnte hierdurch das gesunkene Engagement der nordrhein- westfälischen Unternehmen nicht ausgeglichen werden. In der Konse- quenz hat sich die Patentstellung NRWs im Ländervergleich über die
Jahre kontinuierlich verschlechtert. Stammten 1995 in absoluten Zahlen die meisten Patentanmeldungen am deutschen Patentamt aus Nord- rhein-Westfalen, so ist seit 2001 ein kontinuierlicher Rückgang der absoluten Patentanmeldungszahlen zu beobachten. Im Bundesländer- vergleich weist das Land einen seit mehreren Jahren sinkenden Anteil an den bundesdeutschen Patentanmeldungen auf. In regionaler Betrach- tung wiesen im Zeitraum zwischen 1995 und 2000 lediglich das Rhein- land sowie das Sauer-, und Siegerland Patentaktivitäten auf, die in etwa dem westdeutschen Niveau entsprachen (Abb. 5).
Abbildung 5: Patentanmeldungen beim Deutschen Pa- tentamt je 100.000 Erwerbstätigen im Durchschnitt der Jahre 1995 bis 2000 - In- dex: Deutschland = 100
Schleswig Holstein
Niedersachsen
S
Thüringen
Rheinland- Pfalz
Hessen
Baden- Württemberg Rheinland
Ruhr- gebiet Münsterland OWL
Sieger- Sauerland
Mecklenburg- Vorpommern
achsen- Anhalt
Brandenburg
Sachsen
Bayern Bergisches
Land
Indexbereiche
ab 150 120 - 149 100 - 119 50 – 99 unter 50
Bremen Hamburg
Saar- land
Berlin Schleswig
Holstein
Niedersachsen
S
Thüringen
Rheinland- Pfalz
Hessen
Baden- Württemberg Rheinland
Ruhr- gebiet Münsterland OWL
Sieger- Sauerland
Mecklenburg- Vorpommern
achsen- Anhalt
Brandenburg
Sachsen
Bayern Bergisches
Land
Indexbereiche
ab 150 120 - 149 100 - 119 50 – 99 unter 50
Bremen Hamburg
Saar- land
Berlin
Quelle: DPA Patentatlas Deutschland 2002; Berechnungen des IAT
Von dem zu Beginn dargestellten überproportionalen Beschäftigungs- abbau in der Industrie waren nicht allein die FuE-Kapazitäten der nord- rhein-westfälischen Unternehmen betroffen. Die negativen Auswirkun- gen auf die regionale Beschäftigung zeigen sich auch in den FuE- intensiven Industriebereichen des Landes (Tab. 5). Einerseits besitzen diese Industriezweige in NRW eine geringere Beschäftigungsbedeutung als im Bund oder Bayern und Baden-Württemberg. Auf der anderen Seite ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hier in NRW im Zeitraum zwischen 1999 und 2003 gesunken, während in den anderen Regionen Zuwächse in der Beschäftigung zu verzeichnen wa- ren. Lediglich in Ostwestfalen-Lippe haben FuE-intensive Industrie- zweige einen positiven Beitrag zur regionalen Beschäftigungsbilanz geleistet.
Tabelle 5: Entwicklung ausgewählter Wachstums- branchen
Anteil an Gesamtbe- schäftigung
2003
Wachstums- rate 2003 /
1999
Anteil an Gesamtbe- schäftigung
2003
Wachstums- rate 2003 /
1999
Anteil an Gesamtbe- schäftigung
2003 W
r
Deutschland 2,7% 15,2% 14,1% 7,6% 10,1%
Westdeutschland 2,8% 17,4% 14,2% 8,3% 11,4%
Baden-Württ. 3,4% 12,0% 13,5% 9,4% 16,5%
Bayern 2,9% 13,8% 13,5% 9,7% 13,5%
NRW 2,8% 23,6% 14,1% 7,2% 8,4%
Berg. Land 1,3% -7,2% 14,4% -2,6% 9,5%
Münsterland 2,1% 20,0% 14,7% 10,0% 7,0%
Ostwestf.-Lippe 2,6% 15,8% 14,3% 8,5% 9,2%
Sauer-, Siegerl. 0,8% 15,0% 12,7% 5,7% 11,5%
Rheinland 3,9% 32,0% 13,4% 8,4% 8,8%
Ruhrgebiet 2,2% 12,4% 15,6% 6,1% 6,6%
nördl. Ruhrgebiet 1,7% 6,2% 15,4% 4,6% 7,5%
übr. Ruhrgebiet 2,7% 16,4% 15,7% 7,6% 5,8%
IuK Wirtschaft Gesundheitswirtschaft FuE-in Industriez
achstums- ate 2003 /
1999
Anteil an Gesamtbe- schäftigung
2003
Wachstums- rate 2003 /
1999
1,9% 22,8% 4,1%
2,0% 23,2% 7,1%
1,3% 22,1% 8,9%
10,0% 22,5% 7,5%
-5,4% 23,7% 7,1%
-12,0% 20,8% 3,8%
-5,2% 22,0% 8,0%
3,0% 19,5% 4,6%
-7,6% 16,1% 5,4%
-4,9% 26,8% 8,2%
-8,7% 24,2% 5,1%
-8,5% 22,8% 4,4%
-8,9% 25,5% 5,7%
tensive weige
wissensintensive Dienstleistungen
Quelle: BA; Berechnungen des IAT
Erfreulicherweise zeigen sich jedoch in anderen Querschnittsbranchen, die von vielen Beobachtern als beschäftigungspolitisch wichtig angese- hen werden, auch in anderen nordrhein-westfälischen Regionen positive Beschäftigungsentwicklungen ab. Dies trifft für wissensintensive Dienstleistungen ebenso zu wie für die Gesundheitswirtschaft und die Informations- und Kommunikationswirtschaft (IuK) des Landes.
So sind in der IuK-Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu Westdeutschland oder den Ländern Bayern und Baden-Württemberg im
Zeitraum zwischen 1999 und 2003 überdurchschnittlich viele neue Arbeitsplätze entstanden. Das Rheinland liegt mit einer Wachstumsrate von 32 % deutlich über dem nordrhein-westfälischen Durchschnitt, während erneut die Problemregionen des Landes, u. a. das nördliche Ruhrgebiet, deutlich darunter liegen.
Ganz ähnlich sieht es im Bereich der Gesundheitswirtschaft aus, die mit einem Beschäftigungsanteil von mehr als 14 % in Nordrhein-Westfalen mittlerweile ein wichtiges beschäftigungspolitisches Gewicht besitzt.
Als positive Abweichungen von der bundesdeutschen Entwicklung fallen vor allen Dingen das Münsterland, Ostwestfalen-Lippe und das Rheinland ins Auge.
Zieht man in die Betrachtung außerdem die Entwicklung wissensinten- siver Dienstleistungen ein, so weisen zwar alle Regionen in NRW posi- tive Beschäftigtenentwicklungen auf, die Wachstumsschwäche des nördlichen Ruhrgebiets und des Bergischen Landes wird allerdings auch hier deutlich. In allen hier dargestellten, bundesweit als Wachs- tumsträger geltenden Querschnittsbranchen weisen die beiden Regionen teilweise erhebliche Wachstumsrückstände auf.
5 Fazit
Es konnte gezeigt werden, dass die Beschäftigungs- und Arbeitsmarkt- situation in Nordrhein-Westfalen regional sehr unterschiedlich ist. Ein- zelne Regionen des Landes haben die Beschäftigungsverluste im pro- duzierenden Gewerbe durch ein starkes Dienstleistungswachstum mehr als ausgleichen können und sind hinsichtlich ihres Beschäftigungs- wachstums und ihrer Arbeitslosigkeit mit den Wachstumsregionen in Süddeutschland vergleichbar. Die Gesamtbilanz NRWs wird aber wei- terhin sehr stark durch das Ruhrgebiet bestimmt. Diese Region ent- spricht längst nicht mehr dem alten Stereotyp der Montanindustrie. Sie hat einen höheren Dienstleistungsanteil als andere Landesregionen.
Dieser hohe Dienstleistungsteil ist aber nur zu einem Teil auf das Wachstum von Dienstleistungen zurückzuführen, das im Ruhrgebiet unterdurchschnittlich verlief. Zu einem anderen Teil ist er Ergebnis des starken Einbruchs der Beschäftigung im Ruhrgebiet. Es ist weiterhin erkennbar geworden, dass in NRW insgesamt die „Vorauswirtschaft“
(Helmstädter 1996), also die Investitionen in Forschung und Entwick-
lung sowie in Bildung, vor allem auch die Weiterbildung Älterer, zu gering entwickelt sind. Dass hier erheblicher Handlungsbedarf gerade für das Ruhrgebiet besteht, zeigt eine Reihe von IAT-Untersuchungen5. Zur Schaffung neuer Arbeitsplätze sind mehr Investitionen in strategi- schen Handlungsfeldern notwendig. Wissensbasierte Dienstleistungen, Verkehrssysteme, Neue Werkstoffe und ihre Anwendungen, Energie- und Umwelttechnologien, IT-gestützte Systemintegration und Medizin- und Biotechnologische Anwendungen konnten als Zukunftsfelder iden- tifiziert werden (Rehfeld u. a. 2004). In solchen Handlungsfeldern kann sich nur neue Beschäftigung in der Region entwickeln, wenn ausrei- chend Arbeitskräfte mit den notwendigen Qualifikationen verfügbar sind. Dies gilt für zukunftsorientierte Felder mit industrieller Prägung, trifft aber genauso auf stärker dienstleistungsbasierte Wirtschaftsberei- che wie etwa die Gesundheitswirtschaft zu (Bandemer u. a. 2004).
Qualifizierungspolitik ist somit einer der wichtigsten Standortfaktoren, der gewährleistet, dass die mit hohem Aufwand geförderten Innovatio- nen nicht nur flüchtige Blaupausen werden. Sie ist zudem ein zentrales Instrument der Diffusion neuen Wissens in Klein- und Mittelbetriebe.
Deren Innovationsfähigkeit hängt von der Qualifikation weniger Schlüsselpersonen ab.
Vor allem wird es darauf ankommen, die nachwachsende Generation zu qualifizieren, die, angesichts der Alterung der Erwerbsbevölkerung in 10 bis 15 Jahren, den produktiven Kern einer innovativen Wirtschaft in NRW ausmachen soll. Angesichts des bevorstehenden Fachkräfteman- gels ist offensichtlich, dass wir uns den hohen Anteil von Jugendlichen ohne Schul- und Ausbildungsabschluss insbesondere unter den jungen Ausländern nicht leisten können. Durch die Einrichtung von Kinderta- gesstätten und die Ganztagsschule müssen auch die Voraussetzungen geschaffen werden, dass Frauen in stärkerem Maße erwerbstätig sein können6.
5 Vgl.etwa: Büttner, R., Knuth, M., Stender, A., Weiss, W. (2003) sowie Esch, K., Langer, D. (2004).
6 Vgl. hierzu auch den Beitrag von Esch, K., Stöbe-B., S. in diesem Jahrbuch.
Literatur
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dungsbeteiligung im Ruhrgebiet: auf der Suche nach einer neuen Kompensatorik. Essen: Projekt Ruhr
http://iat-info.iatge.de/aktuell/veroeff/2003/buettner01.html Büttner, Renate / Knuth, Matthias / Stender, Axel / Weiss, Walter,
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Knuth, Matthias / Dahlbeck, Elke / Nordhause-Janz, Jürgen, 2002:
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Dokumentation: Sozialkonferenz Herne 2002. Münster: Lit-Verl., S. 55-80
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