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Marc Klesse. Richard Wagners. »Meistersinger von Nürnberg« Künstlertum und Kunstproduktion

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Academic year: 2022

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»M ei ster singer von Nür nber g«

Klesse

Das Buch

Die literatur- und kulturwissenschaftliche studie entfaltet eine Vielzahl ästhetischer und poetologischer Kontexte zwischen früher Neuzeit und dem frühen Realismus, an denen die »Meistersinger von Nürnberg« partizipieren. Ausgehend von einer Verortung des librettos innerhalb des literarischen spannungsfelds von Künstlerroman und -novelle, erfolgen Untersuchungen zur Genieästhetik, dem Topos einer Nachahmung der Natur, epigonentum und dem Unbewussten als Voraussetzung künstlerischer schöpfungs- prozesse. Im Fokus stehen nicht nur die etappen der Künstlerwerdung Walther von stolzings und dem damit verbundenen künstlerischen bzw. gesellschaftlichen Konflikt- potenzial, sondern Wagners libretto als diskursiver Knotenpunkt künstlerischer selbst- reflexion, die im 19. Jahrhundert Hochkonjunktur hat.

Der autor

Marc Klesse studierte Neuere deutsche literaturwissenschaft, Ältere deutsche Philologie, Philosophie und Theaterwissenschaft an der Universität Bayreuth.

M A R c K l e ss e

Richard Wagners

»Meistersinger von Nürnberg«

literatur- und kulturwissen- schaftliche lektüren zu

Künstlertum und Kunstproduktion

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Richard Wagners »Meistersinger von Nürnberg«

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Marc Klesse

Richard Wagners »Meistersinger von Nürnberg«

Literatur- und kulturwissenschaftliche Lektüren zu Künstlertum und Kunstproduktion

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

AVM – Akademische Verlagsgemeinschaft München 2013

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e-ISBN (ePDF) 978-3-96091-161-6 ISBN (Print) 978-3-86924-473-0 Verlagsverzeichnis schickt gern:

AVM – Akademische Verlagsgemeinschaft München Schwanthalerstr. 81

D-80336 München www.avm-verlag.de

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Für Yvonne,

Martin und Stefan

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Inhalt

Einleitung ... 11

1. Zukunftsmusik für das Tausendjährige Reich ... 11

2. Literaturgeschichtliche und methodische Annäherung ... 16

a) Der Künstlerroman: Ein literaturgeschichtlicher Abriss ... 17

b) Wagners Meistersinger: Eine literaturgeschichtliche Verortung ... 20

c) Fragen an das Libretto: Versuch einer Annäherung ... 23

d) Methodische Perspektiven ... 26

I. Der Mythos Nürnberg ... 29

1. Nürnberg in der Kultur- und Literaturgeschichte um 1800 ... 30

a) Regeneration der Kunst: Wackenroder – Tieck ... 31

b) Nation und Ideal: Von Wackenroder zu Weininger ... 34

2. Wagners Nürnberg-Rezeption ... 36

a) Fakten und Fiktionen: Der Meister und die Meister ... 36

b) Antinomische Allegorien: Wagner liest Hoffmann ... 39

Zusammenfassung ... 43

II. Die Kaste der Künstler ... 45

1. Vernetzungen I: Tradition und Norm ... 45

a) Das System Meistergesang ... 45

b) Im Zeichen der Regelpoetik ... 49

c) Kunst und Handwerk ... 52

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2. Konzeption der dramatis personae: Vier Fallbeispiele ... 55

a) Veit Pogner: Wertschöpfung und Mäzenatentum ... 55

b) Hans Sachs: Gemäßigte Regelpoetik ... 59

c) Sixtus Beckmesser: „Merker“ und Philister ... 63

d) „Überall Meister, / wie böse Geister“ ... 69

Zusammenfassung ... 70

III. Künstlerische Feldversuche ... 73

1. Walthers „Werbgesang“ oder Der Fluch der Tabulatur I ... 74

a) Walther als Genieästhet: Ikonographische Interferenzen ... 75

b) Kunstproduktion zwischen Mimesis und Epigonalität ... 78

c) „Wilde Seelen“: Affektpoetik, Schwärmerei und Enthusiasmus ... 85

2. Beckmessers Ständchen oder Der Fluch der Tabulatur II ... 93

Zusammenfassung ... 99

IV. Das Preislied Walthers: Kunst- und Künstlergenese ... 101

1. Traum und Dichtung, Kunst und Liebe ... 101

a) Die Muse küsst im Dunklen: Die Kunst des Unbewussten ... 102

b) Kunst – Zeugung – Geburt ... 105

c) Der Trieb, der Kunst macht ... 110

2. „Die selige Morgentraumdeutweise“: Struktur und Metaphorik ... 112

a) Mythos – Mozart – Mörike ... 112

b) Mythos und Meisterqual... 114

c) Inspiration und/oder Improvisation ... 116

Zusammenfassung ... 119 8

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V. Zweifel in C-Dur ... 121

1. Parnass, Paradies und Bürgertum ... 121

a) Vom Epigonen zum Ehemann ... 122

b) Die Muse als Bürgersfrau ... 123

c) Die Aporie des Kunstmythos ... 125

2. Re-Lecturing Beckmesser: Avantgarde und/oder Pathologie ... 127

3. Sachsens Schlussansprache ... 131

a) Vom kunstpolitischen Ideologem zur fixen Idee ... 131

b) Re-Installation der Kunst-Religion ... 133

Schlussbetrachtung ... 137

VI. Literaturverzeichnis... 141

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11 Einleitung

„Wagner ist das Gegengift gegen alles Deutsche par excellence, – Gift, ich bestreite es nicht...“1

(Friedrich Nietzsche)

1. Zukunftsmusik für das Tausendjährige Reich

Wissenschaft – so die landläufige Meinung – hat frei von Polemik zu sein, und dort, wo sich Polemik in einen wissenschaftlichen Text schleicht, steu- ert der sich seiner Entgleisungen bewusste Autor mit dem entsprechenden Maß an akademischer Sachlichkeit und trockener Faktizität dagegen. Die Weichenstellung für die vorliegende Arbeit ist in diesem Fall denkbar güns- tig, denn es ist vermutlich über keine Oper Richard Wagners bereits in sol- chem Ausmaß polemisiert worden, wie über Die Meistersinger von Nürnberg.

Nun wäre diese Behauptung genauso polemisch, fänden sich nicht Beweise für ihre faktische Korrektheit, und diese sind Legion. Lässt man an dieser Stelle die Rezeption zu Wagners Lebzeiten einmal außer Acht, so sticht die Auseinandersetzung mit den Meistersingern als einem Werk ins Auge, das durch die Nationalsozialisten eine nachhaltige politische Verbrämung er- fahren hat, der die Forschung nicht immer mit der notwendigen Sachlich- keit begegnet ist. Assoziiert man die Wagner-Rezeption der 1850er Jahre bis um 1900 vornehmlich noch mit satirischen Bearbeitungen seiner Opern,2 der Gleichsetzung von Wagners „Zukunftsmusik“3 mit dekadenter

1 Friedrich Nietzsche: Ecce Homo. In. ders.: Sämtliche Werke. Kritische Studienausga- be in 15 Bänden. Hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari. 7München 2004. Bd. 6, S. 289.

2 Ich denke hier beispielsweise an Johann Nestroys Tannhäuser oder Die Keilerei auf der Wartburg (1857) bzw. Die lustigen Nibelungen (1904) von Oscar Straus und Fritz Oliven alias Rideamus. Vgl. Andrea Schneider: Die parodierten Musikdramen Richard Wag- ners. Geschichte und Dokumentation Wagnerscher Opernparodien im deutschspra- chigen Raum von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkriegs.

Anif/Salzburg 1996; zu den Meistersingern v.a. S. 186-208.

3 So auch das Motto eines Briefes, den Wagner in den Pariser Jahren im September 1860 an seinen Freund Villot sendet. In ihm affirmiert er das abfällige Etikett des deutschen Feuilletons, das zum geflügelten Wort der Anti-Wagnerianer werden sollte:

„Ein von der Kritik unbeirrtes Gefallen des größeren Publikums war leicht verständ- lich, wenn einst die Kritiker, wie es in Deutschland geschah, ihm zuriefen: ‚Wendet

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Kakophonie oder den berühmt-berüchtigten Postkarten zu den Bayreuther Festspielen, wie sie vom Fleischextrakt-Hersteller Liebig als Inbegriff des Wagner-Kitsches vertrieben wurden, so sieht man sich spätestens seit Hit- lers Machtergreifung mit einer politischen und ästhetischen Sanktifizierung der Wagnerschen Bühnenwerke konfrontiert.4 Zeugnis davon gibt bei- spielsweise nachstehender Auszug einer Rede Joseph Goebbels’, die in der ersten Pause der Rundfunkübertragung der Bayreuther Meistersinger 1933 gesendet wurde:

Es gibt wohl kein Werk in der gesamten Musikliteratur des deutschen Volkes, das unserer Zeit und ihren seelischen und geistigen Spannun- gen so nahestände [...]. Wie oft in den vergangenen Jahren ist ihr auf- rüttelnder Massenchor „Wach auf, es nahet gen den Tag“ von sehnsuchtserfüllten, gläubigen deutschen Menschen als greifbares Symbol des Wiedererwachens des deutschen Volkes aus der tiefen po- litischen und seelischen Narkose des November 1918 empfunden worden[.]5

Die salbungsvollen Worte kaschieren die Demagogie, derer sich die Natio- nalsozialisten mit Wagner als ideologischem Steigbügelhalter bedienen, um den angeblich volkstümlich-nationalistischen Charakter der Oper heraus zu kehren, nur dürftig.6 Ihr Übriges leistete auch die Erhebung des Vorspiels

euch ab von den verführerischen Sirenenklängen Rossini’s, verschließt euer Ohr sei- nem leichten Melodieengetändel!‘ und das Publikum dennoch mit Vergnügen diese Melodieen hörte. Hier aber trat der Fall ein, wo die Kritiker unablässig das Publikum warnten, sein Geld nicht für Dinge auszugeben, die ihm unmöglich Vergnügen ma- chen könnten; denn was es einzig in der Oper suche, Melodieen, Melodieen – die sei- en in meinen Opern ganz und gar nicht vorhanden, sondern Nichts wie die langweiligsten Rezitative und der unverständlichste musikalische Gallimathias; kurz –

‚Zukunftsmusik‘!“ Richard Wagner: „Zukunftsmusik“. In: ders.: Sämtliche Schriften und Dichtungen. Leipzig 1911. Bd. 7, S. 87-137, S. 115f.

4 Hitlers Rolle bei dieser Aufwertung ist hinlänglich bekannt und bedarf meines Erach- tens keiner näheren Ausführung mehr; die Meistersinger zählten neben dem Lohengrin zu seinen erklärten Lieblingsopern.

5 Joseph Goebbels: Richard Wagner und das Kunstempfinden unserer Zeit. In: Attila Csampai (Hg.): Richard Wagner. Die Meistersinger von Nürnberg. Texte, Materialien, Kommentar. Reinbek bei Hamburg 1981, S. 194-199, S. 194.

6 Maßgeblichen Anteil an der politischen Usurpation Wagners hatten auch völkisch- nationale Interpreten wie Hans von Wolzogen oder Houston Stewart Chamberlain:

„Von Wolzogen bläst zum Sturm der Verkündung eines regenerierenden germani-

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13 zum Leitmotiv des Aufmarsches der NSDAP bei den Nürnberger Reichs- parteitagen,7 ein politisch-kultureller Kunstgriff, der nach 1945 nicht ohne negatives Assoziationspotenzial bleiben sollte: Im dritten Aufzug ziehen die Meistersinger zu denselben Klängen auf der Festwiese vor den Toren Nürnbergs auf, während sich auf dem Zeppelinfeld ganz andere ‚deutsche Meister‘ ein Stelldichein geben: Ihr Regelwerk beinhaltet nicht das Regle- ment von „Tön’ und Weisen“,8 sondern Rassegesetze, Willkürjustiz, Milita- rismus und dergleichen mehr. Solche Parallelsetzungen sind symptomatisch für eine Literatur- und Kulturwissenschaft, die sich davon abgewendet hat, den Gegenstand ihrer Forschung von ahistorischen Rückprojektionen frei- zuhalten, doch auch ohne ein solches Unterfangen lässt sich eines feststel- len: Am Ende des Dritten Reiches war die Oper zu einem der wichtigsten Stützpfeiler einer Erbauungskultur der letzten Kriegsjahre avanciert und Bayreuth gleichsam „auf seinen moralischen Nullpunkt“9 gesunken, belas- tet mit einem Erbe, dem bisweilen immer noch mit Polemik – aus Grün- den strategischer Ignoranz oder aufrichtiger Unkenntnis – zu Leibe gerückt wird.

Zunächst galt es nach dem Zusammenbruch der Nazidiktatur das ge- samte Wagnersche Œuvre auf den Prüfstand einer kritischen Reflexion sei-

schen Christentums, es folgt eine ganze Heerschar von Autoren vornehmlich für Wagners Hauszeitschrift [Die Bayreuther Blätter; MK].“ Vgl. Ingo Fulfs: Musiktheater im Nationalsozialismus. Marburg 1995, S. 19-28, S. 20. Chamberlain nimmt „die nati- onalsozialistische Rezeption kommender Tage vorweg, indem er die Werke [...] mit völkischer Tendenz deutet und Richard Wagner zum Seher und Verkünder einer nor- disch-deutschen Rasse ernennt.“ Ebd., S. 22.

7 Vgl. Dietrich Kämper: Richard Wagners Meistersinger von Nürnberg. Künstlerdrama oder Nationaloper? In: Otto Dann (Hg.): Die deutsche Nation. Geschichte – Probleme – Perspektiven. Vierow bei Greifswald 1994, S. 35-44, S. 42.

8 Richard Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg. In: ders.: Sämtliche Schriften und Dichtungen. Bd. 7, S. 150-271, S. 161 (wie Anm. 3). Zitaten aus den Meistersingern wird im laufenden Text die Seitenzahl des siebten Bandes in Klammern nachgestellt.

9 Frederic Spotts: Bayreuth. Eine Geschichte der Wagnerfestspiele. München 1994, S. 217. Paradigmatisch wären hier die Bayreuther „Kriegsfestspiele“ 1943 anzuführen, bei denen die Meistersinger unter Mitwirkung der SS-Standarte Wiking in Statistenrollen als einzige Oper zur Aufführung gelangten. Mit Blick auf die oben angeführte Erbau- ungskultur spricht auch die Zusammensetzung des Publikums für sich, handelte es sich doch vornehmlich um verwundete Frontsoldaten und ihre Angehörigen bzw.

quer durch alle Schichten ausgewählte Mitglieder der NSDAP und ihrer Organisatio- nen. Vgl. Berndt W. Wessling: Wieland Wagner, der Enkel. Eine Biographie. Köln 1997, S. 147ff. und Walter Bronnenmeyer: Vom Tempel zur Werkstatt. Geschichte der Bayreuther Festspiele. Bayreuth 1970, S. 94f.

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nes politischen Gehalts zu hieven, und gerade den einst von „sehnsuchtser- füllten, gläubigen deutschen Menschen“ so hoch verehrten Meistersingern attestierte man einen erschreckend hohen Grad an Nationalismus oder – einmal weniger euphemistisch formuliert – eine äußerst anrüchige Ausprä- gung von Deutschtümelei, die eine Vereinnahmung durch die Nazis über- haupt erst möglich gemacht und zu Wagners Ruf, ein durch und durch deutschnationaler Künstler zu sein, nachhaltigen Beitrag beleistet habe.10 Zeugnisse solcher Art finden sich zuhauf, sie reichen von vagem Zweifel an der Aufrichtigkeit des komödiantischen Esprits der Handlung bis hin zum kruden Verdikt: In den Augen von Carl Dahlhaus sind die Meistersinger

„das Werk eines Humors, dem nicht zu trauen ist“,11 und der einst von Adolf Hitler selbst protegierte Enkel Wieland Wagner postulierte in der ihm eigenen Polemik, es müsse ein für alle Mal Schluss sein „mit dem Po- pularität heischenden Kreisleiter Sachs“.12 Wieland unternahm bei seinen zwei Aufsehen erregenden Bayreuther Inszenierungen in den Jahren 1956 und 1963 alles, um auf der Suche nach neuen Interpretationsansätzen mit den bisherigen Deutungen des Werks zu brechen und die zum Klischee verkommene Butzenscheibenromantik und mir ihr den überzogenen alt- fränkischen Mummenschanz endgültig vom Grünen Hügel zu verbannen.13

10 Ernst Bloch stellt allerdings bereits 1939 klar heraus: „Die Musik der Nazis ist nicht das Vorspiel zu den Meistersingern, sondern das Horst-Wessel-Lied; eine andere Ehre haben sie nicht, andere soll und kann ihnen nicht gegeben werden.“ Ernst Bloch: Über Wurzeln des Nazismus. In: ders.: Gesamtausgabe in 16 Bänden. Band 11. Politische Messungen, Pestzeit, Vormärz. Frankfurt/Main 1977, S. 320. Einen umfassenden Überblick über die Auseinandersetzung mit den Meistersingern zwischen 1933 und 1945 bietet Helmut Grosse: „Die Meistersinger“ und Richard Wagner. Die Rezeptionsge- schichte einer Oper von 1868 bis heute. Eine Ausstellung des Germanischen Natio- nalmuseums in Nürnberg und des Theatermuseums. 10. Juli bis 11. Oktober 1981.

Zweite, ergänzte Fassung. Nürnberg 1981.

11 Carl Dahlhaus zit. nach Peter Wapnewski: Der Merker und sein Meister oder Die Meistersinger als Künstlerdrama. Köln 1979 (= Vortragssammlung des Kölner Richard-Wagner-Verbandes 1979, Heft 3), S. 14.

12 Ebd., S. 261.

13 Die aufsehenerregende Inszenierung von 1956 verzichtete in ihrem Bühnenbild gänz- lich auf die bisher unverzichtbaren realistischen Anleihen mittelalterlicher Architektur und ließ z.B. im ersten Akt lediglich einen spätgotischen Fries zu, der über der Szene zu schweben schien. Der zweite Akt, in irreales blau-violettes Licht getaucht, verwies nur durch angedeutetes Kopfsteinpflaster und eine stilisierte Fliederdolde auf die von Wagner beschriebene Szene einer Nürnberger Gasse. Die Festwiesenszene im dritten Akt wurde von einem hörsaalartigen Chorgestühl umrahmt, während im Hintergrund ein hängender Prospekt einen kolorierten Holzschnitt Nürnbergs aus Schedels Welt-

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15 Allerdings waren diese Bestrebungen nicht von nachhaltigem Erfolg ge- krönt. Tradition lässt sich nicht ohne weiteres abstreifen und gewaltsam in Innovation übertragen – ein Problem, das in den Meistersingern selbst zum Tragen kommt –, und so hatte die Auseinandersetzung mit dem Erbe des Nationalsozialismus in den letzten 50 Jahren auch ihren festen Platz in der Inszenierungsgeschichte der Oper. Eine Abkehr von dieser Bühnenpraxis scheint momentan noch nicht absehbar, wie die Frankfurter Inszenierung Christof Nels von 1993 zeigt, deren Bühnenbild von einem stilisierten Da- vidstern dominiert wird, der in seiner Symbolik ebenso viel- wie nichtssa- gend ist, und auch Katharina Wagners unerbittlich diskutierte Bayreuther Inszenierung der Meistersinger (2007-2011 auf dem Spielplan) erfüllt diesen Anspruch ganz protokollarisch, wenn nach fünf Stunden künstlerischer Selbstreflexion – so das Konzept von Katharina Wagners Regiearbeit –14 während der Schlussansprache von Hans Sachs plötzlich zwei Statuen im Stile des NS-Hofbildhauers Arno Breker aus dem Boden wachsen.

chronik zeigte. 1963 folgte eine Neuinszenierung als Burleske auf einer Shakespeare- bühne, die dem Globe Theatre nachempfunden war. Diese Produktion zog die unver- hohlene Missbilligung der Traditionalisten auf sich, die Wielands Konzept als überbordende Demontage der Oper ansahen. So echauffierte sich Heinz Tietjen, der unter der Ägide Winifred Wagners als Dirigent und Regisseur in Bayreuth gewirkt hat- te, über die inszenatorische Praxis Wieland Wagners: „Unser Wieland ist ein schlim- mer Ekstatiker geworden. Das haben die Linken bewirkt. Gehen Sie doch mal nach Bayreuth: Alles linke Burschen, und der Wieland: ein Ober-Linker! Fragen Sie mal sei- ne Mutter [Winifred Wagner; MK]. Die weiß Bescheid. Und wissen Sie, woher das al- les kommt? Die Wurzel seiner Kunst ist das Geschlechtliche! Er inszeniert immer mit dem – Sie wissen schon – in der Hand.“ Berndt W. Wessling: Wieland Wagner, der Enkel, S. 281 (wie Anm. 9). Tietjens Urteil erfolgt von der Warte des Bayreuther In- szenierungsstils im Dritten Reich und deklariert die Arbeiten Wielands implizit als Ab- art einer vollkommen ‚entarteten Geschlechtskunst‘, denen die völkisch-sazerdotale Geste gänzlich abgeht. Vgl. ebd.

14 Vgl. Robert Sollich: Hier gilt’s der Kunst – Aber welcher? „Die Meistersinger von Nürnberg“ als Katalysator künstlerischer Selbstreflexion im Wandel ihrer Geschichte.

In: Wolfgang Wagner (Hg.): Bayreuther Festspiele 2007. Die Meistersinger von Nürn- berg. Tannhäuser. Der Ring des Nibelungen. Parsifal. Bayreuth 2007, S. 6-15, S. 12.

Dieser Hinweis auf die „selbstreflexive, meta-theatrale Dimension“ (ebd.) scheint ein- leuchtend, denn er korrespondiert mit dem Topos der romantischen Transzendental- poesie oder den Verhandlungen kunsttheoretischer Aspekte in realistischen Texten.

Vgl. hierzu Christine Anton: Selbstreflexivität der Kunsttheorie in den Künstlernovel- len des Realismus. New York (u.a.) 1998.

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